The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes

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Story: Der Krieg des Kapitols gegen die Distrikte ist seit zehn Jahren vorüber; während die Distrikte geknechtet werden und jedes Jahr zwei Jugendliche opfern müssen, die in den Hungerspielen antreten, gibt es auch im Kapitol nicht nur Gewinner. Zu den Verlierern gehört die einstmals reiche, nun aber verarmte Familie Snow. Der jugendliche Coriolanus Snow (Tom Blyth) wittert seine Chance auf einen sozialen Aufstieg, als Schüler der Akademie, die er besucht, erstmalig zu Mentoren der Tribute aus den Distrikten werden – diese Maßnahme wird von der obersten Spielemacherin Volumnia Gaul (Viola Davis) ergriffen, in der Hoffnung, dass diese Spiele für die Einwohner des Kapitols interessanter werden. Doch Coriolanus wird ausgerechnet der weibliche Tribut aus Distrikt 13 zugeteilt, ein Mädchen namens Lucy Gray Baird (Rachel Zegler). Gewöhnlich haben Tribute aus Distrikt 13 keine Chance auf einen Sieg, doch Lucy Gray hinterlässt von Anfang an Eindruck. Bietet sie vielleicht die Chance, die Coriolanus braucht? Und was geschieht, wenn romantische Gefühle mitmischen?

Kritik: „The Hunger Games: The Ballad of Songbrids and Snakes” scheint zu jenen Franchise-Filmen zu gehören, die zum falschen Zeitpunkt starten: Zu spät, um noch vom ursprünglichen Momentum zu profitieren, aber zu früh für Nostalgie. Zwar war das Prequel zur Filmreihe um das totalitäre Panem finanziell kein Flop, scheint aber auch nur wenige wirklich vom Hocker gerissen zu haben und wurde unter Fans und Publikum eher gemischt aufgenommen. Ein wenig fühlt man sich an „Fantastic Beasts and Where to Find Them” erinnert, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass der Regisseur, der die ursprüngliche Reihe beendete, auch das Prequel umsetzt. Anders als bei „Fantastic Beasts“ gab es allerdings eine von Suzanne Collins verfasste Romanvorlage, die es jedoch nicht unbedingt schaffte, ihren eigenen, hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Filmadaption ist diesbezüglich leider keine Aufwertung. Während es der ursprünglichen Filmreihe gelang, eine etwas merkwürdige Wechselwirkung zur Vorlage aufzubauen, sodass sich Romane und Filme gegenseitig aufwerteten, wirkt Lawrence‘ Umsetzung von „The Ballad of Songbirds and Snakes“ oftmals wie ein bloßes Abfilmen.

Schon der Roman wollte, trotz der Tatsache, dass es sich um das längste Buch der Serie handelt, zu viel auf zu wenig Seiten erreichen – entweder hätte Collins ein noch deutlich umfangreicheres Werk schreiben oder das Ganze als mehrbändige Reihe anlegen müssen. Der Film leidet unter diesem Problem in noch weit größerem Ausmaß. Man wäre vielleicht sogar geneigt gewesen, eine filmische Zweiteilung gutzuheißen, vor allem, da sich der Roman in zwei recht autarke Hälften teilen lässt. Nach den Erfahrungen, die Lawrence mit „Mockingjay Part 1“ und „Mockingjay Part 2“ gemacht hatte, nahm er von dieser Idee allerdings Abstand. Das Ergebnis ist ein ziemlich gehetzt wirkender Film, der selbst den gelungenen Passagen (sprich: grob der ersten Hälfte) nicht die Aufmerksamkeit widmet, die sie verdienen. Das ist vor allem deshalb schade, weil der Cast wirklich gelungen ist: Tom Blyth nimmt man sehr gut einen jungen Donald Sutherland ab und vor allem Peter Dinklage und Viola Davis machen aus zu wenig Leinwandzeit sehr viel. Rachel Zegler funktioniert als Lucy Gray Baird ebenfalls ganz gut, auch wenn sie nicht immer die beste Chemie mit Blyth hat. Immerhin: Singen kann sie definitiv. Andere talentierte Darsteller, etwa Hunter Schafer, Burn Gorman oder Jason Schwartzman, gehen hingegen eher unter. Auch die Ausstattung weiß durchaus zu gefallen. Anders als in den ursprünglichen Filmen hält sich die absolute Dekadenz des Kapitols noch in Grenzen, wir sehen eher die Ruinen einstiger Größe. Die Ausgestaltung der erzählten Welt erinnert stark an eine futuristische Version Nachkriegszeit, sprich: später 40er, früher 50er, und sorgt für eine gelungene Atmosphäre. Auf der Handlungsebene gelingt es Lawrence und seinen Drehbuchautoren Michael Lesslie und Michael Arndt allerdings nur selten, diesen Nachkriegszustand effektiv zu vermitteln – zu sehr sind sie damit zu beschäftigt, alle Figuren zu etablieren und sich durch die Handlung zu arbeiten.

Wie schon in den ursprünglichen drei Romanen sind wir als Leser an die Perspektive des Protagonisten gebunden und wie in den ursprünglichen Filmen verlässt Lawrence auch hier diese Perspektive hin und wieder. Was die Hunger-Games-Quadrologie allerding bereicherte, ist in „The Ballad of Songbirds and Snakes“ hinderlich. Es ist durchaus verständlich, dass diese frühe Inkarnation der Hungerspiele auch tatsächlich gezeigt wird, schließlich möchte man in seiner YA-Adaption auch ein wenig Action, aus erzählerischer Sicht funktioniert die Herangehensweise des Romans jedoch deutlich besser. Hier werden die Spiele nur aus Coriolanus‘ Sicht gezeigt, der sie primär am Bildschirm verfolgt und nur einmal selbst in die Arena muss. Dieser Kniff hätte in meinen Augen für deutlich mehr Suspense gesorgt und es zudem ermöglicht, den Hinter-den-Kulissen-Aspekten noch mehr Platz einzuräumen. Gerade im Vergleich zu den extravaganten Arenen der ersten beiden Filme ist die hier gezeigte Ruine visuell einfach nicht besonders interessant. Das ist inhaltlich und thematisch natürlich passend, aber dennoch nicht zu leugnen. So gehen viele der scheinbar sekundären, aber doch essentiellen Elemente der Vorlage verloren oder werden zumindest stark reduziert – die Rede ist von der Genesis der Hungerspiele, wie man sie aus den ursprünglichen Filmen kennt.

Der in Distrikt 12 spielende Teil des Films ist noch einmal gehetzter als sowohl das Romangegenstück als auch die erste Hälfte, sodass sich die Ereignisse regelrecht überschlagen. Zudem fällt das Fehlen von Coriolanus‘ Gedanken, die im Roman stets präsent sind, gerade hier äußerst negativ ins Gewicht. Damit meine ich nicht, dass man das als Stimme aus dem Off explizit hätte einbinden sollen, aber es wäre doch machbar gewesen, diese Inhalte visuell zu vermitteln. Das hat zudem zur Folge, dass Coriolanus im Film über lange Zeit deutlich positiver charakterisiert wird, schlicht deshalb, weil seine Motivation und die Gründe für sein Handeln nicht anständig vermittelt werden. So springt Coriolanus gegen Ende gewissermaßen von seiner ursprünglichen Charakterisierung in diesem Film zur Donald-Sutherland-Version ohne allzu große Zwischentöne.

Score: Musikalisch riskiert „The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes” keine Experimente. Wie schon bei den vorherigen Filmen schwingt James Newton Howard den Taktstock und knüpft nahtlos an den etablierten Sound an. Howards Musik für dieses Franchise ist zwar stets funktional und passend, lässt aber wirklich herausragende Highlights und markante Themen oft vermissen. Die beiden einprägsamsten Stücke, die Kapitol-Hymne Horn of Plenty und The Hanging Tree, das zum Lied des Widerstands wird, sind beides diegetische Stücke aus der Feder anderer Komponisten, die Howard zwar im Score hin und wieder aufgreift, in meinen Augen aber keinesfalls ausreichend. Das trifft auch auf „The Ballad of Songbirds and Snakes” zu, und das obwohl The Hanging Tree ein durchaus wichtiger Teil der Handlung ist. Horn of Plenty wird auf einen kleinen, diegetischen Cameo-Auftritt reduziert, stattdessen findet sich mit Anthem: Gem of Panem eine neue, weniger einprägsame Kapitols-Hymne. Die bereits zuvor etablierten Themen referenziert Howard immer wieder und auch durchaus zufriedenstellend, während das stärkste neue Leitmotiv Lucy Gray gilt. Stilistisch finden sich auch einige Parallelen zu Howards Musik für die Fantastic-Beasts-Reihe, wobei diese zumeist etwas markanter ausfällt. Wer also Fan des Komponisten oder der Musik der Filmreihe ist, kann bedenkenlos zugreifen. Sollte man es allerdings nur auf die Crème de la Crème der Panem-Scores abgesehen haben, ist man mit „Mockingjay Part 1“ nach wie vor am besten bedient.

Fazit: In meiner Rezension zum Roman „The Ballad of Songbirds and Snakes” stellte ich die Frage, ob der Film es wohl schafft, die Vorlage aufzuwerten oder ob er an ihren Schwächen scheitert. Die Antwort ist eindeutig, Letzteres ist der Fall, zusätzlich zu weiteren filmexklusiven Schwächen. „The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes“ ist bei Weitem keine katastrophale Adaption, bleibt aber eindeutig sowohl hinter den Möglichkeiten als auch der ohnehin schon nicht optimal konstruierten Vorlage zurück.

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Siehe auch:
The Ballad of Songbirds and Snakes
The Hunger Games
Catching Fire
Mockingjay Part 1
Mockingjay Part 2
The Hunger Games: Horn of Plenty vs. The Hanging Tree

Poor Things

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Story: Max McCandles (Ramy Youssef) wird zum neuen Assistenten des exzentrischen Wissenschaftlers Godwin Baxter (Willem Dafoe) und lernt dabei auch sein Mündel Bella (Emma Stone) kennen. Bella besitzt zwar den Körper einer jungen Frau, scheint mental jedoch eher einem Kleinkind zu entsprechen. Schon bald findet Max heraus weshalb: Godwin Baxter hat das Gehirn eines Kleinkindes in den Körper seiner toten Mutter verpflanzt. Trotzdem fühlt sich Max zu Bella hingezogen, diese macht sich allerdings lieber mit dem Lebemann Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo) auf, die Welt und sich selbst zu erforschen…

Kritik: Unglaublich, aber wahr: „Poor Things“ ist mein erster Film von Yorgos Lanthimos, ein Film, den ich leider im Kino verpasst habe, nicht zuletzt deshalb, weil O-Ton-Aufführungen recht rar waren. Aber im Streaming-Zeitalter ist das selten lange ein Hindernis – wie so häufig dauerte es nicht lange, bis „Poor Things“ auf einem der einschlägigen Dienste ganz bequem anschaubar war bzw. immer noch ist. Und natürlich gewann Emma Stone in der Zwischenzeit exakt für diesen Film den Oscar als beste Hauptdarstellerin, was noch für ein zusätzliches Medienecho sorgte. Wie dem auch sei, „Poor Things“ ist zutiefst verstörend, bizarr, absurd und verdammt komisch, ein Film, von dem ich vorher nicht wusste, dass ich ihn brauche, dessen Nötigkeit aber völlig außer Frage steht.

Die Prämisse des Films basiert auf „Frankenstein“, ein Umstand, aus dem Yorgos Lanthimos und Drehbuchautor Tony McNamara kein Geheimnis machen; stattdessen bauen sie immer wieder ebenso offensichtliche wie humorvolle Anspielungen ein. So ist der Anfang des Films in schwarzweiß gehalten und erinnert an die Optik der guten alten Universal-Filme. Und natürlich ist da der von Willem Dafoe grandios dargestellten Wissenschaftler Godwin Baxter, der zwar einerseits das Victor-Frankenstein-Substitut dieses Films ist, andererseits aber visuell mit dem vage eckigen Schädel und den Narben eher an Boris Karloffs Monster erinnert. Die Idee der Selbstbestimmung, die „Poor Things“ dominiert, ist freilich bereits ein zentraler Aspekt von Mary Shelleys Roman und etwas, das auch Frankensteins Kreatur stets anstrebt. Während dieses Element in der ursprünglichen Adaption eher verloren geht, nicht zuletzt durch den Umstand, dass die Kreatur in James Whales Film kaum zur Sprache, geschweige denn zu komplexen Gedanken fähig ist, kehrt es doch in „Bride of Frankenstein“ zurück. Gewissermaßen beginnt „Poor Things“ dort, wo „Bride for Frankenstein“ endet: Die titelgebende „Braut“ sagt sich von ihren Schöpfern bzw. den Männern, die ihr Schicksal bestimmen wollen, los. Ähnlich handelt auch Bella, die sich weder von Godwin Baxter, noch Max McCandles kontrollieren lassen möchte. Auch Duncan Wedderburn muss das bald feststellen. Während allerdings die beiden Erstgenannten in der Lage sind, dazuzulernen, verzweifelt Duncan an ihrer Selbstbestimmtheit.

Stilistisch erschafft Yorgos Lanthimos hier eine ähnlich artifizielle und überhöhte Welt wie Wes Anderson, allerdings weniger geprägt von Symmetrie und Puppenhausästhetik. Stattdessen aalt sich „Poor Things“ in seiner Bizarrheit. Die Ästhetik des Films spiegelt zugleich auch stets Bellas aktuelle Entwicklung, von den Frankenstein-artigen Ursprüngen über ihre Zeit mit Duncan bis hin zur Arbeit im Bordell, verbunden mit der Entdeckung des Sozialismus. Bella steht eindeutig im Vordergrund, auch wenn der Film seinen Zuschauern kurz vorgaukelt, dass Max der Protagonist ist. Durch seine Augen lernen wir Bella kennen und erfahren, was es mit ihr auf sich hat. Danach tritt er allerdings rasch in den Hintergrund. Gerade schauspielerisch weiß „Poor Things“ zudem vollauf zu überzeugen – der Oscar für Emma Stone ist vollauf gerechtfertigt, bringt sie hier doch wirklich vollen Einsatz, ist sich für nichts zu schade und beweist auch noch exzellentes komödiantisches Timing. Kaum weniger lässt sich über die anderen Darsteller sagen. Vor allem herausragend ist Mark Ruffalo, der erfolgreich gegen seine Bruce-Banner-Rolle anspielt und dessen langsamer Verfall vom eloquenten Lebemann zum mental zerrütteten Wrack absolut überzeugend ist. Mein nicht so heimlicher Favorit ist allerdings Willem Dafoes Godwin Baxter, der über den Verlauf des Films immer wieder ebenso verstörende wie zum Schreien komische Details aus seiner Vergangenheit enthüllt. An dieser Stelle noch eine Warnung: „Poor Things“ verfügt nicht nur über einige sehr explizite Sexszenen, die schon allein aufgrund von Bellas Zustand als problematisch wahrgenommen werden könnten, sondern auch über einen sehr speziellen, absurden, tiefschwarzen und bizarren Humor, der sicher nicht für alle geeignet ist.

Fazit: „Poor Things“ ist definitive eines der filmischen Highlights des Jahres 2024, eine bizarre und urkomische Variation auf „Frankenstein“ mit einem belendend aufgelegten Cast, die sich mir dem Thema weibliche Selbstbestimmung befasst.

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Siehe auch:
Art of Adaptation: Frankenstein – Mary Shelleys Roman
Art of Adaptation: Universals Frankenstein
Art of Adaptation: Bride of Frankenstein

The Legend of the 7 Golden Vampires

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Story: Im Jahr 1804 wird Dracula (John Forbes-Robertson) wird von dem taoistischen Mönch Kah (Chan Shen) aus seinem Schlaf erweckt. Dieser bittet den Grafen, den legendären sieben goldenen Vampiren in seiner chinesischen Heimat zu neuer Macht zu verhelfen. Dracula stimmt zu, nimmt zu diesem Zweck allerdings Kahs Körper in Besitz. 100 Jahre später wird Professor Van Helsing (Peter Cushing), der in Chongqing gerade eine Vorlesung hält, auf die Angelegenheit aufmerksam. Zusammen mit Hsi Ching (David Chiang), dessen Vater es gelungen ist, einen der goldenen Vampire zu töten, sowie dessen Geschwistern begibt sich Van Helsing auf die Suche nach den Blutsaugern…

Kritik: Während die Hammer Studios in den 60ern ihre größten Erfolge feierten, ging es in den 70ern schnell bergab, nicht zuletzt bedingt durch die Konkurrenz. Filme wie „The Exorcist“ (1973) oder „The Texas Chainsaw Massacre“ (1974) etablierten neue Formen des Horrors, gegen die die Hammer-Filme mit ihrem Fokus auf klassische Filmmonster oft altbacken wirkten. Hammer versuchte immer wieder, die Formel zu revitalisieren und frisch zu halten, zumeist aber mit wenig Erfolg – ein Blick auf die letzten drei Dracula-Filme des britischen Studios ist hier sehr aufschlussreich. „Dracula A.D. 1972“ ist noch ein relativ klassischer Hammer-Film, der einfach nur in der Moderne spielt, während „The Satanic Rites of Dracula“ sich eher wie ein (ziemlich langweiliger) Agententhriller anfühlt. Mit „The Legend of the 7 Golden Vampires“ versuchte Hammer, sich die aktuelle Beliebtheit von Martial-Arts-Filmen zunutze zu machen. Also schicken Hammer-Veteran Roy Ward Baker und Chang Cheh, der sich um die Action-Szenen kümmerte, den Grafen nach China. Dass Christopher Lee für dieses Unterfangen nicht gewonnen werden konnte, dürfte wohl kaum überraschen, besonders, da er bereits für „The Satanic Rites of Dracula“ kein gutes Wort übrig hatte. An seiner statt spielt John Forbes-Robertson den Grafen – da Dracula die meiste Zeit jedoch im Körper des chinesischen Mönchs Kah unterwegs ist, hat Forbes-Robertson kaum Gelegenheit, mehr als eine schlechte Lee-Imitation mit deutlich zu viel Make-up abzuliefern. Immerhin gelang es Hammer, Peter Cushing ein letztes Mal als Draculas Nemesis Van Helsing zu gewinnen. Wie üblich ist Cushing mit vollem Einsatz dabei und zudem der primäre Grund, sich diesen Film überhaupt anzusehen.

Trotz der Präsenz Van Helsings hat „The Legend of the 7 Golden Vampires“ so gut wie nichts mit den vorherigen Dracula-Filmen des Studios zu tun und passt weder zur ursprünglichen Reihe, noch zu der mit „Dracula A.D. 1972“ neugestarteten zweiten Kontinuität. Nicht mal auf die interne Kontinuität achtet Drehbuchautor Don Houghton: 1804 begibt sich Dracula nach China und bleibt dort 100 Jahre, noch dazu im Körper eines anderen, aber trotzdem hatte Van Helsing irgendwann vor Beginn des Films eine Auseinandersetzung mit dem Grafen in Transsylvanien – das will nicht so recht zusammenpassen. Die titelgebenden sieben goldenen Vampire sind leider weit davon entfernt, in irgendeiner Form interessante Charaktere zu sein; oder überhaupt Charaktere. Sie sind lediglich entstellte, stumme und blutsaugende Kampfmaschinen mit goldenen Masken und eher zweifelhaftem Make-up, die primär als Grund für diverse, ausgedehnte Martial-Arts-Szenen fungieren. Dracula selbst wird am Ende verhältnismäßig unspektakulär durch simples Aufspießen abserviert. Welch ein Kontrast zum ersten Dracula-Film von Hammer mit seiner aufregenden Verfolgungsjagd durch das Schloss des Grafen.

Dennoch muss man „The Legend of the 7 Golden Vampires” wohl zugute halten, dass er immerhin nicht so langweilig ist wie „The Satanic Rites of Dracula“. Zugleich gelingt es diesem letzten Hammer-Dracula allerdings auch selten, wirkliche Atmosphäre zu entfalten, der typische Hammer-Stil will einfach nicht wirklich zu Martial Arts passen. Zudem ist das Fehlen der grandiosen Dynamik zwischen Lee und Cushing überdeutlich spürbar. Nach so vielen Filmen mit Lee als Hammers Vampirgraf – in immerhin drei davon konnte er sich mit Cushings Van Helsing messen – ist sein Fehlen ein Manko, das sich einfach nicht ausgleichen lässt. Immerhin Komponist James Bernard tut was er kann, um John Forbes-Robertson bzw. Chan Shen als Dracula zu etablieren, indem er Gebrauch von seinem klassischen Dracula-Motiv aus dem Film von 1958 macht.

Fazit: „The Legend of the 7 Golden Vampires” ist ein geradezu tragischer Abschluss der umfangreichsten Dracula-Serie der Filmgeschichte. Trotz der Präsenz Peter Cushings und James Bernards gelingt es dem Film weder, an alte Erfolge anzuknüpfen, noch wirklich neue Akzente zu setzen, auch wenn er sich verzweifelt darum bemüht.

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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Hammers Graf
The Brides of Dracula
Dracula: Prince of Darkness
Dracula Has Risen from the Grave
Taste the Blood of Dracula
Scars of Dracula
Dracula A.D. 1972
The Satanic Rites of Dracula

Dune: Part Two – Ausführliche Rezension

Spoiler!

Wir sind zurück in der Wüste. Während „Dune: Part One“ unter verhältnismäßig schlechten Vorzeichen startete (Pandemie, gleichzeitige Veröffentlichung auf HBO Max etc.), trifft das auf „Dune: Part Two“ nicht zu. Und siehe da, bereits am ersten Wochenende hat das Sequel doppelt so viel eingespielt wie der Vorgänger im selben Zeitraum, Tendenz steigend. Auch die Kritiken überschlagen sich regelrecht. Ist „Dune: Part Two“ das „Empire Strikes Back“ dieser Filmreihe, wie Chris Nolan meint? Könnte eine potentielle Dune-Trilogie DAS filmische Epos der 2020er werden, wie es die LotR-Trilogie in den Nuller-Jahren war? Mal schauen, ob wir darauf eine Antwort finden…

Handlung
Nachdem die Harkonnen Arrakeen, die Hauptstadt des Wüstenplaneten Arrakis, erfolgreich erobert haben, mussten Paul Atreides (Timothée Chalamet) und seine Mutter Lady Jessica (Rebecca Ferguson) in die Wüste fliehen, wo sie nun von den Fremen zumindest vorläufig akzeptiert werden. Während Paul der jungen Fremen Chani (Zendaya), die er bereits auf Caladan in Visionen sah, näherkommt, beginnen immer mehr Fremen, in Paul den Lisan al-Gaib, ihren Messias zu sehen. Besonders Stilgar (Javier Bardem) scheint diesem Glauben anzuhängen. Ihm gelingt es außerdem, Lady Jessica dazu zu überreden, die neue „Ehrwürdige Mutter“ der Fremen zu werden, da die ihre Vorgängerin im Sterben liegt. Jessica trinkt das Wasser des Lebens, was zur Folge hat, dass ihre ungeborene Tochter bereits im Mutterleib zu vollem Bewusstsein gelangt. Paul will derweil nicht allzu viel von seiner potentiellen Bestimmung als Messias wissen, hat er doch in Visionen gesehen, dass er einen gewaltigen Krieg mit unzähligen Toten entfesseln wird. Stattdessen will er „nur“ an der Seite der Fremen gegen die Harkonnen kämpfen und ihre Lebensart erlernen. Und tatsächlich führen Paul und die Fremen erfolgreiche Angriffe auf und bringen die Spice-Produktion in Verzug. Das hat Folgen für Glossu Rabban (Dave Bautista), Neffe des Baron Harkonnen (Stellan Skarsgård) und aktueller Verwalter von Arrakis: An seiner Statt soll nun Feyd-Rautha (Austin Butler), Rabbans jüngerer Bruder, die Dinge auf Arrakis richten. Paul und die Fremen gehen in ihrer Offensive derweil immer weiter, Paul schickt gar eine Nachricht an den Imperator (Christopher Walken), um diesen nach Arrakis zu locken. Nachdem er auch er das Wasser des Lebens getrunken hat, beginnt er sich in seine messianische Rolle zu fügen und bereitet sich mit seinem Gefolge auf den finalen Angriff vor…

Art of Adaptation
An der Handlungszusammenfassung zeigt sich: Denis Villeneuve und Jon Spaihts, der mit Villeneuve zusammen das Drehbuch verfasste, machen keine Gefangenen. Zwar ist Prinzessin Irulan (Florence Pugh) am Anfang des Films so freundlich, einige Elemente des ersten Teils kurz zusammenzufassen, aber davon abgesehen geht Villeneuve davon aus, dass sein Publikum den ersten Film nicht nur gesehen, sondern fast schon verinnerlicht hat, denn allzu viel erklärt wird nicht mehr. Zugegeben, wer sich einen „Part Two“ anschaut, ohne „Part One“ gesehen zu haben, ist selbst schuld. Gerade das Worldbuilding, die Erschaffung der Welt Frank Herberts, war schließlich einer der Gründe, weshalb sich Villeneuve dafür entschied, den Roman in zwei Teilen zu verfilmen. Nachdem die Exposition, die Etablierung der Fraktionen etc. in Teil 1 abgehandelt wurde, kann er sich voll auf die Handlung, die Figuren und die Themen konzentrieren. Dass trotz der Zweiteilung gewisse Abstriche gemacht werden müssen, sollte trotzdem klar sein. Im Roman erforscht Herbert die Kultur der Fremen beispielsweise in noch deutlich größerem Ausmaß, während der Film diesbezüglich verhältnismäßig oberflächlich bleibt – derartige Auslassungen waren durchaus zu erwarten und überraschen nicht. Einig der anderen Änderungen stellen allerdings durchaus tiefergehende Einschnitte dar. Am markantesten fällt die zeitliche Abweichung aus. Bei Herbert leben Paul und Jessica gut zwei Jahre bei den Fremen, nicht nur kommt Pauls Schwester Alia in dieser Zeit zur Welt, um im Finale den Baron höchstpersönlich zu töten, Paul selbst hat einen Sohn mit Chani, der das Ende des Romans allerdings nicht überlebt. Im Film hingegen sind es weniger als neun Monate, da sich Alia am Ende des Films nach wie vor im Mutterleib befindet. Dementsprechend fällt auch Pauls Sohn der Schere zum Opfer.

Auch im Figurenbereich finden sich einige Änderungen, manche davon bereits in „Part One“ etabliert. Generell scheint mir, dass Denis Villeneuve für die Antagonisten der Geschichte nicht allzu viel übrig hat. Gerade Vladimir Harkonnen ist im Roman sowohl deutlich präsenter als auch extrovertierter mit einer Vorliebe für große Ansprachen; zudem gibt er sich bei all seiner Grausamkeit und seinem Sadismus sehr jovial. Villeneuve und Darsteller Stellan Skarsgård gestalten „ihren“ Baron hingegen deutlich mysteriöser, enigmatischer und wortkarger – explizites Vorbild ist Colonel Kurtz aus „Apocalpyse Now“. Zudem kürzen sie des Barons unangenehme Tendenz zur Pädophilie, ließen aber auch seine Motivation größtenteils im Dunkeln. Feyd-Rautha wurde im ersten Film völlig ausgespart, bekommt nun aber etwas mehr Zeit gewidmet als sein Onkel, nicht zuletzt bedingt durch seine Einführung in der Gladiatorenarena von Giedi Prime. Allerdings beschleicht mich der Verdacht, dass es Villeneuve hier weniger um den Charakter als vielmehr um die Optik geht, was man ihm allerdings kaum verübeln kann, ist besagte Szene doch visuell eine der imposantesten des Films. Feyd-Rautha ist in jedem Fall der prominenteste Harkonnen-Charakter und fungiert, ganz wie im Roman, als finsteres Spiegelbild Pauls – auch er ist Ergebnis des Bene-Gesserit-Zuchtprogramms, auch er muss sich dem Gom-Jabbar-Test unterziehen und zudem plant Baron Harkonnen, ihn mit Prinzessin Irulan zu verheiraten. Immerhin ist die Filminkarnation trotz ihres psychotischen Verhaltens etwas ehrenvoller als das Buchgegenstück und weiß einen guten und fairen Kampf zu schätzen. Eine amüsante Beobachtung nebenbei: Sowohl in David Lynchs Versions der Geschichte als auch in den beiden Villeneuve-Filmen haben die Harkonnen immer einheitliche Frisuren, bei Lynch sind sie alle rothaarig und bei Villeneuve kahl. Ironischerweise ist Feyd-Rautha der Einzige der Harkonnen, dessen Haare im Roman beschrieben werden, dort ist er weder ein Rotschopf noch ein Glatzkopf, sondern dunkelhaarig.

Ganz ähnlich wie den Harkonnen ergeht es auch dem Padishah-Imperator Shaddam Corrino IV. Der von Christopher Walken gespielte Herrscher des bekannten Universums bekommt kaum Leinwandzeit, um als Charakter definiert zu werden und agiert quasi ausschließlich als zu beseitigende Instanz. Zudem finde ich, dass Villeneuve sich hier so ziemlich den einzigen Patzer beim Casting erlaubt hat. Nichts gegen Christopher Walken, aber in dieser Rolle funktioniert er für mich einfach nicht. Es sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass der Imperator zwar ähnlich alt wie Walken ist, aber durch Spice-Konsum deutlich jünger aussieht. Auch Shaddams Tochter Irulan wird in ihrer Rolle reduziert, zwar kommt sie im Roman ähnlich häufig vor wie im Film, allerdings ist fast jedem Kapitel ein Zitat ihres Geschichtswerks vorangestellt, sodass sie von Anfang an eine gewisse Präsenz erhält, lange bevor man sie als Leser tatsächlich „trifft“. An ihrer statt darf, vor allem zu Beginn des ersten Films, Chani die Rolle der Erzählerin einnehmen. Und damit wären wir auch schon bei der größten Charakteränderung, denn im Roman kommt von Chani keine Opposition bezüglich Pauls Rolle als Messias und sie macht sich am Ende auch nicht auf eigene Faust auf den Weg. Nebenbei bemerkt: Das könnte Zendayas bisher beste Performance sein. Ebenso ist die Teilung in nördliche und südliche Fremen, wobei Letztere äußerst fundamentalistisch sind, ein Element, das sich bei Herbert nicht findet.

Totale Immersion
Immersion in die erzählte Welt von „Dune“ scheint Denis Villeneuves oberstes Ziel zu sein. Man ist fast geneigt, Richard Wagners Begriff des „Gesamtkunstwerks“ heranzuziehen. Diese Immersionsbestrebungen lassen sich in jedem von Villeneuves Sci-Fi-Filmen feststellen und erfahren von Film zu Film eine Steigerung. Bei „Dune: Part Two“ haben sie ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Jeder Aspekt, vom Produktionsdesign, den Kostümen, den Sets, den visuellen Effekten, dem Sounddesign und natürlich der Musik (hierzu später mehr) arbeiten auf dieses Zielt hin. Ein besonders essentieller Aspekt dabei ist die Gestaltung der Planeten. Die beiden Dune-Filme zeigen, etwa im Vergleich zum typischen Star-Wars-Film, relativ wenig unterschiedliche Planeten, neben dem titelgebenden Wüstenplaneten sind das primär Caladan im ersten Film und Giedi Prime, aber diese sind derart distinktiv, dass man augenblicklich weiß, wo man sich befindet. Gerade Star Wars könnte sich diesbezüglich eine ordentliche Scheibe abschneiden. In „Ahsoka“ wird erstmals mit Peridea ein außergalaktischer Planet gezeigt, der aber alles in allem ziemlich langweilig ausfällt und sich kaum von Planeten in der regulären Star-Wars-Galaxie unterscheidet. Im Vergleich dazu wirkt Giedi Prime, von dem es im ersten Film nur einen sehr flüchtigen Eindruck gab, mit der durch die andersartige Sonne des Planeten ausgelösten Schwarz-Weiß-Optik fremdartig und verstörend. Zudem dient die Optik ihrer Welt dazu, den Baron und die Seinen weiter zu charakterisieren. Der Planet ist zugleich Spiegelung als auch Ursache des mentalen Zustands der Harkonnen.

Dennoch verkommt „Dune: Part Two“ nie zu „style over substance“, da die visuellen Aspekte und die Immersionsbemühungen stets dazu dienen, die Geschichte zu erzählen und die Themen zu verdeutlichen. Die von Frank Herbert geschilderte Welt ist komplex und voller fremdartiger, erklärungsbedürftiger Konzepte. In „Dune: Part One“ spürte man ein wenig, wie der Regisseur damit haderte, einerseits die Welt des Films zu erklären, das Ganze aber andererseits nicht zu expositionslastig zu gestalten. Nachdem „Part One“ die Vorarbeit geleistet hat, kann Villeneuve viele dieser Elemente auf die visuelle Ebene verschieben. Das fällt oftmals nicht allzu subtil aus – der immer restriktiver werdende Kopfschmuck von Prinzessin Irulan zeigt relativ eindeutig, dass sie eine Gefangene ihrer Stellung ist, ohne dass das im Dialog breitgetreten werden müsste. In der finalen Szene des Films trägt sie gar etwas, das an eine filigrane und sehr teure Version der Hannibal-Lecter-Maske erinnert, was einen Ausblick auf ihre Zukunft als Ehefrau von Paul Atreides gibt. Dennoch: Es funktioniert und befreit Villeneuve, der ohnehin kein Freund von Dialogen ist, davon, noch mehr zu erklären als unbedingt nötig ist.

Der Erfolg dieses Konzepts – der Erfolg von „Dune: Part Two“ – untermauert nur noch einmal die aktuell überdeutliche Tendenz: Das Kinopublikum ist wählerisch geworden und lässt sich nicht mehr von Filmen überzeugen, die von Komitees glattgebügelt und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert wurden. Die großen erfolgreichen Filme dieses und des letzten Jahres wie „Barbie“, „Oppenheimer“ oder eben „Dune: Part Two“ sind Filme, die von der Handschrift des Regisseurs geprägt sind und die einer Vision folgen. Der eine MCU-Film des Jahres 2023, der nicht floppte, war „Guardians of the Galaxy Vol. 3“, bei dem James Gunn mehr oder weniger machen konnte, was er wollte und der aus diesem Grund von den Manierismen des Regisseurs noch deutlicher geprägt ist als die ersten beiden Guardians-Filme. Derweil erleiden Filme, die von Studio- und Produzenteneinmischung nachhaltig geprägt sind oder nur aus Lizenzgründen gedreht wurden, massiv Schiffbruch – Sonys „Madame Web“ ist nur das jüngste Beispiel. Ich persönliche begrüße diesen Trend und hoffe, dass die Studios endlich einmal die richtige Lehre aus den Flops der letzten Jahre ziehen.

The Chosen One
Es soll Menschen geben, die Paul Verhoevens „Starship Troopers“ immer noch für faschistische Propaganda statt für eine subversive Satire halten. Ebenso gibt es Leser und Zuschauer, die glauben, bei Paul Atreides handle es sich um eine typische Außererwählten-Erzählung, die die Stationen der Campbell’schen Heldenreise brav abarbeitet. Diese Auslegung seines Romans machte bereits Herbert ziemlich wütend und ist der primäre Grund dafür, weshalb er überhaupt die Fortsetzung „Dune Messiah“ schrieb, in der er, für alle, denen der erste Dune-Roman zu subtil war, überdeutlich machte, dass der Kwisatz Haderach eben kein strahlender Held, sondern ein Antiheld ist, der das Blut von Milliarden an den Händen hat. Charismatischen Anführern im Allgemeinen und dem Messias-Konzept im Besonderen stand Herbert sehr kritisch, wenn nicht gar ablehnend gegenüber. Dieser Aspekt war in „Dune: Part One“ definitiv schon vorhanden, Villeneuve arbeitet ihn im Sequel allerdings noch einmal weitaus deutlicher hervor und bringt bereits diverse Elemente aus „Dune Messiah“ mit ein, nicht zuletzt durch die Veränderung von Chanis Charakter. Aber auch die Art und Weise, wie Paul sich den Glauben bzw. den Fundamentalismus der Fremen zu nutze macht und ihn weiter anstachelt, spricht eine eindeutige Sprache. „Dune: Part Two“ zeigt, nicht zuletzt dank Timothée Chalamets exzellentem Spiel, die faszinierende Charakterentwicklung eines jungen Mannes vom unwilligen Messias zum rücksichtslosen Kriegsführer und Herrscher.

Die eng mit der Außerwählten-Thematik verknüpften religiösen Elemente in „Dune“ sprechen diesbezüglich ebenfalls eine relativ eindeutige Sprache. Allgemein spielt Religion eine sehr wichtige Rolle, wobei es weniger um tatsächlich Theologie, Mythologie oder sonstige religiöse Inhalte geht. Stattdessen findet die Auseinandersetzung auf einer stärker abstrahierten, systemischen Ebene ab. Aus dem ersten Dune-Roman, speziell einem der Anhänge, erfahren wir, dass sich diverse Glaubenssysteme der Erde wild miteinander vermischt und dann wieder aufgespalten haben, Beispiele sind etwa der Buddislam oder das Navachristentum. Der zentrale religiöse Text des Imperiums ist die Orange-Katholische Bibel, die eine weitere Vermischung impliziert: In Irland ist Orange die Farbe der Protestanten, also handelt es sich theoretisch hierbei um eine protestantisch-katholische Bibel. Das alles ist aber verhältnismäßig irrelevant und eher Dekoration, weshalb Villeneuve sich damit gar nicht groß befasst. Viel wichtiger ist die Art und Weise, wie Religion als Machtinstrument benutzt wird. Die Bene Gesserit sind die Hauptverantwortlichen, schleusen ihre Agentinnen überall ein, verheiraten sie mit mächtigen und einflussreichen Adeligen und schmieden weitere Ehebündnisse, um mit einem Jahrhunderte andauernden Zuchtprogramm ihren Messias, den Kwisatz Haderach, zu erschaffen. Zudem beeinflussen die Bene Gesserit diverse planetare Kulturen, ihre Agentinnen arbeiten überall daran, Messias-Mythen zu verbreiten, etwa das Kommen des Lisan al-Gaib auf Arrakis. Dabei handelt es sich oft um eine Art Notfallplan, auf den die Bene Gesserit zurückgreifen können, sollten sie in Bedrängnis geraten – und genau das ist es ja auch, was Jessica und Paul letzten Endes auf Arrakis tun.

Angesichts der Thematik, Frank Herberts eigener Einstellung und den Änderungen am Finale – von der Rezeption und dem Einspielergebnis gar nicht erst zu sprechen – lautet die Frage nicht, ob ein dritter Film kommt, sondern eher wann. Tatsächlich denke ich, dass diese Anpassungen, die Villeneuve und Spaihts vorgenommen haben, bereits einen Eindruck davon geben, wie sie „Dune Messiah“ adaptieren werden. Der zweite Roman der Reihe (und neben dem Erstling der einzige, den ich bislang gelesen bzw. als Hörbuch konsumiert habe) ist zwar der kürzeste, gilt vielen Fans allerdings auch als der schwächste, mitunter gerade weil er sich eher liest wie eine Art Epilog des Vorgängers. Zudem besteht „Dune Messiah“ gefühlt primär aus Erbfolgekonferenzen, offiziellen wie inoffiziellen, und ist mitunter äußerst trocken. Nach „Dune“ macht die Handlung einen Sprung in die Zukunft, zwölf Jahre, nachdem Paul Muad’Dib die Herrschaft über das Imperium übernommen hat, hat der Dschihad (ein Wort, das die beiden Filme tunlichst vermeiden) der Fremen im Namen des Lisan al-Gaib viele Welten überrannt und viele Milliarden Leben gekostet. Die genauen Abläufe, die Gegner der Fremen etc. bleiben eher vage, allerdings gehören die Sardauker, sich widersetzende große Häuser, übrigbleibende Corrino-Loyalisten sowie sonstige Rebellen und religiöse Abweichler dazu. Am Ende von „Dune: Part Two“ zeichnet sich dieser Krieg bereits ab, zwar hat Paul Shaddam zur Abdankung gezwungen, die großen Häuser wurden vom Baron Harkonnen allerdings hinzugerufen und sind nicht bereit, sich dem Usurpator zu unterwerfen. Diese unmittelbare Bedrohung nach der Thronbesteigung fehlt bei Herbert. Nebenbei bemerkt, neben dem Casting Christopher Walkens und dem antagonistischen Mangel ist mein zweiter Hauptkritikpunkt an diesem Film, dass die finale Schlacht ein wenig zu schnell und einfach abgehandelt wird und sich der Sieg über die Harkonnen- und Corrino-Streitkräfte doch ein wenig zu gefällig anfühlt. Wie dem auch sei, ich denke, Villeneuve wird hier wahrscheinlich abermals einen größeren Zeitsprung vermeiden und den Krieg der Fremen gegen die großen Häuser deutlich aktiver zeigen, als das in „Dune Messiah“ der Fall ist. Dadurch wird die eigentliche Botschaft wahrscheinlich besser vermittelt als durch die Erbfolgekonferenzen des Romans, die bezüglich Visualität und Spektakel einfach nicht allzu viel hergeben.

Wüstenklänge

Der Score von Hans Zimmer und seinem Team spielt bei der immersiven Natur des Films eine wichtige Rolle, lässt mich persönlich aber äußerst zwiegespalten zurück. Es dürfte kaum verwundern, dass Zimmer nahtlos an den Vorgänger anknüpft. Das traditionelle Orchester ist so gut wie völlig abwesend, stattdessen bedient er sich vieler elektronischer und synthetischer Elemente, kombiniert mit diversen, oft ethnischen Soloinstrumenten wie dem Duduk, Frauenchören und, interessanterweise, einer erhöhten Präsenz der E-Gitarre. Ähnlich wie Chris Nolan gehört auch Denis Villeneuve zu den Regisseuren, die es bevorzugen, wenn die Filmmusik nicht allzu musikalisch klingt, sondern oft mit dem Sounddesign verschmilzt, was hier zweifellos der Fall ist. Wie schon „Dune: Part One“ verfügt auch „Dune: Part Two“ über eine völlig einnehmende Soundpalette, die einen mit tiefen Bässen regelrecht in den Kinosessel presst und die Immersion so fast perfektioniert. Allerdings ist der Score meinem Empfinden nach deutlich weniger innovativ, als viele ihn wahrnehmen. In vielerlei Hinsicht entspricht er genau der musikalischen Ästhetik, die Zimmer in den 2010er-Jahren immer weiter ausgebaut hat. Wie schon im ersten Teil finden sich auch hier einige wirklich aggressive, an Selbstparodie grenzende Zimmerismen, die die Immersion zumindest für mich dann wieder mindert. Einige der interessantesten Elemente des ersten Teils sind größtenteils verschwunden, dazu gehören unter anderem die aggressiv bellenden Bene-Gesserit-Chöre (weibliche Stimmen sind allerdings nach wie vor ein essentieller Bestandteil) sowie die diegetischen Dudelsäcke des Hauses Atreides. In mancher Hinsicht ist „Dune: Part Two“ allerdings bekömmlicher als sein Vorgänger, was nicht zuletzt am zumindest verhältnismäßig lyrischen und melodischen Paul/Chain-Liebesthema liegt, dass sich über den Verlauf entwickelt. Ebenfalls ordentlich entwickelt wird ein zentrales Motiv, das für mich immer das Kwisatz-Haderach-Thema war, oft aber auch als „Fremen War Cry“ bezeichnet wird. Nicht nur ist es äußerst präsent und gewinnt konstant an Kraft, zum Ende hin mutiert es sogar zum ziemlich rockigen E-Gitarren-Riff. Leider finden sich auch weiterhin längere Passagen, die einfach nur vor sich hindröhnen und schlicht keinen Mehrwert bieten. Lange Rede, kurze Sinn: Der Score von „Dune: Part Two“ fällt in etwa so aus, wie ich erwartet hatte. Im Film ist er meistens sehr effektiv, mitunter etwas nervig, losgelöst von den Bildern aber nicht zu empfehlen und für mich persönlich einfach nicht die Art von Filmscoring, die mich anspricht.

Fazit
Um zur eingangs gestellten Frage zurückzukehren: Ein endgültiges Urteil möchte ich noch nicht fällen, aber die Tendenz geht eindeutig in diese Richtung. Denis Villeneuve zeigte sich sehr geschmeichelt angesichts der Empire-Analogie, ich fühle mich gegenwärtig allerdings eher an „Batman Begins“ und „The Dark Knight“ erinnert. Während der erste Star-Wars-Film ein absoluter Publikumserfolg war, wurde „Batman Begins“ zuerst verhaltener aufgenommen, erst mit „The Dark Knight“ brach der Damm. Das scheint gerade ähnlich zu sein. Ich bin sicher, dass absolute Fans der Vorlage und Herbert-Puristen einiges an „Dune: Part Two“ auszusetzen finden, gerade bezüglich der Änderungen und Auslassungen, mich persönlich haben diese allerdings kaum gestört. „Dune: Part Two“ ist eine beeindruckende Errungenschaft, einer der immersivsten Filme der letzten Jahre, der seinen Vorgänger noch übertrifft, aber seine volle Wirkung nur mit diesem zusammen entfaltet. Den Widersachern der Atreides hätte etwas mehr Leinwandzeit gutgetan, Christopher Walken will als Imperator nicht so recht funktionieren und der Ausgang der finalen Schlacht ist ein wenig zu einfach geraten, aber das alles ist Kritik auf allerhöchstem Niveau. Jeder andere Aspekt der Produktion ist vollauf gelungen. Dieser Film sollte unbedingt im Kino erlebt werden.

Siehe auch:
Dune: Part One
Arrival
Blade Runner 2049 – Ausführliche Rezension

The Last Voyage of the Demeter

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Story: An Bord des russischen Schoners Demeter spielen sich seltsame Dinge ab, seit die Besatzung in Varna Kisten mit Erde an Bord genommen hat, die nach England transportiert werden sollen. Erst taucht eine junge Frau namens Anna (Aisling Franciosi) auf, die als blinde Passagierin an Bord gekommen ist, und dann werden Crewmitglieder von einer merkwürdigen Kreatur angegriffen. Clemens (Corey Hawkins), der auf der Demeter angeheuert hat, sieht sich als Mann der Vernunft und Wissenschaft, wird nun aber mit dem Übernatürlichen konfrontiert, während Eliot (Liam Cunningham), der Kapitän, alles tut, um die Crew zusammenzuhalten.

Kritik: Die Idee, die Demeter-Episode aus Bram Stokers „Dracula“ in irgendeiner Form auszugliedern, ist nicht wirklich neu und wurde in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren immer wieder bemüht. Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine sehr atmosphärische Geschichte in der Geschichte – Draculas Überfahrt von Osteuropa nach England verläuft natürlich nicht unblutig, ist aber separiert vom Schicksal aller anderen Figuren. Die Idee, mit diesem Teil des Romans auf besondere Art und Weise zu verfahren, ist also durchaus naheliegend. In der BBC/Netflix-Adaption widmeten Mark Gatiss und Steven Moffat der Thematik beispielsweise eine von drei Episoden, machten aus der Demeter allerdings ein Passagier- und kein Frachtschiff, sodass das Ganze kaum mehr etwas mit Stoker zu tun hat. Näher dran ist da schon die Hörspieladaption des Labels Holy Horror. Auch hier nimmt die Demeter-Episode eine ganze Folge ein. Und schließlich hätten wir noch „Bram Stoker’s Death Ship“ von Autor Gary Gerani und Zeichner Stuart Sayger, ein Comic, der im Grunde dieselbe Prämisse hat wie „The Last Voyage of the Demeter“. Tatsächlich geistert „The Last Voyage of the Demeter“ in der einen oder anderen Form schon ziemlich lange durch Hollywood, zeitweise waren Namen wie Noomi Rapace, Jude Law oder Viggo Mortensen mit dem Konzept verknüpft. 2019 nahm sich Regisseur André Øvredal („The Autopsy of Jane Doe“, „Scary Stories to Tell in the Dark“) schließlich des Drehbuchs von Bragi Schut Jr. und Zak Olkewicz an. Das finale Produkt ist einer von zwei Dracula-Filmen ohne den Namen des Vampirs im Titel, die Universal 2023 in die Kinos brachte – leider war weder „The Last Voyage of the Demeter“ noch „Renfield“ Erfolg beschieden.

Qualitativ, vor allem auf handwerklicher und darstellerischer Ebene, ist „The Last Voyage of the Demeter“ in meinen Augen der deutlich gelungenere der beiden. Vor allem David Dastmalchian und Liam Cunningham liefern eine sehr überzeugende Performance ab. Auch die Atmosphäre und Klaustrophobie wird sehr gut vermittelt – immerhin ist hier eine kleine Gruppe von Menschen mit einem Monster gefangen. Etwas problematischer wird es hingegen, wenn man „The Last Voyage of the Demeter“ im Kontext von Stokers Roman betrachtet; der Film leidet unter einigen derselben Schwächen, die auch schon „Bram Stoker’s Death Ship“ ausmachten. Zweifelsohne wollen Øvredal und Co. von Dracula und dem „mythologischen Fortsatz“, der ihm anhaftet, profitieren. Isoliert man die Demeter-Episode allerdings vom Rest, gelingt das nur sehr schwer. Wie schon „Bram Stoker’s Death Ship“ ist auch „The Last Voyage of the Demeter” im Grunde eine Variation von Ridley Scotts „Alien“, nur dass ein Segelschiff das Raumschiff ersetzt und ein Vampir das Xenomorph. Das hat allerdings auch zur Folge, dass Dracula als Charakter weder definiert wird noch abseits der Morde tatsächlich agiert. Da stellt sich die Frage: Warum dann überhaupt Dracula bemühen? Das Design des Vampirs ist eindeutig von Graf Orlok aus Murnaus „Nosferatu: Eine Sinfonie des Grauens“ beeinflusst, gepaart mit der Werfledermaus aus „Bram Stoker’s Dracula“. Es finden sich ein, zwei Szenen, in denen Øvredal und Co. dann doch versuchen, den Grafen zumindest minimal zu charakterisieren, etwa, indem sie ihn bösartig lächeln oder sogar ein paar Worte sprechen lassen, das untergräbt allerdings die vorherige Inszenierung als unberechenbares Monster und wirkt eher merkwürdig denn furchteinflößend.

Selbst wenn man Dracula selbst ausklammert, hat „The Last Voyage of the Demeter“ mit Stokers Roman relativ wenig gemein – im Grunde handelt es sich um eine konzeptionelle und keine inhaltliche Adaption. Die Figuren, ihre Motivationen und Beziehungen zueinander haben mit dem, was sich in der Demeter-Episode des Romans findet, im Grunde nichts mehr zu tun. Selbst das eindrücklichste Bild, der Kapitän, der sich aus Trotz an das Steuerrad fesselt, um die Demeter doch noch irgendwie ans Ziel zu bringen, wird zwar referenziert, aber nicht wirklich integriert. Und dann wäre da noch der Epilog, der wirkt, als arbeite man auf eine Fortsetzung hin, der aber wiederum zu Stokers Geschichte überhaupt nicht passen mag. Sehr gelungen, wenn im Film auch zu unscheinbar abgemischt, ist hingegen Bear McCrearys Soundtrack. Man könnte den Eindruck gewinnen, McCrearys nahm diesen Film als seine vielleicht einzige Gelegenheit wahr, ein Thema für den legendärsten aller Vampire zu komponieren und versuchte, weniger dem Film an sich, als vielmehr dem Vermächtnis des Charakters ein Leitmotiv zu schreiben. Dementsprechend ist das Dracula-Thema des Films äußerst pompös, massiv unterhaltsam und für diesen Film beinahe zu wuchtig und eindringlich. Eine ausführliche Besprechung findet sich hier.

Fazit: Als reiner Horror- bzw. Monsterfilm ist „The Last Voyage of the Demeter“ durchaus gelungen, vor allem auf handwerklicher Ebene, als Teiladaption von „Dracula“ hingegen weniger. Zu sehr arbeitet die Inszenierung als „Alien“-artiger, klaustrophobischer Film gegen das übergroße Vermächtnis der Figur des Vampirgrafen.

Trailer

Bildquelle

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gezeichnete Graf
Dracula (BBC/Netflix)
Art of Adaptation: Dracula (Holy Horror)
Renfield

Art of Adaptation: A Knife in the Dark

Der Aufbruch aus Bree

Nachdem sich die Hobbits in Bree in Aragorns Obhut begeben und seine Hilfe akzeptiert haben, folgt sowohl in Tolkiens Roman als auch in Jacksons Film ein Angriff der Ringgeister. Im Roman springen wir allerdings zurück nach Bockland, wo Fredegar Bolger gewissermaßen Frodos Platz einnimmt, um die Abreise aus dem Auenland weiter zu verheimlichen. Dem guten Fredegar gelingt es, vor den Nazgûl zu fliehen und die Bockländer zu alarmieren, woraufhin sich Saurons Häscher zurückziehen – vorerst. Hier gibt uns Tolkien zugleich einen kleinen Vorgeschmack darauf, dass die Hobbits durchaus wehrhaft sein können, wenn es wirklich darauf ankommt. In den späteren Kapiteln von „The Return of the King“, die sich mit der Säuberung des Auenlands beschäftigen, greift er diese Thematik wieder auf. Im Gegensatz dazu erfolgt die Attacke im Film in Bree – die Nazgûl persönlich stürmen sowohl das Dorf als auch das Gasthaus Zum Tänzelnden Pony auf höchst unsubtile Art und Weise. Dabei zeigt sich ein weiteres Mal, dass die filmische Interpretation der Ringgeister deutlich rabiater vorgeht als das Buchgegenstück. Anstatt sich einzuschleichen, wie sie es bei Tolkien immer wieder tun, reiten sie einfach das Eingangstor nieder und brechen ohne Rücksicht auf Verluste in das Gasthaus ein. Hierbei handelt es sich um eine weitere Szene, die relativ direkt aus Ralph Bakshis animierter Adaption des „Lord of the Rings“ stammt. Im Roman wird das Gasthaus zwar ebenfalls angegriffen und das Zimmer der Hobbits verwüstet, verantwortlich sind allerdings die menschlichen Diener der Nazgûl. Mehr noch, am Morgen sind auch die Ponys der Hobbits, zusammen mit allen anderen Pferden in den Ställen des Gasthauses, spurlos verschwunden.

Jackson zeigt den Aufbruch der um Aragorn erweiterten Wandertruppe als Montage, unterlegt von einer langsam stärker werdenden Version des Gefährten-Themas. Im Roman ist die ganze Angelegenheit etwas komplizierter, da mindestens ein Pony nötig ist, um das Gepäck der Hobbits zu transportieren. Nur ein Einwohner des Dorfes ist schließlich gewillt, sich von einem Tier zu trennen, ein recht übler Bursche namens Lutz Farning (Bill Ferny im Original, Lutz Farnrich in der Krege-Übersetzung), der wohl zu diesem Zeitpunkt bereits auf Sarumans Lohnliste steht und später bei der Säuberung des Auenlands noch einmal vorkommt. Besagtes Pony, das nach seinem ehemaligen Besitzer benannt ist, freundet sich sofort mit Sam an und ist offenbar sehr froh, in den Besitz der Hobbits überzugehen. Bei Jackson bricht das Fünfergespann ebenfalls mit einem Pony auf, der Erwerb wird jedoch nicht gezeigt. Eine Szene kurz vor Moria, die es allerdings nur in die Special Extended Edition geschafft hat, enthüllt später, dass dieses Pony tatsächlich Lutz/Bill ist. Die folgenden Reiseabschnitte schildert Tolkien verhältnismäßig ausführlich, während Jackson sie aus nachvollziehbaren Zeitgründen nur kurz anschneidet. Trotzdem gibt er seinen Zuschauern einen kurzen Einblick in die Mückenwassermoore und selbst die Erwähnung der Geschichte Beren und Lúthiens findet sich, zumindest in der Extended Edition. Der Kontext ist allerdings ein wenig anders, im Roman wird hier ein weiteres Mal auf die Ereignisse um die Schlacht des Letzten Bündnisse eingegangen, speziell zu Gil-Galad, dem letzten Hochkönig der Noldor, werden zusätzliche Informationen geliefert, bis Aragorn der Meinung ist, Gespräche über Mordor seinen aktuell keine gute Idee. Stattdessen erzählt er den Hobbits von der tragischen Liebesgeschichte von Beren und Lúthien. Im Film dagegen singt Aragorn von den beiden und berichtet daraufhin den Hobbits, die danach fragen, die Kurzfassung. Im Film fungiert das als Vorausdeutung der Beziehung von Aragorn und Arwen, die im Film deutlich anders aufgezogen wird als im Roman.

Angriff auf der Wetterspitze

Auf der Wetterspitze zeigt sich, wie unterschiedlich die parallelen Zeitabläufe an dieser Stelle im Roman und im Film sind. Bereits bevor das Fünfergespann den alten Wachturm erreicht, sieht es in einer Nacht Lichtblitze und bei der Ankunft finden Hobbits und Waldläufer spuren eines Kampfes der, wie sie später erfahren, zwischen Gandalf und den Ringgeistern stattgefunden hat. Der Zauberer ist zu diesem Zeitpunkt also praktisch um die Ecke. Jackson und Co. suggerieren hingegen, dass Gandalf sich zu diesem Zeitpunkt noch als Gefangener auf der Spitze des Orthanc befindet. Seine Flucht, die bei Tolkien bereits vor Frodos Aufbruch aus dem Auenland stattfindet, passiert im Film schätzungsweise zeitgleich mit der Jagd zur Bruinen-Furt. Von diesem Umstand abgesehen spielen sich die Ereignisse auf der Wetterspitze, mit ein, zwei Ausnahmen, fast identisch ab. Die erste Änderung ist der Umstand, dass die Hobbits hier von Aragorn Kurzschwerter bekommen – bei Tolkien haben sie diese aus dem Hügelgrab. Die zweite ist eher dramaturgischer Natur; im Roman lässt Aragorn die Hobbits nicht allein, um dann in letzter Sekunde als Retter auftauchen zu können und Merry, Pippin und Sam erregen die Aufmerksamkeit der Nazgûl auch nicht durch ihr Lagerfeuer. Stattdessen machen die fünf absichtlich ein Feuer, da die Ringgeister mit diesem Element bekanntermaßen ihre Probleme haben.

Wie so häufig beschreibt Tolkien die Ringgeister deutlich ätherischer und schattenhafter, als sie im Film dann tatsächlich dargestellt werden. Auch der Unterschied zwischen der Schattenwelt in Vorlage und Adaption ist noch einmal der Erwähnung wert: Das graue Gewaber, das Frodo wahrnimmt, wenn er den Ring trägt, existiert im Roman nicht, wie sich an folgender Passage zeigt: „Immediately, though everything else remained as before, dim and dark, the shapes became terribly clear. He was able to see beneath their black wrappings. There were five tall figures: two standing on the lip of the dell, three advancing. In their white faces burned keen and merciless eyes; under their mantles were long grey robes; upon their grey hairs were helms of silver; in their haggard hands were swords of steel. Their eyes fell on him and pierced him, as they rushed towards him.” (FotR, S. 255) Die Darstellung der Nazgûl im Zwielicht hingegen entspricht sehr genau der Beschreibung – stets eine äußerst beeindruckende Szene.

Eine Tendenz der Filme sollte an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben werden: Bei Jackson ist Frodo sehr viel passiver als bei Tolkien. Trotz der lähmenden Angst, die die Ringgeister verbreiten, ergibt sich Frodo nicht einfach seinem Schicksal, sondern versucht tatsächlich, seine Widersacher zu attackieren und erwischt immerhin den Fuß des Hexenkönigs, wobei sein Ausruf „O Elbereth! Gilthoniel!“ jedoch deutlich mehr Schaden anrichtet. Die größere Widerstandskraft Frodos zeigt sich auch im folgenden Kapitel: Während er im Film nach dem Angriff mit der Morgul-Klinge praktisch völlig katatonisch ist, ist er im Roman zwar geschwächt, aber noch handlungsfähig und ansprechbar. Anstatt Frodos Einsatz zu zeigen, ist es Aragorn, der bei Jackson nun erstmals in Action zu sehen ist – sein Kampf mit den Nazgûl ist im Roman eher ein Nachgedanke, Frodo bekommt noch mit, dass er die Ringgeister mit brennenden Holzscheiten attackiert, bevor er das Bewusstsein verliert.

Zitiert nach:
Tolkien, J. R. R.: The Lord of the Rings Part 1: The Fellowship of the Ring. London 2007 [1954]

Siehe auch:
Art of Adaptation: A Long-expected Party
Art of Adaptation: The Shadow of the Past
Art of Adaptation: Three Is Company
Art of Adaptation: A Shortcut to Mushrooms
Art of Adaptation: The House of Tom Bombadil
Art of Adaptation: At the Sign of the Prancing Pony
Art of Adaptation: Strider
Art of Adaptation: Tolkiens Erzählstruktur und Dramaturgie
Art of Adaptation: Saruman der Weiße
Art of Adaptation: Die Nazgûl

Art of Adaptation: The Exorcist

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Es gibt viele wirklich exzellente Horrorfilme, aber nur wenige können von sich behaupten, gleich ein ganzes Subgenre ins Leben gerufen zu haben. William Friedkins „The Exorcist“ (1973) gehört zu diesem erlauchten Kreis. Ähnlich wie „Dracula“ (1931) oder „Alien“ (1979) hat sich Friedkins Film unweigerlich ins popkulturelle Gedächtnis eingebrannt – selbst Menschen, die „The Exorcist“ nie gesehen haben, können das Bild der besessenen Regan MacNeil problemlos zuordnen und wahrscheinlich sogar auf die ikonische Kopfdrehung oder die Geschosskotze verweisen. Die wenigsten sind sich allerdings darüber im Klaren, dass der Film auf einem Roman basiert, verfasst von William Peter Blatty und erschienen 1972, nur ein Jahr vor der Adaption.

Handlung
Die Schauspielerin Chris MacNeil (Ellen Burstyn) zieht mit ihrer Tochter Regan (Linda Blair) nach Georgetown, Washington D.C., da sie dort unter der Regie des dem Alkohol zusprechenden, mitunter jähzornigen Regisseurs Burke Dennings (Jack MacGowran) ihren aktuellen Film dreht. Schon bald nach der Ankunft beginnt Regan jedoch, sich merkwürdig zu verhalten. Gespräche mit dem scheinbar imaginären „Captain Howdy“ – die Kommunikation erfolgt über ein Ouija-Board – tut Chris noch als harmlose Spielerei ab, aber die Geräusche und ein sich scheinbar bewegendes Bett bereiten ihr Kopfschmerzen. Zudem beginnt Regan, sich immer merkwürdiger und untypischer zu verhalten. Keiner der hinzugezogenen Ärzte findet eine Ursache – derweil überschattet der mysteriöse Tod von Burke Dennings die Lage zusätzlich. Während nun der Polizist William F. Kinderman (Lee J. Cobb) bzgl. Dennings Todesfall zu ermitteln beginnt, verschlechtert sich Reagans Zustand, sie wirft mit Obszönitäten um sich, verletzt sich und scheint mehrere Persönlichkeiten zu entwickeln. Einer der völlig ratlosen Ärzte schlägt schließlich einen Exorzismus vor – zwar glauben die Ärzte nicht an dämonische Besessenheit, aber wenn Reagan selbst glaubt, besessen zu sein, könnte sich ihr zustand verbessern, wenn sie überzeugt wird, dass der Exorzismus funktioniere. Also wendet sich Chris an den Jesuiten Damian Karras (Jason Miller), der nicht nur Priester, sondern auch Psychiater ist. Karras weiß genau, welche Hürden genommen werden müssen, damit die katholische Kirche einen Exorzismus sanktioniert und beginnt, sich eingehend mit dem Fall und mit Reagan zu beschäftigen. Nach mehreren Unterhaltungen mit Reagan wird es für Karras immer schwerer, tatsächliche Besessenheit auszuschließen, der Exorzismus wird sanktioniert und unter der Leitung von Father Lankester Merrin (Max von Sydow) beginnt Karras das Ritual…

Anpassungen und Auslassungen
Nur allzu oft geht man davon aus, dass es schief geht, wenn ein Autor seinen eigenen Roman als Drehbuch adaptiert, weil man ihm dieselbe Geisteshaltung attestiert, die ein Fan des Buches haben mag: Zu viel Textnähe, zu wenig Verständnis für den Wechsel des Mediums. Es gibt allerdings genug Beispiele, die dieses Vorurteil widerlegen, sei es Anne Rice mit „Interview with the Vampire“, Clive Barker mit „The Hellbound Heart“ bzw. „Hellraiser“ und eben auch Willaim Peter Blatty mit „The Exorcist“. Hin und wieder kann es sogar vorkommen, dass ein Autor, der sein eigenes Werk adaptiert, die Gelegenheit nutzt, um Dinge zu korrigieren oder zu experimentieren. Bei „The Exorcist“ handelt es sich nicht um einen derartigen Fall, der Film folgt der Handlung des Romans sehr genau, von der Etablierung der Charaktere und dem langsamen Spannungsaufbau bis hin zum finalen Exorzismus. Gerade was Regans Leidensweg angeht, werden eigentlich alle Stationen ziemlich vorlagengetreu abgehandelt – hier verortet Blatty eindeutig den Kern der Handlung.

Trotz aller Vorlagentreue müssen natürlich gewisse Kompromisse gemacht werden. Die meisten Raffungen und Auslassungen der Handlung betreffen den einen oder anderen Subplot rund um Kinderman, der im Roman eine deutlich größere Präsenz hat als im Film und dessen Ermittlungen bezüglich des Todes von Burke Dennings sehr viel mehr Raum einnehmen. Tatsächlich gerät Karl (Rudolf Schündler), der aus der Schweiz stammende Hausangestellte von Chris, eine Zeit lang ins Visier der Ermittlungen, zum einen, weil Dennings wiederholt mit ihm aneinandergerät und ihn als Nazi beschimpft (diese Szene findet sich im Film) und zum anderen, weil sein Alibi für den Todeszeitpunkt von Kinderman auseinandergenommen wird. Es stellt sich dann allerdings heraus, dass Karl eine heroinsüchtige Tochter hat, die von ihrem Freund misshandelt wird, ein Umstand, den er verheimlichen möchte, nicht zuletzt vor seiner Frau Willi (Gina Petrushk), die die Tochter tot glaubt. Zudem entsteht während Kindermans Ermittlungen eine Freundschaft zwischen ihm und Karras, die im Drehbuch stark reduziert wird – dort gibt es nur einen Austausch zwischen beiden, während sie im Roman noch deutlich öfter und länger miteinander sprechen. Auch Karras erhält in der Vorlage noch deutlich mehr Raum, sein Verhältnis zu seiner Mutter und die Trauer über den Tod werden ausführlicher thematisiert, ebenso wie sein Ringen um den Glauben und seine Freundschaft zu Father Dyer (William O’Malley). Somit liegt der Fokus des Films noch stärker auf Regan und Chris, als es im Roman der Fall ist.

Umsetzung
Blatty hatte den Luxus, nicht nur Drehbuchautor, sondern auch Produzent des Films zu sein und somit Regisseurwahl zu haben. Während dem Studio Warner Bros. Kandidaten wie Stanley Kubrick oder Mark Rydell vorschwebten, hatte Blatty William Friedkin im Sinn, da er sich eine naturalistische, fast schon dokumentarische Herangehensweise an seinen Roman wünschte. Erst, nachdem Friedkins Film „The French Connection“ den Oscar als bester Film gewann, konnte das Studio von Blattys Wahl überzeugt werden. Trotz dieses Umstandes kam es immer wieder zu gewissen Reibereien zwischen Regisseur und Drehbuchautor. Wie dem auch sei, die naturalistische Herangehensweise geht als Konzept jedenfalls voll auf – „The Exorcist“ fühlt sich, gerade im ersten Akt, kaum wie ein Horrorfilm, sondern eher ein Drama an. Diese Wahrnehmung wird beispielsweise durch extrem spärlichen Musikeinsatz hervorgerufen. Musik von Lalo Schifrin, der ursprünglich einen Score schreiben sollte, wurde verworfen und schließlich entschied sich Blatty, vor allem auf bereits existierende Musik, primär zeitgenössische Klassik (etwa Krzysztof Penderecki) sowie einige Stücke von Jack Nitzsche zu setzen, die entweder diegetisch sind oder sehr atmosphärisch und kaum auffällig. Selbst das markanteste Stück des Soundtracks, Tubular Bells, geschrieben von Mike Oldfield, findet nur sehr sparsam Verwendung. Anstatt früh mit Schockmomenten zu arbeiten, konzentrieren sich Blatty und Friedkin darauf, die Charaktere zu etablieren, die stets voll geformte Figuren sind, die nachvollziehbar handeln.

Die ersten erschreckenden oder zumindest unbehaglichen Momente des Films sind diesem Ansatz folgend dann auch keine okkulten Vorkommnisse, sondern die sehr realen Behandlungsmethoden, die Regan über sich ergehen lassen muss und Friedkin seinem Publikum schonungslos zumutet. Erst nach und nach wird die Präsenz des Übernatürlichen stärker und beispielsweise durch das kurze Einblenden einer dämonischen Fratze verdeutlicht. Durch diesen langsamen und behutsamen Aufbau wirken die tatsächlichen Schockmomente dann auch umso grauenhafter. Freilich ist „The Exorcist“ in mancher Hinsicht nicht immer gut gealtert, was jedoch weniger an den Effekten oder dem Make-up liegt – gerade Letzteres ist nach wie vor über jeden Zweifel erhaben – sondern an dem Grad der Übersättigung. Wie oft wurden die ikonischen Besessenheits- oder Exorzismus-Szenen in Film parodiert oder in Sketchen auf die Schippe genommen? Aber gerade weil der Film so gute Aufbauarbeit leistet, fällt das bei der Komplettsichtung kaum ins Gewicht. Wie selten diese Akribie geworden ist, zeigt ein aktueller Vergleich. „The Pope’s Exorcist“ (2023) von Julius Avery, mit Russel Crowe als stark fiktionalisierte Version des tatsächlichen vatikanischen Exorzisten Gabriele Amorth, hat mehr oder weniger denselben Plot wie „The Exorcist“, inklusive eines besessenen Kindes und eines erfahrenen Dämonenaustreibers, der einem jüngeren Kollegen zur Seite steht. Das inhaltliche Äquivalent der ersten beiden Akte von „The Exorcist“, potentiell sogar noch mehr, handelt „The Pope’s Exorcist“ in etwa zehn Minuten ab, um statt sauberer Charakterarbeit mehr Spektakel und noch eine zusätzliche Verschwörung zu bieten. Dieser Fehler unterläuft so vielen Nachahmern von Friedkins Film, weshalb „The Exorcist“ nicht nur Begründer, sondern nach wie vor Champion seines Horror-Subgenres ist.

Der Ursprung des Bösen
So genau die Filmadaption Blattys Roman auch folgt, es gibt einen massiven Unterschied, der allerdings erst wirklich beim genauen Vergleich zutage tritt: die Präsenz des Übernatürlichen. Zumindest als Zuschauer kann man im Film irgendwann nicht mehr bestreiten, dass hier tatsächlich etwas geschieht, das eigentlich nicht geschehen dürfte, spätestens dann, wenn Regan ihren Kopf um 180 und später um 360 Grad dreht. Generell ist der Film bzgl. der dämonischen Besessenheit und der übernatürlichen Vorkommnisse sehr viel expliziter. Die meisten Elemente kommen in irgendeiner Form auch im Roman vor, aber weniger extrem. So dreht Regan ihren Kopf unnatürlich weit, aber nicht vollständig, die Telekinese fällt sehr viel subtiler aus und auch beim Ende gibt es einen Unterschied: Im Film sehen wir deutlich, wie der Dämon in Karras‘ Körper springt, seine Haut wird von einer Sekunde auf die andere Aschfahl und seine Augen wechseln die Farbe, dann gelingt es Karras, die Kontrolle zurückzuerlangen und aus dem Fenster zu springen. Im Roman hingegen erleben wir diese Szene aus der Perspektive von Chris – die sich gerade im Nebenzimmer befindet und das Geschehen lediglich hört. Für viele der anderen übernatürlichen Vorkommnisse werden zumindest potentiell naturalistische Erklärungen geliefert, oftmals von Karras selbst. Zusätzlich existiert im Roman ein Buch, das dämonische Besessenheit detailliert beschreibt – und das Karl irgendwann unter Regans Bett findet – über die nötigen Informationen verfügt sie also. Angesichts der extremen Ereignisse wirken diese naturalistischen Erklärungsversuche zwar mitunter recht weit hergeholt, aber dennoch versucht Blatty, die Ambiguität so lange wie möglich aufrecht zu erhalten und kann sich bis zum Schluss nicht völlig von ihr trennen. Im Film dagegen geht sie nicht nur sehr viel früher verloren, viele der theoretischen Erklärungsversuche, etwa besagtes Buch, fehlen ebenfalls.

Was die dämonische Entität selbst angeht, halten sich sowohl Roman als auch Film sehr bedeckt. Inzwischen ist natürlich allzu bekannt, nicht zuletzt durch Sequels und Prequels zu „The Exorcist“, dass es ein Dämon namens Pazuzu ist, der von Regan Besitz ergreift. Pazuzu ist ursprünglich ein Wesen der assyrischen und babylonischen Mythologie, die Verkörperung des Südwestwindes und dort nicht unbedingt ein bösartiger Geist. Der Film nennt diesen Namen jedoch nicht, sondern zeigt am Anfang lediglich eine Statue Pazuzus. Im Roman wird der Name nur einmal erwähnt; Blatty impliziert hier lediglich, dass es sich um diesen Dämon handelt, der in Regan gefahren ist. Sowohl im Roman als auch im Film identifiziert sich der Dämon nie als Pazuzu, stattdessen behauptet die Entität mehrfach, Satan persönlich zu sein. Trotz der erwähnten Ambiguität deutet vor allem der Roman an, dass Merrin und Pazuzu sich bereits zuvor begegnet sind und dass der erfolgreiche Exorzismus, den Merrin viele Jahre zuvor durchgeführt hat, mit ihm zusammenhängt. Dieses Element wird später sowohl in „Exorcist II: The Heretic“ (1977) als auch den beiden Prequels „Exorcist: The Beginning“ (2004) und „Dominion: Prequel to the Exorcist“ (2005) aufgegriffen. Wie diese Filme eindrucksvoll zeigen, funktioniert Pazuzu am besten, wenn er nicht allzu genau definiert wird und ominös bleibt – verknüpft man zu viel „Lore“ mit der Entität, wird sie greif- und fassbar und sehr viel weniger verstörend. Abermals kann hier, neben den Fortsetzungen, „The Pope’s Exorcist“ als negatives Gegenbeispiel herhalten.

„The Exorcist“ ist gerade deshalb so wirkungsvoll, weil die Ereignisse scheinbar aus dem Nichts kommen, es gibt keinen spezifischen Grund, weshalb das alles gerade Regan passiert. Mehr als alles andere erforscht Blatty mit seinem Roman die Theodizeefrage und sucht nach einer Rechtfertigung für das Böse. Dabei wird deutlich, dass Blatty selbst katholisch ist – „The Exorcist“ fühlt sich erfreulicherweise aber nie wie eine Sermon oder eine Belehrung an, stattdessen bemüht sich Blatty, die Theodizeefrage auf diese Weise literarisch zu erforschen und mit seinen eigenen Zweifeln umzugehen. Ähnlich wie Tolkiens Werke wirkt „The Exorcist“ immer authentisch und ehrlich, weshalb es Roman wie Film gelingt, Gläubige wie Nichtgläubige in seinen Bann zu ziehen und zu faszinieren, selbst wenn man Blattys konservativ-katholische Weltsicht nicht teilt. Zudem sollte auch angemerkt werden, dass der eigentliche Exorzismus nicht funktioniert, Pazuzu wird nicht im eigentlichen Sinne ausgetrieben. Stattdessen opfert sich Karras, indem er den Dämon in seinen eigenen Körper einlädt.

Wirkung und Weiterführung
Nachdem sich „The Exorcist“ sowohl in Roman- als auch in Filmform als durchschlagender Erfolg erwies und vor allem die Adaption Schlagzeilen wegen der Wirkung auf das Publikum machte, war eine Fortsetzung nur eine Frage der Zeit. 1977 kam „Exorcist II: The Heretic“ in die Kinos, Linda Blair schlüpfte abermals in die Rolle von Regan MacNeil und Max von Sydow konnte, trotz Bedenken, dazu überredet werden, für einen Flashback noch einmal Father Merrin zu spielen. William Peter Blatty oder William Friedkin hingegen waren nicht beteiligt. Mehr noch, Regisseur John Boorman war kein Fan des ursprünglichen Films, empfand ihn als zu drastisch und wollte dem einen positiveren, psychologischen Thriller entgegensetzen. Das Ergebnis ist ein höchst bizarrer Film, der wenig Sinn ergibt und zurecht als eines der schlechtesten Sequels der Filmgeschichte gilt. Blatty verfasste schließlich eine eigene Fortsetzung in Romanform mit dem Titel „Legion“, erschienen 1983, als dessen Hauptfigur Kinderman fungiert. Einige Jahre später adaptierte Blatty abermals seinen eigenen Roman als Drehbuch und führte dieses Mal sogar selbst Regie, war aber gezwungen, viele Kompromisse einzugehen. So hatte er beispielsweise ursprünglich vorgehabt, den Film ebenfalls mit „Legion“ zu betiteln, das Studio bestand jedoch darauf, ihn „The Exorcist III“ zu nennen. Auch findet sich in der Vorlage kein Exorzismus, Blatty wurde jedoch genötigt, einen in den dritten Akt des Films einzubauen, um so den Titel zu rechtfertigen. Dennoch gilt „The Exorcist III“ als Geheimtipp unter Fans des ersten Films und unter Horror-Fans im Allgemeinen und als einziger dieser inzwischen sechs Filme umfassenden Reihe, der dem Original auch nur ansatzweise das Wasser reichen kann.

Und nicht nur innerhalb der eigenen Filmreihe bleibt „The Exorcist“ ungeschlagen. Im Laufe der Jahrzehnte nahmen sich viele Filmemacher Blattys und Friedkins Werk als Vorbild und drehten ihren eigenen Exorzismus-Film – nur wenigen gelang es allerdings, der Thematik etwas Neues abzuringen oder auch nur an das handwerkliche oder inhaltliche Level des Vorbilds heranzureichen. So wirken die meisten Exorzismus-Filme – ich erwähnte bereits „The Pope’s Exorcist“ – wie ein minderer Abklatsch des Originals. Parodien wie „Repossessed“ (1990), abermals mit Linda Blair in der Rolle der Besessenen, oder die Eröffnungsszene von „Scary Movie 2“ (2001) tun ihr Übriges, ebenso wie die weiter schwindende Qualität des Exorcist-Franchise. Der Versuch, ein Prequel mit Stellan Skarsgård zu drehen, erwies sich als äußerst abenteuerliche Angelegenheit, deren Resultat zwei nicht besonders hochwertige Filme waren, die irgendwann ihren eigenen Artikel bekommen werden. Noch obskurer ist eine aus zwei Staffeln bestehende Fortsetzung in Serienform, ebenfalls „The Exorcist“ betitelt, die von 2016 bis 2017 auf Fox lief und sowohl Pazuzus als auch Regans Rückkehr zeigt – Letztere dieses Mal gespielt von Geena Davis. Die erste Staffel habe ich tatsächlich gesehen, kann mich aber an nicht allzu viel erinnern. Und dann hätten wir schließlich noch „The Exorcist: Believer“, das Blumhouse-Legacy-Sequel von David Gordon Green, das ich noch nicht in Augenschein nehmen konnte, dessen Rezeption allerdings katastrophal ist.

Fazit: „The Exorcist“ ist nicht nur einer der absoluten Klassiker des Horror-Genres, sondern eine der zugleich werkgetreusten und gelungensten Adaptionen eines Romans. Die vielleicht größte Änderung ist die Präsenz des Übernatürlichen, die im Film deutlich stärker und definitiver ausfällt als im Roman. Dies ändert zwar per se nichts an der philosophischen Grundhaltung, sehr wohl aber an der Ausprägung der Themen, mit denen sich Blatty in Buch und Film beschäftigt. Der Zweifel ist im Roman allgegenwärtig, wird im Film jedoch irgendwann ad acta gelegt.

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Blood for Dracula

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Story: Um zu überlebend, benötigt Graf Dracula (Udo Kier) das Blut von Jungfrauen – unglücklicherweise werden diese in den 1920ern immer rarer. Aus diesem Grund veranlasst Anton (Arno Juerging), der treue Diener des Grafen, die Umsiedelung nach Italien, da er der Meinung ist, in dem streng katholischen Land fände man deutlich mehr Jungfrauen. In Italien werden Dracula und Anton von der adeligen, aber verarmten Familie di Fiore aufgenommen. Das Ehepaar (Vittorio de Sica und Maxime McKendry) hat vier Töchter, Esmeralda (Milena Vukotic), Saphiria (Dominique Darel), Rubinia (Stefania Casini) und Perla (Silvia Dionisio). Während Esmeralda und Perla tatsächlich noch Jungfrauen sind, haben Saphiria und Rubinia ein Verhältnis mit dem kommunistischen Familiendiener Mario (Joe Dallesandro). Dracula muss nun herausfinden, welches der Mädchen ihm dabei helfen kann, dem Tod zu entgehen…

Kritik: „Blood for Dracula“ (1974) ist ein weiterer Dracula-Film aus den 70ern – und einer der merkwürdigsten überhaupt. Während die meisten nicht von den Hammer Studios produzierten Dracula-Filme dieser Dekade, sei es Werner Herzogs Nosferatu-Remake, Jess Francos angeblich vorlagengetreue Leinwandversion mit Christopher Lee, Universals Neuverfilmung des klassischen Theaterstücks oder die TV-Umsetzung mit Jack Palance, zumindest in Ansätzen Stokers Roman adaptieren, entschied man sich bei „Blood for Dracula“ für einen völlig anderen Ansatz. Die Merkwürdigkeiten beginnen bereits beim Marketing. Für diesen Film, bei dem Paul Morrissey sowohl das Drehbuch schrieb als auch Regie führte, wurde nur allzu häufig Andy Warhols Name bemüht – in vielen Ländern trug er gar den Titel „Andy Warhol’s Dracula“, obwohl die Kunstikone wirklich kaum etwas mit diesem Film zu tun hatte. Stattdessen ist er Teil einer Dilogie, in deren Rahmen Morrissey sich zweier Ikonen der Horror-Literatur bzw. des Horror-Films annahm und sie in seinem Sinne interpretierte. Noch vor Dracula nahm sich Morrissey in „Flesh for Frankenstein“ bzw. „Andy Warhol’s Frankenstein“ 1973 Mary Shelleys Werk vor – mehr oder weniger. Neben Morrissey als Regisseur wirken in beiden Filmen die Darsteller Udo Kier und Joe Dallesandro mit.

Wollte man unbedingt eine inhaltliche Parallele zwischen „Blood for Dracula“ und Stokers Roman ausmachen, wäre es wohl der grundsätzliche Plot: In beiden Werken verlässt Dracula seine Heimat, um in einem anderen Land an frisches Blut zu kommen. Das war es dann allerdings auch schon wieder, ein weiteres Mal finden sich hier keine Bezüge zu Stoker, stattdessen ist Dracula einfach der Vampir-Archetyp. Zugleich invertiert Morrissey diesen Archetyp allerdings mit Freuden. Udo Kier ist weit davon entfernt, ein enigmatischer oder gar bedrohlicher Vampir zu sein. Visuell orientiert man sich grob an Bela Lugosi: Glattes, schwarzes Haar, dunkle, noble Kleidung (teilweise mit Cape) und kein Schnurrbart. Anders als fast jede andere Inkarnation der Figur pfeift dieser Dracula, salopp gesagt, aus dem letzten Loch und bringt allein kaum etwas zustande. Mehr noch als sonst wird der Vampirismus als Krankheit dargestellt. Der Blutdurst steht im Fokus und ist intensiviert – wenn es nicht von Jungfrauen ist, nährt es nicht und führt dazu, dass Dracula es minutenlang wieder auskotzt, was Morrissey seinen Zuschauern genüsslich und in aller Ausführlichkeit zeigt. Die anderen typischen Schwächen hingegen sind abgemildert – eine Abneigung gegen heilige Symbole sowie Sonnenlicht wird zwar gezeigt, beides ist aber eher lästig denn tödlich. Udo Kiers Dracula verfügt allerdings auch nicht über die typischen vampirischen Stärken, keine erhöhte Körperkraft oder Schnelligkeit und schon gar nicht die Fähigkeit, Tiere zu kontrollieren oder sich in eine Fledermaus zu verwandeln.

Überhaupt geht die Initiative weder von Dracula, noch von seinen potentiellen Opfern aus, sondern von den beiden jeweiligen Bediensteten: Es ist Anton, der Dracula dazu bringt, sich nach Italien zu begeben, es ist Anton, der die di Fiores als Gastgeber/Opfer auswählt und es ist Anton, der generell Dinge erledigt, während der Graf sich würgend auf seinem Bett herumwälzt. WARUM er es tut und weshalb er seinem Herrn ein so treuer Diener ist, erfahren wir interessanterweise nie. Genauso ist es Mario, der als einziger herausfindet, was der Graf ist und der ihn letztendlich zur Strecke bringt. „Blood for Dracula“ ist in diesem Kontext ein höchst politischer, wenn auch nicht unbedingt subtiler Film. Morrissey selbst sympathisierte stark mit den sozialistischen Ansichten, die Mario immer wieder ausdrückt. Zugleich waren ihm die libertinistischen Tendenzen der Bewegung allerdings zuwider – auch dieser Umstand zeigt sich in Mario, der zwar in der Theorie der „Held“ des Films ist, in der Praxis aber ein großmäuliges Arschloch und, schlimmer noch, ein Vergewaltiger. Schon seine Beziehung zu den beiden Schwestern Saphiria und Rubinia ist bestenfalls sehr problematisch und Perla wird ganz eindeutig von ihm vergewaltigt, um sie vor Dracula zu „schützen“. Im Gegensatz dazu wirkt der Graf beinahe schon sympathisch; Morrissey versucht, der Figur eine ähnliche Melancholie zu verpassen wie Werner Herzog und Klaus Kinski es einige Jahre später in „Nosferatu: Phantom der Nacht“ tun sollten. Am besten gelingt ihm das in der einnehmenden Eröffnungsszene, in welcher sich der Graf schminkt und die grauen Haare schwarz färbt.

„Blood for Dracula“ fehlt alles in allem durchaus nicht an einigen interessanten Ansätzen, auch wenn diese nichts mit Stoker zu tun haben und mitunter bedenklich sind. Primär problematisch ist die Umsetzung. Die Darsteller, allen voran Udo Kier und Arno Juerging, spielen wirklich sehr überdreht und glubschäugig, während die meisten Szenen mit Dominique Darel und Stefania Casini zu existieren scheinen, um die Brüste der Darstellerinnen zu zeigen. Generell gehen alle interessanten Ansätze, seien es der politische Kommentar oder die Genre-Invertierung, unter in Morrisseys Verlangen, sein Publikum zu ekeln oder zu erregen – dass er mitunter beides gleichzeitig versucht, ist da ebenfalls ziemlich kontraproduktiv. Die sehr fragwürdigen Dialoge helfen diesbezüglich auch nicht. „Blood for Dracula“ haftet etwas sehr trashiges an, und soweit ich weiß genießt der Film in gewissen Kreisen auch durchaus einen guten Ruf, mir persönlich fällt es allerdings sehr schwer, „Blood for Dracula“ in irgendeiner Art und Weise zu genießen. Selbst das völlig überdrehte, an „Monty Python an the Holy Grail“ erinnernde Finale ist da nicht hilfreich.

Fazit: „Blood for Dracula“ ist ein Vampir-Film, den man definitiv überspringen kann, es sei denn, man ist Komplettist oder großer Fan von Udo Kier oder Paul Morrissey. Mit Bram Stokers Roman hat dieser Film so gut wie gar nicht mehr zu tun, stattdessen bietet er, neben viel nackter Haut, einen unter Krämpfen leidenden viel Blut erbrechenden Grafen.

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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Art of Adaptation: Nachts, wenn Dracula erwacht
Art of Adaptation: Dracula (1979)

Underwater

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Story: Im Jahr 2050 sorgt ein starkes Erdbeben an der Kepler-822-Station für schwere Schäden. Bei besagter Station handelt es sich um eine Forschungs- und Bohreinrichtung im Mariannengraben tief unter der Meeresoberfläche. Das hat zur Folge, dass die Besatzung um die Ingenieurin Norah Price (Kristen Stewart), die Biologin Emily Haversham (Jessica Henwick), den Captain der Station, Lucien (Vincent Cassel) und die restlichen Crewmitglieder Liam Smith (John Gallagher Jr.), Rodrigo Nagenda (Mamoudou Athie) und Paul Abel (T. J. Miller) in arge Bedrängnis gerät. Als wäre die Aussicht, zu ertrinken und von den Wassermassen des Ozeans zerquetscht zu werden, nicht schon schlimm genug, tauchen auch noch bizarre Kreaturen auf, die der Mannschaft ans Leder wollen…

Kritik: Nicht nur Robert Pattinson, auch Kristen Stewart versuchte immer wieder, gegen ihr Twilight-Image anzuspielen – „Underwater“ fällt mit Sicherheit in diese Kategorie, nicht zuletzt, da Stewarts Figur Norah Bella Swann fast schon diametral entgegensetzt ist. Bei „Underwater“ handelt es sich um einen Film, der im Januar 2020 in die Kinos kam und gnadenlos floppte. Ausnahmsweise kann hier die Pandemie noch nicht verantwortlich gemacht werden, vielleicht hatte aber Disneys Akquise von 20th Century Fox zumindest einen gewissen Anteil am Misserfolg des Sci-Fi-Horrorfilms von Regisseur William Eubank. In vielerlei Hinsicht handelt es sich hierbei um eine Hommage an (bzw., wenn man es weniger wohlwollend sehen will, ein Rip-off von) Ridley Scotts „Alien“. Die Tiefen des Ozeans ersetzen die Tiefen des Weltraums, die Kepler-Station die Nostromo und Norah ist relativ eindeutig an Sigourney Weavers Ellen Ripley angelehnt – inklusive des Umstandes, dass sie im Finale in ihrer Unterwäsche durch die Gegend rennt.

Als Horror-Film ist „Underwater“ eher mäßig. Während gerade der titelgebende Unterwasseraspekt durchaus gelungen ist und auch für den einen oder anderen intensiven Moment sorgt, gelingt es Eubank nicht so recht, die Suspense aufrecht zu erhalten und die tatsächliche Anspannung der Figuren zu vermitteln. Diese bleiben zudem relativ flach und uninteressant. Zwar orientiert sich „Underwater“ in vielerlei Hinsicht zu sehr am großen Vorbild „Alien“, aber dort wo es nötig gewesen wäre, wendet er sich von Scotts Film ab. Tatsächlich fand ich die Anfangsszene, die einen kurzen Moment der Normalität an einem ungewöhnlichen Ort vermittelt, sehr gelungen – davon hätte es noch ein wenig mehr gebraucht. In „Alien“ erleben wir die Besatzung der Nostromo erst für einige Zeit im Normalzustand, wir sehen, wie die Figuren miteinander interagieren und bekommen ein Gefühl für sie. „Underwater“ hingegen verliert kaum Zeit, die Bedrohung durch das Beben zu inszenieren, sodass Norah und Co. keine Zeit haben, irgendwelche Eindrücke zu hinterlassen.

Der interessanteste Aspekt für mich sind freilich die Monstrositäten, die in der zweiten Hälfte des Films auftauchen – das große Übermonster mit den Tentakeln im Gesicht sieht nicht nur aus wie Cthulhu, der Regisseur hat bestätigt, dass es tatsächlich Cthulhu sein soll. Dieser Umstand verleiht „Underwater“ tatsächlich eine andere Dimension. Freilich war bereits „Alien“ von Lovecrafts Werk zumindest implizit beeinflusst – primär von „At the Mountains of Madness“. Cthulhu selbst hat seinen großen Auftritt in „The Call of Cthulhu“, handlungsmäßig finden sich allerdings kaum Parallelen zu „Underwater“, da „The Call of Cthulhu“ eher eine klassische Ermittlergeschichte ist. Neben „At the Mountains of Madness“ verfügt „Underwater“ vor allem über Gemeinsamkeiten mit einer weniger bekannten Geschichte Lovecrafts aus seinem Frühwerk: „The Temple“ (1920). Diese Gemeinsamkeiten basieren vor allem auf einem ähnlichen Setting: Auch „The Temple“ spielt in den Tiefen des Ozeans, allerdings an Bord eines deutschen U-Boots während des Ersten Weltkriegs. Was „Underwater“ allerdings fehlt ist die, nennen wir es „kulturelle Komponente“, die Lovecraft in seinen Geschichten zum Aufbau der Kreaturen und Schrecken verwendet, sei es das Necronomicon, Kulte oder mysteriöse Artefakte wie die Elfenbeinfigur in „The Temple“. Es wird lediglich impliziert, dass es sich bei Tian, der Firma, die hinter der Kepler-Station steht, nicht nur um ein rücksichtloses Konglomerat handelt, das seine Mitarbeiter unnötig in Gefahr bringt, es könnte tatsächlich im Interesse des Unternehmens liegen, den tentakelgesichtigen Großen Alten wiederzuerwecken. Das Ende des Films ist jedenfalls in diese Richtung interpretierbar.

Fazit: „Underwater“ ist als Monster-Horrorfilm eher mäßig und bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück, beinhaltet aber sehr eindeutige Lovecraft’sche Referenzen. Nach wie vor kann man diesbezüglich nicht immer wählerisch sein…

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Siehe auch:
Lovecrafts Vermächtnis: Das Alien-Franchise
Lovecrafts Vermächtnis: Dagon

Art of Adaptation: Hannibal

Halloween 2023
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Thomas Harris ist kein Vielschreiber. Für „The Silence of the Lambs” brauchte er sieben Jahre, und nachdem der zweite Hannibal-Lecter-Roman sich als enorm erfolgreich erwies, von der Verfilmung gar nicht erst zu sprechen, nahm sich Harris noch mehr Zeit, um die Fortsetzung zu verfassen. Elf Jahren sollten vergehen, bis „Hannibal“ 1999 erschien. Anders als die beiden Vorgänger wurde der Roman sehr zwiespältig aufgenommen, ein Schicksal, das er mit dem Film teilt. Das mag auch daran liegen, dass sich „Hannibal“ stark von seinen Vorgängern unterscheidet, was sowohl inhaltliche als auch externe Gründe hat. Zum einen ließ Harris Hannibal Lecter in „Silence“ ausbrechen, das heißt, das Muster des Ermittlers, der den einsitzenden Serienkiller in einem Fall konsultiert, konnte nicht mehr verwendet werden. Zum anderen hatte Harris eine potentielle Verfilmung vermutlich bereits im Hinterkopf, und so legte er den Fokus auf das Element, von dem er glaubte, dass seine Leserschaft es wollte: Mehr Hannibal und seine Beziehung zu Clarice Starling.

Handlung und Konzeption
Strukturell sind „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs” einander sehr ähnlich: Beiden Romanen liegt eine klassische Krimihandlung zugrunde, ein Ermittler, Will Graham bzw. Clarice Starling, ermittelt im Fall eines Serienkillers und zieht dabei den eingesperrten Kannibalen Hannibal Lecter zurate. Und in beiden Romanen erforscht Harris nicht nur die Persönlichkeit besagten Ermittlers, sondern auch die des gejagten Serienkillers, den der Leser deutlich vor dem Ermittler kennenlernt. „Hannibal“ ist der erste Roman der Lecter-Reihe, der aus diesem Muster ausbricht, nicht zuletzt deshalb, weil auch Hannibal Lecter im letzten Drittel von „The Silence of the Lambs“ ausgebrochen ist und sich zu Beginn von „Hannibal“ bereits seit Jahren auf freiem Fuß in Florenz befindet, also nicht in der Lage ist, bei einem wie auch immer gearteten Fall zu helfen oder den Serienkiller per Zeitungsannonce auf den Ermittler aufmerksam zu machen. Folgende Inhaltsangabe deckt sowohl den Roman als auch den Film ab.

Seitdem sie Jame Gumb gestellt und getötet hat, ist Clarice Starling (Julianne Moore) eine vollwertige FBI-Agentin, allerdings läuft es derzeit nicht allzu rosig. Nach einem verpatzten Einsatz versucht das Bureau, Starling zum Sündenbock zu machen – besonders Paul Krendler (Ray Liotta) vom Justizministerium scheint es auf Starling abgesehen zu haben. Just in diesem Moment erhält Starling einen Brief von Hannibal Lecter (Anthony Hopkins). Zudem scheint das einzige überlebende Opfer Lecters, der reiche, aber entstellte und gelähmte Mason Verger (Gary Oldman in phänomenalem Make-up) über eine neue Spur zu verfügen. Seine Informationen gibt Verger allerdings nicht aus purer Herzensgüte heraus, stattdessen ist er auf Rache aus und kocht sein eigenes Süppchen, um den kannibalischen Psychiater einzufangen. Lecter selbst betätigt sich derweil unter dem Decknamen „Dr. Fell“ als Kurator der Capponi-Bibliothek in Florenz, wo allerdings der Polizist Rinaldo Pazzi (Giancarlo Giannini) auf ihn aufmerksam wird, um schließlich Mason Verger zu informieren. Lecter gelingt es allerdings, Pazzi und Vergers Häschern zu entgehen und nach Amerika zurückzukehren – allerdings nicht, ohne Pazzi vorher auf äußerst unschöne Art zu töten. Zurück in den USA gelingt es Verger dann allerdings doch, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, Lecter in seine Gewalt zu bringen. Um sich an ihm zu rächen, möchte Verger den Psychiater an eine Horde speziell gezüchteter Wildschweine verfüttern. Nun ist es an Starling, Lecter zu retten oder ihn sterben zu lassen…

Hier zeigt sich relativ eindeutig, wie Harris die Struktur der ersten beiden Lecter-Romane hinter sich lässt. Einige Elemente behält er allerdings auch bei – so ist Lecter in keinem der Romane beispielsweise der zentrale Antagonist, auch wenn sich seine Rolle von Roman zu Roman wandelt. In „Red Dragon“ lässt er sich am besten als sekundärer Antagonist beschreiben, in „The Silence of the Lambs“ hat er eher eine Mentorenrolle und in „Hannibal“ beginnt er, sich als sekundärer Protagonist fast schon zum Antihelden zu entwickeln; eine Entwicklung, die ihren Höhepunkt in „Hannibal Rising“ findet. Zentraler Antagonist ist in „Hannibal“ Mason Verger, der jedoch ein völlig anderes Biest ist als Francis Dolarhyde oder Jame Gumb. Auch Mason Verger ist zweifelsohne ein menschliches Monster, aber definitiv kein sozial gehemmter Serienkiller, der von seinen Psychosen getrieben wird. In gewisser Weise erinnert Verger, auf der einen Seite körperlich entstellt und völlig hilflos, auf der anderen aber aufgrund seines Reichtums extrem mächtig und zudem sadistisch, eher an einen Comic- oder Bond-Schurken. Gerade im Kontrast zu den (verhältnismäßig) geerdeten und realistischen, wenn auch überhöhten Serienmördern in „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs“ ist Mason Verger, der seine Martinis gerne mit Kindertränen angereichert trinkt und bereits gemeinsam mit Idi Amin seinem mörderischen Hedonismus frönte, doch reichlich over the top.

Dementsprechend ist der Plot von „Hannibal“ auch nicht als Krimihandlung inszeniert. Zwar gibt es durchaus Ermittlungsarbeiten, diese treten allerdings rasch in den Hintergrund. In einer Rezension, die ich vor vielen Jahren einmal gelesen habe (unglücklicherweise weiß ich nicht mehr, wo) wurde „Hannibal“ recht treffend beschrieben als Versuch, eine „barocke Blutorgie“ zu inszenieren. Tatsächlich wirkt es so, als versuche Harris „Hannibal“ zum Epos zu machen, mit einer deutlich weiteren und umfangreicheren Erzählweise. Vor allem die Florenz-Passagen stechen hier hervor. Zudem werde zumindest ich den Gedanken nicht los, dass Harris den Roman bereits mit dem Gedanken an eine potentielle Verfilmung verfasste: Mehr Action, mehr Nervenkitzel, generell mehr Grandeur. Und zumindest in Teilen wird das durchaus auch genutzt: Die düsteren Keller und verfallenen Häuser des Vorgängers werden durch die üppige Panoramaaufnahmen von Florenz ersetzt und wo die Konfrontation der Ermittlerin mit dem Serienkiller der Höhepunkt an Action war, beginnt „Hannibal“ bereits mit einem FBI-Großeinsatz.

Ist weniger mehr?
Dass „Hannibal“ verfilmt werden würde, war angesichts des Erfolges von „The Silence of the Lambs“ von Anfang an klar. Allerdings waren weder Regisseur Jonathan Demme noch Hauptdarstellerin Jodie Foster geneigt, sich an der Fortsetzung zu beteiligen – beiden behagte die Entwicklung der Geschichte und vor allem das Ende nicht. Aus diesem Grund wandte sich Produzent Dino de Laurentiis, Produzent aller vier Lecter-Filme, an einen Hochkaräter, dessen Film „Gladiator“ zuvor den Oscar als bester Film gewonnen hatte: Ridley Scott. Tatsächlich schlug de Laurentiis Scott bereits am Set von „Gladiator“ die Regie für „Hannibal“ vor, was dieser allerdings zuerst ablehnte, da er dachte, es handle sich um einen Film über den punischen Heerführer und er nach „Gladiator“ nicht schon wieder ein Historienepos drehen wollte. Das Drehbuch von David Mamet und Steven Zaillian überzeugte ihn dann allerdings. Während Anthony Hopkins als Lecter zurückkehrte (ohne seine Beteiligung wäre der Film kaum denkbar gewesen), besetzten Scott und de Laurentiis Starling dieses Mal mit Julianne Moore, die das eine oder andere Mal mit Starlings Akzent kämpfen muss und auch sonst hinter Jodie Foster zurückbleibt. Außer Hopkins kehrte zudem nur ein weiterer Schauspieler aus „The Silence of the Lambs“ zurück: Frankie Faison als Barney Matthews, der nicht nur, wie Hopkins, in allen Filmen der sog. Lecter-Trilogie mitspielt, sondern auch eine kleine Rolle in „Manhunter“ innehat und damit der Schauspieler in den meisten Harris-Verfilmungen ist.

Nun ist „Hannibal“ der umfangreichste Lecter-Roman – dementsprechend musste die Filmadaption deutlich mehr Elemente auslassen, als es noch bei „The Silence of the Lambs“ der Fall war. Einige ergaben sich durch die Umstände: Scott Glenn hatte, ähnlich wie Jodie Foster, kein Interesse an einer Rückkehr als Starlings Mentor Jack Crawford, und so wurde die Figur, die im Roman ohnehin nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, komplett entfernt. Auch Starlings andere primäre Bezugsfigur, ihre Mitbewohnerin Ardelia Mapp, in „The Silence of the Lambs“ gespielt von Kasi Lemmons, fiel der Schere zum Opfer. Schon im Roman hat Starling scheinbar nur wenige soziale Kontakte, ohne Mapp und Crawford wirkt sie im Film nun fast völlig isoliert. Auch einige für „Hannibal“ neu geschaffene Figuren wurden ausgelassen, so etwa Mason Vergers Schwester Margot – auf sie werde ich in einem zukünftigen Artikel noch zu sprechen kommen. Zudem wurden zwei von Vergers Lakaien, Cordell und Dr. Doemling, zu einer Figur verschmolzen – Dr. Cordell Doemling (Željko Ivanek), der zu allem Überfluss auch noch Margots Rolle übernimmt, denn im Roman ist sie es, die ihren verhassten Bruder tötet, während diese Aufgabe im Film Cordell zugedacht wurde.

Von den geschnittenen Subplots und Figuren einmal abgesehen folgt der Film der Romanhandlung relativ genau und arbeitet zumindest die wichtigsten Stationen der Handlung ab, auch wenn hier und da einige Umstrukturierungen stattfinden. Das Gespräch zwischen Barney und Verger, mit dem der Film eröffnet wird, findet bei Harris beispielsweise erst in der Mitte des Romans statt und die Endszene im Flugzeug, in der Hannibal einem Kind etwas zu essen anbietet stammt, anders kontextualisiert, ebenfalls aus der Mitte des Romans. Wie nicht anders zu erwarten werden zudem diverse Details ausgespart: Nach ihrem Besuch bei Mason Verger führt Starling auf der Suche nach Lecter noch weitaus umfangreichere Ermittlungen durch und besucht beispielsweise das inzwischen größtenteils leerstehende Gebäude, in dem Hannibal Lecter so viele Jahre lang eingesperrt war. Dreh- und Angelpunkt dieser Ermittlungen ist ein Detail, das in den Filmen ohnehin nicht vorkommt: Lecters zusätzlicher Finger an einer Hand, den er sich chirurgisch entfernen ließ. Ebenfalls stark reduziert wird Lecters Rückkehr nach Amerika, diese sowie die Vorkehrungen und Maßnahmen, die der Doktor trifft, schildert Harris sehr ausführlich, im Film hingegen werden sie kaum thematisiert.

Gerade im Kontext des Medienwechsels ist zudem die Gewaltdarstellung ein sehr interessantes Thema, auch in Hinblick auf die anderen Romane und Filme. „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs“ sowie ihre zugehörigen Filmumsetzungen schilderten bzw. zeigten selten die Morde an sich, sondern ließen uns als Zuschauer und Leser eher die Nachwirkungen erforschen – die große Ausnahme diesbezüglich ist natürlich Lecters Ausbruch. Im Gegensatz dazu finden sich in „Hannibal“ diverse perfide Morde, die der Doktor begeht, zusätzlich zu nicht primär tödlichen Gemeinheiten – Stichwort: Mason Vergers Verstümmelung. Diese wird im Roman nur rückblickend von Verger selbst geschildert, der Film hingegen zeigt sie als recht verschwommenen Rückblick – allerdings kein Vergleich zu dem, was die Serie „Hannibal“ aus dieser Szene machen sollte. Generell ist „Hannibal“ – egal ob Buch oder Film – in der Gewaltdarstellung sehr viel expliziter und überdrehter. In „The Silence of the Lambs“ war Lecters Ausbruch gerade deshalb so schockierend, weil er der einzige Vorfall dieser Art war, während der Rest des Films sich auf implizierte Gewalt verließ. „Hannibal“ dagegen such nur allzu oft den schieren Schock, sei es beim Tod Rinaldo Pazzis oder in der berühmt berüchtigten Gehirn-Szene. Mason Vergers Tod, so unangenehm er auch sein mag, ist im Vergleich zum Roman allerdings etwas, sagen wir, „entschärft“. Generell scheint mir dieser Hang zur Exploitation in „Hannibal“ eher kontraproduktiv zu sein, primär, weil er die Suspense unterminiert und Selbstzweck zu sein scheint. Dies steht in einem interessanten Kontrast zur Serie „Hannibal“, die zwar über eine nicht minder drastische Gewaltdarstellung verfügt, diese aber in einen völlig anderen konzeptionellen und narrativen Kontext setzt.

Die Vollendung der Metamorphose: Mehr von Hannibal und Clarice
Metamorphose war stets ein essentielles Thema in den bisherigen Hannibal-Lecter-Romanen und -Filmen – primär als motivierende Psychose des jeweiligen Serienkillers. In „Red Dragon“ ist es die mentale Transformation Francis Dolarhydes in den großen roten Drachen und in „The Silence of the Lambs“ Jame Gumbs Wunsch nach körperlicher Metamorphose. In „Hannibal“ ist es der titelgebende Doktor selbst, der diese Thematik fortsetzt. Nachdem in den vergangenen beiden Romanen verhältnismäßig wenig über Hintergründe und Werdegang des kultivierten Kannibalen enthüllt wurde, gibt Harris in „Hannibal“ erste Details, die er in „Hannibal Rising“ weiter ausarbeiten sollte. Als Ursprung von Lecters, nennen wir es einmal „Geisteshaltung“, denn Psychose trifft es definitiv nicht, inszeniert Harris den gewaltsamen Tod von Lecters Schwester Mischa, den er in jungen Jahren miterleben musste, als Lecters Elternhaus in Litauen während des Zweiten Weltkriegs von Nazi-Kollaborateuren überfallen wird. Diese töten Mischa nicht nur, sondern verspeisen sie aufgrund der Lebensmittelknappheit auch – und füttern den jungen Hannibal Lecter ebenfalls mit ihr. Diese Idee einer Freudschen Entschuldigung für Lecters Kannibalismus kam unter Fans des Doktors überhaupt nicht gut an – wie so oft scheint eine derartige Enthüllung die enigmatische Figur zu entmystifizieren und zugleich zu banalisieren. Dennoch baut Lecters komplette Motivation im Roman auf diesem erlittenen Trauma auf. Sein letztendliches Ziel ist es, einen Platz für seine Schwester Mischa in der Welt zu finden, sie quasi zurückzubringen. Symbolisiert wird das durch eine zerbrochene Teetasse, die sich von selbst wieder zusammensetzt – eine Metapher, die immer wieder auftaucht. Der Platz, den Lecter sich schließlich für die Rückkehr seiner Schwester aussucht, ist Starling. Das kontroverse Ende des Romans steht schließlich komplett im Zeichen dieser Motivation, denn mit Drogen und Gehirnwäsche versucht Lecter tatsächlich, Starling praktisch in Mischa zu verwandeln, wobei wir wieder bei der Thematik der Metamorphose wären. Starling wehrt sich allerdings gegen dieses Vorhaben und bleibt sie selbst, was Hannibal in letzter Konsequenz akzeptiert. Stattdessen werden die beiden nun ein Liebespaar, überwinden so ihr jeweiliges Trauma und werden Jahre später von Barney in Buenos Aires beobachtet, woraufhin dieser panisch die Flucht ergreift. Dieses Ende der Lecter-Saga ist auf vielen Ebenen problematisch und wurde extrem kontrovers aufgenommen. Es scheint primär gegen Starlings fundamentale Natur und ihre Prinzipien zu verstoßen, aber auch für Lecter wirkt dieser Ausgang unangemessen.

Ganz ähnlich sahen es auch Ridley Scott, David Mamet, Steven Zaillian und Anthony Hopkins, weswegen sowohl Lecters Motivation als auch das Ende komplett geändert wurden. Mischa und sonstige Elemente des von Harris etablierten Hintergrunds der Figur tauchen im Film nicht auf, Lecters Gedankengänge, sein Antrieb bleibt dem Zuschauer verborgen. Und am Ende muss auch Starling ihre Integrität nicht opfern, sie gibt Hannibal nicht nach, sodass er sich gezwungen sieht, sich selbst die Hand abzuhacken, um fliehen zu können. Interessanterweise entledigten sich Scott und Co. so zwar der kontroversesten Elemente der Vorlage, rauben der Geschichte aber zugleich ihre thematische Grundlage. Egal, wie man Harris‘ „Hannibal“ nun bewertet, es ist definitiv ein Finale, ein Ende der Geschichte, das die Thematik der Serie weiterentwickelt und zum Abschluss bringt und zudem den Status Quo nachhaltig verändert. Im Kontrast dazu wirkt die Filmadaption beinahe belanglos, da am Ende praktisch derselbe Zustand hergestellt ist wie zu Beginn des Films: Hannibal, nun einhändig, ist auf der Flucht, während Starling einer ungewissen Zukunft beim FBI entgegenblickt. Die Frage ist nun, was man bevorzugt: Ein tatsächliches, abschließendes Ende, das die Figuren abwertet, oder ein offenes, belangloses Ende, das der Charakterisierung eher gerecht wird. Ich jedenfalls kann mich da nicht so recht entscheiden und bin mit beiden unzufrieden. Stattdessen verweise ich abermals auf die Serie „Hannibal“, die mit einer abstrahierten Version der Grundprämisse des Romans deutlich bessere Arbeit geleistet hat.

Diabolus in Musica
Viele Regisseure verlassen sich auf ein oder zwei Stammkomponisten – man denke nur an Steven Spielberg und John Williams oder Tim Burton und Danny Elfman. Ridley Scott hingegen scheint sich zwar immer wieder einen Stammkomponisten zu suchen, wechselt diesen dann aber alle paar Jahre aus. „Hannibal“ stammt aus Scotts „Zimmer-Phase“: Bereits an Gladiator arbeitete er mit Hans Zimmer zusammen und verpflichtete ihn nach „Hannibal“ auch noch für „Black Hawk Down“ und „Matchstick Men“, bevor Harry Gregson-Williams Scotts nächstes Historien-Epos „Kingdom of Heaven“ vertonte. Zimmer und sein Team knüpften zwar nicht stilistisch, sehr wohl aber methodisch an Howard Shores Score und die Musikauswahl von „The Silence of the Lambs“ an und bauten auf der Dualität von musikalischer Düsternis auf der einen und klassischer Schönheit auf der anderen an. Da Zimmer ohnehin, ähnlich wie Hannibal Lecter selbst, ein Fan von Johann Sebastian Bach ist, bildete das Werk des Barockkomponisten, primär seine lyrischen, kirchenmusikalischen Werke, die Grundlage des Scores – vor allem die Florenz-Szenen untermalt Zimmer mit überirdisch schönen Chor-Stücken und das Klavier spielt auch eine dominante Rolle. Die Horroraspekte hingegen werden zumeist durch sehr dissonante, abstrakte und häufig elektronisch verzerrte Passagen repräsentiert. Wie schon in Howard Shores Score sind Leitmotive bestenfalls von sekundärer Bedeutung, Atmosphäre und Stimmung stehen vor allem im Vordergrund.

Interessanterweise erweist sich „Hannibal“ als „Foreshadowing“ diverser populärer Zimmer-Werke der 2000er: Viele der eher elektronisch geprägten Action- und Suspense-Stücke geben bereits einen Eindruck dessen, was Zimmer später für die Dark-Knight-Trilogie komponieren sollte, während die religiös anmutenden choralen Texturen die Grundlage für den Sound der Robert-Langdon-Filme legen. Alles in allem ist „Hannibal“ unter den Lecter-Scores mit großem Abstand mein Favorit – Zimmer und Co. gelingt es hier, den Film nicht nur effektiv zu untermalen, sondern ihn aktiv aufzuwerten. Zudem beinhaltet der Soundtrack das schönste Stück, das jemals für einen Lecter-Film oder eine Lecter-Serie komponiert wurde: Die Arie Vide Cor Meum, die allerdings nicht von Zimmer, sondern von Patrick Cassidy geschrieben wurde. Den Text entnahm man Dante Aligheris La Vita Nuova. Die Arie taucht als diegetisches Stück im Film als Teil einer fiktiven Oper auf, die von Hannibal Lecter und Rinaldo Pazzi in Florenz besucht wird, findet später aber auch noch einmal extradiegetisch Verwendung. Zudem setzte Scott Vide Cor Meum auch in „Kingdom of Heaven“ wirkungsvoll, wenn auch für mich etwas irritierend, ein und die Macher der Serie „Hannibal“ entschlossen sich, die finale Szene der ersten Staffel mit der Arie zu unterlegen, was ich persönlich für einen grandiosen Einfall halte.

Fazit
Egal ob in Roman- oder in Filmform, „Hannibal“ lässt als großes Finale der Lecter-Trilogie in mehreren Bereichen zu wünschen übrig. Beide sind ambitionierter, als ihnen guttut und scheitern an der Inszenierung einer barocken Blutorgie, nicht zuletzt wegen der teils überdrehten Gewaltdarstellung. Knackpunkt des Scheiterns ist in beiden Fällen das Ende, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Thomas Harris inszeniert ein Finale, das unglaubwürdig ist und zugleich die Figuren banalisiert, während Ridley Scott die beiden Hauptfiguren, mit Abstrichen, in dieselbe Situation bringt, in der sie zu Beginn des Films waren, sodass nicht nur das Ende, sondern der gesamte Film, gewissermaßen belanglos wird.

Bildquelle

Trailer

Halloween 2023:
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Art of Adaptation: Bride of Frankenstein
Fright Night (2011)

Siehe auch:
Art of Adaptation: Red Dragon
Hannibal Staffel 1