Lovecrafts Vermächtnis: Innswich Horror

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George R. R. Martin, Neil Gaiman, Brian Lumley, Robert Bloch, Alan Moore, Stephen King – all diese Autoren haben, neben ihrem Erfolg, versteht sich, in jedem Fall eine Gemeinsamkeit: Sie alle sind nicht nur Fans der Werke von H. P. Lovecraft, sie haben sich auch selbst bereits an Lovecraft’schen Geschichten versucht. Ein weiterer, vielleicht nicht ganz so populärer Autor dieser Riege ist Edward Lee. Der 1957 geborene Amerikaner ist primär für seine Werke des Subgenres „Extrem Horror“ bekannt. Wie der Name andeutet, geht es dabei um die wirklich schonungslose und explizite Schilderung von exzessiver, meist sexueller Gewalt, oft in Kombination mit moralisch völlig verkommenen Protagonisten. Ich bin ja nun wirklich nicht zart besaitet, was Horror angeht, aber für mich waren, ehrlich gesagt, die Leseproben derartiger Werke schon genug – wenn derartige Elemente zum reinen Selbstzweck ohne Aussage verkommen, steige ich meistens aus. Zumindest auf Lees Novelle „Innswich Horror“ trifft das allerdings nicht zu. Freilich ist sie deutlich, deutlich expliziter als alles, was Lovecraft je geschrieben hat, zugleich aber nicht härter als „normale“ moderne Horrorliteratur.

Bei „Innswich Horror“ handelt es sich um eine Hommage an bzw. eine Metafortsetzung von „The Shadow Over Innsmouth“, auch wenn der Titel eher an „The Dunwich Terror“ gemahnt. Die Handlung setzt im Jahr 1939 ein, als unser Ich-Erzähler Foster Morley in dem idyllischen Küstenstädtchen Olmstead ankommt. Foster ist großer Fan der Werke H. P. Lovecrafts, sein Favorit ist, wie könnte es anders sein, „The Shadow Over Innsmouth“. Bereits der Ortsname „Olmstead“ macht ihn stutzig. Zwar ist der Protagonist von „The Shadow Over Innsmouth“ in der Geschichte selbst namenlos, aus Lovecrafts Aufschrieben ist allerdings bekannt, dass er den Namen Robert Olmstead trägt. Der Name der Hafenpräfektur, „Innswich Point“, erhärtet Fosters Verdacht, dass H. P. Lovecraft diesen Ort nicht nur besucht hat, sondern von ihm inspiriert wurde. Nun unterscheidet sich Olmstead allerdings stark von Innsmouth, wo in der Geschichte Niedergang und Verfall herrschen, ist Olmstead sauber, aufgeräumt und wortwörtlich die Heimat des blühenden Lebens selbst, denn so gut wie jede Frau, der Foster begegnet, ist schwanger. Er erfährt allerdings auch, dass Olmstead früher Innsmouth sehr ähnlich war und, mehr noch, dass Lovecraft den Ort besucht und ihn als Inspirationsquelle für seine Geschichte verwendet hat. Foster Morley forscht weiter und, wen wundert’s, entdeckt bald, dass sich hinter der scheinbar so sauberen Fassade von Olmstead dunkle Geheimnisse verbergen.

Nicht nur inhaltlich, auch stilistisch finden sich durchaus Lovecraft-Anspielungen – Lees Prosa ist zwar weder so komplex, noch so sperrig wie Lovecrafts, erinnert aber doch zumindest in Ansätzen an das Vorbild, vor allem bezüglich der Erzählsituation. Foster Morley ist zudem als typischer Lovecraft’scher Protagonist angelegt. Angesichts seiner sonstigen Werke ist Lee es wohl allerdings nicht gewohnt, sich einer verhältnismäßig anständigen und gutmütigen Hauptfigur zu bedienen, sodass Foster Morley mitunter fast schon überdreht fröhlich und blauäugig daherkommt. Natürlich ist es genauso gut möglich, dass Lee hier parodistische Absichten hatte.

„Innswich Horror“ beginnt durchaus vielversprechend, gerade durch die Kombination aus Anspielungen auf und Kontrasten zu „The Shadow Over Innsmouth“. Auch der Spannungsaufbau weiß durchaus zu gefallen. Sobald Foster dem Geheimnis hinter Olmstead und Innswich Point auf die Schliche kommt, baut die Novelle relativ rapide ab, nicht zuletzt, weil es nicht besonders schwer zu erraten ist, was passiert und womit Foster es zu tun hat. Besonders ironisch ist in diesem Kontext der Umstand, dass zwar kaum ein paar Seiten vergehen, ohne dass Lovecraft referenziert wird, Lee zugleich aber die Komponenten kosmischen Horrors aus der Geschichte entfernt; die Implikationen, die nihilistische Hoffnungslosigkeit, kurz: alles, was die Geschichte eigentlich ausmacht, fehlt. Was bleibt ist eine sexuell deutlich explizitere, gewalttätigere und invertierte Version der Handlung von „The Shadow Over Innsmouth“, angereichert durch eine recht überdrehte Romanze zwischen Foster und Mary, einer der schwangeren Einwohnerinnen von Olmstead. Zugegebenermaßen passt diese Romanze zu Fosters Charakter, sodass man sich abermals die Frage stellt, ob Lee hier einfach nur scheitert oder ob das seinem Humor entspricht.

Fazit: „Innswich Horror“ ist eine eindeutige und sehr deutliche Hommage an H. P. Lovecrafts „The Shadow Over Innsmouth“, allerdings zeigt sich, dass Idee, den kosmischen Horror durch mehr explizite Inhalte und eine überdrehte Romanze zu ersetzen, nicht unbedingt die beste war. Trotz der ständigen Verweise auf HPL wirkt Edward Lees Novelle recht substanzlos und banal – wer nach einer thematischen Fortsetzung von Lovecrafts Geschichte sucht, ist mit dem Sammelband „Schatten über Innsmouth“ des Fest Verlags deutlich besser bedient.

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Siehe auch:
Lovecrafts Vermächtnis: Dagon
Lovecrafts Vermächtnis: Die Opferung
Lovecrafts Vermächtnis: Providence
Lovecrafts Vermächtnis: Echo des Wahnsinns

Dracula the Undead

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Werke, die „Dracula“ in irgendeiner Form fortsetzen gibt es viele, vor allem in Form günstig produzierter Filme, solche, die sich direkt auf Stokers Geschichte beziehen, sind dagegen deutlich seltener. Das hängt natürlich damit zusammen, dass Stokers Roman relativ eindeutig endet: Der Graf ist endgültig tot und die Helden haben triumphiert. Besonders notorische Fortsetzungen sind die diversen Hammer-Filme: Durch irgendeinen Kniff kehrt der Graf zurück und sucht sich neue Opfer, bis er schließlich wieder getötet wird. Universals „Dracula’s Daughter“ und Hammers „The Brides of Dracula“ fallen da ein wenig aus dem Rahmen, denn in beiden Fällen ist es der Vampirjäger Van Helsing, der sich mit einer neuen vampirischen Bedrohung auseinandersetzen muss, sei es Gräfin Marya Zaleska oder Baron Meinster. Fortsetzungen, die sich tatsächlich des kompletten Personals aus Bram Stokers Roman bedienen, sind da weitaus seltener. Am bekanntesten ist wohl der von Dacre Stoker, seines Zeichens Urgroßneffe von Bram Stoker, und Ian Holt verfasste Roman „Dracula: The Un-Dead“, erschienen 2009; mit diesem werde ich mich zu gegebener Zeit befassen. Es existiert allerdings ein Roman mit fast demselben Titel, „Dracula the Undead“ von Freda Warrington, publiziert bereits im Jahr 1997, der zuerst eine Besprechung verdient.

„Dracula the Undead“ beginnt genau dort, wo Bram Stokers Roman endet, sieben Jahre nach der eigentlichen Handlung besuchen die Überlebenden Transsylvanien, um die Ereignisse aufzuarbeiten. Warrington orientiert sich sowohl stilistisch als auch strukturell stark am Vorbild, abermals lesen wir die Tagebucheinträge der verschiedenen Figuren. Auch der inhaltliche Aufbau erinnert stark „Dracula“ mit dem Anfang in Transsylvanien, dem Mittelteil in England und dem Finale wieder in Osteuropa. Während sich Abraham Van Helsing, Jonathan und Mina Harker, John Seward und Arthur Holmwood noch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, stellt Warrington die beiden wichtigsten neuen Figuren des Romans vor: André Kovacs, ein alter Freund Van Helsings, und seine Nichte Elena, eine junge Frau aus restriktivem Elternhaus, die es nach Freiheit gelüstet und die in Mina ein Vorbild findet. Kaum, dass Stokers Figuren Osteuropa verlassen haben, werden Kovacs und Elena mit mysteriösen Ereignissen konfrontiert. Ersterer ist auf der Suche nach der Schule der Scholomanten. Diese mysteriöse magische Schule aus osteuropäischen Sagen erwähnte Stoker eher beiläufig in „Dracula“ als möglichen Ursprung des Vampirismus, in Filmen oder sonstigen Verarbeitungen des Stoffes wird dieses Element allerdings selten aufgegriffen. Warrington hingegen macht es, erfreulicherweise, zu einem zentralen Teil ihrer Narrative. Während Kovavcs nach dieser „Schule des Teufels“ sucht und sie zu seinem Unglück auch findet, bekommt Elena Gesellschaft von einem „dunkeln Gefährten“, der ihr dabei hilft, sich ihres tyrannischen Vaters zu entledigen und sie dazu bringt, nach London zu reisen. Dort wird sie zum Kindermädchen des jungen und recht kränklichen Quincey Harker. Dass Elenas dunkler Gefährte ein auf Rache sinnender Dracula ist, der seine ursprüngliche, untote Existenz wiederherstellen möchte, muss wohl nicht extra erwähnt werden…

Bei der Lektüre von „Dracula the Undead“ merkt man durchaus, wie viel Respekt Freda Warrington vor Bram Stokers Roman hat. Da dies der einzige ihrer Romane ist, den ich gelesen habe, weiß ich nicht, wie sie sonst schreibt, aber hier hat sie ihren Stil definitiv an Stokers Prosa und die Stilmittel des späten 19. Jahrhunderts angepasst, sei es in der Redeweise der Figuren oder den doch eher blumig ausfallenden Beschreibungen. Die Handlungs- und Denkweise der Figuren fühlt sich dabei durchaus wie eine kohärente Fortführung von „Dracula“ an. Allerdings sind 100 Jahre an Adaptionen und sonstigen Verarbeitungen der Geschichte nicht spurlos vorbeigegangen: Auch Warrington interpretiert den Grafen etwas positiver als Stoker dies tat, etwas romantischer und nachvollziehbarer. Warringtons Graf ist nach wie vor böse, wir haben es also nicht mit einer kompletten Umdeutung zu tun, aber gerade sein Verhältnis zu Mina wächst über die reine Täter/Opfer-Dynamik hinaus – auch das gehört mittlerweile fast schon zum guten Ton und wird erwartet.

Ganz ähnlich wie bei „Dracula“ ist auch die erste Hälfte von „Dracula the Undead“ die deutlich stärkere und spannendere. Gerade die Bemühungen, den Grafen ins Unleben zurückzuholen und die wachsende Suspense, während seine Widersacher noch ahnungslos sind – all das sorgt für die ansprechendsten Passagen des Romans. In der zweiten Hälfte agiert Dracula dann aber, anders als bei Stoker, sehr viel direkter mit unseren Helden, was einfach nicht ganz so gut funktioniert. Mit Elene hat Warrington allerdings eine äußerst interessante Figur geschaffen, die gewissermaßen den Platz Renfields einnimmt. Man fühlt sich in mancher Hinsicht an den Renfield aus Universals „Dracula“ erinnert, der den Grafen nicht einfach nur in England erwartet, während er Insekten schnabuliert (Letzteres tut Elena allerdings nicht), sondern ihn aktiv von Transsylvanien nach England bringt. Elena beginnt als sympathische Figur, die verständlicherweise aus ihrem restriktiven Umfeld ausbrechen möchte, dafür aber gewissermaßen einen Deal mit dem Teufel eingeht. Über den Verlauf der Geschichte wird sie jedoch konsequent labiler, was wir als Leser direkt mitbekommen, gehört sie doch zu den Tagebuchschreibern. Irgendwann ist schließlich der Punkt erreich, an dem sie sich sowohl in Dracula als auch in Mina verliebt zu haben scheint und gleichzeitig auf beide eifersüchtig ist.

Die bereits erwähnte Idee, die Schule der Scholomanten hier miteinzubeziehen finde ich durchaus gelungen, gerade weil es ein so wenig beachteter Aspekt des ursprünglichen Romans ist, allerdings schöpft Warrington das Potential nicht völlig aus und benutzt die Schule vor allem, um noch einen zweiten Vampir in der Geschichte unterzubringen, der als noch üblerer Kontrast zu Dracula selbst und als finaler Antagonist fungiert. Gerade das Finale, inklusive der Andeutung, Dracula und nicht Jonathan könne Quinceys Vater sein, finde ich nicht allzu gelungen, zumindest im Kontext des restlichen Romans. Es wirkt etwas zu plump, so als wäre es Warrington nicht gelungen, ein wirklich passendes Ende zu ihrem sonst sehr gut konstruierten Roman zu finden.

Fazit: Freda Warringtons inoffizielle und größtenteils vergessene Fortsetzung zu „Dracula“ kann durchaus als Geheimtipp für Fans des Grafen bewertet werden. Auch wenn das Finale nicht völlig zu überzeugen weiß, gelingt es Warrington doch, eine stimmige und relativ kohärente Fortsetzung zu einem der einflussreichsten Romane der Literaturgeschichte abzuliefern.

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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Geschichte der Vampire: Secret Origin
The Brides of Dracula
The Dracula Tape
Dracula: Sense & Nonsense
‘Salem’s Lot

Die Insel der Tausend Leuchttürme

Grobe Spoiler ohne Details!
Die Insel der Tausend Leuchttuerme von Walter Moers
Im Herbst 2023 veröffentlichte Walter Moers seinen zehnten Zamonien-Roman (die beiden kürzeren Werke „Weihnachten auf der Lindwurmfeste“ und „Der Bücherdrache“ miteingerechnet). Während die erste Hälfte, von „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ bis „Der Schrecksenmeister“ wirklich herausragend ist, ist die zweite deutlich durchwachsener, vor allem „Das Labyrinth der träumenden Bücher“, „Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr“ und „Weihnachten auf der Lindwurmfeste“ erwiesen sich als ziemliche Enttäuschungen. Es freut mich allerdings berichten zu können, dass Moers mit „Die Insel der 1000 Leuchttürme“ definitiv an die alten Qualitäten anknüpft, auch wenn sein neuester Streich definitiv hinter „Die Stadt der träumenden Bücher“ oder „Rumo & die Wunder im Dunkeln“ zurückbleibt. Ein weiteres Mal haben wir es mit einem autobiographischen Werk des zamonischen Monumentalschriftstellers Hildegunst von Mythenmetz zu tun, das sich in der Konzeption allerdings etwas von den bisherigen unterscheidet. Abermals arbeitet Moers mit der „Übersetzerfiktion“, geht bzgl. seiner eigenen Rolle dieses Mal aber noch einen Schritt weiter. Bisher „übersetzte“ (und kürzte) Moers Mythenmetzwerke, die auch in Zamonien publiziert wurden. Dieses Mal handelt es sich jedoch um Briefe an den aus „Die Stadt der träumenden Bücher“ bekannten Eydeeten Hachmed Ben Kibitzer, die Moers selbst „kompilierte“. Einen Vorgeschmack auf dieses Konzept gewährte er bereits in „Weihnachten auf der Lindwurmfeste“.

Die Handlung besteht primär aus Hildegunst von Mythenmetz‘ Erkundung der Insel Eydernorn (ein Anagramm, das nicht allzu schwer zu entschlüsseln ist) und der Erkundung der dortigen Kultur, Flora und Fauna. Ursprünglich als Kuraufenthalt geplant (zumindest in Ansätzen erinnert der Roman an eine phantastisch-skurrile Variation auf Thomas Manns „Der Zauberberg“), stellt Zamoniens größter Schriftsteller schon bald fest, dass er für die Lokalsportart „Krakenfieken“ ein enormes Talent hat und dass Eydernorn viele Gehemnisse bietet. Primär erforscht Hildegunst die Geheimnisse der Leuchttürme, schließlich trägt Eydernorn den Beinamen „die Insel der Tausend Leuchttürme“, auch wenn es in Wahrheit nur 111 sind. Wer sich von „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ ein ähnliches Ausmaß an Suspense oder Handlungsdichte wie einige der Vorgänger erhofft, den muss ich leider sofort enttäuschen. Gewisse Moers-Tendenzen der letzten Jahre treten hier noch stärker zutage: Der zehnte Zamonien-Roman ist primär ein Reisebericht, der sehr lange ohne tatsächlichen Plot auskommt, als Leser begleiten wir Hildegunst von Mythenmetz schlicht bei der Erforschung der Insel, lernen skurrile neue Figuren kennen und erleben, wie Moers mit viel Liebe zum Detail einen weiteren zamonischen Handlungsort aufbaut. Der folgende Vergleich schmerzt mich sehr, aber ich erkennen da gewisse Parallelen zu Stephenie Meyers Twilight-Romanen: Wir haben sehr lange wenig Plot und viel „Ambiente“, bis im letzten Drittel der Plot dann relativ rasant und überstürzt doch noch sein Haupt erhebt und die Ereignisse sich überschlagen. Natürlich ist es auch nicht das erste Mal, dass Moers diese Tendenz zeigt, in „Das Labyrinth der träumenden Bücher“ war das noch einmal deutlicher und frustrierender, was allerdings auch damit zusammenhing, dass sich große Teile des Romans wie ein bloßes „Aufwärmen“ des Vorgängers anfühlten. „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ ist immerhin eine in sich abgeschlossene Geschichte, während „Das Labyrinth der träumenden Bücher“ seinen eigentlichen Plot bis zum heutigen Tage nicht enthüllt hat. Dass Moers natürlich als Autor deutlich begabter ist als Stephenie Meyer muss ich wohl nicht extra hinzufügen…

Interessanterweise hängt mein eigentlicher Hauptkritikpunkt damit zwar zusammen, ist aber nicht, dass ich gerne früher mehr Plot gehabt hätte. Im Finale lebt Moers wieder eine andere Tendenz aus, nämlich die, seine sorgsam konstruierten Handlungsorte einer apokalpytischen Zerstörung zu unterziehen oder sie auf andere Art zu „entfernen“. Das betrifft sowohl Atlantis in „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ als auch Untenwelt in „Rumo & die Wunder im Dunkeln“ und Buchhaim in „Die Stadt der träumenden Bücher“ (Letzteres wurde zugegebenermaßen wieder aufgebaut). Abermals taucht eine fast Lovecraft’sche Entität auf, zwar nicht völlig aus dem Nichts, aber doch recht unvermittelt – zudem meint man, gewisse Anklänge an „Alien“ herauslesen zu können. Wie dem auch sei, ich persönlich denke, Moers hätte besser das Reiseberichtkonzept des Romans konsequent durchgezogen. Vielleicht hatte er Angst, dass die Rezeption ähnlich ausgefallen wäre wie bei „Das Labyrinth der träumenden Bücher“ und hat deshalb versucht, dem Ganzen noch ein möglichst spektakuläres Finale zu verpassen. Gerade dieses will aber nicht so recht zum Tonfall des Romans passen, ein intimerer, persönlicherer Abschluss wäre in meinen Augen weitaus gelungener gewesen.

Ansonsten bietet „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ definitiv, was Zamonien-Fans so an Moers als Autor schätzen: Ein mit viel Liebe zum Detail ausgearbeiteter Handlungsort, sehr viel schräger und absurder Humor (allein das Krakenfieken und alles was damit zu tun hat ist herrlich) und nicht minder skurrile Charaktere, von den De-Bong-Drillingen über die diversen Leuchtturmwächter bis hin zu den sonstigen Einwohnern Eydernorns. Besonders interessant ist dieser zehnte Zamonien-Roman auch wegen der Verknüpfung zu den seinen Vorgängern. Mit der Kontinuität hält Moers es ja bekanntlich nicht allzu genau: Wie schon in „Das Labyrinth der träumenden Bücher“ wechselt Hildegunst von Mythenmetz sein Schuppenkleid, von rot zu violett. Das will aber nicht so recht zum „Labyrinth“ passen, das chronologisch nach der „Insel“ spielt, in welchem er sein rotes Schuppenkleid aber erst bekommt. Natürlich wissen wir aus „Ensel und Krete“, dass Mythenmetz ein Meister darin ist, seine eigene Biographie zu fälschen und zu verschleiern, insofern passt das tatsächlich ganz gut. Insgesamt ist „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ eine deutliche besser Fortsetzung zu „Die Stadt der träumenden Bücher“ als das „Labyrinth“, nicht zuletzt, da es konzeptionell besser zu den frühen Zamonien-Romanen passt, die oftmals einen Subplot, eine Nebenfigur oder ein ähnlich untergeordnetes Element des Vorgängers ausarbeiteten. So auch hier: In „Die Stadt der träumenden Bücher“ gehört Gryphius von Odenhobler, Autor des „Ritter Hempel“, zu den ersten fiktiven Autoren Zamoniens, die wir kennenlernen. In „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ taucht er nun als essentielle Figur auf. Generell haben die vorangegangenen Ereignisse ihre Spuren bei Hildegunst hinterlassen, sodass sich seine Entwicklung wie eine natürliche Weiterführung anfühlt.

Fazit: Mit „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ kommt Moers zwar nicht ganz an seine Meisterwerke heran, zeigt aber, dass „Der Bücherdrache“ kein positiver Ausrutscher, sondern Wegbereiter einer Tendenz war. Der zehnte Zamonien-Roman hat zwar ein paar Probleme in der Handlungsentwicklung und der Gestaltung des Finales, weiß aber ansonsten dank seines gelungenen, skurrilen und liebevoll ausgearbeiteten Handlungsortes zu überzeugen. Es muss allerdings gesagt werden, dass „Die Insel der Tausend Leuchttürme“, abseits des letzten Drittels, deutlich weniger abenteuerlich und spannend ist als beispielsweise „Die Stadt der träumenden Bücher“ und eher als Reisebericht in Form eines Briefromans konzipiert ist.

Bildquelle (Copyright: Penguin Random House)

Siehe auch:
Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär
Ensel und Krete
Rumo & die Wunder im Dunkeln
Der Bücherdrache

‘Salem’s Lot

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Stephen King ist einer der, wenn nicht gar DER größte Namen im literarischen Horror-Genre. Da verwundert es kaum, dass sich der chronische Vielschreiber bereits mehrfach und auf unterschiedlichste Art und Weise dem Vampir angenommen hat. Nicht nur spielen untote Blutsauger in seiner Dark-Tower-Saga eine wichtige Rolle, auch in der Fortsetzung von „The Shining“, „Doctor Sleep“, haben die enigmatischen Antagonisten definitiv vampirhafte Züge, wenn auch eher im weiteren Sinne. Seine vampirische Genesis feierte King allerdings bereits 1975 mit seinem zweiten Roman, „‘Salem’s Lot“. Diesen Roman als „Stephen King’s Dracula“ zu bezeichnen geht vielleicht einen Schritt zu weit, aber die Grundprämisse ist durchaus von Stokers Roman abgeleitet: King stellte sich die Frage: „Was wäre, wenn Dracula in der Moderne im kleinstädtischen Amerika auftauchen würde?“ Gerade der literarische Vampir befand sich in den 70ern in einer Ära des Umbruchs, der filmische sollte bald folgen. Im selben Jahr wie „‘Salem’s Lot“ erschien Fred Saberhagens „The Dracula Tape“, nur ein Jahr später ging Anne Rice‘ „Interview with the Vampire“ an den Start – beide sind als Pioniere des sympathischen Vampirs in der Protagonistenrolle zu werten. King hingegen bedient sich des Vampirs als klassisch-böser Antagonist und orientiert sich zumindest in dieser Hinsicht an Stoker. Dennoch ist sein Ansatz deutlich moderner, man ist beinahe gewillt, „‘Salem’s Lot“ als Wegbereiter solcher Filme wie „Fright Night“ oder „The Lost Boys“ zu betrachten: Es geht nicht nur darum, dass Vampir sich in einem modernen, kleinstädtischen Milieu ausbreitet, sondern auch um die Auswirkungen, die das hat. Im Gegensatz dazu beschäftigt sich „Dracula“ nur bedingt oder höchst indirekt mit weiterreichenden, gesellschaftlichen Effekten. Während seines Aufenthalts in England gelingt es dem Grafen lediglich, ein Opfer zu verwandeln, bevor er von seinen Gegnern zum Rückzug gezwungen wird. Alles spielt sich auf der persönlichen Ebene ab. Die Kleinstadt Jerusalem‘s Lot, die als Schauplatz und Namensgeberin von Kings Roman fungiert, wird hingegen vom einfallenden Vampir nachhaltig verändert.

Viele der Elemente, die inzwischen als King-Stereotypen wahrgenommen werden, finden sich bereits in „‘Salem’s Lot“, vor allem das detailliert ausgearbeitete Kleinstadtsetting mit einer Vielzahl an Charakteren. Rückblickend betrachtet wirkt Jerusalem‘s Lot fast wie ein Prototyp für Derry aus „It“. Zwar verfügt „‘Salem’s Lot“, wie so viele King-Romane, über ein breites Panorama an verschiedenen Figuren, Protagonist ist allerdings Ben Mears, der zu Anfang des Romans in seine frühere Heimatstadt zurückkehrt. Auch Ben Mears erweist sich im Kontext von Kings Oeuvre als relativ typisch, besitzt er doch einige Charakterzüge seines Autors, hier primär das Schriftstellertum. Der Umstand, dass Ben Mears zwar mit Jerusalem‘s Lot vertraut, aber zugleich auch ein Neuankömmling ist, sorgt für eine erzählerisch interessante Ausgangslage, denn er macht Mears zu einem Spiegel der antagonistischen Macht, die zeitgleich ankommt. Die Geschichte entfaltet sich dabei sehr langsam: Ben Mears beginnt, sich in seiner alten Heimatstadt wieder einzuleben und plant, ein Buch über das alte Marsten House zu schreiben, das ihn als Kind ziemlich traumatisiert hat. Zu den Einwohnern, die er kennenlernt, gehört unter anderem Susan Norton, mit der er eine Beziehung beginnt. Die ominösen Ereignisse beginnen, als der Antiquitätenhändler Kurt Barlow und sein Geschäftspartner Richard Straker sich in der Stadt niederlassen, um ein Antiquitätengeschäft zu eröffnen. Straker regelt alle geschäftlichen Angelegenheiten, Barlow hingegen sieht man nie. Schon bald beginnen Einwohner der Stadt zu verschwinden, darunter auch Kinder. Hierbei handelt es sich freilich nur um eine extrem knappe Zusammenfassung, da King sich um einen sehr langsamen Spannungsaufbau bemüht und zuerst Einblicke in die Leben der diversen Kleinstadtbewohner gibt, darunter vor allem Mark Petrie, der örtliche Priester Father Callahan und diverse andere. Ähnlich wie Stoker hält auch King seinen Vampir, Kurt Barlow, für lange Zeit aus der Handlung heraus, sodass wir ihn nur durch sein Wirken erleben. Anders als bei Stoker dürfen wir ihn allerdings nicht zu Beginn der Geschichte kennenlernen, so etwas wie Jonathan Harkers Ausflug nach Transsylvanien findet sich hier nicht.

Strukturell erinnert „‘Salem’s Lort“ tatsächlich eher an die ursprüngliche Fassung des Bühnenstücks „Dracula“ von John L. Balderston und Hamilton Deane, das später zur Vorlage des Bela-Lugosi-Filmes werden sollte. Wie in besagtem Stück kommt der Vampir zusammen mit seinem Diener an und trifft auf eine völlig nichtsahnende, örtliche Bevölkerung. Es sei allerdings erwähnt, dass Straker und Renfield abseits ihrer Funktion wenig gemein haben – tatsächlich ist es Straker, der finanziellen Angelegenheiten seines Meisters regelt und zusieht, dass das Marsten House erworben werden kann. Für Insekten hat er nichts übrig. Barlow selbst hingegen ist Dracula sehr ähnlich, wenn auch deutlich älter. Wie bei Stokers Graf handelt es sich auch bei Barlow um einen äußerst bösen Vampir ohne jegliches Element der Tragik. Und ähnlich wie Dracula ist Barlow auch der einzige Vampir der Geschichte, der wirklich selbstständig handeln und Pläne schmieden kann. Seine komplette Nachkommenschaft wird ausschließlich vom Hunger nach Blut angetrieben, was noch an Persönlichkeit vorhanden ist, sind bloße Echos der Menschen, die sie einmal waren – ganz so, wie man es bei Lucy Westenra beobachten kann. In späteren Werken der Dark-Tower-Reihe sollte King an „‘Salem’s Lot“ anknüpfen, Kurt Barlow erneut auftreten lassen und Klassifikationen für seine Vampire einrichten, davon findet sich in diesem Roman allerdings kaum etwas. Barlow und die von ihm verwandelten sind sehr klassische konzipierte Vampire; ganz wie Dracula selbst wird Barlow über den Verlauf des Romans jünger.

Auch darüber hinaus finden sich im Text immer wieder subtile Anspielungen auf „Dracula“, und damit meine ich nicht den Umstand, dass Mark Petrie mit der Bela-Lugosi-Verfilmung vertraut ist oder ähnlich offensichtliche Anspielungen. Oft sind es textliche Parallelen oder Beschreibungen, etwa wenn Ben Mears gezwungen ist, seine geliebte Susan zu pfählen, fühlt man sich stark an Arthur Holmwood und Lucy Westenra in einer ähnlichen Situation erinnert. Thematisch ist „‘Salem’s Lot“ allerdings deutlich anders gelagert. Anhand der Vampire schildert King den langsamen, stetigen Verfall der amerikanischen Kleinstadt, symbolisiert durch die Vampirwerdung so vieler Bewohner. Der Vampir ist dabei nicht einfach nur der Eindringling von außen, das pervertierende Fremde, wie es Dracula war, stattdessen sind die Zeichen des Verfalls bereits zuvor vorhanden – vielleicht sind sie es, die Barlow überhaupt erst nach „‘Salem’s Lot“ ziehen. King nimmt sich hier auf jeden Fall sehr viel Zeit, baut die vielen Charaktere langsam auf. „‘Salem’s Lot“ fühlt sich vor allem zu Anfang nicht unbedingt wie ein Horrorroman an. Man muss durchaus Ausdauer mitbringen. Wie so oft gelingt King der langsame Aufbau allerdings sehr gut, und sofern man nicht von den üblichen Handlungselementen und Stilmitteln genervt ist (dass Mark Petrie in der Schule gemobbt wird, dürfte wohl niemanden verwunden), sind die Charakterisierung und Figureninteraktionen sehr gelungen und arbeiten schön auf den tatsächlichen Horror hin. Mehr noch, King gelingt es, den Schrecken der Vampire anschaulich zu vermitteln, ohne dass es einerseits zu klischeehaft ausfällt, sich andererseits aber auch nicht zu weit vom Kernkonzept entfernt. Das Marsten-House verbreitet zudem klassische Haunted-House-Vibes, die nicht nur sehr willkommen sind, sondern auch einen guten Ersatz für das klassische Vampirschloss bieten, das in „‘Salem’s Lot“ natürlich fehlt. Wenn es einen zentralen Kritikpunkt, dann vielleicht den, dass Frauenfiguren in letzter Konsequenz ausschließlich in die Opferrolle gedrängt werden. Um „Dracula“ zu Vergleichszwecken noch einmal heranzuziehen: Zwar wird Mina nicht zur Actionheldin, ist aber involviert und teil der finalen Operation. Betrachtet man Susan Norton als Gegenstück zu Lucy, dann fehlt ein Mina-Counterpart völlig.

Fazit: Wer eine klassische Vampirgeschichte in modernerem Gewand sucht und kein Problem mit einem langsameren Spannungsaufbau und detaillierter Charakterarbeit hat, sollte „‘Salem’s Lot“ definitiv eine Chance geben. Für King-Fans ist der Roman zweifelsohne Pflichtlektüre, beinhaltet er doch die Genesis vieler Handlungselemente und Stilmittel, die er im Verlauf seiner Karriere immer wieder verwenden sollte.

Bildquelle

Siehe auch:
Lovecrafts Vermächtnis: Revival
IT
Gerald‘s Game
In the Tall Grass
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
The Dracula Tape

Art of Adaptation: A Knife in the Dark

Der Aufbruch aus Bree

Nachdem sich die Hobbits in Bree in Aragorns Obhut begeben und seine Hilfe akzeptiert haben, folgt sowohl in Tolkiens Roman als auch in Jacksons Film ein Angriff der Ringgeister. Im Roman springen wir allerdings zurück nach Bockland, wo Fredegar Bolger gewissermaßen Frodos Platz einnimmt, um die Abreise aus dem Auenland weiter zu verheimlichen. Dem guten Fredegar gelingt es, vor den Nazgûl zu fliehen und die Bockländer zu alarmieren, woraufhin sich Saurons Häscher zurückziehen – vorerst. Hier gibt uns Tolkien zugleich einen kleinen Vorgeschmack darauf, dass die Hobbits durchaus wehrhaft sein können, wenn es wirklich darauf ankommt. In den späteren Kapiteln von „The Return of the King“, die sich mit der Säuberung des Auenlands beschäftigen, greift er diese Thematik wieder auf. Im Gegensatz dazu erfolgt die Attacke im Film in Bree – die Nazgûl persönlich stürmen sowohl das Dorf als auch das Gasthaus Zum Tänzelnden Pony auf höchst unsubtile Art und Weise. Dabei zeigt sich ein weiteres Mal, dass die filmische Interpretation der Ringgeister deutlich rabiater vorgeht als das Buchgegenstück. Anstatt sich einzuschleichen, wie sie es bei Tolkien immer wieder tun, reiten sie einfach das Eingangstor nieder und brechen ohne Rücksicht auf Verluste in das Gasthaus ein. Hierbei handelt es sich um eine weitere Szene, die relativ direkt aus Ralph Bakshis animierter Adaption des „Lord of the Rings“ stammt. Im Roman wird das Gasthaus zwar ebenfalls angegriffen und das Zimmer der Hobbits verwüstet, verantwortlich sind allerdings die menschlichen Diener der Nazgûl. Mehr noch, am Morgen sind auch die Ponys der Hobbits, zusammen mit allen anderen Pferden in den Ställen des Gasthauses, spurlos verschwunden.

Jackson zeigt den Aufbruch der um Aragorn erweiterten Wandertruppe als Montage, unterlegt von einer langsam stärker werdenden Version des Gefährten-Themas. Im Roman ist die ganze Angelegenheit etwas komplizierter, da mindestens ein Pony nötig ist, um das Gepäck der Hobbits zu transportieren. Nur ein Einwohner des Dorfes ist schließlich gewillt, sich von einem Tier zu trennen, ein recht übler Bursche namens Lutz Farning (Bill Ferny im Original, Lutz Farnrich in der Krege-Übersetzung), der wohl zu diesem Zeitpunkt bereits auf Sarumans Lohnliste steht und später bei der Säuberung des Auenlands noch einmal vorkommt. Besagtes Pony, das nach seinem ehemaligen Besitzer benannt ist, freundet sich sofort mit Sam an und ist offenbar sehr froh, in den Besitz der Hobbits überzugehen. Bei Jackson bricht das Fünfergespann ebenfalls mit einem Pony auf, der Erwerb wird jedoch nicht gezeigt. Eine Szene kurz vor Moria, die es allerdings nur in die Special Extended Edition geschafft hat, enthüllt später, dass dieses Pony tatsächlich Lutz/Bill ist. Die folgenden Reiseabschnitte schildert Tolkien verhältnismäßig ausführlich, während Jackson sie aus nachvollziehbaren Zeitgründen nur kurz anschneidet. Trotzdem gibt er seinen Zuschauern einen kurzen Einblick in die Mückenwassermoore und selbst die Erwähnung der Geschichte Beren und Lúthiens findet sich, zumindest in der Extended Edition. Der Kontext ist allerdings ein wenig anders, im Roman wird hier ein weiteres Mal auf die Ereignisse um die Schlacht des Letzten Bündnisse eingegangen, speziell zu Gil-Galad, dem letzten Hochkönig der Noldor, werden zusätzliche Informationen geliefert, bis Aragorn der Meinung ist, Gespräche über Mordor seinen aktuell keine gute Idee. Stattdessen erzählt er den Hobbits von der tragischen Liebesgeschichte von Beren und Lúthien. Im Film dagegen singt Aragorn von den beiden und berichtet daraufhin den Hobbits, die danach fragen, die Kurzfassung. Im Film fungiert das als Vorausdeutung der Beziehung von Aragorn und Arwen, die im Film deutlich anders aufgezogen wird als im Roman.

Angriff auf der Wetterspitze

Auf der Wetterspitze zeigt sich, wie unterschiedlich die parallelen Zeitabläufe an dieser Stelle im Roman und im Film sind. Bereits bevor das Fünfergespann den alten Wachturm erreicht, sieht es in einer Nacht Lichtblitze und bei der Ankunft finden Hobbits und Waldläufer spuren eines Kampfes der, wie sie später erfahren, zwischen Gandalf und den Ringgeistern stattgefunden hat. Der Zauberer ist zu diesem Zeitpunkt also praktisch um die Ecke. Jackson und Co. suggerieren hingegen, dass Gandalf sich zu diesem Zeitpunkt noch als Gefangener auf der Spitze des Orthanc befindet. Seine Flucht, die bei Tolkien bereits vor Frodos Aufbruch aus dem Auenland stattfindet, passiert im Film schätzungsweise zeitgleich mit der Jagd zur Bruinen-Furt. Von diesem Umstand abgesehen spielen sich die Ereignisse auf der Wetterspitze, mit ein, zwei Ausnahmen, fast identisch ab. Die erste Änderung ist der Umstand, dass die Hobbits hier von Aragorn Kurzschwerter bekommen – bei Tolkien haben sie diese aus dem Hügelgrab. Die zweite ist eher dramaturgischer Natur; im Roman lässt Aragorn die Hobbits nicht allein, um dann in letzter Sekunde als Retter auftauchen zu können und Merry, Pippin und Sam erregen die Aufmerksamkeit der Nazgûl auch nicht durch ihr Lagerfeuer. Stattdessen machen die fünf absichtlich ein Feuer, da die Ringgeister mit diesem Element bekanntermaßen ihre Probleme haben.

Wie so häufig beschreibt Tolkien die Ringgeister deutlich ätherischer und schattenhafter, als sie im Film dann tatsächlich dargestellt werden. Auch der Unterschied zwischen der Schattenwelt in Vorlage und Adaption ist noch einmal der Erwähnung wert: Das graue Gewaber, das Frodo wahrnimmt, wenn er den Ring trägt, existiert im Roman nicht, wie sich an folgender Passage zeigt: „Immediately, though everything else remained as before, dim and dark, the shapes became terribly clear. He was able to see beneath their black wrappings. There were five tall figures: two standing on the lip of the dell, three advancing. In their white faces burned keen and merciless eyes; under their mantles were long grey robes; upon their grey hairs were helms of silver; in their haggard hands were swords of steel. Their eyes fell on him and pierced him, as they rushed towards him.” (FotR, S. 255) Die Darstellung der Nazgûl im Zwielicht hingegen entspricht sehr genau der Beschreibung – stets eine äußerst beeindruckende Szene.

Eine Tendenz der Filme sollte an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben werden: Bei Jackson ist Frodo sehr viel passiver als bei Tolkien. Trotz der lähmenden Angst, die die Ringgeister verbreiten, ergibt sich Frodo nicht einfach seinem Schicksal, sondern versucht tatsächlich, seine Widersacher zu attackieren und erwischt immerhin den Fuß des Hexenkönigs, wobei sein Ausruf „O Elbereth! Gilthoniel!“ jedoch deutlich mehr Schaden anrichtet. Die größere Widerstandskraft Frodos zeigt sich auch im folgenden Kapitel: Während er im Film nach dem Angriff mit der Morgul-Klinge praktisch völlig katatonisch ist, ist er im Roman zwar geschwächt, aber noch handlungsfähig und ansprechbar. Anstatt Frodos Einsatz zu zeigen, ist es Aragorn, der bei Jackson nun erstmals in Action zu sehen ist – sein Kampf mit den Nazgûl ist im Roman eher ein Nachgedanke, Frodo bekommt noch mit, dass er die Ringgeister mit brennenden Holzscheiten attackiert, bevor er das Bewusstsein verliert.

Zitiert nach:
Tolkien, J. R. R.: The Lord of the Rings Part 1: The Fellowship of the Ring. London 2007 [1954]

Siehe auch:
Art of Adaptation: A Long-expected Party
Art of Adaptation: The Shadow of the Past
Art of Adaptation: Three Is Company
Art of Adaptation: A Shortcut to Mushrooms
Art of Adaptation: The House of Tom Bombadil
Art of Adaptation: At the Sign of the Prancing Pony
Art of Adaptation: Strider
Art of Adaptation: Tolkiens Erzählstruktur und Dramaturgie
Art of Adaptation: Saruman der Weiße
Art of Adaptation: Die Nazgûl

Art of Adaptation: The Exorcist

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Es gibt viele wirklich exzellente Horrorfilme, aber nur wenige können von sich behaupten, gleich ein ganzes Subgenre ins Leben gerufen zu haben. William Friedkins „The Exorcist“ (1973) gehört zu diesem erlauchten Kreis. Ähnlich wie „Dracula“ (1931) oder „Alien“ (1979) hat sich Friedkins Film unweigerlich ins popkulturelle Gedächtnis eingebrannt – selbst Menschen, die „The Exorcist“ nie gesehen haben, können das Bild der besessenen Regan MacNeil problemlos zuordnen und wahrscheinlich sogar auf die ikonische Kopfdrehung oder die Geschosskotze verweisen. Die wenigsten sind sich allerdings darüber im Klaren, dass der Film auf einem Roman basiert, verfasst von William Peter Blatty und erschienen 1972, nur ein Jahr vor der Adaption.

Handlung
Die Schauspielerin Chris MacNeil (Ellen Burstyn) zieht mit ihrer Tochter Regan (Linda Blair) nach Georgetown, Washington D.C., da sie dort unter der Regie des dem Alkohol zusprechenden, mitunter jähzornigen Regisseurs Burke Dennings (Jack MacGowran) ihren aktuellen Film dreht. Schon bald nach der Ankunft beginnt Regan jedoch, sich merkwürdig zu verhalten. Gespräche mit dem scheinbar imaginären „Captain Howdy“ – die Kommunikation erfolgt über ein Ouija-Board – tut Chris noch als harmlose Spielerei ab, aber die Geräusche und ein sich scheinbar bewegendes Bett bereiten ihr Kopfschmerzen. Zudem beginnt Regan, sich immer merkwürdiger und untypischer zu verhalten. Keiner der hinzugezogenen Ärzte findet eine Ursache – derweil überschattet der mysteriöse Tod von Burke Dennings die Lage zusätzlich. Während nun der Polizist William F. Kinderman (Lee J. Cobb) bzgl. Dennings Todesfall zu ermitteln beginnt, verschlechtert sich Reagans Zustand, sie wirft mit Obszönitäten um sich, verletzt sich und scheint mehrere Persönlichkeiten zu entwickeln. Einer der völlig ratlosen Ärzte schlägt schließlich einen Exorzismus vor – zwar glauben die Ärzte nicht an dämonische Besessenheit, aber wenn Reagan selbst glaubt, besessen zu sein, könnte sich ihr zustand verbessern, wenn sie überzeugt wird, dass der Exorzismus funktioniere. Also wendet sich Chris an den Jesuiten Damian Karras (Jason Miller), der nicht nur Priester, sondern auch Psychiater ist. Karras weiß genau, welche Hürden genommen werden müssen, damit die katholische Kirche einen Exorzismus sanktioniert und beginnt, sich eingehend mit dem Fall und mit Reagan zu beschäftigen. Nach mehreren Unterhaltungen mit Reagan wird es für Karras immer schwerer, tatsächliche Besessenheit auszuschließen, der Exorzismus wird sanktioniert und unter der Leitung von Father Lankester Merrin (Max von Sydow) beginnt Karras das Ritual…

Anpassungen und Auslassungen
Nur allzu oft geht man davon aus, dass es schief geht, wenn ein Autor seinen eigenen Roman als Drehbuch adaptiert, weil man ihm dieselbe Geisteshaltung attestiert, die ein Fan des Buches haben mag: Zu viel Textnähe, zu wenig Verständnis für den Wechsel des Mediums. Es gibt allerdings genug Beispiele, die dieses Vorurteil widerlegen, sei es Anne Rice mit „Interview with the Vampire“, Clive Barker mit „The Hellbound Heart“ bzw. „Hellraiser“ und eben auch Willaim Peter Blatty mit „The Exorcist“. Hin und wieder kann es sogar vorkommen, dass ein Autor, der sein eigenes Werk adaptiert, die Gelegenheit nutzt, um Dinge zu korrigieren oder zu experimentieren. Bei „The Exorcist“ handelt es sich nicht um einen derartigen Fall, der Film folgt der Handlung des Romans sehr genau, von der Etablierung der Charaktere und dem langsamen Spannungsaufbau bis hin zum finalen Exorzismus. Gerade was Regans Leidensweg angeht, werden eigentlich alle Stationen ziemlich vorlagengetreu abgehandelt – hier verortet Blatty eindeutig den Kern der Handlung.

Trotz aller Vorlagentreue müssen natürlich gewisse Kompromisse gemacht werden. Die meisten Raffungen und Auslassungen der Handlung betreffen den einen oder anderen Subplot rund um Kinderman, der im Roman eine deutlich größere Präsenz hat als im Film und dessen Ermittlungen bezüglich des Todes von Burke Dennings sehr viel mehr Raum einnehmen. Tatsächlich gerät Karl (Rudolf Schündler), der aus der Schweiz stammende Hausangestellte von Chris, eine Zeit lang ins Visier der Ermittlungen, zum einen, weil Dennings wiederholt mit ihm aneinandergerät und ihn als Nazi beschimpft (diese Szene findet sich im Film) und zum anderen, weil sein Alibi für den Todeszeitpunkt von Kinderman auseinandergenommen wird. Es stellt sich dann allerdings heraus, dass Karl eine heroinsüchtige Tochter hat, die von ihrem Freund misshandelt wird, ein Umstand, den er verheimlichen möchte, nicht zuletzt vor seiner Frau Willi (Gina Petrushk), die die Tochter tot glaubt. Zudem entsteht während Kindermans Ermittlungen eine Freundschaft zwischen ihm und Karras, die im Drehbuch stark reduziert wird – dort gibt es nur einen Austausch zwischen beiden, während sie im Roman noch deutlich öfter und länger miteinander sprechen. Auch Karras erhält in der Vorlage noch deutlich mehr Raum, sein Verhältnis zu seiner Mutter und die Trauer über den Tod werden ausführlicher thematisiert, ebenso wie sein Ringen um den Glauben und seine Freundschaft zu Father Dyer (William O’Malley). Somit liegt der Fokus des Films noch stärker auf Regan und Chris, als es im Roman der Fall ist.

Umsetzung
Blatty hatte den Luxus, nicht nur Drehbuchautor, sondern auch Produzent des Films zu sein und somit Regisseurwahl zu haben. Während dem Studio Warner Bros. Kandidaten wie Stanley Kubrick oder Mark Rydell vorschwebten, hatte Blatty William Friedkin im Sinn, da er sich eine naturalistische, fast schon dokumentarische Herangehensweise an seinen Roman wünschte. Erst, nachdem Friedkins Film „The French Connection“ den Oscar als bester Film gewann, konnte das Studio von Blattys Wahl überzeugt werden. Trotz dieses Umstandes kam es immer wieder zu gewissen Reibereien zwischen Regisseur und Drehbuchautor. Wie dem auch sei, die naturalistische Herangehensweise geht als Konzept jedenfalls voll auf – „The Exorcist“ fühlt sich, gerade im ersten Akt, kaum wie ein Horrorfilm, sondern eher ein Drama an. Diese Wahrnehmung wird beispielsweise durch extrem spärlichen Musikeinsatz hervorgerufen. Musik von Lalo Schifrin, der ursprünglich einen Score schreiben sollte, wurde verworfen und schließlich entschied sich Blatty, vor allem auf bereits existierende Musik, primär zeitgenössische Klassik (etwa Krzysztof Penderecki) sowie einige Stücke von Jack Nitzsche zu setzen, die entweder diegetisch sind oder sehr atmosphärisch und kaum auffällig. Selbst das markanteste Stück des Soundtracks, Tubular Bells, geschrieben von Mike Oldfield, findet nur sehr sparsam Verwendung. Anstatt früh mit Schockmomenten zu arbeiten, konzentrieren sich Blatty und Friedkin darauf, die Charaktere zu etablieren, die stets voll geformte Figuren sind, die nachvollziehbar handeln.

Die ersten erschreckenden oder zumindest unbehaglichen Momente des Films sind diesem Ansatz folgend dann auch keine okkulten Vorkommnisse, sondern die sehr realen Behandlungsmethoden, die Regan über sich ergehen lassen muss und Friedkin seinem Publikum schonungslos zumutet. Erst nach und nach wird die Präsenz des Übernatürlichen stärker und beispielsweise durch das kurze Einblenden einer dämonischen Fratze verdeutlicht. Durch diesen langsamen und behutsamen Aufbau wirken die tatsächlichen Schockmomente dann auch umso grauenhafter. Freilich ist „The Exorcist“ in mancher Hinsicht nicht immer gut gealtert, was jedoch weniger an den Effekten oder dem Make-up liegt – gerade Letzteres ist nach wie vor über jeden Zweifel erhaben – sondern an dem Grad der Übersättigung. Wie oft wurden die ikonischen Besessenheits- oder Exorzismus-Szenen in Film parodiert oder in Sketchen auf die Schippe genommen? Aber gerade weil der Film so gute Aufbauarbeit leistet, fällt das bei der Komplettsichtung kaum ins Gewicht. Wie selten diese Akribie geworden ist, zeigt ein aktueller Vergleich. „The Pope’s Exorcist“ (2023) von Julius Avery, mit Russel Crowe als stark fiktionalisierte Version des tatsächlichen vatikanischen Exorzisten Gabriele Amorth, hat mehr oder weniger denselben Plot wie „The Exorcist“, inklusive eines besessenen Kindes und eines erfahrenen Dämonenaustreibers, der einem jüngeren Kollegen zur Seite steht. Das inhaltliche Äquivalent der ersten beiden Akte von „The Exorcist“, potentiell sogar noch mehr, handelt „The Pope’s Exorcist“ in etwa zehn Minuten ab, um statt sauberer Charakterarbeit mehr Spektakel und noch eine zusätzliche Verschwörung zu bieten. Dieser Fehler unterläuft so vielen Nachahmern von Friedkins Film, weshalb „The Exorcist“ nicht nur Begründer, sondern nach wie vor Champion seines Horror-Subgenres ist.

Der Ursprung des Bösen
So genau die Filmadaption Blattys Roman auch folgt, es gibt einen massiven Unterschied, der allerdings erst wirklich beim genauen Vergleich zutage tritt: die Präsenz des Übernatürlichen. Zumindest als Zuschauer kann man im Film irgendwann nicht mehr bestreiten, dass hier tatsächlich etwas geschieht, das eigentlich nicht geschehen dürfte, spätestens dann, wenn Regan ihren Kopf um 180 und später um 360 Grad dreht. Generell ist der Film bzgl. der dämonischen Besessenheit und der übernatürlichen Vorkommnisse sehr viel expliziter. Die meisten Elemente kommen in irgendeiner Form auch im Roman vor, aber weniger extrem. So dreht Regan ihren Kopf unnatürlich weit, aber nicht vollständig, die Telekinese fällt sehr viel subtiler aus und auch beim Ende gibt es einen Unterschied: Im Film sehen wir deutlich, wie der Dämon in Karras‘ Körper springt, seine Haut wird von einer Sekunde auf die andere Aschfahl und seine Augen wechseln die Farbe, dann gelingt es Karras, die Kontrolle zurückzuerlangen und aus dem Fenster zu springen. Im Roman hingegen erleben wir diese Szene aus der Perspektive von Chris – die sich gerade im Nebenzimmer befindet und das Geschehen lediglich hört. Für viele der anderen übernatürlichen Vorkommnisse werden zumindest potentiell naturalistische Erklärungen geliefert, oftmals von Karras selbst. Zusätzlich existiert im Roman ein Buch, das dämonische Besessenheit detailliert beschreibt – und das Karl irgendwann unter Regans Bett findet – über die nötigen Informationen verfügt sie also. Angesichts der extremen Ereignisse wirken diese naturalistischen Erklärungsversuche zwar mitunter recht weit hergeholt, aber dennoch versucht Blatty, die Ambiguität so lange wie möglich aufrecht zu erhalten und kann sich bis zum Schluss nicht völlig von ihr trennen. Im Film dagegen geht sie nicht nur sehr viel früher verloren, viele der theoretischen Erklärungsversuche, etwa besagtes Buch, fehlen ebenfalls.

Was die dämonische Entität selbst angeht, halten sich sowohl Roman als auch Film sehr bedeckt. Inzwischen ist natürlich allzu bekannt, nicht zuletzt durch Sequels und Prequels zu „The Exorcist“, dass es ein Dämon namens Pazuzu ist, der von Regan Besitz ergreift. Pazuzu ist ursprünglich ein Wesen der assyrischen und babylonischen Mythologie, die Verkörperung des Südwestwindes und dort nicht unbedingt ein bösartiger Geist. Der Film nennt diesen Namen jedoch nicht, sondern zeigt am Anfang lediglich eine Statue Pazuzus. Im Roman wird der Name nur einmal erwähnt; Blatty impliziert hier lediglich, dass es sich um diesen Dämon handelt, der in Regan gefahren ist. Sowohl im Roman als auch im Film identifiziert sich der Dämon nie als Pazuzu, stattdessen behauptet die Entität mehrfach, Satan persönlich zu sein. Trotz der erwähnten Ambiguität deutet vor allem der Roman an, dass Merrin und Pazuzu sich bereits zuvor begegnet sind und dass der erfolgreiche Exorzismus, den Merrin viele Jahre zuvor durchgeführt hat, mit ihm zusammenhängt. Dieses Element wird später sowohl in „Exorcist II: The Heretic“ (1977) als auch den beiden Prequels „Exorcist: The Beginning“ (2004) und „Dominion: Prequel to the Exorcist“ (2005) aufgegriffen. Wie diese Filme eindrucksvoll zeigen, funktioniert Pazuzu am besten, wenn er nicht allzu genau definiert wird und ominös bleibt – verknüpft man zu viel „Lore“ mit der Entität, wird sie greif- und fassbar und sehr viel weniger verstörend. Abermals kann hier, neben den Fortsetzungen, „The Pope’s Exorcist“ als negatives Gegenbeispiel herhalten.

„The Exorcist“ ist gerade deshalb so wirkungsvoll, weil die Ereignisse scheinbar aus dem Nichts kommen, es gibt keinen spezifischen Grund, weshalb das alles gerade Regan passiert. Mehr als alles andere erforscht Blatty mit seinem Roman die Theodizeefrage und sucht nach einer Rechtfertigung für das Böse. Dabei wird deutlich, dass Blatty selbst katholisch ist – „The Exorcist“ fühlt sich erfreulicherweise aber nie wie eine Sermon oder eine Belehrung an, stattdessen bemüht sich Blatty, die Theodizeefrage auf diese Weise literarisch zu erforschen und mit seinen eigenen Zweifeln umzugehen. Ähnlich wie Tolkiens Werke wirkt „The Exorcist“ immer authentisch und ehrlich, weshalb es Roman wie Film gelingt, Gläubige wie Nichtgläubige in seinen Bann zu ziehen und zu faszinieren, selbst wenn man Blattys konservativ-katholische Weltsicht nicht teilt. Zudem sollte auch angemerkt werden, dass der eigentliche Exorzismus nicht funktioniert, Pazuzu wird nicht im eigentlichen Sinne ausgetrieben. Stattdessen opfert sich Karras, indem er den Dämon in seinen eigenen Körper einlädt.

Wirkung und Weiterführung
Nachdem sich „The Exorcist“ sowohl in Roman- als auch in Filmform als durchschlagender Erfolg erwies und vor allem die Adaption Schlagzeilen wegen der Wirkung auf das Publikum machte, war eine Fortsetzung nur eine Frage der Zeit. 1977 kam „Exorcist II: The Heretic“ in die Kinos, Linda Blair schlüpfte abermals in die Rolle von Regan MacNeil und Max von Sydow konnte, trotz Bedenken, dazu überredet werden, für einen Flashback noch einmal Father Merrin zu spielen. William Peter Blatty oder William Friedkin hingegen waren nicht beteiligt. Mehr noch, Regisseur John Boorman war kein Fan des ursprünglichen Films, empfand ihn als zu drastisch und wollte dem einen positiveren, psychologischen Thriller entgegensetzen. Das Ergebnis ist ein höchst bizarrer Film, der wenig Sinn ergibt und zurecht als eines der schlechtesten Sequels der Filmgeschichte gilt. Blatty verfasste schließlich eine eigene Fortsetzung in Romanform mit dem Titel „Legion“, erschienen 1983, als dessen Hauptfigur Kinderman fungiert. Einige Jahre später adaptierte Blatty abermals seinen eigenen Roman als Drehbuch und führte dieses Mal sogar selbst Regie, war aber gezwungen, viele Kompromisse einzugehen. So hatte er beispielsweise ursprünglich vorgehabt, den Film ebenfalls mit „Legion“ zu betiteln, das Studio bestand jedoch darauf, ihn „The Exorcist III“ zu nennen. Auch findet sich in der Vorlage kein Exorzismus, Blatty wurde jedoch genötigt, einen in den dritten Akt des Films einzubauen, um so den Titel zu rechtfertigen. Dennoch gilt „The Exorcist III“ als Geheimtipp unter Fans des ersten Films und unter Horror-Fans im Allgemeinen und als einziger dieser inzwischen sechs Filme umfassenden Reihe, der dem Original auch nur ansatzweise das Wasser reichen kann.

Und nicht nur innerhalb der eigenen Filmreihe bleibt „The Exorcist“ ungeschlagen. Im Laufe der Jahrzehnte nahmen sich viele Filmemacher Blattys und Friedkins Werk als Vorbild und drehten ihren eigenen Exorzismus-Film – nur wenigen gelang es allerdings, der Thematik etwas Neues abzuringen oder auch nur an das handwerkliche oder inhaltliche Level des Vorbilds heranzureichen. So wirken die meisten Exorzismus-Filme – ich erwähnte bereits „The Pope’s Exorcist“ – wie ein minderer Abklatsch des Originals. Parodien wie „Repossessed“ (1990), abermals mit Linda Blair in der Rolle der Besessenen, oder die Eröffnungsszene von „Scary Movie 2“ (2001) tun ihr Übriges, ebenso wie die weiter schwindende Qualität des Exorcist-Franchise. Der Versuch, ein Prequel mit Stellan Skarsgård zu drehen, erwies sich als äußerst abenteuerliche Angelegenheit, deren Resultat zwei nicht besonders hochwertige Filme waren, die irgendwann ihren eigenen Artikel bekommen werden. Noch obskurer ist eine aus zwei Staffeln bestehende Fortsetzung in Serienform, ebenfalls „The Exorcist“ betitelt, die von 2016 bis 2017 auf Fox lief und sowohl Pazuzus als auch Regans Rückkehr zeigt – Letztere dieses Mal gespielt von Geena Davis. Die erste Staffel habe ich tatsächlich gesehen, kann mich aber an nicht allzu viel erinnern. Und dann hätten wir schließlich noch „The Exorcist: Believer“, das Blumhouse-Legacy-Sequel von David Gordon Green, das ich noch nicht in Augenschein nehmen konnte, dessen Rezeption allerdings katastrophal ist.

Fazit: „The Exorcist“ ist nicht nur einer der absoluten Klassiker des Horror-Genres, sondern eine der zugleich werkgetreusten und gelungensten Adaptionen eines Romans. Die vielleicht größte Änderung ist die Präsenz des Übernatürlichen, die im Film deutlich stärker und definitiver ausfällt als im Roman. Dies ändert zwar per se nichts an der philosophischen Grundhaltung, sehr wohl aber an der Ausprägung der Themen, mit denen sich Blatty in Buch und Film beschäftigt. Der Zweifel ist im Roman allgegenwärtig, wird im Film jedoch irgendwann ad acta gelegt.

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Darth Maul: Shadow Hunter

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Darth Maul gehört zu den Star-Wars-Figuren, die im Verlauf ihrer Existenz eine faszinierende Wandlung durchgemacht haben. Ursprünglich ersann George Lucas Maul für „Star Wars Episode I: The Phantom Menace“ als primärer, lichtschwertschwingender Widersacher der Helden und damit quasi als Ersatz für Darth Vader. Allein aufgrund seines Aussehens wusste Maul das Fandom für sich einzunehmen – und das, obwohl an der Charakterisierungsfront nun wirklich nicht viel passiert und Maul über kaum ein halbes Dutzend Dialogzeilen im Film verfügt. Aber Lucas und Team hatten bekanntermaßen schon immer ein Händchen dafür, visuell einprägsame Schurkenfiguren zu kreieren, die enorm beliebt werden; siehe Boba Fett. Nachdem Maul bereits in seinem ersten Film relativ unrühmlich abserviert wurde, schien es die Verantwortlichen bei Lucasfilm lange in den Fingern zu jucken, den gehörnten Sith-Lord auch in Geschichten, die nach „The Phantom Menace“ spielen, auftauchen zu lassen. Dies geschah in mehreren Comic-Kurzgeschichten, deren Kanon-Status selbst in der Legends-Koninuität bestenfalls wackelig ist. Unter anderem ließen die Comicautoren einen wohl mit Sith-Alchemie rekonstruierten Maul gegen Darth Vader antreten (in der Kurzgeschichte „Resurrection“ aus der Serie „Star Wars Tales“) und eine holographische Projektion durfte sich mit Luke messen (in „Phantom Menaces“, ebenfalls „Star Wars Tales“). Die Idee eines überlebenden Maul geisterte ebenfalls bereits seit 2005 durch den Äther – in der Geschichte „Old Wounds“, erschienen als Teil der Kurzgeschichtensammlung „Star Wars Visionaries“, die die Werke diverse Concept Artists von „Star Wars Episode III: Revenge of the Sith“ sammelt, konfrontiert Maul mit an General Grievous erinnernden Droidenbeinen einen gealterten Obi-Wan Kenobi auf Tatooine. Diese Story war definitiv nie Teil der Kontinuität, inspirierte aber zweifelsohne seine ersten Auftritte in „Star Wars: The Clone Wars“ und auch sein finales Schicksal in „Star Wars Rebels“.

Und damit wären wir auch schon bei der Crux der Sache, denn nicht nur kehrte Maul in der vierten Staffel von „The Clone Wars“ zurück, er schlug einen völlig neuen Pfad ein, versuchte sein eigenes Ding zu drehen, eroberte Mandalore, vereinte mehrfach diverse Verbrechersyndikate unter sich, überlebte bis in die Zeit des Imperiums und bekam in „Solo: A Star Wars Story“ sogar einen weiteren Realfilmauftritt. Der Maul, der schließlich in „Rebels“ und „Solo“ auftaucht, hat mit der ursprünglichen Inkarnation, die kaum mehr als ein Werkzeug Darth Sidious‘ war, nur noch wenig zu tun. Gerade in diesem Kontext ist es interessant, zu Mauls ursprünglicher Charakterisierung zurückzukehren – und wie ginge das besser als mit Michael Reaves‘ Roman „Darth Maul: Shadow Hunter“.

„Shadow Hunter“ knüpft inhaltlich direkt an die vierteilige Dark-Horse-Miniserie „Darth Maul“ von Texter Ron Marz und Zeichnerin Jan Duursema an. Nachdem Maul die Schwarze Sonne, das größte Verbrechersyndikat der Galaxis gnadenlos dezimiert hat, schickt Darth Sidious seinen Schüler auf eine neue Mission. Die Belagerung Naboos durch die Handelsföderation steht kurz bevor, doch Hath Monchar, einer der Neimoidianer, die das Konglomerat anführen, hat sich dazu entschlossen, diese Information an den Meistbietenden zu verhökern. Da dieser Umstand Sidious‘ Pläne empfindlich stören könnte, besonders, sollten die Informationen rund um die Blockade in die Hände der Jedi fallen, setzt er Maul auf Hath Monchar an. Dieser versucht derweil, besagte Informationen an den Mann zu bringen und findet in dem Informationshändler Lorn Pavan einen interessierten Käufer. Natürlich ahnt Pavan nicht, dass er sich damit ebenfalls zum Ziel Mauls macht. Maul selbst ist von dieser Mission nicht allzu angetan, da er sie als unter seiner Würde betrachtet, doch die Lage wird für ihn interessanter, als die Jedi Darsha Assant, eine Padawan kurz vor der Ritterprüfung, eher durch Zufall in die Situation verwickelt wird.

„Darth Maul: Shadow Hunter“ ist alles in allem eine verhältnismäßig kleine und begrenzte Geschichte. Schauplatz ist, von einigen Kontext-Szenen mit Nute Gunray und Co. einmal abgesehen, ausschließlich Coruscant, die Zahl der teilnehmenden Akteure ist ebenfalls sehr begrenzt und die gesamte Handlung nimmt auch relativ wenig Zeit in Anspruch. Beim Abfassen des Romans dürfte Michael Reaves vor den üblichen Problemen gestanden haben: Darth Maul, vor allem in seiner ursprünglichen Inkarnation, ist kein allzu ergiebiger Protagonist. Wo sich die Miniserie von Ron Marz und Jan Duursema auf die visuellen Aspekte und die Action konzentrieren kann, muss Reaves in größerem Ausmaß Innenleben und Dialoge liefern. Wie so häufig in Sith-zentrischen Romanen entschied sich Reaves, den eigentlichen Titelhelden bzw. -schurken Titelfigur zwar zu einer, aber nicht DER zentralen Figur zu machen. Ähnliches lässt sich auch in „Dark Lord: The Rise of Darth Vader“ von James Luceno oder „Darth Bane: Rule of Two“ von Drew Karpyshyn beobachten. Während wir als Leser durchaus Einblicke in Mauls Gedankenwelt bekommen, sind es doch eigentlich Lorn Pavan und Darsha Assant, zusammen mit dem Droiden I-5YQ, die die Handlung tragen, während Maul trotz allem die Antagonistenrolle innehat – zumindest in der zweiten Hälfte des Romans. Das Gegenbeispiel hierzu wäre Lucenos „Darth Plagueis“ – hier sind tatsächlich fast ausschließlich der titelgebende Dunkle Lord sowie Darth Sidious die Figuren, denen wir folgen.

Gemessen an der Begrenztheit der Handlung gelingt es Reaves trotzdem, einige interessante Fragen aufzuwerfen, auch wenn er sie vielleicht nicht mit der Ausführlichkeit behandeln kann, die sie verdienen. Zum einen gibt er zumindest ein paar Einblicke in die Gedankenwelt der Sith-Lords Maul und Sidious, ohne natürlich allzu sehr ins Detail gehen zu können. Bevor Episode III in die Kinos kam, war es im Expanded Universe Usus, Palpatine und Sidious als zwei unterschiedliche Figuren zu behandeln – da „Shadow Hunter“ 2001, also noch vor „Attack of the Clones“ erschien, fällt er genau in diese Ära. Interessanterweise bestätigt „Shadow Hunter“ aufgrund des Twists am Ende praktisch, dass Palpatine und Sidious dieselbe Person sind. Wer sich hier mehr Informationen über die Sith erhofft, wird wahrscheinlich enttäuscht, da Reaves kaum mehr als recht vage Andeutungen machen kann. Was die Charakterisierung Mauls angeht, hält sich Reaves klar an den damals herrschenden Standard, will heißen: Anders als die TCW-Inkarnation der Figur hat Maul hier keinerlei eigene Ambitionen, die über die Erfüllung der Pläne seines Meisters hinausgehen. Er verschwendet keinerlei Gedanken daran, eines Tages vielleicht gegen Sidious zu kämpfen, um ihm den Titel des Sith-Meisters abzuringen, wie es die Regel der Zwei verlangen würde. Wenn er versagt, erwartet er nicht nur eine Bestrafung, er ist der Meinung, jedwede Maßnahme, die Sidious für richtig hält, auch verdient zu haben. Die Idee, seinen Meister zu belügen, erscheint ihm völlig absurd. Dennoch ist Arroganz ein entscheidender Charakterzug, primär Arroganz gegenüber allem, was nicht Sith ist – also allem außer ihm selbst und Darth Sidious. Diese Arroganz und das damit verbundene Überlegenheitsgefühl verleiten Maul dazu, seine Gegner zu unterschätzen und Fehler zu machen. Hier knüpft Reaves schön an die Maul-Miniserie an, in der diese Thematik ebenfalls dominant ist. In „Darth Plagueis“ lässt James Luceno Sidious beide Einsätze entsprechend kommentieren.

Tatsächlich interessanter als Mauls Innenleben sind allerdings Lorn Pavan und Darsha Assant, weil sie im Grunde zwei Perspektiven auf den späten Jedi-Orden liefern, eine positive und eine ehr kritische. Lorn Pavan hat seine eigene Geschichte mit den Jedi, er war Angestellter im Tempel, als sich jedoch herausstellte, dass sein kleiner Sohn machtsensitiv ist, wurde dieser von den Jedi „eingezogen“ und Lorn Pavan wurde entlassen, um Bindungen zu vermeiden. Besagter Sohn, Jax Pavan, wird später übrigens Protagonist in diversen anderen Reaves-Romanen. Dementsprechend ist Lorn Pavan nicht allzu gut auf die Jedi zu sprechen. Für Darsha Assant hingegen sind die Jedi eine Ersatzfamilie, sie dominieren ihre ganze Welt. Beide lernen im Verlauf des Romans allerdings den Standpunkt des jeweils anderen kennen und ein Stück weit verstehen, wodurch sie einander schließlich auch Sympathie und Kameradschaft entgegenbringen. Das alles ist relativ knapp gehalten, funktioniert aber dennoch recht gut, da Reaves hier die Probleme, aber auch die Vorzüge des Jedi-Ordens als eine Art Mikrokosmos, heruntergebrochen auf zwei Individuen zeigt. Die ganze Angelegenheit besitzt zudem von Anfang an eine gewisse Tragik, da man als Leser natürlich weiß, dass die Schurken am Ende gewinnen müssen und Lorn und Darsha quasi zum Tode verurteilt sind.

Stilistisch sticht Reaves weder besonders positiv noch negativ aus der Masse der Star-Wars-Literatur heraus, „Darth Maul: Shadow Hunter“ ist flüssig, spannend und gut lesbar geschrieben, verfügt aber weder über den Detailreichtum eines James Luceno, noch über die Metapherndichte eines Matthew Stover. Reaves hat die Angewohnheit, immer wieder in die Köpfe seiner Charaktere zu blicken und uns an ihren inneren Prozessen teilhaben zu lassen, was meistens ganz gut funktioniert. Gerade bei Maul und Sidious fällt das mitunter etwas knapper und vager aus, was aber an den oben erwähnten Beschränkungen liegt, schließlich sollten viele Fragen, die „The Phantom Menace“ aufwarf, erst in den folgenden beiden Filmen oder sogar späteren Romanen beantwortet werden (Stichwort: „Darth Plagueis“). Wenn man Reaves etwas vorwerfen kann, dann ist es, dass hier vielleicht ein, zwei Mal zu häufig der Zufall bzw. Plot Convinience bemüht wird. Dieses Element kann man allerdings auch positiv bewerten, denn ausnahmsweise hilft die Plot Convinience nicht den Helden, sondern Sidious und Maul. Vielleicht ist die Macht bereits so im Ungleichgewicht zugunsten der Sith, dass jegliche Bemühungen schließlich und endlich zum Scheitern verurteilt sind. Wie man es jedoch auch dreht und wendet, dieser Umstand sorgt dafür, dass Maul weniger kompetent erscheint. Ein weiterer Kritikpunkt ist relativ typisch für Star-Wars-Literatur im Allgemeinen: War es wirklich nötig, Obi-Wan unbedingt einen kleinen Subplot zu verpassen und ihn so mehr oder weniger knapp an Maul vorbeischrammen zu lassen?

Im August 2022 erschien „Darth Maul: Shadow Hunter“ im Rahmen der „Essential Legends Collection“, was vor allem einen Vorteil hat: Zusätzlich zur gedruckten Neuauflage mit neuem Cover veröffentlichte man auch ein überfälliges, ungekürztes Hörbuch. Oft werden für diese Hörbücher Veteranen wie Marc Thompson oder Jonathan Davis herangezogen, hin und wieder wählt man allerdings auch besondere Interpreten. Für „Shadow Hunter“ verpflichtet man Sam Witwer, eine durchaus passende Wahl, gehören doch zu den Star-Wars-Charakteren, denen er seine Stimme lieh, neben dem Sohn aus der Mortis-Trilogie in „The Clone Wars“, Starkiller in den beiden Force-Unleashed-Spielen und Hugh Sion in „Star Wars: Resistance“ eben auch Sidious (in „The Force Unleashed“ und „Rebels“) und natürlich vor allem Maul („The Clone Wars“, „Rebels“ und „Solo: A Star Wars Story“). Dementsprechend lebhaft und stimmenreich ist Witwers Lesung des Romans. Vor allem sein Maul ist wirklich gelungen, seine Imitation von Liam Neeson (Qui-Gon hat ein, zwei kurze Gastauftritte) ist allerdings auch äußerst überzeugend. Mit seinem Palpatine/Darth Sidious hingegen bin ich nie so recht warm geworden. Witwers Auslegung der Figur war für mich immer ein wenig zu nah an der Parodie. Zudem basiert Witwers Sidious stark auf der Episode-VI-Inkarnation der Figur, während Ian McDiarmid den Imperator in Spee in „The Phantom Menace“ deutlich barscher und geschäftsmäßiger parlieren lässt. Trotz dieses kleinen Mankos ist die Lesung sehr zu empfehlen, vor allem, da Witwer in weitaus größerem Ausmaß mit dem Text mitgeht, als man das sonst vielleicht gewohnt ist und besonders in intensiven Szenen oder Passagen, die in die Gedankenwelt der Charaktere eintauchen, den Erzähler an die entsprechende Figur angleicht. Wer eine ruhigere, ebenmäßigere Lesung bevorzugt, wird damit wahrscheinlich nicht unbedingt glücklich werden, aber wer einem animierten, lebhaften Vortrag des Textes etwas abgewinnen kann, sollte sich das Hörbuch unbedingt zu Gemüte führen.

Fazit: „Darth Maul: Shadow Hunter“ ist ein sehr kurzweiliger, wenn auch in seiner Reichweite begrenzter Roman, der trotz seiner Kürze einige durchaus interessante Ideen vermittelt und einen interessanten Kontrast zum Maul der Disney-Ära schafft. Gerade als Hörbuch sehr empfehlenswert.

Bildquelle

Siehe auch:
Darth Maul
Darth Maul: Son of Dathomir
Darth Plagueis
Solo: A Star Wars Story – Ausführliche Rezension

Art of Adaptation: Hannibal

Halloween 2023
Hannibal_1999_Book_Cover
Thomas Harris ist kein Vielschreiber. Für „The Silence of the Lambs” brauchte er sieben Jahre, und nachdem der zweite Hannibal-Lecter-Roman sich als enorm erfolgreich erwies, von der Verfilmung gar nicht erst zu sprechen, nahm sich Harris noch mehr Zeit, um die Fortsetzung zu verfassen. Elf Jahren sollten vergehen, bis „Hannibal“ 1999 erschien. Anders als die beiden Vorgänger wurde der Roman sehr zwiespältig aufgenommen, ein Schicksal, das er mit dem Film teilt. Das mag auch daran liegen, dass sich „Hannibal“ stark von seinen Vorgängern unterscheidet, was sowohl inhaltliche als auch externe Gründe hat. Zum einen ließ Harris Hannibal Lecter in „Silence“ ausbrechen, das heißt, das Muster des Ermittlers, der den einsitzenden Serienkiller in einem Fall konsultiert, konnte nicht mehr verwendet werden. Zum anderen hatte Harris eine potentielle Verfilmung vermutlich bereits im Hinterkopf, und so legte er den Fokus auf das Element, von dem er glaubte, dass seine Leserschaft es wollte: Mehr Hannibal und seine Beziehung zu Clarice Starling.

Handlung und Konzeption
Strukturell sind „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs” einander sehr ähnlich: Beiden Romanen liegt eine klassische Krimihandlung zugrunde, ein Ermittler, Will Graham bzw. Clarice Starling, ermittelt im Fall eines Serienkillers und zieht dabei den eingesperrten Kannibalen Hannibal Lecter zurate. Und in beiden Romanen erforscht Harris nicht nur die Persönlichkeit besagten Ermittlers, sondern auch die des gejagten Serienkillers, den der Leser deutlich vor dem Ermittler kennenlernt. „Hannibal“ ist der erste Roman der Lecter-Reihe, der aus diesem Muster ausbricht, nicht zuletzt deshalb, weil auch Hannibal Lecter im letzten Drittel von „The Silence of the Lambs“ ausgebrochen ist und sich zu Beginn von „Hannibal“ bereits seit Jahren auf freiem Fuß in Florenz befindet, also nicht in der Lage ist, bei einem wie auch immer gearteten Fall zu helfen oder den Serienkiller per Zeitungsannonce auf den Ermittler aufmerksam zu machen. Folgende Inhaltsangabe deckt sowohl den Roman als auch den Film ab.

Seitdem sie Jame Gumb gestellt und getötet hat, ist Clarice Starling (Julianne Moore) eine vollwertige FBI-Agentin, allerdings läuft es derzeit nicht allzu rosig. Nach einem verpatzten Einsatz versucht das Bureau, Starling zum Sündenbock zu machen – besonders Paul Krendler (Ray Liotta) vom Justizministerium scheint es auf Starling abgesehen zu haben. Just in diesem Moment erhält Starling einen Brief von Hannibal Lecter (Anthony Hopkins). Zudem scheint das einzige überlebende Opfer Lecters, der reiche, aber entstellte und gelähmte Mason Verger (Gary Oldman in phänomenalem Make-up) über eine neue Spur zu verfügen. Seine Informationen gibt Verger allerdings nicht aus purer Herzensgüte heraus, stattdessen ist er auf Rache aus und kocht sein eigenes Süppchen, um den kannibalischen Psychiater einzufangen. Lecter selbst betätigt sich derweil unter dem Decknamen „Dr. Fell“ als Kurator der Capponi-Bibliothek in Florenz, wo allerdings der Polizist Rinaldo Pazzi (Giancarlo Giannini) auf ihn aufmerksam wird, um schließlich Mason Verger zu informieren. Lecter gelingt es allerdings, Pazzi und Vergers Häschern zu entgehen und nach Amerika zurückzukehren – allerdings nicht, ohne Pazzi vorher auf äußerst unschöne Art zu töten. Zurück in den USA gelingt es Verger dann allerdings doch, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, Lecter in seine Gewalt zu bringen. Um sich an ihm zu rächen, möchte Verger den Psychiater an eine Horde speziell gezüchteter Wildschweine verfüttern. Nun ist es an Starling, Lecter zu retten oder ihn sterben zu lassen…

Hier zeigt sich relativ eindeutig, wie Harris die Struktur der ersten beiden Lecter-Romane hinter sich lässt. Einige Elemente behält er allerdings auch bei – so ist Lecter in keinem der Romane beispielsweise der zentrale Antagonist, auch wenn sich seine Rolle von Roman zu Roman wandelt. In „Red Dragon“ lässt er sich am besten als sekundärer Antagonist beschreiben, in „The Silence of the Lambs“ hat er eher eine Mentorenrolle und in „Hannibal“ beginnt er, sich als sekundärer Protagonist fast schon zum Antihelden zu entwickeln; eine Entwicklung, die ihren Höhepunkt in „Hannibal Rising“ findet. Zentraler Antagonist ist in „Hannibal“ Mason Verger, der jedoch ein völlig anderes Biest ist als Francis Dolarhyde oder Jame Gumb. Auch Mason Verger ist zweifelsohne ein menschliches Monster, aber definitiv kein sozial gehemmter Serienkiller, der von seinen Psychosen getrieben wird. In gewisser Weise erinnert Verger, auf der einen Seite körperlich entstellt und völlig hilflos, auf der anderen aber aufgrund seines Reichtums extrem mächtig und zudem sadistisch, eher an einen Comic- oder Bond-Schurken. Gerade im Kontrast zu den (verhältnismäßig) geerdeten und realistischen, wenn auch überhöhten Serienmördern in „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs“ ist Mason Verger, der seine Martinis gerne mit Kindertränen angereichert trinkt und bereits gemeinsam mit Idi Amin seinem mörderischen Hedonismus frönte, doch reichlich over the top.

Dementsprechend ist der Plot von „Hannibal“ auch nicht als Krimihandlung inszeniert. Zwar gibt es durchaus Ermittlungsarbeiten, diese treten allerdings rasch in den Hintergrund. In einer Rezension, die ich vor vielen Jahren einmal gelesen habe (unglücklicherweise weiß ich nicht mehr, wo) wurde „Hannibal“ recht treffend beschrieben als Versuch, eine „barocke Blutorgie“ zu inszenieren. Tatsächlich wirkt es so, als versuche Harris „Hannibal“ zum Epos zu machen, mit einer deutlich weiteren und umfangreicheren Erzählweise. Vor allem die Florenz-Passagen stechen hier hervor. Zudem werde zumindest ich den Gedanken nicht los, dass Harris den Roman bereits mit dem Gedanken an eine potentielle Verfilmung verfasste: Mehr Action, mehr Nervenkitzel, generell mehr Grandeur. Und zumindest in Teilen wird das durchaus auch genutzt: Die düsteren Keller und verfallenen Häuser des Vorgängers werden durch die üppige Panoramaaufnahmen von Florenz ersetzt und wo die Konfrontation der Ermittlerin mit dem Serienkiller der Höhepunkt an Action war, beginnt „Hannibal“ bereits mit einem FBI-Großeinsatz.

Ist weniger mehr?
Dass „Hannibal“ verfilmt werden würde, war angesichts des Erfolges von „The Silence of the Lambs“ von Anfang an klar. Allerdings waren weder Regisseur Jonathan Demme noch Hauptdarstellerin Jodie Foster geneigt, sich an der Fortsetzung zu beteiligen – beiden behagte die Entwicklung der Geschichte und vor allem das Ende nicht. Aus diesem Grund wandte sich Produzent Dino de Laurentiis, Produzent aller vier Lecter-Filme, an einen Hochkaräter, dessen Film „Gladiator“ zuvor den Oscar als bester Film gewonnen hatte: Ridley Scott. Tatsächlich schlug de Laurentiis Scott bereits am Set von „Gladiator“ die Regie für „Hannibal“ vor, was dieser allerdings zuerst ablehnte, da er dachte, es handle sich um einen Film über den punischen Heerführer und er nach „Gladiator“ nicht schon wieder ein Historienepos drehen wollte. Das Drehbuch von David Mamet und Steven Zaillian überzeugte ihn dann allerdings. Während Anthony Hopkins als Lecter zurückkehrte (ohne seine Beteiligung wäre der Film kaum denkbar gewesen), besetzten Scott und de Laurentiis Starling dieses Mal mit Julianne Moore, die das eine oder andere Mal mit Starlings Akzent kämpfen muss und auch sonst hinter Jodie Foster zurückbleibt. Außer Hopkins kehrte zudem nur ein weiterer Schauspieler aus „The Silence of the Lambs“ zurück: Frankie Faison als Barney Matthews, der nicht nur, wie Hopkins, in allen Filmen der sog. Lecter-Trilogie mitspielt, sondern auch eine kleine Rolle in „Manhunter“ innehat und damit der Schauspieler in den meisten Harris-Verfilmungen ist.

Nun ist „Hannibal“ der umfangreichste Lecter-Roman – dementsprechend musste die Filmadaption deutlich mehr Elemente auslassen, als es noch bei „The Silence of the Lambs“ der Fall war. Einige ergaben sich durch die Umstände: Scott Glenn hatte, ähnlich wie Jodie Foster, kein Interesse an einer Rückkehr als Starlings Mentor Jack Crawford, und so wurde die Figur, die im Roman ohnehin nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, komplett entfernt. Auch Starlings andere primäre Bezugsfigur, ihre Mitbewohnerin Ardelia Mapp, in „The Silence of the Lambs“ gespielt von Kasi Lemmons, fiel der Schere zum Opfer. Schon im Roman hat Starling scheinbar nur wenige soziale Kontakte, ohne Mapp und Crawford wirkt sie im Film nun fast völlig isoliert. Auch einige für „Hannibal“ neu geschaffene Figuren wurden ausgelassen, so etwa Mason Vergers Schwester Margot – auf sie werde ich in einem zukünftigen Artikel noch zu sprechen kommen. Zudem wurden zwei von Vergers Lakaien, Cordell und Dr. Doemling, zu einer Figur verschmolzen – Dr. Cordell Doemling (Željko Ivanek), der zu allem Überfluss auch noch Margots Rolle übernimmt, denn im Roman ist sie es, die ihren verhassten Bruder tötet, während diese Aufgabe im Film Cordell zugedacht wurde.

Von den geschnittenen Subplots und Figuren einmal abgesehen folgt der Film der Romanhandlung relativ genau und arbeitet zumindest die wichtigsten Stationen der Handlung ab, auch wenn hier und da einige Umstrukturierungen stattfinden. Das Gespräch zwischen Barney und Verger, mit dem der Film eröffnet wird, findet bei Harris beispielsweise erst in der Mitte des Romans statt und die Endszene im Flugzeug, in der Hannibal einem Kind etwas zu essen anbietet stammt, anders kontextualisiert, ebenfalls aus der Mitte des Romans. Wie nicht anders zu erwarten werden zudem diverse Details ausgespart: Nach ihrem Besuch bei Mason Verger führt Starling auf der Suche nach Lecter noch weitaus umfangreichere Ermittlungen durch und besucht beispielsweise das inzwischen größtenteils leerstehende Gebäude, in dem Hannibal Lecter so viele Jahre lang eingesperrt war. Dreh- und Angelpunkt dieser Ermittlungen ist ein Detail, das in den Filmen ohnehin nicht vorkommt: Lecters zusätzlicher Finger an einer Hand, den er sich chirurgisch entfernen ließ. Ebenfalls stark reduziert wird Lecters Rückkehr nach Amerika, diese sowie die Vorkehrungen und Maßnahmen, die der Doktor trifft, schildert Harris sehr ausführlich, im Film hingegen werden sie kaum thematisiert.

Gerade im Kontext des Medienwechsels ist zudem die Gewaltdarstellung ein sehr interessantes Thema, auch in Hinblick auf die anderen Romane und Filme. „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs“ sowie ihre zugehörigen Filmumsetzungen schilderten bzw. zeigten selten die Morde an sich, sondern ließen uns als Zuschauer und Leser eher die Nachwirkungen erforschen – die große Ausnahme diesbezüglich ist natürlich Lecters Ausbruch. Im Gegensatz dazu finden sich in „Hannibal“ diverse perfide Morde, die der Doktor begeht, zusätzlich zu nicht primär tödlichen Gemeinheiten – Stichwort: Mason Vergers Verstümmelung. Diese wird im Roman nur rückblickend von Verger selbst geschildert, der Film hingegen zeigt sie als recht verschwommenen Rückblick – allerdings kein Vergleich zu dem, was die Serie „Hannibal“ aus dieser Szene machen sollte. Generell ist „Hannibal“ – egal ob Buch oder Film – in der Gewaltdarstellung sehr viel expliziter und überdrehter. In „The Silence of the Lambs“ war Lecters Ausbruch gerade deshalb so schockierend, weil er der einzige Vorfall dieser Art war, während der Rest des Films sich auf implizierte Gewalt verließ. „Hannibal“ dagegen such nur allzu oft den schieren Schock, sei es beim Tod Rinaldo Pazzis oder in der berühmt berüchtigten Gehirn-Szene. Mason Vergers Tod, so unangenehm er auch sein mag, ist im Vergleich zum Roman allerdings etwas, sagen wir, „entschärft“. Generell scheint mir dieser Hang zur Exploitation in „Hannibal“ eher kontraproduktiv zu sein, primär, weil er die Suspense unterminiert und Selbstzweck zu sein scheint. Dies steht in einem interessanten Kontrast zur Serie „Hannibal“, die zwar über eine nicht minder drastische Gewaltdarstellung verfügt, diese aber in einen völlig anderen konzeptionellen und narrativen Kontext setzt.

Die Vollendung der Metamorphose: Mehr von Hannibal und Clarice
Metamorphose war stets ein essentielles Thema in den bisherigen Hannibal-Lecter-Romanen und -Filmen – primär als motivierende Psychose des jeweiligen Serienkillers. In „Red Dragon“ ist es die mentale Transformation Francis Dolarhydes in den großen roten Drachen und in „The Silence of the Lambs“ Jame Gumbs Wunsch nach körperlicher Metamorphose. In „Hannibal“ ist es der titelgebende Doktor selbst, der diese Thematik fortsetzt. Nachdem in den vergangenen beiden Romanen verhältnismäßig wenig über Hintergründe und Werdegang des kultivierten Kannibalen enthüllt wurde, gibt Harris in „Hannibal“ erste Details, die er in „Hannibal Rising“ weiter ausarbeiten sollte. Als Ursprung von Lecters, nennen wir es einmal „Geisteshaltung“, denn Psychose trifft es definitiv nicht, inszeniert Harris den gewaltsamen Tod von Lecters Schwester Mischa, den er in jungen Jahren miterleben musste, als Lecters Elternhaus in Litauen während des Zweiten Weltkriegs von Nazi-Kollaborateuren überfallen wird. Diese töten Mischa nicht nur, sondern verspeisen sie aufgrund der Lebensmittelknappheit auch – und füttern den jungen Hannibal Lecter ebenfalls mit ihr. Diese Idee einer Freudschen Entschuldigung für Lecters Kannibalismus kam unter Fans des Doktors überhaupt nicht gut an – wie so oft scheint eine derartige Enthüllung die enigmatische Figur zu entmystifizieren und zugleich zu banalisieren. Dennoch baut Lecters komplette Motivation im Roman auf diesem erlittenen Trauma auf. Sein letztendliches Ziel ist es, einen Platz für seine Schwester Mischa in der Welt zu finden, sie quasi zurückzubringen. Symbolisiert wird das durch eine zerbrochene Teetasse, die sich von selbst wieder zusammensetzt – eine Metapher, die immer wieder auftaucht. Der Platz, den Lecter sich schließlich für die Rückkehr seiner Schwester aussucht, ist Starling. Das kontroverse Ende des Romans steht schließlich komplett im Zeichen dieser Motivation, denn mit Drogen und Gehirnwäsche versucht Lecter tatsächlich, Starling praktisch in Mischa zu verwandeln, wobei wir wieder bei der Thematik der Metamorphose wären. Starling wehrt sich allerdings gegen dieses Vorhaben und bleibt sie selbst, was Hannibal in letzter Konsequenz akzeptiert. Stattdessen werden die beiden nun ein Liebespaar, überwinden so ihr jeweiliges Trauma und werden Jahre später von Barney in Buenos Aires beobachtet, woraufhin dieser panisch die Flucht ergreift. Dieses Ende der Lecter-Saga ist auf vielen Ebenen problematisch und wurde extrem kontrovers aufgenommen. Es scheint primär gegen Starlings fundamentale Natur und ihre Prinzipien zu verstoßen, aber auch für Lecter wirkt dieser Ausgang unangemessen.

Ganz ähnlich sahen es auch Ridley Scott, David Mamet, Steven Zaillian und Anthony Hopkins, weswegen sowohl Lecters Motivation als auch das Ende komplett geändert wurden. Mischa und sonstige Elemente des von Harris etablierten Hintergrunds der Figur tauchen im Film nicht auf, Lecters Gedankengänge, sein Antrieb bleibt dem Zuschauer verborgen. Und am Ende muss auch Starling ihre Integrität nicht opfern, sie gibt Hannibal nicht nach, sodass er sich gezwungen sieht, sich selbst die Hand abzuhacken, um fliehen zu können. Interessanterweise entledigten sich Scott und Co. so zwar der kontroversesten Elemente der Vorlage, rauben der Geschichte aber zugleich ihre thematische Grundlage. Egal, wie man Harris‘ „Hannibal“ nun bewertet, es ist definitiv ein Finale, ein Ende der Geschichte, das die Thematik der Serie weiterentwickelt und zum Abschluss bringt und zudem den Status Quo nachhaltig verändert. Im Kontrast dazu wirkt die Filmadaption beinahe belanglos, da am Ende praktisch derselbe Zustand hergestellt ist wie zu Beginn des Films: Hannibal, nun einhändig, ist auf der Flucht, während Starling einer ungewissen Zukunft beim FBI entgegenblickt. Die Frage ist nun, was man bevorzugt: Ein tatsächliches, abschließendes Ende, das die Figuren abwertet, oder ein offenes, belangloses Ende, das der Charakterisierung eher gerecht wird. Ich jedenfalls kann mich da nicht so recht entscheiden und bin mit beiden unzufrieden. Stattdessen verweise ich abermals auf die Serie „Hannibal“, die mit einer abstrahierten Version der Grundprämisse des Romans deutlich bessere Arbeit geleistet hat.

Diabolus in Musica
Viele Regisseure verlassen sich auf ein oder zwei Stammkomponisten – man denke nur an Steven Spielberg und John Williams oder Tim Burton und Danny Elfman. Ridley Scott hingegen scheint sich zwar immer wieder einen Stammkomponisten zu suchen, wechselt diesen dann aber alle paar Jahre aus. „Hannibal“ stammt aus Scotts „Zimmer-Phase“: Bereits an Gladiator arbeitete er mit Hans Zimmer zusammen und verpflichtete ihn nach „Hannibal“ auch noch für „Black Hawk Down“ und „Matchstick Men“, bevor Harry Gregson-Williams Scotts nächstes Historien-Epos „Kingdom of Heaven“ vertonte. Zimmer und sein Team knüpften zwar nicht stilistisch, sehr wohl aber methodisch an Howard Shores Score und die Musikauswahl von „The Silence of the Lambs“ an und bauten auf der Dualität von musikalischer Düsternis auf der einen und klassischer Schönheit auf der anderen an. Da Zimmer ohnehin, ähnlich wie Hannibal Lecter selbst, ein Fan von Johann Sebastian Bach ist, bildete das Werk des Barockkomponisten, primär seine lyrischen, kirchenmusikalischen Werke, die Grundlage des Scores – vor allem die Florenz-Szenen untermalt Zimmer mit überirdisch schönen Chor-Stücken und das Klavier spielt auch eine dominante Rolle. Die Horroraspekte hingegen werden zumeist durch sehr dissonante, abstrakte und häufig elektronisch verzerrte Passagen repräsentiert. Wie schon in Howard Shores Score sind Leitmotive bestenfalls von sekundärer Bedeutung, Atmosphäre und Stimmung stehen vor allem im Vordergrund.

Interessanterweise erweist sich „Hannibal“ als „Foreshadowing“ diverser populärer Zimmer-Werke der 2000er: Viele der eher elektronisch geprägten Action- und Suspense-Stücke geben bereits einen Eindruck dessen, was Zimmer später für die Dark-Knight-Trilogie komponieren sollte, während die religiös anmutenden choralen Texturen die Grundlage für den Sound der Robert-Langdon-Filme legen. Alles in allem ist „Hannibal“ unter den Lecter-Scores mit großem Abstand mein Favorit – Zimmer und Co. gelingt es hier, den Film nicht nur effektiv zu untermalen, sondern ihn aktiv aufzuwerten. Zudem beinhaltet der Soundtrack das schönste Stück, das jemals für einen Lecter-Film oder eine Lecter-Serie komponiert wurde: Die Arie Vide Cor Meum, die allerdings nicht von Zimmer, sondern von Patrick Cassidy geschrieben wurde. Den Text entnahm man Dante Aligheris La Vita Nuova. Die Arie taucht als diegetisches Stück im Film als Teil einer fiktiven Oper auf, die von Hannibal Lecter und Rinaldo Pazzi in Florenz besucht wird, findet später aber auch noch einmal extradiegetisch Verwendung. Zudem setzte Scott Vide Cor Meum auch in „Kingdom of Heaven“ wirkungsvoll, wenn auch für mich etwas irritierend, ein und die Macher der Serie „Hannibal“ entschlossen sich, die finale Szene der ersten Staffel mit der Arie zu unterlegen, was ich persönlich für einen grandiosen Einfall halte.

Fazit
Egal ob in Roman- oder in Filmform, „Hannibal“ lässt als großes Finale der Lecter-Trilogie in mehreren Bereichen zu wünschen übrig. Beide sind ambitionierter, als ihnen guttut und scheitern an der Inszenierung einer barocken Blutorgie, nicht zuletzt wegen der teils überdrehten Gewaltdarstellung. Knackpunkt des Scheiterns ist in beiden Fällen das Ende, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Thomas Harris inszeniert ein Finale, das unglaubwürdig ist und zugleich die Figuren banalisiert, während Ridley Scott die beiden Hauptfiguren, mit Abstrichen, in dieselbe Situation bringt, in der sie zu Beginn des Films waren, sodass nicht nur das Ende, sondern der gesamte Film, gewissermaßen belanglos wird.

Bildquelle

Trailer

Halloween 2023:
Art of Adaptation: The Silence of the Lambs
Art of Adaptation: Bride of Frankenstein
Fright Night (2011)

Siehe auch:
Art of Adaptation: Red Dragon
Hannibal Staffel 1

Art of Adaptation: Bride of Frankenstein

Halloween 2023

Viele Horror-Sequels von Universal und Hammer, gerade im Bereich „Frankenstein“ und „Dracula“, haben die Tendenz, mit dem Quellenmaterial nicht mehr allzu viel zu tun zu haben. „Bride of Frankenstein“ zählt diesbezüglich zu den Ausnahmen. Vier Jahre sollte es dauern, bis James Whales „Frankenstein“ eine Fortsetzung erhielt – eine Fortsetzung, bei der sowohl Whale als auch die Hauptdarsteller des Vorgängers, Boris Karloff und Colin Clive, zurückkehrten. Und nicht nur das, viele Elemente aus Mary Shelleys Roman, die in „Frankenstein“ von 1931 ausgespart wurden, finden Eingang in die Fortsetzung, weshalb man hier nach wie vor von einer Adaption sprechen kann.

Handlung
Die Handlung von „Bride of Frankenstein“ schließt direkt an die des Vorgängers an. Nachdem das von Henry Frankenstein (Colin Clive) geschaffene Monster (Boris Karloff) scheinbar durch die einstürzende Mühle ums Leben gekommen ist, will Hans (Reginald Barlow), der Vater des Mädchens, das vom Monster ertränkt wurde, auch sichergehen – in den Trümmern muss er allerdings herausfinden, dass die Kreatur keinesfalls tot, sondern noch sehr lebendig ist. Auch Henry Frankenstein selbst hat überlebt und wird von seiner Verlobten Elizabeth (Valerie Hobson) gesund gepflegt. Trotz der traumatischen Erlebnisse hält Frankenstein nach wie vor seinen Überzeugungen fest und wird sogar noch befeuert: Henrys ehemaliger Lehrer Doktor Pretorius (Ernest Thesiger) nimmt Kontakt mit ihm auf und hegt ähnliche Absichten. Auch ihm ist es gelungen, Leben zu schaffen, allerdings nur in Form puppengroßer Homunkuli.

Frankensteins Schöpfung erfährt derweil etwas völlig Neues: Freundschaft und Zuneigung. Die Kreatur findet im Haus eines blinden alten Mannes (O. P. Heggie) Zuflucht. Aufgrund seiner Blindheit wird dieser nicht vom Äußeren des Monsters abgeschreckt und erkennt nur eine arme Seele, der er mit Güte begegnet. So lernt das Monster immerhin in Ansätzen die menschliche Sprache, bis es wieder vertrieben wird, denn die Dorfbewohner sind immer noch auf der Jagd. Schließlich gerät das Monster an Pretorius, der plant, einen weiblichen künstlichen Menschen zu schaffen, ein Vorhaben, das auch die Kreatur befürwortet, da sie sich nach Kameradschaft sehnt. Doch dazu benötigen sie Frankensteins Hilfe. Dieser ist, nachdem er Elizabeth geheiratet hat, jedoch nicht gewillt, bei der Erschaffung einer weiteren Kreatur behilflich zu sein. Erst, als das Monster Elizabeth kidnappt, kann Frankenstein „überredet“ werden, Pretorius zu helfen. Und tatsächlich, das Vorhaben gelingt. Doch „Frankensteins Braut“ (Elsa Lanchester), wie Pretorius sie theatralisch nennt, schreit entsetzt auf, als sie Frankensteins Erstschöpfung sieht. Voller Schmerz und Enttäuschung ermöglicht das Monster Frankenstein und Elizabeth die Flucht und brennt anschließend das Labor samt ihm selbst, Pretorius und der „Braut“ nieder.

Was von Mary Shelley übrig ist…
Tatsächlich eine ganze Menge. „Bride of Frankenstein“ lässt die Autorin, ebenfalls gespielt von Elsa Lanchester, sogar in einem Prolog auftreten, zusammen mit Percy Bysshe Shelley (Douglas Walton) and Lord Byron (Gavin Gordon), die sich in einem Schloss über ihren Roman unterhalten. Von den ursprünglichen Gästen, die in der Villa Diodati bei der Genesis des Romans „Frankenstein“ zugegen waren, fehlen nur Claire Clairmont und John William Polidori. Dieser Meta-Prolog darf durchaus als Indikator dafür gelten, dass James Whale und Drehbuchautor William Hurlbut sich im Verlauf des Films gerade in Bezug auf die Charakterisierung der Kreatur stärker auf Shelley beziehen. Zudem basiert die gesamte Handlung auf einem Konzept des Romans: Die Schaffung einer Frau für die Kreatur. Im Roman ist es die Kreatur selbst, die von Frankenstein möchte, dass er ihr eine Gefährtin schafft, doch kurz bevor diese vollendet ist, bricht Frankenstein den Prozess ab. Im Gegensatz dazu wird er im Film freilich erfolgreich durchgeführt, nur um gleichermaßen tragisch für die Kreatur zu enden.

Vor allem das Monster kommt in seiner Charakterisierung dem Romangegenstück deutlich näher als im Vorgänger – primär deshalb, weil man im Film von 1931 kaum von einer tatsächlichen Persönlichkeit sprechen kann. Die Kreatur in „Bride of Frankenstein“ ist quasi ein Kompromiss zwischen Roman- und Film-Version, zwar immer noch weit entfernt von dem eloquenten und hochintelligenten künstlichen Menschen, den Shelley beschreibt, aber doch in der Lage, immerhin in Ansätzen zu sprechen und eine eigene Agenda zu haben – und zwar dieselbe wie das Buchgegenstück. Zentrale Szene diesbezüglich ist das Gespräch mit dem blinden, alten Mann, das ziemlich direkt von Shelley kommt; natürlich angepasst an die Gegebenheiten des Films. Hier erfährt Frankensteins Schöpfung zum ersten Mal Güte und Zuneigung, die seine restliche Motivation bestimmen. Das zeigt sich auch am Ende, in dem sich Shelleys Ausgang der Geschichte doch zumindest spiegelt. In beiden Versionen macht das Monster auf seine Art seinen Frieden mit seinem Schöpfer, wobei dieser Frieden im Film sogar positiver ausfällt als im Roman, ermöglicht die Kreatur ihrem Schöpfer und seiner Frau doch die Flucht und das Überleben, was eine Vergebung doch zumindest impliziert.

Henry Frankenstein hingegen entfernt sich hier weiter von Victor Frankenstein, indem er in der Adaption eine deutlich passivere Figur ist. Während es in Mary Shelleys Roman entweder er selbst oder die Kreatur sind, die die Handlung vorantreiben, ist es in „Bride of Frankenstein“ eine neue Figur, die zum Motor des Plots wird: der rücksichtslose Doktor Pretorius. Dieser fungiert als eindeutiger Schurke des Films und greift in gewissem Sinne den getriebenen, gnadenlosen Frankenstein vor, den Peter Cushing später in der Hammer-Filmreihe spielen sollte. Zudem entspricht er in stärkerem Maße dem Archetypen des verrückten Wissenschaftlers. Pretorius bringt zudem mehr Humor in die Geschichte, denn seine Versuche, künstliche Menschen zu schaffen, resultieren in puppengroßen Homunkuli, die für die wahrscheinlich komischste und absurdeste Szene des Films sorgen.

Deutung und Wirkung
Aufgrund von James Whales eigener Homosexualität landen viele Kritiker schnell bei einer queeren Lesart des Films, was sich problemlos nachvollziehen lässt, angefangen beim Außenseiterstatus des Monsters über seine Suche nach Liebe und Anerkennung bis hin zum Gebaren von Doktor Pretotius. Noch eindeutiger als im ersten Film wird das Monster als sympathisch und missverstanden dargestellt. Mehr noch, trotz der titelgebenden Braut sind fast alle essentiellen Beziehungen des Films zwischen Männern. Während Frankensteins und Elizabeths Ehe verhältnismäßig wenig Gewicht bekommt, sind es Doktor Pretorius und Frankenstein bzw. Doktor Pretorius und die Kreatur, die gemeinsam neues Leben erschaffen wollen. Whale bemüht sich allerdings auch um christliche Symbolik, die Szene, in der das Monster vom Mob quasi gekreuzigt wird, ist nicht unbedingt subtil. Zudem opfert sich die Kreatur am Ende – zwar nicht für die Menschheit, sondern für ihren Schöpfer, aber immerhin…

Was die Wirkung angeht, erwies sich „Bride of Frankenstein“ als nur marginal weniger einflussreich als der Erstling und gilt unter Universal-Fans sogar als der bessere Film. Während „Frankenstein“ eine sehr reduzierte Version der Geschichte erzählte, ist es „Bride of Frankenstein“ möglich, die Thematik ausführlicher zu bearbeiten und dem Monster eine anständigen Handlungsstrang zu geben. Ebenso wie Frankensteins Schöpfung selbst fand auch die Braut mit ihrem ikonischen Design Eingang in das popkulturelle Verständnis von „Frankenstein“. Ihre Präsenz in der Geschichte wird mehr oder weniger erwartet und selbst ein Film wie „Mary Shelley’s Frankenstein“ von Kenneth Branagh, der immerhin den Namen der Autorin im Titel trägt, konnte es nicht beim abgebrochenen Versuch belassen und integrierte das Ende von „Bride of Frankenstein“ mehr oder weniger in die Handlung des Romans. Und nicht nur das, im Jahr 1985 erhielt die Braut mit dem angemessenen betitelten Film „The Bride“ von Franc Roddam mit Jennifer Beals in der Titelrolle ihren eignen Film. Auch in Crossover-Filmen und Serien ist Frankensteins Braut ein gern gesehener Gast.

Halloween 2023:
Art of Adaptation: The Silence of the Lambs

Siehe auch:
Art of Adaptation: Frankenstein – Mary Shelleys Roman
Art of Adaptation: Universals Frankenstein
Art of Adaptation: Georges Bess’ Frankenstein
Geschichte der Vampire: Universals Graf

Art of Adaptation: The Silence of the Lambs

Halloween 2023
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Wann immer Halloween näher rückt, tendiere ich dazu, mich intensiver mit dem Horror-Genre in all seinen Facetten zu beschäftigen, auch und gerade auf einer Meta-Ebene. Oftmals haftet allein dem Wort „Horror“ etwas anrüchiges, nicht unbedingt qualitativ hochwertiges an, mitunter denkt man zuerst an billige Slasher, Exploitation oder endlose Fortsetzungen ausgelutschter Konzepte. Das wirkt sich gerne auch auf die Vermarktung aus, mit der Folge, dass Filme, die mehr Anspruch vermitteln, eher als „Thriller“ oder „Psycho-Thriller“ angepriesen werden. Genregrenzen sind natürlich ohnehin fließend, aber gerade die Filmadaption von „The Silence of the Lambs“ war und ist immer wieder Gegenstand derartiger Diskussionen. Weder kann ich diesbezüglich eine finale Antwort geben, noch ist diese Frage wirklich Gegenstand dieses Artikels, aber doch vielleicht etwas, das man im Hinterkopf behalten sollte – wir werden auf jeden Fall noch einmal darauf zurückkommen.

Thomas Harris‘ Roman „The Silence of the Lambs“ erschien 1988 und ist als lose Fortsetzung von „Red Dragon“ konzipiert. Von einigen wiederkehrenden Figuren wie Jack Crawford, Frederic Chilton und natürlich Hannibal Lecter abgesehen spielt der Vorgänger allerdings keine große Rolle, die Ereignisse werden ein oder zwei Mal erwähnt und zudem erfahren wir, eher in einem Nebensatz, dass Will Graham inzwischen Alkoholiker ist. Zum Verständnis des Romans sind keine Vorkenntnisse nötig. Diesen Umstand machten sich Regisseur Jonathan Demme und Drehbuchautor Ted Tally bei der Filmadaption zunutze. Zwar hätten sie sich durchaus auf „Manhunter“ beziehen und sogar Darsteller zurückkehren lassen können, beispielsweise Brian Cox als Hannibal Lecter/Lecktor, sie entschieden sich aber, nicht zuletzt aufgrund des finanziellen Misserfolgs der Red-Dragon-Adaption, für einen kompletten Neuanfang, besetzen alle wiederkehrenden Rollen mit anderen Darstellern und wählten auch einen völlig anderen Ton und eine markant unterschiedliche Atmosphäre. Als „The Silence of the Lambs“ 1991 ins Kino kam, erwies sich der Film als durchschlagender Erfolg und ist bis heute einer von nur drei Filmen, dem es gelang, Oscars in den fünf Hauptkategorien (Bester Film, Regie, Drehbuch, Hauptdarsteller und Hauptdarstellerin) zu gewinnen. Und natürlich machte „The Silence of the Lambs“ Anthony Hopkins als Hannibal Lecter zu einer ikonischen Figur.

Handlung und Anpassungen
Mehr noch als „Manhunter“ (der den Fokus primär auf den Protagonisten legt und den Serienkiller auf das absolut nötige Minimum reduziert) oder „Red Dragon“ (der Hannibal Lecters Rolle im Vergleich zum Roman deutlich vergrößert) folgt „The Silence of the Lambs“ seiner Vorlage sehr genau. Beim groben Handlungskonstrukt orientierte sich Harris recht stark an „Red Dragon“: Abermals sind Jack Crawford (Scott Glenn) und die Behavioral Science Unit des FBI einem Serienkiller auf der Spur. Buffalo Bill häutet seine Opfer, daher der Spitzname, bislang sind die Spuren jedoch dürftig. Crawford vermutet, dass der eingesperrte und ebenso intelligente wie brutale Psychiater Hannibal Lecter (Anthony Hopkins) alias „Hannibal the Cannibal“ hilfreich sein könnte. Statt Will Graham, der sich endgültig in den Ruhestand verabschiedet hat, schickt Crawford dieses Mal eine junge Agentin in Ausbildung, Clarice Starling (Jodie Foster). Hannibal spielt mit ihr ebenso wie mit Will Graham, gibt ihr aber tatsächlich einen nützlichen Hinweis, der zu einer ersten Spur in Form eines frühen Opfers von Buffalo Bill führt. Währenddessen entführt Bill, mit der mit bürgerlichem Namen Jame Gumb (Ted Levine) heißt, Catherine Martin (Brooke Smith), ihres Zeichens Tochter der US-Senatorin Ruth Martin (Diane Baker). Damit wird der Druck auf Crawford und das FBI noch einmal deutlich erhöht. Doch wenn Lecter Starling dabei helfen soll, den Serienmörder zu fangen, muss sie ihm als Gegenleistung ihr eigenes Trauma offenbaren…

Auf der reinen Handlungseben sind sich Film und Roman wirklich sehr nahe, es gibt lediglich einige kleinere Auslassungen und Vereinfachungen bezüglich der Ermittlungsarbeiten und der Hintergründe der Figuren, um die Narrative etwas zu entschlacken. Die erste Spur, die Lecter Clarice gewissermaßen „schenkt“ ist ein Kopf in einem Glas. Im Roman gehört dieser Klaus, dem Liebhaber eines ehemaligen Patienten von Hannibal. Über diesen Patienten, den Flötisten Benjamin Raspail, weiß Hannibal um Jame Gumbs Identität. Der Film macht aus Klaus und Raspail eine Person, was auf die Handlung nicht wirklich Auswirkungen hat und die Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen minimiert. Der Umstand, dass Raspail der Flötist des Boston Filharmonic Orchestra war und von Hannibal getötet und zubereitet wurde, findet im Film keine Erwähnung und passt auch nicht zu Hannibals Erklärung, er habe ihn nicht umgebracht, nur beiseite geschafft. Stattdessen wird ein derartiges Ereignis in „Red Dragon“ gezeigt – der von Tim Weather gespielte Flötist bleibt allerdings namenlos. Ebenfalls gestrichen wurde beispielsweise eine Szene, in der Clarice Starling in Catherine Martins Wohnung Untersuchungen anstellt und dabei Senatorin Martin und Paul Krendler (Ron Vawter) begegnet – Letzterer spielt in „Hannibal“ (Roman) noch eine größere Rolle, wird in der Filmadaption aber von Ray Liotta gespielt. Eine dieser Ermittlungs-Auslassungen schadet dem Film tatsächlich geringfügig: Jack Crawford kennt relativ plötzlich Jame Gumbs Namen – er erklärt zwar in einem Halbsatz, woher dieses Wissen stammt, aber es kommt doch ziemlich abrupt. Im Roman dagegen nehmen Crawfords Ermittlungen diesbezüglich deutlich mehr Raum ein, sodass das Ganze weniger plötzlich kommt. Apropos Crawford: Während dieser im Film eine relativ statische Figur ist und „nur“ als Starlings Mentor fungiert, hat er im Roman einen eigenen Subplot, in dem er sich mit der Krebserkrankung und dem folgenden Tod seiner Frau auseinandersetzt.

Fly, fly, fly: Hannibal und Clarice
Trotz der Parallelen im Handlungsaufbau finden sich auch einige massive Unterschiede zwischen „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs“. Das betrifft vor allem die jeweilige Hauptfigur und ihr Verhältnis zu Hannibal Lecter – Will Graham und Clarice Starling sind sehr unterschiedlich konzipiert. Graham ist ein erfahrener Ermittler, der aufgrund seiner Arbeit tief traumatisiert wurde. Mehr noch, Hannibal Lecter ist für dieses Trauma verantwortlich und versucht sogar noch aus der Gefängniszelle heraus, für Wills Tod zu sorgen, indem er dessen Privatadresse Francis Dolarhyde zukommen lässt. Zwischen Starling und Lecter hingegen gibt es keine, wie auch immer geartete Beziehung zu Beginn des Romans (bzw. des Films), sie befindet sich noch in der Ausbildung und hat keinerlei Erfahrung – was allerdings nicht bedeutet, dass sie nicht auch traumatisiert wäre. In gewissem Sinne fungiert Starling als invertiertes Gegenstück zu Will Graham, was sich sehr schön an der jeweils ersten Lecter-Szene in „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs“ zeigt: In ersteren bemerkt der Doktor, dass Will immer noch dasselbe scheußliche Aftershave wie bei seinem Prozess verwendet, während er sich über Starlings Geruch deutlich positiver äußert – Evian Hautcreme scheint dem Doktor eher zuzusagen.

Im Gegensatz zu Will stammt Starlings Trauma aus der Kindheit. Hier finden sich subtile Differenzen: Während Starling im Roman zwar die Lämmer schreien hört, aber in letzter Konsequenz mit einem blinden Pferd von der Ranch abhaut und dieses Pferd zudem sehr lange überlebt, schnappt sie sich im Film eines der zu schlachtenden Führlingslämmer. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um eine Änderung, die ihrer Geschichte etwas mehr Kohärenz und zusätzliche Tragik verpassen soll, denn „ihr“ Lamm wird geschlachtet. Anders als Will hilft Hannibal ihr tatsächlich, auch wenn er parallel die Situation gnadenlos ausnutzt, einmal, indem er Starling dazu bringt, ihr Trauma zu enthüllen, und natürlich, indem er seinen Ausbruch plant und durchführt. Dennoch entsteht eine sehr merkwürdige, ganz sicher nicht gesunde Mentorenbeziehung zwischen Starling und Lecter. In diesem Kontext fällt Lecters Rolle im Vergleich zu „Red Dragon“ (dem Roman) deutlich größer aus, dort taucht er nur in zwei Szenen wirklich auf und verschwindet dann größtenteils aus der Handlung, auch wenn seine Aktionen natürlich nachwirken. In „The Silence of the Lambs“ hingegen kommt er nicht nur deutlich häufiger vor, seine Präsenz ist auch dann spürbar, wenn er gerade nicht zugegen ist. Der gesamte Roman – und damit auch der Film, dreht sich mindestens so sehr um die Starling/Lecter-Beziehung wie um den eigentlich zu lösenden Fall. Das wird im Film äußerst gelungen umgesetzt: Nicht umsonst hat Anthony Hopkins „nur“ 16 Minuten Leinwandzeit, bekam aber trotzdem den Oscar als bester Hauptdarsteller und dominiert den Film gnadenlos. Fosters Spiel ist natürlich nicht weniger gelungen – die Szene, in welcher sie ihr Träume schildert, gehört nach wie vor zu den eindringlichsten des ganzen Films. Im Roman findet sich interessanterweise eine Szene, die zwischen seinem Ausbruch und dem Finale spielt, die im Film vollständig ausgespart wird und in der wir einen kurzen Einblick im Lecters Vorgehen auf der Flucht erhalten.

Gerade bezüglich der inneren Vorgänge ist Harris‘ Prosa äußerst interessant, da er einerseits sehr in die Tiefe geht, uns am Innenleben der Figuren teilhaben lässt und ihre tiefen, dunklen Geheimnisse aufdeckt. Gleichzeitig behält der Erzähler allerdings Distanz zu den Figuren, etwa, indem er sie immer nur beim Nachnamen nennt. Im Erzähltexte ist selten bis gar nie von „Clarice“ die Rede, sondern immer nur von „Starling“. In den Szenen, die aus der Perspektive von Buffalo Bill oder Hannibal Lecter geschildert werden, geht der Erzähler sogar noch weiter, es ist immer die Rede von „Dr. Lecter“ oder „Mr. Gumb“, so als hätte er zu viel Respekt vor diesen Serienmördern, um im Text mit ihnen zu fraternisieren. Dieses spezielle literarische Stilmittel für die Leinwand zu adaptieren ist nun nicht unbedingt leicht, aber Jontahan Demme hat hier wirklich Beeindruckendes geschafft. Gerade in den Dialogszenen, primär natürlich zwischen Starling und Lecter, traktiert er den Zuschauer regelrecht mit unangenehmen Nahaufnahmen, Schnitt und Gegenschnitt auf die Gesichter der sich unterhaltenden Personen, um so diese „unbehagliche Nähe“ darzustellen. Zugleich wird hierdurch auch der „Male Gaze“, mit dem Starling von diversen männlichen Figuren immer und immer wieder bedacht wird, gelungen visualisiert.

Ein weiteres, sehr interessantes Element aus Harris‘ Prosa ist Lecters Beschreibung: Zwar knüpft er hier an „Red Dragon“ an (verhältnismäßig klein und zierlich, sehr gepflegt, braune Augen mit Rotstich), fügt aber ein markantes Element hinzu, das im Vorgänger nicht erwähnt wird: Hannibal Lecter hat an der linken Hand einen sechsten Finger. Dieses Element ist äußerst symbolisch: Die linke Hand galt ohnehin früher als „die böse“ Hand, sodass der sechste Finger an dieser in Kombination mit den rötlichen Augen Lecter ein eindeutig satanisches Element verleiht. Beide Elemente wurden bei Hopkins‘ Darstellung ausgespart, ebenso wie bei allen anderen filmischen Inkarnationen der Figur – zumindest auf Postern kommen die roten Augen immerhin zum Einsatz.

Buffalo Bill
Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum: In einem politischen Klima wie dem heutigen würde man eine Figur wie Buffalo Bill alias Jame Gumb sicher nicht mehr so schreiben wie in den 90ern: Ein Killer, der glaubt, im falschen Körper zu stecken und deswegen junge Frauen tötet, um sich ein „Frauenkostüm“ zu schneidern. Gewissermaßen ist „The Silence of the Lambs“ durch seinen Klassikerstatus sowie den Fokus auf Hannibal und Clarice ein Stück weit „geschützt“, aber ich bin mir ziemlich sicher, würden Roman und/oder Film heute genau so erscheinen, käme wahrscheinlich von allen Seiten und Fraktionen ein empörter Aufschrei, entweder weil die Auseinandersetzung nicht differenziert genug oder aber, im Gegenteil, zu differenziert ausfällt. Wie wir inzwischen aus der völlig irrsinnigen Gesetzgebung diverser republikanisch regierter Bundesstaaten wissen, würde manch einer das Thema am liebsten völlig totschweigen. Tatsächlich übten bestimmte Journalisten und Gruppierungen bereits in den 90ern Kritik an der Darstellung der Transgender-Thematik und dem Umstand, dass sich in Film und Roman keine positive queere Repräsentation findet, was einerseits durchaus richtig ist, allerdings wenig beachtet wurde und dem Erfolg des Films auch nicht schadete. Wie um diesem Umstand vorzubeugen, bemüht sich Harris im Roman, mehrfach sehr deutlich zu machen, dass Jame Gumb „kein echter transsexueller“, wie Harris es ausdrückt, ist, sondern sich lediglich für einen hält. Auch im Film wird das erwähnt, wenn auch nicht so eindringlich. Ist Harris oder sein Werk also transfeindlich? Ich denke nicht. Aber lässt es sich derartig auslegen, besonders, wenn man mit den passenden Vorurteilen an die Thematik herangeht? Mit Sicherheit.

Wenn man den aktuellen Kontext vorübergehend ausklammert, knüpft Jame Gumb thematisch doch recht nahtlos an Francis Dolarhyde an. Beide Figuren streben eine umfassende Transformation an – bei Dolarhyde ist die Verwandlung in den „großen, roten Drachen“ allerdings eher mental bzw. metaphorisch zu verstehen (zumindest größtenteils), während Jame Gumbs Verlangen, sich zu verwandeln, sehr viel handfester ist. Ähnlich wie in „Red Dragon“ taucht Harris auch hier in die Vergangenheit und die Psyche seiner Figur ein, allerdings bei weitem nicht so intensiv. In der zweiten Hälfte von „Red Dragon“ wird Dolarhyde fast schon zur Hauptfigur, während Will Graham in Teilen und Hannibal Lecter komplett zurücktreten; er entwickelt sich sogar, bedingt durch Reba McClane, als Figur auch durchaus weiter. Jame Gumb hingegen spielt durchgehend die zweite Geige, Hannibal und Clarice bleiben zweifelsfrei im Fokus. Der Film reduziert Buffalo Bill sogar noch weiter, viele der Hintergrundinformationen, die im Roman vermittelt werden, bleiben in der Adaption auf der Strecke. Stattdessen versucht Jonathan Demme, uns über die Bildsprache des Films Einblicke in Jame Gumbs Geist zu geben. Die Nähszene ist diesbezüglich natürlich der eindeutigste Kandidat, aber auch die Darstellung von Gumbs Wohnsituation lässt tief blicken. Das heruntergekommene Haus in Kombination mit dem labyrinthartigen Keller sagt einiges über den Hausherrn aus.

Atmosphäre und Genre
Kehren wir zur eingangs gestellten Frage zurück: Horror oder Thriller? Und ist eine Unterscheidung überhaupt sinnvoll? Es gibt eine große Überschneidungsfläche bei beiden Genres, sodass eine klare Abgrenzung oftmals nicht ganz leicht ist. In meinen Augen steht bei einem Thriller die Spannung stärker im Fokus, während es beim Horror eher darum geht, den Konsumenten zu erschrecken oder zu schockieren. Wie sagte Stephen King einmal so schön? „I recognize terror as the finest emotion and so I will try to terrorize the reader. But if I find that I cannot terrify, I will try to horrify, and if I find that I cannot horrify, I’ll go for the gross-out. I’m not proud.“ (Quelle) Bei einem Thriller handelt es sich für mich um eine Art Brücke zwischen Krimi und Horror. Offensichtlich Übernatürliches (Werwölfe, Vampire etc.) fällt natürlich fast immer eher in die Horror-Kategorie, während es gerade bei Serienkillern oft auf die Inszenierung ankommt. Liegt der Fokus auf den Ermittlungen und Ermittlern, ist es eher ein Thriller, rückt man dagegen eher die Untaten und das Grauen, das Killer entfesselt, in den Mittelpunkt, würde ich es als Horror klassifizieren. Thomas Harris‘ Romane machen die Beantwortung dieser Frage nur noch schwerer, aber die Adaptionen sprechen gezwungenermaßen eine eindeutigere Sprache – wie sich am Beispiel von „Red Dragon“ zeigt, kann man denselben Roman auf sehr unterschiedliche Art und Weise umsetzen. Wenn wir das gesamte Hannibal-Lecter-Franchise abseits der Romane betrachten, würde ich sagen, dass es auch das gesamte Spektrum zwischen dem, was man gemeinhin unter Horror und Thriller versteht, abdeckt. Am einen Ende hätten wir „Manhunter“; Michael Manns Film beschäftigt sich kaum mit dem Killer oder seinen Taten, stattdessen stehen Graham und seine Ermittlungen im Mittelpunkt. Die Serie „Hannibal“ hingegen hat viel größeres Interesse daran, die Taten der Serienmörder als surreale, bizarre und verstörende Kunstwerke zu zeigen und fällt damit, trotz der Ermittlerarbeit, in meinen Augen recht eindeutig in die Horror-Kategorie. Alles andere ist mehr oder weniger in der Mitte.

„The Silence of the Lambs“ fungiert in diesem Kontext als Weichensteller, weg vom Thriller und hin zum Horror, auch wenn man gerade den Film, zumindest in meiner Wahrnehmung, keiner Kategorie eindeutig zuordnen kann. Eine hypothetische, von Michael Mann inszenierte Version von „The Silence of the Lambs“ als Fortsetzung von „Manhunter“ hätte durchaus stilistisch an diesen anknüpfen können. Jonathan Demme entschied sich allerdings für eine radikal andere Herangehensweise, vermied die kalte und sterile Atmosphäre Manns und bediente sich der Stilmittel und Bildsprache des Gothic Horror. Nehmen wir als Beispiel nur einmal Lecters Zelle: Die Interpretation in „Manhunter“ ist deutlich näher an Harris‘ Beschreibung, mit Weiß als vorherrschender bzw. einziger Farbe und Gitterstäben statt der Glaswand der späteren Filme. Im Gegensatz dazu zeigt Demme ein fast schon mittelalterlich anmutendes Kerkergewölbe. Der für den Gothic Horror typische Verfall ist überall vorhanden, am stärksten natürlich in Jame Gumbs Bleibe. Zusätzlich inszeniert Demme Hannibal Lecter mit geradezu übernatürlich anmutender Eleganz. Nicht umsonst wurde der Doktor immer und immer wieder mit Dracula verglichen – selbst im Film fragt ein Polizist Starling, ob Lecter mit einem Vampir vergleichbar sei. In gewissem Sinne ist Hannibal Lecter, speziell Anthony Hopkins‘ Hannibal Lecter, eine modernisierte Version des zivilisierten Monsters der klassischen Schauerliteratur.

Ein weiteres Element, das zur Horror-Wahrnehmung beiträgt, ist die Opferperspektive, die es beispielsweise in „Red Dragon“ auf diese Weise nicht gab. Anders als Francis Dolarhyde hält Jame Gumb seine Opfer über längere Zeit hinweg gefangen. Sowohl Thomas Harris als auch Jonathan Demme lassen uns als Leser bzw. Zuschauer recht intensiv an Catherine Martins Gefangenschaft, ihrer nackten Angst und auf dem kleinen bisschen Hoffnung teilhaben. Als besonders intensiv und eindringlich habe ich beispielsweise immer die Szene empfunden, in der Catherine die blutigen Spuren und die Nagelreste an der Wand der Grube entdeckt und ihr mit einem Mal klar, welches Schicksal ihre Vorgängerinnen erlitten haben. Wenn das nicht der pure Horror ist…

Diabolus in Musica
Bevor Howard Shore als Komponist der Lord-of-the-Rings-Trilogie einem breiten Publikum bekannt wurde, galt er unter Filmmusik-Fans primär als Fachmann für düstere, atmosphärische Horror- und Thriller-Scores. Manche, etwa „The Fly“, sind opernhaft opulent, die meisten fallen jedoch eher in die Kategorie „düster und brütend“. Auch nach der LotR-Trilogie kehrte Shore immer wieder in diesen Modus zurück, etwa mit „A History of Violence“, „Doubt“ oder „The Pale Blue Eye“. Seine Musik für „The Silence of the Lambs“ fällt eindeutig in diese Kategorie. Shores Score ist extrem atmosphärisch, ja gerade zu oppressiv düster. Stilmittel und musikalische Figuren, die Shore später in Peter Jacksons beiden Mittelerde-Trilogien verwenden sollte, lassen sich hier bereits ausmachen – zwar findet sich keine Spur vom epischen Bombast der Tolkien-Adaptionen, wohl aber verwendet Shore dieselben Techniken in der Suspense-Musik. In „The Silence of the Lambs“ zeichnet sich eine gewisse Tendenz in der musikalischen Repräsentation Hannibal Lecters ab, die sich in diversen anderen Medien fortsetzen sollte: Oftmals werden die Horror- Aspekte der Geschichte, seien es Lecters Morde oder die anderen Serienkiller, mit dem düsteren, teilweise dissonanten Score untermalt, während Lecters kultivierte Seite durch bereits existierende klassische Musik dargestellt wird. Der Roman liefert hier freilich das entsprechende Stück: Bachs Goldbergvariationen, die aufgrund ihres prominenten Einsatzes bereits eng mit Hannibal Lecter verknüpft sind und in „Hannibal“ (sowohl Roman als auch Film und Serie) weiter eingesetzt werden.

Auch wenn Shore in „The Silence of the Lambs” eher auf Atmosphäre denn auf eingängige Melodien setzt, finden sich durchaus Leitmotive, das markanteste gehört sicher Clarice Starling. Ihr Motiv, oft auf der Oboe gespielt, passt zu ihrer jungen, etwas naiven Art. Interessant ist es aber vor allem deshalb, weil Shore es in „The Hobbit: The Desolation of Smaug“ wieder aufgriff und als Basis füt Tauriels Thema verwendete. Auch Hannibal Lecter und Buffalo Bill erhalten Motive, die jedoch kaum herausstechen. Jame Gumbs musikalische Repräsentation ist noch düsterer und grimmiger als der ohnehin schon sehr düstere und grimmige Grundtenor der Musik, während Lecters Thema durch einen sehr klassischen und klaren Aufbau besticht. Shores Score gehört zu denen, die im Film exzellent funktionieren, abseits davon aber eher zu einer depressiven Gemütslage führen können. Wer dennoch an einer stilistischen Fortführung interessiert ist, macht mit „The Pale Blue Eye“ definitiv nichts falsch.

Fazit
Egal ob Horror oder Thriller, „The Silence of Lambs” ist nicht nur ein Klassiker des Genres, sondern wahrscheinlich auch eine der besten Romanadaptionen der Filmgeschichte, die es trotz großer Vorlagentreue schafft, eigene Akzente zu setzen. Ganz nebenbei wurde Jonathan Demmes Film zu einem DER Standards für den filmischen Umgang mit Serienkillern. Ob man Bufallo Bill nun als nicht mehr zeitgemäß oder gar problematisch empfindet, Clarice Starling ist immer noch eine exzellente Protagonisten, Hannibal Lecter so faszinierend und einnehmend wie eh und je und der Film an sich ein Idealbeispiel an Suspense und subtilem (oder auch nicht so subtilem) Grauen.

Bildquelle

Trailer

Siehe auch:
Art of Adaptation: Red Dragon
Hannibal Staffel 1