Art of Adaptation: Universals Frankenstein

Auf Dracula folgt Frankenstein oder umgekehrt – so war es in den 50ern mit Hammer (erst das Monster, dann der Graf) und in den 90ern (erst der Graf, dann das Monster). Die Blaupause lieferte natürlich Universal in den 30ern. Nach Tod Brownings „Dracula“ mit Bela Lugosi kam noch im selben Jahr, 1931, die Adaption von Mary Shelleys revolutionärem Roman. Die Umsetzung übernahm James Whale, basierend auf einem Drehbuch von Garrett Fort, Francis Edward Faragoh, Robert Florey und John Russell. Wie schon bei „Dracula“ handelt es sich bei Whales „Frankenstein“ nicht um eine direkte Adaption des Romans, sondern um die filmische Umsetzung eines Theaterstücks, verfasst von Peggy Webling, basierend auf Shelleys Werk. In gleichem oder sogar noch größerem Maße wie „Dracula“ prägte auch diese Universal-Umsetzung nachhaltig die Wahrnehmung des Sujets. Wann immer man das Wort „Frankenstein“ ausspricht, denken die meisten Menschen wohl automatisch an die Boris-Karloff-Version des Monsters mit ihrem viereckigen Schädel und den Schrauben im Hals.

Die Umsetzung der Handlung
Mary Shelleys Roman verfügt durchaus über eine epische Breite mit seinen drei Erzählebenen und den vielen Schauplätzen, vom Nordpol über die Schweiz und Ingolstadt bis hin zu Irland – eine epische Breite, die ein Studio wie Universal sicher nicht umsetzen konnte. Ähnlich wie „Dracula“ ist auch „Frankenstein“ eine stark reduzierte Version der Vorlage, die viele Elemente ausklammert und das erzählerische Konzept auf ein Minimum reduziert. Setting des Films ist weder die Schweiz, noch Ingolstadt, sondern ein kleines Dorf in den bayrischen Alpen. Dort führt nicht Viktor, sondern Henry Frankenstein (Colin Clive) seine Experimente durch. Der ähnlich wie das Design des Monsters inzwischen ikonisch gewordene bucklige Gehilfe Frankensteins, der definitiv nicht in Shelleys Roman zu finden ist, existiert hier bereits, trägt aber nicht den Namen Igor, dieser stammt aus einem der Sequels, sondern Fritz (Dwight Frye). Zwei Figuren, die hingegen aus der Vorlage stammen, sind Frankensteins Verlobte Elizabeth (Mae Clarke) sowie sein ehemaliger Lehrer Dr. Waldman (Edward Van Sloan). Eine umfangreiche Vorgeschichte bietet James Whale nicht, wir fangen direkt damit an, dass Frankenstein und Fritz die benötigten Leichenteile zusammensammeln, Sowohl Waldman als auch Elizabeth und Frankensteins Freund Victor Moritz (John Boles), der den ursprünglichen Namen des Protagonisten sowie den Nachnamen von Justine Moritz, eines Opfers des Monsters im Roman, trägt, machen sich Sorgen um Frankenstein, da sie um seine Besessenheit, Leben zu erschaffen, wissen. Als sie bei Frankenstein eintreffen, steht dieser kurz vor dem Durchbruch. Im Beisein der drei und mithilfe eines Sturms gelingt es ihm und Fritz tatsächlich, das aus Leichenteilen zusammengesetzte Wesen zu erwecken.

Doch die Kreatur, die sich vom Labortisch erhebt, ist nicht nur äußerst hässlich, sondern auch kaum intelligent, geschweige denn zur Sprache fähig. Zuerst versucht man, die Kreatur in den Keller zu sperren, dort kommt Fritz aber auf die nicht besonders kluge Idee, das Wesen zu reizen, woraufhin er zum ersten Opfer wird. Während ein entkräfteter und ohnmächtiger Frankenstein nachhause gebracht wird, fällt Waldman der Kreatur ebenfalls zum Opfer. Auch ein kleines Mädchen stirbt durch seine Hände. Gerade als Frankenstein und Elizabeth sich das Ja-Wort geben wollen, taucht die Kreatur abermals auf, kann aber vertrieben werden, bevor sie Elizabeth etwas antun kann. Als Reaktion bildet sich im Dorf ein Mob, bewaffnet mit Fackeln und Mistgabeln, um dem Monster Einhalt zu gebieten. Bei dieser Aktion wird Frankenstein verletzt, überlebt aber, während die Kreatur in einer alten Windmühle gefangen wird, die der Mob anschießend anzündet, woraufhin das Monster scheinbar stirbt.

Die Grundelemente des Romans sind vorhanden, der ambitionierte Wissenschaftler schafft einen künstlichen Menschen, das Ganze geht nach hinten los und hat tödliche Folgen. In den Details finden sich allerdings massive Unterschiede, die nicht nur den Namen unseres Protagonisten betreffen. Nicht nur sind Waldman, Elizabeth und Victor Moritz, der als Ersatz für Henry Clerval gelten kann, bei der Schöpfung des Monsters anwesend, das finale Schicksal der beiden Erstgenannten wird vertauscht: Während Waldman im Roman überlebt und abseits davon, Frankenstein zu inspirieren, keine besonders große Rolle in der Handlung einnimmt, stirbt er im Film. Elizabeth hingegen segnet bei Shelley das zeitliche, als das Monster sie aus Rache angreift, darf im Film aber verhältnismäßig unbeschadet davonkommen. Frankensteins weitere Familie, besonders sein jüngerer Bruder, spielen im Film keine Rolle.

Abseits der Figuren ist es vor allem das Ende, das radikal anders ausfällt als im Roman. Die potentielle Erschaffung einer weiblichen Kreatur, damit das ursprüngliche Monster nicht mehr alleine ist, fällt im Film völlig weg, wird dafür aber im ersten Sequel, „The Bride of Frankenstein“, aufgegriffen. Der Angriff auf Frankensteins Hochzeit ist somit recht unmotiviert, ihm folgt auch keine halsbrecherische Jagd durch ganz Europa. Stattdessen erschaffen Whale und Co. hier ein Element, das inzwischen kaum weniger mit Frankenstein verknüpft ist als das Design des Monsters: Die wütenden Dorfbewohner, die sich mit Fackeln und Mistgabeln zu einem Mob zusammenfinden, um das Monster zur Strecke zu bringen. Keine Frankenstein-Parodie kommt ohne dieses Element aus, das in Shelleys Roman schlicht nicht auftaucht. Mehr noch, der Mob hat sich über die Jahre hinweg verselbstständigt und darf in allen möglichen Filmen auf alle möglichen Kreaturen losgehen. Die entsprechende Szene in Disneys „Beauty and the Beast“ ist nur ein besonders prominentes Beispiel.

Zwar kam „Frankenstein“ im selben Jahr ins Kino wie „Dracula“, ist seinem „Wegbereiter“ aber in filmischer Hinsicht meilenweit überlegen. Während Tod Brownings Vampirfilm extrem statisch daherkommt, oftmals wie ein abgefilmtes Theaterstück wirkt und seine Wirkung primär aus Bela Lugosis Präsenz bezieht, ist „Frankenstein“ deutlich dynamischer und filmischer. Gekonnt setzt James Whale auf Kamerafahrten, Perspektivaufnahmen und viele andere Stilmittel, die dafür sorgen, dass „Frankenstein“ von einem völlig anderen Kaliber ist als „Dracula“. In Kombination mit der dichten Gothic-Horror-Atmosphäre sorgen Whales Bemühungen dafür, dass „Frankenstein“ der wahrscheinlich bestaussehendste Universal-Horror-Film ist.

Das Monster und sein Schöpfer
Die vielleicht größten Änderungen zur Vorlage finden sich beim Titelhelden und seiner Schöpfung. Während wir im Roman ausführlich über Victor Frankensteins Werdegang, seine Ambitionen und seine Getriebenheit informiert werden, ist die Motivation seines Filmgegenstücks Henry deutlich nebulöser; er entspricht in größerem Ausmaß dem Stereotyp „verrückter Wissenschaftler“, man denke nur an die ikonische „It’s alive“-Szene. Zudem ist Henry Frankenstein weit weniger proaktiv als sein Buchgegenstück. Victor Frankenstein jagt und verfolgt die Kreatur mehrfach mit fast schon religiösem Eifer, während Henry sehr viel passiver ist, mehrfach in Ohnmacht fällt und am Ende dem bereits erwähnten Mob die Jagd auf die Kreatur überlässt.

Noch deutlich gravierender fallen die Änderungen bei Frankensteins Schöpfung aus. So ikonisch Boris Karloff mit seinem viereckigen Schädel und den Schrauben im Hals auch sein mag, mit der Beschreibung im Roman hat das kaum etwas zu tun, dort hat das Monster lange schwarze Haare, gelbe Haut, durch die die Adern sichtbar sind, wässrige Augen und schwarze Lippen. Deutlich schwerwiegender ist jedoch die Charakterisierung, bzw. der Mangel an derselben. Die Kreatur in Shelleys Roman ist ein komplexer, tragischer Charakter mit Agenda, ein ebenso intelligentes und getriebenes Wesen wie ihr Schöpfer. Von der Welt aufgrund seines Aussehens gehasst und von seinem Schöpfer verstoßen, nimmt das Monster grausame Rache, indem es gezielt die Menschen tötet, die Frankenstein am meisten bedeuten. Das Monster im Film hingegen besitzt keinerlei Intelligenz, von Sprachfähigkeit gar nicht erst zu reden. Auch diese Kreatur tötet Menschen, doch es geschieht aus Versehen, man kann nicht von Mord sprechen, da keine Absicht dahintersteckt. Bezeichnend ist die Szene, in der das Monster ein Mädchen dabei beobachtet, wie es Blüten ins Wasser wirft, damit diese auf der Oberfläche schwimmen. Die Kreatur wirft anschließend das Mädchen ins Wasser, was aber nicht aus Böswilligkeit, sondern aus schierem Unverständnis geschieht. Auch dieses Monster wird von Whale als tragischer Charakter inszeniert, doch wo die Tragik der Roman-Version von der Intelligenz und der Reflexionsfähigkeit herrührt, ist es im Film gerade der Mangel an derselben, die uns als Zuschauer mit Mitleid erfüllt. Im Grunde ist das Monster unschuldig und kann nichts für seine Taten. Das alles ändert wenig an der eigentlichen Botschaft des Romans über die Gefahr von Menschen, die Gott spielen wollen, die Parallelen zwischen Frankenstein und seiner Schöpfung gehen jedoch völlig verloren.

Sequels und Wirkung
Tatsächlich handelt es sich bei Whales „Frankenstein“ nicht um die erste filmische Umsetzung des Romans, bereits 1910 erschien ein Stummfilm mit Charles Ogle als Kreatur, der lange als verschollen galt, inzwischen aber wieder aufgetaucht ist. Tatsächlich verschollen ist hingegen die italienische Produktion „Il mostro di Frankenstein“ aus dem Jahr 1920, über die es kaum Informationen gibt. Dass die Universal-Adaption die mit Abstand einflussreichste ist, dürfte jedoch niemand bestreiten, Karloff als Monster hat die Vorstellungen nachhaltig geprägt. Noch in den 30ern und 40ern erschien eine ganze Reihe weiterer Frankenstein-Filme von Universal, wobei das Monster stets stärker im Fokus stand als der Schöpfer. Während Henry Frankenstein in „The Bride of Frankenstein“ (1935) noch einmal vorkommt, übernehmen ab „Son of Frankenstein“ (1939) andere Familienmitglieder die Hauptrolle. In späteren Filmen wird dann aber auch die Kreatur nicht mehr von Boris Karloff gespielt, unter anderem schlüpfen Lon Chaney jr. und sogar Bela Lugosi in die Rolle. Dennoch bleibt Frankensteins Schöpfung Dreh- und Angelpunkt der Serie. Das steht in krassem Kontrast zur späteren Frankenstein-Filmreihe der Hammer Studios, in denen die ursprüngliche, von Christopher Lee dargestellte Kreatur nur im ersten Film auftaucht. Stattdessen ist es Peter Cushing als Victor Frankenstein, der die Filmreihe durch seine schiere Präsenz zusammenhält. Der Einfluss von Universals „Frankenstein“ hat zu einem recht ironischen Effekt geführt: Einerseits ist die visuelle Erscheinung des Monsters so ikonisch, dass man einfach nicht an ihr vorbeikommt, andererseits kann man sie aber, nicht zuletzt durch Parodien wie „The Munsters“, im tatsächlichen Horror-Kontext einfach nicht mehr ernst nehmen. Somit steht jeder, der Mary Shelleys Roman adaptieren möchte, vor der Herausforderung, gewissermaßen gegen die Karloff-Version arbeiten zu müssen.

Siehe auch:
Art of Adaptation: Frankenstein – Mary Shelleys Roman
Art of Adaptation: Georges Bess’ Frankenstein
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf

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