Darth Maul: Shadow Hunter

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Darth Maul gehört zu den Star-Wars-Figuren, die im Verlauf ihrer Existenz eine faszinierende Wandlung durchgemacht haben. Ursprünglich ersann George Lucas Maul für „Star Wars Episode I: The Phantom Menace“ als primärer, lichtschwertschwingender Widersacher der Helden und damit quasi als Ersatz für Darth Vader. Allein aufgrund seines Aussehens wusste Maul das Fandom für sich einzunehmen – und das, obwohl an der Charakterisierungsfront nun wirklich nicht viel passiert und Maul über kaum ein halbes Dutzend Dialogzeilen im Film verfügt. Aber Lucas und Team hatten bekanntermaßen schon immer ein Händchen dafür, visuell einprägsame Schurkenfiguren zu kreieren, die enorm beliebt werden; siehe Boba Fett. Nachdem Maul bereits in seinem ersten Film relativ unrühmlich abserviert wurde, schien es die Verantwortlichen bei Lucasfilm lange in den Fingern zu jucken, den gehörnten Sith-Lord auch in Geschichten, die nach „The Phantom Menace“ spielen, auftauchen zu lassen. Dies geschah in mehreren Comic-Kurzgeschichten, deren Kanon-Status selbst in der Legends-Koninuität bestenfalls wackelig ist. Unter anderem ließen die Comicautoren einen wohl mit Sith-Alchemie rekonstruierten Maul gegen Darth Vader antreten (in der Kurzgeschichte „Resurrection“ aus der Serie „Star Wars Tales“) und eine holographische Projektion durfte sich mit Luke messen (in „Phantom Menaces“, ebenfalls „Star Wars Tales“). Die Idee eines überlebenden Maul geisterte ebenfalls bereits seit 2005 durch den Äther – in der Geschichte „Old Wounds“, erschienen als Teil der Kurzgeschichtensammlung „Star Wars Visionaries“, die die Werke diverse Concept Artists von „Star Wars Episode III: Revenge of the Sith“ sammelt, konfrontiert Maul mit an General Grievous erinnernden Droidenbeinen einen gealterten Obi-Wan Kenobi auf Tatooine. Diese Story war definitiv nie Teil der Kontinuität, inspirierte aber zweifelsohne seine ersten Auftritte in „Star Wars: The Clone Wars“ und auch sein finales Schicksal in „Star Wars Rebels“.

Und damit wären wir auch schon bei der Crux der Sache, denn nicht nur kehrte Maul in der vierten Staffel von „The Clone Wars“ zurück, er schlug einen völlig neuen Pfad ein, versuchte sein eigenes Ding zu drehen, eroberte Mandalore, vereinte mehrfach diverse Verbrechersyndikate unter sich, überlebte bis in die Zeit des Imperiums und bekam in „Solo: A Star Wars Story“ sogar einen weiteren Realfilmauftritt. Der Maul, der schließlich in „Rebels“ und „Solo“ auftaucht, hat mit der ursprünglichen Inkarnation, die kaum mehr als ein Werkzeug Darth Sidious‘ war, nur noch wenig zu tun. Gerade in diesem Kontext ist es interessant, zu Mauls ursprünglicher Charakterisierung zurückzukehren – und wie ginge das besser als mit Michael Reaves‘ Roman „Darth Maul: Shadow Hunter“.

„Shadow Hunter“ knüpft inhaltlich direkt an die vierteilige Dark-Horse-Miniserie „Darth Maul“ von Texter Ron Marz und Zeichnerin Jan Duursema an. Nachdem Maul die Schwarze Sonne, das größte Verbrechersyndikat der Galaxis gnadenlos dezimiert hat, schickt Darth Sidious seinen Schüler auf eine neue Mission. Die Belagerung Naboos durch die Handelsföderation steht kurz bevor, doch Hath Monchar, einer der Neimoidianer, die das Konglomerat anführen, hat sich dazu entschlossen, diese Information an den Meistbietenden zu verhökern. Da dieser Umstand Sidious‘ Pläne empfindlich stören könnte, besonders, sollten die Informationen rund um die Blockade in die Hände der Jedi fallen, setzt er Maul auf Hath Monchar an. Dieser versucht derweil, besagte Informationen an den Mann zu bringen und findet in dem Informationshändler Lorn Pavan einen interessierten Käufer. Natürlich ahnt Pavan nicht, dass er sich damit ebenfalls zum Ziel Mauls macht. Maul selbst ist von dieser Mission nicht allzu angetan, da er sie als unter seiner Würde betrachtet, doch die Lage wird für ihn interessanter, als die Jedi Darsha Assant, eine Padawan kurz vor der Ritterprüfung, eher durch Zufall in die Situation verwickelt wird.

„Darth Maul: Shadow Hunter“ ist alles in allem eine verhältnismäßig kleine und begrenzte Geschichte. Schauplatz ist, von einigen Kontext-Szenen mit Nute Gunray und Co. einmal abgesehen, ausschließlich Coruscant, die Zahl der teilnehmenden Akteure ist ebenfalls sehr begrenzt und die gesamte Handlung nimmt auch relativ wenig Zeit in Anspruch. Beim Abfassen des Romans dürfte Michael Reaves vor den üblichen Problemen gestanden haben: Darth Maul, vor allem in seiner ursprünglichen Inkarnation, ist kein allzu ergiebiger Protagonist. Wo sich die Miniserie von Ron Marz und Jan Duursema auf die visuellen Aspekte und die Action konzentrieren kann, muss Reaves in größerem Ausmaß Innenleben und Dialoge liefern. Wie so häufig in Sith-zentrischen Romanen entschied sich Reaves, den eigentlichen Titelhelden bzw. -schurken Titelfigur zwar zu einer, aber nicht DER zentralen Figur zu machen. Ähnliches lässt sich auch in „Dark Lord: The Rise of Darth Vader“ von James Luceno oder „Darth Bane: Rule of Two“ von Drew Karpyshyn beobachten. Während wir als Leser durchaus Einblicke in Mauls Gedankenwelt bekommen, sind es doch eigentlich Lorn Pavan und Darsha Assant, zusammen mit dem Droiden I-5YQ, die die Handlung tragen, während Maul trotz allem die Antagonistenrolle innehat – zumindest in der zweiten Hälfte des Romans. Das Gegenbeispiel hierzu wäre Lucenos „Darth Plagueis“ – hier sind tatsächlich fast ausschließlich der titelgebende Dunkle Lord sowie Darth Sidious die Figuren, denen wir folgen.

Gemessen an der Begrenztheit der Handlung gelingt es Reaves trotzdem, einige interessante Fragen aufzuwerfen, auch wenn er sie vielleicht nicht mit der Ausführlichkeit behandeln kann, die sie verdienen. Zum einen gibt er zumindest ein paar Einblicke in die Gedankenwelt der Sith-Lords Maul und Sidious, ohne natürlich allzu sehr ins Detail gehen zu können. Bevor Episode III in die Kinos kam, war es im Expanded Universe Usus, Palpatine und Sidious als zwei unterschiedliche Figuren zu behandeln – da „Shadow Hunter“ 2001, also noch vor „Attack of the Clones“ erschien, fällt er genau in diese Ära. Interessanterweise bestätigt „Shadow Hunter“ aufgrund des Twists am Ende praktisch, dass Palpatine und Sidious dieselbe Person sind. Wer sich hier mehr Informationen über die Sith erhofft, wird wahrscheinlich enttäuscht, da Reaves kaum mehr als recht vage Andeutungen machen kann. Was die Charakterisierung Mauls angeht, hält sich Reaves klar an den damals herrschenden Standard, will heißen: Anders als die TCW-Inkarnation der Figur hat Maul hier keinerlei eigene Ambitionen, die über die Erfüllung der Pläne seines Meisters hinausgehen. Er verschwendet keinerlei Gedanken daran, eines Tages vielleicht gegen Sidious zu kämpfen, um ihm den Titel des Sith-Meisters abzuringen, wie es die Regel der Zwei verlangen würde. Wenn er versagt, erwartet er nicht nur eine Bestrafung, er ist der Meinung, jedwede Maßnahme, die Sidious für richtig hält, auch verdient zu haben. Die Idee, seinen Meister zu belügen, erscheint ihm völlig absurd. Dennoch ist Arroganz ein entscheidender Charakterzug, primär Arroganz gegenüber allem, was nicht Sith ist – also allem außer ihm selbst und Darth Sidious. Diese Arroganz und das damit verbundene Überlegenheitsgefühl verleiten Maul dazu, seine Gegner zu unterschätzen und Fehler zu machen. Hier knüpft Reaves schön an die Maul-Miniserie an, in der diese Thematik ebenfalls dominant ist. In „Darth Plagueis“ lässt James Luceno Sidious beide Einsätze entsprechend kommentieren.

Tatsächlich interessanter als Mauls Innenleben sind allerdings Lorn Pavan und Darsha Assant, weil sie im Grunde zwei Perspektiven auf den späten Jedi-Orden liefern, eine positive und eine ehr kritische. Lorn Pavan hat seine eigene Geschichte mit den Jedi, er war Angestellter im Tempel, als sich jedoch herausstellte, dass sein kleiner Sohn machtsensitiv ist, wurde dieser von den Jedi „eingezogen“ und Lorn Pavan wurde entlassen, um Bindungen zu vermeiden. Besagter Sohn, Jax Pavan, wird später übrigens Protagonist in diversen anderen Reaves-Romanen. Dementsprechend ist Lorn Pavan nicht allzu gut auf die Jedi zu sprechen. Für Darsha Assant hingegen sind die Jedi eine Ersatzfamilie, sie dominieren ihre ganze Welt. Beide lernen im Verlauf des Romans allerdings den Standpunkt des jeweils anderen kennen und ein Stück weit verstehen, wodurch sie einander schließlich auch Sympathie und Kameradschaft entgegenbringen. Das alles ist relativ knapp gehalten, funktioniert aber dennoch recht gut, da Reaves hier die Probleme, aber auch die Vorzüge des Jedi-Ordens als eine Art Mikrokosmos, heruntergebrochen auf zwei Individuen zeigt. Die ganze Angelegenheit besitzt zudem von Anfang an eine gewisse Tragik, da man als Leser natürlich weiß, dass die Schurken am Ende gewinnen müssen und Lorn und Darsha quasi zum Tode verurteilt sind.

Stilistisch sticht Reaves weder besonders positiv noch negativ aus der Masse der Star-Wars-Literatur heraus, „Darth Maul: Shadow Hunter“ ist flüssig, spannend und gut lesbar geschrieben, verfügt aber weder über den Detailreichtum eines James Luceno, noch über die Metapherndichte eines Matthew Stover. Reaves hat die Angewohnheit, immer wieder in die Köpfe seiner Charaktere zu blicken und uns an ihren inneren Prozessen teilhaben zu lassen, was meistens ganz gut funktioniert. Gerade bei Maul und Sidious fällt das mitunter etwas knapper und vager aus, was aber an den oben erwähnten Beschränkungen liegt, schließlich sollten viele Fragen, die „The Phantom Menace“ aufwarf, erst in den folgenden beiden Filmen oder sogar späteren Romanen beantwortet werden (Stichwort: „Darth Plagueis“). Wenn man Reaves etwas vorwerfen kann, dann ist es, dass hier vielleicht ein, zwei Mal zu häufig der Zufall bzw. Plot Convinience bemüht wird. Dieses Element kann man allerdings auch positiv bewerten, denn ausnahmsweise hilft die Plot Convinience nicht den Helden, sondern Sidious und Maul. Vielleicht ist die Macht bereits so im Ungleichgewicht zugunsten der Sith, dass jegliche Bemühungen schließlich und endlich zum Scheitern verurteilt sind. Wie man es jedoch auch dreht und wendet, dieser Umstand sorgt dafür, dass Maul weniger kompetent erscheint. Ein weiterer Kritikpunkt ist relativ typisch für Star-Wars-Literatur im Allgemeinen: War es wirklich nötig, Obi-Wan unbedingt einen kleinen Subplot zu verpassen und ihn so mehr oder weniger knapp an Maul vorbeischrammen zu lassen?

Im August 2022 erschien „Darth Maul: Shadow Hunter“ im Rahmen der „Essential Legends Collection“, was vor allem einen Vorteil hat: Zusätzlich zur gedruckten Neuauflage mit neuem Cover veröffentlichte man auch ein überfälliges, ungekürztes Hörbuch. Oft werden für diese Hörbücher Veteranen wie Marc Thompson oder Jonathan Davis herangezogen, hin und wieder wählt man allerdings auch besondere Interpreten. Für „Shadow Hunter“ verpflichtet man Sam Witwer, eine durchaus passende Wahl, gehören doch zu den Star-Wars-Charakteren, denen er seine Stimme lieh, neben dem Sohn aus der Mortis-Trilogie in „The Clone Wars“, Starkiller in den beiden Force-Unleashed-Spielen und Hugh Sion in „Star Wars: Resistance“ eben auch Sidious (in „The Force Unleashed“ und „Rebels“) und natürlich vor allem Maul („The Clone Wars“, „Rebels“ und „Solo: A Star Wars Story“). Dementsprechend lebhaft und stimmenreich ist Witwers Lesung des Romans. Vor allem sein Maul ist wirklich gelungen, seine Imitation von Liam Neeson (Qui-Gon hat ein, zwei kurze Gastauftritte) ist allerdings auch äußerst überzeugend. Mit seinem Palpatine/Darth Sidious hingegen bin ich nie so recht warm geworden. Witwers Auslegung der Figur war für mich immer ein wenig zu nah an der Parodie. Zudem basiert Witwers Sidious stark auf der Episode-VI-Inkarnation der Figur, während Ian McDiarmid den Imperator in Spee in „The Phantom Menace“ deutlich barscher und geschäftsmäßiger parlieren lässt. Trotz dieses kleinen Mankos ist die Lesung sehr zu empfehlen, vor allem, da Witwer in weitaus größerem Ausmaß mit dem Text mitgeht, als man das sonst vielleicht gewohnt ist und besonders in intensiven Szenen oder Passagen, die in die Gedankenwelt der Charaktere eintauchen, den Erzähler an die entsprechende Figur angleicht. Wer eine ruhigere, ebenmäßigere Lesung bevorzugt, wird damit wahrscheinlich nicht unbedingt glücklich werden, aber wer einem animierten, lebhaften Vortrag des Textes etwas abgewinnen kann, sollte sich das Hörbuch unbedingt zu Gemüte führen.

Fazit: „Darth Maul: Shadow Hunter“ ist ein sehr kurzweiliger, wenn auch in seiner Reichweite begrenzter Roman, der trotz seiner Kürze einige durchaus interessante Ideen vermittelt und einen interessanten Kontrast zum Maul der Disney-Ära schafft. Gerade als Hörbuch sehr empfehlenswert.

Bildquelle

Siehe auch:
Darth Maul
Darth Maul: Son of Dathomir
Darth Plagueis
Solo: A Star Wars Story – Ausführliche Rezension

Art of Adaptation: Dracula (Holy Horror)

Halloween 2023

Als rechtefreier Roman ist „Dracula“ ein beliebtes Objekt für Adaptionen – nicht nur im Film-, sondern auch im Hörspielbereich. Bereits einige davon habe ich verglichen, erst vor kurzem ist mir eine weitere untergekommen, dieses Mal aus der Hörspielreihe „Holy Horror“. Bei Holy Horror handelt es sich um eine Serie des Labels Holysoft, gegründet von David Holy – schön, bei der Namensgebung eine gewisse Stringenz festzustellen. Konzeptionell ist „Holy Horror“ ähnlich angelegt wie die Serie Gruselkabinett; es werden primär rechtefreie Klassiker der Schauerliteratur umgesetzt, zusätzlich zu einigen extra für die Serie verfassten Geschichten. Nicht nur bedienen sich David Holy und seine Autoren bei denselben Vorlagen wie Marc Gruppe und Stephan Bosenius von Titania Medien, sie schöpfen z.T. auch aus demselben Sprecherpool bekannter Synchron- und Hörspielstimmen. Der vielleicht größte Unterschied ist, dass Holy und Co. sich dem Quellenmaterial nicht im selben Ausmaß verpflichtet fühlen wie Gruppe und Bosenius. Während im Gruselkabinett zumeist sehr werktreu vorgegangen wird, ist die Nähe zur Vorlage in den Holy-Horror-Hörspielen oft sehr unterschiedlich. Die Frankenstein-Adaption (Folge 2) beispielsweise hält sich relativ eng an Mary Shelleys Roman, während „Carmilla“ (Folge 16) komplett in die Moderne versetzt wird und eher die zugrundeliegende Idee und den groben Plot als die tatsächliche Novelle von Sheridan LeFanu adaptiert.

Was also tun, wenn man „Dracula“ umsetzen möchte – immerhin einer der am häufigsten adaptierten Romane der Literaturgeschichte? Und während es tatsächlich sehr wenig Filme gibt, die Stokers Werk vorlagengetreu auf die Leinwand zaubern, trifft das im Hörspielbereich nicht zu. Für „Holy Horror“ ging der profilierte Hörspielautor Marco Göllner zu Werk, Folge 10 bis 14 sind dem transsylvanischen Grafen gewidmet – damit gehört die Holysoft-Adaption zu den längeren Exemplaren ihrer Gattung. Um nicht einfach nur ein weiteres Dracula-Hörspiel zu sein, hat Göllner zwar die Figuren und Handlung größtenteils so belassen, wie man es gewohnt ist, aber doch diverse strukturelle Änderungen vorgenommen und am Finale deutlich geschraubt. Ein Ziel scheint es gewesen zu sein, die einzelnen Episoden – jede verfügt über einen individuellen Titel – stärker als in sich geschlossene, erzählerische Einheiten zu inszenieren.

Dabei überrascht es kaum, dass die erste Episode den Titel „Das Tagebuch des Jonathan Harker“ trägt und, wie gewohnt, Jonathan Harkers (Patrick Bach) Erlebnisse auf Schloss Dracula schildert. Ähnlich wie im WDR-Hörspiel aus den 90ern und in der dreiteiligen Netflix/BBC-Serie baut auch Göllner eine zusätzliche Rahmenhandlung ein, indem er Mina Murray (Bettina Kurth) in dem Kloster, in dem Jonathan nach seinen Erlebnissen Zuflucht sucht, eintreffen lässt. Dort liest sie sein Tagebuch, um zu erfahren, was ihr Verlobter, der mit Erinnerungslücken kämpfen muss, in Transsylvanien erlebt hat und wie er zu der Erkenntnis kommt, dass sein Gastgeber Dracula (Michael Prelle) ein Vampir ist. Dieser Umstand nimmt auf die Erzählsituation Einfluss, da sich Patrick Back und Bettina Kurth hier als Erzählstimme konstant abwechseln und ineinander übergehen, was mir persönlich deutlich zu uneben und durcheinander ist.

Die zweite Folge, „Die letzte Fahrt der Demeter“, steht im Zeichen eines Trends der letzten Jahre: Nach dem Comic „Bram Stoker’s Death Ship“, der zweiten Episode der BBC/Netflix-Serie und dem diesjährigen Film „The Last Voyage of the Demeter“ handelt es sich hier nun schon um die vierte Adaption, die das Dracula-Kapitel mit den Logbucheinträgen des Captains der Demeter erweitert und zur (semi-)eigenständigen Geschichte ausbaut. Folge 3, „Van Helsings Verdacht“ und Folge 4, „Die Jagd auf den Grafen“, kehren wieder in größerem Ausmaß zu Stokers Text zurück, allerdings mit einigen Abweichungen, die vor allem struktureller Natur sind. Die ausgiebige Vorstellung der Figuren Jack Seward (Johannes Steck), Arthur Holmwood (Romanus Fuhrman), Quincey Morris (Peter Sura), Abraham Van Helsing (Peter Weis) und Lucy Westenra (Vanessa Wirth) sowie den damit verbundenen, langsamen Spannungsaufbau um Lucy Krankheit und Draculas erste Aktionen in Großbritannien spart sich Göllner, stattdessen springt er praktisch direkt zu Lucys Tod, erklärt das nötige in Dialogen und bemüht sich, die Angelegenheit sehr rasant und actionreich zu inszenieren.

Im Großen und Ganzen spielt sich die weitere Handlung wie bei Stoker ab, allerdings mit der einen oder anderen Anpassung. Die größte ist das Ende: Anders als im Roman jagen die Vampirjäger den Grafen nicht bis nach Transsylvanien, um ihn dann im Schatten seines Schlosses zu vernichten, stattdessen findet das Finale bei Whitby statt und Jonathan Harkers Kukri-Messer wird dabei eine erstaunlich große Bedeutung zugewiesen. Wie in den meisten Adaptionen darf der Graf zudem etwas aktiver werden und seine Widersacher aktiv bekämpfen, bevor er das Zeitliche segnet.

Die fünfte Folge, „Der Zoophag“, knüpft an einen weiteren „Ausgliederungstrend“ unter den Dracula-Adaptionen an: Fokus auf Renfield (Marco Göllner himself). Auch hier finden sich sowohl ein Comic, „Renfield; A Tale of Madness“, als auch ein Film aus dem Jahr 2023, „Renfield“, mit zumindest in Ansätzen ähnlicher Thematik. Ein Großteil dieser fünften Folge beinhaltet primär Szenen aus Stokers Roman, die nicht enthalten waren, vor allem Dr. Sewards Erforschung des „Zoophagen“, geht dann aber über Draculas Tod hinaus und formt eine Art Epilog, der nicht unbedingt mit der Vorlage konform ist. Renfield überlebt hier seinen eigentlichen Tod, wird selbst zum Vampir und nimmt nach und nach Rache an den Vampirjägern und sogar ihren Nachkommen.

Auf der technischen Seite gibt es wenig zu beklagen, auch wenn die Holysoft-Produktion in meinen Augen nicht ganz die atmosphärische Dichte der Gruselkabinett-Hörspiele erreicht. Die Sprecherriege kann sich ebenfalls sehen lassen, es sind auch durchaus einige sehr bekannte Stimmen darunter, nicht zuletzt Johannes Steck, der nicht nur ein profilierter Hörbuch-Interpret, sondern auch die deutsche Stimme von Michael Douglas ist. Probleme habe ich persönlich eher auf der konzeptionellen Ebene, da man dem Hörspiel anmerkt, dass Marco Göllner einerseits durchaus großen Respekt vor der Vorlage hat und auch tatsächlich Stokers Geschichte umsetzen wollte, aber andererseits vorhatte, gerade angesichts des Umstandes, dass es schon so viele Dracula-Hörspiele gibt, eigene Akzente zu setzen. Dementsprechend ist Göllner stets um eine Art Spagat bemüht, wobei gerade die strukturellen Umgestaltungen oftmals eher dazu zu dienen scheinen, die eigentliche Vorlagentreue zu verschleiern. Dabei gibt es durchaus gelungene Ideen, gerade die Demeter-Episode ist sehr gelungen und atmosphärisch, alles in allem will die Holy-Horror-Version von Stokers Roman allerdings nie so recht zusammenfinden und über ihre Einzelteile hinauswachsen. Besonders die finale Renfield-Episode wirkt merkwürdig abgekapselt, wie eine Mischung geschnittener Szenen und einer unnötigen Coda, die so absolut nicht zum Ende des Romans passen möchte.

Fazit: Trotz guter Sprecher und handwerklich solider Inszenierung weiß die Holy-Horror-Version von „Dracula“ nicht völlig zu überzeugen, da sie sich nie so recht entscheiden kann, ob sie nun eine vorlagengetreue Umsetzung des Romans oder doch eine Neuinterpretation sein möchte. Vor allem die strukturellen Änderungen sorgen dafür, dass Stokers Geschichte ihre erzählerische Kohärenz verliert – wer mit der Vorlage nicht vertraut ist, könnte spätestens nach Folge 2 den Überblick verlieren, während für den Kenner wohl nicht genug neue Impulse vorhanden sein dürften.

Halloween 2023:
Art of Adaptation: The Silence of the Lambs
Art of Adaptation: Bride of Frankenstein
Fright Night (2011)
Art of Adaptation: Hannibal

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Der gehörte Graf
Geschichte der Vampire: Der gezeichnete Graf
Art of Adaptation: Dracula in der Gruselserie
Dracula (BBC/Netflix)
Renfield

The Fall of Númenor

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Christopher Tolkien mag 2020 verstorben sein, aber andere führen sein Werk fort; seit seinem Tod erschienen zwei weitere Tolkien-Veröffentlichungen. Während „The Nature of Middle-earth“ (2021), herausgegeben von Carl F. Hostetter, tatsächlich neues bzw. bislang nicht publiziertes Material enthält – primär kleinere Texte, Spekulationen und Essays zu allen möglichen Themen rund um Mittelerde, weshalb in der Rezeption mitunter vom inoffiziellen „13. Band der ‚History of Middle-earth” gesprochen wird – lässt sich Brian Sibleys „The Downfall of Númenor“ eher mit Veröffentlichungen wie „The Children of Húrin“ oder „Beren and Lúthien“ vergleichen, indem es sich um eine Kompilation bereits veröffentlichter Texte handelt.

Brian Sibley ist Tolkien-Fans kein Unbekannter. Von den 70ern bis in die 90er arbeitete er primär für das Radio und machte sich einen Namen mit diversen hochkarätigen Hörspieladaptionen, darunter auch die BBC-Umsetzung des „Lord of the Rings“ aus dem Jahr 1981. Zu seinen späteren, gedruckten Werken gehören u.a. diverse Begleitbücher zu den beiden Jackson-Trilogien sowie Bücher mit Mittelerde-Karten, zumeist in Zusammenarbeit mit John Howe. Zudem fungierte er bei den Filmtrilogien als Berater und ist recht häufig in den diversen Dokumentationen zu sehen. In einem Interview verriet Sibley, dass HarperCollins explizit keinen Literaturwissenschaftler oder Tolkien-Forscher, sondern eher einen Geschichtenerzähler bzw. Dramaturgen für dieses Unterfangen wollte.

In seiner Konzeption unterscheidet sich „The Fall of Númenor“ durchaus von jenen bisherigen Publikationen Christopher Tolkiens, die man als „Zweitauswertung“ bezeichnen könnte. Während dieser im Rahmen der „History of Middle-earth“ die chronolgische Entwicklung der Sekundärewelt seines Vaters nachzeichnete, mit dem „Silmarillion“ und „The Children of Húrin“ in sich geschlossene Narrativen vorlegte und in „Beren and Lúthien“ und „The Fall of Gondolin“ die Evolution einer bestimmten Geschichte zeigte, sammelt Sibley in „The Fall of Númenor“ alle relevanten Texte Tolkiens zum Zweiten Zeitalter. Somit enthalten sind Entnahmen aus dem „Lord of the Rings“, primär natürlich aus den Anhängen, die beiden Kapitel „Akallabêth“ und „Of the Rings of Power and the Third Age“ aus dem „Silmarillion“ sowie diverse Texte aus der „History of Middle-earth“, den „Unfinished Tales of Númenor and Middle-earth“ sowie „The Nature of Middle-earth”. Besagte Texte werden allerdings nicht einfach so reproduziert, wie sie in den oben genannten Werken erschienen, stattdessen bemüht sich Sibley, wo möglich, um eine chronologische und für die „kanonischen“ Werke relevante Aufteilung; will heißen, es finden sich keine bzw. nur wenige Frühformen, die inzwischen überholt sind. Die Anordnung erfolgt nach der in Anhang B des „Lord of the Rings“ auffindbaren Chronologie des Zweiten Zeitalters Die große Ausnahme bezüglich der „Gültigkeit“ sind zwei Kapitel aus Tolkiens unvollendetem Zeitreiseroman „The Lost Road“, in denen diverse Figuren mit veränderten Namen auftauchen. Dementsprechend finden sie sich als Anhang am Ende des Buches. Wo sich bei Tolkien Widersprüche finden, etwa bei der Datierung von Ereignissen, dem Alter von Figuren etc. weist Sibley im Rahmen der Endnoten darauf hin.

Der Untertitel „And Other Tales from the Second Age“ sollte, nebenbei bemerkt, unbedingt beachtet werden, denn Númenor ist zwar primärer, aber nicht ausschließlicher Fokus des Buches, die Entwicklung der Elbenreiche, Khazad-dûms und natürlich Mordors im Zweiten Zeitalter wird ebenfalls thematisiert, wobei Sauron und das Schmieden der Ringe der Macht natürlich besonders viel Platz eingeräumt bekommt. In diesem Kontext beschränkt sich Sibley nicht nur darauf, die entsprechenden Texte und Essays zu sammeln, sondern zitiert auch hin und wieder aus dem Erzähltext des „Lord of the Rings“, wenn es thematisch passt, etwa wenn Elrond beim Rat in Bruchtal von seinen Erlebnissen im Zweiten Zeitalter berichtet.

Dennoch sollte klar sein, dass es sich bei „The Fall of Númenor“ um alles Mögliche, nur nicht um tatsächliche erzählende Texte, geschweige denn eine wirkliche Romanhandlung handelt. Dem am nächsten kommt noch „Aldarion and Erendis: The Mariner’s Wife“, mehr oder weniger der einzige, tatsächlich ausgearbeitete narrative Text; zudem eine für Tolkien eher untypische Geschichte. Dieses unvollendete Werk wurde ursprünglich im Rahmen von „Unfinished Tales of Númenor and Middle-earth“ publiziert, thematisiert im Grunde das Scheitern einer Ehe und hätte vielleicht eine deutlich interessantere Grundlage für Amazon Primes „The Rings of Power“ abgegeben, hätte man dafür die Rechte gehabt… Wie dem auch sei, wie viele andere derartige Werke liest sich „The Fall of Númenor“ eher wie ein Geschichtsbuch. Da Sibley mit den Texten arbeiten muss, die Tolkien verfasst hat, ist die Gewichtung mitunter ein wenig gewöhnungsbedürftig. Viele der wirklich essentiellen Ereignisse werden nur sehr knapp behandelt, während der bereits erwähnten und im Gesamtkontext relativ insignifikanten Geschichte von Aldarion und Erendis sehr viel Platz eingeräumt wird. Aber bei einem Projekt wie diesem lässt sich das natürlich nicht vermeiden.

Auch wenn der oben verwendete Begriff „Zweitauswertung“ abwertend klingend mag, ist „The Fall of Númenor“ in der Tat ein äußerst nützliches Werk. Selbst wer sämtliche ursprünglichen Bücher sein Eigen nennt, kann mit Sibleys Kompilation einiges an Mühe und Zeit sparen, und wer nicht über eine erschöpfende Mittelerde-Bibliothek verfügt und ausschließlich am Zweiten Zeitalter interessiert ist, macht mit „The Fall of Númenor“ sowieso nichts falsch. Unbedingt hervorzuheben sind natürlich die abermals extrem gelungenen Artworks von Tolkien-Künstler Alan Lee, die das Ganze noch einmal ungemein aufwerten.

Die Hörbücher der älteren Tage: Ein Update
Seit meinem Artikel über die „Great Tales“ hat sich im Mittelerde-Hörbuch-Bereich doch das Eine oder Andere getan. Nicht nur hat Andy Serkis inzwischen sowohl den „Hobbit“ als auch den „Lord of the Rings“ komplett eingelesen, auch einige der posthum veröffentlichten Tolkien-Werke wurden hörbar gemacht. Die „Unfinished Tales of Númenor and Middle-earth“ erhielten sowohl ein englisches als auch ein deutsches Hörbuch, Ersteres wurde, wie schon „Beren and Lúthien“ und „The Fall of Gondolin“, eingelesen von Timothy und Samuel West, Letzteres (natürlich unter dem deutschen Titel „Nachrichten aus Mittelerde“) von Tolkien-Stammsprecher Gert Heidenreich und Timmo Niesner, seines Zeichens deutsche Stimme von Elijah Wood. Niesner übernimmt die erläuternden Parts von Christopher Tolkien, während Heidenreich die eigentlichen Tolkien-Texte liest. „The Nature of Middle-earth“ hat leider weder auf Deutsch noch auf Englisch ein Hörbuch bekommen, aber wer sich für „Beren and Lúthien“ interessiert, kann dies nun ebenfalls auf Deutsch mit derselben Sprecherkonstellation wie „Nachrichten aus Mittelerde“ hören. „The Fall of Númenor“ wurde zumindest auf Englisch inzwischen auch eingelesen, Samuel West übernimmt abermals die Tolkien-Texte, während Brian Sibley seine Erläuterungen selbst liest.

Fazit: Brian Sibleys Tolkien-Kompilation „The Fall of Númenor“ passt nicht nur vorzüglich zu den letzten Veröffentlichungen Christopher Tolkiens, sondern ist auch eine nützliche Abkürzung für alle, die sich für die Mysterien des Zweiten Zeitalters interessieren – ein Bedürfnis, das durch Amazons „The Lord of the Rings: The Rings of Power“ durchaus in stärkerem Maße aufkommen könnte…

Bildquelle

Siehe auch:
Interview mit Brian Sibley
The Great Tales: Die „andere” Tolkien-Trilogie
The Hobbit: Theatrical Audiobook
The Lord of the Rings: Soundscape Audiobook
The Lord of the Rings: The Rings of Power – Staffel 1

Art of Adaptation: Pickman’s Model

Halloween 2022

Dass Guillermo del Toro ein gewisses Faible für H. P. Lovecraft hat, ist nun wirklich kein Geheimnis: Immer wieder finden sich Anspielungen in seinen Filmen und natürlich hat wahrscheinlich kein Lovecraft-Fan del Toros gescheiterte Adaption von „At the Mountains of Madness“ vergessen. So verwundert es kaum, dass der Schriftsteller aus Providence auch in der neuen Horror-Anthologieserie „Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities“ eine Rolle spielt, und das nicht nur in einzelnen Anspielungen (die natürlich auch vorhanden sind), sondern in Form von zwei Episoden, die sich als direkte Adaptionen von Lovecraft-Geschichten präsentieren. Das Konzept der Netflix-Serie erinnert an „Alfred Hitchcock Presents“: Zu Beginn jeder Episode gibt es ein paar einleitende Worte von del Toro, darauf folgen die von verschiedenen Regisseuren inszenierten Horror-Geschichten. Bei Folge 5, Regie führt Keith Thomas, handelt es sich um eine, wenn auch ziemlich freie, Umsetzung der Geschichte „Pickman’s Model“, was sie zu einem interessanten Sujet für mich macht.

Die Lovecraft-Geschichte
Lovecraft verfasste „Pickman’s Model“ 1926, ein Jahr später wurde die Kurzgeschichte auf den Seiten des Magazins „Weird Tales“ publiziert. Gemessen an vielen der späteren und populäreren Storys wie „The Call of Cthulhu“ oder „The Shadow Over Innsmouth“ ist „Pickman’s Model“ eine eher konventionelle Geschichte, die eigentlich nicht wirklich dem „Cthulhu-Mythos“ oder dem Sub-Genre des kosmischen Horrors zuzurechnen ist, auch wenn Elemente der Geschichte, sei es Richard Upton Pickman selbst oder die Ghule, die er abbildet, in Mythos-Geschichten anderer Autoren nur allzu gerne auftauchen.

Erzählerisch ist die Geschichte recht simpel aufgebaut, wie so oft bei Lovecraft haben wir es mit einem Ich-Erzähler zu tun, der allerdings ausnahmsweise einmal keinen Bericht über erschreckende Ereignisse hinterlässt; stattdessen ist die Geschichte als „einseitiger Dialog“ aufgebaut. Der Erzähler Thurber (in der Geschichte ohne Vornamen, in der Adaption heißt er Will) berichtet seinem Freund Eliot von seinen Erlebnissen mit dem Maler Richard Upton Pickman, wobei der Text Eliots Antworten und Erwiderungen ausspart, sodass der Leser gewissermaßen als Dialogpartner fungiert. Thurber berichtet, dass seine Angst vor der U-Bahn, Kellern und dem Untergrund im Allgemeinen von einem Erlebnis mit dem kürzlich verschwundenen Maler Richard Upton Pickman herrührt, der wie Thurber und Eliot Mitglied des Kunstvereins von Boston ist bzw. war. Pickman eckte dort mehrmals wegen seiner ebenso grausigen wie realistischen Gemälde an, die viele andere Mitglieder verschreckten, während sie Thurber nachhaltig beeindrucken und faszinieren – trotz seines Traumas hält er an der Meinung fest, dass es sich bei Pickman um einen außergewöhnlichen Künstler handelt.

Pickman, der sich von Thurbers Bewunderung offenbar geschmeichelt fühlt, lädt ihn in sein „geheimes Atelier“ in den heruntergekommenen Norden Bostons ein, in welchem er Thurber Gemälde von blutrünstigen Monstrositäten zeigt, gegen die jene, die im Kunstverein schon ausgestellt wurden, regelrecht harmlos sind. Merkwürdige Geräusche veranlassen Pickman, mit einem Revolver das Zimmer zu verlassen, angeblich um Ratten zu verscheuchen – tatsächlich fallen Schüsse. Pickman und Thurber trennen sich hastig. Später stellt Thurber fest, dass er bei Pickman ein Stück Papier eingesteckt hat, bei welchem es sich um eine Fotografie handelt, die eines jener grausigen Wesen zeigt, die Pickman gemalt hat. So muss Thurber feststellen, dass diese Kreaturen keinesfalls der Fantasie entstammen, sondern dass es sich bei Pickmans Gemälden „nur“ um realitätsnahe Wiedergaben handelt.

„Pickman’s Model“ ist eine Geschichte, die heute zugegebenermaßen in dieser Form nicht mehr allzu viele Neuleser besonders beeindrucken dürfte, im Vergleich zu anderen Enthüllungen, besonders Enthüllungen kosmischen Schreckens, ist die hiesige relativ zahm. Wie viele andere Geschichten Lovecrafts ist sie in ihrem Aufbau und in ihren Andeutungen deutlich stärker als in ihrer tatsächlichen Auflösung. Der interessanteste Aspekt dürften wahrscheinlich die immer wieder eingestreuten Diskussionen zum Thema Kunst sein, Thurber dient hier zweifellos als Avatar für Lovecrafts eigene Meinung zum Thema „erschreckende Gemälde“. Tatsächlich funktioniert „Pickman’s Model“ für mich persönlich in der Hörspieladaption der Reihe „Gruselkabinett“ von Titania Medien mit Abstand am besten, da sie unheimlich stimmig inszeniert ist und von dem großartigen Zusammenspiel von Dietmar Wunder (dt. Stimme von Daniel Craig) und Sascha Rotermund (dt. Stimme von Benedict Cumberbatch) profitiert. Dabei bleibt das Hörspiel nah am Text und schafft es, allein durch die Performance der Sprecher das Grauen zu vermitteln. Kaum weniger gelungen ist zudem die GM-Factory-Lesung von Gregor Schweitzer. Eine visuelle Adaption hat es da natürlich schwerer – dementsprechend verwundert es kaum, dass Keith Thomas und Drehbuchautor Lee Patterson sich vom Text sehr weit entfernen.

Die Umsetzung
Zumindest auf handwerklicher Ebene kann man dieser Folge, wie der gesamten Serie (zugegeben, ich habe noch nicht alle Folgen gesehen) wenig vorwerfen. „Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiositys“ sieht definitiv sehr gut aus und ist durchweg enorm atmosphärisch. Die Handschriften der einzelnen Regisseure sind sehr wohl präsent, zugleich haftet allen Folgen aber auch eine gewisse, nennen wir es „Del-Toro-haftigkeit“ an, sei es in der Atmosphäre oder im Design der Kreaturen. Inhaltlich ist es leider eine etwas andere Geschichte: Wie bereits zu erwarten war, wird eher die grobe Prämisse als die tatsächliche Geschichte adaptiert: Thurber (Ben Barnes) und Pickman (Crispin Glover) sind beide Schüler einer Kunstakademie. In einer Sitzung beobachtet Thurber zufällig, wie das gewöhnliche Modell, das gemalt werden soll, auf Pickmans Bild vier Arme hat und blutet. Wie in der Geschichte übt Pickman eine gewisse Faszination auf Thurber aus, man unterhält sich und Pickman erzählt Thurber ein wenig von seinen Hintergründen – eine Vorfahrin namens Lavinia (Megan Many) war laut Pickman in diverse kultische bzw. schwarzmagische Handlungen verwickelt, setzte Gästen ihren gekochten Ehemann vor und wurde dafür als Hexe verbrannt – dieses kannibalistische Motiv taucht in der Episode immer wieder auf. Gewisse Andeutungen diesbezüglich finden sich tatsächlich in Lovecrafts Geschichte, auch hier werden Verbindungen zu den Hexenprozessen von Salem erwähnt und eines von Pickmans Werken trägt den Titel „Leichenfresser beim Fraße“, diese sind allerdings weit weniger spezifisch. Der Lovecraft-Kenner wird bei dem Namen Lavinia zudem sofort hellhörig und muss an „The Dunwich Horror“ denken.

Die Werke Pickmans, die Thurber in Kombination mit der Familiengeschichte gezeigt bekommt, haben einen verstörenden Einfluss auf den jungen Maler, er scheint zu halluzinieren und Elemente aus Pickmans Gemälden in der Realität zu sehen, was zur Folge hat, dass seine Geliebte Rebecca (Oriana Leman) glaubt, er sei Betrunken auf ihrer Party erschienen, woraufhin sie die Beziehung beendet. Als Thurber Pickman erneut in seiner Wohnung aufsucht, sind sowohl der Maler als auch seine Gemälde verschwunden. An dieser Stelle macht die Handlung einen Sprung von 17 Jahren, Thurber und Rebecca sind inzwischen verheiratet und haben einen gemeinsamen Sohn. Zudem ist Thurber inzwischen ein einflussreicher Künstler. Da taucht, recht unverhofft, Richard Upton Pickman wieder auf – und mit ihm und seinen Gemälden kehren auch die Visionen und Alpträume zurück, die sich nun direkt auf Thurber und seine Familie auswirken. Pickman taucht schließlich sogar bei Thurber zuhause auf und beteuert, er wolle nur, dass seine Bilder gesehen werden. Abermals lädt er den Kollegen zu sich ein, bei Pickman kommt es allerdings zum Handgemenge, das schließlich mit Pickmans Tod endet. Um ganz sicher zu gehen, verbrennt Thurber die unheilvollen Bilder, doch es stellt sich heraus, dass der unheilvolle Einfluss bereits von Thurbers Frau und Sohn Besitz ergriffen hat, sodass sich Lavinias Tat wiederholt…

Wie bereits erwähnt: „Pickman’s Model“ ist eine Geschichte, die so, wie sie Lovecraft erzählt, weder besonders furchterregend, noch besonders filmisch ist. Thomas und Patterson ließen sich für diese Folge der Anthologie eher von der Prämisse und der Figurenkonstellation inspirieren, entwickelten sie dann jedoch in eine völlig andere Richtung. Gewisse Reste der ursprünglichen Geschichte sind noch vorhanden, so wird Thurber unter anderem auch mit dem tatsächlichen Ghul konfrontiert, anstatt nur dessen Foto zu sehen, ironischerweise hätte man diese Szene jedoch problemlos entfernen können. Wo sich die eigentliche Story auf die Ghule und deren Abbildung konzentriert, schaffen Regisseur und Drehbuchautor aus Implikationen und Andeutungen einen kultischen Überbau, der ironischerweise an „Dreams in the Witch House“ erinnert – zufällig handelt es sich hierbei um die zweite Lovecraft-Geschichte, die im Rahmen des „Cabinet of Curiosities“ verfilmt wird. Das Problem bei der Sache ist, dass die ganze Angelegenheit ziemlich holprig erzählt ist, die einzelnen Bestandteile wollen nicht ineinandergreifen. Es wirkt, als hätten Thomas und Patterson versucht, das Grauen der ursprünglichen Kurzgeschichte zu erweitern, um sie für ein modernes Horror-Publikum ansprechender zu machen, diese Bemühungen sorgen allerdings dafür, dass das Ergebnis recht generisch daherkommt und sich nicht mehr recht nach Lovecraft anfühlen will – man fühlt sich eher etwas an „The Conjuring“ erinnert. Dementsprechend fand ich persönlich die finale Realwerdung eines der Bilder auch nicht allzu überraschend oder schockierend. Hinzu kommt, dass leider auch die beiden Hauptdarsteller ihn ihren Rollen nicht völlig überzeugen können, was primär damit zusammenhängt, dass sie mit ihrem Akzent kämpfen: Sowohl Ben Barnes (dessen Mitwirken angesichts der Tatsache, dass er in „The Picture of Dorian Gray“ die Hauptrolle spielte, wohl als Casting-Gag verstanden werden kann) als auch Crispin Glover scheinen mit dem Bostoner Sprach-Duktus nicht völlig zurechtzukommen. Während das bei Barnes nicht allzu viel ausmacht, ist Glovers Akzent wirklich merkwürdig und klingt eher wie die Parodie eines Iren. Vielleicht bin ich durch Sascha Rotermund, der Pickman sehr charismatisch anlegt, zu sehr vorgeprägt, aber ich persönlich finde Glovers autistisch anmutendes Overacting hier ziemlich fehl am Platz.

Fazit: Die Umsetzung von „Pickman’s Model“ im Rahmen von „Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities“ kann zwar nicht wirklich als misslungen bezeichnet werden, vor allem auf technischer und atmosphärischer Ebene weiß sie durchaus zu überzeugen. Allerdings scheitern Regisseur Keith Thomas und Drehbuchautor Lee Patterson an einer wirklich effektiven Modernisierung der Lovecraft-Geschichte, die zudem an Fokusproblemen und Crispin Glovers Darstellung von Richard Upton Pickman leidet.

Siehe auch:
Hörbuch: Pickman’s Model bei GM Factory
Lovecraft im Gruselkabinett
Lovecrafts Vermächtnis: Der Cthulhu-Mythos

Art of Adaptation: The Hellbound Heart

Halloween 2022
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Beim 1987 erschienen Film „Hellraiser“ handelt es sich um einen der seltenen Fälle, in denen ein Autor nicht einfach nur als Drehbuchschreiber oder Berater an der Filmadaption beteiligt ist, sondern das Ganze auch noch in Eigenregie umsetzt. Zustande kam diese Konstellation, weil Clive Barker mit vorherigen Adaptionen seiner Werke absolut unzufrieden war – die Umsetzung der Novelle „The Hellbound Heart“ wollte er deshalb selbst durchführen. Gerade in diesem Kontext traf Barker bei der filmischen Umsetzung einige interessante Entscheidungen. Nicht wenige, die die Novelle lesen, nachdem sie den Film gesehen haben, sind etwas erstaunt, wenn nicht gar enttäuscht, dass Pinhead (oder der „Hell Priest“; bekanntermaßen verabscheut Barker den Spitznamen Pinhead, den diese Horrorikone aber wohl nicht mehr loswird). Die deutsche Übersetzung, die den Filmtitel trägt, hat zu allem Überfluss auch noch Pinhead auf dem Cover und auch eine der englischen Ausgaben deutet Doug Bradleys ikonische Figur zumindest an, in der Geschichte selbst findet sich allerdings kaum eine Spur von ihm.

Handlung und Konzeption der Novelle
Zumindest im Groben stimmen Handlung von Novelle und Film überein: Der Hedonist Frank Cotton sucht nach neuen fleischlichen Genüssen und wird auf den sog. „Lemarchand-Würfel“ aufmerksam, der Wollust jenseits aller Vorstellungskraft verspricht. Frank gelingt es, den Würfel an sich zu bringen, sodass er die Cenobiten beschwören kann – bei diesen handelt es sich allerdings nicht, wie Frank angenommen hat, um willige, überirdisch schöne Frauen, sondern um entstellte Kreaturen, die Frank mit in ihr Reich nehmen, um ihm zu zeigen, dass Schmerz und Lust zwei Seiten derselben Medaille sind. Einige Zeit später ziehen Franks Bruder Rory und seine Frau Julia in Franks und Rorys Elternhaus ein – jenes Haus, in welchem Frank den Lemarchand-Würfel löste. Beim Einzug verletzt sich Rory und Blut tropft auf die Stelle, an der Frank bei seiner Begegnung mit den Cenobiten unwillentlich und -wissentlich etwas Ejakulat zurückließ – dies ermöglicht es Frank, dem Reich der Cenobiten zu entkommen und in die Welt der Lebenden zurückzukehren, wenn auch als geschwächtes und hautloses Etwas. Julia ist derweil in ihrer Ehe gelangweilt und unbefriedigt, sie sehnt sich nach Frank, mit dem sie kurz vor ihrer Hochzeit eine Affäre hatte. Als sie entdeckt, dass Frank noch… existiert und sich im Haus versteckt, entschließt sie sich, zuerst widerwillig, ihm zu helfen. Denn um sich zu regenerieren benötigt Frank vor allem Blut, und der attraktiven Julia ist es ein Leichtes, Männer ins Haus zu locken, damit Frank sie aussagen kann. Rorys Freundin Kirsty, die heimlich in Rory verliebt ist, schöpft allerdings Verdacht, als sie beobachtet, wie Julia fremde Männer ins Haus führt. Doch die Wahrheit, die sie bald darauf entdeckt, ist noch einmal deutlich schlimmer, denn sie entdeckt den hautlosen Frank, der sie zu töten versucht. Kirsty gelingt es, den Lemarchand-Würfel als Waffe gegen Frank zu verwenden und aus dem Haus zu entkommen. Kurz darauf bricht sie zusammen und wacht in einem Krankenhaus wieder aus. Eher aus Langweile löst auch sie den Würfel und beschwört unwillentlich einen Cenobiten, der jedoch bereits ist, Kirsty gehen zu lassen, wenn sie ihm Frank ausliefert. Also kehrt sie zurück und muss feststellen, dass Frank inzwischen Rory getötet und sich dessen Haut „angezogen“ hat. Chaos bricht aus, in welchem Frank eher versehentlich Julia tötet. Bald darauf tauchen die Cenobiten auf, um Frank zurück in ihr Reich zu holen…

Als Novelle ist „The Hellbound Heart” sehr geradlinig aufgebaut und schnörkellos erzählt. Die primären Figuren, durch deren Augen man Leser am Geschehen teilhat, sind Julia und Kirsty, aber auch an Frank Cottons Gedanken dürfen wir zumindest im ersten Kapitel teilhaben. Zugleich ist „The Hellbound Heart“ aber auch deutlich vielseitiger, als auf den ersten Blick deutlich wird. Nachdem der erste Hellraiser-Film Kultstatus erlangte, von den kontinuierlich schlechter werdenden Sequels gar nicht erst zu reden, mag das heute nicht mehr ganz so offensichtlich sein, aber Barkers Novelle ist innerhalb des „Übergenres Horror“ praktisch ein Chamäleon, das flüssig zwischen diversen Subgenres wechselt, in seinen Themen, primär der Dualität von Lust und Schmerz, aber immer konsistent bleibt. Die Novelle beginnt mit okkultem Horror und Franks Ritual, sodass man nun den Eindruck bekommen könnte, die Cenobiten seien die Monster des Werkes, dies erweist sich aber bald als Trugschluss. Daraufhin kombiniert Barker verschiedene Elemente: Spukhaus-, Vampir- und Serienkillergeschichte, von den dominanten Body-Horror-Elementen gar nicht erst zu sprechen. Diese werden in der Verfilmung natürlich noch einmal besonders betont, einerseits durch das grandiose Design der Cenobiten, aber auch durch Franks nicht minder grandiose Rückkehr in die Welt der Lebenden. Diese verläuft in der Novelle deutlich weniger spektakulär. Stets vorhanden bleibt dabei das erotische Element – und natürlich ist „The Hellbound Heart“ nach Barkers Aussage auch eine Liebesgeschichte, wenn auch eine extrem toxische, die die negativen Auswirkungen obsessiver Liebe und Lust schildert. Am Ende kehren die Cenobiten zurück und schließen damit den Kreis.

Familienbande
Handlungsverlauf und -struktur bleiben im Film größtenteils unverändert erhalten: Zu Beginn ruft Frank (Sean Chapman) die Cenobiten und wird von ihnen mitgenommen, sein Bruder und seine Schwägerin ziehen ins Haus ein, verursachen seine Rückkehr, Julia (Clare Higgins) wird zur Komplizin, Kirsty (Ashley Laurence) kommt dem allem auf die Spur und schafft es am Ende, die Cenobiten dazu zu bringen, Frank zurückzuholen. Die Änderungen finden sich vor allem in den Details und der Konzeption der Charaktere – und damit meine ich nicht den Umstand, dass Rory im Film Larry Cotton (Andrew Robinson) heißt. Für die Adaption entschloss sich Barker, das Ganze in noch stärkerem Ausmaß zu einem Familiendrama zu machen, in dem er Kirsty zur Larrys Tochter macht. Vielleicht wollte er rückwirkend Franks „Come to Daddy“, das im Film wie in der Novelle auftaucht, etwas mehr Kontext zu verleihen. Dementsprechend ändert sich auch das Alter der Figuren etwas: Es wird zwar nicht eindeutig erwähnt, aber doch impliziert, dass sich die vier Hauptfiguren alle etwa im gleichen Alter, Ende 20, Anfang 30 befinden. Im Film dagegen hat Larry nun eine erwachsene Tochter und ist damit automatisch älter, auch Julia und Frank scheinen ein paar Jahre hinzugewonnen zu haben. Davon abgesehen stimmen sie charakterlich mit der Vorlage ziemlich genau überein. Abermals ist es Kirsty, die sich am stärksten verändert hat.

Die Novellenversion ist ein ziemlich passiver Charakter, der sich vor allem durch die hoffnungslose Verliebtheit in Rory auszeichnet. Film-Kirsty dagegen wirkt deutlich aktiver und selbstbestimmter, sie ist zwar Larrys Tochter, wohnt aber nicht mehr bei ihm und hat eindeutig ihr eigenes Leben, während Buch-Kirstys Existenz sich größtenteils um Rory zu drehen scheint. Diese Unabhängigkeit wird u.a. durch ihren Freund Steve (Robert Hines) ausgedrückt, der in der Novelle natürlich nicht auftaucht. Kirstys Identität als Larrys Tochter sorgt zudem für zusätzlichen Inzest-Subtext, der in der Novelle ebenfalls nicht vorhanden ist.

Der erzählerische Kern bleibt im Film jedoch definitiv erhalten. Pinhead und die Cenobiten mögen die Poster des Films (und natürlich der Sequels) zieren, gerade in diesem ersten Film sind sie aber nur Randerscheinungen, weder Pro- noch Antagonisten, sondern fast schon passive Figuren, die nur reagieren, wenn jemand die Lemarchand-Box löst. Es ist Frank, der alles beginnt, es ist Julia, die sich entschließt, ihm zu helfen und es ist Kirsty, die schließlich die Cenobiten dazu bringt, Frank in ihr Reich zurückzuholen.

Einige Anpassungen sind zudem dem visuellen Medium geschuldet: Im ersten Kapitel erfährt man als Leser beispielsweise genau, wie Frank denkt, welche Ausmaße sein Hedonismus angenommen hat und wie und weshalb er die Lemarchand-Box in seinen Besitz gebracht hat. Der Film vermittelt diese Elemente nicht direkt über die Narration, sondern indirekt über visuelle Hinweise, beispielsweise die erotische Skulptur, die Julia im Haus findet. Auf die Hintergründe des Würfels, hier zumeist als „Lament Configuration“ bezeichnet, geht der Film zudem kaum ein, statt eines kurzen Abrisses von Franks okkulter Recherche sehen wir nur, wie er die Box in Marokko erwirbt. Manche der erwähnten Details werden dann allerdings in späteren Filmen aufgegriffen, primär in „Hellraiser: Bloodline“, dem vierten Teil, in welchem die Konstruktion der Box thematisiert und ihr Schöpfer Philippe Lemarchand (Bruce Ramsay) als wichtige Figur etabliert wird. Statt dieser Hintergründe taucht in „Hellraiser“ allerdings ein ominöser Wächter der Box in Gestalt eines insektenfressenden Obdachlosen auf, der die ganze Situation beobachtet und am Ende, als Kirsty versucht, die Box zu verbrennen, einschreitet und sich in einen aus Knochen bestehenden Drachen verwandelt.

„We Have Such Sights to Show You”
Die Beschreibung der vier Cenobiten in Barkers Novelle bleibt verhältnismäßig vage, sie werden als verstümmelt, vernarbt und größtenteils geschlechtslos beschrieben, fahlhäutig, mit Asche gepudert und von einem Vanille-Duft begleitet. Die Mischung aus S/M-Ästhetik und katholisch anmutenden Gewändern, derer sich der Film bedient, wird nicht wirklich erwähnt und entstand erst bei der visuellen Konzeption des Films. Der in diesem Jahr erschienene Reboot (der bislang in Deutschland weder stream- noch erwerbbar ist) zeigt diesbezüglich durchaus interessante Alternativen. Das Quartett, mit dem es Frank zu Beginn der Novelle zu tun bekommt, entspricht zumindest ungefähr den späteren Filmgegenstücken: Einer mit entstelltem Mund entwickelte sich im Schaffensprozess zum Chatterer (Nicholas Vince), aus dem Cenobiten mit wulstigen Narben im Gesicht wurde Butterball (Simon Bamford), ein eindeutig weiblicher entwickelte sich zum Female Cenobite (Grace Kirby) und schließlich hätten wir noch den Cenobiten mit Nadeln im Kopf, der sich schließlich zu Pinhead entwickeln sollte. Dieser Cenobit unterscheidet sich vor allem in zwei Eigenschaften von der von Doug Bradley verkörperten Horror-Ikone: Seine Stimme wird als hoch und mädchenhaft beschrieben, in Kontrast zu Bradleys beeindruckendem Bass, und er ist zudem nicht der Wortführer der Cenobiten, sondern derjenige, der am wenigsten sagt. Dass sich Letzteres im Film änderte, ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass Chatterer und Butterball aufgrund der aufwändigen Masken nicht sprechen konnten, weshalb man ihre Dialogzeilen aus der Novelle Pinhead in den Mund legte.

In der Adaption wie in der Vorlage tauchen die Cenobiten in drei Szenen auf, die Gewichtung unterscheidet sich allerdings ein wenig. Der große Auftritt des Quartetts erfolgt in der Novelle bereits am Anfang, inklusive ausführlicher Dialoge mit Frank. Der Film hingegen zeigt nur vage Eindrücke und kurze Einblendungen. Ihre tatsächliche, große Szene im Film erfolgt erst im Krankenhaus, als Kirsty die Lament Configuration löst – abermals in deutlichem Unterschied zur Novelle. Kirsty gerät im Film zuerst in das Reich der Cenobiten, wo sie von einem bizarren Monster angegriffen wird (hierzu später mehr), erst danach trifft sie auf das Quartett. In der Vorlage hingegen taucht an dieser Stelle nur ein einziger Cenobit auf, das literarische Gegenstück des Female Cenobite. Am Ende erscheinen die Cenobiten noch einmal, um Frank einzusammeln, werden in der Novelle aber vom „Ingenieur“, ihrem Anführer begleitet, dessen Beschreibung sehr vage bleibt. Im Film existiert ebenfalls ein Wesen, das als „Ingenieur“ bezeichnet wird, dabei handelt es sich allerdings um das oben erwähnte, bizarre Monster, das Kirsty durch die Gänge des Labyrinths jagt. Es sei noch zu erwähnen, dass die Cenobiten Kirsty in der Novelle, anders als in der Adaption, nicht angreifen, der Ingenieur gibt ihr lediglich die Lemarchand-Box.

Fazit: Trotz einiger größerer Änderungen ist „Hellraiser“ eine würdige Adaption der Novelle „The Hellbound Heart“. Oftmals kommt es vor, dass ein Autor, der sein eigenes Werk adaptiert, nicht gewillt ist, die nötigen Änderungen für einen funktionierenden Medienwechsel vorzunehmen, auf Clive Barker trifft das allerdings nicht zu, im Gegenteil. Mit „Hellraiser“ schuf Barker nicht nur einen vollauf gelungenen Horrorfilm, sondern, zusammen mit Doug Bradley, auch eine Ikone des Genres.

Bildquelle

Trailer

Siehe auch:
The Scarlet Gospels
Hellbound Hearts
Stück der Woche: Hellbound
Hemators Empfehlungen: Horror-Soundtracks

Art of Adaptation: Der Ring des Nibelungen – RBB-Hörspiel

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Wagners „Der Ring des Nibelungen“ taucht aktuell immer wieder in den Schlagzeilen auf, primär natürlich wegen den gerade stattfindenden Bayreuther Festspielen, sei es wegen der neuen Inszenierung des Opernzyklus durch Regisseur Valentin Schwarz, Belästigungsvorwürfen oder Unfällen, bei denen sich Darsteller schwer verletzen. Mehr oder weniger parallel dazu habe ich eine Entdeckung gemacht, die zwar deutlich weniger dramatisch, dafür aber nicht minder interessant ist. Bereits vor einigen Monaten inszenierte der RBB eine aufwändige Hörspielproduktion des „Rings“ mit hochkarätiger Sprecherriege unter Regie von Regine Ahrem, die zumindest in Ansätzen einen von mir lange gehegten Traum erfüllt: Ich war schon lange der Meinung, es müsse eine vernünftige Film- oder Serienadaption des „Rings der Nibelungen“ geben, in der eine bearbeitete Fassung von Wangers Musik als Score fungiert – die Ringpartituren mit ihrer aufwändigen Leitmotivstruktur sind praktisch schon fast Film-Scores. Besagtes Hörspiel ist zwar kein Film, folgt allerdings eben diesem Konzept – gesungen wird nicht, Wagners Musik ist aber durchaus zu vernehmen, arrangiert und durch eigene Kompositionen angereichert von Felix Raffel.

Nun ist Wagners Opernzyklus ja bekanntermaßen selbst kein originales Werk – der umstrittene Komponist bediente sich nicht nur beim „Nibelungenlied“, quasi dem deutschen Nationalepos, sondern auch bei diversen anderen Versionen der Geschichte. Während das „Nibelungenlied“ eindeutig christlich geprägt ist und den Fokus auf die höfischen Elemente (und die spätere Racheaktion von Kriemhild) legt, konzentriert sich Wagner in weit größerem Maß auf die mythischen Elemente und entnimmt für die ersten drei Opern „Das Rheingold“, „Die Walküre“ und „Siegfried“ viele Komponente aus der Völsunga saga und anderen nordischen Quellen; auf diese Weise versuchte er gewissermaßen, eine ursprüngliche, germanische Version der Sage zu rekonstruieren. Aus Odin wird Wotan, aus Thor Donner, aus Loki Loge etc. „Götterdämmerung“ schließlich ist in etwa inhaltsgleich mit der ersten Hälfte des „Nibelungenliedes“, während die zweite Hälfte, die Kriemhilds Rache an den Burgunden, die für Siegfrieds Tod verantwortlich sind, schildert und nebenbei diverse Gastauftritte bekannter Figuren aus Sage und Geschichte, von Dietrich von Bern bis hin zu Etzel/Attila beinhaltet, von Wagner nicht beachtet wird. Und selbst die Teile, die deckungsgleich sind, sind von größeren Unterschieden geprägt, im „Nibelungenlied“ lässt sich beispielsweise eine Parallelentwicklung beobachten: Zu Beginn ist Bründhilde die kriegerischer Frauenfigur, wird dann aber zunehmend gebändigt und spielt später kaum eine Rolle mehr, während Kriemhild die zentrale Figur der zweiten Hälfte ist und sich praktisch zur Rachegöttin entwickelt. Wagners Kriemhild-Gegenstück Gutrune dagegen bleibt der höfischen Welt verbunden und alles in allem ziemlich unwichtig, während Bründhilde diejenige ist, die am Schluss die Initiative ergreift.

Die Hörspieladaption hält sich sehr eng an Wagners Version der Handlung: Alles beginnt am Rhein, der Nibelungenzwerg Alberich steigt den Rheintöchtern nach, wird von diesen allerdings nur verhöhnt, weshalb er stattdessen der Liebe entsagt und das Rheingold, dessen Geheimnis ihm die Rheintöchter leichtsinnigerweise anvertraut haben, für sich beansprucht. Denn wer aus dem Rheingold einen Ring schmiedet, kann damit die Welt beherrschen. In anderen Sphären har Göttervater Wotan derweil mit eigenen Problemen zu kämpfen. Zwar haben die Riesen Fasolt und Fafner ihm eine herrliche Burg mit dem Namen Walhall erbaut, allerdings fordern sie als Preis Wotans Schwägerin Freia. Darüber ist Ehegattin Fricka nicht amüsiert, zudem sind die Götter auf Freias Äpfel, die ihre ewige Jugend garantieren, angewiesen. Feuergeist Loge weiß allerdings Rat: Wenn man den Riesen das Rheingold anstelle von Freia verspräche, könnte man die Göttin zurückerhalten. Da Alberich das Gold geschickterweise bereits gestohlen hat, würde man es zudem nur einem Dieb abnehmen. Da kann man die ursprünglichen Wärterinnen schon mal ignorieren. Gesagt, getan, Wotan und Loge steigen hinab nach Nibelheim und schaffen es, Alberich, der inzwischen nicht nur einen Ring, sondern auch einen Tarnhelm mit der Hilfe seines Bruders Mime aus dem Gold geschmiedet hat, um Gold, Ring und Tarnhelm zu erleichtern. Alberich verflucht allerdings den Ring, auf dass er Tod und Verderben bringe. Wotan ist zuerst nicht gewillt, Gold und Allmacht aufzugeben, lässt sich aber von Erda, der Urmutter, schließlich überreden, alles den Riesen zu überlassen. Der Fluch auf dem Ring zeigt sofort Wirkung: Fafner tötet Fasolt und verschwindet in die Wälder, um sich in einen Drachen zu verwandeln.

In den anderen drei Opern arbeitet Wotan unermüdlich daran, seine Fehler aus dem „Rheingold“ auszumerzen. Zu diesem Zweck zeugt er mit diversen Göttinnen, darunter auch Erda, die Walküren, die die gefallenen Helden nach Walhall bringen, damit diese Wotan in einem potentiellen finalen Kampf unterstützen. Es sind allerdings sterbliche Helden, die die Misere in letzter Konsequenz in Ordnung bringen müssen. Zu diesem Zweck gründet Wotan das Geschlecht der Wälsungen. Die Zwillinge Siegmund und Sieglinde, Kinder Wotans, verlieben sich auch prompt ineinander und alles könnte so schön sein, bestünde Wotans Ehefrau Fricka, zufällig die Göttin der Gattentreue, nicht darauf, dass die inzestuöse Beziehung gewaltsam beendet wird. Schweren Herzens befiehlt Wotan Brünhilde, in Siegmunds Kampf mit Sieglindes Ehemann Hunding Letzterem zum Sieg zu verhelfen, was diese allerdings ablehnt, ihrem Herzen folgt und für die Liebe eintritt. Also muss Wotan selbst tätig werden, Siegmund stirbt, sein magisches Schwert Notung zerbricht und Brünhilde trägt Sieglinde von dannen. Wotans ursprünglicher Plan geht dennoch auf, denn Sieglinde ist mit Siegfried, dem ultimativen Helden schwanger. Aber Strafe muss sein, weshalb Brünhilde auf einem Felsen in magischen Schlaf versetzt wird. Ein Feuerkreis schützt sie vor Unwürdigen, wer jedoch furchtlos ist, soll sie besitzen.

In „Siegfried“ wird der verwaiste Titelheld (Sieglinde ist bei der Geburt gestorben) von Alberichs Bruder Mime aufgezogen, der hofft, der Junge wäre eines Tages dazu in der Lage, den Drachen Fafner zu töten, denn natürlich ist auch Mime hinter Ring und Goldschatz her. Dazu benötigt er allerdings Notung – da Mime nicht in der Lage ist, das Schwert neu zu schmieden, muss Siegfried selbst Hand anlegen und erweist sich als Naturtalent. Es kommt, wie es kommen muss: Nicht nur gelingt es Siegfried, den Drachen zu töten, er demütigt auch noch Wotan, zerstört dessen Gesetzesspeer und macht sich schließlich daran, die schlafende Brünhilde aufzusuchen. Natürlich durchschreitet er den Flammenring problemlos und Tante und Neffe verlieben sich sofort ineinander.

Im Finale des Zyklus wird Siegfried mit etwas deutlich Schlimmerem konfrontiert als einem Drachen: höfischen Intrigen. Auf der Suche nach neuen Heldentaten lässt er Brünhilde samt Ring der Macht zurück und sucht die Gibichungen auf, die von einem gewissen Gunther regiert werden. Gunthers Halbbruder Hagen ist jedoch Alberichs Protegé und hat eigene Pläne mit Siegfried. Sowohl Gunther als auch seine Schwester Gutrune müssen vielversprechende Ehen eingehen, um die Macht der Gibichungen zu sichern, und wer wäre da besser geeignet als eine ehemalige Walküre und ein Drachentöter? Der Plan ist simpel: Mit einem Zaubertrank sorgt man dafür, dass Siegfried Brünhilde vergisst und sich in Gutrune verliebt. Anschließend gibt sich Siegfried, um Gutrune ehelichen zu können, per Tarnhelm als Gunther aus und bringt Brünhilde gegen ihren Willen an den Hof der Gibichungen. Letztendlich dient dieses ganze Kunststück natürlich dazu, an den Ring zu kommen. Kaum, dass die erste Intrige aufgeht, arbeitet Hagen auch schon an der nächsten: Siegfried muss weg. Durch den Zaubertrank hat er unwissentlich einen Meineid geschworen, und natürlich fühlt auch Brünhilde sich verraten, weshalb sie Hagen mitteilt, dass Siegfried durch ihren Zauber zwar unverwundbar ist, sie den Rücken allerdings ausgespart hat, sodass Hagen ihn wegen Verrats töten kann. Auch dieser Plan geht auf, Brünhilde beschließt nun aber, endlich das Richtige zu tun und den Ring an die Rheintöchter zurückzugeben, damit der Fluch gebrochen wird.

Die Vorlagentreue ist einerseits die größte Stärke, aber auch die größte Schwäche der Hörspielproduktion. An der einen oder anderen Stelle wird der „Ring“ hier zweifellos etwas moderner ausgelegt, gerade zu Beginn wird etwa das menschliche (bzw. göttliche) Eingreifen in die Natur und Wotans Vertragsversessenheit noch einmal negativer hervorgehoben und Regisseurin Regine Ahrem legt nach eigener Aussage den Fokus noch einmal stärker auf die Frauenfiguren. Ansonsten werden aber nur wenige Anpassungen vorgenommen, Hagen scheint hier beispielsweise nicht mehr Alberichs leiblicher Sohn zu sein. Somit ist das Hörspiel eine wirklich gute Gelegenheit, die Wagner’sche Version dieses Stoffes – und zusätzlich zumindest in Ansätzen auch seine Musik – kennenzulernen. Zudem leisten die Sprecher wirklich gute Arbeit – der Cast um Martina Gedeck, Bernhard Schütz, Bibiana Beglau, Dimitrij Schaad und Lars Rudolphleihen kann sich wirklich sehen bzw. hören lassen.

Die Vorlagentreue wird primär dann zum Problem, wenn sie auf die Opern- bzw. Theaterherkunft nur allzu deutlich hinweist: Entnimmt man die Geschichte des „Rings“ ihrem Opernkontext, verliert sie automatisch einen Teil ihrer epochalen Natur. Zum einen liegt das an den fehlenden Gesangseinlagen, die relativ banale Handlungselemente oder Gespräche natürlich sofort dramatisieren. Diesbezüglich fallen auch die Dialoge mitunter etwas uneben aus, manchmal bemüht man sich um modernere Diktion, manchmal wird Wagners Libretto aber auch recht direkt zitiert. Wie dem auch sei, mitunter wird die Theaterherkunft des „Rings“ in dieser Bearbeitung unangenehm deutlich, und das auf eine Art und Weise, die gerade bei einem Hörspiel nicht hätte sein müssen, da es eben nicht an die Beschränkungen der Bühne gebunden ist. Zudem treten hier einige Schwächen der Vorlage noch deutlicher zutage. Das betrifft besonders die „Götterdämmerung“. Egal ob bei Wagner oder im Hörspiel, der Umstand, dass sich das Finale der Tetralogie ausschließlich auf die menschlichen bzw. halbmenschlichen oder menschgewordenen Figuren konzentriert und die Götter fast völlig außenvorlässt, sorgt dafür, dass der Titel wie ein gebrochenes Versprechen klingt. Die ursprünglichen Kontrahenten Alberich und Wotan tauchen kaum bzw. gar nicht mehr auf und über den Untergang der Götter wird man lediglich durch Dialoge informiert. Die Comicserie „Götterdämmerung“ hat hier einen relativ gelungenen Weg gefunden – auch sie orientiert sich an Wagner, erlaubt aber zusätzliche Handlungsstränge und zeigt auch tatsächlich den Untergang der Götter Walhalls.

Die Musikauswahl ist im Großen und Ganzen gelungen. Es ist natürlich schwierig, Wagners komplexe Leitmotivstruktur aus 16 Stunden Opernzyklus für ein deutlich kürzeres Hörspiel zu adaptieren, dennoch hätte es meinem Empfinden nach etwas mehr sein dürfen. Gerade die größtenteils atmosphärischen Passagen, die Felix Raffel selbst komponiert hat, wirken äußerst uninteressant und austauschbar – vielleicht wäre es besser gewesen, sich dort stärker Wagners Motivsprache zu bedienen und die Themen nach Bedarf selbst weiterzuentwickeln. Das ist jedenfalls, was ich mir von dem oben beschriebenen, hypothetischen Film wünschen würde. Dennoch, die Highlights, vom Einzug der Götter in Walhall über den Ritt der Walküren bis hin zu Siegfrieds Thema finden sich in das Hörspiel eingearbeitet, allerdings habe ich die Variation aus Siegfrieds Trauermarsch vermisst.

Ursprünglich wurde das Hörspiel als 16-teilige Podcast-Serie veröffentlicht, da die Jugend mit Podcasts anscheinend leichter anzulocken ist als mit klassischen Hörspielen. In dieser Form kann die Ring-Adaption direkt auf Seite des RBB gehört werden. Inzwischen gibt es allerdings auch Albenveröffentlichungen, die sich auf den gängigen Plattformen (Amazon, Audible etc.) erwerben lassen. Dass es ursprünglich ein auf mehrere Teile angelegtes Projekt war, merkt man allerdings immer noch, da Erda, die als Erzählerin fungiert, immer wieder das kurz zuvor gehört zusammenfasst.

Fazit: Aufwändiges Hörspiel, das einen durchaus gelungenen Einstieg in das Werk Wagners bietet, da es sich sehr eng an die Vorlage hält. Für Kenner der Materie dagegen dürfte das Hörspiel zu wenig Musik und zu wenig Eigeninitiative besitzen. Unterhaltsam ist es trotzdem.

Siehe auch:
Hörspiel beim RBB
Wagner: Der Ring ohne Worte
Götterdämmerung

Art of Adaptation: Dracula in der Gruselserie

In meinem ursprünglichen Artikel zum Thema Dracula-Hörspiele habe ich mich auf drei sehr werkgetreue Adaptionen konzentriert, heute werfen wir stattdessen einen Blick auf etwas freiere Umsetzungen von Stokers Graf, die sich in H. G. Francis „Gruselserie“ finden. Bei H. G. Francis handelt es sich um einen profilierten, 2011 verstorbenen Roman- und Hörspielautor, der eigentlich Hans Gerhard Franciskowsky hieß und u.a. für seine Mitarbeit an der Perry-Rhodan-Serie bekannt war. Bereits in den 70ern war er für die Produktion einiger Gruselhörspiele verantwortlich, die er zwischen 1981 und 1982 im Rahmen der Reihe „Gruselserie“ neu auflegte und um weitere Hörspiele anreicherte. Viele dieser Hörspiele bedienen sich bekannter Figuren oder Motive aus klassischen Horrorfilmen oder -romanen, wobei das Ganze zumeist eher simpel und mit Pulp-Anleihen aufgezogen ist. Nicht wenige der Folgen erinnern bezüglich ihrer Konzeption oder ihres Handlungsaufbaus an Universal- oder Hammer-Filme. Dracula darf da natürlich nicht fehlen und taucht direkt oder indirekt in einigen Episoden der Serie auf – natürlich nur selten vorlagengetreu. Trotz eines gewissem Mangels an erzählerischem Anspruch und einigen, sagen wir, Defiziten in Sachen Dialoge kann sich die Sprecherriege dieser Serie durchaus sehen lassen, man konnte eine ganze Reihe profilierter Hörspielstimmen gewinnen, darunter Hans Paetsch, Reinhilt Schneider, Andreas von der Meden, Horst Frank, Marianne Kehlau oder Wolfgang Völz, um nur ein paar wenige zu nennen.

Dracula und Frankenstein, die Blutfürsten
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Bereits in der zweiten Folge der Serie darf der Graf seinen ersten Auftritt absolvieren. Der Titel deutet es bereits an, es handelt sich hierbei um ein Crossover, in dem sich zwei Horror-Legenden treffen. Protagonisten dieses Hörspiel sind ein Pärchen, bestehend aus dem Reporter Tom Fawley (Horst Frank) und seiner Verlobten Eireen Fox (Brigitte Kollecker), die in einem Hotel in Transsylvanien (wo auch sonst?) auf merkwürdige Vorkommnisse stoßen: Ein Mann fällt aus dem Fenster, bald darauf verschwindet seine Leiche und nur ein Haufen Staub bleibt zurück. Etwas beunruhigt brechen die beiden zum nahegelegenen Schloss auf, wo sie ein gewisser Dr. Stein (Hans Paetsch) erwartet, der seine Forschungen mit der Weltpresse teilen möchte. Dort begegnen sie allerdings zuerst dem ominösen Graf Cula (Gottfried Kramer). Dr. Stein enthüllt schließlich, dass er und seine Partnerin Dr. Finistra (Jo Wegener) an der Erschaffung eines künstlichen Menschen arbeiten. Dementsprechend hält sich der Schock auch in Grenzen, als enthüllt wird, dass es sich beim Doktor und beim Grafen um Frankenstein und Dracula handelt. Die Geschichte ist recht merkwürdig aufgezogen und will nie so recht zusammenkommen, entsprechend wenig verbindet den hier auftauchenden Vampir und den verrückten Wissenschaftler mit den tatsächlichen Romanfiguren von Bram Stoker und Mary Shelley – es handelt sich eher um Verkörperungen der allgemeinen Konzeption dieser beiden Figuren, ohne dass sie, trotz der sehr guten Sprecher, allzu spezifisch anmuten. Allerdings gibt es ein wirklich interessantes kleines Detail in diesem Hörspiel: Der Name meines Blogs stammt zumindest partiell daraus. Der Name meiner „Vampiridentität“, die ich mir irgendwann zwischen Kindheit und Teenagerzeit bastelte, tauchte in einigen Hörspielen auf, die ich als Heranwachsender konsumierte, dazu gehört neben diesem hier auch eine John-Sinclair-Episode sowie die Drei-???-Folge „Vampir im Internet“. In „Dracula und Frankenstein, die Blutfürsten“ ist Hemator ein Bote der Hölle, der Dracula als Herrscher der Vampire ablösen soll – unglücklicherweise handelt es sich bei ihm um die Figur, die zu Anfang aus dem Fenster stürzt und anschließend als Ersatzteillager für Frankensteins Monster dienen muss. Konzeptionell ist das alles durchaus interessant, nur macht das Hörspiel leider nicht allzu viel mit dieser Idee. Tom Fawley und Eireen Fox tauchen im Verlauf der Serie noch in zwei weiteren Folgen auf und werden dabei auch weiterhin von Horst Frank und Brigitte Kollecker gesprochen. Die siebte Folge der Gruselserie, „Das Duell mit dem Vampir“, passt sogar thematisch ganz gut zu „Dracula und Frankenstein, die Blutfürsten“, da die beiden es auch hier nicht nur mit einem, sondern gleich mit zwei legendären Monstern zu tun bekommen. Zusätzlich zu Vampiren (dieses Mal allerdings mit weit weniger bekannten Namen) müssen die beiden sich hier in Spanien mit einem Werwolf herumschlagen. Beide Folgen erinnern konzeptionell recht stark an einige der späteren Universal-Crossoverfilme.
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Dracula, König der Vampire
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Bereits in der dritten Folge kehrt der Graf zurück, eine inhaltliche Verbindung zu „Dracula und Frankenstein, die Blutfürsten“ gibt es allerdings nicht – wohl aber zu Stokers Roman. Tatsächlich handelt es sich bei „Dracula, König der Vampire“ um eine partielle Adaption der Transsylvanien-Episode zu Anfang des Romans, mit einem großen Unterschied: Anstatt alleine zu Dracula (Charles Regnier) zu reisen, wird Jonathan Harker (Günther Ungeheur) von Mina (Reinhilt Schneider) begleitet. Die meisten Ereignisse dieses Abschnitts von Stokers Roman spielen sich dennoch so ab, wie man es gewohnt ist: Als es Jonathan nicht gelingt, Dracula in seinem Rasierspiegel zu sehen, ist Mina gerade auf ihrem Zimmer und während Jonathan von Draculas Bräuten (Ingrid Dreier, Elise Gruber, Dörthe Kiesling) attackiert wird, versteckt sie sich im Schrank. Einige spätere Elemente des Romans werden ebenfalls aufgegriffen: Wie bei Stoker wird Mina auch hier ein Opfer des Grafen. Da Abraham Van Helsing in diesem Hörspiel genauso wenig auftaucht wie Jack Seward, Quincey Morris oder Arthur Holmwood, ist es Jonathan selbst, der Mina mit einem Kreuz statt mit einer Hostie kennzeichnet. Zudem gelingt es Jonathan auch, mit dem Grafen und seinen drei Gefährtinnen verhältnismäßig einfach im Alleingang fertig zu werden. Die technische Umsetzung ist durchaus nicht übel, angesichts der vielen Hörspielfassungen, besonders der drei, die ich im entsprechenden Artikel vorgestellt habe, ist diese Kurzfassung der berühmten Geschichte aber relativ unnötig, besonders, da ich Charles Regnier als Graf nicht unbedingt passend besetzt finde. Bereits als Kind gefiel mir das Hörspiel des WDR deutlich besser als dieses hier, und daran hat sich nichts geändert.
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Gräfin Dracula, Tochter des Bösen
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Der Titel der achten Folge erinnert automatisch an das erste Universal-Sequel zu „Dracula“, „Dracula’s Daughter“, rein inhaltlich finden sich allerdings nicht allzu viele Parallelen. Statt Transsylvanien ist dieses Mal Spanien Ort der Handlung. Die vier Reisenden Amalia (Katharina Brauren), Angelo (Horst Stark), Pedro (Ernst von Klipstein) und Maria (Gabriele Libbach) verschlägt es aufgrund eines durch ein Unwetter verursachten Kutschenunfalls zu einem alten Anwesen, wo sie einer Person begrüßt werden, die sich als Gräfin Dracula (Marianne Kehlau) vorstellt. Später wird sie zudem als Draculas Tochter identifiziert. Darüber hinaus finden sich allerdings nicht allzu viele Verweise auf Stokers Roman. Wie schon in „Dracula und Frankenstein, die Blutfürsten“ wird hier weniger mit spezifischem Material gearbeitet, sondern mit der abstrahierten Assoziation – der Name fungiert als Marker für das „Vampirböse“. Als solches tritt Gräfin Dracula hier auch auf, ganz im Unterschied zur von Gloria Holden gespielten Marya Zaleska im Universal-Film, die eine deutlich interessantere und differenziertere Figur war. Recht gelungen finde ich allerdings den Sprachduktus bei ihrem ersten Auftritt, dieser erinnert tatsächlich an Stokers Worte aus „Dracula“. Zudem werden sie von Marianne Kehlau sehr gelungen herübergebracht.
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Draculas Insel, Kerker des Grauens
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Geographie ist nicht unbedingt meine Stärke, aber soweit ich weiß hat zwar Rumänien einen Zugang zum Schwarzen Meer, die Region Transsylvanien aber definitiv nicht. Wie dem auch sei, in Folge 10 der Gruselserie darf der Graf wieder selbst auftreten und dieses Mal besitzt er sogar eine eigene Insel „vor der Küste Transsylvaniens“. Abermals verschlägt es eine Gruppe Reisender (dieses Mal per Schiff und nicht Kutsche), bestehend aus Peter Griest (Gernot Endemann), Hammand (Gottfried Kramer), Doran (Wolf Rahtjen), Elenor (Heidi Schaffrath) und Professor Dark (Friedrich Schütter), seines Zeichens Vampirforscher, zur Draculas Unterschlupf, wo sie sich mit dem Blutdurst des Grafen und seiner Schergen herumärgern müssen. In gewisser Hinsicht kulminieren in dieser Episode inhaltlich alle bisherigen Dracula-Folgen: Der Handlungsentwurf erinnert an „Gräfin Dracula, Tochter des Bösen“, Charles Regnier ist hier, wie in „Dracula, König der Vampire“, abermals als Graf zu hören und wie in „Dracula und Frankenstein, die Blutfürsten“ ist abermals ein künstlicher Mensch an der ganzen Angelegenheit beteiligt – dieser trägt den Namen Hummunk (Hannes Messemer). Dementsprechend ausgelutscht kommt die Handlung dann aber auch daher, ähnlich wie in den späteren Hammer-Filmen wirkt die ganze Angelegenheit wie ein stupides Abarbeiten der Tropen: Schon wieder wird Dracula mit improvisierten Kreuzen ziemlich schnell in seine Schranken gewiesen.
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Dracula – Tod im All
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2019 wurde die Gruselserie von Sony bzw. dem Label Europa wiederbelebt, Drei-???-Veteran André Minninger ist dieses Mal für die Skripte verantwortlich. In der fünften Folge darf Dracula innerhalb dieser Revival-Serie seinen Einstand feiern. Die Handlung erinnert sehr stark an Ridley Scotts „Alien“: Die Crew eines Raumschiffs, bestehend aus Valentina Alexandrowna (Gertie Honeck), Stella Dupont (Merete Brettschneider), Björn Hellström (Romanus Fuhrmann), Tarik Thomalla (Peter G. Dirmeier), Diana Labahn (Anna Carlsson) und Walther Beenstock (Jürgen Uter), erhält einen merkwürdigen Notruf und findet im All einen noch merkwürdigeren Sarg, den sie unglücklicherweise an Bord bringt. Dem Sarg entsteigt Dracula (Udo Schenk) persönlich, der nun in bester Xenomorph-Manie die Crew dezimiert und die Mitglieder nach und nach in Vampire verwandelt oder tötet. Das Revival der Gruselserie ist etwas moderner, deshalb aber kaum weniger pulpig inszeniert. Abermals weiß vor allem die Sprecherriege zu überzeugen – aus den bereits genannten sticht natürlich primär Udo Schenk, bekannt als Stammsprecher von Gary Oldman und Ralph Fiennes, als Graf hervor, der sichtlich Spaß daran hat, Draculas Bösartigkeit genüsslich auszuwalzen. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch Christian Brückner, die deutsche Stimme von Robert De Niro, als Erzähler. Die Verknüpfungen zu Stokers Roman sind abermals eher dünn, aber immerhin wird erwähnt, dass die Vampirjäger-Dynastie Van Helsing in letzter Konsequenz dafür verantwortlich ist, dass Draculas Sarg ins All geschossen wurde. Gerade aufgrund von Udo Schenks herrlicher überdrehter, vor Bösartigkeit triefender stimmlicher Performance als Vampirfürst ist „Dracula – Tod im All“ wahrscheinlich das unterhaltsamste der hier besprochenen Hörspiele.
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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gehörte Graf
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf

Lovecrafts Vermächtnis: Howard Phillips Lovecraft – Chroniken des Grauens

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Da Lovecrafts Geschichten rechtefrei sind, bietet es sich durchaus an, sie als Vorlage für alle möglichen Dinge zu verwenden. Gerade im Hörspielbereich sind seine Erzählungen allerdings nicht unbedingt leicht umzusetzen, da sie oftmals sehr berichthaft und wenig szenisch und dialoglastig daherkommen. In der Serie „Gruselkabinett“ des Labels Titania Medien wurde eine ganze Reihe von HPL-Geschichten umgesetzt, mal mehr, mal weniger vorlagengetreu, gewisse Anpassungen mussten allerdings immer vorgenommen werden. „The Colour out of Space“ beispielsweise ist wirklich nah an der Geschichte, wurde aber um eine zusätzliche Figur erweitert, einfach nur, damit ein Großteil der Exposition im Dialog und nicht von einem Erzähler vermittelt werden kann. Die von Markus Winter ersonnene und von seinem Label WinterZeit 2020 gestartete Hörspielserie „Howard Phillips Lovecraft – Chroniken des Grauens“ wählt dagegen einen ganz anderen Ansatz. Am ehesten lässt sich diese, bislang fünf Episoden umfassende Serie mit der Hörspielreihe „Edgar Allan Poe“ vergleichen, die ich, zumindest in Ansätzen, in meinem Artikel zu Poes „The Masque of the Red Death“ besprach. In beiden Fällen werden nicht einfach nur Geschichten des jeweiligen Autors adaptiert, sie werden zudem durch eine umfassende Metanarrative miteinander verknüpfte. Wo in „Edgar Allan Poe“ der an Amnesie leidende Protagonist dieses Namens pro Folge eine klassische Poe-Geschichte träumt und in der verbleibenden Zeit nach der Bedeutung dieser Träume sucht, werden in „Howard Phillips Lovecraft – Chroniken des Grauens“ gleich eine ganze Reihe an Handlungssträngen über mehrere Zeitebenen hinweg aufgebaut, die es vor allem zu Beginn schwer machen, den Überblick zu behalten.

Im Kern jeder Folge steht eine Lovecraft-Geschichte, deren Namen auch als Titel der jeweiligen Episode verwendet wird, der Reihenfolge nach sind das „Dagon“, „The Tomb“ (beide 1917), „The Nameless City“, „The Music of Erich Zann“ (beide 1921) und „The Call of Cthulhu“ (1926) – diese fünfte Folge gehört allerdings bereits zur zweiten Staffel und wird im Rahmen dieses Artikels ausgeklammert. Als Protagonist der Geschichten fungiert Randolph Carter, eine Figur Lovecrafts, die wie so viele andere auch Züge des Autors aufweist und primär dadurch auffällt, dass er zwar in einigen Erzählungen Lovecrafts auftaucht, primär natürlich in „The Statement of Randolph Carter“ (1919), definitiv aber nicht in den fünf oben genannten. Carters Geschichte beginnt mit der Handlung von „Dagon“, 1917 wird er aus dem Meer gerettet und erzählt schauerliche Geschichten, um anschließend die Ereignisse der anderen Geschichten zu durchleben. Zusätzlich fungiert ein älterer Carter als Erzähler, zudem gibt es weitere Handlungsstränge im Providence der 50er und auf einer Fantasy-Convention im Jahr 2019. Vor allem dieser letzte Handlungsstrang sorgt für zusätzliche Metaelemente, da hier ein Manuskript von Lovecraft von einem Stand gestohlen wird, sodass der Schriftsteller aus Providence und sein Werk als Teil der Erzählten Welt etabliert werden.

Obwohl die vier Storys, die als Teil der ersten Staffel umgesetzt wurden, bestenfalls marginal mit dem „Cthulhu-Mythos“ zusammenhängen, ist dieser freilich ein wichtiger Aspekt, kristallisiert sich doch Nyarlathotep langsam als übergreifender Widersacher heraus. Mit dessen Darstellung habe ich hier allerdings ähnliche Probleme wie in Donald Tysons „Alhazred – Author of the Necronomicon“ – sie wirkt zu banal, zu sehr „typischer Schurke“. Zugegeben ist ein überzeugender Nyarlathotep aber auch schwer hinzubekommen.

Wer sich „nur“ eine Hörspiel-Adaption der Lovecraft-Geschichten wünscht, wird mit dieser Serie wohl nicht allzu glücklich werden, denn angesichts der Zeitsprünge und zusätzlichen Handlungsstränge verlagert sich der Fokus nur allzu oft weg von den eigentlichen Erzählungen und hin zu den übergreifenden Metaelementen. Zudem ist die Erzählweise äußerst modern und arbeitet mit vielen schnellen Szenenwechseln, wobei sich das mit Voranschreiten der Serie durchaus etwas entspannt. „Howard Phillips Lovecraft – Chroniken des Grauens“ ist ein äußerst ambitioniertes Projekt, dem es in der ersten Staffel aber noch nicht gelingt, wirklich das zu erreichen, was es erreichen möchte. Neben „Edgar Allan Poe“ erinnert die Konzeption durchaus auch an Alan Moores „Providence“, ist aber von der literarischen Qualität dieser Comicserie doch recht weit entfernt.

Die Sprecherriege, die Mark Winter hier versammelt hat, ist durchaus beeindruckend, Randolph Carter wird beispielsweise von Tommy Morgenstern (deutsche Stimme von Chris Hemsworth) gesprochen, die ältere Version der Figur, die als Erzähler fungiert, von Wolfgang Pampel (deutsche Stimme von Harrison Ford). Auch in den Nebenrollen weiß der Cast mit Sprechern wie Jürgen Thormann, Detlef Bierstedt, Greta Galisch de Palma oder Engelbert von Nordhausen zu überzeugen. Auch Produktion, Musik und das sonstige Drumherum müssen den Vergleich mit dem „Gruselkabinett“ durchaus nicht fürchten.

Fazit: „Howard Phillips Lovecraft – Chroniken des Grauens“ ist eine äußerst ambitionierte Hörspielserie mit herausragenden Sprechern, die sich gerade für den Anfang aber zu viel vorgenommen hat und zu viel auf einmal möchte. Angesichts der vielen Handlungsstränge und Metaelemente bleiben sowohl der übergreifende Plot als auch die eigentlichen Lovecraft-Storys mitunter auf der Strecke.

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Siehe auch:
Lovecraft im Gruselkabinett
Lovecrafts Vermächtnis: Providence
Lovecrafts Vermächtnis: Alhazred – Author of the Necronomicon
The Masque of the Red Death

Story der Woche: Ein Porträt Torquemadas

Spoiler!
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Mein erster Berührungspunkt mit H. P. Lovecraft und seinem Vermächtnis war das Hörbuch „Der Cthulhu Mythos“, das nicht nur Geschichten von Lovecraft und einigen seiner Zeitgenossen und Nachahmern enthält, sondern auch über den Schriftsteller aus Providence selbst und einige der sonstigen Hintergründe informiert. Die letzte Kurzgeschichte des Hörbuchs trägt den Titel „Ein Porträt Torquemadas“ und stammt von Christian von Aster, der mit ihr einen Cthulhu-Kurzgeschichtenwettbewerb gewann. Da sich bei ihr nach wie vor um eine meiner Lieblings-Cthulhu-Geschichten handelt, habe ich sie zur „Story der Woche“ gekürt.

Leider ist es nicht ganz leicht, an „Ein Porträt Torquemadas“ in gedruckter Form heranzukommen. Veröffentlicht wurde die Geschichte ursprünglich in dem Festa-Sammelband „Der Cthulhu-Mythos 1976-2002“, der inzwischen allerdings vergriffen ist. Das oben erwähnte Hörbuch, das die Geschichte enthält, noch dazu gelesen von Joachim Kerzel, ist hingegen problemlos über Amazon oder Audible zugänglich und darüber hinaus äußerst empfehlenswert.

Stilistisch gelingt Christian von Aster ein guter Kompromiss zwischen Lovecraft’schen Elementen (ohne nur nachzuahmen) und einem etwas moderneren Stil, der nicht so behäbig und umständlich daherkommt wie der Stil des Altmeisters, sodass „Ein Porträt Torquemadas“ deutlich angenehmer und flüssiger lesbar ist. Inhaltlich knüpft er indirekt an „The Call of Cthulhu“ an – der Cthulhu-Kult steht auch hier im Mittelpunkt, der Schwerpunkt ist allerdings ein anderer. Wie in „The Call of Cthulhu“ gibt es eine Binnenhandlung in Form eines Tagebuchs. Protagonist ist der katholische Arzt Cajetanus, dem auf Anweisung des Vatikans immer wieder Operationen missliebiger Individuen „misslingen“. Eines dieser Individuen ist der Kunsthistoriker Felix Ney, bei dem ein Hirntumor festgestellt wird, nachdem er in der Müncher Pinakothek versucht, ein Gemälde (das titelgebende) mit Säure zu zerstören. Nach der Operation, die Neys Leben kostet, liest Cajetanus in dessen Tagebuch über einen besonderen Auftrag nach. Ney soll ein Porträt des spanischen Großinquisitors Tomás de Torquemada, gemalt von dem Italiener Giuseppe del Candini, restaurieren. Dabei macht er eine kuriose Entdeckung: Im Bücherregal hinter dem Großinquisitor befindet sich ein Buch, Ciceros „De Natura Deorum“, das übermalt wurde. Ney kratzt die obere Schicht ab und findet darunter ein unbeschriftetes Buch mit auffälligem Umschlag. Also wendet er sich an Experten, die das Buch auf dem Bild anhand des Rückens als eine Ausgabe des Necronomicon identifizieren. Mehr oder weniger unfreiwillig begibt sich Felix Ney so auf eine Schnitzeljagd, bei welcher er weitere Hinweise in den Bildern del Candinis auf Cthulhu und dessen Kult findet. Nach und nach stößt Ney – und mit ihm Cajetanus – auf die schreckliche Wahrheit: Die katholische Kirche wurde nicht nur vom Kult des Cthulhu unterwandert, sie hat mit ihm im 15. Jahrhundert einen Pakt geschlossen, der beiden Parteien viele Vorteile bringt. Somit ist auch Cajetanus selbst ein unwissentlicher Agent des tentakelgesichtigen Großen Alten und hat nicht im Auftrag seines Gottes, sondern Cthulhus das Leben vieler Menschen beendet.

Atmosphärisch erinnert „Ein Porträt Torquemadas“ an Roman Polanskis Film „The Ninth Gate“ bzw. den Roman „Der Club Dumas“ von Arturo Pérez-Reverte, auf dem dieser basiert – beide beinhalten eine Schnitzeljagd, in deren Zentrum ein verbotenes Buch steht, auch wenn es im Fall der Kurzgeschichte lediglich die Abbildung eines Buches ist. In bester Lovecraft’scher Manier mischt Christian von Aster hier Fakt mit Fiktion: Tomás de Torquemada ist natürlich eine tatsächliche historische Figur, die auch ohne Verbindung zum Kult des Cthulhu genügend Gräueltaten begangen hat. Das titelgebende Porträt und sein Maler Giuseppe del Candini sind fiktiv, von Aster ordnet sie aber kontextuell ein und macht del Candini zu einem Schüler des real existierenden Fra Fillipo Lippi und damit zu einem Zeitgenossen Botticellis. Die Idee, den Kult des Cthulhu mit der katholischen Kirche zu verknüpfen, ist ebenso faszinierend wie naheliegend. Nicht erst seit Dan Browns Romanen (wobei „Ein Porträt Torquemadas“ sogar ein Jahr vor „Angels and Demons“, hierzulande besser bekannt als „Illuminati“, erschien) bietet sich die Kirche für allerhand finstere Verschwörungen ideal an. Man fragt sich fast, weshalb Lovecraft selbst, der für Christentum und Katholizismus nie viel übrig hatte, nicht selbst auf die Idee kam. Der Twist, dass die katholische Kirche vom Cthulhu-Kult unterwandert und kontrolliert wird, ist aus diesem Grund nicht allzu schwer zu erraten. Dennoch gelingt es von Aster, sowohl Spannung aufzubauen, man möchte dann doch wissen, wie sich alles abspielt, als auch durch die Mischung aus Fakt und Fiktion das Interesse aufrecht zu erhalten. Tatsächlich denke ich, dass der Plot der Geschichte auch durchaus für einen ganzen Roman gereicht hätte. Andererseits funktioniert „Ein Porträt Torquemadas“ als Kurzgeschichte wunderbar und verliert sich nicht in übermäßigen Details, sondern erreicht das Ziel klar und schnörkellos.

Fazit: Christian von Asters „Ein Porträt Torquemadas“ ist nach wie vor eine meiner liebsten Cthulhu-Geschichten und eignet sich auch wunderbar als Einstieg in die Thematik, da sie deutlich angenehmer zu lesen ist als viele Storys des Altmeisters.

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Geschichte der Vampire: Dracula – Der gehörte Graf

Halloween 2020

Da es sich bei „Dracula“ nun schon seit einiger Zeit um ein rechtefreies Werk handelt, ist es ein beliebtes Objekt für die Bearbeitung als Hörbuch oder -spiel, wie schon eine einfach Audible-Suche zeigt. Allein auf Deutsch und Englisch finden sich dutzende Adaptionen von Stokers-Roman, von Hörspielen und Hörbüchern, die den Grafen anderweitig verarbeiten oder solchen, die nicht auf Audible zu finden sind, gar nicht erst zu sprechen. Selbstverständlich bin ich weit davon entfernt, alle verfügbaren Bearbeitungen durchgehört zu haben – zum Einen bin ich nicht gewillt, derart viele Guthaben zu opfern und zum Anderen möchte ich weder so viel Zeit aufbringen, noch derart oft hintereinander dieselbe Geschichte hören, so sehr ich sie auch schätze. Zwei Hörbuchproduktionen sollen allerdings erwähnt werden, nämlich die beiden Audible-Eigenproduktionen auf Deutsch und Englisch. Konzeptionell ähneln sich beide ziemlich und verfolgen denselben Ansatz: Es handelt sich um Komplettlesungen, wobei jeder der Tagebuch- und Briefeschreiber seine eigene Stimme bekommt – gerade für „Dracula“ bietet sich diese Herangehensweise natürlich wunderbar an. Beiden Produktionen haben außerdem die Gemeinsamkeit, dass sie sehr hochkarätig besetzt sind. Am deutschen Hörbuch wirken unter anderem Simon Jäger (deutsche Stimme von Heath Ledger und Josh Hartnett) als Jonathan Harker, Martin Keßler (deutsche Stimme von Nicolas Cage und Vin Diesel) als Dr. Seward und die Filmschauspielerin Tanja Fornaro als Mina Harker mit. Selbst die weniger prominenten Passagen, die nur einige Briefe oder Notizen vorlesen, sind mit Nana Spier, Lutz Riedel oder Oliver Rohrbeck prominent besetzt. Ähnlich sieht es bei der englischen Besetzung aus, hier wirkten unter anderem Simon Vance (der bereits Vampirerfahrung mit den Hörbuchproduktionen diverser Anne-Rice-Romane sammeln konnte) als Jonathan Harker, Alan Cumming als Dr. Seward, Katy Kellgren als Mina Harker und, besonders bemerkenswert, Tim Curry als Van Helsing mit. Wer sich Stokers Volltext hörend zu Gemüte führen möchte, macht mit beiden Versionen eigentlich nichts falsch. Nebenbei bemerkt, ein besonderes Schnäppchen ist „The Monster Collection“; hier findet man drei Horror-Klassiker, darunter „Dracula“ zum Preis von einem (hier geht’s zur Rezension von Miss Booleana). Das eigentliche Sujet dieses Artikels sind allerdings nicht die Hörbücher, sondern die Hörspiele. Auch hier gilt: Es gibt deutlich zu viele, um sie alle in diesem Artikel zu besprechen, weshalb ich mich auf drei deutsche Produktionen konzentriere, die man ironischerweise nicht auf Audbile findet. Es handelt sich dabei um das WDR-Hörspiel aus dem Jahr 1995, die Adaption des Deutsche Grammophon von 2003 und die Gruselkabinett-Umsetzung von Titania Medien aus dem Jahr 2007.

Dracula beim WDR
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Zu diesem Hörspiel habe ich eine ganz besondere Beziehung, da es, zusammen mit der von Mike Mignola gezeichneten Comicadaption von „Bram Stoker’s Dracula“ und der illustrierten Kinderbuchfassung des Romans aus der Reihe „Visuelle Bibliothek: Klassiker für Kinder“ die erste Version von „Dracula“ war, mit der ich in Kontakt kam. Diese 1995 erstmals vom WDR ausgestrahlte und später vom Hörverlag veröffentlichte Bearbeitung, bei der Annette Kurth Regie führte, erinnert stilistisch an ähnlich geartete WDR-Produktionen wie beispielsweise „Das Foulcaultsche Pendel“. Von den drei hier besprochenen Produktionen gelingt es dieser am besten, den Horror und die Intensität von „Dracula“ einzufangen und mitunter auch zu steigern, nicht zuletzt dank der hervorragenden Musik und Sound-Effekte. Vor allem zu Beginn wird die Erzählstruktur ein wenig abgewandelt, wie die BBC/Netflix-Version von „Dracula“ beginnt auch dieses Hörspiel mit Jonathan Harker in der Obhut der Nonnen, wo er die Ereignisse auf Draculas Schloss in Rückblicken durchlebt. Und wie in „Bram Stoker’s Dracula“ wird die Harker-Episode nicht separat erzählt, Ereignisse des Whitby-Handlungsstranges werden bereits früher eingeführt. Offenbar bemühte man sich, die Erzählerstimmen so weit wie möglich zu reduzieren, ganz verzichtete man allerdings auch nicht auf sie, speziell im letzten Drittel fungieren die Figuren immer wieder als Erzähler, obwohl die Tagebücher des Romans nie wirklich etabliert werden.

Der Cast an sich ist nicht nur äußerst namhaft, sondern auch wirklich großartig. Lutz Herkenrath spricht Jonathan Harker, Katharina Palm ist als Mina Harker zu hören, WDR-Veteran Matthias Haase gibt Dr. Seward und Daniela Hoffmann, die deutsche Stimme von Julia Roberts, mimt Lucy. Wie so oft sind es allerdings Dracula und Van Helsing, die besonders hervorstechen. Ersterer wird von dem Film- und Theater-Schauspieler Martin Reinke gesprochen, der hier einen sehr unterkühlten und unnahbaren, aber nicht minder bedrohlichen und effektiven Grafen gibt. Das wahre Highlight ist allerdings Gottfried John als Abraham Van Helsing, dessen Performance ebenso emotional wie fesselnd ist – gerade im Hörspielbereich mit Abstand meine liebste Darstellung der Figur. Die Nostalgie ist diesbezüglich natürlich auch ein nicht zu unterschätzender Faktor – wie bereits erwähnt, diese Version von „Dracula“ ist für mich quasi die grundlegende. Lange Zeit war an dieses Hörspiel nur schwer heranzukommen, im Sommer letzten Jahres gelang es mir allerdings, die CDs zu halbwegs akzeptablen Preisen zu erwerben. Momentan kann das Hörspiel auch hier auf der Website des WDR angehört werden, allerdings ist es nur noch bis zum 17. November verfügbar. Auf Spotify wird man ebenfalls fündig.

Dracula beim Deutsche Grammophon
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Die Hörspielbearbeitung des Deutsche Grammophon ist die mit Abstand textgetreuste und umfangreichste der drei Produktionen – zum Vergleich, diese umfasst fünf CDs die anderen beiden jeweils drei (bzw. im Fall der Gruselkabinett-Version vier, allerdings wurde hier „Dracula’s Guest“ mit in die Handlung integriert). In mancher Hinsicht ist sie das genaue Gegenstück zur WDR-Version – wo diese den Erzähltext so weit wie möglich reduziert, verlässt sich diese von Anja Wagener und Wenke Kleine-Benne umgesetzte Adaption sehr stark auf Stokers Originaltext, sodass oftmals der Eindruck entsteht, es handle sich um eine atmosphärische Lesung mit Musik. Dem ist natürlich letztendlich nicht so, aber die Erzähllastigkeit ist schon auffällig, die Briefe und Tagebücher als Erzählkonstrukt werden hier voll ausgeschöpft. Das sorgt mitunter für gewisse Längen, wie die beiden anderen Hörspiele effektiv beweisen, sind wirklich nicht unbedingt alle Details nötig, um der Geschichte folgen zu können.

Die Besetzung ist deutlich weniger namhaft als bei den anderen beiden Hörspielen – zumindest mir sind die Sprecher nicht allzu bekannt. Jonathan Harker wird von Robin Bosch gesprochen, Mina von Kristina von Weltzin, John Seward von Michael Bideller und Van Helsing von Uli Plessmann – mit Letzterem kann ich mich in dieser Rolle nicht wirklich anfreunden, gerade im Kontrast zu Gottfried John. Plessmann klingt als Van Helsing ein wenig zu kraftlos und unsicher, ihm fehlt hier die Energie und Entschlossenheit, die ich persönlich mit dieser Figur verbinde und die John so hervorragend verkörpert. Alle anderen Sprecher sind überaus solide, aber kaum einer hinterlässt einen so bleibenden Eindruck wie die aus der WDR-Adaption – was aber natürlich auch daran liegen kann, dass ich diese Version deutlich länger kenne. Die große Ausnahme zu all dem ist Dracula, für den man mit Lutz Riedel einen sehr prominenten Sprecher angeheuert hat, der seine Sache wirklich exzellent macht und von den drei hier zu vergleichenden Hörspiel-Draculas mein Favorit ist. Er bringt eine einschüchternde Macht und Brutalität mit, die den anderen beiden fehlt. Einziges Manko: Man entschied sich, Lutz Riedels Stimme gerade in den besonders dramatischen Passagen immer mal wieder zu verzerren und mit Effekten auszustatten, was ein Sprecher von Riedels Kaliber schlicht nicht nötig hat. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Kurz und gut, wer auf Textnähe und Ausführlichkeit steht, aber bei den Hörbüchern Musik, Soundeffekte und ein Zuwortkommen Draculas vermisst, für den könnte diese Bearbeitung genau das Richtige sein. Leider scheint man an dieses Hörspiel gerade ziemlich schwer heranzukommen, die CD-Version ist über Amazon nicht mehr erhältlich und auch zum Download oder als Stream wird es nirgendwo angeboten, zumindest habe ich es nicht gefunden.

Dracula im Gruselkabinett
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In vielerlei Hinsicht ist die Gruselkabinett-Version von Stokers Roman, wie üblich umgesetzt von Mar Gruppe und Stephan Bosenius, der Kompromiss zwischen der WDR- und der Grammophon-Adaption. Zugleich ist sie auch die angenehmste und Einsteiger-freundlichste Adaption – sie ist weder so textlastig wie Letztere, noch als Hörspiel so szenisch und fordernd wie Erstere. Die Tagebücher als Erzählinstanz sind vorhanden, aber auf ein effektives Maß heruntergefahren, szenische Dialoge sind deutlich dominanter.

Der interessanteste Aspekt dieses Hörspiels ist natürlich der Umstand, dass die Kurzgeschichte „Dracula’s Guest“, die aus einer früheren Fassung des Romans stammt und posthum von Bram Stokers Witwe Florence 1914 als Kurzgeschichte veröffentlicht wurde, der eigentlichen Handlung als Prolog vorangestellt wird. Es ist einerseits wirklich faszinierend, diese „Überbleibsel“ zusammen mit der Romandhandlung zu erleben und erlaubt zugleich, die Exposition des eigentlichen Romananfangs etwas zu entzerren. Zugleich führt das allerdings auch zum einen oder anderen Logikproblem, da es dem Grafen offenbar in Windeseile gelingt, von Transsylvanien nach München zu reisen, was angesichts der Schwierigkeiten, die ihm später die Reise von Transsylvanien nach England und wieder zurück bereitet, etwas merkwürdig erscheint.

Ansonsten entspricht diese Adaption von Dracula dem sehr hohen Gruselkabinett-Standard, ist zugleich aufwändig und atmosphärisch produziert, aber sehr zugänglich und angenehm zu hören. Die Sprecherriege setzt sich wie üblich aus bekannten deutschen Synchronsprechern zusammen. Wie im deutschen Audible-Hörbuch übernimmt Simon Jäger den Part von Jonathan Harker, während Tanja Geke (u.a. deutsche Stimme von Zoe Saldana) Mina und Petra Barthel (deutsche Stimme von Uma Thurman und Nicole Kidman) Lucy spricht. Darüber hinaus erlauben sich Marc Gruppe und Stephan Bosenius ein paar Casting-Gags: Lutz Mackensy ist hier als John Seward zu hören, eine Rolle, mit der er bereits vertraut ist, synchronisierte er doch Richard E. Grant in eben dieser Rolle in „Bram Stoker’s Dracula“. Noch subtiler ist Kaspar Eichel als Van Helsing, der zwar nicht als Anthony Hopkins‘ deutsche Stimme in diesem Film fungierte, aber dem leider 2013 verstorbenen Sprecher Rolf Schult stimmlich sehr ähnelt – so sehr, dass er ihn als deutsche Stimme Patrick Stewarts in den neueren X-Men-Filmen ablöste. Für mich am problematischsten ist hier Joachim Höppner als titelgebender Graf, allerdings nicht, weil Höppner einen schlechten Job machen würde, im Gegenteil. Allerdings ist seine Stimme für mich so sehr mit Gandalf bzw. Ian McKellen verknüpft, dass ich Probleme damit habe, ihn als Dracula zu akzeptieren. Davon abgesehen gibt es allerdings weder an Höppners Dracula, noch an den anderen Sprechern oder am Hörspiel insgesamt etwas auszusetzen. Die CD-Version ist inzwischen vergriffen, als Download ist der Gruselkabinett-Graf allerdings nach wie vor erhältlich.

Fazit: Die drei hier vorgestellten Dracula-Hörspiele ergänzen sich ziemlich gut. Die WDR-Adaption nutzt ihr Medium am besten, ist als Hörspiel am anspruchsvollsten und bietet die intensivste Erfahrung, die Grammophon-Umsetzung ist der Vorlage am nächsten und bietet sehr viel von Stokers Originaltext in der deutschen Übersetzung von Heinz Widtmann aus dem Jahr 1908 und die Gruselkabinett-Version stellt quasi den Kompromiss zwischen beiden Adaptionen dar und ist zugleich die einsteigerfreundlichste – eine sehr gute Möglichkeit, Stokers Roman kennenzulernen.

Bildquelle WDR
Bildquelle Deutsche Grammophon
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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gezeichnete Graf