Dracula the Undead

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Werke, die „Dracula“ in irgendeiner Form fortsetzen gibt es viele, vor allem in Form günstig produzierter Filme, solche, die sich direkt auf Stokers Geschichte beziehen, sind dagegen deutlich seltener. Das hängt natürlich damit zusammen, dass Stokers Roman relativ eindeutig endet: Der Graf ist endgültig tot und die Helden haben triumphiert. Besonders notorische Fortsetzungen sind die diversen Hammer-Filme: Durch irgendeinen Kniff kehrt der Graf zurück und sucht sich neue Opfer, bis er schließlich wieder getötet wird. Universals „Dracula’s Daughter“ und Hammers „The Brides of Dracula“ fallen da ein wenig aus dem Rahmen, denn in beiden Fällen ist es der Vampirjäger Van Helsing, der sich mit einer neuen vampirischen Bedrohung auseinandersetzen muss, sei es Gräfin Marya Zaleska oder Baron Meinster. Fortsetzungen, die sich tatsächlich des kompletten Personals aus Bram Stokers Roman bedienen, sind da weitaus seltener. Am bekanntesten ist wohl der von Dacre Stoker, seines Zeichens Urgroßneffe von Bram Stoker, und Ian Holt verfasste Roman „Dracula: The Un-Dead“, erschienen 2009; mit diesem werde ich mich zu gegebener Zeit befassen. Es existiert allerdings ein Roman mit fast demselben Titel, „Dracula the Undead“ von Freda Warrington, publiziert bereits im Jahr 1997, der zuerst eine Besprechung verdient.

„Dracula the Undead“ beginnt genau dort, wo Bram Stokers Roman endet, sieben Jahre nach der eigentlichen Handlung besuchen die Überlebenden Transsylvanien, um die Ereignisse aufzuarbeiten. Warrington orientiert sich sowohl stilistisch als auch strukturell stark am Vorbild, abermals lesen wir die Tagebucheinträge der verschiedenen Figuren. Auch der inhaltliche Aufbau erinnert stark „Dracula“ mit dem Anfang in Transsylvanien, dem Mittelteil in England und dem Finale wieder in Osteuropa. Während sich Abraham Van Helsing, Jonathan und Mina Harker, John Seward und Arthur Holmwood noch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, stellt Warrington die beiden wichtigsten neuen Figuren des Romans vor: André Kovacs, ein alter Freund Van Helsings, und seine Nichte Elena, eine junge Frau aus restriktivem Elternhaus, die es nach Freiheit gelüstet und die in Mina ein Vorbild findet. Kaum, dass Stokers Figuren Osteuropa verlassen haben, werden Kovacs und Elena mit mysteriösen Ereignissen konfrontiert. Ersterer ist auf der Suche nach der Schule der Scholomanten. Diese mysteriöse magische Schule aus osteuropäischen Sagen erwähnte Stoker eher beiläufig in „Dracula“ als möglichen Ursprung des Vampirismus, in Filmen oder sonstigen Verarbeitungen des Stoffes wird dieses Element allerdings selten aufgegriffen. Warrington hingegen macht es, erfreulicherweise, zu einem zentralen Teil ihrer Narrative. Während Kovavcs nach dieser „Schule des Teufels“ sucht und sie zu seinem Unglück auch findet, bekommt Elena Gesellschaft von einem „dunkeln Gefährten“, der ihr dabei hilft, sich ihres tyrannischen Vaters zu entledigen und sie dazu bringt, nach London zu reisen. Dort wird sie zum Kindermädchen des jungen und recht kränklichen Quincey Harker. Dass Elenas dunkler Gefährte ein auf Rache sinnender Dracula ist, der seine ursprüngliche, untote Existenz wiederherstellen möchte, muss wohl nicht extra erwähnt werden…

Bei der Lektüre von „Dracula the Undead“ merkt man durchaus, wie viel Respekt Freda Warrington vor Bram Stokers Roman hat. Da dies der einzige ihrer Romane ist, den ich gelesen habe, weiß ich nicht, wie sie sonst schreibt, aber hier hat sie ihren Stil definitiv an Stokers Prosa und die Stilmittel des späten 19. Jahrhunderts angepasst, sei es in der Redeweise der Figuren oder den doch eher blumig ausfallenden Beschreibungen. Die Handlungs- und Denkweise der Figuren fühlt sich dabei durchaus wie eine kohärente Fortführung von „Dracula“ an. Allerdings sind 100 Jahre an Adaptionen und sonstigen Verarbeitungen der Geschichte nicht spurlos vorbeigegangen: Auch Warrington interpretiert den Grafen etwas positiver als Stoker dies tat, etwas romantischer und nachvollziehbarer. Warringtons Graf ist nach wie vor böse, wir haben es also nicht mit einer kompletten Umdeutung zu tun, aber gerade sein Verhältnis zu Mina wächst über die reine Täter/Opfer-Dynamik hinaus – auch das gehört mittlerweile fast schon zum guten Ton und wird erwartet.

Ganz ähnlich wie bei „Dracula“ ist auch die erste Hälfte von „Dracula the Undead“ die deutlich stärkere und spannendere. Gerade die Bemühungen, den Grafen ins Unleben zurückzuholen und die wachsende Suspense, während seine Widersacher noch ahnungslos sind – all das sorgt für die ansprechendsten Passagen des Romans. In der zweiten Hälfte agiert Dracula dann aber, anders als bei Stoker, sehr viel direkter mit unseren Helden, was einfach nicht ganz so gut funktioniert. Mit Elene hat Warrington allerdings eine äußerst interessante Figur geschaffen, die gewissermaßen den Platz Renfields einnimmt. Man fühlt sich in mancher Hinsicht an den Renfield aus Universals „Dracula“ erinnert, der den Grafen nicht einfach nur in England erwartet, während er Insekten schnabuliert (Letzteres tut Elena allerdings nicht), sondern ihn aktiv von Transsylvanien nach England bringt. Elena beginnt als sympathische Figur, die verständlicherweise aus ihrem restriktiven Umfeld ausbrechen möchte, dafür aber gewissermaßen einen Deal mit dem Teufel eingeht. Über den Verlauf der Geschichte wird sie jedoch konsequent labiler, was wir als Leser direkt mitbekommen, gehört sie doch zu den Tagebuchschreibern. Irgendwann ist schließlich der Punkt erreich, an dem sie sich sowohl in Dracula als auch in Mina verliebt zu haben scheint und gleichzeitig auf beide eifersüchtig ist.

Die bereits erwähnte Idee, die Schule der Scholomanten hier miteinzubeziehen finde ich durchaus gelungen, gerade weil es ein so wenig beachteter Aspekt des ursprünglichen Romans ist, allerdings schöpft Warrington das Potential nicht völlig aus und benutzt die Schule vor allem, um noch einen zweiten Vampir in der Geschichte unterzubringen, der als noch üblerer Kontrast zu Dracula selbst und als finaler Antagonist fungiert. Gerade das Finale, inklusive der Andeutung, Dracula und nicht Jonathan könne Quinceys Vater sein, finde ich nicht allzu gelungen, zumindest im Kontext des restlichen Romans. Es wirkt etwas zu plump, so als wäre es Warrington nicht gelungen, ein wirklich passendes Ende zu ihrem sonst sehr gut konstruierten Roman zu finden.

Fazit: Freda Warringtons inoffizielle und größtenteils vergessene Fortsetzung zu „Dracula“ kann durchaus als Geheimtipp für Fans des Grafen bewertet werden. Auch wenn das Finale nicht völlig zu überzeugen weiß, gelingt es Warrington doch, eine stimmige und relativ kohärente Fortsetzung zu einem der einflussreichsten Romane der Literaturgeschichte abzuliefern.

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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Geschichte der Vampire: Secret Origin
The Brides of Dracula
The Dracula Tape
Dracula: Sense & Nonsense
‘Salem’s Lot

‘Salem’s Lot

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Stephen King ist einer der, wenn nicht gar DER größte Namen im literarischen Horror-Genre. Da verwundert es kaum, dass sich der chronische Vielschreiber bereits mehrfach und auf unterschiedlichste Art und Weise dem Vampir angenommen hat. Nicht nur spielen untote Blutsauger in seiner Dark-Tower-Saga eine wichtige Rolle, auch in der Fortsetzung von „The Shining“, „Doctor Sleep“, haben die enigmatischen Antagonisten definitiv vampirhafte Züge, wenn auch eher im weiteren Sinne. Seine vampirische Genesis feierte King allerdings bereits 1975 mit seinem zweiten Roman, „‘Salem’s Lot“. Diesen Roman als „Stephen King’s Dracula“ zu bezeichnen geht vielleicht einen Schritt zu weit, aber die Grundprämisse ist durchaus von Stokers Roman abgeleitet: King stellte sich die Frage: „Was wäre, wenn Dracula in der Moderne im kleinstädtischen Amerika auftauchen würde?“ Gerade der literarische Vampir befand sich in den 70ern in einer Ära des Umbruchs, der filmische sollte bald folgen. Im selben Jahr wie „‘Salem’s Lot“ erschien Fred Saberhagens „The Dracula Tape“, nur ein Jahr später ging Anne Rice‘ „Interview with the Vampire“ an den Start – beide sind als Pioniere des sympathischen Vampirs in der Protagonistenrolle zu werten. King hingegen bedient sich des Vampirs als klassisch-böser Antagonist und orientiert sich zumindest in dieser Hinsicht an Stoker. Dennoch ist sein Ansatz deutlich moderner, man ist beinahe gewillt, „‘Salem’s Lot“ als Wegbereiter solcher Filme wie „Fright Night“ oder „The Lost Boys“ zu betrachten: Es geht nicht nur darum, dass Vampir sich in einem modernen, kleinstädtischen Milieu ausbreitet, sondern auch um die Auswirkungen, die das hat. Im Gegensatz dazu beschäftigt sich „Dracula“ nur bedingt oder höchst indirekt mit weiterreichenden, gesellschaftlichen Effekten. Während seines Aufenthalts in England gelingt es dem Grafen lediglich, ein Opfer zu verwandeln, bevor er von seinen Gegnern zum Rückzug gezwungen wird. Alles spielt sich auf der persönlichen Ebene ab. Die Kleinstadt Jerusalem‘s Lot, die als Schauplatz und Namensgeberin von Kings Roman fungiert, wird hingegen vom einfallenden Vampir nachhaltig verändert.

Viele der Elemente, die inzwischen als King-Stereotypen wahrgenommen werden, finden sich bereits in „‘Salem’s Lot“, vor allem das detailliert ausgearbeitete Kleinstadtsetting mit einer Vielzahl an Charakteren. Rückblickend betrachtet wirkt Jerusalem‘s Lot fast wie ein Prototyp für Derry aus „It“. Zwar verfügt „‘Salem’s Lot“, wie so viele King-Romane, über ein breites Panorama an verschiedenen Figuren, Protagonist ist allerdings Ben Mears, der zu Anfang des Romans in seine frühere Heimatstadt zurückkehrt. Auch Ben Mears erweist sich im Kontext von Kings Oeuvre als relativ typisch, besitzt er doch einige Charakterzüge seines Autors, hier primär das Schriftstellertum. Der Umstand, dass Ben Mears zwar mit Jerusalem‘s Lot vertraut, aber zugleich auch ein Neuankömmling ist, sorgt für eine erzählerisch interessante Ausgangslage, denn er macht Mears zu einem Spiegel der antagonistischen Macht, die zeitgleich ankommt. Die Geschichte entfaltet sich dabei sehr langsam: Ben Mears beginnt, sich in seiner alten Heimatstadt wieder einzuleben und plant, ein Buch über das alte Marsten House zu schreiben, das ihn als Kind ziemlich traumatisiert hat. Zu den Einwohnern, die er kennenlernt, gehört unter anderem Susan Norton, mit der er eine Beziehung beginnt. Die ominösen Ereignisse beginnen, als der Antiquitätenhändler Kurt Barlow und sein Geschäftspartner Richard Straker sich in der Stadt niederlassen, um ein Antiquitätengeschäft zu eröffnen. Straker regelt alle geschäftlichen Angelegenheiten, Barlow hingegen sieht man nie. Schon bald beginnen Einwohner der Stadt zu verschwinden, darunter auch Kinder. Hierbei handelt es sich freilich nur um eine extrem knappe Zusammenfassung, da King sich um einen sehr langsamen Spannungsaufbau bemüht und zuerst Einblicke in die Leben der diversen Kleinstadtbewohner gibt, darunter vor allem Mark Petrie, der örtliche Priester Father Callahan und diverse andere. Ähnlich wie Stoker hält auch King seinen Vampir, Kurt Barlow, für lange Zeit aus der Handlung heraus, sodass wir ihn nur durch sein Wirken erleben. Anders als bei Stoker dürfen wir ihn allerdings nicht zu Beginn der Geschichte kennenlernen, so etwas wie Jonathan Harkers Ausflug nach Transsylvanien findet sich hier nicht.

Strukturell erinnert „‘Salem’s Lort“ tatsächlich eher an die ursprüngliche Fassung des Bühnenstücks „Dracula“ von John L. Balderston und Hamilton Deane, das später zur Vorlage des Bela-Lugosi-Filmes werden sollte. Wie in besagtem Stück kommt der Vampir zusammen mit seinem Diener an und trifft auf eine völlig nichtsahnende, örtliche Bevölkerung. Es sei allerdings erwähnt, dass Straker und Renfield abseits ihrer Funktion wenig gemein haben – tatsächlich ist es Straker, der finanziellen Angelegenheiten seines Meisters regelt und zusieht, dass das Marsten House erworben werden kann. Für Insekten hat er nichts übrig. Barlow selbst hingegen ist Dracula sehr ähnlich, wenn auch deutlich älter. Wie bei Stokers Graf handelt es sich auch bei Barlow um einen äußerst bösen Vampir ohne jegliches Element der Tragik. Und ähnlich wie Dracula ist Barlow auch der einzige Vampir der Geschichte, der wirklich selbstständig handeln und Pläne schmieden kann. Seine komplette Nachkommenschaft wird ausschließlich vom Hunger nach Blut angetrieben, was noch an Persönlichkeit vorhanden ist, sind bloße Echos der Menschen, die sie einmal waren – ganz so, wie man es bei Lucy Westenra beobachten kann. In späteren Werken der Dark-Tower-Reihe sollte King an „‘Salem’s Lot“ anknüpfen, Kurt Barlow erneut auftreten lassen und Klassifikationen für seine Vampire einrichten, davon findet sich in diesem Roman allerdings kaum etwas. Barlow und die von ihm verwandelten sind sehr klassische konzipierte Vampire; ganz wie Dracula selbst wird Barlow über den Verlauf des Romans jünger.

Auch darüber hinaus finden sich im Text immer wieder subtile Anspielungen auf „Dracula“, und damit meine ich nicht den Umstand, dass Mark Petrie mit der Bela-Lugosi-Verfilmung vertraut ist oder ähnlich offensichtliche Anspielungen. Oft sind es textliche Parallelen oder Beschreibungen, etwa wenn Ben Mears gezwungen ist, seine geliebte Susan zu pfählen, fühlt man sich stark an Arthur Holmwood und Lucy Westenra in einer ähnlichen Situation erinnert. Thematisch ist „‘Salem’s Lot“ allerdings deutlich anders gelagert. Anhand der Vampire schildert King den langsamen, stetigen Verfall der amerikanischen Kleinstadt, symbolisiert durch die Vampirwerdung so vieler Bewohner. Der Vampir ist dabei nicht einfach nur der Eindringling von außen, das pervertierende Fremde, wie es Dracula war, stattdessen sind die Zeichen des Verfalls bereits zuvor vorhanden – vielleicht sind sie es, die Barlow überhaupt erst nach „‘Salem’s Lot“ ziehen. King nimmt sich hier auf jeden Fall sehr viel Zeit, baut die vielen Charaktere langsam auf. „‘Salem’s Lot“ fühlt sich vor allem zu Anfang nicht unbedingt wie ein Horrorroman an. Man muss durchaus Ausdauer mitbringen. Wie so oft gelingt King der langsame Aufbau allerdings sehr gut, und sofern man nicht von den üblichen Handlungselementen und Stilmitteln genervt ist (dass Mark Petrie in der Schule gemobbt wird, dürfte wohl niemanden verwunden), sind die Charakterisierung und Figureninteraktionen sehr gelungen und arbeiten schön auf den tatsächlichen Horror hin. Mehr noch, King gelingt es, den Schrecken der Vampire anschaulich zu vermitteln, ohne dass es einerseits zu klischeehaft ausfällt, sich andererseits aber auch nicht zu weit vom Kernkonzept entfernt. Das Marsten-House verbreitet zudem klassische Haunted-House-Vibes, die nicht nur sehr willkommen sind, sondern auch einen guten Ersatz für das klassische Vampirschloss bieten, das in „‘Salem’s Lot“ natürlich fehlt. Wenn es einen zentralen Kritikpunkt, dann vielleicht den, dass Frauenfiguren in letzter Konsequenz ausschließlich in die Opferrolle gedrängt werden. Um „Dracula“ zu Vergleichszwecken noch einmal heranzuziehen: Zwar wird Mina nicht zur Actionheldin, ist aber involviert und teil der finalen Operation. Betrachtet man Susan Norton als Gegenstück zu Lucy, dann fehlt ein Mina-Counterpart völlig.

Fazit: Wer eine klassische Vampirgeschichte in modernerem Gewand sucht und kein Problem mit einem langsameren Spannungsaufbau und detaillierter Charakterarbeit hat, sollte „‘Salem’s Lot“ definitiv eine Chance geben. Für King-Fans ist der Roman zweifelsohne Pflichtlektüre, beinhaltet er doch die Genesis vieler Handlungselemente und Stilmittel, die er im Verlauf seiner Karriere immer wieder verwenden sollte.

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Siehe auch:
Lovecrafts Vermächtnis: Revival
IT
Gerald‘s Game
In the Tall Grass
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
The Dracula Tape

The Legend of the 7 Golden Vampires

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Story: Im Jahr 1804 wird Dracula (John Forbes-Robertson) wird von dem taoistischen Mönch Kah (Chan Shen) aus seinem Schlaf erweckt. Dieser bittet den Grafen, den legendären sieben goldenen Vampiren in seiner chinesischen Heimat zu neuer Macht zu verhelfen. Dracula stimmt zu, nimmt zu diesem Zweck allerdings Kahs Körper in Besitz. 100 Jahre später wird Professor Van Helsing (Peter Cushing), der in Chongqing gerade eine Vorlesung hält, auf die Angelegenheit aufmerksam. Zusammen mit Hsi Ching (David Chiang), dessen Vater es gelungen ist, einen der goldenen Vampire zu töten, sowie dessen Geschwistern begibt sich Van Helsing auf die Suche nach den Blutsaugern…

Kritik: Während die Hammer Studios in den 60ern ihre größten Erfolge feierten, ging es in den 70ern schnell bergab, nicht zuletzt bedingt durch die Konkurrenz. Filme wie „The Exorcist“ (1973) oder „The Texas Chainsaw Massacre“ (1974) etablierten neue Formen des Horrors, gegen die die Hammer-Filme mit ihrem Fokus auf klassische Filmmonster oft altbacken wirkten. Hammer versuchte immer wieder, die Formel zu revitalisieren und frisch zu halten, zumeist aber mit wenig Erfolg – ein Blick auf die letzten drei Dracula-Filme des britischen Studios ist hier sehr aufschlussreich. „Dracula A.D. 1972“ ist noch ein relativ klassischer Hammer-Film, der einfach nur in der Moderne spielt, während „The Satanic Rites of Dracula“ sich eher wie ein (ziemlich langweiliger) Agententhriller anfühlt. Mit „The Legend of the 7 Golden Vampires“ versuchte Hammer, sich die aktuelle Beliebtheit von Martial-Arts-Filmen zunutze zu machen. Also schicken Hammer-Veteran Roy Ward Baker und Chang Cheh, der sich um die Action-Szenen kümmerte, den Grafen nach China. Dass Christopher Lee für dieses Unterfangen nicht gewonnen werden konnte, dürfte wohl kaum überraschen, besonders, da er bereits für „The Satanic Rites of Dracula“ kein gutes Wort übrig hatte. An seiner statt spielt John Forbes-Robertson den Grafen – da Dracula die meiste Zeit jedoch im Körper des chinesischen Mönchs Kah unterwegs ist, hat Forbes-Robertson kaum Gelegenheit, mehr als eine schlechte Lee-Imitation mit deutlich zu viel Make-up abzuliefern. Immerhin gelang es Hammer, Peter Cushing ein letztes Mal als Draculas Nemesis Van Helsing zu gewinnen. Wie üblich ist Cushing mit vollem Einsatz dabei und zudem der primäre Grund, sich diesen Film überhaupt anzusehen.

Trotz der Präsenz Van Helsings hat „The Legend of the 7 Golden Vampires“ so gut wie nichts mit den vorherigen Dracula-Filmen des Studios zu tun und passt weder zur ursprünglichen Reihe, noch zu der mit „Dracula A.D. 1972“ neugestarteten zweiten Kontinuität. Nicht mal auf die interne Kontinuität achtet Drehbuchautor Don Houghton: 1804 begibt sich Dracula nach China und bleibt dort 100 Jahre, noch dazu im Körper eines anderen, aber trotzdem hatte Van Helsing irgendwann vor Beginn des Films eine Auseinandersetzung mit dem Grafen in Transsylvanien – das will nicht so recht zusammenpassen. Die titelgebenden sieben goldenen Vampire sind leider weit davon entfernt, in irgendeiner Form interessante Charaktere zu sein; oder überhaupt Charaktere. Sie sind lediglich entstellte, stumme und blutsaugende Kampfmaschinen mit goldenen Masken und eher zweifelhaftem Make-up, die primär als Grund für diverse, ausgedehnte Martial-Arts-Szenen fungieren. Dracula selbst wird am Ende verhältnismäßig unspektakulär durch simples Aufspießen abserviert. Welch ein Kontrast zum ersten Dracula-Film von Hammer mit seiner aufregenden Verfolgungsjagd durch das Schloss des Grafen.

Dennoch muss man „The Legend of the 7 Golden Vampires” wohl zugute halten, dass er immerhin nicht so langweilig ist wie „The Satanic Rites of Dracula“. Zugleich gelingt es diesem letzten Hammer-Dracula allerdings auch selten, wirkliche Atmosphäre zu entfalten, der typische Hammer-Stil will einfach nicht wirklich zu Martial Arts passen. Zudem ist das Fehlen der grandiosen Dynamik zwischen Lee und Cushing überdeutlich spürbar. Nach so vielen Filmen mit Lee als Hammers Vampirgraf – in immerhin drei davon konnte er sich mit Cushings Van Helsing messen – ist sein Fehlen ein Manko, das sich einfach nicht ausgleichen lässt. Immerhin Komponist James Bernard tut was er kann, um John Forbes-Robertson bzw. Chan Shen als Dracula zu etablieren, indem er Gebrauch von seinem klassischen Dracula-Motiv aus dem Film von 1958 macht.

Fazit: „The Legend of the 7 Golden Vampires” ist ein geradezu tragischer Abschluss der umfangreichsten Dracula-Serie der Filmgeschichte. Trotz der Präsenz Peter Cushings und James Bernards gelingt es dem Film weder, an alte Erfolge anzuknüpfen, noch wirklich neue Akzente zu setzen, auch wenn er sich verzweifelt darum bemüht.

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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Hammers Graf
The Brides of Dracula
Dracula: Prince of Darkness
Dracula Has Risen from the Grave
Taste the Blood of Dracula
Scars of Dracula
Dracula A.D. 1972
The Satanic Rites of Dracula

The Last Voyage of the Demeter

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Story: An Bord des russischen Schoners Demeter spielen sich seltsame Dinge ab, seit die Besatzung in Varna Kisten mit Erde an Bord genommen hat, die nach England transportiert werden sollen. Erst taucht eine junge Frau namens Anna (Aisling Franciosi) auf, die als blinde Passagierin an Bord gekommen ist, und dann werden Crewmitglieder von einer merkwürdigen Kreatur angegriffen. Clemens (Corey Hawkins), der auf der Demeter angeheuert hat, sieht sich als Mann der Vernunft und Wissenschaft, wird nun aber mit dem Übernatürlichen konfrontiert, während Eliot (Liam Cunningham), der Kapitän, alles tut, um die Crew zusammenzuhalten.

Kritik: Die Idee, die Demeter-Episode aus Bram Stokers „Dracula“ in irgendeiner Form auszugliedern, ist nicht wirklich neu und wurde in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren immer wieder bemüht. Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine sehr atmosphärische Geschichte in der Geschichte – Draculas Überfahrt von Osteuropa nach England verläuft natürlich nicht unblutig, ist aber separiert vom Schicksal aller anderen Figuren. Die Idee, mit diesem Teil des Romans auf besondere Art und Weise zu verfahren, ist also durchaus naheliegend. In der BBC/Netflix-Adaption widmeten Mark Gatiss und Steven Moffat der Thematik beispielsweise eine von drei Episoden, machten aus der Demeter allerdings ein Passagier- und kein Frachtschiff, sodass das Ganze kaum mehr etwas mit Stoker zu tun hat. Näher dran ist da schon die Hörspieladaption des Labels Holy Horror. Auch hier nimmt die Demeter-Episode eine ganze Folge ein. Und schließlich hätten wir noch „Bram Stoker’s Death Ship“ von Autor Gary Gerani und Zeichner Stuart Sayger, ein Comic, der im Grunde dieselbe Prämisse hat wie „The Last Voyage of the Demeter“. Tatsächlich geistert „The Last Voyage of the Demeter“ in der einen oder anderen Form schon ziemlich lange durch Hollywood, zeitweise waren Namen wie Noomi Rapace, Jude Law oder Viggo Mortensen mit dem Konzept verknüpft. 2019 nahm sich Regisseur André Øvredal („The Autopsy of Jane Doe“, „Scary Stories to Tell in the Dark“) schließlich des Drehbuchs von Bragi Schut Jr. und Zak Olkewicz an. Das finale Produkt ist einer von zwei Dracula-Filmen ohne den Namen des Vampirs im Titel, die Universal 2023 in die Kinos brachte – leider war weder „The Last Voyage of the Demeter“ noch „Renfield“ Erfolg beschieden.

Qualitativ, vor allem auf handwerklicher und darstellerischer Ebene, ist „The Last Voyage of the Demeter“ in meinen Augen der deutlich gelungenere der beiden. Vor allem David Dastmalchian und Liam Cunningham liefern eine sehr überzeugende Performance ab. Auch die Atmosphäre und Klaustrophobie wird sehr gut vermittelt – immerhin ist hier eine kleine Gruppe von Menschen mit einem Monster gefangen. Etwas problematischer wird es hingegen, wenn man „The Last Voyage of the Demeter“ im Kontext von Stokers Roman betrachtet; der Film leidet unter einigen derselben Schwächen, die auch schon „Bram Stoker’s Death Ship“ ausmachten. Zweifelsohne wollen Øvredal und Co. von Dracula und dem „mythologischen Fortsatz“, der ihm anhaftet, profitieren. Isoliert man die Demeter-Episode allerdings vom Rest, gelingt das nur sehr schwer. Wie schon „Bram Stoker’s Death Ship“ ist auch „The Last Voyage of the Demeter” im Grunde eine Variation von Ridley Scotts „Alien“, nur dass ein Segelschiff das Raumschiff ersetzt und ein Vampir das Xenomorph. Das hat allerdings auch zur Folge, dass Dracula als Charakter weder definiert wird noch abseits der Morde tatsächlich agiert. Da stellt sich die Frage: Warum dann überhaupt Dracula bemühen? Das Design des Vampirs ist eindeutig von Graf Orlok aus Murnaus „Nosferatu: Eine Sinfonie des Grauens“ beeinflusst, gepaart mit der Werfledermaus aus „Bram Stoker’s Dracula“. Es finden sich ein, zwei Szenen, in denen Øvredal und Co. dann doch versuchen, den Grafen zumindest minimal zu charakterisieren, etwa, indem sie ihn bösartig lächeln oder sogar ein paar Worte sprechen lassen, das untergräbt allerdings die vorherige Inszenierung als unberechenbares Monster und wirkt eher merkwürdig denn furchteinflößend.

Selbst wenn man Dracula selbst ausklammert, hat „The Last Voyage of the Demeter“ mit Stokers Roman relativ wenig gemein – im Grunde handelt es sich um eine konzeptionelle und keine inhaltliche Adaption. Die Figuren, ihre Motivationen und Beziehungen zueinander haben mit dem, was sich in der Demeter-Episode des Romans findet, im Grunde nichts mehr zu tun. Selbst das eindrücklichste Bild, der Kapitän, der sich aus Trotz an das Steuerrad fesselt, um die Demeter doch noch irgendwie ans Ziel zu bringen, wird zwar referenziert, aber nicht wirklich integriert. Und dann wäre da noch der Epilog, der wirkt, als arbeite man auf eine Fortsetzung hin, der aber wiederum zu Stokers Geschichte überhaupt nicht passen mag. Sehr gelungen, wenn im Film auch zu unscheinbar abgemischt, ist hingegen Bear McCrearys Soundtrack. Man könnte den Eindruck gewinnen, McCrearys nahm diesen Film als seine vielleicht einzige Gelegenheit wahr, ein Thema für den legendärsten aller Vampire zu komponieren und versuchte, weniger dem Film an sich, als vielmehr dem Vermächtnis des Charakters ein Leitmotiv zu schreiben. Dementsprechend ist das Dracula-Thema des Films äußerst pompös, massiv unterhaltsam und für diesen Film beinahe zu wuchtig und eindringlich. Eine ausführliche Besprechung findet sich hier.

Fazit: Als reiner Horror- bzw. Monsterfilm ist „The Last Voyage of the Demeter“ durchaus gelungen, vor allem auf handwerklicher Ebene, als Teiladaption von „Dracula“ hingegen weniger. Zu sehr arbeitet die Inszenierung als „Alien“-artiger, klaustrophobischer Film gegen das übergroße Vermächtnis der Figur des Vampirgrafen.

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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gezeichnete Graf
Dracula (BBC/Netflix)
Art of Adaptation: Dracula (Holy Horror)
Renfield

Art of Adaptation: Guido Crepax‘ Dracula

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Zu den vielen Künstlern, die sich Stokers unsterblichen Grafen vorgenommen haben, gehört auch Guido Crepax (1933 bis 2003), ein italienischer Comicautor und -zeichner, der primär für seine oft erotischen Erwachsenencomics bekannt ist. Crepax adaptierte einige Werke der klassischen Schauerliteratur, darunter neben „Dracula“ auch Mary Shelleys „Frankenstein“ sowie Robert Louis Stevensons „The Strange Case of Dr. Jekyll and Mister Hyde“. Guido Crepax‘ „Dracula“ erschien ursprünglich 1987, fand aber erst 2023 im Rahmen des auf Erwachsenencomics spezialisierten Labels „Splitternackt“ des Splitter Verlags seinen Weg nach Deutschland. Wer nun allerdings eine Version von Stokers Geschichte mit ausschweifenden Orgien erwartet, wird wohl enttäuscht werden – Crepax‘ Bearbeitung des Stoffes mag expliziter sein als der zugrundeliegende Roman, im Großen und Ganzen handelt es sich dabei allerdings eher um Kosmetik.

Handlungstechnisch nimmt Crepax keine allzu großen Änderungen vor, sondern orientiert sich eng am Roman – wie so viele andere ist es vor allem die Struktur der Erzählung bzw. der Ablauf der Ereignisse, mit dem er spielt. So beginnt er nicht mit Jonathan Harkers Reise nach Transsylvanien und seinem Aufenthalt auf Draculas Schloss, stattdessen startet die Geschichte in Whitby bei Mina und Lucy. Nach und nach arbeitet er sich durch den Handlungsstrang, von Lucys drei Verehrern über die Ankunft der Demeter und Renfields Insekten-Eskapaden bis hin zu Lucys Krankheit und langsamem Dahinsiechen. Wie üblich kommt Van Helsing hinzu, aber auch ihm gelingt es nicht, Lucy zu retten. Mina reist derweil nach Osteuropa, weil ihr in Transsylvanien verschollener Verlobter Jonathan wieder aufgetaucht ist und die beiden heiraten. Lucy stirbt, zumindest scheinbar, Van Helsing strebt eine Autopsie an und Mina und Jonathan kehren als verheiratetes Paar nach England zurück. Nachdem Jonathan glaubt, Dracula in London gesehen zu haben, liest Mina sein Tagebuch und übergibt es anschließend an Van Helsing. An dieser Stelle platziert Crepax eine Rückblende und adaptiert den eigentlichen Anfang des Romans, inklusive aller zu erwartenden Episoden: Die Einheimischen, die Jonathan warnen, Dracula, der seinen eigenen Kutscher spielt und später nicht in Jonathans Rasierspiegel auftaucht, die Begegnung mit Draculas Bräuten usw. Anschließend kehren wir in die Gegenwart zurück, Lucy wird gepfählt, Dracula macht Mina zu seinem nächsten Opfer und Renfield stirbt. Nach einer Konfrontation mit dem Grafen und Bemühungen, seiner Lagerstätten unbrauchbar zu machen, flieht er in seine Heimat, verfolgt von den Vampirjägern, die ihn schließlich in Sichtweite seines Schlosses zur Strecke bringen, nicht ohne dass Quincey Morris dabei ums Leben kommt. Selbst dem Epilog widmet Crepax zwei Panels.

An der Handlungsfront finden sich somit recht wenig Änderungen, sieht man von der Umstrukturierung der Geschichte ab. Während es durchaus häufiger vorkommt, dass die Transsylvanien-Episode weiter nach hinten verschoben oder als Rückblende inszeniert wird, ist es doch selten, dass sie so spät auftaucht – als ich den Comic zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich zuerst, er orientiert sich diesbezüglich am ursprünglichen Theaterstück von Hamilton Deane und John L. Balderston, das Transsylvanien völlig ausklammert. Aus dramaturgischer Sicht funktioniert diese Abwandlung allerdings gar nicht einmal so schlecht, da Dracula auf diese Weise noch länger mysteriös und undefiniert bleibt. Als Leser erlebt man zuerst die Auswirkungen seiner Taten in Whitby und bekommt dann die Erklärung geliefert. Zumindest gilt das in der Theorie, denn selbst diejenigen, die nicht mit Stokers Roman vertraut sind, wissen doch, wer und was Dracula ist.

In letzter Konsequenz hängt hier also alles von der visuellen Umsetzung ab. Ähnlich wie Georges Bess‘ Adaption des Romans ist auch dieser Comic in schwarzweiß gehalten und bemüht sich um eine sehr filigrane Linienführung. Ich kann allerdings nicht behaupten, dass mir Crepax‘ Zeichenstil besonders gut gefällt, gerade seine Gesichter sehen oft merkwürdig aus. Ganz interessant sind die Vampirfratzen, hier wird ein schöner Kontrast zwischen der untoten und der in Frieden ruhenden Lucy aufgezeigt. Crepax‘ Version des Grafen hingegen will mir überhaupt nicht gefallen. Statt des üppigen Schnurrbartes aus Stokers Beschreibung hat er einen Backenbart und sieht alles in allem überhaupt nicht furchteinflößend aus. Auch atmosphärisch lässt Crepax‘ Adaption zu wünschen übrig, in seinen Panels konzentriert er sich zumeist auf die Figuren und weniger auf die Hintergründe, nur selten arbeitet er beispielsweise mit Licht und Schatten, wie es dem Sujet angemessen wäre. Und schließlich hätten wir noch das erotische Element, das jedoch, wie bereits erwähnt, eigentlich keine Auswirkungen auf die Handlung hat, die Figuren sind einfach etwas öfter nackt, als sie es im Roman waren. Ähnlich wie in Coppolas „Bram Stoker’s Dracula“, der fünf Jahre nach dem Erscheinen dieses Comics in die Kinos kam, ist es vor allem Lucy, die ihren Körper zeigt, aber auch Mina und selbst Jonathan erhalten die eine oder andere Nacktszene. Eher unpassend bis schräg wirkt die BDSM-Szene zwischen Jonathan und Draculas Bräuten, die konsequenzlos bleibt, bei der es sich aber um die einzige wirkliche Hinzufügung handelt, die Crepax vorgenommen hat. Wohlgemerkt ist diese Szene von der Standard-Begegnung mit den Bräuten abgegrenzt und fühlt sich so an, als hätte Crepax unbedingt noch eine erotische Episode einbauen wollen.

Fazit: Angesichts der vielen, vielen Comicadaptionen von „Dracula“ ist von Guido Crepax‘ Bearbeitung eher abzuraten, sofern man sich nicht zu den Fans des italienischen Zeichners zählt. Während seine Strukturanpassungen doch zumindest interessant sind, will mir persönlich seine visuelle Gestaltung der Geschichte und vor allem der Figuren nicht so recht zusagen, auch atmosphärisch wäre deutlich mehr möglich gewesen. Die erotische Komponente schließlich fügt der Geschichte kaum etwas hinzu und ist nicht mehr als unnötige Kosmetik. Wer nach einer großformatigen Hardcover-Dracula-Comicadaption sucht, die zudem auch visuell voll zu überzeugen weiß, dem sei Georges Bess‘ Version der Geschichte ans Herz gelegt.

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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Geschichte der Vampire: Dracula – Hammers Graf
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gezeichnete Graf
Art of Adaptation: Georges Bess‘ Dracula
Art of Adaptation: Bram Stoker’s Dracula Starring Bela Lugosi
Dracula, Motherf**ker!

Blood for Dracula

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Story: Um zu überlebend, benötigt Graf Dracula (Udo Kier) das Blut von Jungfrauen – unglücklicherweise werden diese in den 1920ern immer rarer. Aus diesem Grund veranlasst Anton (Arno Juerging), der treue Diener des Grafen, die Umsiedelung nach Italien, da er der Meinung ist, in dem streng katholischen Land fände man deutlich mehr Jungfrauen. In Italien werden Dracula und Anton von der adeligen, aber verarmten Familie di Fiore aufgenommen. Das Ehepaar (Vittorio de Sica und Maxime McKendry) hat vier Töchter, Esmeralda (Milena Vukotic), Saphiria (Dominique Darel), Rubinia (Stefania Casini) und Perla (Silvia Dionisio). Während Esmeralda und Perla tatsächlich noch Jungfrauen sind, haben Saphiria und Rubinia ein Verhältnis mit dem kommunistischen Familiendiener Mario (Joe Dallesandro). Dracula muss nun herausfinden, welches der Mädchen ihm dabei helfen kann, dem Tod zu entgehen…

Kritik: „Blood for Dracula“ (1974) ist ein weiterer Dracula-Film aus den 70ern – und einer der merkwürdigsten überhaupt. Während die meisten nicht von den Hammer Studios produzierten Dracula-Filme dieser Dekade, sei es Werner Herzogs Nosferatu-Remake, Jess Francos angeblich vorlagengetreue Leinwandversion mit Christopher Lee, Universals Neuverfilmung des klassischen Theaterstücks oder die TV-Umsetzung mit Jack Palance, zumindest in Ansätzen Stokers Roman adaptieren, entschied man sich bei „Blood for Dracula“ für einen völlig anderen Ansatz. Die Merkwürdigkeiten beginnen bereits beim Marketing. Für diesen Film, bei dem Paul Morrissey sowohl das Drehbuch schrieb als auch Regie führte, wurde nur allzu häufig Andy Warhols Name bemüht – in vielen Ländern trug er gar den Titel „Andy Warhol’s Dracula“, obwohl die Kunstikone wirklich kaum etwas mit diesem Film zu tun hatte. Stattdessen ist er Teil einer Dilogie, in deren Rahmen Morrissey sich zweier Ikonen der Horror-Literatur bzw. des Horror-Films annahm und sie in seinem Sinne interpretierte. Noch vor Dracula nahm sich Morrissey in „Flesh for Frankenstein“ bzw. „Andy Warhol’s Frankenstein“ 1973 Mary Shelleys Werk vor – mehr oder weniger. Neben Morrissey als Regisseur wirken in beiden Filmen die Darsteller Udo Kier und Joe Dallesandro mit.

Wollte man unbedingt eine inhaltliche Parallele zwischen „Blood for Dracula“ und Stokers Roman ausmachen, wäre es wohl der grundsätzliche Plot: In beiden Werken verlässt Dracula seine Heimat, um in einem anderen Land an frisches Blut zu kommen. Das war es dann allerdings auch schon wieder, ein weiteres Mal finden sich hier keine Bezüge zu Stoker, stattdessen ist Dracula einfach der Vampir-Archetyp. Zugleich invertiert Morrissey diesen Archetyp allerdings mit Freuden. Udo Kier ist weit davon entfernt, ein enigmatischer oder gar bedrohlicher Vampir zu sein. Visuell orientiert man sich grob an Bela Lugosi: Glattes, schwarzes Haar, dunkle, noble Kleidung (teilweise mit Cape) und kein Schnurrbart. Anders als fast jede andere Inkarnation der Figur pfeift dieser Dracula, salopp gesagt, aus dem letzten Loch und bringt allein kaum etwas zustande. Mehr noch als sonst wird der Vampirismus als Krankheit dargestellt. Der Blutdurst steht im Fokus und ist intensiviert – wenn es nicht von Jungfrauen ist, nährt es nicht und führt dazu, dass Dracula es minutenlang wieder auskotzt, was Morrissey seinen Zuschauern genüsslich und in aller Ausführlichkeit zeigt. Die anderen typischen Schwächen hingegen sind abgemildert – eine Abneigung gegen heilige Symbole sowie Sonnenlicht wird zwar gezeigt, beides ist aber eher lästig denn tödlich. Udo Kiers Dracula verfügt allerdings auch nicht über die typischen vampirischen Stärken, keine erhöhte Körperkraft oder Schnelligkeit und schon gar nicht die Fähigkeit, Tiere zu kontrollieren oder sich in eine Fledermaus zu verwandeln.

Überhaupt geht die Initiative weder von Dracula, noch von seinen potentiellen Opfern aus, sondern von den beiden jeweiligen Bediensteten: Es ist Anton, der Dracula dazu bringt, sich nach Italien zu begeben, es ist Anton, der die di Fiores als Gastgeber/Opfer auswählt und es ist Anton, der generell Dinge erledigt, während der Graf sich würgend auf seinem Bett herumwälzt. WARUM er es tut und weshalb er seinem Herrn ein so treuer Diener ist, erfahren wir interessanterweise nie. Genauso ist es Mario, der als einziger herausfindet, was der Graf ist und der ihn letztendlich zur Strecke bringt. „Blood for Dracula“ ist in diesem Kontext ein höchst politischer, wenn auch nicht unbedingt subtiler Film. Morrissey selbst sympathisierte stark mit den sozialistischen Ansichten, die Mario immer wieder ausdrückt. Zugleich waren ihm die libertinistischen Tendenzen der Bewegung allerdings zuwider – auch dieser Umstand zeigt sich in Mario, der zwar in der Theorie der „Held“ des Films ist, in der Praxis aber ein großmäuliges Arschloch und, schlimmer noch, ein Vergewaltiger. Schon seine Beziehung zu den beiden Schwestern Saphiria und Rubinia ist bestenfalls sehr problematisch und Perla wird ganz eindeutig von ihm vergewaltigt, um sie vor Dracula zu „schützen“. Im Gegensatz dazu wirkt der Graf beinahe schon sympathisch; Morrissey versucht, der Figur eine ähnliche Melancholie zu verpassen wie Werner Herzog und Klaus Kinski es einige Jahre später in „Nosferatu: Phantom der Nacht“ tun sollten. Am besten gelingt ihm das in der einnehmenden Eröffnungsszene, in welcher sich der Graf schminkt und die grauen Haare schwarz färbt.

„Blood for Dracula“ fehlt alles in allem durchaus nicht an einigen interessanten Ansätzen, auch wenn diese nichts mit Stoker zu tun haben und mitunter bedenklich sind. Primär problematisch ist die Umsetzung. Die Darsteller, allen voran Udo Kier und Arno Juerging, spielen wirklich sehr überdreht und glubschäugig, während die meisten Szenen mit Dominique Darel und Stefania Casini zu existieren scheinen, um die Brüste der Darstellerinnen zu zeigen. Generell gehen alle interessanten Ansätze, seien es der politische Kommentar oder die Genre-Invertierung, unter in Morrisseys Verlangen, sein Publikum zu ekeln oder zu erregen – dass er mitunter beides gleichzeitig versucht, ist da ebenfalls ziemlich kontraproduktiv. Die sehr fragwürdigen Dialoge helfen diesbezüglich auch nicht. „Blood for Dracula“ haftet etwas sehr trashiges an, und soweit ich weiß genießt der Film in gewissen Kreisen auch durchaus einen guten Ruf, mir persönlich fällt es allerdings sehr schwer, „Blood for Dracula“ in irgendeiner Art und Weise zu genießen. Selbst das völlig überdrehte, an „Monty Python an the Holy Grail“ erinnernde Finale ist da nicht hilfreich.

Fazit: „Blood for Dracula“ ist ein Vampir-Film, den man definitiv überspringen kann, es sei denn, man ist Komplettist oder großer Fan von Udo Kier oder Paul Morrissey. Mit Bram Stokers Roman hat dieser Film so gut wie gar nicht mehr zu tun, stattdessen bietet er, neben viel nackter Haut, einen unter Krämpfen leidenden viel Blut erbrechenden Grafen.

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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Art of Adaptation: Nachts, wenn Dracula erwacht
Art of Adaptation: Dracula (1979)

Art of Adaptation: Dracula (Holy Horror)

Halloween 2023

Als rechtefreier Roman ist „Dracula“ ein beliebtes Objekt für Adaptionen – nicht nur im Film-, sondern auch im Hörspielbereich. Bereits einige davon habe ich verglichen, erst vor kurzem ist mir eine weitere untergekommen, dieses Mal aus der Hörspielreihe „Holy Horror“. Bei Holy Horror handelt es sich um eine Serie des Labels Holysoft, gegründet von David Holy – schön, bei der Namensgebung eine gewisse Stringenz festzustellen. Konzeptionell ist „Holy Horror“ ähnlich angelegt wie die Serie Gruselkabinett; es werden primär rechtefreie Klassiker der Schauerliteratur umgesetzt, zusätzlich zu einigen extra für die Serie verfassten Geschichten. Nicht nur bedienen sich David Holy und seine Autoren bei denselben Vorlagen wie Marc Gruppe und Stephan Bosenius von Titania Medien, sie schöpfen z.T. auch aus demselben Sprecherpool bekannter Synchron- und Hörspielstimmen. Der vielleicht größte Unterschied ist, dass Holy und Co. sich dem Quellenmaterial nicht im selben Ausmaß verpflichtet fühlen wie Gruppe und Bosenius. Während im Gruselkabinett zumeist sehr werktreu vorgegangen wird, ist die Nähe zur Vorlage in den Holy-Horror-Hörspielen oft sehr unterschiedlich. Die Frankenstein-Adaption (Folge 2) beispielsweise hält sich relativ eng an Mary Shelleys Roman, während „Carmilla“ (Folge 16) komplett in die Moderne versetzt wird und eher die zugrundeliegende Idee und den groben Plot als die tatsächliche Novelle von Sheridan LeFanu adaptiert.

Was also tun, wenn man „Dracula“ umsetzen möchte – immerhin einer der am häufigsten adaptierten Romane der Literaturgeschichte? Und während es tatsächlich sehr wenig Filme gibt, die Stokers Werk vorlagengetreu auf die Leinwand zaubern, trifft das im Hörspielbereich nicht zu. Für „Holy Horror“ ging der profilierte Hörspielautor Marco Göllner zu Werk, Folge 10 bis 14 sind dem transsylvanischen Grafen gewidmet – damit gehört die Holysoft-Adaption zu den längeren Exemplaren ihrer Gattung. Um nicht einfach nur ein weiteres Dracula-Hörspiel zu sein, hat Göllner zwar die Figuren und Handlung größtenteils so belassen, wie man es gewohnt ist, aber doch diverse strukturelle Änderungen vorgenommen und am Finale deutlich geschraubt. Ein Ziel scheint es gewesen zu sein, die einzelnen Episoden – jede verfügt über einen individuellen Titel – stärker als in sich geschlossene, erzählerische Einheiten zu inszenieren.

Dabei überrascht es kaum, dass die erste Episode den Titel „Das Tagebuch des Jonathan Harker“ trägt und, wie gewohnt, Jonathan Harkers (Patrick Bach) Erlebnisse auf Schloss Dracula schildert. Ähnlich wie im WDR-Hörspiel aus den 90ern und in der dreiteiligen Netflix/BBC-Serie baut auch Göllner eine zusätzliche Rahmenhandlung ein, indem er Mina Murray (Bettina Kurth) in dem Kloster, in dem Jonathan nach seinen Erlebnissen Zuflucht sucht, eintreffen lässt. Dort liest sie sein Tagebuch, um zu erfahren, was ihr Verlobter, der mit Erinnerungslücken kämpfen muss, in Transsylvanien erlebt hat und wie er zu der Erkenntnis kommt, dass sein Gastgeber Dracula (Michael Prelle) ein Vampir ist. Dieser Umstand nimmt auf die Erzählsituation Einfluss, da sich Patrick Back und Bettina Kurth hier als Erzählstimme konstant abwechseln und ineinander übergehen, was mir persönlich deutlich zu uneben und durcheinander ist.

Die zweite Folge, „Die letzte Fahrt der Demeter“, steht im Zeichen eines Trends der letzten Jahre: Nach dem Comic „Bram Stoker’s Death Ship“, der zweiten Episode der BBC/Netflix-Serie und dem diesjährigen Film „The Last Voyage of the Demeter“ handelt es sich hier nun schon um die vierte Adaption, die das Dracula-Kapitel mit den Logbucheinträgen des Captains der Demeter erweitert und zur (semi-)eigenständigen Geschichte ausbaut. Folge 3, „Van Helsings Verdacht“ und Folge 4, „Die Jagd auf den Grafen“, kehren wieder in größerem Ausmaß zu Stokers Text zurück, allerdings mit einigen Abweichungen, die vor allem struktureller Natur sind. Die ausgiebige Vorstellung der Figuren Jack Seward (Johannes Steck), Arthur Holmwood (Romanus Fuhrman), Quincey Morris (Peter Sura), Abraham Van Helsing (Peter Weis) und Lucy Westenra (Vanessa Wirth) sowie den damit verbundenen, langsamen Spannungsaufbau um Lucy Krankheit und Draculas erste Aktionen in Großbritannien spart sich Göllner, stattdessen springt er praktisch direkt zu Lucys Tod, erklärt das nötige in Dialogen und bemüht sich, die Angelegenheit sehr rasant und actionreich zu inszenieren.

Im Großen und Ganzen spielt sich die weitere Handlung wie bei Stoker ab, allerdings mit der einen oder anderen Anpassung. Die größte ist das Ende: Anders als im Roman jagen die Vampirjäger den Grafen nicht bis nach Transsylvanien, um ihn dann im Schatten seines Schlosses zu vernichten, stattdessen findet das Finale bei Whitby statt und Jonathan Harkers Kukri-Messer wird dabei eine erstaunlich große Bedeutung zugewiesen. Wie in den meisten Adaptionen darf der Graf zudem etwas aktiver werden und seine Widersacher aktiv bekämpfen, bevor er das Zeitliche segnet.

Die fünfte Folge, „Der Zoophag“, knüpft an einen weiteren „Ausgliederungstrend“ unter den Dracula-Adaptionen an: Fokus auf Renfield (Marco Göllner himself). Auch hier finden sich sowohl ein Comic, „Renfield; A Tale of Madness“, als auch ein Film aus dem Jahr 2023, „Renfield“, mit zumindest in Ansätzen ähnlicher Thematik. Ein Großteil dieser fünften Folge beinhaltet primär Szenen aus Stokers Roman, die nicht enthalten waren, vor allem Dr. Sewards Erforschung des „Zoophagen“, geht dann aber über Draculas Tod hinaus und formt eine Art Epilog, der nicht unbedingt mit der Vorlage konform ist. Renfield überlebt hier seinen eigentlichen Tod, wird selbst zum Vampir und nimmt nach und nach Rache an den Vampirjägern und sogar ihren Nachkommen.

Auf der technischen Seite gibt es wenig zu beklagen, auch wenn die Holysoft-Produktion in meinen Augen nicht ganz die atmosphärische Dichte der Gruselkabinett-Hörspiele erreicht. Die Sprecherriege kann sich ebenfalls sehen lassen, es sind auch durchaus einige sehr bekannte Stimmen darunter, nicht zuletzt Johannes Steck, der nicht nur ein profilierter Hörbuch-Interpret, sondern auch die deutsche Stimme von Michael Douglas ist. Probleme habe ich persönlich eher auf der konzeptionellen Ebene, da man dem Hörspiel anmerkt, dass Marco Göllner einerseits durchaus großen Respekt vor der Vorlage hat und auch tatsächlich Stokers Geschichte umsetzen wollte, aber andererseits vorhatte, gerade angesichts des Umstandes, dass es schon so viele Dracula-Hörspiele gibt, eigene Akzente zu setzen. Dementsprechend ist Göllner stets um eine Art Spagat bemüht, wobei gerade die strukturellen Umgestaltungen oftmals eher dazu zu dienen scheinen, die eigentliche Vorlagentreue zu verschleiern. Dabei gibt es durchaus gelungene Ideen, gerade die Demeter-Episode ist sehr gelungen und atmosphärisch, alles in allem will die Holy-Horror-Version von Stokers Roman allerdings nie so recht zusammenfinden und über ihre Einzelteile hinauswachsen. Besonders die finale Renfield-Episode wirkt merkwürdig abgekapselt, wie eine Mischung geschnittener Szenen und einer unnötigen Coda, die so absolut nicht zum Ende des Romans passen möchte.

Fazit: Trotz guter Sprecher und handwerklich solider Inszenierung weiß die Holy-Horror-Version von „Dracula“ nicht völlig zu überzeugen, da sie sich nie so recht entscheiden kann, ob sie nun eine vorlagengetreue Umsetzung des Romans oder doch eine Neuinterpretation sein möchte. Vor allem die strukturellen Änderungen sorgen dafür, dass Stokers Geschichte ihre erzählerische Kohärenz verliert – wer mit der Vorlage nicht vertraut ist, könnte spätestens nach Folge 2 den Überblick verlieren, während für den Kenner wohl nicht genug neue Impulse vorhanden sein dürften.

Halloween 2023:
Art of Adaptation: The Silence of the Lambs
Art of Adaptation: Bride of Frankenstein
Fright Night (2011)
Art of Adaptation: Hannibal

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Der gehörte Graf
Geschichte der Vampire: Der gezeichnete Graf
Art of Adaptation: Dracula in der Gruselserie
Dracula (BBC/Netflix)
Renfield

Fright Night (2011)

Halloween 2023
FrightNight2011Poster
Story: Charley Brewester (Anton Yelchin), einstmals ein Nerd, fand vor kurzem Einlass in den Kreis der „Coolen“ und datete mit Amy (Imogen Poots) das attraktivste Mädchen der Schule. Als sein früherer bester Freund „Evil Ed“ (Christopher Mintz-Plasse) ihm zu erklären versucht, dass ein Vampir in der Stadt ist und für das mysteriöse Verschwinden diverser Personen verantwortlich ist, will Charley davon erst einmal nichts wissen – doch dann verschwindet auch Ed. Charley findet heraus, dass sein neuer Nachbar Jerry (Colin Farrell) der Vampir ist. Ihm, Amy und seiner Mutter Jane (Toni Collette) gelingt es, einen ersten Angriff abzuwehren und zu fliehen. Hilfe erhofft sich Charley nun von Peter Vincent (David Tennant), einem Show-Magier und vermeintlichen Experten in Sachen Vampire…

Kritik: Craig Gillespies „Fright Night” stammt aus jener fast schon berüchtigten Ära, in der in Hollywood fast jeder Horror-Film in irgend einer Art und Weise ein Remake erhielt – im Gegensatz zu heute, wo die Studios eher auf Legacy-Sequels setzen, oft allerdings mit qualitativ ähnlichen Ergebnissen. Der Fairness halber muss allerdings gesagt werden, dass das Fright-Night-Remake alles in allem doch eher zu den höherwertigen Produktionen gehört. Angesichts der Messlatte ist das allerdings nur sehr bedingt ein Lob. Wie dem auch sei, 2011 sah es im Vampirgerne deutlich anders aus als 1985, als Tom Hollands Original in die Kinos kam. Damals befand man sich in einer Phase der Neuorientierung, in der man sich vom traditionellen Erzählmuster älterer Vampirfilme distanzierte und stärker auf moderne, dekonstruierende Elemente setzte. Neben „Fright Night“ sind Joel Schumachers „The Lost Boys“ (1987) und Kathryn Bigelows „Near Dark“ (ebenfalls 1987) sehr prominente Beispiele. 2011 hingegen dominierte Stephenie Meyers Twilight-Saga den Vampir in allen Ausprägungen. Die meisten Filme und Serien mit Blutsaugern aus dieser Zeit versuchten entweder, von „Twilight“ zu profitieren und auf dessen Erfolgswelle mitzuschwimmen oder sich klar davon zu distanzieren. „Fright Night“ leidet diesbezüglich an einer relativ merkwürdigen Persönlichkeitsspaltung, in der das Marketing gegen den eigentlichen Film arbeitet. Vor allem die Poster, die einen brütenden, rotäugigen Colin Farrell zeigen, aber auch ein Stück weit die Visualisierung im Film, arbeiten mit Anspielungen an „Twilight“. Im Gegensatz dazu wird Jerry aber keinesfalls als in irgendeiner Form sympathisch, geschweige denn nachvollziehbar gezeichnet. Zwar ist er, bedingt durch die Tatsache, dass Colin Farrell ihn spielt, sehr attraktiv, allerdings verfügt er nicht einmal über besonders viel Charisma, sondern bestenfalls über eine aufgesetzte (und sehr dünne) Cool-Guy-Fassade, die ihn eher unangenehm wirken lässt. Hier findet sich einer der größten Unterschiede zu Tom Hollands Original, in welchem Jerry, gespielt von Chris Sarandon, sich bemühte, immer sehr jovial und kumpelhaft herüberzukommen. Im Twilight-Zeitalter mögen Sarandon und Drehbuchautorin Marti Noxon diesen Ansatz als regelrecht subversiv wahrgenommen haben, er altert allerdings nicht besonders gut, sodass Remake-Jerry inzwischen in erster Linie relativ uninteressant wirkt.

Auch die anderen zentralen Figuren wurden zumindest etwas neu interpretiert. Wo Charley im Original ein relativ eindeutiger Nerd und Fan von Peter Vincent war, der keine größere Entwicklung durchmacht und einfach die ganze Zeit recht behält, ist er im Remake seiner Nerd-Phase gewissermaßen „entwachsen“ und bemüht sich, „normal“ und cool zu sein. Stattdessen ist es „Evil Ed“, der herausfindet, dass Jerry ein Vampir ist, während Charley in letzter Konsequenz zu der Erkenntnis kommt, dass er zu allen Aspekten seiner Persönlichkeit stehen muss und keine verleugnen sollte. Peter Vincent schließlich unterscheidet sich vor allem bezüglich seiner Inszenierung deutlich vom Tom Holland-Gegenstück: Statt an einen klassischen, an Peter Cushings Van Helsing erinnernden Vampirjäger ist er nun an einen aufwändigen Vegas-Illusionisten angelehnt – denn genau das ist auch sein Job. Tatsächlich gehört David Tennants Performance wahrscheinlich zu den unterhaltsamsten Aspekten des Remakes. Die Entwicklung, die er durchmacht, von Feigling zum echten Vampirjäger, ist im Grunde dieselbe, allerdings mit einem markanten Unterschied: Während Peter Vincent im Original nicht an Vampire glaubt und erst überzeugt werden muss, weiß sein Gegenstück aus dem Remake sehr genau, dass Vampire existieren, da er Überlebender eines vorherigen Angriffs ist – tatsächlich hat Jerry seine Eltern getötet. So muss er hier nicht einfach „nur“ seine Angst, sondern ein spezifisches Trauma überwinden.

Inszenatorisch ist „Fright Night“ ziemlich Standard – es gibt wenig, das wirklich hervorsticht. Wie schon im Original zeigen die Vampire eine sehr monströse Seite, wenn sie erregt, wütend oder hungrig sind. Anders als im Original fehlt hier allerdings das distinktive Element, die bizarre, an John Carpenters „The Thing“ gemahnende Kreativität bei der Kreaturengestaltung. Statt auf praktische Effekte greifen Gillespie und Co. auf CGI zurück, während das Design der Blutsauger vage an „30 Days of Night“ erinnert. Ein weiterer markanter Unterschied zum Original ist die Darstellung der Teenager: Tom Hooper bemühte sich diesbezüglich um große Authentizität, sodass die jugendlichen Figuren auch tatsächlich wie authentische Jugendliche aussehen. Im Remake dagegen wirken die Teenager wie Hollywood-Stars, die eben Teenager spielen.

Fazit: Was Horror-Remakes angeht, ist Fright Night, gerade im Vergleich zu diversen anderen Vertretern, durchaus anschaubar und hat zudem die eine oder andere interessante Neuinterpretation zu bieten; manche funktionieren besser (Peter Vincent), andere weniger gut (Jerry). Alles in allem ist das Original, gerade was die Darstellung der Vampire angeht, aber definitiv der lohnenswertere Film.

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Halloween 2023:
Art of Adaptation: The Silence of the Lambs
Art of Adaptation: Bride of Frankenstein

Siehe auch:
Fright Night

Art of Adaptation: Dracula 2000

Eine ganze Reihe von Filmen und anderen Medien versuchte über die Jahre hinweg, Dracula in einen modernen bzw. zeitgenössischen Kontext zu setzen, so etwa die beiden Hammer-Filme „Dracula A.D. 1972“ und „The Satanic Rites of Dracula“, die dritte Folge der von Netflix und der BBC produzierten Miniserie „Dracula“ mit Claes Bang oder, das aktuellste Beispiel, die Horror-Komödie „Renfield“. In meiner Kritik zu besagtem Film verwies ich bereits auf einige interessante Parallelen zwischen „Renfield“ und einem anderen filmischen Versuch, Stokers Vampirgrafen in ein modernes Setting zu verfrachten: „Dracula 2000“, auch bekannte als „Wes Craven’s Dracula“ (ein irreführender Titel, denn Craven produzierte nur, während Patrick Lussier Regie führte), ist vielleicht das bekannteste Beispiel für ein derartiges Unterfangen. Zweifelsohne handelt es sich hierbei nicht um einen guten Film, aber doch um einen interessanten, der immerhin noch genug mit Stokers Roman gemeinsam hat, um einen Art-of-Adaptation-Artikel zu rechtfertigen. Tatsächlich fungiert „Dracula 2000“ auf gewisse Weise sowohl als Fortsetzung der ursprünglichen Geschichte als auch als Neuerzählung.

Adaption oder Fortsetzung?
Abseits von Romanen oder Comicserien ist Hammers „Dracula A.D. 1972“ wahrscheinlich einer der markantesten frühen Versuche, Stokers Graf in ein zeitgenössisches Setting zu verpflanzen – ein Versuch, bei dem sich „Dracula 2000“, bewusst oder unbewusst, einiges abgeschaut hat. „Dracula A.D. 1972“ hätte als gewöhnliches Sequel der Dracula-Filmserie funktionieren können, wurde aber als Reboot inszeniert: Die Szene zu Beginn des Films, in welcher eine finale Auseinandersetzung zwischen Dracula und Van Helsing gezeigt wird, passt weder inhaltlich noch bzgl. der Datierung zu den bisherigen Filmen. Ganz ähnlich ist auch das Verhältnis von „Dracula 2000“ zu Stokers Roman: Im Film müssen Ende des 19. Jahrhunderts Ereignisse stattgefunden haben, die zumindest grob mit denen des Romans übereinstimmen. Allerdings werden nur einige spärliche Flashbacks gezeigt, in welchen Dracula (Gerard Butler) von Van Helsing (Christopher Plummer) überwältigt und in einem Sarg eingesperrt wird. Die Szene spielt eindeutig in London und entspricht definitiv nicht den in Stokers Roman geschilderten Ereignissen, denn dort wird der Graf in Transsylvanien besiegt und sehr eindeutig getötet. Der Dracula, mit dem wir es in diesem Film zu tun haben, ist allerdings einfach nicht totzukriegen, weshalb Van Helsing sich zu seinem Wächter macht, mithilfe von Draculas Blut am Leben bleibt und sich als sein eigener Enkel ausgibt. Stokers Roman existiert in der erzählten Welt des Films, scheint mit den tatsächlichen Ereignissen aber nur sehr bedingt konform zu sein, allerdings hat Dracula wohl tatsächlich Carfax von Jonathan Harker erworben, um anschließend mit der Demeter nach England zu reisen.

Die eigentliche Handlung des Films beginnt viele Jahre, nachdem Van Helsing alle anderen Vampire ausgelöscht und sich anschließend in Carfax niedergelassen hat, um Dracula zu hüten. Eine Gruppe von Dieben vermutet, er verberge Schätze in den Gewölben seines Anwesens. Allerdings finden sie nur einen Sarg, der sich nicht öffnen lässt. Die Gruppe macht sich mit dem Sarg per Flugzeug auf nach New Orleans. Noch im Flugzeug schaffen sie es tatsächlich, die Kiste zu öffnen und Dracula steigt heraus. Zwei der Diebe, Solina (Jennifer Esposito) und Marcus (Omar Epps) werden von Dracula in Vampire verwandelt, bevor er sich daran macht, in New Orleans nach Mary Heller (Justine Waddell), Van Helsings entfremdeter Tochter zu suchen. Wegen Van Helsings Versuche, sein Leben zu verlängern, wurde Mary mit Vampirblut geboren, das nun nach Dracula ruft. Van Helsing und sein Gehilfe Simon (Jonny Lee Miller) folgen dem Grafen nun nach Nordamerika, um ihn erneut einsperren zu können. Hier zeigt sich: Trotz des eigentlichen Fortsetzungscharakters arbeiten Lussier und Drehbuchautor Joel Soisson viele Elemente und Figuren aus Stokers Roman ein, oft in etwas modernisierter Art und Weise. Statt von Transsylvanien nach London reist der Graf nun von London nach New Orleans, statt mit einem Schiff kommt Dracula nun mit einem abstürzenden Flugzeug an seinem Ziel an – die Reise mit der Demeter wird allerdings im Vorspann des Films ebenfalls gezeigt. Und abermals ist er hinter einer jungen Frau her. Während Dracula und Van Helsing gewissermaßen die ursprünglichen, sprich: aus dem viktorianischen Zeitalter stammenden Versionen ihrer Figuren sind, gibt es für andere, sagen wir, Substitute, die teilweise sogar denselben Namen tragen. Mary ist natürlich der Ersatz für Mina Harker – der Name ist sicher nicht zufällig gewählt, denn einerseits erinnert er an Stokers Charakter und verweist andererseits auf die diversen biblischen Bezüge (dazu später mehr). Zudem ist sie Van Helsings Tochter, ähnlich wie Mina in „Dracula“ von 1979 mit Frank Langella. Und natürlich hat Mary eine beste Freundin namens Lucy (Colleen Ann Fitzpatrick), die zu Draculas Opfer und später zur Vampirin wird. Ihr Nachnahme ist Westerman statt Westenra, aber Lucy müsste es ja inzwischen gewohnt sein, dass ihr Name in diversen Adaptionen leicht abgewandelt wird.

Ebenso wenig überrascht der Umstand, dass Dracula aus seinen Opfern drei „Bräute“ rekrutiert, neben der bereits erwähnten Lucy ist das die ebenfalls bereits erwähnte Diebin Solina sowie die relativ unbeteiligte Reporterin Valerie Sharpe (Jeri Ryan). An die Stelle Jonathan Harkers und der drei Vampirjäger tritt Van Helsings Gehilfe Simon, allerdings taucht im Film auch ein Dr. Seward (Robert Verlaque) auf – dessen Rolle fällt allerdings sehr klein aus und ist kaum mit dem Gegenstück aus Stokers Roman vergleichbar. Da Quincey Morris mal wieder komplett fehlt, ist es ein weiteres Mal Abraham Van Helsing, der als Vater der einen Hauptfigur und Mentor der anderen das zeitliche segnen darf. Nebenbei bemerkt, Christopher Plummer, der eine zumindest Van-Helsing-artige Rolle bereits in „Nosferatu in Venice“ spielte, liefert mit Abstand die beste schauspielerische Leistung. Alle anderen Darstellungen bleiben ziemlich flach, vor allem Gerard Butler fehlt als Dracula die Präsenz eines Lugosi, Lee oder Oldman. In gewissem Sinne knüpft Butler an Frank Langellas romantisch-brütende Darstellung der Figur an, aber selbst hier zieht er den Kürzeren. Wie man es auch dreht und wendet, als spartanischer Heerführer macht Butler deutlich mehr her als als Vampirfürst.

Der Graf und sein Genre
„Dracula 2000“ ist stilistisch ein nicht unbedingt bekömmliches, aber doch irgendwie faszinierendes Konglomerat alter und neuer Tropen des Horror- bzw. Vampirgenres. Man merkt, dass Lussier seinen Film jung, aktuell und sexy gestalten wollte, weshalb sich viele typische Merkmale gleichartiger Horror- bzw. Action-Filme der späten 90er und frühen 2000er finden (Bildsprache, Musik etc.), die den Film aus heutiger Perspektive in deutlich stärkerem Ausmaß altern lassen, als das bei so manchem älterem Film der Fall ist. Das Erscheinungsbild der Titelfigur ist ein ausgezeichneter Indikator: Weder hat die von Gerard Butler verkörperte Version den Schnurrbart und die haarigen Hände aus Stokers Roman, noch erinnert sie visuell an Bela Lugosi oder Christopher Lee. Stattdessen sind es die oft langhaarigen, attraktiven, düster-emotionalen Vampire der 90er, nach deren Vorbild dieser Dracula geformt ist, zumindest, was die Inszenierung angeht. Ein wenig Brad Pitts Louis de Pont du Lac hier, etwas David Boreanaz‘ Angel da und natürlich noch eine Prise Gary Oldmans Dracula – freilich ohne die Vielseitigkeit und Charaktertiefe. Tatsächlich bietet Butler gewissermaßen einen Vorgeschmack auf Stuart Townsends Lestat aus „Queen of the Damned“ (2002) – man wird das Gefühl nicht los, dass nicht etwa Tom Cruise in dieser Rolle, sondern Butler als Dracula Pate für Lestats zweiten Leinwandauftritt stand. Wie Oldmans Graf bekommt diese Inkarnation zudem eine gewisse Tragik und sogar eine göttliche Erlösung, die in den beiden Direct-to-DVD-Sequels freilich wieder zunichte gemacht wird.

Trotz des modernen Anstrichs versteckt sich in „Dracula 2000“ im Grunde die Hammer-Formel. Ich wies bereits auf die inhaltlichen Parallelen zu „Dracula A.D. 1972“ hin, diese gehen allerdings tiefer und erstrecken sich auf die gesamte Serie. Wie die Hammer-Filme flirtet auch „Dracula 2000“ stark mit der Verruchtheit und Erotik, die dem Vampir innewohnt. Das zeigt sich nicht nur durch diese sehr junge und attraktive Version von Dracula, sondern auch durch seine „Bräute“. Ein weiteres Mal wird in diesem Kontext dann jedoch der Madonna/Hure-Komplex bedient: Die reine, jungfräuliche Mary kann Dracula letztendlich widerstehen und kommt größtenteils unbeschadet aus der Angelegenheit heraus, während Solina, Lucy und Valerie, die jeweils als sehr promiskuitiv dargestellt werden, in letzter Konsequenz genau dafür bestraft werden und zuerst dem Vampirismus und dann dem endgültigen Tod zum Opfer fallen. Ähnlich wie die Hammer-Filme hat „Dracula 2000“ keinerlei Probleme damit, diese Promiskuität zu zeigen – schließlich befinden wir uns gerade in der Hochzeit der „sexy Vampire“, bevor die Twilight-Saga den Archetyp des keuschen Stalkers ins Rampenlicht rückte – aber trotz dieses Anstrichs vermittelt Lussiers Film doch eine sehr konservative Weltsicht.

Freilich hat „Dracula 2000“ noch eine ganz andere, religiöse Ebene, denn Dracula wird hier zwar auch mit Vlad Țepeș gleichgesetzt, aber eben nicht nur. Wie in anderen, früheren wie späteren Werken, ist der Ursprung des Vampirismus mit Dracula verknüpft. Während „Bram Stoker’s Dracula“ den Zustand des Grafen auf seine Beleidigung Gottes zurückführt und er in „Blade Trinity“ der Prototyp der Vampirspezies ist und aus dem alten Sumer stammt, wird er in „Dracula 2000“ als Judas Iskariot identifiziert, der für seinen Verrat an Jesus dazu verflucht wird, als unsterblicher Blutsauger über die Erde zu wandeln. Wobei impliziert wird, dass es nicht einmal so sehr der Verrat ist, der die Vampirnatur verantwortlich ist, sondern die darauffolgende Ablehnung Gottes durch Judas – gewissermaßen verflucht sich der Verräter aufgrund von Hass und Schuldgefühlen selbst. Damit wird sowohl seine Abscheu vor christlichen Symbolen erklärt als auch seine Schwäche gegen Silber (da Judas Jesus bekanntermaßen für 30 Silberstücke verrät). Die finale Tötung in diesem Film erfolgt dann schließlich weder durch Sonnenlicht, noch durch einen Pfahl ins Herz, sondern durch Hängen, wobei der Film impliziert, dass Dracula/Judas hier erlöst wird. Es ist freilich nicht das erste Mal, dass ein biblischer Ursprung für den Vampirismus gewählt wird: In „Vampire: The Masquerade“ ist es Kain und in mehr als einem Werk wird Lilith, Adams apokryphe erste Frau, zur Urmutter aller Blutsauger.

Fazit: „Dracula 2000“ ist weder eine gute Adaption, noch eine gute Fortsetzung von Bram Stokers Geschichte, aber ein durchaus faszinierendes Artefakt seiner Zeit, das wie so viele andere zeigt, dass die Idee, Dracula in die Moderne zu verpflanzen, selten erfolgreich ist.

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Secret Origins
Dracula A.D. 1972
The Satanic Rites of Dracula
Dracula (BBC/Netflix)
Art of Adaptation: Dracula (1979)
Renfield
Nosferatu in Venice

Renfield

Poster_Renfield
Story: Seit vielen Jahrzehnten dient Renfield (Nicholas Hoult) dem mächtigen Vampirfürsten Dracula (Nicolas Cage), beschafft ihm Opfer oder hilft ihm, wenn er mal wieder von Vampirjägern attackiert wird. Um seinen Schuldgefühlen wenigstens etwas Linderung zu verschaffen, nimmt Renfield an den Treffen einer Selbsthilfegruppe Teil und führt seinem Meister die toxischen Partner der anderen Teilnehmer zu. Derweil versucht die Verkehrspolizistin Rebecca Quincy (Awkwafina), die Mitglieder der Lobo-Verbrecherfamilie dingfest zu machen. Eher durch Zufall verhindert Renfield einen Angriff der Lobos auf Rebecca. Erstmals beginnen andere, Renfield als Helden wahrzunehmen. Kann es ihm gelingen, sich aus dem toxischen Einfluss Draculas zu befreien?

Kritik: Ähnlich wie andere Ikonen der britischen Literatur, sei es Sherlock Holmes, Robin Hood oder König Artus, wird auch Dracula regelmäßig reaktiviert – oft ist Universal daran beteiligt, aufgrund des legendären Films von 1931 ist das Studio nach wie vor der Meinung, einen gewissen Besitzanspruch auf den Vampirfürsten erheben zu können. 2023 schickt Universal gleich zwei Kandidaten ins Rennen: „Renfield“ und „The Last Voyage of the Demeter“. Tonal scheinen beide Filme sehr unterschiedlich zu sein („The Last Voyage of the Demeter“ konnte ich allerdings noch nicht selbst in Augenschein nehmen), neben der Präsenz von Stokers Grafen haben sie aber vor allem eines gemeinsam: Beide erleiden an den Kinokassen Schiffbruch. Davon abgesehen findet sich noch ein anderer, deutlich älterer Dracula-Film, der einige überraschende Parallelen zu „Renfield“ aufweist: „Dracula 2000“, auch bekannt als „Wes Craven’s Dracula“: Beide Filme versetzen Dracula in die Gegenwart, fungieren dabei aber zumindest irgendwie als Fortsetzung der ursprünglichen Geschichte, spielen in New Orleans und haben einen Score von Marco Beltrami. „Renfield“ ist tonal allerdings ein völlig anderes Biest als „Dracula 2000“, denn hierbei handelt es sich um eine relativ eindeutige Komödie – Regisseur Chris McKay und Drehbuchautor Ryan Ridley lassen an diesem Umstand keinen Zweifel.

Ich hatte „Renfield“ gegenüber im Vorfeld einiges an Gutwillen: Zum einen hat „What We Do in the Shadows“ (Film wie Serie) nachhaltig bewiesen, dass eine Vampirkomödie sehr gut funktionieren kann und zum anderen ist die Idee eines Dracula spielenden Nicolas Cage natürlich sehr verführerisch. Konzeptionell ist „Renfield“ zudem äußerst vielversprechend. Nachdem die Figur des Renfield oft eher Nachgedanke ist und selten viel Aufmerksamkeit bekommt, ist die Idee, die toxische Beziehung zwischen dem Diener und seinem Herrn aufzuarbeiten, ein durchaus brauchbarer Ansatz. Diesbezüglich ist „Renfield“ wahrlich nicht subtil: Toxizität, sowohl in einer romantischen als auch einer professionellen Beziehung wird sehr offen angesprochen und thematisiert, nicht zuletzt durch die Selbsthilfegruppe, an deren Treffen Renfield regelmäßig teilnimmt. Auch Draculas Verhalten gegenüber Renfield spricht eine sehr, sehr deutliche Sprache, von den mehr oder weniger subtilen Manipulationen bis hin zum Gaslighting. Die Szenen zwischen Nicholas Hoult als Renfield und Nicolas Cage als Dracula sind zweifelsohne auch der Höhepunkt des Films.

Neben diesem zentralen Handlungsstrang gibt es allerdings noch einen zweiten, der sich mit der von Awkwafina gespielten Rebecca Quincy (eine Anspielung auf Quincey Morris?) und ihrem Kampf gegen die mafiöse Lobo-Familie auseinandersetzt. Dieser ist leider deutlich weniger interessant, sorgt für die eine oder andere Länge (was in einem gerade einmal 93 Minuten dauernden Film eigentlich nicht der Fall sein sollte) und wirkt merkwürdig deplatziert. Zwar interagieren die beiden Handlungsstränge durchaus miteinander, Renfield muss sich mit den Lobos auseinandersetzen und Dracula übernimmt gegen Ende gewissermaßen die Macht über die Gangster, aber dennoch wirkt diese Sekundärhandlung wie ein Fremdkörper, der von der deutlich interessanteren Renfield/Dracula-Dynamik ablenkt. Auch abseits davon hat „Renfield“ einige tonale Probleme. Primär ist diese Komödie überdrehter, als ihr guttut. Einerseits versucht sie, die Toxizität authentisch darzustellen, schießt dann aber weit übers Ziel hinaus, wenn sowohl Renfield als auch Dracula in völlig überhöhte Kampfszenen mit viel schlecht animiertem CGI-Blut verwickelt werden, die besser zu „Deadpool“ als zu einem Dracula-Film passen. Apropos Superhelden: Dass Renfield gerne Insekten verspeist, dürfte ja allseits bekannt sein. Hier bekommt er allerdings kurzzeitig Superkräfte, wenn er sich an Krabbeltieren gütlich tut, was die Parallelen zu „Deadpool“ und anderen Superheldenfilmen noch erhöht. Zudem verfügt „Renfield“ über eine ganze Reihe an übermäßig selbstreferenziellen und plakativen Momenten, die dem Film einfach nicht guttun.

Da „Renfield“ von Universal vertrieben wird, finden sich viele Anspielungen auf Tod Brownings „Dracula“ mit Bela Lugosi. Nicht nur wurde der Film mehrfach als Fortsetzung des Klassikers bezeichnet, sogar einige Szenen wurden direkt nachgestellt, mit Cage an Stelle Bela Lugosis und Hoult statt Dwight Frye. Cages Dracula ist allerdings deutlich… sagen wir, extrovertierter als Lugosis Interpretation der Figur. Abseits der überdrehten Gebahrens bin ich vielleicht sogar geneigt, dieser Version der Figur eine etwas größere Nähe zu Bram Stokers ursprünglichem Charakter zu attestieren: Cages Dracula besitzt, anders als Lugosis Graf, kaum klassisch-verführerischen Tendenzen, was auch damit zusammenhängen könnte, dass er die erste Hälfte des Films damit beschäftigt ist, sich von sehr verheerenden Verletzungen zu regenerieren. Wenn Dracula lockt, dann ist es mit dem Versprechen von Macht und nicht mit erotischer Ausstrahlung oder sexueller Verführung. Abseits dieser stärker an den Roman angelehnten Charakterisierung des Grafen finden sich relativ wenig Anspielungen an Stokers Werk – einmal mehr ist Dracula hier eine abstrakte Verkörperung des bösen Vampirs als Archetyp. Zudem wollte man eine positivere Darstellung eines „Abusers“ vermeiden. Drei Details sind allerdings erwähnenswert: Zum einen wird Dracula einmal als „Voivode der Walachei“ bezeichnet, was zumindest andeutet, dass auch „Renfield“ der weit verbreiteten Tendenz folgt, aus Dracula und dem historischen Vlad Țepeș dieselbe Figut zu machen. Und zum anderen sind die Figuren des Films mit dem Namen „Dracula“ vertraut, es wird allerdings nicht mitgeteilt, weshalb. Da man davon ausgehen muss, dass die Ereignisse des Lugosi-Klassikers als Vorgeschichte fungieren, besteht die Möglichkeit, dass Bram Stoker in der erzählten Welt des Films seinen Roman basierend auf diesen Ereignissen (wenn auch stark abgeändert) verfasst hat. Schließlich und endlich kann Renfields Vorname als Anspielung auf den Roman betrachtet werden. In diesem erfahren wir nur seine Initialen, R. M. Renfield, was dazu führte, dass er in vielen Adaptionen entweder keinen Vornamen hat, oder aber einen völlig neuen bekommt, etwa Milo, Frank oder Thomas. Hier lautet sein voller Name Robert Montague Renfield, was mit den Initialen immerhin konform geht und durchaus passen könnte.

Fazit: „Renfield“ ist eine in der Idee interessante, in der Umsetzung aber eher schwache und zu überdrehte Horror-Komödie mit deutlich zu vielen Anlehungen an den Superheldenfilm, die jedoch zumindest Abschnittsweise dank der Spielfreude von Nicolas Cage und Nicholas Hoult zu unterhalten weiß.

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Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gezeichnete Graf
Art of Adaptation: Dracula (1979)