Die Insel der Tausend Leuchttürme

Grobe Spoiler ohne Details!
Die Insel der Tausend Leuchttuerme von Walter Moers
Im Herbst 2023 veröffentlichte Walter Moers seinen zehnten Zamonien-Roman (die beiden kürzeren Werke „Weihnachten auf der Lindwurmfeste“ und „Der Bücherdrache“ miteingerechnet). Während die erste Hälfte, von „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ bis „Der Schrecksenmeister“ wirklich herausragend ist, ist die zweite deutlich durchwachsener, vor allem „Das Labyrinth der träumenden Bücher“, „Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr“ und „Weihnachten auf der Lindwurmfeste“ erwiesen sich als ziemliche Enttäuschungen. Es freut mich allerdings berichten zu können, dass Moers mit „Die Insel der 1000 Leuchttürme“ definitiv an die alten Qualitäten anknüpft, auch wenn sein neuester Streich definitiv hinter „Die Stadt der träumenden Bücher“ oder „Rumo & die Wunder im Dunkeln“ zurückbleibt. Ein weiteres Mal haben wir es mit einem autobiographischen Werk des zamonischen Monumentalschriftstellers Hildegunst von Mythenmetz zu tun, das sich in der Konzeption allerdings etwas von den bisherigen unterscheidet. Abermals arbeitet Moers mit der „Übersetzerfiktion“, geht bzgl. seiner eigenen Rolle dieses Mal aber noch einen Schritt weiter. Bisher „übersetzte“ (und kürzte) Moers Mythenmetzwerke, die auch in Zamonien publiziert wurden. Dieses Mal handelt es sich jedoch um Briefe an den aus „Die Stadt der träumenden Bücher“ bekannten Eydeeten Hachmed Ben Kibitzer, die Moers selbst „kompilierte“. Einen Vorgeschmack auf dieses Konzept gewährte er bereits in „Weihnachten auf der Lindwurmfeste“.

Die Handlung besteht primär aus Hildegunst von Mythenmetz‘ Erkundung der Insel Eydernorn (ein Anagramm, das nicht allzu schwer zu entschlüsseln ist) und der Erkundung der dortigen Kultur, Flora und Fauna. Ursprünglich als Kuraufenthalt geplant (zumindest in Ansätzen erinnert der Roman an eine phantastisch-skurrile Variation auf Thomas Manns „Der Zauberberg“), stellt Zamoniens größter Schriftsteller schon bald fest, dass er für die Lokalsportart „Krakenfieken“ ein enormes Talent hat und dass Eydernorn viele Gehemnisse bietet. Primär erforscht Hildegunst die Geheimnisse der Leuchttürme, schließlich trägt Eydernorn den Beinamen „die Insel der Tausend Leuchttürme“, auch wenn es in Wahrheit nur 111 sind. Wer sich von „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ ein ähnliches Ausmaß an Suspense oder Handlungsdichte wie einige der Vorgänger erhofft, den muss ich leider sofort enttäuschen. Gewisse Moers-Tendenzen der letzten Jahre treten hier noch stärker zutage: Der zehnte Zamonien-Roman ist primär ein Reisebericht, der sehr lange ohne tatsächlichen Plot auskommt, als Leser begleiten wir Hildegunst von Mythenmetz schlicht bei der Erforschung der Insel, lernen skurrile neue Figuren kennen und erleben, wie Moers mit viel Liebe zum Detail einen weiteren zamonischen Handlungsort aufbaut. Der folgende Vergleich schmerzt mich sehr, aber ich erkennen da gewisse Parallelen zu Stephenie Meyers Twilight-Romanen: Wir haben sehr lange wenig Plot und viel „Ambiente“, bis im letzten Drittel der Plot dann relativ rasant und überstürzt doch noch sein Haupt erhebt und die Ereignisse sich überschlagen. Natürlich ist es auch nicht das erste Mal, dass Moers diese Tendenz zeigt, in „Das Labyrinth der träumenden Bücher“ war das noch einmal deutlicher und frustrierender, was allerdings auch damit zusammenhing, dass sich große Teile des Romans wie ein bloßes „Aufwärmen“ des Vorgängers anfühlten. „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ ist immerhin eine in sich abgeschlossene Geschichte, während „Das Labyrinth der träumenden Bücher“ seinen eigentlichen Plot bis zum heutigen Tage nicht enthüllt hat. Dass Moers natürlich als Autor deutlich begabter ist als Stephenie Meyer muss ich wohl nicht extra hinzufügen…

Interessanterweise hängt mein eigentlicher Hauptkritikpunkt damit zwar zusammen, ist aber nicht, dass ich gerne früher mehr Plot gehabt hätte. Im Finale lebt Moers wieder eine andere Tendenz aus, nämlich die, seine sorgsam konstruierten Handlungsorte einer apokalpytischen Zerstörung zu unterziehen oder sie auf andere Art zu „entfernen“. Das betrifft sowohl Atlantis in „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ als auch Untenwelt in „Rumo & die Wunder im Dunkeln“ und Buchhaim in „Die Stadt der träumenden Bücher“ (Letzteres wurde zugegebenermaßen wieder aufgebaut). Abermals taucht eine fast Lovecraft’sche Entität auf, zwar nicht völlig aus dem Nichts, aber doch recht unvermittelt – zudem meint man, gewisse Anklänge an „Alien“ herauslesen zu können. Wie dem auch sei, ich persönlich denke, Moers hätte besser das Reiseberichtkonzept des Romans konsequent durchgezogen. Vielleicht hatte er Angst, dass die Rezeption ähnlich ausgefallen wäre wie bei „Das Labyrinth der träumenden Bücher“ und hat deshalb versucht, dem Ganzen noch ein möglichst spektakuläres Finale zu verpassen. Gerade dieses will aber nicht so recht zum Tonfall des Romans passen, ein intimerer, persönlicherer Abschluss wäre in meinen Augen weitaus gelungener gewesen.

Ansonsten bietet „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ definitiv, was Zamonien-Fans so an Moers als Autor schätzen: Ein mit viel Liebe zum Detail ausgearbeiteter Handlungsort, sehr viel schräger und absurder Humor (allein das Krakenfieken und alles was damit zu tun hat ist herrlich) und nicht minder skurrile Charaktere, von den De-Bong-Drillingen über die diversen Leuchtturmwächter bis hin zu den sonstigen Einwohnern Eydernorns. Besonders interessant ist dieser zehnte Zamonien-Roman auch wegen der Verknüpfung zu den seinen Vorgängern. Mit der Kontinuität hält Moers es ja bekanntlich nicht allzu genau: Wie schon in „Das Labyrinth der träumenden Bücher“ wechselt Hildegunst von Mythenmetz sein Schuppenkleid, von rot zu violett. Das will aber nicht so recht zum „Labyrinth“ passen, das chronologisch nach der „Insel“ spielt, in welchem er sein rotes Schuppenkleid aber erst bekommt. Natürlich wissen wir aus „Ensel und Krete“, dass Mythenmetz ein Meister darin ist, seine eigene Biographie zu fälschen und zu verschleiern, insofern passt das tatsächlich ganz gut. Insgesamt ist „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ eine deutliche besser Fortsetzung zu „Die Stadt der träumenden Bücher“ als das „Labyrinth“, nicht zuletzt, da es konzeptionell besser zu den frühen Zamonien-Romanen passt, die oftmals einen Subplot, eine Nebenfigur oder ein ähnlich untergeordnetes Element des Vorgängers ausarbeiteten. So auch hier: In „Die Stadt der träumenden Bücher“ gehört Gryphius von Odenhobler, Autor des „Ritter Hempel“, zu den ersten fiktiven Autoren Zamoniens, die wir kennenlernen. In „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ taucht er nun als essentielle Figur auf. Generell haben die vorangegangenen Ereignisse ihre Spuren bei Hildegunst hinterlassen, sodass sich seine Entwicklung wie eine natürliche Weiterführung anfühlt.

Fazit: Mit „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ kommt Moers zwar nicht ganz an seine Meisterwerke heran, zeigt aber, dass „Der Bücherdrache“ kein positiver Ausrutscher, sondern Wegbereiter einer Tendenz war. Der zehnte Zamonien-Roman hat zwar ein paar Probleme in der Handlungsentwicklung und der Gestaltung des Finales, weiß aber ansonsten dank seines gelungenen, skurrilen und liebevoll ausgearbeiteten Handlungsortes zu überzeugen. Es muss allerdings gesagt werden, dass „Die Insel der Tausend Leuchttürme“, abseits des letzten Drittels, deutlich weniger abenteuerlich und spannend ist als beispielsweise „Die Stadt der träumenden Bücher“ und eher als Reisebericht in Form eines Briefromans konzipiert ist.

Bildquelle (Copyright: Penguin Random House)

Siehe auch:
Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär
Ensel und Krete
Rumo & die Wunder im Dunkeln
Der Bücherdrache

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