Art of Adaptation: Red Dragon

Spoiler!
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Hannibal Lecters Geschichte beginnt und endet mit „Red Dragon“. Diese Aussage mutet etwas merkwürdig an, betrachtet man allerdings die Zyklen, die diese Figure durchmacht, zeigt sich, wie viel Wahres in ihr steckt. Bekanntermaßen feierte die Figur des kultivierten Kannibalen in Thomas Harris‘ Roman „Red Dragon“ (1981) ihr Debüt, spielte dort aber nur eine untergeordnete Rolle, bevor Harris die Figur im Folgeroman „The Silence of the Lambs“ (1988) weiter ausarbeitete. „Red Dragon“ war auch der erste Lecter-Roman, der verfilmt wurde, als Frühwerk des legendären Regisseurs Michael Mann unter dem Titel „Manhunter“ (1986). Der Film floppte allerdings an den Kinokassen und kam auch bei den Kritikern nicht besonders gut weg, weshalb die Verfilmung von „The Silence of the Lambs“ (1991), bei der Jonathan Demme Regie führte, den Pseudo-Vorgänger konsequent ignorierte und alle wiederkehrenden Rollen neu besetzt. Anthony Hopkins‘ Hannibal Lecter wurde rasch zur popkulturellen Ikone, was sich nicht zuletzt daran zeigte, dass Harris‘ dritter Roman mit der Figur schlicht den Titel „Hannibal“ (1999) trug. Die Verfilmung, abermals mit Hopkins als Lecter, ließ nicht lange auf sich warten und kam 2001 ins Kino, sowohl Roman als auch Leinwandadaption erwiesen sich jedoch als deutlich weniger populär als „The Silence of the Lambs“. Dennoch beschloss Dino de Laurentiis, seit „Manhunter“ verantwortlicher Produzent für die Lecter-Filme, dass sich noch mehr aus der Figur herausholen ließ und beauftragte Brett Ratner mit einer Neuverfilmung von „Red Dragon“ unter diesem Titel. Dieses Remake von 2002 beendete Hopkins‘ „Amtszeit“ als Hannibal Lecter. Nachdem man sich mit „Hannibal Rising“ (Roman 2006, Film 2007, Regie: Peter Webber) einen ziemlich Ausrutscher erlaubte, sorgte Hopkins‘ wahrer Nachfolger, Mads Mikkelsen, im Rahmen der Serie „Hannibal“ (2013 bis 2015) für die ästhetischsten Morde der Fernsehgeschichte. „Hannibal“ beginnt mit der im Roman „Red Dragon“ angerissenen Vorgeschichte von Will Graham (Hugh Dancy) und Hannibal Lecter, adaptiert dazwischen Elemente und Handlungsstränge aus „Hannibal“ und „Hannibal Rising“, angereichert mit viel neuem Material, und endet, wie könnte es anders sein, mit der eigentlichen Handlung von „Red Dragon“. Wie würde Darth Vader sagen? „The circle is now complete.” Obwohl ich ein großer Fan Hannibal Lecters bin, habe ich hier bislang relativ wenig über den kultivierten Kannibalen geschrieben – das ändert sich nun mit einer umfangreichen Artikelreihe im Rahmen von „Art of Adaption“. Beginnen werde ich, wie könnte es anders sein, mit „Red Dragon“ und den beiden Filmumsetzungen von Michael Mann und Brett Ratner.

Handlung
Gemessen am allgemeinen Standard sind sowohl „Manhunter“ als auch „Red Dragon“ relativ vorlagengetreue Adaptionen, die allerdings ihren jeweiligen Schwerpunkt sehr unterschiedlich setzen. Dennoch ist es möglich, beide Filme und auch den Roman mit derselben Inhaltsangabe zusammenzufassen. Nachdem in Birmingham und Atlanta zwei Familien brutal ermordet werden, zieht der leitende Ermittler Jack Crawford (M: Dennis Farina, RD: Harvey Keitel) seinen ehemaligen Protegé Will Graham (M: William Peterson, RD: Edward Norton) heran, um den Killer, von Presse aufgrund der Bissspuren „die Zahnfee“ genannt, aufzuspüren. Dieser half dem FBI bereits zuvor, zwei Serienkiller dingfest zu machen, bei der Festnahme des zweiten, Hannibal Lecter (M: Brian Cox, RD: Anthony Hopkins) wurde er allerdings schwer verletzt und schied aus dem Dienst aus. Graham verfügt über die Begabung, sich regelrecht in die Serienkiller hineinzuversetzen – und tatsächlich, diese Begabung hilft ihm dabei, Spuren zu entdecken, die dem FBI bislang entgangen sind. Doch diese sind nicht ausreichend, weshalb Will widerwillig zustimmt, mit dem eingesperrten Hannibal Lecter zu sprechen. Diese Aktion ist bei den Ermittlungen nur bedingt hilfreich, allerdings scheint es, als wolle Hannibal Will immer noch tot sehen, denn es gelingt ihm, dem Killer durch eine anonyme Anzeige Wills Privatdresse zuzuspielen.

Besagter Killer, Francis Dolarhyde (M: Tom Noonan, RD: Ralph Fiennes), der von dem Gemälde „Der große rote Drache und die mit der Sonne bekleidete Frau“ von William Blake besessen ist und davon inspiriert wurde, bereitet sich derweil auf seinen nächsten Mord vor. Dabei stößt er aber auf unerwartete Komplikationen, denn er verliebt sich in seine Kollegin Reba McClane (M: Joan Allen, RD: Emily Watson), doch der „rote Drache“, die zweite Persönlichkeit, die ihn zu seinen Morden veranlasst, ist damit gar nicht einverstanden. Während Graham und das FBI Dolarhyde immer näherkommen, versucht dieser, mit dem Morden aufzuhören, doch das erweist sich als gar nicht so einfach…

Atmosphäre und Stimmung
Die generelle Atmosphäre der beiden Adaptionen ist wohl der größte, definitiv aber der markanteste Unterschied. Michael Mann, vor allem bekannt für Filme wie „The Last of the Mohicans“ (1992) und „Heat“ (1995) bemüht sich um einen Ton, den man als „aggressiv 80er“ beschreiben könnte. „Manhunter“ lebt und atmet die Dekade der Entstehung, sowohl was Bildsprache als auch den Score angeht. Darüber hinaus ist „Manhunter“ ein sehr „sauberer“ Film. Manns Einstellungen sind geprägt von weiten Stränden und kahlen, undekorierten, zumeist weißen Wänden und Räumen. Die Architektur, die Mann zeigt, mutet aus heutiger Sicht retrofuturistisch an. Das Gefängnis bzw. die Anstalt, in der Hannibal Lecter untergebracht ist, sieht beispielsweise aus wie ein Museum für moderne Kunst, nicht zuletzt, weil ein solches tatsächlich für die Außenaufnahmen verwendet wurde. Was Regieführung und Bildkomposition angeht, ist Michael Mann Brett Ratner eindeutig überlegen, was sich schon allein an dem kreativen Einsatz von Farbfiltern zeigt. Nicht umsonst erwies sich „Manhunter“ zwar als Flop, entwickelte sich aber schnell zum Kultfilm und Geheimtipp unter Cineasten und beeinflusste das Genre der „Police Procedurals“ nachhaltig – speziell Serien wie „CSI: Crime Scene Investigation“, in welcher William Peterson ebenfalls mitwirkte.

Brett Ratner hat unter Filmfans dagegen einen eher schlechten Ruf, zum einen gilt er als uninspirierter Auftragsregisseur, „X-Men: The Last Stand“ wird ihm auch heute noch verübelt und zum anderen gab und gibt es immer wieder Berichte rund um sexuelles und sonstiges Fehlverhalten am Set. Seit „Hercules“ (2014) mit Dwayne Johnson führte Ratner bei keinem Film mehr Regie und das ist auch besser so. „Red Dragon“ dürfte wohl Ratners bester Film sein, wobei das nur bedingt als Leistung des Regisseurs verbucht werden kann. Im Kontrast zu „Manhunter“ knüpft „Red Dragon“ nahtlos an die gotisch-düstere Bildsprache von Demmes „The Silence of the Lambs“ an. Neben Anthony Hopkins kehren auch Anthony Heald als Anstaltsleiter Ferderick Chilton und Frankie Faison als Pfleger Barney Matthews zurück. Faison taucht in dieser Rolle nicht nur in allen drei Filmen der Hopkins-Trilogie auf, sondern hat in „Manhunter“ auch eine kleine Rolle als Polizist und ist somit der einzige Schauspieler, der in vier von fünf Hannibal-Lecter-Filmen mitspielt. Scott Glenn, der in „The Silence of the Lambs“ als Jack Crawford zu sehen war, hatte bereits bei „Hannibal“ kein Interesse an einer Rückkehr. Dort wurde er relativ problemlos aus der Story entfernt, was bei „Red Dragon“ allerdings nicht möglich war, weshalb die Rolle hochkarätig mit Harvey Keitel neu besetzt wurde.

Theoretisch spielt „Red Dragon“ zwar ebenfalls in den 80ern, ist bezüglich der Kostüme, Frisuren etc. aber kaum in dieser Dekade verhaftet, sondern wirkt deutlich zeitloser. Dennoch finden sich in den Einstellungen und der Bildsprache einige Verweise auf „Manhunter“, was nicht weiter verwunderlich ist, fungierte Dante Spinotti doch bei beiden Filmen als Kameramann. Gewissermaßen ist „Red Dragon“ das, was dabei herauskommt, wenn man „Manhunter“ und „The Silence of the Lambs“ zu einem Film verschmilzt. Die Unterschiede in der Ästhetik und Stimmung der beiden Adaptionen des Harris-Romans zeigt sich besonders, wenn man zwei Handlungsorte miteinander vergleicht: Lecters Zelle und Francis Dolarhydes Haus. In „Manhunter“ ist der Doktor in einer komplett weißen Zelle untergebracht, während für „Red Dragon“ das Kerker-Set aus „The Silence of the Lambs“ minutiös genau rekonstruiert wurde. Francis Dolarhyde lebt in „Manhunter“ in einem relativ gewöhnlichen Haus, das sich, von der großen Fotografie abgesehen, kaum von anderen Gebäuden des Films unterscheidet. In „Red Dragon“ hingegen bewohnt er, wie im Roman, das alte Anwesen seiner Großmutter, eine ehemalige Seniorenresidenz, und gerade hier schöpft der Film aus den Vollen und zeigt Dolarhyde als reklusiven Hausherren inmitten des Verfalls, ganz im Sinne einer Gothic Novel. Ralph Fiennes erste Szene im Film ist besonders eindrücklich, weil ihr eine Kamerfahrt durch das schmutzige, verfallene, aber doch einstmals stattliche Anwesen vorausgeht.

Handlungsanpassungen und Fokus
Bei einer Filmadaption sind manche Änderungen unabdingbar, andere wirken hingegen unnötig. Weshalb in „Manhunter“ etwa die Schreibweise einiger Namen geändert wurde (Hannibal Lecktor statt Lecter, Francis Dollarhyde statt Dolarhayde) ist mir nach wie vor ein Rätsel. Thomas Harris‘ Roman beschäftigt sich intensiv mit dem Innenleben der Figuren, egal ob Will Graham, Francis Dolarhyde oder auch Nebenfiguren wie Freddy Lounds (M: Stephen Lang, RD: Philip Seymour Hoffman). Der Roman teilt sich dabei grob in zwei Teile. Diese sind nicht so vollkommen separiert, wie es bei „The Two Towers“ der Fall ist, die Handlungsstränge wechseln sich ab, aber dennoch liegt der Fokus der ersten Hälfte des Romans in stärkerem Ausmaß auf Graham und den FBI-Ermittlungen, während die zweite Dolarhyde, sein Innenleben und seinen Hintergrund stärker in den Fokus rückt. In „Manhunter“ konzentriert sich Michael Mann eindeutig auf Will Graham und dessen Umfeld, vor allem seine Frau Molly (Kim Greist) und sein Adoptivsohn Kevin (David Seaman, im Roman trägt er den Namen Willy) spielen eine wichtige Rolle. Francis Dolarhyde scheint Mann hingegen nur bedingt zu interessieren. Über seine Hintergründe verrät der Film kaum etwas und seine Szenen sind auf das Nötigste beschränkt. Blakes Gemälde wird zwar als Inspirationsquelle für die Morde genannt und gezeigt, ironischerweise hat Blake allerdings zwei Gemälde mit dem Titel „Der große rote Drache und die mit der Sonne bekleidete Frau“ geschaffen – Mann hat das falsche erwischt. In „Manhunter“ haben Dolarhyde und Reba McClane vielleicht drei gemeinsame Szenen, bevor es auch schon zum Finale geht. Dieses unterscheidet sich deutlich vom Roman und will auch nicht zum Rest des Films passen. Wo „Manhunter“ sehr ruhig und kontemplativ ist, artet das Finale zu einer wilden und merkwürdig geschnittenen Schießerei zwischen Dolarhyde und Graham aus. Von den Auslassungen abgesehen findet sich hier die größte Veränderung gegenüber Harris. An anderer Stelle ändert Mann den Ablauf der Ereignisse etwas, den FBI-Agenten gelingt die Entschlüsselungen von Hannibals Nachricht im Film beispielsweise erst, nachdem Dolarhyde Freddy Lounds bereits angezündet hat.

„Red Dragon“ steht in recht starkem Kontrast zu dieser Herangehensweise. Grahams Frau (Mary-Louise Parker) und Sohn (Tyler Patrick Jones, dieses Mal Josh statt Willy) sind nur in dem Maß im Film vorhanden, wie es unbedingt nötig ist – bei Josh kann man kaum von einem Charakter sprechen. Eine besonders eindringliche Szene aus dem Roman, in welcher Will seinem Stiefsohn seine Arbeit und seine Hintergründe erklärt und die „Manhunter“ sehr gut umsetzt, fehlt in „Red Dragon“ vollkommen. Dafür konzentriert sich das Remake sehr auf Francis Dolarhyde. Zwar geht auch Ratner nicht so en detail auf die Hintergründe des Killers ein wie Harris, zeigt und erklärt aber doch genug, damit man sich das meiste erschließen kann. Viel wichtiger noch: Wo Reba McClane in „Manhunter“ kaum mehr als einfach nur ein weiteres Opfer ist, wird die von Emily Watson gespielte Version ihrem Romangegenstück durchaus gerecht. Hier ist es „Red Dragon“, der eine imposante Szene der Vorlage enthält, die „Manhunter“ völlig fallen ließ: Als Dolarhyde versucht, mit dem Morden aufzuhören, verschlingt er das Blake-Gemälde. Auch das Ende setzt „Red Dragon“ nicht nur buchgetreuer um, der Film verbessert es sogar. Im Roman gibt es einen Fake-out-Tod Dolarhydes, am Ende taucht der Killer noch einmal auf, um Graham zu entstellen und anschließend, ohne noch ein Wort von sich zu geben, von Molly erschossen zu werden. Im Film ist die Szene deutlich psychologischer, Will bringt Dolarhyde, der Josh bedroht, dazu, mit seinem Opfer zu sympathisieren, indem er seinen Stiefsohn mit genau den Worten traktiert, mit denen Dolarhydes Großtmutter ihren Enkel quälte.

Und dann wäre da natürlich noch der Elefant bzw. Kannibale im Raum: „Red Dragon“ entstand nach zehn Jahren, in denen Hannibal Lecter sich zu einem der wohl bekanntesten und beliebtesten fiktiven Serienkiller mauserte. Im Roman und in „Manhunter“ kommt der Doktor kaum vor, er hat zwei, maximal drei Szenen, die nicht einmal unbedingt besonders lang sind. Kaum vorstellbar in der Zeit, in der „Red Dragon“ entstand, weshalb die Rolle Lecters maßgeblich vergrößert wurde. Bei Harris besucht Graham seinen alten „Freund“ nur ein Mal und bekommt im Verlauf des Romans noch den einen oder anderen Brief von ihm. Im Gegensatz dazu beginnt Ratners Film mit Hannibals Verhaftung, von der wir im Roman nur aus Gesprächen erfahren, sodass das Kannibalen-gierige Publikum bereits zu Beginn eine ordentliche Dosis Hannibal bekommt. Zudem besucht Will Hannibal noch zwei weitere Mal, bei diesen Besuchen werden Ermittlungsfortschritte gemacht, die im Roman FBI-intern geschehen – über den erzählerischen Nutzen dieser Szenen lässt sich, abseits davon, dass Hopkins als Lecter natürlich immer sehenswert ist, freilich streiten. Sehr gelungen ist hingegen die Visualisierung eines Vorgangs, den wir im Roman als Leser nur aus zweiter Hand erfahren: Die Aktion rund um den auf Klopapier verfassten Brief Dolarhydes, die Ratner aktiv zeigt. Die letzte Szene des Films hingegen, die direkt zu „The Silence of the Lambs“ überleiten soll, ist ziemlich unnötig.

Will Graham
In vieler Hinsicht profitiert „Red Dragon“ von seinen herausragenden Darstellern. Nicht, dass die Schauspieler in „Manhunter“ schlecht gewesen wären, aber mit Harvey Keitel als Crawford, Emily Watson als Reba McClane oder Philip Seymour Hoffman als Freddy Lounds können die Gegenstücke aus Manns Film einfach nicht mithalten – diese Darsteller werten den Film durch ihre pure Präsenz auf. Bei Edward Norton tritt allerdings der umgekehrte Effekt ein: Norton wirkt für den Will Graham, den Harris beschreibt, zu ausgeglichen und umgänglich, eben zu sehr Edward Norton. Das ist primär deshalb schade, weil Norton in Filmen wie „American History X“ durchaus bewiesen hat, dass er noch weiter gehen kann. Wie dem auch sei, ich denke, William Peterson erweckt die Rolle deutlich besser zum Leben als Norton. Vielleicht profitiert seine Darstellung auch von dem Umstand, dass Mann sich stärker auf Graham konzentriert und er sich mit keiner anderen Figur, sei es Lecter oder Dolarhyde, um den Platz im Scheinwerferlicht streiten muss. Peterson in der Rolle wirkt sehr unausgeglichen, behält oft nur mühsam die Fassung und hat nicht einfach nur plötzliche Eingebungen, man merkt, wie er sich regelrecht in den Killer hineinfühlt, den er jagt. Gerade im Hinblick auf die Serie „Hannibal“ ist das interessant; man wird das Gefühl nicht los, dass Peterson den Startpunkt für Hugh Dancys Darstellung darstellt, er mit der Figur aber noch in völlig andere Untiefen vordringt. Im Vergleich zu Dancys Will Graham ist selbst Peterson noch ausgeglichen und mental gesund.

Francis Dolarhyde
Wie ich bereits erwähnte: Abseits der Ermittlungen interessiert sich „Manhunter“ nicht besonders für Francis Dolarhyde, seine Motive oder seine Wahnvorstellungen, während „Red Dragon“ die Figur deutlich plastischer darstellt. In diesem Kontext stellt sich letztendlich die Frage, was man furchterregender findet: Den Serienmörder, der bis zum Schluss ein Rätsel bleibt und über den man kaum etwas weiß, oder derjenige, den man genau versteht und gerade deshalb fürchtet. Tom Noonan wirkt in der Rolle sehr stoisch und unheimlich, bleibt in letzter Konsequenz aber fast schon austauschbar, seine Version von Dolarhyde verliert durch die Reduzierung viel von dem, was ihn zu einem außergewöhnlichen Serienmörder macht. Ich persönlich ziehe Ralph Fiennes in der Rolle und die Herangehensweise von „Red Dragon“ in diesem Fall eindeutig vor, nicht zuletzt, weil Fiennes einfach ein verdammt guter Schauspieler ist und Dolarhyde ein interessanter Charakter, den er vorzüglich darstellt. Wie der Roman entwickelt auch die Filmadaption die Figuren Graham und Dolarhyde parallel, um zu zeigen, wie sie sich in einem perfiden Katz-und-Maus-Spiel näherkommen. Viele der Details, die Harris in seinem Roman schildert, bleiben dafür auf der Strecke, sind zum Verständnis der Figur aber auch nicht nötig, alles Essentielle vermittelt der Film. Dabei spielt vor allem Dolarhydes „Tagebuch“, das im Roman nur einmal nebenbei erwähnt wird, eine wichtige Rolle, da wir als Zuschauer darüber immer wieder Einblick in seinen Geisteszustand bekommen.

Ein besonders interessantes Element ist die Stimme des „großen roten Drachen“, die Dolarhyde im Verlauf des Romans aktiv zu hören beginnt bzw. in der er mit sich selbst spricht. Wie sich in geschnittenen Szenen zeigt, versuchte Ratner, dieses Element ebenfalls im Film unterzubringen, u.a. verpflichtete man Frank Langella als Stimme des Drachen. Letztendlich entschied man sich allerdings dafür, die Stimme des Drachen für das Publikum nicht hörbar zu machen und Dolarhyde nur auf sie reagieren zu lassen. Auch hier wurde, denke ich, die richtige Entscheidung getroffen. Wie dem auch sei, obwohl ich dem Ansatz „weniger ist mehr“ generell durchaus etwas abgewinnen und die Absicht in „Manhunter“ verstehe, ist Ralph Fiennes‘ Dolarhyde, obwohl wir ihn besser verstehen und seine Handlungen nachvollziehen können, kaum weniger furchteinflößend und als Charakter einfach so unendlich viel interessanter.

Hannibal Lecter

Bis zum Start der Serie „Hannibal“ galt Anthony Hopkins als die definitive Verkörperung des kultivierten Kannibalen – an „Manhunter“ erinnerte sich lange kaum jemand und die meisten Fans der Figur waren nur allzu gewillt, „Hannibal Rising“ zu vergessen. Brian Cox‘ Darstellung des Doktors nach der Sichtung der Hopkins-Trilogie zu erleben, ist eine durchaus interessante Erfahrung. Wie bereits erwähnt spielt Lecter in Michael Manns Film nur eine kleine Rolle, die praktisch aus drei Szenen besteht: Will besucht Hannibal in seiner Zelle, Hannibal bekommt Wills Privatadresse heraus und Hannibal telefoniert mit Will nach Freddy Lounds Tod – im Roman schickt er stattdessen einen Brief. Vor allem die erste dieser Szenen ist faszinierend, da die Dialoge in beiden Filmen praktisch identisch sind und fast Wort für Wort aus dem Roman stammen. Gerade hier zeigt sich exemplarisch, wie die beiden Versionen der Figur angelegt sind. Hopkins knüpft natürlich an seine Darstellung aus „The Silence of the Lambs“ an: Für diesen Hannibal ist seine Zelle eine Bühne, er geht ebenso theatralisch wie methodisch vor, hat das Gespräch unter Kontrolle (oder versucht es zumindest) und möchte, dass sein Gegenüber das auch weiß. Cox‘ Hannibal ist mit der Zunge sehr viel flotter und enervierender, er legt es darauf an, seinem Gegenüber auf die Nerven zu gehen, kann sich aber zugleich in Windeseile in die Psyche seines Gesprächspartners einarbeiten. Nach eigener Aussage orientierte Cox seine Darstellung an dem real existierenden schottischen Killer Peter Manuel (Quelle). Im Kontrast zum sozial sehr eingeschränkten Dolarhyde ist Cox‘ Lecter für einen Serienmörder praktisch beängstigend normal. Beide Ansätze sind durchaus angemessen, wobei ich allerdings nicht denke, dass Cox‘ Darstellung in der Lage gewesen wäre, eine Filmreihe auf die Weise zu tragen wie Hopkins‘. Nebenbei bemerkt: In „Manhunter“ wird nie erwähnt, dass es sich bei Hannibal um einen Kannibalen handelt, nur dass er College-Studentinnen ermordet hat.

Dass Hopkins „Red Dragon“ auf eine Weise dominiert, wie es weder beim Roman noch bei „Manhunter“ der Fall war, ist freilich kaum verwunderlich, wenn auch für die Story nicht unbedingt nötig. In gewissem Sinne schließt der Film den Kreis: In Ridley Scotts „Hannibal“ erlebten wir Lecter auf freiem Fuß, eine der finalen Szenen war ein perfides Dinner mit unfreiwilligem Kannibalismus. Zu Beginn von „Red Dragon“ erleben wir Hannibal ebenfalls auf freiem Fuß und er veranstaltet, wie könnte es anders sein, ein Dinner mit unfreiwilligem Kannibalismus. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die Serie „Hannibal“ dem Film „Red Dragon“ eine Menge schuldet, denn die Idee dieser netten Dinner sowie quasi die Grundprämisse der Serie, Will und Hannibal jagen gemeinsam Serienkiller, entstammt diesem Film und nicht dem Roman von Thomas Harris. Im Roman sowie in beiden Filmen wird Garrett Jacob Hobbs, der erste Serienmörder, den Will dingfest macht, erwähnt, aber nur bei Ratner ist Hannibal ihm dabei behilflich und nur bei Ratner „hilft“ Hannibal, dem Chesapeake Ripper (also sich selbst) auf die Spur zu kommen.

Diabolus in Musica
Wie stellt man eine Figur wie Hannibal Lecter, kultiviertes Genie auf der einen, blutrünstiger Kannibale auf der anderen Seite, musikalisch dar? Obwohl „Manhunter“ und „Red Dragon“ Scores haben, die kaum unterschiedlicher nicht sein könnten, fällt die Antwort auf diese Frage praktisch gleich aus: Gar nicht. Sowohl in Manns als auch in Ratners Film sind die Szenen mit Hannibal entweder überhaupt nicht oder nur sehr minimal musikalisch unterlegt. Für „Manhunter“ schrieben Michel Rubini und The Reds die Musik, wobei es ohnehin nicht allzu viel Score gibt. Wie viele andere Aspekte des Films ist auch die Musik stark in den 80ern verhaftet, oft finden sich getragene Synth-Passagen, die vage an Vangelis erinnern, oder abstrakte Klänge, die die Figuren oder die Geschichte kaum bis gar nicht repräsentieren. Häufig werden zudem Songs verwendet, wobei oftmals nicht klar ist, ob diese diegetisch sind oder nicht. Besonders markant ist der Einsatz von In-A-Gadda-Da-Vida der Band Iron Butterfly.

Im Gegensatz dazu verfügt „Red Dragon“ über einen sehr konventionellen Score. Anders als viele andere Regisseure hatte Brett Ratner nie einen Stammkomponisten, sondern arbeitete mit vielen Größen der Industrie zusammen, darunter John Powell („X-Men: The Last Stand“), Fernando Velázquez („Hercules“), Lalo Schifrin (die Rush-Houer-Filme) oder eben, im Fall von „Red Dragon“, Danny Elfman. Man kann Ratner einiges vorwerfen, aber oft holt er aus seinen Komponisten einen sehr gelungenen Score heraus, so auch hier. Elfmans Arbeit ist ein recht typischer Horror- bzw. Thriller-Score mit vielen Anleihen an Bernard Herrmann, vor allem in den eindringlichen und dissonanten Streicherpassagen. „Red Dragon“ funktioniert dabei ähnlich wie „Sleepy Hollow“. Der Soundtrack ist praktisch monothematisch, wobei die zentrale Identität eindeutig Francis Dolarhyde gilt, während Lecter musikalisch außen vor bleibt. Mehr noch als in „The Silence of the Lambs“ unterstreicht der Score die gotische Atmosphäre des Films.

Fazit
Sowohl „Manhunter“ als auch „Red Dragon“ sind nicht nur gelungene Thriller, sondern auch gelungene Adaptionen, die sich gegenseitig komplementieren und Aspekte der Vorlage betonen, die der jeweils andere Film vernachlässigt. Die beiden Filme zeigen exemplarisch, wie unterschiedlich relativ werkgetreue Umsetzungen das Quellenmaterial interpretieren können. „Manhunter“ ist stilistisch in den 80ern verhaftet, in Bezug auf Regieführung dabei aber deutlich anspruchsvoller. Michael Mann legt seinen Fokus primär auf Will Graham und die Ermittlungsarbeit, während der gejagte Serienmörder wenig Zeit bekommt und das große Finale eher enttäuschend ausfällt. Brett Ratner hingegen orientiert sich vielleicht in zu großem Maße an den vorangegangenen Filmen, primär „The Silence of the Lambs“, aber auch „Manhunter“, und konzentriert sich zugleich ein wenig zu sehr auf Hannibal Lecter als Zugpferd. Allerdings ist seine Version von Francis Dolarhyde der deutlich komplexere und faszinierendere Charakter und mir persönlich sagt die Gothic-Horror-Atmosphäre von „Red Dragon“ deutlich mehr zu als die aggressive 80er-Stimmung von „Manhunter“.

Trailer „Manhunter“
Trailer „Red Dragon“

Bildquelle

Siehe auch:
Hannibal Staffel 1

4 Gedanken zu “Art of Adaptation: Red Dragon

  1. Sehr schade, dass ich so wenig Erinnerung an „Manhunter“ habe. Das einzige, was bei mir hängen geblieben ist: ich fand die Schauspieler:innen alle etwas farblos. Die Erinnerung an „Roter Drache“ und „Hannibal“ mit Mads Mikkelsen ist (wird nicht verwundern) deutlich frischer. Ich saß dementsprechend sehr oft nickend und bejahend hier während ich deinen Artikel gelesen habe.

    1. Abseits von Peterson und Cox würde ich dem Urteil bzgl. der Darsteller durchaus zustimmen – es ist im direkten Vergleich aber auch schwer, mit Kalibern wie Harvey Keitel, Ralph Fiennes, Emily Watson oder Philip Seymour Hoffmann mitzuhalten.
      „Hannibal“ die Serie kriegt definitiv auch noch ihren eigenen Art-of-Adaptation-Artikel, vorher sind allerdings erstmal die schweigenden Lämmer an der Reihe 😉

      1. Da krieg ich schon Lust auch mal wieder die Bücher zu lesen. Aber ich hab etwas Angst, dass ich sie inzwischen weniger gut finde. Es liegen für mich 15 Jahre dazwischen und mittlerweile finde ich, dass der hochintelligente Serienkiller ein etwas überbeanspruchtes Trope ist …

      2. Zumindest „Red Dragon“ und „Silence“ haben meinem Empfinden nach sehr gut standgehalten. Zum für die Artikel neu konsumieren habe ich zu den Komplettlesungen auf Audible gegriffen, das hat für mich sehr gut funktioniert. Aktuell bin ich schon bei „Hannibal“ angekommen, der hatte ja aber bekanntermaßen schon immer so seine Problemchen. 😉

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