Poor Things

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Story: Max McCandles (Ramy Youssef) wird zum neuen Assistenten des exzentrischen Wissenschaftlers Godwin Baxter (Willem Dafoe) und lernt dabei auch sein Mündel Bella (Emma Stone) kennen. Bella besitzt zwar den Körper einer jungen Frau, scheint mental jedoch eher einem Kleinkind zu entsprechen. Schon bald findet Max heraus weshalb: Godwin Baxter hat das Gehirn eines Kleinkindes in den Körper seiner toten Mutter verpflanzt. Trotzdem fühlt sich Max zu Bella hingezogen, diese macht sich allerdings lieber mit dem Lebemann Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo) auf, die Welt und sich selbst zu erforschen…

Kritik: Unglaublich, aber wahr: „Poor Things“ ist mein erster Film von Yorgos Lanthimos, ein Film, den ich leider im Kino verpasst habe, nicht zuletzt deshalb, weil O-Ton-Aufführungen recht rar waren. Aber im Streaming-Zeitalter ist das selten lange ein Hindernis – wie so häufig dauerte es nicht lange, bis „Poor Things“ auf einem der einschlägigen Dienste ganz bequem anschaubar war bzw. immer noch ist. Und natürlich gewann Emma Stone in der Zwischenzeit exakt für diesen Film den Oscar als beste Hauptdarstellerin, was noch für ein zusätzliches Medienecho sorgte. Wie dem auch sei, „Poor Things“ ist zutiefst verstörend, bizarr, absurd und verdammt komisch, ein Film, von dem ich vorher nicht wusste, dass ich ihn brauche, dessen Nötigkeit aber völlig außer Frage steht.

Die Prämisse des Films basiert auf „Frankenstein“, ein Umstand, aus dem Yorgos Lanthimos und Drehbuchautor Tony McNamara kein Geheimnis machen; stattdessen bauen sie immer wieder ebenso offensichtliche wie humorvolle Anspielungen ein. So ist der Anfang des Films in schwarzweiß gehalten und erinnert an die Optik der guten alten Universal-Filme. Und natürlich ist da der von Willem Dafoe grandios dargestellten Wissenschaftler Godwin Baxter, der zwar einerseits das Victor-Frankenstein-Substitut dieses Films ist, andererseits aber visuell mit dem vage eckigen Schädel und den Narben eher an Boris Karloffs Monster erinnert. Die Idee der Selbstbestimmung, die „Poor Things“ dominiert, ist freilich bereits ein zentraler Aspekt von Mary Shelleys Roman und etwas, das auch Frankensteins Kreatur stets anstrebt. Während dieses Element in der ursprünglichen Adaption eher verloren geht, nicht zuletzt durch den Umstand, dass die Kreatur in James Whales Film kaum zur Sprache, geschweige denn zu komplexen Gedanken fähig ist, kehrt es doch in „Bride of Frankenstein“ zurück. Gewissermaßen beginnt „Poor Things“ dort, wo „Bride for Frankenstein“ endet: Die titelgebende „Braut“ sagt sich von ihren Schöpfern bzw. den Männern, die ihr Schicksal bestimmen wollen, los. Ähnlich handelt auch Bella, die sich weder von Godwin Baxter, noch Max McCandles kontrollieren lassen möchte. Auch Duncan Wedderburn muss das bald feststellen. Während allerdings die beiden Erstgenannten in der Lage sind, dazuzulernen, verzweifelt Duncan an ihrer Selbstbestimmtheit.

Stilistisch erschafft Yorgos Lanthimos hier eine ähnlich artifizielle und überhöhte Welt wie Wes Anderson, allerdings weniger geprägt von Symmetrie und Puppenhausästhetik. Stattdessen aalt sich „Poor Things“ in seiner Bizarrheit. Die Ästhetik des Films spiegelt zugleich auch stets Bellas aktuelle Entwicklung, von den Frankenstein-artigen Ursprüngen über ihre Zeit mit Duncan bis hin zur Arbeit im Bordell, verbunden mit der Entdeckung des Sozialismus. Bella steht eindeutig im Vordergrund, auch wenn der Film seinen Zuschauern kurz vorgaukelt, dass Max der Protagonist ist. Durch seine Augen lernen wir Bella kennen und erfahren, was es mit ihr auf sich hat. Danach tritt er allerdings rasch in den Hintergrund. Gerade schauspielerisch weiß „Poor Things“ zudem vollauf zu überzeugen – der Oscar für Emma Stone ist vollauf gerechtfertigt, bringt sie hier doch wirklich vollen Einsatz, ist sich für nichts zu schade und beweist auch noch exzellentes komödiantisches Timing. Kaum weniger lässt sich über die anderen Darsteller sagen. Vor allem herausragend ist Mark Ruffalo, der erfolgreich gegen seine Bruce-Banner-Rolle anspielt und dessen langsamer Verfall vom eloquenten Lebemann zum mental zerrütteten Wrack absolut überzeugend ist. Mein nicht so heimlicher Favorit ist allerdings Willem Dafoes Godwin Baxter, der über den Verlauf des Films immer wieder ebenso verstörende wie zum Schreien komische Details aus seiner Vergangenheit enthüllt. An dieser Stelle noch eine Warnung: „Poor Things“ verfügt nicht nur über einige sehr explizite Sexszenen, die schon allein aufgrund von Bellas Zustand als problematisch wahrgenommen werden könnten, sondern auch über einen sehr speziellen, absurden, tiefschwarzen und bizarren Humor, der sicher nicht für alle geeignet ist.

Fazit: „Poor Things“ ist definitive eines der filmischen Highlights des Jahres 2024, eine bizarre und urkomische Variation auf „Frankenstein“ mit einem belendend aufgelegten Cast, die sich mir dem Thema weibliche Selbstbestimmung befasst.

Bildquelle

Trailer

Siehe auch:
Art of Adaptation: Frankenstein – Mary Shelleys Roman
Art of Adaptation: Universals Frankenstein
Art of Adaptation: Bride of Frankenstein

3 Gedanken zu “Poor Things

  1. Da hast du dir für deinen ersten Lanthimos ja gleich einen richtig guten ausgesucht. „Poor Things“ hat tatsächlich Spaß gemacht und bietet einige Ansatzpunkte zum Rewatchen und zusätzlich entdecken.

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