In the Tall Grass

Halloween 2020! Spoiler!
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Story: Auf dem Weg nach San Diego halten die schwangere Becky (Laysla De Oliveira) und ihr Bruder Cal (Avery Whitted) neben einem Feld mit hohem Gras, da Becky mit Übelkeit zu kämpfen hat. Aus dem Feld hören sie die Stimme eines Jungen, der um Hilfe ruft. Die beiden betreten das Grasfeld, nur um festzustellen, dass hier etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zugeht, denn jegliche Orientierung erweist sich als völlig unmöglich. Die Geschwister können einander zwar noch hören, aber nicht wiederfinden. Schließlich begegnen sie nicht nur dem Jungen, Tobin (Will Buie Jr.), sondern auch dessen Vater Ross (Patrick Wilson), die sich beide jedoch reichlich merkwürdig verhalten. Auch Beckys Ex-Freund und Vater ihres ungeborenen Babys, Travis (Harrison Gilbertson), der den beiden Geschwistern gefolgt ist, landet schließlich im Grasfeld und muss feststellen, dass dieser ominöse Ort nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit verzerrt…

Kritik: Was wäre Halloween ohne ein wenig Stephen King? Bei „In the Tall Grass“ (deutscher Titel „Im hohen Gras“) handelt es sich um eine Novelle, die King gemeinsam mit seinem Sohn Joe Hill verfasste und die Regisseur Vincenzo Natali bereits seit 2015 filmisch umsetzen wollte – 2019 erschien die Adaption schließlich auf Netflix. Da ich besagte Novelle nicht gelesen habe, kann ich nichts zur Vorlagentreue sagen, eine kurze Recherche lässt allerdings vermuten, dass sich Natali einige Freiheiten genommen hat, besonders, was das Ende angeht. Wie dem auch sei, „In the Tall Grass“ reiht sich ganz gut in die Riege der King-Werke ein, in denen der Horror aus etwas scheinbar Gewöhnlichem erwächst; einer ähnlichen Grundprämisse folgten bereits der Roman sowie die zugehörige Filmadaption „Gerald’s Game“ sowie diverse Kurzgeschichten, zum Beispiel „A Very Tight Place“ oder „The Ledge“. Anders als bei diesen Beispielen kommt bei „In the Tall Grass“ allerdings ein eindeutig übernatürliches Element hinzu. Als Zuschauer wird man recht lange im Dunklen darüber gehalten, was eigentlich Sache ist, was den ersten Akt zum wirkungsvollsten Teil des Films macht – Natali gelingt es sehr gut, das Grasfeld zu einem klaustrophobischen, beklemmenden Ort zu machen und die völlige Orientierungslosigkeit seiner Protagonisten effektiv einzufangen. Diese Inszenierung des Grasfelds als Entität mit eigenem Willen lässt immer wieder Elemente des kosmischen Horrors anklingen, was beim Lovecraft-Fan King nicht weiter verwunderlich ist. Tatsächlich erinnert „In the Tall Grass“ ein wenig an Robert E. Howards wohl bekannteste Kurzgeschichte im Lovecraft’schen Stil, „The Black Stone“, nicht zuletzt, weil im Zentrum des Grasfeldes ein schwarzer Stein steht, von dem die Verzerrung von Zeit und Raum auszugehen scheint. Mehr noch, es werden kultische Rituale inklusive der Opferung eines Babys impliziert und auch in „The Black Stone“ findet gewissermaßen eine Zeitverzerrung statt.

Im weiteren Verlauf wird „In the Tall Grass“ allerdings schwächer als im atmosphärischen ersten Drittel. Der abstrakte Schrecken des Grasfeldes wird durch Patrick Wilson abgelöst, der, durch Berührung des schwarzen Steins, gewissermaßen zur Manifestation des Grasfelds wird. Wilson macht das nicht übel, die Fremdartigkeit und abstrakte Natur der Bedrohung geht nun allerdings teilweise verloren, da Wilsons Ross nun als eindeutiges „Gesicht des Bösen“ fungiert und stärker in den Fokus rückt. Darüber hinaus versucht Natali, den Horror persönlicher zu gestalten und den Hintergrund von Becky, Cal und Travis in die Narrative miteinzubeziehen, was allerdings nicht allzu gut gelingt. Die entsprechenden Szenen wirken aufgesetzt und muten wie Fremdkörper an. Mitunter wird man außerdem das Gefühl nicht los, dass Natali, der auch das Drehbuch verfasste, die Handlung der Novelle doch ein wenig ausdehnen musste, um auf die Filmlaufzeit zu kommen – das ist allerdings lediglich eine Vermutung.

Trotz des verhältnismäßig positiven Ausgangs (der mich letztendlich davon abhält, diesen Film tatsächlich als „kosmischen Horror“ zu klassifizieren; das mag bei der Vorlage allerdings anders sein), finden sich hier viele interessante Andeutungen. Als Zuschauer wird einem nie erklärt, wie genau das Grasfeld und der schwarze Stein „funktionieren“. Gerade dieser Ausgang deutet darauf hin, dass „die Entität“ (in Ermangelung eines besseren Wortes) vielleicht gar nicht per se bösartig ist, sondern dass die Natur derjenigen, die mit ihr interagieren, eine wichtige Rolle spielt. Ross wird in den wenigen Momenten, in denen er nicht vom schwarzen Stein beeinflusst wird, als nicht unbedingt positive Person charakterisiert – die Figurenarbeit ist allerdings nicht ausreichend genug, um diesbezüglich ein finales Urteil fällen zu können.

Fazit: Atmosphärischer, wenn auch recht unebener King/Hill-Horror mit leichten Anklängen kosmischen Grauens.

Trailer

Bildquelle

Siehe auch:
Das Spiel (Gerald’s Game)

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