Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär

Die 13 12 Leben des Kaeptn Blaubaer von Walter Moers
Wer wie ich in den 90ern aufgewachsen ist, dürfte Käpt’n Blaubär nur allzu gut kennen. Nicht nur war er Teil der „Sendung mit der Maus“, er hatte im Lauf der Jahre auch diverse eigene Sendungen wie den „Käpt’n Blaubär Club“ und war sogar Star seines eigenen Animationsfilms. Ein Roman darf da natürlich nicht fehlen – allerdings distanzierte Blaubär-Erfinder Walter Moers die Version, die er in „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ auftreten ließ, stark von ihrem Gegenstück aus dem Fernsehen. Beide sind blaue Bären mit einer Liebe für die See und einem gewissen Hang zum Lügen, das war es dann aber auch schon. Die allseits beliebten Nebenfiguren, die drei kleinen Bärchen und Hein Blöd, haben im Roman nicht einmal Gastauftritte und auch sonst finden sich keine inhaltlichen Verknüpfungen. Stattdessen nutzte Moers die Bekanntheit und Beliebtheit der Figur, um sein eigentliches Vorhaben umzusetzen: Den Beginn einer Romanreihe, in der nicht eine bestimmte Figur der Protagonist ist, sondern ein ganzer fiktiver Kontinent.

Wie der Name schon andeutet, handelt es sich bei „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ um einen Episodenroman, jedes der „Leben“ ist im Grunde ein in sich geschlossenes Abenteuer mit eigenem Personal. Diverse Figuren aus den Episoden kehren zwar im letzten Drittel des Romans zurück, sodass schon der Eindruck eines in sich geschlossenen Werkes entsteht, aber dennoch sind die meisten „Leben“ in sich abgeschlossene Angelegenheiten. Gerade die früheren Episoden, sei es „Mein Leben als Zwergpirat“ oder „Mein Leben auf der Flucht“ erinnern noch am ehesten an die Lügengeschichten, die Käpt’n Blaubär in seinem Segment der „Sendung mit der Maus“ erzählte – relativ absurde Angelegenheiten, die in der Tradition der Nonsense-Literatur stehen. Die „Leben“ werden allerdings nach und nach vielschichtiger, Moers beginnt Ideen und Konzepte einzuführen, die, so kann man zumindest annehmen, nicht nur spezifisch für diesen Roman entwickelt wurden.

In vielerlei Hinsicht ist dieser erste Zamonien-Roman eine Art Testballon. In keinem anderen „Leben“ wird das so deutlich wie im zwölften, in dem Blaubär von seiner Zeit in Atlantis berichtet. Dieses mit Abstand umfangreichste Kapitel des Romans beinhaltet ein wirklich üppiges, ja fast schon verschwenderisches Ausmaß an World-Building, das im Roman selbst oft keine Rolle mehr spielt. Einiges davon wird erst in späteren Zamonien-Romanen wieder aufgegriffen, mit anderem hat Moers bis heute nichts angefangen. Es wirkt, als habe Moers alle möglichen Ideen, die er für Zamonien zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Romans hatte, schon einmal in diesem Kapitel untergebracht.

Besonders interessant ist es, sich „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ im Kontext der restlichen Romane zu betrachten. Viele narrative Elemente, die in späteren Zamonien-Romanen vorhanden sind, werden hier bereits verwendet, allerdings finden sich auch einige Elemente, die den Erstling des Zyklus von den Nachfolgern abheben. Dazu gehören unter anderem die realweltlichen Bezüge. Zamonien wird hier als Kontinent behandelt, auf den sich diverse Daseinsformen flüchteten, nachdem die Menschen an allen anderen Orten auf der Welt die Oberhand gewannen (weshalb die Menschen in Zamonien wiederum nicht gerne gesehen sind). In diesem Kontext wird den meisten Wesenheiten ein bestimmtes, reales Ursprungsland zugewiesen. Dieser Aspekt ist in späteren Zamonien-Romanen nicht mehr vorhanden, jegliche explizite Anspielung auf realweltliche Elemente fehlen ab „Ensel und Krete“ völlig; Zamonien ist in den anderen Romanen eine abgeschlossene Welt für sich. Interessant ist auch, welche Elemente und Figuren Moers in späteren Romanen wieder aufgreift; dazu gehören unter anderem Rumo, Volzotan Smeik, Professor Doktor Abdul Nachtigaller, einige der Daseinsformen und natürlich Hildegunst von Mythenmetz. Viele andere Daseinsformen, aber auch die Stadt Atlantis sowie Blaubär selbst spielen in späteren Zamonien-Romanen allerdings keine Rolle mehr. Zwar wird aus Zamonien nie eine völlig klassische, mittelalterlich anmutende Fantasy-Welt, aber in den späteren Romanen bewegt sich der Kontinent doch etwas mehr in diese Richtung, speziell in Romanen wie „Rumo und die Wunder im Dunkeln“ oder „Die Stadt der Träumenden Bücher“ fühlt sich Zamonien archaischer an, während moderne Bezüge und satirische Elemente subtiler verarbeitet werden.

Ein zentrales erzählerisches Element, das sich in fast jeder Zamonien-Geschichte wiederfindet und bereits in „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ erfolgreich etabliert wird, ist der unzuverlässige Erzähler. Schon durch seinen in der „Sendung mit der Maus“ etablierten Ruf als Lügenbär ist der Wahrheitsgehalt dieser Autobiographie natürlich mit Vorsicht zu genießen. Doch selbst wenn man nur den Roman berücksichtigt, ist es anhand von Blaubärs Laufbahn als Lügengladiator zweifelhaft, ob jedes Wort in seiner Autobiographie geglaubt werden kann. In späteren Romanen wird Blaubär als unzuverlässiger Erzähler natürlich von Hildegunst von Mythenmetz abgelöst – tatsächlich gibt es bis heute nur zwei Zamonien-Romane, „Käpt’n Blaubär“ und „Rumo“, die nicht aus Mythenmetz‘ Feder stammen. „Rumo“ ist außerdem der einzige Zamonien-Roman mit einem wirklichen auktorialen Erzähler. Theoretisch findet sich ein solcher zwar auch in „Ensel und Krete“, „Der Schrecksenmeister“ und „Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr“, aber bekanntermaßen handelt es sich dabei wieder um Werke von Hildegunst von Mythenmetz und Fiktion innerhalb der Fiktion.

Ein weiteres Element, das in diesem Roman seinen Anfang nimmt und sich durch alle weiteren zieht, sind die Illustrationen. Auch diese machen im Verlauf des Roman-Zyklus eine Entwicklung durch. In „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ erkennt man noch viel von dem Walter Moers, der „Das kleine Arschloch“ schuf und an dessen Stil sich die Blaubär-Zeichentricksegmente orientieren. Die Illustrationen sind noch sehr cartoonhaft und gerade Figuren wie Nachtigaller oder der Stollentroll erinnern mit ihren übergroßen Nasen stark an die typischen Moers’schen Comicfiguren. In späteren Romanen werden die Illustrationen weitaus detailreicher, aufwendiger und entfernen sich immer mehr von Moers‘ ursprünglichem Zeichenstil.

Fazit: „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ ist nicht nur ein amüsanter, kurzweiliger Episodenroman, sondern auch ein Versuchsballon, mit dessen Hilfe Walter Moers Zamonien konzeptionierte. Nach so vielen Jahren und so vielen weiteren Werken ist es immer wieder faszinierend, wo der Kontinent seinen Anfang nahm und welche Elemente Moers wie weiterentwickelte.

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3 Gedanken zu “Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär

  1. Superschön zusammengefasst. Hätte aber gerne noch ein paar mehr Details gehört über bestimmte Kapitel, etwaige Lieblingsstellen, Kritik usw., da interessiert mich deine Meinung sehr. Hast du eigentlich auch Rumo auf diese Art besprochen? Und glaubst du, wir werden irgendwann mal irgendeine Art filmische Adaption eines Zamonien-Romans zu sehen kriegen?

    1. In diesem Sinne finde ich die Besprechung von „Käpt’n Blaubär“ recht schwer, weil man sich aufgrund der Episodenstruktur leicht in Einzelheiten verlieren kann. Ich habe mir recht lange überlegt, wie ich das angehe und mich dann für den Konzeptansatz entschieden, damit das nicht allzu sehr ausufert. Insgesamt würde ich sagen, dass mir die Kapitel am besten gefallen, die für die späteren Zamonien-Romane eine wichtige Rolle spielen (Nachtschule, Atlantis etc.), während die Kapitel, die sich eher wie Rückgriffe auf die „Sendung mit der Maus“ anfühlen, meistens zwar ganz nett, aber doch irgendwie relativ belanglos wirken.
      „Rumo“ habe ich bisher noch nicht besprochen, kommt aber noch – natürlich besonders, da es in meinen Augen nach „Stadt der träumenden Bücher“ der zweitbeste Zamonien-Roman ist. Gerade im Zuge der anstehenden Rumo- und Ensel-und-Krete-Besprechungen werde ich auch noch mal auf die zugehörigen Blaubär-Elemente eingehen.
      Bzgl. einer Verfilmung denke ich allerdings, dass wir da wohl noch lange warten müssen. Dazu ist der Stoff zu schwierig umzusetzen. Vielleicht, wenn Netflix mal wieder eine deutsche Serie wie „Dark“ in Angriff nimmt, das Material entdeckt und dann eine Animationsserie daraus macht. Vom Konzept her könnte ich mir ein animiertes Anthologieformat á la „American Horror Story“ oder „Black Mirror“ vorstellen.

      1. Das mit der Animationsserie halte ich auch schon lange für die beste Lösung. Und Netflix wäre die richtige Adresse dafür. Danke jedenfalls für die Ergänzungen! Bin ja auch großer Moers-Fan.

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