H. P. Lovecraft wird gerne als „kosmischer Regionalschriftsteller“ bezeichnet, und das aus gutem Grund: Obwohl er über Schrecken jenseits menschlicher Vorstellungskraft schrieb, spielten doch die meisten seiner Geschichten im ihm vertrauten Neuengland. Viele seiner Nachfolger haben sich daran orientiert, entweder, indem sie sich derselben Lokalität bedienten, oder indem sie von den kosmischen Schrecken in ihrer eigenen Heimat berichteten. „Echo des Wahnsinns“ knüpft an diese Tradition an. Es handelt sich dabei um einen Band mit elf Kurzgeschichten österreichischer Comicschaffender. Sowohl inhaltlich als auch graphisch gibt es einige Unterschiede, aber auch eine gewisse gemeinsame Tendenz, sich spezifisch vom Stil amerikanischer Comics zu unterscheiden. Zugleich eint alle Geschichten auch eine gemeinsame Schwäche: Meinem persönlichen Empfinden nach sind sie fast ausnahmslos zu kurz. Um funktionierenden kosmischen Horror zu etablieren, ist eine gewisse Tiefe nötig, die kaum eine dieser Geschichten wirklich zu vermitteln weiß.
Vor allem graphisch gehört „Die Ahnung“ von Fufu Frauenwahl definitiv zu den besten Geschichten des Bandes – hier findet sich eine subtile Parallele zu „Pickman’s Model“ sowie einige weitere literarische Anspielungen und eine ganz amüsante Meta-Pointe am Ende. „Der Alpenkonvent“ von Andreas Drude baut eine ganz interessante Geschichte im Kontext eines Klosters in den Alpen auf, leidet aber unter der Kürze – hier wäre definitiv mehr drin gewesen. „Der Berg ruft“ von Walter Fröhlich, Thomas Aigelsreiter und Andreas Paar greift die Innsmouth-Thematik auf und versetzt sie in die Alpen. Der Kontrast zwischen scheinbar heiler Bergwelt mit Trachten und allem drum und dran und den monströsen Abgründen dahinter drängt sich in diesem Kontext freilich fast schon auf, und auch graphisch ist diese Geschichte durchaus gelungen, leider ist sie auf narrativer Ebene recht konfus und schafft es nicht, die Prämisse völlig zufriedenstellend umzusetzen, da das fischige Innsmouth-Element erhalten bleibt, das jedoch nicht so recht in die Alpen passen will.
„Verhandlungssache“ von Heinz Wolf ist die erste (aber nicht die letzte) der Geschichten, die eine eher humoristische Herangehensweise wählt und dabei auch das Necronomicon miteinbezieht, dabei aber leider nicht wirklich meinen Humor trifft und auch visuell nicht zu überzeugen weiß, auch wenn zumindest Cthulhu im Trenchcoat ein ganz amüsanter Anblick ist. André Breinbauers „Urlaub auf dem Land“ ist da schon besser gelungen. Es gibt zwar keine direkten inhaltlichen Bezüge zum „Cthulhu-Mythos“, aber Breinbauer gelingt es ganz gut, die Atmosphäre und Thematik für das österreichische Setting einzufangen; die Zeichnungen finde ich allerdings eher mittelmäßig.
Michael Hackers Zweitseiter „Necronomicon 9 to 5“ kehrt zur humoristischen Seite des kosmischen Horrors zurück, wobei hier im Grunde sowohl die Bezüge zu Österreich als auch zum „Cthulhu-Mythos“ fehlen; diese Geschichte passt eher zu „Evil Dead“ bzw. „Army of Darkness“. „Pickmanns Network“ von S.R. Meyers dagegen greift Lovecraft wieder sehr direkt auf – an welche Geschichte hier angeknüpft wird, ist ja wohl selbsterklärend. Ähnlich wie bei „Der Berg ruft“ ist allerdings auch hier, nicht zuletzt bedingt durch die graphische Umsetzung, das Ende recht diffus – und das nicht auf die gute Art. Arnulf Rödlers „Formal Haut“ ist graphisch eine der interessantesten Geschichten, lässt einen aber inhaltlich ziemlich verwirrt zurück – dasselbe trifft auf Wolfgang Matzls „Das Abbild“ zu. In beiden Fällen fehlen ebenfalls die Österreich-Bezüge.
„Die sexy Farbe“ von Anna-Maria Jung ist ähnlich konzipiert wie „Necronomicon 9 to 5“, ein humoristischer Zweiseiter, funktioniert aber weitaus besser, da er eine Lovecraft-Geschichte direkt aufgreift und ihr einen amüsanten Twist verpasst. Beendet wird „Echo des Wahnsinns“ von der Geschichte „Die Blockade“ von Thomas Aigelsreiter – abermals eine humoristische Geschichte im Cartoon-Stil mit Meta-Element, die durchaus amüsant ist, aber nicht so pointiert und knackig daher kommt wie „Die sexy Farbe“.
Fazit: Ich würde diesen österreichischen Beitrag zu Lovecrafts literarischem Vermächtnis gerne uneingeschränkt empfehlen, aber leider ist er eher durchwachsen. Es finden sich darin einige nette Ideen und unterhaltsame Geschichten, aber insgesamt bleiben die Comics dieses Bandes sowohl inhaltlich als auch visuell hinter ihren Möglichkeiten zurück – kann man lesen, muss man aber nicht. Wer die definitive Comic-Auseinandersetzung mit Lovecraft sucht, sollte besser zu Alan Moores „Providence“ greifen, denn „Echo des Wahnsinns“ ist bestenfalls eine kurze Lektüre für Zwischendurch.
Lovecrafts Vermächtnis:
Der Cthulhu-Mythos
Nathaniel
Dagon
Die Opferung
Das Alien-Franchise
Revival
Cthulhu in Westeros
The Courtyard/Neonomicon/Providence
Die Idee klingt trotzdem ziemlich cool … ob auch mal jemand den lovecraftschen Wahnsinn nach Deutschland versetzt hat?
Da gibt es tatsächlich einige, mindestens eine davon kennst du sogar: „Ein Porträt Torquemadas“ von Christian von Aster spielt zumindest teilweise in der Alten Pinakothek in München 😉