Dracula: Sense & Nonsense

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Wenn man sich intensiver mit Bram Stokers „Dracula“ beschäftigt, kommt man an Elizabeth Miller irgendwann nicht vorbei: Die emeritierte Professorin der Memorial University of Newfoundland gilt als eine der führenden Autoritäten zu Stokers Roman, den sie seit 1990 zum Subjekt ihrer akademischen Forschung gemacht und auch einiges dazu publiziert hat. „Dracula: Sense & Nonsense“ gehört zu diesen Publikationen und ist darüber hinaus ein äußerst nützliches Werk, in dem sich Elizabeth Miller dazu anschickt, viele der Mythen, die „Dracula“, den Autor, die Entstehung und Hintergründe etc. umgeben, aufzuklären. Obwohl Miller hier viele Aspekte anreißt, handelt es sich bei „Dracula: Sense & Nonsense“ nicht um eine umfassende Darstellung oder Aufarbeitung dieser Themen. Stattdessen hangelt sich Miller thematisch an verschiedenen Mythen, Vorurteilen und Falschaussagen entlang, die in den über hundert Jahren seit der Publikation des Romans getätigt wurden – auch und gerade in der Fachliteratur. Dabei spart Miller sich selbst übrigens nicht aus. Alle ihre Widerlegungen belegt Miller ausgiebig und fundiert; sie erklärt genau, wie die Forschungslage zu den einzelnen Themengebieten aussieht, welche Belege es für die Aussagen gibt und warum die meisten bestenfalls mehr oder weniger begründete Annahmen und schlimmstenfalls reißerische Lügen sind.

Im ersten Kapitel, „The Sources for Dracula“, setzt sich Miller mit Falschaussagen zu Stokers Quellen und Inspirationen auseinander. Ein häufig zitierter „Fakt“ ist beispielsweise, dass Stoker viele Informationen, sei es zu Vampirismus, Vlad Țepeș oder Transsylvanien, von dem ungarischen Orientalisten Arminius Vámbéry erhielt, wofür es aber so gut wie keine Belege gibt, ebenso wie für die Behauptung, Jack the Ripper oder Elisabeth Báthory seine wichtige Inspirationsquellen.

Das zweite Kapitel, „Stoker and the Writing of Dracula“, beschäftigt sich mit Statements und beliebten Mythen zur Abfassung von „Dracula“, etwa dem, Stoker habe bereits als Kind den Roman geplant bis hin zur Aussage, Stoker sei Mitglied des „Hermetic Order of the Golden Dawn“ gewesen und habe okkulte Verweise in „Dracula“ untergebracht. Auch die Frage, in wie weit Zeitgenossen wie Stokers Arbeitgeber Henry Irving oder Oscar Wilde „Dracula“ beeinflussten oder gar für die Figur des Grafen selbst Pate standen, erörtert Miller hier ausgiebig, ebenso wie die Herkunft der Figurennamen, die zum Teil auf Personen aus Stokers Umfeld zurückgehen.

In Kapitel 3, „The Novel“, kommt Miller auf Dinge wie die Datierung des Werkes oder die besondere Rolle von Quincy Morris im Vergleich zu den anderen Vampirjägern zu sprechen. Besonders interessant ist Millers Einordnung des später als Kurzgeschichte von Stokers Witwe Florence veröffentlichten Fragments „Dracula’s Guest“, dessen genaue Platzierung nach wie vor unklar ist. Das vierte Kapitel, „The Geography of Dracula“, schlägt in eine ähnliche Kerbe, setzte sich aber, der Titel verrät es bereits, mit Misskonzeptionen bezüglich der Handlungsorte auseinander, speziell den möglichen Vorbildern von Draculas Schloss – weder Schloss Bran noch Poenari, die Festung von Vlad Țepeș, eignen sich diesbezüglich, auch wenn dies in der Rezeption oft behauptet wird.

Die Verbindung Draculas zu Vlad Țepeș bekommt natürlich noch ein eigenes Kapitel gewidmet, das fünfte. Um es kurz zu machen, nein, Vlad der Pfähler lieferte nicht die Vorlage für Graf Dracula. Soweit es belegbar ist, stieß Stoker lediglich auf die eine oder andere Erwähnung des „Voivoden Dracula“, dessen Namen angeblich Teufel bedeutet und der gegen die Türken kämpfte, und fand, dass es sich hierbei um einen passenden Namen für einen Vampir handelt – ursprünglich sollte der Schurke des Romans „Count Wampyr“ heißen. Mit dem historischen Vlad Țepeș beschäftigte sich Stoker so gut wie überhaupt nicht, weshalb dessen Biografie auch keinen Einfluss auf den Vampir des Romans hatte. Tatsächlich wäre es sehr merkwürdig, hätte Stoker über Vlads bewegtes Leben und vor allem die vielen grausamen Details Bescheid gewusst und diese nicht in den Roman verarbeitet. Miller hat, nebenbei bemerkt, keinerlei Probleme damit, wenn Vlad und Dracula auf fiktiver Ebene vermischt werden, wie es in so vielen Filmen, Romanen und anderen Medien geschieht – ihr geht es darum, klarzustellen, dass der Voivode definitiv nicht als Vorlage für den Vampirgrafen diente. Im sechsten und letzten Kapitel evaluiert Miller schließlich wissenschaftliche Arbeiten zur Thematik, etwa kommentierte Ausgaben des Romans, Stoker-Biografien oder literarische Studien.

Durch die Strukturierung – Miller hangelt sich an den Falschaussagen und Mythen samt Quelle entlang, um sie dann zu widerlegen – sowie ihrem eher lockeren, nicht unbedingt akademisch anmutenden Stil liest sich „Dracula: Sense & Nonsense“ sehr angenehm und überfrachtet auch Leser, die sich noch nicht allzu intensiv mit der Materie beschäftigt haben, nicht mit Informationen. Zugleich ist allerdings eine gewisse Vertrautheit mit dem Roman (was eigentlich selbstverständlich sein sollte) sowie zumindest eine rudimentäre Kenntnis der Biografie Stokers von Vorteil. Gerade all jenen, denen es schwerfällt, aus den diversen Mythen, die um „Dracula“ und Stoker zirkulieren, die Wahrheit herauszufiltern, dürften mit Millers Werk ein brauchbares Hilfsmittel an die Hand bekommen.

Fazit: Kurzweilige Widerlegung diverser nach wie vor kursierenden Mythen und Falschaussagen bezüglich „Dracula“, Bram Stoker und allem, was dazugehört und zudem ein guter Start in die literarische Rezeption des Grafen.

Bildquelle

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman

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