Dark Empire I

Darkempirei
Ende der 80er war Star Wars als Franchise so gut wie tot. Nach Episode VI ging es noch ein paar Jahre weiter, zumindest jüngere Fans des Franchise konnten sich an den beiden Ewok-Filmen, der Ewok-Animationsserie oder der Droids-Serie, die die Abenteuer von R2-D2 und C-3PO vor „A New Hope“ zeigte, erfreuen. Auch die mit Episode IV gestartete Comicserie von Marvel lief noch ein einige Zeit weiter. Aber spätestens 1986 war Schluss und die weit, weit entfernte Galaxis verschwand aus dem Bewusstsein. Lediglich der Verlag West End Games lieferte noch neues Material in Form von Pen&Paper-Regelwerken, aber diese waren, wer hätte es gedacht, weit vom Mainstream entfernt. Erst Anfang der 90er kehrte Star Wars ins Bewusstsein zurück, bedingt durch zwei Werke, die parallel zueinander entstanden. Bantam Books schnappte sich die Buchlizenz und beauftragte Timothy Zahn damit, eine Fortsetzung zu verfassen, die schließlich den Titel „Heir to the Empire“ tragen und 1991 erscheinen sollte. Dark Horse nahm sich derweil der brachliegenden Comiclizenz an und gab eine eigene Fortsetzung in Auftrag (bzw. übernahm ein Projekt, das sich bereits für Marvel in Planung befand): „Dark Empire“, verfasst von Tom Veitch, mit Zeichnungen von Cam Kennedy, erschienen von Dezember 1991 bis Oktober 1992. Anders als „Heir to the Empire“ und die beiden Folgebände „Dark Force Rising“ (1992) und „The Last Command“ (1993), die im Fandom einen exzellenten Ruf haben, wurde „Dark Empire“ ursprünglich zwar ebenfalls recht positiv aufgenommen, bekam aber bald einen relativ schlechte Reputation.

Zentrales Handlungselement der sechsteiligen Miniserie ist die Rückkehr Palpatines – was auch die primäre Kontroverse auslöste. Sechs Jahre nach der Zerstörung des zweiten Todessterns befindet sich die Galaxie im Aufruhr, die zur Neuen Republik gewordene Rebellenallianz befindet sich erneut auf dem Rückzug und das Imperium erringt Erfolg um Erfolg – bis ein Bürgerkrieg unter den imperialen Machthabern ausbricht. Han, Leia und Chewbacca machen sich auf, Lando und Luke, die sich noch im Imperialen Zentrum befinden, aus dem Chaos zu retten. Just als sie Luke und Lando finden, reißt ein Machtsturm Luke davon. Der Jedi erwacht an Bord eines Schiffes, das ihn nach Byss, der neuen Hauptwelt des Imperiums bringt. Dort erwartet ihn ein mysteriöser neuer Machthaber, der dabei ist, die sich einander bekriegenden imperialen Kriegsherren unter seine Kontrolle zu bringen. Erschrocken muss Luke erkennen, dass es sich bei diesem Machthaber um niemand geringeren als Palpatine selbst handelt, der seinen Geist in einen Klonkörper seines früheren Selbst verpflanzt hat. Luke glaubt, dieses neue, Dunkle Imperium nur von innen heraus zerstören zu können und schließt sich zumindest zum Schein dem wiederauferstandenen Imperator an. Während Palpatine beginnt, Allianz-Welten wie Mon Calamari zu verwüsten, erhält Leia eine Vision von Luke auf der Dunklen Seite. Gemeinsam mit Han und Chewie begibt sie sich auf den Schmugglermond Nar Shaddaa, um der Spur dieser Vision zu folgen…

Da „Dark Empire“ und „Heir to the Empire” etwa zeitgleich entstanden, finden sich zwischen beiden Geschichten einige interessante Diskrepanzen, nicht zuletzt, weil Timothy Zahn von der Idee, Palpatine zurückzubringen, nicht allzu begeistert war und sich weigerte, in irgendeiner Form Rücksicht darauf zu nehmen. Ursprünglich war geplant, „Heir to the Empire“ nach „Dark Empire“ spielen zu lassen, aber aufgrund von Zahns Einstellung entschied man sich dagegen. Zu den erwähnten Diskrepanzen gehört beispielsweise der Umstand, dass die Neue Republik in der Thrawn-Trilogie relativ fest im Sattel sitzt, sich zu Beginn von „Dark Empire“ aber plötzlich auf dem Rückzug befindet, während ein imperialer Bürgerkrieg auf Coruscant tobt, das im Comic stets nur als „Imperiales Zentrum“ bezeichnet wird (Zahn etablierte den Namen Coruscant). Diese Elemente wurden später in Rollenspielbänden und sonstigen Kompendien wie der „Essential Chronolgy“ oder dem „Essential Guide to Warfare“ erläutert. Noch deutlicher fallen allerdings die tonalen Diskrepanzen aus. Timothy Zahns Star Wars betont eher die Science-Fiction-Elemente des Franchise, während Cam Kennedy seinen Fokus auf die Pulp-Elemente legt: Während Großadmiral Thrawn mit verhältnismäßig bescheidenen Mitteln auskommen und sich primär auf sein taktisches Genie verlassen muss, schüttelt der wiedergeborene Palpatine gefühlt eine Superwaffe nach der nächsten aus dem Ärmel, von Weltenvernichtern über das Galaxis-Geschütz bis hin zum Eclipse-Klasse-Supersternenzerstörer. Auch was die Machtfähigkeiten angeht, ist Palpatine potenter denn je, wenn auch mental und körperlich ziemlich labil. Das alles sind durchaus berechtigte Kritikpunkte und ob es tatsächlich eine gute Idee ist, Palpatine zurückzubringen und Luke auf die Dunkle Seite wechseln zu lassen, ist ebenfalls diskutabel. Davon abgesehen ist „Dark Empire“, im Gegensatz zu seinen beiden Sequels, allerdings gar keine so üble Story und wirft durchaus einige interessante Fragen bzgl. der Dunklen Seite der Macht auf. Diese werden vielleicht etwas zu oberflächlich abgearbeitet – eine Eigenschaft, die viele Star-Wars-Comics der 90er teilen. Gerade im Hinblick auf die Balance der Geschichte funktioniert „Dark Empire“ ziemlich gut und hat gewisse Parallelen zu „Return of the Jedi“. Als Gegengewicht zur Lukes Auseinandersetzung mit der Dunklen Seite funktioniert der eher klassische Abenteuer-Subplot aus Nar Shaddaa ziemlich gut und gegen Ende laufen die Fäden schön zusammen – Palpatine wird, zumindest vorläufig, durch eine thematisch angebrachte Gemeinschaftsaktion von Luke und Leia besiegt.

Die Optik von „Dark Empire“ ist kaum weniger umstritten als die Handlung: Cam Kennedys Zeichnungen, vor allem in Kombination mit der Farbgebung, muten doch sehr ungewöhnlich an. Teilweise sind seine Zeichnungen erstaunlich detailliert, dann wieder eher skizzenhaft, manchmal ähneln die Figuren ihren Schauspielern, dann wieder überhaupt nicht. Die Kolorierung schließlich mutet sehr surreal an, da sie fast ausschließlich aus dem flächigen Einsatz von Sekundärfarben besteht, dominiert von Lila oder Grün, hin und wieder durchbrochen von Blau oder Rot. Die Farbgebung funktioniert hier nicht als Wiedergabe einer natürlichen Welt, sondern wird ausschließlich bestimmt von der Atmosphäre einer Szene. Gerade im Zusammenspiel mit den Zeichnungen funktioniert diese Herangehensweise mal besser, mal schlechter. Man muss Cam Kennedy jedoch definitiv eines lasse: „Dark Empire“ ist visuell distinktiv und unterscheidet sich fundamental von den meisten anderen Star-Wars-Comics. Letzten Endes ist es eine reine Geschmacksfrage: Kennedys Ansatz ist einer, den ich durchaus respektieren kann, der mich persönlich aber nicht allzu sehr anspricht.

Besonders faszinierend ist „Dark Empire“ im Hinblick auf die späteren Entwicklungen. Die sechsteilige Miniserie erwies sich dabei als kaum weniger einflussreich als „Heir to the Empire“, auch wenn viele Autoren des EU sich später eher von ihr distanzierten. Nicht nur durfte der als Handlungsort sehr beliebte Schmugglermond Nar Shaddaa sein Debüt feiern, auch Boba Fetts Überleben des Sarlacc hat seinen Ursprung in „Dark Empire“. Und mehr noch, Tom Veitch legt hier die erste Saat für das, was später zu den „Tales of the Jedi“, „Knights of the Old Republic“ und „The Old Republic“ erwachsen sollte. Nur in Andeutungen und Erwähnungen schafft er die Grundlage für eine epische und bewegte Vergangenheit des Jedi-Ordens. Und schließlich hätten wir da noch „The Rise of Skywalker“, das durchaus als verkappte Adaption von „Dark Empire“ verstanden werden kann. Der Film selbst erläutert Palpatines Rückkehr zwar nicht, aber die Romanadaption von Rae Carson klärt auf, dass sich Darth Sidious‘ Rückkehr im Disney-Kanon durchaus ähnlich abgespielt hat wie im alten Expanded Universe: per Klonkörper und Essenztransfer. Zudem sind diverse andere Elemente zumindest sehr ähnlich, Exegol fungiert als Substitut für Byss, die Sith Eternal und Ritter von Ren ersetzen Palpatines „Elite der Dunklen Seite“ und wie in „Dark Empire“ verfügt der zurückgekehrte Imperator über Sternenzerstörer mit Todessternlaser. Und natürlich versucht Palpatine Rey ebenso auf seine Seite zu ziehen wie Luke – vielleicht ist aber auch Kylo Ren das bessere Substitut für Luke, während Rey ihn, ähnlich wie Leia, ins Licht zurückbringt.

Fazit: „Dark Empire“ zwar definitiv nicht zu meinen Favoriten unter den Legends-Comics, ist aber doch deutlich besser als sein Ruf, eines der einflussreichsten Star-Wars-Werke und weit unterhaltsamer als die eine ähnliche Prämisse umsetzende Episode IX.

Bildquelle

Siehe auch:
Star Wars Episode IX: The Rise of Skywalker – Ausführliche Rezension
The Rise of Skywalker – Expanded Edition
Darth Sidious – Karriere eines Imperators
Darth Plagueis
Darth Maul: Shadow Hunter
Darth Maul

Art of Adaptation: Hannibal Staffel 1 bis 3

Spoiler!

Drei Romane und die korrespondierenden vier Filme habe ich im Rahmen dieser Artikelreihe bereits besprochen – aus chronologischer Perspektive müsste nun eigentlich Thomas Harris‘ Prequel „Hannibal Rising“ (2006) sowie dessen gleichnamige Filmadaption mit Gaspard Ulliel folgen – aktuell habe ich allerdings weder Lust noch Kapazität, um mich mit „Hannibal Rising“ auseinanderzusetzen, darum wenden wir uns nun erst den deutlich leichter bekömmlichen drei Staffeln von Bryan Fullers Serienadaption zu, und zwar in einem absurd langen Artikel, der trotzdem nur an der Oberfläche kratzt. Vielleicht reiche ich „Hannibal Rising“ noch nach, sollte ich die Inspiration dazu finden. Wenn nicht – nun, zumindest ein, zwei Aspekte des Origin-Romans spielen auch für die Serie eine Rolle.

Konzeption und Handlung
Angekündigt wurde Bryan Fullers „Hannibal“ als einer Art Prequel zu Thomas Harris‘ Lecter-Romanen, zumindest bezüglich des Umstandes, dass sie eine mögliche Vorgeschichte erzählen. Während sich Hannibal Lecter in jedem der ursprünglichen Romane entweder in Gefangenschaft oder auf der Flucht befindet, beginnt die Serie mit einem Hannibal, der ein hoch geschätztes Mitglied der Gesellschaft und ein erfolgreicher Psychiater ist. Als primäre Vorlage fungiert „Red Dragon“, diesem Werk entlehnen Fuller und Co. die meisten Figuren, auch wenn sie teils sehr stark angepasst sind. Tatsächlich konnte der zuständige Sender NBC nur auf drei von vier Romanen zurückgreifen, da die Rechtelage bezüglich „The Silence of the Lambs“ sich als äußerst kompliziert erwies. Das hatte zur Folge, dass man sich keiner der Figuren bedienen konnte, die in diesem Roman ihr Debüt feiern – also keine Clarice Starling, kein Barney Matthews, kein Jame Gumb usw. Diesem Rechtewirrwarr verdanken wir die nach einer Staffel abgesetzte Serie „Starling“, die das gegenteilige Problem hat und sich ausschließlich der Figuren bedienen kann, die in „Silence“ zum ersten Mal auftauchen (ein spoilerfreier Einblick ist hier zu finden). Dennoch bedeutet das alles nicht, dass Fuller und Co. „Silence“ völlig ausklammerten, im Gegenteil.

Ursprünglich waren sieben Staffeln vorgesehen bzw. zumindest angedacht, wie Fuller in einem Interview von 2013 erläuterte. Die ersten drei Staffeln sollten die Vorgeschichte erzählen, Staffel 4 sollte „Red Dragon“, Staffel 5 „The Silence of the Lambs“ (unter der Voraussetzung, dass NBC die Rechte irgendwann erwerben kann) und Staffel 6 „Hannibal“ adaptieren und Staffel 7 hätte das Ganze dann mit einem neuen Ende versehen. Wie wir wissen, kam es dazu nicht, da die Serie nach Staffel 3 abgesetzt wurde und dieser ursprüngliche Plan sehr stark eingedampft werden musste: Die ersten beiden Staffeln erzählen nun die Vorgeschichte, während Staffel 3 in der ersten Hälfte die Handlung des Romans „Hannibal“ und in der zweiten „Red Dragon“ adaptiert.

Stilistisch und inszenatorisch finden sich deutlich Unterschiede zu allen bisherigen Filmen die, unabhängig von ihren handwerklichen Qualitäten verhältnismäßig konventionell umgesetzt sind. Tagline der Serie war gewissermaßen: „Was, wenn sich David Lynch der Lecter-Romane angenommen hätte?“ Dementsprechend ist die Serie von einem deutlich anderen Kaliber, surreal und extrem stilisiert. In „Manhunter“ und „Red Dragon“ (und natürlich auch in „Hannibal“) vermag es Will Graham, die Welt durch die Augen von Serienkillern zu sehen, Fuller versucht, den Zuschauer direkt in diese Position zu versetzen, indem er seinem Publikum die Wahnvorstellungen, die speziellen Wahrnehmungen etc. direkt zeigt. Die erzählte Welt von „Hannibal“ ist gotisch überhöht, gerade in Bezug auf die Serienkiller. Schon in Harris‘ Romanen hatten die Mörder zwar eine gewisse Basis in der Realität und zumeist auch ein real existierendes Vorbild, etwa Ed Gein für Buffalo Bill, aber waren in ihrem Vorgehen und ihrer psychischen Veranlagung doch stark fiktionalisiert. „Hannibal“ kennt diesbezüglich kein Halten mehr und legt relativ wenig Wert auf Realismus. Kaum eine andere Serie zeigt derart ästhetisch inszenierte Morde. Hier findet sich auch der fundamentale Unterschied zur Gewaltdarstellung im Roman „Hannibal“ und der Adaption von Ridley Scott: Dort scheint die Gewalt nur zu Schockzwecken vorhanden zu sein, während sie in der Serie Teil der surrealen Atmosphäre ist und zum ebenso bizarren wie ästhetischen Stil gehört.

Vor allem in ihrer ersten Staffel erinnert die Serie, trotz dieser Ästhetik, ein wenig an eine sehr düstere Version einer der vielen CSI-Serien: Wir haben ein Team aus Ermittlern, das Mordfälle aufklärt, mit Fokus auf dem ungleichen Duo aus Hannibal Lecter (Mad Mikkelsen) und Will Graham (Hugh Dancy). Dementsprechend gibt es pro Folge jeweils einen neuen, höchst kreativen bis absurden Mörder mit einem äußerst individuellen Steckenpferd, weit entfernt von jeglicher Realität. Das soll, wohlgemerkt, keine Kritik sein, da es zur Konzeption der Serie ebenso gehört wie die alptraumhafte Atmosphäre und die generelle, surreale Bildsprache. „Hannibal“ will kein realistisches Procedural sein, sondern hat deutlich andere Ansprüche, die sich eher im Bereich der Gothic Fiction verorten lassen. Es geht selten um den eigentlich aufzuklärenden Fall und den zugehörigen Mörder, sondern darum, welche Auswirkungen die Killer auf die Figuren haben. Dementsprechend bricht die Struktur natürlich irgendwann auf, schon allein bedingt dadurch, dass Hannibal selbst kein „ehrlicher“ Ermittler ist, sondern mit allen anderen Figuren nach seinen Vorlieben und Gutdünken spielt.

Ein neuer Kannibale
Sowohl die Herangehensweise an als auch die Darstellung von Hannibal Lecter in den drei Staffeln der Serie unterscheiden sich fundamental von der Filminkarnation der Figur (Brian Cox und Gaspard Ulliel lasse ich hier außen vor, da ihre Leinwandzeit entweder zu knapp bemessen oder ihre Charakterisierung zu weit entfernt ist). Wo Anthony Hopkins kultureller Kannibale stets sehr theatralisch agierte und seine Zelle gewissermaßen als Bühne verstand, ist Mads Mikkelsens Doktor immer äußerst kontrolliert und beherrscht. Beide Versionen der Figur haben ihren „Spieltrieb“ und einen Hang zu sozialen Experimenten gemein. Hier sind die Unterschiede primär kontextgebunden: Hopkins‘ Lecter befindet sich zumeist in Gefangenschaft oder auf der Flucht und nimmt generell relativ wenig Rücksicht, während Mikkelsens Version der Figur deutlich behutsamer, dabei aber auch fremdartiger vorgeht. Mikkelsen erklärte mehrfach, er spiele die Figur nicht als Serienkiller oder Psychopathen, sondern als zur Erde aufgestiegenen Luzifer, der nach seinen völlig eigenen, für Menschen nicht nachvollziehbaren Regeln spielt und alles und jeden um sich herum gnadenlos benutzt.

Ich schrieb bereits an anderer Stelle, dass sich Hannibal Lecter in Harris‘ Romanen immer mehr vom Schurken zum Antihelden entwickelt, was sich natürlich auch in den Filmen widerspiegelt. Mit jedem neuen Lecter-Werk ist der gute Doktor ein wenig sympathischer, bis er in „Hannibal Rising“ eher an einen mörderischen jungen Bruce Wayne erinnert als an die Figur, die 1981 in „Red Dragon“ ihr Debüt feierte. Mikkelsens Inkarnation greift dieses Element durchaus auf – die Serienschöpfer spielen gekonnt mit Hannibals popkultureller Wahrnehmung und seinem Vermächtnis. Es sollte in diesem Kontext erwähnt werden, dass die Serie durchaus auf die Bekanntheit der Figur Hannibal Lecter setzt. Ich will nicht sagen, dass es unmöglich ist, sie ohne Vorkenntnisse zu verstehen, aber doch sehr schwierig, weil Fuller und Co. wenig erklären. Jemand, der noch nie mit Hannibal Lecter in Berührung kam, dürfte Schwierigkeiten haben, der Handlung zu folgen oder sie auch nur einzuordnen. Die Serienschöpfer wissen nicht nur um die Sympathie, die Hannibal entgegengebracht wird, sie nutzen sie gnadenlos aus. Gerade in der ersten Staffel ist es überaus amüsant, Hannibal und Will bei ihren Ermittlungen zuzusehen und dabei zu erleben, wie Hannibal gleichzeitig gegen seine FBI-Kollegen arbeitet, sie an der Nase herumführt und sich als „Copycat Killer“ betätigt. Als Publikum wollen wir Hannibal mögen und in ihm einen Antihelden á la Dexter sehen, einen Serienmörder, der andere Serienmörder jagt. Aber schon bald zeigt sich, dass der gute Doktor von diesem Konzept sehr weit entfernt ist, besonders im Umgang mit seinen Mitmenschen.

Die wechselhafte Beziehung zwischen Hannibal und Clarice kann die Serie aus rechtlichen Gründen natürlich nicht darstellen; Will Graham ist gewissermaßen der Ersatz. Zwar hat Hannibal auch in „Red Dragon“ ein gewisses Interesse an Will, ist ihm aber in letzter Konsequenz feindlich gesinnt und versucht, ihn durch Francis Dolarhyde zu töten. Dasselbe geschieht auch in der dritten Staffel der Serie, allerdings völlig anders kontextualisiert und geprägt von der Beziehung der beiden. Hannibals Vorhaben in der Serie gleich viel eher dem, was er mit Clarice im Roman „Hannibal“ vorhat – eine Transformation. Es ist stets Hannibals Begehren, Will auf seine Ebene zu ziehen, weil er glaubt, in ihm ein gleichartiges Wesen gefunden zu haben. Zwar trifft dieser Umstand auf alle Versionen der Figur zu, aber gerade Mads Mikkelsens Inkarnation hat einen wirklich ausgeprägten Gott-Komplex; so wie Gott niemand ebenbürtig ist, sieht Hannibal auch niemanden als sich selbst ebenbürtig – aber Will hat zumindest das Potential. Dieses Element stammt direkt aus den Romanen, in denen Hannibal immer wieder davon spricht, wie Gott mitleidlos und zu seinem eigenen Vergnügen tötet. Dementsprechend negativ gestimmt ist Hannibal dann auch, wenn sich Will vehement dagegen wehrt, transformiert zu werden. Wie ein wütender alttestamentarischer Gott bestraft er Will, indem er im Finale der totgeglaubten Abigail Hobbs, zu der Will eine Vater-Tochter-Beziehung aufgebaut hat, die Kehle aufschlitzt. Doch trotz der immer weiter ausartenden Gräueltaten, die Hannibal begeht und die es unmöglich machen, ihn als Antihelden wahrzunehmen, bleibt die Faszination, die die Beziehung zwischen ihm und Will auslöst, über alle drei Staffeln hinweg ungebrochen.

Red Dragon
„Hannibal“ entnimmt die komplette Handlungsgrundlage sowie das Personal aus „Red Dragon“ – dieser Roman wird auch stets als primäre Quelle in den Credits angegeben. Im Figurenbereich betrifft das neben Hannibal und Will primär Jack Crawford (Laurence Fishburne) und Frederick Chilton (Raúl Esparza), die in Funktion und Charakterisierung ihren Romangegenstücken am nächsten sind. Diverse Figuren wurden dagegen stärker justiert, nicht zuletzt, um mehr weibliche Figuren im Cast zu haben. Dr. Alan Bloom hat beispielsweise in den ersten beiden Romanen eine sehr untergeordnete Rolle und ist meistens als Experte irgendwo im Hintergrund tätig. Dr. Alana Bloom (Caroline Dhavernas) hingegen ist eine sehr zentrale Figur, arbeitet sehr eng mit Hannibal und Will zusammen und hat zudem romantische Spannungen mit beiden; in der zweiten Staffel beginnt sie ein Verhältnis mit Hannibal. Auch Freddie Lounds (Lara Jean Chorostecki) ist nicht nur deutlich weiblicher und attraktiver als die von Thomas Harris als sehr unansehnlich beschriebene Romanfigur, sondern spielt eine sehr viel prominentere Rolle. Sogar das finale Schicksal bleibt ihr erspart, an ihrer statt landet Chilton im brennenden Rollstuhl.

Es sollte noch einmal deutlich erwähnt werden, dass Will Graham und Hannibal Lecter im Roman „Red Dragon“ nie gemeinsam ermittelt haben – diese Idee stammt aus der Filmadaption mit Anthony Hopkins. Zudem ist Will sowohl im Roman als auch in diesem Film nur für die Festnahme zweier Serienmörder verantwortlich: Lecter selbst und Garret Jacobs Hobbs. Letzterer ist, gespielt von Vladimir Jon Cubrt, Sujet der ersten „Hannibal“-die Folge und beinhaltet eigentlich alles, was Harris an Hintergrundinformationen in „Red Dragon“ liefert, dazu gehört die Baustelle als Arbeitsplatz, die Spuren, die Will dort findet und die ihn zu Hobbs führen sowie der Mord an der Ehefrau und der versuchte Mord an der Tochter. Diese trägt in der Serie den Namen Abigail und wird von Kacey Rohl dargestellt, während sie im Roman nicht nur namenlos bleibt, sondern auch in den folgenden Ereignissen keine Rolle mehr spielt. Und selbstverständlich ist Hannibal selbst an all diesen Ereignissen nur in der Serie beteiligt – zu der komplexen Beziehung zwischen Will, Hannibal und Abigail findet sich bei Harris keinerlei Gegenstück. Dennoch ist gerade diese erste Folge mit dem Titel „Apéritif“ sehr nah an Harris‘ Prosa und beinhaltet sogar direkte Dialogübernahmen aus dem Roman, etwa als Crawford und Alana Bloom Will und seine besondere Wahrnehmung diskutieren.

The Silence of the Lambs
Wie bereits erwähnt verfügten Fuller und Co. nicht über die Rechte an „The Silence of the Lambs“ und konnten somit auch keine der dort etablierten Figuren verwenden. In Interviews erläuterte Fuller immer wieder, wie gerne er „seine“ Version von „Silence“ umsetzen würde, aber dazu kam es bekanntermaßen nie, die diversen Rechteinhaber konnten sich nicht einigen und „Hannibal“ wurde schließlich nach der dritten Staffel abgesetzt. Das bedeutet aber nicht, dass Harris‘ bekanntester und populärster Roman völlig ausgespart wurde, im Gegenteil. Ein Subplot wurde sogar komplett in die Serie integriert, nämlich die Krebserkrankung Bella Crawfords (Gina Torres), inklusive des ganzen Drumherums, etwa der Bedeutung ihres Spitznamens. Ich bin nicht einmal sicher, ob Bella Crawford im Roman „Red Dragon“ überhaupt benannt wird; sollte dem nicht so sein, wäre sie wohl die große Ausnahme der oben erwähnten Regel. Aber selbst wenn ihr Name dort genannt wird, die Handlungselemente stammen doch eindeutig aus „The Silence of the Lambs“ – ohne eine wie auch immer geartete Einmischung Hannibals, versteht sich, da dieser zum entsprechenden Zeitpunkt bereits einsitzt.

Von diesem Umstand einmal abgesehen ist die sechste Episode der ersten Staffel, „Entrée“, eindeutig die „Silence of the Lambs“-Gedenkfolge der Serie. Das beginnt bereits mit dem Umstand, dass Frederick Chilton hier sein Seriendebüt feiert – die Figur etablierte Harris zwar bereits in „Red Dragon“, sie wird aber viel stärker mit dem Folgeroman und -film assoziiert, nicht zuletzt dank der gelungenen Darstellung von Anthony Heald. Zudem erinnern die Ermittlungen im Fall des Chesapeake Rippers sehr stark an „The Silence of the Lambs“. Der Ripper ist natürlich Hannibal, Chilton glaubt allerdings, beim Ripper handle es sich um den in seiner Anstalt einsitzenden Dr. Abel Gideon (Eddie Izzard). Besagter Dr. Gideon ist eine wandelnde Anspielung auf die von Anthony Hopkins dargestellte Version von Hannibal Lecter, nicht nur wird er für den Chesapeake Ripper gehalten, Izzards Darstellung der Figur und die Manierismen sind eindeutig an Hopkins angelehnt – das beginnt bereits bei der Etablierung der Figur. In der entsprechenden Szene marschiert Alana Bloom durch einen Zellenkorridor, in der letzten befindet sich Abel Gideon. Und mehr noch, sowohl die Episode mit der verstümmelten Krankenschwester als auch diverse Beschreibungen und Dialoge aus „The Silence of the Lambs“ werden auf Dr. Abel Gideon umgemünzt und die gesamte Folge ist voll von visuellen Anspielungen. Mit Miriam Lass (Anna Chlumsky) etablieren Fuller und Co. hier zudem eine Ersatzfigur für Clarice Starling, wobei sie mit Will in dieser Kontinuität gewissermaßen den Platz tauscht. Miriam Lass ist Crawfords erster Protegé, analog zu Will in „Red Dragon“, wobei die Interaktion zwischen ihr und Crawford, die in Flashbacks gezeigt wird, abermals direkt aus „Silence“ stammen könnten. Wie Roman-Will ermittelt sie im Fall des Rippers und stößt dabei zufällig auf Lecter, der sie attackiert, nachdem sie seine Identität fast schon unabsichtlich aufgedeckt hat. Allerdings behält Hannibal dieses Mal die Oberhand und sperrt Miriam Lass für zwei Jahre in ein Loch, das an jenes erinnert, in dem Jame Gumb Catherine Martin gefangen hält. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, erklärt Hannibal am Ende der Episode Chilton, wie schön es sei, einen alten Freund zum Dinner zu haben…

Das Ende von Staffel 1 verdreht, bedingt durch Hannibals Intrigen und Manipulationen, die gewöhnlichen Umstände, nun finden wir Will in einer Zelle und Hannibal als seinen Besucher. Dementsprechend finden sich vor allem zu Beginn von Staffel 2 viele „Silence“-Zitate, sei es in den Dialogen und auch in der visuellen Gestaltung. Zudem taucht in „Kaiseki“ (Staffel 2, Episode 1) Kade Prurnell (Cynthia Nixon) auf – hierbei handelt es sich um ein Stand-in für Paul Krendler, was sich bereits aus dem Namen ergibt, bei dem sich um ein Anagramm handelt – Hannibal mit seiner Vorliebe für Anagramme wäre sicher erfreut. Ähnlich verhält es sich mit dem namenlosen Serienmörder aus dieser Episode, dessen Vorgehen an Jame Gumb erinnert. Man sieht also: Obwohl die Rechtelage eine tatsächliche Adaption von „The Silence of the Lambs“ im Rahmen der drei Hannibal-Staffeln nicht zuließ, taten Bryan Fuller Co. so ziemlich alles, was sie konnten, um die Inhalte des für viele zentralen Lecter-Romans zu integrieren, ohne mit einer Klage rechnen zu müssen.

Hannibal
Ähnlich wie bei „Red Dragon“ beschäftigt sich die Serie zuerst mit der im Roman „Hannibal“ geschilderter Vorgeschichte. Bereits in „The Silence of the Lambs“ erfährt der geneigte Leser, dass es unter Lecters Opfern zwei gibt, die überlebt haben. Im Sequel geht Harris auf einen dieser Überlebenden näher ein. Gemeint ist natürlich Mason Verger (Michael Pitt in Staffel 2, Joe Anderson in Staffel 3), Erbe einer mächtigen Schweinezüchter-Dynastie und Sadist, der seine Martinis mit Kindertränen als Beigabe zu sich nimmt. Sein Lieblingsopfer ist seine lesbische Schwester Margot (Katerine Isabelle). Beide Vergers werden in der zweiten Hälfte der zweiten Staffel eingeführt und landen bei Hannibal auf der Couch. Bei Harris ist Mason Vergers Entstellung – bekanntermaßen bringt Hannibal ihn dazu, sich unter Drogeneinfluss selbst die Haut mit einer Spiegelscherbe vom Gesicht abzuziehen, woraufhin besagte Haut den Hunden zum Fraß vorgeworfen wird – eine verhältnismäßig in sich geschlossene Episode, die erst an Bedeutung gewinnt, als Jahre nach Lecters Ausbruch neue Spuren auftauchen und Clarice Starling zu ermitteln beginnt. Die Serie ordnet diese Episode in den andauernden Konflikt zwischen Hannibal und Will (der mit der ganzen Geschichte bei Harris nichts zu tun hatte) ein und macht Mason gewissermaßen zu einem Störfaktor. Fuller selbst verglich Verger in einem Interview mit dem Joker zu Hannibals Batman. Nun haben wir bereits deutlich etabliert, dass Hannibal kein Antiheld ist – dementsprechend extrem fällt dann auch Mason aus. Alle Elemente und Details aus dem Roman sind in der Umsetzung vorhanden, werden dem zentralen Will/Hannibal-Plot jedoch untergeordnet.

Margot verdient in diesem Kontext noch einmal besondere Erwähnung – ähnlich wie Jame Gumb ist sie eine Figur aus den Romanen, die nicht unbedingt besonders gut gealtert und im Fandom zudem recht umstritten ist. Auf die Serieninkarnation der Figur trifft das allerdings kaum weniger zu. Bei Harris ist Margot Bodybuilderin und vom Steroidmissbrauch gezeichnet (was u.a. zur Folge hat, dass sie keine Kinder bekommen kann), weshalb sie eine äußerst maskuline Erscheinung ist und als eher unattraktiv beschrieben wird. Dementsprechend ist man sich nicht einig, ob Margot als transgender zu interpretieren ist und ihre Steroidmissbrauch als Versuch verstanden werden sollte, „männlicher“ zu werden oder ob sie doch eher dem abwertenden und beleidigenden Klischee der „Kampflesbe“ entspricht. Man kann durchaus verstehen, weshalb Ridley Scott sich entschloss, die Figur komplett zu streichen. Bryan Fuller scheint eher Anhänger der zweiten Auslegung zu sein (wie er auch in einem Interview betont), denn Serien-Margot ist weder unattraktiv noch Bodybuilderin und im Gegensatz zu ihrem Romangegenstück nicht nur sehr feminin, sondern fast schon zerbrechlich. Hier sind es nicht die Steroide, durch die sie unfruchtbar geworden ist, stattdessen trägt Mason die Verantwortung – die gesamte Aktion, die u.a. einen in ein Schwein verpflanzten Fötus beinhaltet, sorgt dafür, dass Serien-Verger noch deutlich verabscheuungswürdiger ist als sein Widerpart.

Nachdem Hannibal am Ende von Staffel 2 endgültig auffliegt und gemeinsam mit der ausschließlich in der Serie auftauchenden Dr. Bedelia Du Maurier (Gillian Anderson) nach Europa flieht (vielleicht inspiriert vom Ende des Romans „Hannibal“), verlassen Fuller und Co. die Prequel-Gefilde und beginnen, die tatsächliche Handlung der Romane umzusetzen, und zwar in umgekehrter Reihenfolge. „Hannibal Rising“ und „The Silence of the Lambs“ werden natürlich außen vorgelassen, somit bleiben sieben Folgen für „Hannibal“ und sechs für „Red Dragon“. Zumindest in Florenz arbeitet die Serie die essentiellen Stationen des Romans ab: Hannibal nimmt die Identität von Dr. Fell als Kurator der Capponi-Bibliothek an, Rinaldo Pazzi (Fortunato Cerlino) kommt ihm auf die Schliche und wird von Mason Verger beauftragt, bei der Gefangennahme des Doktors behilflich zu sein. Alles, was mit Clarice Starling zu tun hat, findet selbstverständlich nicht statt, stattdessen mischt jedoch Will Graham mit und nimmt zumindest in Teilen ihren Platz in der Geschichte ein. Einige der Clarice-Szenen, primär die, in der sie mit Mason Verger spricht, bekommt jedoch auch Alan Bloom, die zudem als „Ersatz“ für Barney in seiner Rolle als ehemaliger Pfleger bzw. Vertrauter Hannibals, der Verger Informationen weitergibt, herhalten darf. Darüber hinaus ersetzt sie auch Judy, die im Roman mit Margot liiert ist. Hannibals Flucht von der Verger-Farm gestaltet sich recht ähnlich wie im Roman und ist in manchen Aspekten sogar vorlagengetreuer als in Ridley Scotts Film – wie bei Harris ist es auch hier Margot, die ihren Bruder tötet, inklusive Aal-Einsatz. Die Schweine als Werkzeug zur Hinrichtung Lecters hingegen fehlen – diese wurden bereits in Staffel 2 bemüht, stattdessen plant Mason, sich an Hannibal zu rächen, indem er ihn höchst persönlich verspeist. Mason selbst ist hier, wie im Film, deutlich mobiler als im Roman und auch nicht ganz so entstellt, wobei sein „Design“ doch deutlich von Gary Oldmans Make-up inspiriert ist.

Ähnlich wie Clarice und Hannibal bekommen auch Will und Hannibal etwas traute Zweisamkeit, allerdings ohne Gehirn-Dinner. Diese Szene existiert in stark abgewandelter Form, findet aber bereits in Florenz statt – mit Will an Stelle von Paul Krendler. Zudem wird Hannibal unterbrochen, bevor er Wills Schädeldecke tatsächlich entfernen kann. Ironischerweise endet die Hannibal-Sektion von Staffel 3 weder mit einer gemeinsamen Flucht von Hannibal und Will (als Clarice-Ersatz), noch mit einer erneuten Solo-Flucht, sondern mit der ersten Gefangennahme des kultivierten Kannibalen. Wer den Dialog aus Ridley Scotts „Hannibal“ zwischen Clarice und dem Doktor vermisst („Given the chance, you would deny me my life, wouldn’t you?”) findet ihn in abgewandelter Form im Finale der zweiten Hannibal-Staffel. Dort taucht auch die Metapher der sich wieder zusammensetzenden zerbrochenen Tasse auf, die im Kontext der Serie allerdings allgemeiner gehalten ist und sich nicht auf Mischa bezieht.

Tatsächlich ist diese Hälfte der dritten Staffel der Teil der Serie, der mir am wenigsten gefällt, was daran liegen könnte, dass der Roman „Hannibal“, trotz desselben Namens, einfach nicht so recht zur Konzeption der Serie passen will. Vielleicht hängt es auch mit der Absetzung und dem Umstand zusammen, dass für die Umsetzung „nur“ eine halbe Staffel zur Verfügung stand, statt, wie ursprünglich geplant, eine ganze. Manche Schwächen der Vorlage und des zugehörigen Films kann die Serie neutralisieren, primär leidet sie nicht unter dem unbefriedigenden Ende – dazu später mehr. Es kommen allerdings einige neue hinzu: Gerade den Episoden, die größtenteils in Florenz spielen, fehlt fast jegliche Form der Suspense. Nun ist „Hannibal“ zwar eine Serie, die generell sehr langsam erzählt und sehr viel Wert auf ihre Bildsprache legt, in dieser Staffelhälfte nimmt das aber wirklich prätentiöse Ausmaße an. Zudem ist mir Florenz dem Rest der Serie zu ähnlich. Man kann über Scotts „Hannibal“ sagen, was man möchte, aber die Florenz-Passagen sind nicht nur optisch enorm eindrucksvoll, sondern auch klar von den in den USA spielenden Teilen visuell abgegrenzt.

Hannibal Rising
Trotz der Rechtelage stelle ich hier die nicht besonders gewagte These auf, dass „Hannibal Rising“ und nicht „The Silence of the Lambs“ der Lecter-Roman ist, dessen Inhalte für die Serie am wenigsten berücksichtigt wurden. Die Natur dieses Romans ist dafür der primäre Grund: „Hannibal Rising“ ist ein Prequel. Fuller und Co. hatten nur wenig Interesse, sich ausgiebig mit Hannibals Vorgeschichte zu beschäftigen. Zudem erschwert der Umstand, dass die Serie zur Zeit ihres Erscheinens (also in den frühen 2010er-Jahren) spielt, eine stärkere Eingliederung der Inhalte passt einfach nicht. In „Hannibal Rising“ arbeitet Harris mit der in seinen anderen Romanen etablierten Timeline – dementsprechend wurde die Romainkarnation des kultivierten Kannibalen 1933 geboren, bekam als Kind den Zweiten Weltkrieg mit und musste im Rahmen desselben erleben, wie Nazi-Kollaborateure seine Schwester verspeisten. Mit der deutlich jüngeren Serienversion funktioniert zumindest der Zweite Weltkrieg als Teil des Hintergrundes nicht mehr. Die meisten anderen Elemente, die ohnehin schon im Roman „Hannibal“ etabliert wurden, behält die Serie bei; die litauische Herkunft, die adelige Abstammung, selbst die familiären Verhältnisse, inklusive der toten und kannibalisierten Schwester Mischa und der in Frankreich ansässigen Tante Lady Murasaki. In der dritten Staffel findet sich, was man als „Hannibal-Rising-Einschub“ bezeichnen könnte. Will Graham trifft eine Figur namens Chiyoh (Tao Okamoto), die von sich behauptet, Hannibals Tante Murasaki aufgewartet zu haben – und tatsächlich, Chiyoh stammt aus „Hannibal Rising“ und kommt dort als relativ unwichtige Figur in dieser Rolle vor. Chiyoh hilft ein wenig gegen Mason Verger und seine Schergen, um dann wieder völlig aus der Geschichte zu verschwinden. Viel essentieller ist allerdings, dass Mischa hier nicht als Freud’sche Erklärung von Hannibal herhält, im Gegenteil, von Chiyoh und auch Bedelia Du Maurier erfahren wir, dass Mische eher die wahre Natur ihres Bruders zurückgehalten hat. Das ist gegenüber Harris‘ eine fundamentale Umdeutung, die ich allerdings sehr gelungen finde, da sie im Einklang mit Hannibals Selbsteinschätzung in „The Silence of the Lambs“ steht: „Nothing happened to me. I happened.“ Exakt diesen Satz äußerst der Doktor auch in der dritten Folge der dritten Staffel.

Weil’s so schön war: Red Dragon Again
Und so schließt sich der Kreis: Nach zweieinhalb Staffeln Katz-und-Maus-Spiel sitzt Hannibal hinter Gittern und Will ist endlich frei, muss zwar mit den psychischen Narben leben, kann aber ein halbwegs normales Leben führen. Zwischen der siebten und achten Episode der dritten Staffel findet ein Zeitsprung von drei Jahren statt, Will ist inzwischen mit der von Nina Arianda dargestellten Molly verheiratet und hat sogar einen Stiefsohn, Walter, kurz Wally (Gabriel Browning Rodriguez). Nebenbei bemerkt, „Hannibal“ knüpft an die Tradition an, den Stiefsohn umzubenennen – in Harris‘ Roman heißt er Willy, in „Manhunter“ Kevin und in „Red Dragon“ mit Anthony Hopkins Josh. Alles in allem setzt diese zweite Hälfte der dritten Staffel die Handlung verhältnismäßig vorlagengetreu um, zumindest im Vergleich zu den restlichen Romanen. Primär hängt das sicher mit dem Umstand zusammen, dass Fuller und Co. hier über die kompletten Rechte an allen Figuren verfügen und niemanden ersetzen müssen. Die meisten größeren Änderungen sind ohnehin dem bisherigen Handlungsverlauf der Serie geschuldet und haben zur Folge, dass die Figuren bezüglich der Rolle, die sie im Roman spielen, ein wenig durcheinandergewürfelt werden. So teilen sich Alana Bloom und Frederick Chilton der Anstaltsleitung und „Lecter-Betreuung“. Zudem darf Chilton zusammen Freddie die Rolle der Roman-Inkarnation von Lounds ausfüllen. Das heißt im Klartext: Es ist Chilton, der im brennenden Rollstuhl landet – damit knüpft man gleich an die gute Tradition an, Chilton mindestens einmal pro Staffel ziemlich unangenehm zu verstümmeln. Tatsächlich überlebt er nachdem Abel Gideon seine Organe entfernt und Miriam Lass ihm ins Gesicht geschossen hat, auch Francis Dolarhydes Versuch, ihn zu töten. Er erinnert danach allerdings an den hautlosen Frank Cotton aus „Hellraiser“.

Wie im Film „Red Dragon“ nimmt Hannibal Lecter auch in der Serie, die schließlich nach ihm benannt ist, eine deutlich größere Rolle ein als im Roman und wird deutlich öfter konsultiert. Selbst Szenen, die Harris‘ Dialog eins-zu-eins wiedergeben, sind durch die zweieinhalb Staffeln zuvor und die dort ausgearbeitete Beziehung zwischen Will und Hannibal völlig anders kontextualisiert. Zudem sollte erwähnt werden, dass Hannibals Zelle in dieser Staffel sich nicht nur stark von den bisherigen Inkarnationen unterscheidet, sondern auch geradezu absurd groß und luxuriös ist, während die Sicherheitsvorkehrungen deutlich geringer sind als in allen bisherigen Werken. Man kann wohl davon ausgehen, dass der Mikkelsen-Hannibal nie eine Krankenschwester angefallen (diese Episode wurde, wie erwähnt, Abel Gideon zugeschrieben) und sich zudem wohl immer sehr gut benommen hat, weshalb die Vorkehrungen nicht ganz so extrem sein mussten. Handlungstechnisch bleibt Hannibals Rolle zumindest zu Beginn gleich – er wird hinzugezogen, um bei der Aufklärung der Zahnfeemorde zu helfen, tut dann aber mehr oder weniger das genaue Gegenteil, indem er Dolarhyde auf Will aufmerksam macht. Komplett gestrichen wurde das Segment aus dem Roman, in welchem Hannibal einen Brief auf Klopapier erhält und diesen in seiner Zelle versteckt. Stattdessen gelingt es Dolarhyde, direkt mit dem Doktor Kontakt aufzunehmen, indem er sich am Telefon als dessen Anwalt ausgibt.

Kommen wir nun zu unserem Großen Roten Drachen, dieses Mal gespielt von Richard Armitage, der auf diesem Gebiet bereits Erfahrung hat. Im direkten Vergleich zu Ralph Fiennes wirkt Armitages Dolarhyde deutlich selbstsicherer – was vielleicht auch damit zusammenhängen könnte, dass sich „Red Dragon“ von allen Adaptionen nach wie vor am intensivsten mit Dolarhydes Hintergrund und Werdegang auseinandersetzt. Die Rolle der dominanten Großmutter und das Kindheitstrauma werden zwar angedeutet, allerdings primär auf der visuellen Ebene. Nach bester Tradition bekommen wir als Zuschauer zudem Einblick in Dolarhydes Gedankenwelt und Wahrnehmung, sodass es immer wieder Szenen gibt, in denen ihm Flügel wachsen oder sich andere Körperteile an das Blake-Gemälde angleichen. Dolarhydes Handlungsstrang entfaltet sich zunächst sehr ähnlich wie im Roman, auch Reba McLane spielt dieselbe Rolle und wird hier sehr gut von Rutina Wesley dargestellt. Diesbezüglich sind auch alle wichtigen Szenen vorhanden, vom Zoobesuch mit Tiger über das Verschlingen des Blake-Gemäldes bis hin zum vorgetäuschten Selbstmord, wobei die Serie mit der Vortäuschung sehr offen umgeht und vom Publikum nicht erwartet, dass es an Dolarhydes Tod glaubt. Mit dem Fortschreiten der Staffel finden sich allerdings immer größere Diskrepanzen zwischen Roman und Serie. In beiden Medien greift Dolarhyde beispielsweise Will Grahams Familie an, im Roman nach dem vorgetäuschten Selbstmord, in der Serie dagegen deutlich früher. Zudem sollte erwähnt werden, dass das FBI Dolarhyde nicht über seinen Arbeitsplatz auf die Spur kommt. Dieser Umstand hängt mit der zeitlichen Verordnung zusammen: Der Roman und die Filme spielten in den 80ern, als die Entwicklung von Home Videos noch relevant war, in den 2010ern ergibt das natürlich keinen Sinn mehr. Somit bleibt in der Serie vage, wie Dolarhyde seine Opfer auswählt und ein großer Teil der Ermittlungsarbeit wird ausgespart.

Dementsprechend anders fällt dann auch das Finale aus, schließlich gilt es auch noch, Hannibal selbst irgendwie mit unterzubringen, der zu dieser Zeit im Roman schlicht keine Rolle mehr spielt. Also schmieden Will, Crawford und Alana einen Plan, um Dolarhyde doch noch zu erwischen: Sie wollen einen Ausbruch Hannibals fingieren und ihn als Lockvogel einsetzen, da Dolarhyde sich von ihm verraten fühlt. Der Doktor stimmt zu, das eigentliche Ziel ist jedoch, in letzter Konsequenz sowohl Dolarhyde als auch Hannibal zu töten – zumindest glauben das Alana und Crawford. Wills finale Absicht bleibt ziemlich offen. Der Plan funktioniert soweit und es kommt zur finalen Konfrontation, Will und Hannibal töten Dolarhyde gemeinsam (wobei sich Will dieselbe Gesichtsverletzung zuzieht wie sein Romangegenstück) und anschließend stürzt Will sich selbst und Hannibal von einer Klippe – ob sie überleben bleibt offen.

Im direkten Vergleich zur ersten Hälfte der dritten Staffel hat diese Adaption eindeutig die Nase vorn, der Plot mäandert nicht, ist deutlich fokussierter und es gibt wieder einen eindeutigen Sinn für Suspense. Das mag natürlich auch an der Vorlage und der Natur der Serie liegen, zum einen ist „Red Dragon“ ein deutlich besserer Roman als „Hannibal“ und zum anderen nimmt die Serie ihres Ausgangsprämisse aus „Red Dragon“ und kehrt nun wieder zum Ursprung zurück. Dennoch bleibt diese Umsetzung von „Red Dragon“ ein wenig hinter dem zurück, was ich mir im Vorfeld vorgestellt hätte. Gemessen an dem, was Fuller und Co. in den ersten beiden Staffeln so alles mit Will und Hannibal gemacht haben, will es ihnen nicht so recht gelingen, Dolarhyde eine neue Seite abzugewinnen. In meinen Augen hängt das allerdings auch damit zusammen, dass für „Red Dragon“ eben nur eine halbe und nicht eine ganze Staffel zur Verfügung stand und man sich nicht ausschließlich auf eine Adaption bzw. Erweiterung dieser Geschichte konzentrieren konnte, sondern auch noch die losen Fäden der restlichen Serie aufgreifen musste.

Diabolus in Musica
Die Musik der Serie „Hannibal“ ist im Kontext des Franchise sowohl konventionell als auch unkonventionell. Die generelle Herangehensweise ist uns bereits aus „The Silence of the Lambs“ und dem Film „Hannibal“ vertraut: Um Hannibals kultivierte Seite zu repräsentieren, griffen Fuller und Co. primär auf klassische Musik zurück (auch die Serie bedient sich mehr als einmal Bachs Goldberg-Variationen), während die Serienkiller im Allgemeinen und Hannibals finstere Seite im Besonderen von Dissonanzen und „Horror-Musik“ dargestellt werden. Letztere unterscheidet sich jedoch stark von dem, was Howard Shore, Hans Zimmer oder Danny Elfman komponierten. So unterschiedlich ihre Stile auch sein mögen, alle drei lieferten verhältnismäßig konventionelle, sprich: orchestrale, z.T. mit Elektronik angereicherte Film-Scores. Fuller ging hingegen einen anderen Weg und verpflichtete Brian Reitzell der, anders als die drei oben genannten, kaum Blockbuster-Erfahrung hat und auch nicht unbedingt für seine orchestralen Scores bekannt ist. Stattdessen vertont Reitzell eher Indie-Filme und arbeitete bereits häufiger mit Sofia Coppola zusammen. Seine Musik für „Hannibal“ ist dementsprechend unkonventionell, besteht primär aus Percussions und anderen, von Reitzell gespielten Instrumenten (in der zweiten Staffel auch diverse japanische) und Synthesizern – tatsächlich improvisierte Reitzell oft zum Bildmaterial der Serie. Abseits der klassischen Stücke ist die musikalische Untermalung wirklich extrem dissonant, bizarr und unmelodisch, Atmosphäre geht über alles, während Melodien oder gar Themen keinerlei Rolle spielen. Auf funktionaler Ebene ist diese Herangehensweise sehr zwiespältig, manchmal funktioniert sie sehr gut, manchmal überhaupt nicht. Auf persönlicher Ebene gehören diese Scores definitiv nicht zu den Werken, zu denen ich abseits der Serie zurückkehren werde. Ich bin sicher, wer mit dieser Art von Musik mehr anfangen kann, dem gelingt es, die Nuancen, die zweifelsohne vorhanden sind, auszumachen und eine klare Entwicklung festzustellen. Für mich hingegen wird Reitzells Musik jedoch sehr schnell sehr gleichförmig und uninteressant, sodass ich mich unweigerlich frage, wie „Hannibal“ wohl mit einem konventionelleren Score funktioniert hätte.

Fazit
„Hannibal“ ist schon ein Kuriosum: Großer Mainstreamerfolg war der Serie nie beschieden, sie war immer schon ein ästhetisches Nischenprodukt, das primär Genre- und Lecter-Fans anspricht und einen besonderen Geschmack voraussetzt. Es grenzt fast schon an ein Wunder, dass eine Serie wie diese, die noch dazu im linearen Fernsehen lief, es überhaupt auf drei Staffeln gebracht hat. „Hannibal“ als Adaption und das Verhältnis zu den Vorlagen ist dabei ein besonders faszinierender Aspekt, da es sich bei dieser Serie nicht einfach nur um eine Neuadaption der Lecter-Romane, noch um ein Pseudo-Prequel handelt. Natürlich adaptiert „Hannibal“ zuerst die Grundprämisse des Romans „Red Dragon“ und baut in den ersten beiden Staffeln Ereignisse der Vorgeschichte ein, sei es Will Grahams erste Konfrontation mit einem Serienkiller oder Mason Vergers Verstümmelung, um dann in Staffel 3 die Romane „Hannibal“ und „Red Dragon“ mehr oder weniger vorlagentreu umzusetzen, aber Bryan Fuller und Co. adaptieren noch viel mehr, nämlich die Wahrnehmung und Adaptionsgeschichte der Figur Hannibal Lecter. In vielerlei Hinsicht ist „Hannibal“ nicht nur Adaption, sondern Metaadaption und Kommentar. Ironischerweise ist der Kern der Serie zugleich der zentrale und kontroverseste Faktor des gleichnamigen Romans. Die Phrase „twisted gothic romance“ beschreibt es vielleicht am besten, Freddie Lounds nennt es weniger nonchalant „murder husbands“. In Harris‘ Roman sind es Hannibal und Clarice Starling, in der Serie Hannibal und Will Graham – in beiden Fällen versucht der gute Doktor, die jeweils andere Person zu transformieren und „sich gleich zu machen“. Die Serie setzt diesen Aspekt allerdings so viel besser um, da man in Harris‘ Roman das Gefühl nicht loswird, dass der Autor diese eigentlich zutiefst verstörende Beziehung verklärt und romantisiert – auf Kosten der Figur Clarice Starling. Bryan Fuller hingegen zeigt die Beziehung zwischen Hannibal und Will stets als das, was sie ist, so wie er auch keine Anstalten macht, Hannibal Lecter zum Antihelden zu entwickeln. Im Gegenteil, diese Umwandlung wird nicht nur rückgängig macht, sondern sogar noch kommentiert. Auch wenn die Serie in der Umsetzung dieser Prämisse hin und wieder kurz strauchelt, verpasst sie ihr doch einen äußerst gelungenen Schlusspunkt, denn das ebenso offene wie erschütternde Ende ist genau das, was diese schwarze Romanze benötigt.

Siehe auch:
Hannibal Staffel 1
Art of Adaptation: Red Dragon
Art of Adaptation: The Silence of the Lambs
Art of Adaptation: Hannibal

Batman: Dark Moon Rising

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Seit Frank Millers und David Mazzuchellis „Batman: Year One“ (1987) kehrt man bei DC immer wieder gerne in diese Ära des Dunklen Ritters zurück, sei es in Serien wie „Legends of the Dark Knight“ oder „Batman: Confidential“, die beide an „Year One“ anknüpfen, Handlungsbögen wie „Batman: Zero Year“ oder Miniserien wie das ebenso beliebte und grandiose „Batman: The Long Halloween“ von Jeph Loeb und Tim Sale. „Batman: Dark Moon Rising“ schlägt in eine ähnliche Kerbe. Genau genommen handelt es sich bei „Dark Moon Rising“ um zwei Miniserien, geschrieben und gezeichnet von Matt Wagner: „Batman and the Monster Men“ und „Batman and the Mad Monk“, die im Grunde jedoch eine fortlaufende Geschichte in zwei Teilen erzählen, die die Lücke zwischen „Year One“ und „The Long Halloween“ schließen soll und deshalb unter dem Gesamttitel „Dark Moon Rising“ zusammengefasst werden.

Sowohl bei „Batman and the Monster Men” als auch „Batman and the Mad Monk” handelt es sich um Neuerzählungen klassischer Batman-Geschichten aus den Jahren 1939 und 1940, eingebettet in den Kontext der Kontinuität der Erscheinungszeit (die Miniserien erschienen zwischen Januar 2006 und März 2007). Dementsprechend bemühen sie sich um eine Art Fusion aus der Neo-Noir-Atmosphäre von „Year One“ und den eher pulpigen frühen Batman-Abenteuern. In „Batman and the Monster Men“ bekommt es der Dunkle Ritter mit Professor Hugo Strange zu tun, der gerne als erster, wiederkehrender Batman-Schurke wahrgenommen wird und im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer wieder revitalisiert wurde, am prominentesten wohl in „Strange Apparitions“ (1977/78), einem Handlungsstrang der Serie „Detective Comics“ von Steve Engelhart und Marshall Rogers sowie „Prey“ aus der bereits erwähnten Serie „Legends of the Dark Knight“ von Doug Moench und Paul Gulacy. Außerhalb der Comics finden sich seine prominentesten Auftritte in „Batman: The Animated Series“ (gesprochen von Ray Buktenica), „Batman: Arkham City“ (gesprochen von Corey Burton) und „Gotham“ (gespielt von BD Wong). In „Batman and the Monster Men“ muss sich ein junger, noch recht optimistischer Batman mit einer Inkarnation von Hugo Strange herumärgern, die genetische Perfektion anstrebt und andere durch seine grausamen Experimente in „Monstermänner“ verwandelt. Zugleich reaktiviert Wagner mit Julie Madison ein eher obskures Love Interest. Julie Madison existiert ebenfalls bereits seit 1939, gehört aber, ähnlich wie Vicki Vale oder Silver St. Cloud, zu den Vertreterinnen ihrer Zunft, die eher sporadisch auftreten und weit weniger präsent sind als beispielsweise Catwoman/Selina Kyle oder Talia al Ghul. Immerhin bekam Julie Madison, anders als Hugo Strange, schon einmal einen Auftritt in einem der Batman-Filme, auch wenn er sehr klein und kaum beachtenswert ausfiel. In „Batman and Robin“ wurde sie von Elle Macpherson dargestellt. Die diversen Handlungselemente werden von Julies Vater Norman Madison verknüpft: Dieser hat Schulden bei dem für Carmine Falcone arbeitenden Capo Sal Maroni, der seinerseits wiederum in „The Long Halloween“ für Harvey Dents Entstellung verantwortlich ist und hier Hugo Strange finanziert.

Dieses Handlungselement, das „Dark Moon Rising“ eng mit „Year One“ und „The Long Halloween“ verknüpft, wird auch in „Batman and the Mad Monk“ fortgeführt. Nachdem es Batman gelungen ist, Hugo Strange das Handwerk zu legen, bekommt er es mit dem titelgebenden Mönch zu tun, ein weiterer Schurke, der ursprünglich in den frühesten Batman-Comics etabliert wurde, es aber nie schaffte, eine markante Präsenz zu etablieren. Selbst im Vergleich zu Hugo Strange ist er eine obskure Erscheinung. Der Mönch war in seiner ursprünglichen Inkarnation ein tatsächlicher Vampir; Matt Wagner dagegen gestaltet die Situation uneindeutig und lässt offen, ob Batman mit übernatürlichen Wesenheiten interagiert. Der Mönch wird als blutsaugender Anführer eines Kultes inszeniert, in dessen Fänge Julie Madison gerät. Norman Madison verfällt derweil immer mehr der Angst und Paranoia, zwar hat Batman ihn vor Sal Maroni gerettet und den Mafioso sogar genötigt, Madison seine Schulden zu erlassen, dieser lebt nun aber in ständiger Angst vor dem Dunklen Ritter.

Anders als „Year One“ oder „The Long Halloween” gilt „Dark Moon Rising” in weit geringerem Ausmaß als Klassiker und eher als Geheimtipp, was eigentlich sehr schade ist, denn Matt Wagners „Brücke“ zwischen den beiden oben erwähnten Storys hat durchaus das Zeug zum Klassiker, handelt es sich dabei doch nicht nur um die Revitalisierung zweier Geschichten aus dem Goldenen Zeitalter der amerikanischen Comics, sondern auch um eine durchaus profunde Dekonstruktion, aber auch Zelebrierung des Gothic-Horror-Genres. „Dark Moon Rising“ ist bis zum Rand gefüllt mit Elementen der klassischen Schauerliteratur, vom Frankenstein-artigen Monsterschöpfer Hugo Strange über alte Schlösser, Blut und Grauen bis hin zum vampirischen Mönch und seiner Goth-Gehilfin Dala. Die Atmosphäre erinnert stark an die der Hammer-Filme der 60er und 70er, zugleich werden die angesprochenen Tropen allerdings nicht einfach nur durchgespielt, sondern rekontextualisiert, zum Beispiel durch den Umstand, dass Batman selbst für Norman Madison zum gotischen, übermächtigen Monster wird oder dass Julie Madison sich eben nicht mit der Rolle der „damsel in distress“ zufrieden gibt, sondern sich in letzter Konsequenz von Bruce Wayne und Batman abwendet und dadurch ihren eigenen Weg findet.

Auf gewisse Weise nimmt „Dark Moon Rising“ in der regulären Kontinuität einen ähnlichen Stellenwert ein wie „Batman: Mask of the Phantasm“. Zwar gibt es handlungstechnisch nicht allzu viele Parallelen, allerdings legen beide Werke den Grundstein für die Erklärung, weshalb Bruce Waynes Liebesbeziehungen entweder oberflächlich bleiben oder rasch vorbei sind. Zudem haben Julie Madison und Andrea Beaumont durch einige Gemeinsamkeiten, nicht zuletzt den in die Machenschaften der Mafia verwickelten Vater, auch wenn sie sich ziemlich unterschiedlich entwickeln. Diese Assoziation entsteht vielleicht auch ein Stück weit durch die visuelle Gestaltung von „Dark Moon Rising“: Matt Wagners Stil wirkt oft wie eine etwas detailliertere und opulentere Version der Optik von „Batman: The Animated Series“, wobei die gotischen Aspekte, passend zur Konzeption der Geschichte, noch stärker hervorgearbeitet werden. Erwähnenswert sind zudem noch die anderen Kontinuitätsanspielungen, die, wie nicht anders zu erwarten, „Dark Moon Rising“ mehr oder weniger subtil mit „Year One“ und „The Long Halloween“ verknüpfen. Hierzu gehören Gastauftritte von Carmine Falcone, Harvey Dent und Catwoman, die sich entwickelnde Partnerschaft von Batman und Gordon, ein Plakat, das die Flying Graysons bewirbt und ein Zeitungsartikel, der auf die Red-Hood-Überfälle verweist – Letzteres natürlich eine Anspielung auf Alan Moores und Brian Bollands „Batman: The Killing Joke“. Nebenbei bemerkt, das erste Aufeinandertreffen zwischen Batman und dem Joker wird in Ed Brubakers Doug Mahnkes „Batman: The Man Who Laughs“ thematisiert. Hierbei handelt es sich um ein weiteres Bindeglied zwischen „Year One“ und „The Long Halloween“, dessen Handlung kurz nach „Batman and the Mad Monk“ zu verorten ist.

Fazit: Matt Wagners Adaption zweier Geschichten aus Batmans Entstehungszeit sind vollauf zu empfehlen, sie verbinden den grimmigen Realismus des Miller’schen Batman der 80er mit den Horror- und Pulp-Elementen der 40er und schlagen eine schöne Brücke zwischen „Batman: Year One“ und „Batman: The Long Halloween“.

Bildquelle

Siehe auch:
Batman: Year One
Batman: The Long Halloween Part 1 & 2

The Last Voyage of the Demeter

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Story: An Bord des russischen Schoners Demeter spielen sich seltsame Dinge ab, seit die Besatzung in Varna Kisten mit Erde an Bord genommen hat, die nach England transportiert werden sollen. Erst taucht eine junge Frau namens Anna (Aisling Franciosi) auf, die als blinde Passagierin an Bord gekommen ist, und dann werden Crewmitglieder von einer merkwürdigen Kreatur angegriffen. Clemens (Corey Hawkins), der auf der Demeter angeheuert hat, sieht sich als Mann der Vernunft und Wissenschaft, wird nun aber mit dem Übernatürlichen konfrontiert, während Eliot (Liam Cunningham), der Kapitän, alles tut, um die Crew zusammenzuhalten.

Kritik: Die Idee, die Demeter-Episode aus Bram Stokers „Dracula“ in irgendeiner Form auszugliedern, ist nicht wirklich neu und wurde in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren immer wieder bemüht. Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine sehr atmosphärische Geschichte in der Geschichte – Draculas Überfahrt von Osteuropa nach England verläuft natürlich nicht unblutig, ist aber separiert vom Schicksal aller anderen Figuren. Die Idee, mit diesem Teil des Romans auf besondere Art und Weise zu verfahren, ist also durchaus naheliegend. In der BBC/Netflix-Adaption widmeten Mark Gatiss und Steven Moffat der Thematik beispielsweise eine von drei Episoden, machten aus der Demeter allerdings ein Passagier- und kein Frachtschiff, sodass das Ganze kaum mehr etwas mit Stoker zu tun hat. Näher dran ist da schon die Hörspieladaption des Labels Holy Horror. Auch hier nimmt die Demeter-Episode eine ganze Folge ein. Und schließlich hätten wir noch „Bram Stoker’s Death Ship“ von Autor Gary Gerani und Zeichner Stuart Sayger, ein Comic, der im Grunde dieselbe Prämisse hat wie „The Last Voyage of the Demeter“. Tatsächlich geistert „The Last Voyage of the Demeter“ in der einen oder anderen Form schon ziemlich lange durch Hollywood, zeitweise waren Namen wie Noomi Rapace, Jude Law oder Viggo Mortensen mit dem Konzept verknüpft. 2019 nahm sich Regisseur André Øvredal („The Autopsy of Jane Doe“, „Scary Stories to Tell in the Dark“) schließlich des Drehbuchs von Bragi Schut Jr. und Zak Olkewicz an. Das finale Produkt ist einer von zwei Dracula-Filmen ohne den Namen des Vampirs im Titel, die Universal 2023 in die Kinos brachte – leider war weder „The Last Voyage of the Demeter“ noch „Renfield“ Erfolg beschieden.

Qualitativ, vor allem auf handwerklicher und darstellerischer Ebene, ist „The Last Voyage of the Demeter“ in meinen Augen der deutlich gelungenere der beiden. Vor allem David Dastmalchian und Liam Cunningham liefern eine sehr überzeugende Performance ab. Auch die Atmosphäre und Klaustrophobie wird sehr gut vermittelt – immerhin ist hier eine kleine Gruppe von Menschen mit einem Monster gefangen. Etwas problematischer wird es hingegen, wenn man „The Last Voyage of the Demeter“ im Kontext von Stokers Roman betrachtet; der Film leidet unter einigen derselben Schwächen, die auch schon „Bram Stoker’s Death Ship“ ausmachten. Zweifelsohne wollen Øvredal und Co. von Dracula und dem „mythologischen Fortsatz“, der ihm anhaftet, profitieren. Isoliert man die Demeter-Episode allerdings vom Rest, gelingt das nur sehr schwer. Wie schon „Bram Stoker’s Death Ship“ ist auch „The Last Voyage of the Demeter” im Grunde eine Variation von Ridley Scotts „Alien“, nur dass ein Segelschiff das Raumschiff ersetzt und ein Vampir das Xenomorph. Das hat allerdings auch zur Folge, dass Dracula als Charakter weder definiert wird noch abseits der Morde tatsächlich agiert. Da stellt sich die Frage: Warum dann überhaupt Dracula bemühen? Das Design des Vampirs ist eindeutig von Graf Orlok aus Murnaus „Nosferatu: Eine Sinfonie des Grauens“ beeinflusst, gepaart mit der Werfledermaus aus „Bram Stoker’s Dracula“. Es finden sich ein, zwei Szenen, in denen Øvredal und Co. dann doch versuchen, den Grafen zumindest minimal zu charakterisieren, etwa, indem sie ihn bösartig lächeln oder sogar ein paar Worte sprechen lassen, das untergräbt allerdings die vorherige Inszenierung als unberechenbares Monster und wirkt eher merkwürdig denn furchteinflößend.

Selbst wenn man Dracula selbst ausklammert, hat „The Last Voyage of the Demeter“ mit Stokers Roman relativ wenig gemein – im Grunde handelt es sich um eine konzeptionelle und keine inhaltliche Adaption. Die Figuren, ihre Motivationen und Beziehungen zueinander haben mit dem, was sich in der Demeter-Episode des Romans findet, im Grunde nichts mehr zu tun. Selbst das eindrücklichste Bild, der Kapitän, der sich aus Trotz an das Steuerrad fesselt, um die Demeter doch noch irgendwie ans Ziel zu bringen, wird zwar referenziert, aber nicht wirklich integriert. Und dann wäre da noch der Epilog, der wirkt, als arbeite man auf eine Fortsetzung hin, der aber wiederum zu Stokers Geschichte überhaupt nicht passen mag. Sehr gelungen, wenn im Film auch zu unscheinbar abgemischt, ist hingegen Bear McCrearys Soundtrack. Man könnte den Eindruck gewinnen, McCrearys nahm diesen Film als seine vielleicht einzige Gelegenheit wahr, ein Thema für den legendärsten aller Vampire zu komponieren und versuchte, weniger dem Film an sich, als vielmehr dem Vermächtnis des Charakters ein Leitmotiv zu schreiben. Dementsprechend ist das Dracula-Thema des Films äußerst pompös, massiv unterhaltsam und für diesen Film beinahe zu wuchtig und eindringlich. Eine ausführliche Besprechung findet sich hier.

Fazit: Als reiner Horror- bzw. Monsterfilm ist „The Last Voyage of the Demeter“ durchaus gelungen, vor allem auf handwerklicher Ebene, als Teiladaption von „Dracula“ hingegen weniger. Zu sehr arbeitet die Inszenierung als „Alien“-artiger, klaustrophobischer Film gegen das übergroße Vermächtnis der Figur des Vampirgrafen.

Trailer

Bildquelle

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gezeichnete Graf
Dracula (BBC/Netflix)
Art of Adaptation: Dracula (Holy Horror)
Renfield

Art of Adaptation: Guido Crepax‘ Dracula

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Zu den vielen Künstlern, die sich Stokers unsterblichen Grafen vorgenommen haben, gehört auch Guido Crepax (1933 bis 2003), ein italienischer Comicautor und -zeichner, der primär für seine oft erotischen Erwachsenencomics bekannt ist. Crepax adaptierte einige Werke der klassischen Schauerliteratur, darunter neben „Dracula“ auch Mary Shelleys „Frankenstein“ sowie Robert Louis Stevensons „The Strange Case of Dr. Jekyll and Mister Hyde“. Guido Crepax‘ „Dracula“ erschien ursprünglich 1987, fand aber erst 2023 im Rahmen des auf Erwachsenencomics spezialisierten Labels „Splitternackt“ des Splitter Verlags seinen Weg nach Deutschland. Wer nun allerdings eine Version von Stokers Geschichte mit ausschweifenden Orgien erwartet, wird wohl enttäuscht werden – Crepax‘ Bearbeitung des Stoffes mag expliziter sein als der zugrundeliegende Roman, im Großen und Ganzen handelt es sich dabei allerdings eher um Kosmetik.

Handlungstechnisch nimmt Crepax keine allzu großen Änderungen vor, sondern orientiert sich eng am Roman – wie so viele andere ist es vor allem die Struktur der Erzählung bzw. der Ablauf der Ereignisse, mit dem er spielt. So beginnt er nicht mit Jonathan Harkers Reise nach Transsylvanien und seinem Aufenthalt auf Draculas Schloss, stattdessen startet die Geschichte in Whitby bei Mina und Lucy. Nach und nach arbeitet er sich durch den Handlungsstrang, von Lucys drei Verehrern über die Ankunft der Demeter und Renfields Insekten-Eskapaden bis hin zu Lucys Krankheit und langsamem Dahinsiechen. Wie üblich kommt Van Helsing hinzu, aber auch ihm gelingt es nicht, Lucy zu retten. Mina reist derweil nach Osteuropa, weil ihr in Transsylvanien verschollener Verlobter Jonathan wieder aufgetaucht ist und die beiden heiraten. Lucy stirbt, zumindest scheinbar, Van Helsing strebt eine Autopsie an und Mina und Jonathan kehren als verheiratetes Paar nach England zurück. Nachdem Jonathan glaubt, Dracula in London gesehen zu haben, liest Mina sein Tagebuch und übergibt es anschließend an Van Helsing. An dieser Stelle platziert Crepax eine Rückblende und adaptiert den eigentlichen Anfang des Romans, inklusive aller zu erwartenden Episoden: Die Einheimischen, die Jonathan warnen, Dracula, der seinen eigenen Kutscher spielt und später nicht in Jonathans Rasierspiegel auftaucht, die Begegnung mit Draculas Bräuten usw. Anschließend kehren wir in die Gegenwart zurück, Lucy wird gepfählt, Dracula macht Mina zu seinem nächsten Opfer und Renfield stirbt. Nach einer Konfrontation mit dem Grafen und Bemühungen, seiner Lagerstätten unbrauchbar zu machen, flieht er in seine Heimat, verfolgt von den Vampirjägern, die ihn schließlich in Sichtweite seines Schlosses zur Strecke bringen, nicht ohne dass Quincey Morris dabei ums Leben kommt. Selbst dem Epilog widmet Crepax zwei Panels.

An der Handlungsfront finden sich somit recht wenig Änderungen, sieht man von der Umstrukturierung der Geschichte ab. Während es durchaus häufiger vorkommt, dass die Transsylvanien-Episode weiter nach hinten verschoben oder als Rückblende inszeniert wird, ist es doch selten, dass sie so spät auftaucht – als ich den Comic zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich zuerst, er orientiert sich diesbezüglich am ursprünglichen Theaterstück von Hamilton Deane und John L. Balderston, das Transsylvanien völlig ausklammert. Aus dramaturgischer Sicht funktioniert diese Abwandlung allerdings gar nicht einmal so schlecht, da Dracula auf diese Weise noch länger mysteriös und undefiniert bleibt. Als Leser erlebt man zuerst die Auswirkungen seiner Taten in Whitby und bekommt dann die Erklärung geliefert. Zumindest gilt das in der Theorie, denn selbst diejenigen, die nicht mit Stokers Roman vertraut sind, wissen doch, wer und was Dracula ist.

In letzter Konsequenz hängt hier also alles von der visuellen Umsetzung ab. Ähnlich wie Georges Bess‘ Adaption des Romans ist auch dieser Comic in schwarzweiß gehalten und bemüht sich um eine sehr filigrane Linienführung. Ich kann allerdings nicht behaupten, dass mir Crepax‘ Zeichenstil besonders gut gefällt, gerade seine Gesichter sehen oft merkwürdig aus. Ganz interessant sind die Vampirfratzen, hier wird ein schöner Kontrast zwischen der untoten und der in Frieden ruhenden Lucy aufgezeigt. Crepax‘ Version des Grafen hingegen will mir überhaupt nicht gefallen. Statt des üppigen Schnurrbartes aus Stokers Beschreibung hat er einen Backenbart und sieht alles in allem überhaupt nicht furchteinflößend aus. Auch atmosphärisch lässt Crepax‘ Adaption zu wünschen übrig, in seinen Panels konzentriert er sich zumeist auf die Figuren und weniger auf die Hintergründe, nur selten arbeitet er beispielsweise mit Licht und Schatten, wie es dem Sujet angemessen wäre. Und schließlich hätten wir noch das erotische Element, das jedoch, wie bereits erwähnt, eigentlich keine Auswirkungen auf die Handlung hat, die Figuren sind einfach etwas öfter nackt, als sie es im Roman waren. Ähnlich wie in Coppolas „Bram Stoker’s Dracula“, der fünf Jahre nach dem Erscheinen dieses Comics in die Kinos kam, ist es vor allem Lucy, die ihren Körper zeigt, aber auch Mina und selbst Jonathan erhalten die eine oder andere Nacktszene. Eher unpassend bis schräg wirkt die BDSM-Szene zwischen Jonathan und Draculas Bräuten, die konsequenzlos bleibt, bei der es sich aber um die einzige wirkliche Hinzufügung handelt, die Crepax vorgenommen hat. Wohlgemerkt ist diese Szene von der Standard-Begegnung mit den Bräuten abgegrenzt und fühlt sich so an, als hätte Crepax unbedingt noch eine erotische Episode einbauen wollen.

Fazit: Angesichts der vielen, vielen Comicadaptionen von „Dracula“ ist von Guido Crepax‘ Bearbeitung eher abzuraten, sofern man sich nicht zu den Fans des italienischen Zeichners zählt. Während seine Strukturanpassungen doch zumindest interessant sind, will mir persönlich seine visuelle Gestaltung der Geschichte und vor allem der Figuren nicht so recht zusagen, auch atmosphärisch wäre deutlich mehr möglich gewesen. Die erotische Komponente schließlich fügt der Geschichte kaum etwas hinzu und ist nicht mehr als unnötige Kosmetik. Wer nach einer großformatigen Hardcover-Dracula-Comicadaption sucht, die zudem auch visuell voll zu überzeugen weiß, dem sei Georges Bess‘ Version der Geschichte ans Herz gelegt.

Bildquelle

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Geschichte der Vampire: Dracula – Hammers Graf
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gezeichnete Graf
Art of Adaptation: Georges Bess‘ Dracula
Art of Adaptation: Bram Stoker’s Dracula Starring Bela Lugosi
Dracula, Motherf**ker!

Art of Adaptation: A Knife in the Dark

Der Aufbruch aus Bree

Nachdem sich die Hobbits in Bree in Aragorns Obhut begeben und seine Hilfe akzeptiert haben, folgt sowohl in Tolkiens Roman als auch in Jacksons Film ein Angriff der Ringgeister. Im Roman springen wir allerdings zurück nach Bockland, wo Fredegar Bolger gewissermaßen Frodos Platz einnimmt, um die Abreise aus dem Auenland weiter zu verheimlichen. Dem guten Fredegar gelingt es, vor den Nazgûl zu fliehen und die Bockländer zu alarmieren, woraufhin sich Saurons Häscher zurückziehen – vorerst. Hier gibt uns Tolkien zugleich einen kleinen Vorgeschmack darauf, dass die Hobbits durchaus wehrhaft sein können, wenn es wirklich darauf ankommt. In den späteren Kapiteln von „The Return of the King“, die sich mit der Säuberung des Auenlands beschäftigen, greift er diese Thematik wieder auf. Im Gegensatz dazu erfolgt die Attacke im Film in Bree – die Nazgûl persönlich stürmen sowohl das Dorf als auch das Gasthaus Zum Tänzelnden Pony auf höchst unsubtile Art und Weise. Dabei zeigt sich ein weiteres Mal, dass die filmische Interpretation der Ringgeister deutlich rabiater vorgeht als das Buchgegenstück. Anstatt sich einzuschleichen, wie sie es bei Tolkien immer wieder tun, reiten sie einfach das Eingangstor nieder und brechen ohne Rücksicht auf Verluste in das Gasthaus ein. Hierbei handelt es sich um eine weitere Szene, die relativ direkt aus Ralph Bakshis animierter Adaption des „Lord of the Rings“ stammt. Im Roman wird das Gasthaus zwar ebenfalls angegriffen und das Zimmer der Hobbits verwüstet, verantwortlich sind allerdings die menschlichen Diener der Nazgûl. Mehr noch, am Morgen sind auch die Ponys der Hobbits, zusammen mit allen anderen Pferden in den Ställen des Gasthauses, spurlos verschwunden.

Jackson zeigt den Aufbruch der um Aragorn erweiterten Wandertruppe als Montage, unterlegt von einer langsam stärker werdenden Version des Gefährten-Themas. Im Roman ist die ganze Angelegenheit etwas komplizierter, da mindestens ein Pony nötig ist, um das Gepäck der Hobbits zu transportieren. Nur ein Einwohner des Dorfes ist schließlich gewillt, sich von einem Tier zu trennen, ein recht übler Bursche namens Lutz Farning (Bill Ferny im Original, Lutz Farnrich in der Krege-Übersetzung), der wohl zu diesem Zeitpunkt bereits auf Sarumans Lohnliste steht und später bei der Säuberung des Auenlands noch einmal vorkommt. Besagtes Pony, das nach seinem ehemaligen Besitzer benannt ist, freundet sich sofort mit Sam an und ist offenbar sehr froh, in den Besitz der Hobbits überzugehen. Bei Jackson bricht das Fünfergespann ebenfalls mit einem Pony auf, der Erwerb wird jedoch nicht gezeigt. Eine Szene kurz vor Moria, die es allerdings nur in die Special Extended Edition geschafft hat, enthüllt später, dass dieses Pony tatsächlich Lutz/Bill ist. Die folgenden Reiseabschnitte schildert Tolkien verhältnismäßig ausführlich, während Jackson sie aus nachvollziehbaren Zeitgründen nur kurz anschneidet. Trotzdem gibt er seinen Zuschauern einen kurzen Einblick in die Mückenwassermoore und selbst die Erwähnung der Geschichte Beren und Lúthiens findet sich, zumindest in der Extended Edition. Der Kontext ist allerdings ein wenig anders, im Roman wird hier ein weiteres Mal auf die Ereignisse um die Schlacht des Letzten Bündnisse eingegangen, speziell zu Gil-Galad, dem letzten Hochkönig der Noldor, werden zusätzliche Informationen geliefert, bis Aragorn der Meinung ist, Gespräche über Mordor seinen aktuell keine gute Idee. Stattdessen erzählt er den Hobbits von der tragischen Liebesgeschichte von Beren und Lúthien. Im Film dagegen singt Aragorn von den beiden und berichtet daraufhin den Hobbits, die danach fragen, die Kurzfassung. Im Film fungiert das als Vorausdeutung der Beziehung von Aragorn und Arwen, die im Film deutlich anders aufgezogen wird als im Roman.

Angriff auf der Wetterspitze

Auf der Wetterspitze zeigt sich, wie unterschiedlich die parallelen Zeitabläufe an dieser Stelle im Roman und im Film sind. Bereits bevor das Fünfergespann den alten Wachturm erreicht, sieht es in einer Nacht Lichtblitze und bei der Ankunft finden Hobbits und Waldläufer spuren eines Kampfes der, wie sie später erfahren, zwischen Gandalf und den Ringgeistern stattgefunden hat. Der Zauberer ist zu diesem Zeitpunkt also praktisch um die Ecke. Jackson und Co. suggerieren hingegen, dass Gandalf sich zu diesem Zeitpunkt noch als Gefangener auf der Spitze des Orthanc befindet. Seine Flucht, die bei Tolkien bereits vor Frodos Aufbruch aus dem Auenland stattfindet, passiert im Film schätzungsweise zeitgleich mit der Jagd zur Bruinen-Furt. Von diesem Umstand abgesehen spielen sich die Ereignisse auf der Wetterspitze, mit ein, zwei Ausnahmen, fast identisch ab. Die erste Änderung ist der Umstand, dass die Hobbits hier von Aragorn Kurzschwerter bekommen – bei Tolkien haben sie diese aus dem Hügelgrab. Die zweite ist eher dramaturgischer Natur; im Roman lässt Aragorn die Hobbits nicht allein, um dann in letzter Sekunde als Retter auftauchen zu können und Merry, Pippin und Sam erregen die Aufmerksamkeit der Nazgûl auch nicht durch ihr Lagerfeuer. Stattdessen machen die fünf absichtlich ein Feuer, da die Ringgeister mit diesem Element bekanntermaßen ihre Probleme haben.

Wie so häufig beschreibt Tolkien die Ringgeister deutlich ätherischer und schattenhafter, als sie im Film dann tatsächlich dargestellt werden. Auch der Unterschied zwischen der Schattenwelt in Vorlage und Adaption ist noch einmal der Erwähnung wert: Das graue Gewaber, das Frodo wahrnimmt, wenn er den Ring trägt, existiert im Roman nicht, wie sich an folgender Passage zeigt: „Immediately, though everything else remained as before, dim and dark, the shapes became terribly clear. He was able to see beneath their black wrappings. There were five tall figures: two standing on the lip of the dell, three advancing. In their white faces burned keen and merciless eyes; under their mantles were long grey robes; upon their grey hairs were helms of silver; in their haggard hands were swords of steel. Their eyes fell on him and pierced him, as they rushed towards him.” (FotR, S. 255) Die Darstellung der Nazgûl im Zwielicht hingegen entspricht sehr genau der Beschreibung – stets eine äußerst beeindruckende Szene.

Eine Tendenz der Filme sollte an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben werden: Bei Jackson ist Frodo sehr viel passiver als bei Tolkien. Trotz der lähmenden Angst, die die Ringgeister verbreiten, ergibt sich Frodo nicht einfach seinem Schicksal, sondern versucht tatsächlich, seine Widersacher zu attackieren und erwischt immerhin den Fuß des Hexenkönigs, wobei sein Ausruf „O Elbereth! Gilthoniel!“ jedoch deutlich mehr Schaden anrichtet. Die größere Widerstandskraft Frodos zeigt sich auch im folgenden Kapitel: Während er im Film nach dem Angriff mit der Morgul-Klinge praktisch völlig katatonisch ist, ist er im Roman zwar geschwächt, aber noch handlungsfähig und ansprechbar. Anstatt Frodos Einsatz zu zeigen, ist es Aragorn, der bei Jackson nun erstmals in Action zu sehen ist – sein Kampf mit den Nazgûl ist im Roman eher ein Nachgedanke, Frodo bekommt noch mit, dass er die Ringgeister mit brennenden Holzscheiten attackiert, bevor er das Bewusstsein verliert.

Zitiert nach:
Tolkien, J. R. R.: The Lord of the Rings Part 1: The Fellowship of the Ring. London 2007 [1954]

Siehe auch:
Art of Adaptation: A Long-expected Party
Art of Adaptation: The Shadow of the Past
Art of Adaptation: Three Is Company
Art of Adaptation: A Shortcut to Mushrooms
Art of Adaptation: The House of Tom Bombadil
Art of Adaptation: At the Sign of the Prancing Pony
Art of Adaptation: Strider
Art of Adaptation: Tolkiens Erzählstruktur und Dramaturgie
Art of Adaptation: Saruman der Weiße
Art of Adaptation: Die Nazgûl

Art of Adaptation: The Exorcist

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Es gibt viele wirklich exzellente Horrorfilme, aber nur wenige können von sich behaupten, gleich ein ganzes Subgenre ins Leben gerufen zu haben. William Friedkins „The Exorcist“ (1973) gehört zu diesem erlauchten Kreis. Ähnlich wie „Dracula“ (1931) oder „Alien“ (1979) hat sich Friedkins Film unweigerlich ins popkulturelle Gedächtnis eingebrannt – selbst Menschen, die „The Exorcist“ nie gesehen haben, können das Bild der besessenen Regan MacNeil problemlos zuordnen und wahrscheinlich sogar auf die ikonische Kopfdrehung oder die Geschosskotze verweisen. Die wenigsten sind sich allerdings darüber im Klaren, dass der Film auf einem Roman basiert, verfasst von William Peter Blatty und erschienen 1972, nur ein Jahr vor der Adaption.

Handlung
Die Schauspielerin Chris MacNeil (Ellen Burstyn) zieht mit ihrer Tochter Regan (Linda Blair) nach Georgetown, Washington D.C., da sie dort unter der Regie des dem Alkohol zusprechenden, mitunter jähzornigen Regisseurs Burke Dennings (Jack MacGowran) ihren aktuellen Film dreht. Schon bald nach der Ankunft beginnt Regan jedoch, sich merkwürdig zu verhalten. Gespräche mit dem scheinbar imaginären „Captain Howdy“ – die Kommunikation erfolgt über ein Ouija-Board – tut Chris noch als harmlose Spielerei ab, aber die Geräusche und ein sich scheinbar bewegendes Bett bereiten ihr Kopfschmerzen. Zudem beginnt Regan, sich immer merkwürdiger und untypischer zu verhalten. Keiner der hinzugezogenen Ärzte findet eine Ursache – derweil überschattet der mysteriöse Tod von Burke Dennings die Lage zusätzlich. Während nun der Polizist William F. Kinderman (Lee J. Cobb) bzgl. Dennings Todesfall zu ermitteln beginnt, verschlechtert sich Reagans Zustand, sie wirft mit Obszönitäten um sich, verletzt sich und scheint mehrere Persönlichkeiten zu entwickeln. Einer der völlig ratlosen Ärzte schlägt schließlich einen Exorzismus vor – zwar glauben die Ärzte nicht an dämonische Besessenheit, aber wenn Reagan selbst glaubt, besessen zu sein, könnte sich ihr zustand verbessern, wenn sie überzeugt wird, dass der Exorzismus funktioniere. Also wendet sich Chris an den Jesuiten Damian Karras (Jason Miller), der nicht nur Priester, sondern auch Psychiater ist. Karras weiß genau, welche Hürden genommen werden müssen, damit die katholische Kirche einen Exorzismus sanktioniert und beginnt, sich eingehend mit dem Fall und mit Reagan zu beschäftigen. Nach mehreren Unterhaltungen mit Reagan wird es für Karras immer schwerer, tatsächliche Besessenheit auszuschließen, der Exorzismus wird sanktioniert und unter der Leitung von Father Lankester Merrin (Max von Sydow) beginnt Karras das Ritual…

Anpassungen und Auslassungen
Nur allzu oft geht man davon aus, dass es schief geht, wenn ein Autor seinen eigenen Roman als Drehbuch adaptiert, weil man ihm dieselbe Geisteshaltung attestiert, die ein Fan des Buches haben mag: Zu viel Textnähe, zu wenig Verständnis für den Wechsel des Mediums. Es gibt allerdings genug Beispiele, die dieses Vorurteil widerlegen, sei es Anne Rice mit „Interview with the Vampire“, Clive Barker mit „The Hellbound Heart“ bzw. „Hellraiser“ und eben auch Willaim Peter Blatty mit „The Exorcist“. Hin und wieder kann es sogar vorkommen, dass ein Autor, der sein eigenes Werk adaptiert, die Gelegenheit nutzt, um Dinge zu korrigieren oder zu experimentieren. Bei „The Exorcist“ handelt es sich nicht um einen derartigen Fall, der Film folgt der Handlung des Romans sehr genau, von der Etablierung der Charaktere und dem langsamen Spannungsaufbau bis hin zum finalen Exorzismus. Gerade was Regans Leidensweg angeht, werden eigentlich alle Stationen ziemlich vorlagengetreu abgehandelt – hier verortet Blatty eindeutig den Kern der Handlung.

Trotz aller Vorlagentreue müssen natürlich gewisse Kompromisse gemacht werden. Die meisten Raffungen und Auslassungen der Handlung betreffen den einen oder anderen Subplot rund um Kinderman, der im Roman eine deutlich größere Präsenz hat als im Film und dessen Ermittlungen bezüglich des Todes von Burke Dennings sehr viel mehr Raum einnehmen. Tatsächlich gerät Karl (Rudolf Schündler), der aus der Schweiz stammende Hausangestellte von Chris, eine Zeit lang ins Visier der Ermittlungen, zum einen, weil Dennings wiederholt mit ihm aneinandergerät und ihn als Nazi beschimpft (diese Szene findet sich im Film) und zum anderen, weil sein Alibi für den Todeszeitpunkt von Kinderman auseinandergenommen wird. Es stellt sich dann allerdings heraus, dass Karl eine heroinsüchtige Tochter hat, die von ihrem Freund misshandelt wird, ein Umstand, den er verheimlichen möchte, nicht zuletzt vor seiner Frau Willi (Gina Petrushk), die die Tochter tot glaubt. Zudem entsteht während Kindermans Ermittlungen eine Freundschaft zwischen ihm und Karras, die im Drehbuch stark reduziert wird – dort gibt es nur einen Austausch zwischen beiden, während sie im Roman noch deutlich öfter und länger miteinander sprechen. Auch Karras erhält in der Vorlage noch deutlich mehr Raum, sein Verhältnis zu seiner Mutter und die Trauer über den Tod werden ausführlicher thematisiert, ebenso wie sein Ringen um den Glauben und seine Freundschaft zu Father Dyer (William O’Malley). Somit liegt der Fokus des Films noch stärker auf Regan und Chris, als es im Roman der Fall ist.

Umsetzung
Blatty hatte den Luxus, nicht nur Drehbuchautor, sondern auch Produzent des Films zu sein und somit Regisseurwahl zu haben. Während dem Studio Warner Bros. Kandidaten wie Stanley Kubrick oder Mark Rydell vorschwebten, hatte Blatty William Friedkin im Sinn, da er sich eine naturalistische, fast schon dokumentarische Herangehensweise an seinen Roman wünschte. Erst, nachdem Friedkins Film „The French Connection“ den Oscar als bester Film gewann, konnte das Studio von Blattys Wahl überzeugt werden. Trotz dieses Umstandes kam es immer wieder zu gewissen Reibereien zwischen Regisseur und Drehbuchautor. Wie dem auch sei, die naturalistische Herangehensweise geht als Konzept jedenfalls voll auf – „The Exorcist“ fühlt sich, gerade im ersten Akt, kaum wie ein Horrorfilm, sondern eher ein Drama an. Diese Wahrnehmung wird beispielsweise durch extrem spärlichen Musikeinsatz hervorgerufen. Musik von Lalo Schifrin, der ursprünglich einen Score schreiben sollte, wurde verworfen und schließlich entschied sich Blatty, vor allem auf bereits existierende Musik, primär zeitgenössische Klassik (etwa Krzysztof Penderecki) sowie einige Stücke von Jack Nitzsche zu setzen, die entweder diegetisch sind oder sehr atmosphärisch und kaum auffällig. Selbst das markanteste Stück des Soundtracks, Tubular Bells, geschrieben von Mike Oldfield, findet nur sehr sparsam Verwendung. Anstatt früh mit Schockmomenten zu arbeiten, konzentrieren sich Blatty und Friedkin darauf, die Charaktere zu etablieren, die stets voll geformte Figuren sind, die nachvollziehbar handeln.

Die ersten erschreckenden oder zumindest unbehaglichen Momente des Films sind diesem Ansatz folgend dann auch keine okkulten Vorkommnisse, sondern die sehr realen Behandlungsmethoden, die Regan über sich ergehen lassen muss und Friedkin seinem Publikum schonungslos zumutet. Erst nach und nach wird die Präsenz des Übernatürlichen stärker und beispielsweise durch das kurze Einblenden einer dämonischen Fratze verdeutlicht. Durch diesen langsamen und behutsamen Aufbau wirken die tatsächlichen Schockmomente dann auch umso grauenhafter. Freilich ist „The Exorcist“ in mancher Hinsicht nicht immer gut gealtert, was jedoch weniger an den Effekten oder dem Make-up liegt – gerade Letzteres ist nach wie vor über jeden Zweifel erhaben – sondern an dem Grad der Übersättigung. Wie oft wurden die ikonischen Besessenheits- oder Exorzismus-Szenen in Film parodiert oder in Sketchen auf die Schippe genommen? Aber gerade weil der Film so gute Aufbauarbeit leistet, fällt das bei der Komplettsichtung kaum ins Gewicht. Wie selten diese Akribie geworden ist, zeigt ein aktueller Vergleich. „The Pope’s Exorcist“ (2023) von Julius Avery, mit Russel Crowe als stark fiktionalisierte Version des tatsächlichen vatikanischen Exorzisten Gabriele Amorth, hat mehr oder weniger denselben Plot wie „The Exorcist“, inklusive eines besessenen Kindes und eines erfahrenen Dämonenaustreibers, der einem jüngeren Kollegen zur Seite steht. Das inhaltliche Äquivalent der ersten beiden Akte von „The Exorcist“, potentiell sogar noch mehr, handelt „The Pope’s Exorcist“ in etwa zehn Minuten ab, um statt sauberer Charakterarbeit mehr Spektakel und noch eine zusätzliche Verschwörung zu bieten. Dieser Fehler unterläuft so vielen Nachahmern von Friedkins Film, weshalb „The Exorcist“ nicht nur Begründer, sondern nach wie vor Champion seines Horror-Subgenres ist.

Der Ursprung des Bösen
So genau die Filmadaption Blattys Roman auch folgt, es gibt einen massiven Unterschied, der allerdings erst wirklich beim genauen Vergleich zutage tritt: die Präsenz des Übernatürlichen. Zumindest als Zuschauer kann man im Film irgendwann nicht mehr bestreiten, dass hier tatsächlich etwas geschieht, das eigentlich nicht geschehen dürfte, spätestens dann, wenn Regan ihren Kopf um 180 und später um 360 Grad dreht. Generell ist der Film bzgl. der dämonischen Besessenheit und der übernatürlichen Vorkommnisse sehr viel expliziter. Die meisten Elemente kommen in irgendeiner Form auch im Roman vor, aber weniger extrem. So dreht Regan ihren Kopf unnatürlich weit, aber nicht vollständig, die Telekinese fällt sehr viel subtiler aus und auch beim Ende gibt es einen Unterschied: Im Film sehen wir deutlich, wie der Dämon in Karras‘ Körper springt, seine Haut wird von einer Sekunde auf die andere Aschfahl und seine Augen wechseln die Farbe, dann gelingt es Karras, die Kontrolle zurückzuerlangen und aus dem Fenster zu springen. Im Roman hingegen erleben wir diese Szene aus der Perspektive von Chris – die sich gerade im Nebenzimmer befindet und das Geschehen lediglich hört. Für viele der anderen übernatürlichen Vorkommnisse werden zumindest potentiell naturalistische Erklärungen geliefert, oftmals von Karras selbst. Zusätzlich existiert im Roman ein Buch, das dämonische Besessenheit detailliert beschreibt – und das Karl irgendwann unter Regans Bett findet – über die nötigen Informationen verfügt sie also. Angesichts der extremen Ereignisse wirken diese naturalistischen Erklärungsversuche zwar mitunter recht weit hergeholt, aber dennoch versucht Blatty, die Ambiguität so lange wie möglich aufrecht zu erhalten und kann sich bis zum Schluss nicht völlig von ihr trennen. Im Film dagegen geht sie nicht nur sehr viel früher verloren, viele der theoretischen Erklärungsversuche, etwa besagtes Buch, fehlen ebenfalls.

Was die dämonische Entität selbst angeht, halten sich sowohl Roman als auch Film sehr bedeckt. Inzwischen ist natürlich allzu bekannt, nicht zuletzt durch Sequels und Prequels zu „The Exorcist“, dass es ein Dämon namens Pazuzu ist, der von Regan Besitz ergreift. Pazuzu ist ursprünglich ein Wesen der assyrischen und babylonischen Mythologie, die Verkörperung des Südwestwindes und dort nicht unbedingt ein bösartiger Geist. Der Film nennt diesen Namen jedoch nicht, sondern zeigt am Anfang lediglich eine Statue Pazuzus. Im Roman wird der Name nur einmal erwähnt; Blatty impliziert hier lediglich, dass es sich um diesen Dämon handelt, der in Regan gefahren ist. Sowohl im Roman als auch im Film identifiziert sich der Dämon nie als Pazuzu, stattdessen behauptet die Entität mehrfach, Satan persönlich zu sein. Trotz der erwähnten Ambiguität deutet vor allem der Roman an, dass Merrin und Pazuzu sich bereits zuvor begegnet sind und dass der erfolgreiche Exorzismus, den Merrin viele Jahre zuvor durchgeführt hat, mit ihm zusammenhängt. Dieses Element wird später sowohl in „Exorcist II: The Heretic“ (1977) als auch den beiden Prequels „Exorcist: The Beginning“ (2004) und „Dominion: Prequel to the Exorcist“ (2005) aufgegriffen. Wie diese Filme eindrucksvoll zeigen, funktioniert Pazuzu am besten, wenn er nicht allzu genau definiert wird und ominös bleibt – verknüpft man zu viel „Lore“ mit der Entität, wird sie greif- und fassbar und sehr viel weniger verstörend. Abermals kann hier, neben den Fortsetzungen, „The Pope’s Exorcist“ als negatives Gegenbeispiel herhalten.

„The Exorcist“ ist gerade deshalb so wirkungsvoll, weil die Ereignisse scheinbar aus dem Nichts kommen, es gibt keinen spezifischen Grund, weshalb das alles gerade Regan passiert. Mehr als alles andere erforscht Blatty mit seinem Roman die Theodizeefrage und sucht nach einer Rechtfertigung für das Böse. Dabei wird deutlich, dass Blatty selbst katholisch ist – „The Exorcist“ fühlt sich erfreulicherweise aber nie wie eine Sermon oder eine Belehrung an, stattdessen bemüht sich Blatty, die Theodizeefrage auf diese Weise literarisch zu erforschen und mit seinen eigenen Zweifeln umzugehen. Ähnlich wie Tolkiens Werke wirkt „The Exorcist“ immer authentisch und ehrlich, weshalb es Roman wie Film gelingt, Gläubige wie Nichtgläubige in seinen Bann zu ziehen und zu faszinieren, selbst wenn man Blattys konservativ-katholische Weltsicht nicht teilt. Zudem sollte auch angemerkt werden, dass der eigentliche Exorzismus nicht funktioniert, Pazuzu wird nicht im eigentlichen Sinne ausgetrieben. Stattdessen opfert sich Karras, indem er den Dämon in seinen eigenen Körper einlädt.

Wirkung und Weiterführung
Nachdem sich „The Exorcist“ sowohl in Roman- als auch in Filmform als durchschlagender Erfolg erwies und vor allem die Adaption Schlagzeilen wegen der Wirkung auf das Publikum machte, war eine Fortsetzung nur eine Frage der Zeit. 1977 kam „Exorcist II: The Heretic“ in die Kinos, Linda Blair schlüpfte abermals in die Rolle von Regan MacNeil und Max von Sydow konnte, trotz Bedenken, dazu überredet werden, für einen Flashback noch einmal Father Merrin zu spielen. William Peter Blatty oder William Friedkin hingegen waren nicht beteiligt. Mehr noch, Regisseur John Boorman war kein Fan des ursprünglichen Films, empfand ihn als zu drastisch und wollte dem einen positiveren, psychologischen Thriller entgegensetzen. Das Ergebnis ist ein höchst bizarrer Film, der wenig Sinn ergibt und zurecht als eines der schlechtesten Sequels der Filmgeschichte gilt. Blatty verfasste schließlich eine eigene Fortsetzung in Romanform mit dem Titel „Legion“, erschienen 1983, als dessen Hauptfigur Kinderman fungiert. Einige Jahre später adaptierte Blatty abermals seinen eigenen Roman als Drehbuch und führte dieses Mal sogar selbst Regie, war aber gezwungen, viele Kompromisse einzugehen. So hatte er beispielsweise ursprünglich vorgehabt, den Film ebenfalls mit „Legion“ zu betiteln, das Studio bestand jedoch darauf, ihn „The Exorcist III“ zu nennen. Auch findet sich in der Vorlage kein Exorzismus, Blatty wurde jedoch genötigt, einen in den dritten Akt des Films einzubauen, um so den Titel zu rechtfertigen. Dennoch gilt „The Exorcist III“ als Geheimtipp unter Fans des ersten Films und unter Horror-Fans im Allgemeinen und als einziger dieser inzwischen sechs Filme umfassenden Reihe, der dem Original auch nur ansatzweise das Wasser reichen kann.

Und nicht nur innerhalb der eigenen Filmreihe bleibt „The Exorcist“ ungeschlagen. Im Laufe der Jahrzehnte nahmen sich viele Filmemacher Blattys und Friedkins Werk als Vorbild und drehten ihren eigenen Exorzismus-Film – nur wenigen gelang es allerdings, der Thematik etwas Neues abzuringen oder auch nur an das handwerkliche oder inhaltliche Level des Vorbilds heranzureichen. So wirken die meisten Exorzismus-Filme – ich erwähnte bereits „The Pope’s Exorcist“ – wie ein minderer Abklatsch des Originals. Parodien wie „Repossessed“ (1990), abermals mit Linda Blair in der Rolle der Besessenen, oder die Eröffnungsszene von „Scary Movie 2“ (2001) tun ihr Übriges, ebenso wie die weiter schwindende Qualität des Exorcist-Franchise. Der Versuch, ein Prequel mit Stellan Skarsgård zu drehen, erwies sich als äußerst abenteuerliche Angelegenheit, deren Resultat zwei nicht besonders hochwertige Filme waren, die irgendwann ihren eigenen Artikel bekommen werden. Noch obskurer ist eine aus zwei Staffeln bestehende Fortsetzung in Serienform, ebenfalls „The Exorcist“ betitelt, die von 2016 bis 2017 auf Fox lief und sowohl Pazuzus als auch Regans Rückkehr zeigt – Letztere dieses Mal gespielt von Geena Davis. Die erste Staffel habe ich tatsächlich gesehen, kann mich aber an nicht allzu viel erinnern. Und dann hätten wir schließlich noch „The Exorcist: Believer“, das Blumhouse-Legacy-Sequel von David Gordon Green, das ich noch nicht in Augenschein nehmen konnte, dessen Rezeption allerdings katastrophal ist.

Fazit: „The Exorcist“ ist nicht nur einer der absoluten Klassiker des Horror-Genres, sondern eine der zugleich werkgetreusten und gelungensten Adaptionen eines Romans. Die vielleicht größte Änderung ist die Präsenz des Übernatürlichen, die im Film deutlich stärker und definitiver ausfällt als im Roman. Dies ändert zwar per se nichts an der philosophischen Grundhaltung, sehr wohl aber an der Ausprägung der Themen, mit denen sich Blatty in Buch und Film beschäftigt. Der Zweifel ist im Roman allgegenwärtig, wird im Film jedoch irgendwann ad acta gelegt.

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Art of Adaptation: Die Hexen von Dathomir

Star Wars mag zwar wie Science Fiction aussehen, aber zumindest die Episoden IV bis VI sind in vielerlei Hinsicht eher Fantasy oder gar Märchen und bedienen sich vieler gängiger Archetypen dieses Genres. Ein Archetyp des Märchens, der in der OT allerdings auffällig abwesend ist, ist die Hexe – egal ob gut oder böse, die Hexe gehört mit Sicherheit zu den ersten Figuren, die einem bei dem Stichwort „Märchen“ in den Sinn kommen. Und natürlich kann die weit, weit entfernte Galaxis mit ihrer eigenen Version dieser archetypischen Figur aufwarten. Die Hexen von Dathomir debütierten bereits 1994 in dem Roman „The Courtship of Princess Leia“ von Dave Wolverton, fristeten in den kommenden 16 Jahren allerdings eher ein Schattendasein in den Weiten des „Expanded Universe“. In der dritten Staffel der Animationsserie „Star Wars: The Clone Wars“ wurden die Hexen allerdings in den Fokus gerückt und sind seither einem größeren Publikum bekannt, nicht zuletzt, da sie immer wieder aufgegriffen wurden, u.a. in „Star Wars Rebels“ und, am aktuellesten, in der jüngsten Star-Wars-Live-Action-Serie „Ahsoka“. Die Darstellung der Hexen im aktuellen Disney-Kanon hat mit dem ursprünglichen Konzept von Dave Wolverton allerdings kaum mehr etwas zu tun, ist aber definitiv einen ausführlichen Blick wert. Achtung, es wird nischig.

The Courtship of Princess Leia
Die Star-Wars-Publikationen der 90er lassen sich grob in zwei Kategorien teilen: Viele Autoren folgten dem Beispiel von Timothy Zahns Thrawn-Trilogie und betonten eher die Science-Fiction-Aspekte der Saga, dazu gehört, neben Zahns Romanen, primär die X-Wing-Reihe von Michael Stackpole und Aaron Allston. Andere Werke hingegen legten ihren Fokus eher auf die Fantasy- und Pulp-Elemente, darunter primär die Comics von Tom Veitch wie „Dark Empire“ oder „Tales of the Jedi“, aber eben auch Dave Wolvertons „The Courtship of Princess Leia“. Obwohl Wolverton zu den frühen Autoren dessen, was gerne als das „modernere Expanded Universe“ (beginnend mit der Thrawn-Trilogie in den 90ern) bezeichnet wird, zählt, hat er, gerade im Vergleich zu den oben erwähnten Schreiberlingen, sehr wenig Star-Wars-Prosa verfasst, neben „The Courtship of Princess Leia“ primär einige Kurzgeschichten, Rollenspielabenteuer und Kinderbücher.

Gethzerion_Galaxies
Gethzerion in „Star Wars Galaxies“

Die Handlung von „The Courtship of Princess Leia“ setzt vier Jahre nach „Return of the Jedi“ ein: Die Neue Republik ist bereits etabliert und hat Coruscant eingenommen, das Imperium befindet sich auf dem absteigenden Ast. Großadmiral Thrawns Offensive ist noch gut ein Jahr entfernt, aktuell bereitet ein imperialer Kriegsherr namens Zsinj der noch jungen Neuen Republik die meisten Probleme. Das Hapes-Konsortium, ein matriarchalisch regierter, mächtiger Sternenhaufen, wäre ein idealer Verbündeter. Wie es der Zufall will sucht Isolder, Sohn der Königinmutter Ta’a Chume, gerade nach einer Braut, die anschließend zur neuen Königinmutter des Sternenhaufens werden würde. Isolder hat sich Leia Organa ausgesucht – und diese wird von allen Seiten ermutigt, den Antrag anzunehmen. Han Solo ist darüber freilich überhaupt nicht glücklich, denn wie kann er mit einem Prinzen mithalten? Da gewinnt er beim Sabacc den Planeten Dathomir und entschließt sich, Leia zu entführen, um ihr Herz zurückzugewinnen. Luke Skywalker und Isolder folgen ihnen auf dem Fuß, um die Situation zu klären. Doch niemand von ihnen hat mit den Komplikationen auf Dathomir gerechnet…

Für diese Komplikationen sind freilich, wie könnte es anders sein, die dort ansässigen Hexen verantwortlich. Wolverton zeichnet hier ein relativ komplexes Bild einer matriarchalischen Gesellschaft, in der Männer prinzipiell weniger gelten als Frauen und lädt damit mehr zum Hinterfragen klassischer Geschlechterrollen ein als wahrscheinlich jedes andere Star-Wars-Werk – gerade Prinz Isolder, der die Dathomiri zu Beginn als sehr barbarisch wahrnimmt, muss immer wieder feststellen, dass die Kultur der Hexen der seinen gar nicht so unähnlich ist, auch wenn er seine Heimat nie so wahrgenommen hat. Das aber nur am Rande. Die Hexen von Dathomir organisieren sich in verschiedenen Clans, wobei wir als Leser zusammen mit Luke, Han, Leia, Chewie, Isolder und den Droiden vor allem den Singing Mountain Clan kennenlernen. Die „primäre Hexe“ des Romans ist die Enkelin der Anführerin des Singing Mountain Clans, Teneniel Djo, die zuerst ein Auge auf Luke Skywalker geworfen zu haben scheint, sich dann allerdings für Isolder entscheidet. Mithilfe der Konfrontation zwischen Luke und Tenenjel arbeitet Wolverton effektiv die Unterschiede zwischen den Hexen und den Jedi heraus. Beiden werden hier als Machtnutzer dargestellt, deren Herangehensweise an die Macht jedoch sehr verschieden ist. So benutzen die Hexen Zaubersprüche und Gesänge für Akte, die ein Jedi mit einer bloßen Handbewegung erledigen kann. Wie Luke allerdings feststellt, liegt die Wirkung nicht in den Sprüchen selbst, sie helfen nur, die Macht zu kanalisieren. Ihren Ursprung führen die Hexe auf Allya zurück, die sich als ehemalige Jedi entpuppt, die aus dem Orden ausgeschlossen und nach Dathomir verbannt wurde. Der Planet war bereits zur Zeit der Alten Republik eine Sträflingskolonie und wird auch vom Imperium weiterhin als Gefängnis verwendet. Allya legte die Grundlage für die Gesellschaft der Hexen und verfasste ihr Buch des Gesetzes, das sehr lose auf dem Jedi-Kodex basiert. Das hat zur Folge, dass auch die Hexen ein gewisses Verständnis der Dunklen Seite der Macht haben und das meiden, was sie als „Schattenzauber“ bezeichnen. Hexen, die Schattenzauber anwenden, werden aus ihren Clans ausgeschlossen. Irgendwann haben sich allerdings die ausgeschlossenen Hexen unter Führung der mächtigen Gethzerion zu den „Schwestern der Nacht“ zusammengefunden. Gethzerion ist, wie könnte es auch anders sein, die primäre Schurkin des Romans. In gewissem Sinne formt Wolverton die Nachtschwestern im Allgemeinen und Gethzerion im Speziellen nach dem Vorbild Palpatines, der ja ohnehin schon eine gewisse optische Ähnlichkeit zur Hexengestalt der bösen Königin aus Disneys „Snow White“ aufweist. In diesem Kontext etabliert er, dass die Anwendung der Schattenzauber zu geplatzten Blutgefäßen führt, weshalb eine Nachtschwester sofort auch als solche zu erkennen ist. In vieler Hinsicht entspricht Gethzerion geradezu dem Klischeebild der alten hässlichen Hexe – ein Aspekt, den kaum ein anderes Werk, egal ob Legends oder Kanon, später aufgreifen sollte. Gethzerion und die Ihren, die sich temporär mit Zsinj und dem Restimperium verbünden, werden natürlich in einer finalen Schlacht besiegt und die Nachtschwestern zumindest vorläufig ausgelöscht.

Die Hexen im Expanded Universe
In den 90ern spielten die Hexen von Dathomir abseits von „The Courtship of Princess Leia“ relativ selten eine Rolle in den Werken des Expanded Universe – gerade Autoren wie Timothy Zahn dürften sie doch zu sehr in die Fantasy abdriften, Kevin J. Anderson bediente sich der Hexen in seinen Büchern allerdings hin und wieder. In seiner Jedi-Akademie-Trilogie (bestehend aus den Romanen „Jedi Search“, „Dark Apprentice“ und „Jedi Champions“, alle 1994 erschienen) lässt Anderson eine Hexe aus „The Courtship of Princess Leia“, Kirana Ti, Luke Skywalkers Jedi-Akademie beitreten und zu den zentralen Figuren der Jugendbuchreihe „Young Jed Knights“, die Anderson zusammen mit seiner Frau Rebecca Moesta verfasste, gehören neben Han und Leias Zwillingen Jacen und Jaina sowie Chewies machtbegabtem Neffen Lowbacca auch Tenel Ka, die Tochter von Teneniel Djo und Isolder. Zudem entsteht in besagter Jugendbuchreihe eine neue Inkarnation der Nachtschwestern, angeführt von einer Hexe namens Tamith Kai, die sich mit dem dunklen Jedi Brakiss und einer weiteren Fraktion von Restimperialen verbündet.

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Mighella, gezeichnet von Jan Duursema

Nachdem „The Phantom Menace“ 1999 eine neue Ära eröffnete, unternahmen die EU-Autoren Bemühungen, diese mit den bisherigen Veröffentlichungen zu verknüpfen – damit einher ging das Debüt der Dathomir-Hexen in der Prequel-Ära. Interessanterweise hatte „The Phantom Menace“ einen recht großen Einfluss auf die Hexen, und das, obwohl diese gar nicht im Film auftauchen. Eines der Konzepte für die Figur, die später zu Darth Maul werden sollte, bestimmte das Design der Hexen nachhaltig. Besagtes Konzept mit dem Namen „Sith Witch“ stammt von Ian McCaig und wurde in letzter Konsequenz als zu furchteinflößend empfunden. Bei der ersten tatsächlich auftauchenden Hexe der Prequel-Ära handelt es sich um eine gewisse Mighella, die in der Comic-Miniserie „Darth Maul“ von Ron Marz und Jan Duursema als Bodyguard des Verbrecherbosses Alexy Garyn fungiert. Hier finden bereits die ersten Retcons statt, da Wolverton in „The Courtship of Princess Leia“ die Isolierung Dathomirs von der restlichen Galaxis als ziemlich absolut darstellt. Dass eine Nachtschwester als Bodyguard eines intergalaktisch tätigen Gangsters fungiert, passt da nicht ganz zusammen. Zudem scheint Mighella über die Sith Bescheid zu wissen. Zudem attackiert sie Maul nicht mit einem für die Hexen typischen Angriff, sondern mit „gewöhnlichen“ Machtblitzen. Bereits hier lässt sich ein gewisser Trend feststellen, der sich in kommenden Werken fortsetzen sollte: Die Hexen werden vieler besonderer bzw. kultureller Eigenheiten, die Wolverton ihnen verpasste, beraubt und gewissermaßen standardisiert.

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Zalem, gezeichnet von Ramón F. Bachs

Ein Paradebeispiel für diesen „Standardisierungsprozess“ ist ihr Auftritt in „Infinity’s End“, geschrieben von Pat Mills und gezeichnet von Ramón F. Bachs. Hierbei handelt es sich um einen vierteiligen Handlungsbogen der 1998 gestarteten Serie „Star Wars Republic“ (bis Ausgabe 44 einfach nur „Star Wars“), zuerst veröffentlicht in den Heften 23 bis 26. Im Rahmen dieses Handlungsbogens stellt der Jedi Quinlan Vos Ermittlungen an: Der Planet Ova ist einfach verschwunden. Die Spur führt nach Dathomir, wo die Schwestern der Nacht üble Machenschaften hegen. Um ihren Geheimnissen auf den Grund zu gehen, gibt sich Vos als Sklave aus und infiltriert die Hexen. Der Clan wird hier nicht von Gethzerion angeführt, sondern von einer mächtigen Hexe namens Zalem, die visuell ziemlich genau dem Sith-Hexen-Design von McCaig entspricht. Die restlichen Hexen greifen Elemente dieser Ästhetik auf, scheinen aber viel eher die Antwort auf die Frage zu sein: „Was wäre, wenn die Sith auf BDSM stehen würden?“ Das bedeutet im Klartext: Viel Leder und hautenge Corsagen – von der Idee, dass die Anwendung der Schattenmagie zu geplatzten Adern und generell zur Unansehnlichkeit führt, ist hier, bis auf eine sehr fahle Hautfarbe, nichts mehr geblieben, stattdessen wirken die Hexen allesamt wie Dominas. Zudem sind sie deutlich ambitionierter geworden, denn Zalem geht es um nichts weniger als die Vernichtung der Jedi – auch in dieser Hinsicht scheinen die Nachtschwestern hier eher als matriarchalisches Substitut für die Sith denn als eigene Gruppierung zu fungieren. Die interessanteste Figur von „Infinity’s End“ ist Ros Lai, die Tochter von Zalem, die ihre Mutter schließlich tötet und zur zentralen Antagonistin wird. In der Geschichte wird sie als ziemlich mächtige Hexe aufgebaut, überlebt und wird nach Coruscant gebracht, was impliziert, dass sie in späteren Geschichten auftauchen sollte. Allerdings verschwindet Ros Lai nach „Infinity’s End“, bis auf ein, zwei Erwähnungen, quasi sang- und klanglos aus dem EU.

Allgemein verfügten die Hexen von Dathomir nach „Infinity’s End“ erst einmal über keine allzu große Präsenz im Expanded Universe. Erwähnenswert ist allerdings „An Empire Diveded“, ein Add-on des ersten Star-Wars-Onlinenrollenspiels „Star Wars Galaxies“, in welchem Gethzerion auftaucht und auch zum ersten Mal visuell dargestellt wird. Zum anderen wäre da „Ewoks: The Battle for Endor“ (1985), der zweite der beiden Ewok-TV-Spin-off-Filme, die selbst innerhalb der Legends-Kontinuität über einen eher wackeligen Kanon-Status verfügen. Wie dem auch sei, die dort auftauchende Hexenfigur Charal, gespielt von Siân Phillips, wurde per Retcon zur Nachtschwester erklärt und tauchte schließlich ebenfalls in „An Empire Divided“ auf. Zudem ist es natürlich eine amüsante Anekdote biblischen Ausmaßes, dass auch Star Wars über eine „Hexe von Endor“ verfügt.

Die Hexen in „The Clone Wars”
2008 startete „Star Wars: The Clone Wars” und wirbelte das gesamte Expanded Universe kräftig durcheinander. Nicht nur wurde die bis zu diesem Zeitpunkt sehr gut ausgearbeitete Timeline des Konflikts ad acta gelegt, auch auf konzeptioneller Ebene nahmen Dave Filoni und George Lucas einige Veränderungen vor. Dabei zögerten sie nicht, sich bei EU-Elementen zu bedienen, ebenso wenig zögerten sie aber, diese nach Gutdünken an ihre Vorstellungen anzupassen. Oftmals lässt sich dabei eine „Reduzierung auf das Offensichtlichste“ feststellen. Ein Idealbeispiel ist das Verbrechersyndikat Black Sun, das sein Debüt in Steve Perrys Roman „Shadows of the Empire“ (1996) und dem dazugehörigen Multimediaprojekt feierte. In besagtem Roman fungiert ein Faleen, Prinz Xizor, als Anführer der Organisation. Wie also setzen Filoni und Lucas Black Sun in „The Clone Wars“ um? Sie zeigen ein ausschließlich aus Faleen bestehendes Syndikat. In der dritten Staffel, beginnend mit der Episode „Nightsisters“, nahm man sich nun auch die Hexen von Dathomir vor und verfuhr ganz ähnlich mit ihnen. Von Dave Wolvertons Nachtschwestern ist kaum mehr etwas geblieben, während die anderen Clans völlig verschwunden sind. Wenn überhaupt fungierte „Infinity’s End“ als primäre Inspiration für die Clone-Wars-Inkarnation der Hexen – in jedem Fall nahm man sich McCaigs Sith-Hexen-Design noch einmal vor, denn Talzin, die neue Anführerin der Hexen, scheint ebenfalls auf diesem Entwurf zu basieren. Auch sonst knüpft „The Clone Wars“ an die Optik aus „Infinity’s End“ an, auch wenn der Domina-Faktor deutlich zurückgefahren wird. Die genaue Form der Künste, die die Hexen anwenden, wird zudem recht nebulös – wortwörtlich, denn Hexenmagie wird nun in Form von grünem Gewaber dargestellt (der Fachbegriff lautet „Ichor“). Während Wolverton relativ eindeutig klarstellte, dass es sich lediglich um einen anderen Zugang zur Macht handelt, scheint die „Magick“ der Hexen zwar irgendwie auf die Macht zurückzugehen, zugleich können die Nachtschwestern, speziell Talzin, damit allerdings Dinge vollbringen, die nicht so recht ins bisherige Korsett passen wollen. Nicht, dass es im Expanded Universe nicht zumindest bis zu einem gewissen Grad ähnliche Präzedenzfälle gegeben hätte – Stichwort: Sith-Zauberei – aber die „magischen Künste“ Talzins wirken doch recht extrem. Die Hexenmagie bewirkt hier im Grunde immer genau das, was der Plot gerade benötigt – und sei es die Herstellung neuer, mechanischer Beine für Maul.

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Ian McCaigs Hexen-Design

Ein weiterer Aspekt der TCW-Hexen, der mir mitunter sauer aufstößt, von der Verwerfung des ursprünglichen Konzepts einmal abgesehen, ist der Umstand, dass Filoni und Lucas alle möglichen Handlungselemente mit ihnen in einen Topf werfen. Zuvor hatten die Figuren Asajj Ventress und Darth Maul nichts mit den Hexen zu tun, nun stammen beide plötzlich von Dathomir und, mehr noch, zusätzlich zu den Nachtschwestern gibt es nun auch Nachtbrüder, bei denen es sich allesamt um Zabrak handelt. Gemessen daran, dass sich die Handlung von Star Wars als Franchise in einer ganzen Galaxis abspielt, laufen sich ohnehin schon viel zu oft dieselben Leute über den Weg (meistens auf Tatooine), aber auf diese Weise Figuren miteinander zu verknüpfen lässt die Galaxis noch unnötig mehr wie ein Dorf wirken, in dem jeder mit jedem verwandt ist.

Bevor Disney Lucasfilm 2012 aufkaufte, unternahmen EU-Autoren durchaus noch gewisse Bemühungen, die Änderungen und Retcons mit dem bisherigen Material in Einklang zu bringen. Ein Beispiel hierfür ist „Book of Sith: Secrets from the Dark Side“, eine Sammlung diegetischer Texte, verfasst von Daniel Wallace. Im „Book of Sith“ findet sich unter anderem ein Manifest von Mutter Talzin mit dem Titel „Wild Power“, das die TCW-Nachtschwestern etwas stärker mit der bisherigen EU-Inkarnation verknüpft, etwa durch die Erwähnung von Allya oder Zalem. Zudem werden die Hexen auch mit den Mortis-Göttern in Verbindung gebracht, den Sohn und die Tochter verehren die Nachtschwestern hier als die „geflügelte Göttin“ und den „reißenden Gott“, während sie mit dem Vater als der Verkörperung der Balance anscheinend allerdings nichts anfangen können. Auch andere Autoren waren gezwungen, sich mit diesen Retcons zu beschäftigen. In „Darth Plagueis“ deckt James Luceno praktisch Darth Sidious‘ Leben von seiner Initiierung als Sith-Lord bis zum Ende von „The Phantom Menace“ komplett ab – und damit natürlich auch Darth Maul. Interessant ist in diesem Kontext, dass sich die Szene, in der Sidious Maul auf Dathomir „erwirbt“ auf ein absolutes Minimum beschränkt – wie es scheint war Luceno nicht besonders begeistert davon, die TCW-Inhalte integrieren zu müssen.

Wie dem auch sei, zumindest in gewisser Weise beendet „The Clone Wars“ auch gleich die Existenz der Nachtschwestern als Fraktion von Bedeutung im Gefüge der galaktischen Politik. Um nun auf die eigentliche Handlung des sog. „Nightsister-Arcs“ der Serie einzugehen: Da Count Dookus Attentäterin Asajj Ventress langsam äußerst mächtig wird, wächst Darth Sidious‘ Misstrauen – er befürchtet, Dooku können versuchen, mit Ventress‘ Hilfe seine eigene Stellung zu usurpieren, weshalb er seinem Schüler befiehlt, Ventress zu beseitigen. Diese überlebt und kehrt nach Dathomir zurück, wo sie mit Mutter Talzin einen Racheplan schmiedet, um Dooku zu vernichten. Teil dieses Plans ist ein neuer Schüler für den Count; nach einem absichtlich misslungenen Attentat auf den Separatistenführer, bei dem sich Nachtschwestern als Jedi ausgeben, wendet sich Dooku an Talzin, um ein neues, machtbegabtes Werkzeug zu bekommen. Und Talzin liefert, in Form von Darth Mauls Bruder Savage Opress, der per Hexen-Magie in eine schier unaufhaltsame Killermaschine verwandelt und anschließend von Dooku trainiert wird. Der Plan sieht vor, dass Opress sich im richtigen Moment mit Ventress gegen Dooku verbündet, was zuerst zu funktionieren scheint – bis sich Opress sowohl gegen Dooku als auch Ventress wendet. Nach dem Kampf, den alle zwar nicht unbeschadet, aber doch lebendig überstehen, schickt Talzin Opress auf die Suche nach dem eigentlichen Werkzeug ihrer Rache: Maul, nicht ganz so tot wie zuvor von allen angenommen wurde. Dooku lässt dieses Attentat allerdings nicht auf sich sitzen und attackiert Dathomir. Der geballten Macht General Grievous‘ und der Separatistenstreitmacht haben die Hexen wenig entgegenzusetzen. Talzin überlebt allerdings, um hin und wieder Ärger zu machen. In der vierteiligen Comic-Miniserie „Darth Maul: Son of Dathomir“, basierend auf nicht umgesetzten Drehbüchern für „The Clone Wars“, wird schließlich enthüllt, dass es früher ein Bündnis zwischen Talzin und Darth Sidious gab und dieser temporär vorhatte, sie zu seiner Schülerin zu machen. Stattdessen brachte er allerdings Maul, ihren Sohn, an sich, weshalb Talzin seither auf Rache aus ist. In dieser Miniserie findet die Hexe nach einer finalen Auseinandersetzung mit dem Sith-Lord schließlich auch ihren Tod.

Die Hexen im Disney-Kanon
Bedingt durch den Umstand, dass der Großteil der Hexen in „The Clone Wars“ bereits vernichtet wird, spielen sie in den späteren Disney-Werken eine eher untergeordnete Rolle. „Star Wars Rebels“ setzt sich immer wieder mit Handlungsversatzstücken von „The Clone Wars“ auseinander; zusammen mit Maul kommt auch Dathomir vor, das zu diesem Zeitpunkt allerdings relativ frei von Hexen, nicht aber von den Überresten ihrer Machenschaften ist. Mit Merrin taucht in „Jedi: Fallen Order“ eine Überlebende von Grievous‘ Massaker auf, die in besagtem Spiel eine durchaus markante Rolle spielt. Interessanterweise werden zudem immer wieder Versatzstücke der alten EU-Hexen in den neuen Kanon integriert: In „The Book of Boba Fett“ wird beispielsweise erklärt, dass die Rancors, wie von Dave Wolverton beschrieben, auch in der Disney-Kontinuität von Dathomir stammen und dort von Hexen abgerichtet werden – ein Element, das in „The Clone Wars“ bislang keine Rolle spielte.

Mit der im Oktober 2023 beendeten Disney-Plus-Serie „Ahsoka“ (bislang eine Miniserie, allerdings ist es sehr gut möglich, dass die Handlung in einer zweiten Staffel fortgeführt wird) eröffnet sich nun allerdings ein neuer Blick auf die Hexen, der sie potentiell als prominente Gegner in der Post-Endor-Ära des Disney-Kanons etabliert und sie noch einmal rekontextualisiert. Bereits in der zweiten Staffel von „The Mandalorian“ feierte Morgan Elsbeth ihr Debüt, in „Ahsoka“ enthüllt Dave Filoni, primärer kreativer Kopf hinter der Serie nun, dass es sich bei ihr um eine weitere Überlebende des Nachtschwesternmassakers handelt. Morgan Elsbeth versucht mithilfe der dunklen Jedi Baylan Skoll und Shin Hati, den in „Star Wars Rebels“ verschollenen Großadmiral Thrawn zu finden. Besagten Großadmiral hat es tatsächlich in eine andere Galaxie verschlagen – auf dem Planeten Peridea harrt er seiner Rettung, allerdings nicht alleine, denn mit ihm sind dort drei Hexen gefangen, die „Great Mothers“, Klothow, Aktropaw, und Lakesis, deren Namen sich an denen der drei Schicksalsgöttinen Clotho, Atropos, und Lachesis aus der griechischen Mythologie orientieren. Visuell und inszenatorisch lassen sich viele Gemeinsamkeiten mit Talzin feststellen, vom Titel „Mother“ über die roten Gewänder bis hin zum Sprachduktus. Die ganze Angelegenheit hat allerdings noch deutlich weiterreichende Implikationen, denn dadurch wird mehr oder weniger etabliert, dass die Hexen einen extragalaktischen Ursprung haben. „Ahsoka“ deutet viel an und gibt wenig handfeste Informationen, so spricht Baylan Skoll etwa vom „Witch Kingdom of the Dathomiri“ und wir sehen auf Peridea einige Ruinen, nicht zuletzt verwitterte Statuen der Mortis-Götter, wobei die Tochter kopflos ist. Wie schon im „Book of Sith“ wird somit eine Verknüpfung zwischen den Hexen den Mortis-Göttern hergestellt, die in zukünftigen Serien mit Sicherheit noch erforscht wird. Einmal mehr laden die vielen Andeutungen in „Ahsoka“ zu eifrigen Spekulationen im Fandom ein: Hat Abeloth, eine aus dem alten EU stammende und mit den Mortis-Göttern verknüpfte Entität etwas mit der Flucht der Hexen von Peridea zu tun? Ist die Magie der Hexen vielleicht die Art und Weise, wie sich die Macht in dieser Galaxie manifestiert?

Fazit
Die Hexen von Dathomir haben sich seit ihren bescheidenen Anfängen in „The Courtship of Princess Leia“ massiv verändert und entwickelt, nicht zuletzt bedingt durch ihre Adaption in visuellen Medien und leider nicht unbedingt positiv. Es wäre nur allzu leicht, „Star Wars: The Clone Wars“ als absoluten Wendepunkt in der Entwicklung der Hexen zu benennen, in meinen Augen ist das aber nicht völlig korrekt. Während „The Clone Wars“ zweifellos ein essentieller Wendepunkt ist, lassen sich bestimmte Tendenzen, primär die Reduzierung der Hexen auf die Nachtschwestern und die visuelle Gestaltung, bereits zuvor feststellen, primär in „Infinity’s End“ welches, da bin ich überzeugt, als primäre Inspiration für Dave Filonis Interpretation der Hexen diente, während „The Courtship of Princess Leia“ wahrscheinlich keine Rolle spielte. Während die Hexen nun durch „Ahsoka“ das Potential haben, in Zukunft wieder ein wichtiger Faktor im Gefüge des Star-Wars-Universum zu werden, wird ihr Ursprung in Dave Wolvertons Roman immer mehr zu einer eher obskuren Fußnote in der Geschichte der weit, weit entfernten Galaxis – was verdammt schade ist, denn in meinen Augen ist Wolvertons Version der Hexen nach wie vor die komplexeste und interessanteste.

Bildquelle Gethzerion
Bildquelle Mighella
Bildquelle Zalem
Bildquelle Sith Witch

Siehe auch:
Star Wars: The Clone Wars
Darth Plagueis
Darth Maul
Darth Maul: Son of Dathomir

Emissaries to Malastare

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Star Wars ist ebenso berühmt wie berüchtigt dafür, kleine Elemente aus den Filmen zu nehmen und sie ausführlich darzustellen. Boba Fett ist eine recht unwichtige Nebenfigur in Episode V und VI, hat aber eine Myriade an Comics, Romanen, Kurzgeschichten etc. Die Kopfgeldjägerin Aurra Sing taucht nur einmal kurz in „The Phantom Menace“ auf, wird aber in diversen Comics zur wiederkehrenden Widersacherin der Jedi. Selbst in der Disney-Ära geht diese Tendenz weiter, so kann man mit Fug und Recht behaupten, dass es sich bei „Rogue One“ um die Verfilmung des Lauftexts von „A New Hope“ handelt. Der dritte Handlungsstrang der Comicserie „Star Wars Republic“, „Emissaries to Malastare“ (enthalten in den Ausgaben 13 bis 18) ist ein weiteres Idealbeispiel für diese Tendenz, und das in mehr als einer Hinsicht. Schon der Handlungsort, Malastare, wurde in „The Phantom Menace“ mehrfach erwähnt, primär im Kontext der Podrennen. Aber auch diverse Spezies der weit, weit entfernten Galaxis werden hier zumindest in Ansätzen beleuchtet.

Wie schon „Outlander“, der vorherige Handlungsstrang der Republic-Serie, ist auch dieses Mal Timothy Truman für Text und Dialoge verantwortlich. Dementsprechend verwundert es kaum, dass die Handlung ziemlich genau dort ansetzt, wo „Outlander“ endete: Nach Sharad Hetts Tod ist sein Sohn A’Sharad nun der neue Padawan von Ki-Adi-Mundi. Nach einer Prüfung begeben sich Schüler und Meister zusammen mit einer Reihe Mitglieder des Hohen Rats der Jedi, darunter Mace Windu, Yaddle, Adi Gallia, Plo Koon und Even Piell nach Malastare, um in einer diplomatischen Angelegenheit zu vermitteln. Obwohl „Emissaries to Malastare“ mit Ki-Adi-Mundi anfängt, ist der cereanische Jedi weit weniger im Fokus als es noch bei „Prelude to Rebellion“ und „Outlander“ der Fall war – tatsächlich ist es schwierig, einen eindeutigen, zentralen Protagonisten dieser Geschichte auszumachen. Für meinen Geschmack sind hier tatsächlich deutlich zu viele Jedi beteiligt, was dafür sorgt, dass die Figuren größtenteils ziemlich austauschbar sind und keine die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient. Wo Truman in „Outlander“ eine sehr stringente Handlung vorlegte, ist „Emissaries to Malastare“ fürchterlich zerfasert – das geht so weit, dass die beiden letzten Ausgaben des Handlungsstrangs nicht einmal mehr auf Malastare spielen. Es wirkt, als habe Truman versucht, möglichst viele Elemente aus allen Ecken der Filme und des Expanded Universe auf Teufel komm raus in dieser Geschichte unterzubringen. Das geht bereits mit A’Sharad Hetts Prüfung los, die von An’ya Kuro, der „dunklen Frau“ durchgeführt wird, die einst Ki-Adi-Mundi zum Jedi-Tempel brachte und sich später in der Geschichte „Extinction“ mit Darth Vader duellieren sollte. Auf Malastare greift Truman natürlich die von Qui-Gon erwähnten Podrennen auf. Das hier gezeigte Phoebos-Rennen trägt wenig zur eigentlichen Handlung bei, bringt aber einige alte Bekannte aus „The Phantom Menace“ zurück, primär natürlich jedermanns Lieblings-Dug Sebulba. Der Umstand, dass der Kommentator auf Malastare auch noch dasselbe zweiköpfige Alien wie beim Boonta Eve Classic ist, ist dann definitiv zu viel Fanservice. Für alle Neugierigen, er bzw. sie tragen den Namen Fodesinbeed Annodue. Selbst so obskure Elemente wie der Orden der Ffib, erstmals erwähnt in der Kurzgeschichte „A Barve Like That: The Tale of Boba Fett“, darf hier einen kleinen Auftritt absolvieren.

Der eigentlich politische Konflikt der Geschichte bleibt hingegen merkwürdig nebulös und hat auch nur bedingt etwas mit Malastare zu tun – der Planet fungiert primär als Austragungsort. Stattdessen geht es um eine Auseinandersetzung auf dem Planeten Lannik, der Heimatwelt des Jedi-Meisters und Ratsmitglieds Even Piell. Vermittlungen sind nötig zwischen der Regierung des Planeten und einer Terrorgruppe namens Red Iaro. Diese Verhandlungen, angereichert durch diverse Intrigen und Attentate, ziehen sich über die ersten vier Ausgaben des Handlungsstrangs hin, ohne jemals wirklich interessant zu werden. Danach geht die Geschichte abrupt in eine andere Richtung, als die Jedi entdecken, dass Red Iaro Akk-Hunde, eine enorm gefährliche Spezies von Mace Windus Heimatwelt Haruun Kal einsetzt. In den letzten beiden Heften des Handlungsstrangs folgen wir dann also stattdessen Mace Windu und seiner ehemaligen Padawan-Schülerin Depa Billaba, die auf Nar Shaddaa, dem berühmt-berüchtigten Schmugglermond, bzgl. des Akk-Hund-Schmuggels ermitteln – inklusive völlig neuer Widersacher und ohne alle anderen Protagonisten, die bislang Teil der Geschichte waren. Tatsächlich bereiten diese beiden Hefte den nächsten Republic-Handlungsstrang „Twilight“ vor – inklusive eines kurzen Gastauftritts des neuen Protagonisten Quinlan Vos. Im Kontext von „Emissaries to Malastare“ wirkt dieser Teil der Geschichte jedoch völlig separiert von der eigentlichen Haupthandlung.

Gerade das politische Geschehen auf Malastare, von dem Konflikt der Lannik bis hin zu den Intrigen der Gran-Senatoren Aks Moe Ainlee Teem und der Unterdrückung der Dugs, könnte interessant sein, wäre man nicht so damit beschäftigt, Cameos und die Vorbereitung von „Twilight“ hier unterzubringen. Vielleicht hätte sich James Luceno, Meister des Star-Wars-Politthrillers (siehe „Cloak of Deception“ und „Darth Plagueis“) dieser Geschichte annehmen sollen. So, wie dieser Handlungsstrang ist, funktioniert er aber einfach nicht, nicht als Fortsetzung der Geschichte von Ki-Adi-Mundi und A’Sharad Hett, dafür bleibt die Charakterarbeit zu oberflächlich, nicht als Politthriller und auch nicht unbedingt als Prolog für „Twilight“. Visuell ist „Emissaries to Malastare“ eher konventionell gehalten. Drei Zeichner sind an diesem Werk beteiligt, Tom Lyle, John Nadeau und meine SW-Lieblingszeichnerin Jan Duursema, die hier allerdings noch nicht so sehr hervorsticht, wie es bei späteren Werken der Fall ist. Die zeichnerische Arbeit ist funktional, aber selten mehr. Zudem wirken einige graphische Entscheidungen etwas merkwürdig – hierzu gehört unter anderem die Darstellung der Lichtschwertklingen (die, wie in allen Prä-Episode-II-Comics, noch in allen Regenbogenfarben auftauchen) und die Entfernung der typischen Tusken-Bandagen von A’Sharad Hett, sodass der arme Junge nun eine recht merkwürdige Lederkappe trägt.

Wie bei so vielen Werken aus dieser Ära ist der Kontrast zu später kommenden Romanen, Comics und Serien einer der interessantesten Aspekte. Zu Beginn findet sich eine Szene, in der sich Anakin Skywalker mit A’Sharad Hett anfreundet – immerhin stammen beide von Tatooine. Angesichts von Anakins späterer Einstellung zu den Tusken entbehrt das nicht einer gewissen Ironie. Auf die Lichtschwertfarben bin ich bereits an anderer Stelle eingegangen, aber auch die Separierung der Jedi von ihren Familien ist hier noch weniger stark ausgeprägt, als dies nach „Attack of the Clones“ sein sollte. Sowohl Even Piell aus auch Adi Gallia fühlen sich ihrem familiären Vermächtnis durchaus verpflichtet. Und schließlich hätten wir noch Jedi-Meisterin Yaddle, die in dieser Zeit dasselbe Sprachmuster wie Yoda aufweist (Truman übertreibt es diesbezüglich ein wenig). Im Kontrast dazu spricht Yaddle bei ihrem größten Auftritt im Disney-Kanon im Rahmen der Animationsserie „Tales of the Jedi“ (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Comicserie aus den 90ern) völlig normal.

Fazit: Im Gegensatz zum sehr gelungenen „Outlander“ ist die Quasi-Fortsetzung „Emissaries to Malastare“ eine sehr unausgegorene Angelegenheit, die zwei einige interessante Ansätze beinhaltet, aber in jeder Hinsicht oberflächlich bleibt und sich viel zu sehr darauf konzentriert, Cameos bekannter Figuren unterzubringen und kommende Storys vorzubereiten.

Bildquelle

Siehe auch:
Prelude to Rebellion
Outlander
Darth Maul
Jange Fett: Open Season
Darth Plagueis

Blood for Dracula

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Story: Um zu überlebend, benötigt Graf Dracula (Udo Kier) das Blut von Jungfrauen – unglücklicherweise werden diese in den 1920ern immer rarer. Aus diesem Grund veranlasst Anton (Arno Juerging), der treue Diener des Grafen, die Umsiedelung nach Italien, da er der Meinung ist, in dem streng katholischen Land fände man deutlich mehr Jungfrauen. In Italien werden Dracula und Anton von der adeligen, aber verarmten Familie di Fiore aufgenommen. Das Ehepaar (Vittorio de Sica und Maxime McKendry) hat vier Töchter, Esmeralda (Milena Vukotic), Saphiria (Dominique Darel), Rubinia (Stefania Casini) und Perla (Silvia Dionisio). Während Esmeralda und Perla tatsächlich noch Jungfrauen sind, haben Saphiria und Rubinia ein Verhältnis mit dem kommunistischen Familiendiener Mario (Joe Dallesandro). Dracula muss nun herausfinden, welches der Mädchen ihm dabei helfen kann, dem Tod zu entgehen…

Kritik: „Blood for Dracula“ (1974) ist ein weiterer Dracula-Film aus den 70ern – und einer der merkwürdigsten überhaupt. Während die meisten nicht von den Hammer Studios produzierten Dracula-Filme dieser Dekade, sei es Werner Herzogs Nosferatu-Remake, Jess Francos angeblich vorlagengetreue Leinwandversion mit Christopher Lee, Universals Neuverfilmung des klassischen Theaterstücks oder die TV-Umsetzung mit Jack Palance, zumindest in Ansätzen Stokers Roman adaptieren, entschied man sich bei „Blood for Dracula“ für einen völlig anderen Ansatz. Die Merkwürdigkeiten beginnen bereits beim Marketing. Für diesen Film, bei dem Paul Morrissey sowohl das Drehbuch schrieb als auch Regie führte, wurde nur allzu häufig Andy Warhols Name bemüht – in vielen Ländern trug er gar den Titel „Andy Warhol’s Dracula“, obwohl die Kunstikone wirklich kaum etwas mit diesem Film zu tun hatte. Stattdessen ist er Teil einer Dilogie, in deren Rahmen Morrissey sich zweier Ikonen der Horror-Literatur bzw. des Horror-Films annahm und sie in seinem Sinne interpretierte. Noch vor Dracula nahm sich Morrissey in „Flesh for Frankenstein“ bzw. „Andy Warhol’s Frankenstein“ 1973 Mary Shelleys Werk vor – mehr oder weniger. Neben Morrissey als Regisseur wirken in beiden Filmen die Darsteller Udo Kier und Joe Dallesandro mit.

Wollte man unbedingt eine inhaltliche Parallele zwischen „Blood for Dracula“ und Stokers Roman ausmachen, wäre es wohl der grundsätzliche Plot: In beiden Werken verlässt Dracula seine Heimat, um in einem anderen Land an frisches Blut zu kommen. Das war es dann allerdings auch schon wieder, ein weiteres Mal finden sich hier keine Bezüge zu Stoker, stattdessen ist Dracula einfach der Vampir-Archetyp. Zugleich invertiert Morrissey diesen Archetyp allerdings mit Freuden. Udo Kier ist weit davon entfernt, ein enigmatischer oder gar bedrohlicher Vampir zu sein. Visuell orientiert man sich grob an Bela Lugosi: Glattes, schwarzes Haar, dunkle, noble Kleidung (teilweise mit Cape) und kein Schnurrbart. Anders als fast jede andere Inkarnation der Figur pfeift dieser Dracula, salopp gesagt, aus dem letzten Loch und bringt allein kaum etwas zustande. Mehr noch als sonst wird der Vampirismus als Krankheit dargestellt. Der Blutdurst steht im Fokus und ist intensiviert – wenn es nicht von Jungfrauen ist, nährt es nicht und führt dazu, dass Dracula es minutenlang wieder auskotzt, was Morrissey seinen Zuschauern genüsslich und in aller Ausführlichkeit zeigt. Die anderen typischen Schwächen hingegen sind abgemildert – eine Abneigung gegen heilige Symbole sowie Sonnenlicht wird zwar gezeigt, beides ist aber eher lästig denn tödlich. Udo Kiers Dracula verfügt allerdings auch nicht über die typischen vampirischen Stärken, keine erhöhte Körperkraft oder Schnelligkeit und schon gar nicht die Fähigkeit, Tiere zu kontrollieren oder sich in eine Fledermaus zu verwandeln.

Überhaupt geht die Initiative weder von Dracula, noch von seinen potentiellen Opfern aus, sondern von den beiden jeweiligen Bediensteten: Es ist Anton, der Dracula dazu bringt, sich nach Italien zu begeben, es ist Anton, der die di Fiores als Gastgeber/Opfer auswählt und es ist Anton, der generell Dinge erledigt, während der Graf sich würgend auf seinem Bett herumwälzt. WARUM er es tut und weshalb er seinem Herrn ein so treuer Diener ist, erfahren wir interessanterweise nie. Genauso ist es Mario, der als einziger herausfindet, was der Graf ist und der ihn letztendlich zur Strecke bringt. „Blood for Dracula“ ist in diesem Kontext ein höchst politischer, wenn auch nicht unbedingt subtiler Film. Morrissey selbst sympathisierte stark mit den sozialistischen Ansichten, die Mario immer wieder ausdrückt. Zugleich waren ihm die libertinistischen Tendenzen der Bewegung allerdings zuwider – auch dieser Umstand zeigt sich in Mario, der zwar in der Theorie der „Held“ des Films ist, in der Praxis aber ein großmäuliges Arschloch und, schlimmer noch, ein Vergewaltiger. Schon seine Beziehung zu den beiden Schwestern Saphiria und Rubinia ist bestenfalls sehr problematisch und Perla wird ganz eindeutig von ihm vergewaltigt, um sie vor Dracula zu „schützen“. Im Gegensatz dazu wirkt der Graf beinahe schon sympathisch; Morrissey versucht, der Figur eine ähnliche Melancholie zu verpassen wie Werner Herzog und Klaus Kinski es einige Jahre später in „Nosferatu: Phantom der Nacht“ tun sollten. Am besten gelingt ihm das in der einnehmenden Eröffnungsszene, in welcher sich der Graf schminkt und die grauen Haare schwarz färbt.

„Blood for Dracula“ fehlt alles in allem durchaus nicht an einigen interessanten Ansätzen, auch wenn diese nichts mit Stoker zu tun haben und mitunter bedenklich sind. Primär problematisch ist die Umsetzung. Die Darsteller, allen voran Udo Kier und Arno Juerging, spielen wirklich sehr überdreht und glubschäugig, während die meisten Szenen mit Dominique Darel und Stefania Casini zu existieren scheinen, um die Brüste der Darstellerinnen zu zeigen. Generell gehen alle interessanten Ansätze, seien es der politische Kommentar oder die Genre-Invertierung, unter in Morrisseys Verlangen, sein Publikum zu ekeln oder zu erregen – dass er mitunter beides gleichzeitig versucht, ist da ebenfalls ziemlich kontraproduktiv. Die sehr fragwürdigen Dialoge helfen diesbezüglich auch nicht. „Blood for Dracula“ haftet etwas sehr trashiges an, und soweit ich weiß genießt der Film in gewissen Kreisen auch durchaus einen guten Ruf, mir persönlich fällt es allerdings sehr schwer, „Blood for Dracula“ in irgendeiner Art und Weise zu genießen. Selbst das völlig überdrehte, an „Monty Python an the Holy Grail“ erinnernde Finale ist da nicht hilfreich.

Fazit: „Blood for Dracula“ ist ein Vampir-Film, den man definitiv überspringen kann, es sei denn, man ist Komplettist oder großer Fan von Udo Kier oder Paul Morrissey. Mit Bram Stokers Roman hat dieser Film so gut wie gar nicht mehr zu tun, stattdessen bietet er, neben viel nackter Haut, einen unter Krämpfen leidenden viel Blut erbrechenden Grafen.

Bildquelle

Trailer

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Art of Adaptation: Nachts, wenn Dracula erwacht
Art of Adaptation: Dracula (1979)