Art of Adaptation: Hannibal Staffel 1 bis 3

Spoiler!

Drei Romane und die korrespondierenden vier Filme habe ich im Rahmen dieser Artikelreihe bereits besprochen – aus chronologischer Perspektive müsste nun eigentlich Thomas Harris‘ Prequel „Hannibal Rising“ (2006) sowie dessen gleichnamige Filmadaption mit Gaspard Ulliel folgen – aktuell habe ich allerdings weder Lust noch Kapazität, um mich mit „Hannibal Rising“ auseinanderzusetzen, darum wenden wir uns nun erst den deutlich leichter bekömmlichen drei Staffeln von Bryan Fullers Serienadaption zu, und zwar in einem absurd langen Artikel, der trotzdem nur an der Oberfläche kratzt. Vielleicht reiche ich „Hannibal Rising“ noch nach, sollte ich die Inspiration dazu finden. Wenn nicht – nun, zumindest ein, zwei Aspekte des Origin-Romans spielen auch für die Serie eine Rolle.

Konzeption und Handlung
Angekündigt wurde Bryan Fullers „Hannibal“ als einer Art Prequel zu Thomas Harris‘ Lecter-Romanen, zumindest bezüglich des Umstandes, dass sie eine mögliche Vorgeschichte erzählen. Während sich Hannibal Lecter in jedem der ursprünglichen Romane entweder in Gefangenschaft oder auf der Flucht befindet, beginnt die Serie mit einem Hannibal, der ein hoch geschätztes Mitglied der Gesellschaft und ein erfolgreicher Psychiater ist. Als primäre Vorlage fungiert „Red Dragon“, diesem Werk entlehnen Fuller und Co. die meisten Figuren, auch wenn sie teils sehr stark angepasst sind. Tatsächlich konnte der zuständige Sender NBC nur auf drei von vier Romanen zurückgreifen, da die Rechtelage bezüglich „The Silence of the Lambs“ sich als äußerst kompliziert erwies. Das hatte zur Folge, dass man sich keiner der Figuren bedienen konnte, die in diesem Roman ihr Debüt feiern – also keine Clarice Starling, kein Barney Matthews, kein Jame Gumb usw. Diesem Rechtewirrwarr verdanken wir die nach einer Staffel abgesetzte Serie „Starling“, die das gegenteilige Problem hat und sich ausschließlich der Figuren bedienen kann, die in „Silence“ zum ersten Mal auftauchen (ein spoilerfreier Einblick ist hier zu finden). Dennoch bedeutet das alles nicht, dass Fuller und Co. „Silence“ völlig ausklammerten, im Gegenteil.

Ursprünglich waren sieben Staffeln vorgesehen bzw. zumindest angedacht, wie Fuller in einem Interview von 2013 erläuterte. Die ersten drei Staffeln sollten die Vorgeschichte erzählen, Staffel 4 sollte „Red Dragon“, Staffel 5 „The Silence of the Lambs“ (unter der Voraussetzung, dass NBC die Rechte irgendwann erwerben kann) und Staffel 6 „Hannibal“ adaptieren und Staffel 7 hätte das Ganze dann mit einem neuen Ende versehen. Wie wir wissen, kam es dazu nicht, da die Serie nach Staffel 3 abgesetzt wurde und dieser ursprüngliche Plan sehr stark eingedampft werden musste: Die ersten beiden Staffeln erzählen nun die Vorgeschichte, während Staffel 3 in der ersten Hälfte die Handlung des Romans „Hannibal“ und in der zweiten „Red Dragon“ adaptiert.

Stilistisch und inszenatorisch finden sich deutlich Unterschiede zu allen bisherigen Filmen die, unabhängig von ihren handwerklichen Qualitäten verhältnismäßig konventionell umgesetzt sind. Tagline der Serie war gewissermaßen: „Was, wenn sich David Lynch der Lecter-Romane angenommen hätte?“ Dementsprechend ist die Serie von einem deutlich anderen Kaliber, surreal und extrem stilisiert. In „Manhunter“ und „Red Dragon“ (und natürlich auch in „Hannibal“) vermag es Will Graham, die Welt durch die Augen von Serienkillern zu sehen, Fuller versucht, den Zuschauer direkt in diese Position zu versetzen, indem er seinem Publikum die Wahnvorstellungen, die speziellen Wahrnehmungen etc. direkt zeigt. Die erzählte Welt von „Hannibal“ ist gotisch überhöht, gerade in Bezug auf die Serienkiller. Schon in Harris‘ Romanen hatten die Mörder zwar eine gewisse Basis in der Realität und zumeist auch ein real existierendes Vorbild, etwa Ed Gein für Buffalo Bill, aber waren in ihrem Vorgehen und ihrer psychischen Veranlagung doch stark fiktionalisiert. „Hannibal“ kennt diesbezüglich kein Halten mehr und legt relativ wenig Wert auf Realismus. Kaum eine andere Serie zeigt derart ästhetisch inszenierte Morde. Hier findet sich auch der fundamentale Unterschied zur Gewaltdarstellung im Roman „Hannibal“ und der Adaption von Ridley Scott: Dort scheint die Gewalt nur zu Schockzwecken vorhanden zu sein, während sie in der Serie Teil der surrealen Atmosphäre ist und zum ebenso bizarren wie ästhetischen Stil gehört.

Vor allem in ihrer ersten Staffel erinnert die Serie, trotz dieser Ästhetik, ein wenig an eine sehr düstere Version einer der vielen CSI-Serien: Wir haben ein Team aus Ermittlern, das Mordfälle aufklärt, mit Fokus auf dem ungleichen Duo aus Hannibal Lecter (Mad Mikkelsen) und Will Graham (Hugh Dancy). Dementsprechend gibt es pro Folge jeweils einen neuen, höchst kreativen bis absurden Mörder mit einem äußerst individuellen Steckenpferd, weit entfernt von jeglicher Realität. Das soll, wohlgemerkt, keine Kritik sein, da es zur Konzeption der Serie ebenso gehört wie die alptraumhafte Atmosphäre und die generelle, surreale Bildsprache. „Hannibal“ will kein realistisches Procedural sein, sondern hat deutlich andere Ansprüche, die sich eher im Bereich der Gothic Fiction verorten lassen. Es geht selten um den eigentlich aufzuklärenden Fall und den zugehörigen Mörder, sondern darum, welche Auswirkungen die Killer auf die Figuren haben. Dementsprechend bricht die Struktur natürlich irgendwann auf, schon allein bedingt dadurch, dass Hannibal selbst kein „ehrlicher“ Ermittler ist, sondern mit allen anderen Figuren nach seinen Vorlieben und Gutdünken spielt.

Ein neuer Kannibale
Sowohl die Herangehensweise an als auch die Darstellung von Hannibal Lecter in den drei Staffeln der Serie unterscheiden sich fundamental von der Filminkarnation der Figur (Brian Cox und Gaspard Ulliel lasse ich hier außen vor, da ihre Leinwandzeit entweder zu knapp bemessen oder ihre Charakterisierung zu weit entfernt ist). Wo Anthony Hopkins kultureller Kannibale stets sehr theatralisch agierte und seine Zelle gewissermaßen als Bühne verstand, ist Mads Mikkelsens Doktor immer äußerst kontrolliert und beherrscht. Beide Versionen der Figur haben ihren „Spieltrieb“ und einen Hang zu sozialen Experimenten gemein. Hier sind die Unterschiede primär kontextgebunden: Hopkins‘ Lecter befindet sich zumeist in Gefangenschaft oder auf der Flucht und nimmt generell relativ wenig Rücksicht, während Mikkelsens Version der Figur deutlich behutsamer, dabei aber auch fremdartiger vorgeht. Mikkelsen erklärte mehrfach, er spiele die Figur nicht als Serienkiller oder Psychopathen, sondern als zur Erde aufgestiegenen Luzifer, der nach seinen völlig eigenen, für Menschen nicht nachvollziehbaren Regeln spielt und alles und jeden um sich herum gnadenlos benutzt.

Ich schrieb bereits an anderer Stelle, dass sich Hannibal Lecter in Harris‘ Romanen immer mehr vom Schurken zum Antihelden entwickelt, was sich natürlich auch in den Filmen widerspiegelt. Mit jedem neuen Lecter-Werk ist der gute Doktor ein wenig sympathischer, bis er in „Hannibal Rising“ eher an einen mörderischen jungen Bruce Wayne erinnert als an die Figur, die 1981 in „Red Dragon“ ihr Debüt feierte. Mikkelsens Inkarnation greift dieses Element durchaus auf – die Serienschöpfer spielen gekonnt mit Hannibals popkultureller Wahrnehmung und seinem Vermächtnis. Es sollte in diesem Kontext erwähnt werden, dass die Serie durchaus auf die Bekanntheit der Figur Hannibal Lecter setzt. Ich will nicht sagen, dass es unmöglich ist, sie ohne Vorkenntnisse zu verstehen, aber doch sehr schwierig, weil Fuller und Co. wenig erklären. Jemand, der noch nie mit Hannibal Lecter in Berührung kam, dürfte Schwierigkeiten haben, der Handlung zu folgen oder sie auch nur einzuordnen. Die Serienschöpfer wissen nicht nur um die Sympathie, die Hannibal entgegengebracht wird, sie nutzen sie gnadenlos aus. Gerade in der ersten Staffel ist es überaus amüsant, Hannibal und Will bei ihren Ermittlungen zuzusehen und dabei zu erleben, wie Hannibal gleichzeitig gegen seine FBI-Kollegen arbeitet, sie an der Nase herumführt und sich als „Copycat Killer“ betätigt. Als Publikum wollen wir Hannibal mögen und in ihm einen Antihelden á la Dexter sehen, einen Serienmörder, der andere Serienmörder jagt. Aber schon bald zeigt sich, dass der gute Doktor von diesem Konzept sehr weit entfernt ist, besonders im Umgang mit seinen Mitmenschen.

Die wechselhafte Beziehung zwischen Hannibal und Clarice kann die Serie aus rechtlichen Gründen natürlich nicht darstellen; Will Graham ist gewissermaßen der Ersatz. Zwar hat Hannibal auch in „Red Dragon“ ein gewisses Interesse an Will, ist ihm aber in letzter Konsequenz feindlich gesinnt und versucht, ihn durch Francis Dolarhyde zu töten. Dasselbe geschieht auch in der dritten Staffel der Serie, allerdings völlig anders kontextualisiert und geprägt von der Beziehung der beiden. Hannibals Vorhaben in der Serie gleich viel eher dem, was er mit Clarice im Roman „Hannibal“ vorhat – eine Transformation. Es ist stets Hannibals Begehren, Will auf seine Ebene zu ziehen, weil er glaubt, in ihm ein gleichartiges Wesen gefunden zu haben. Zwar trifft dieser Umstand auf alle Versionen der Figur zu, aber gerade Mads Mikkelsens Inkarnation hat einen wirklich ausgeprägten Gott-Komplex; so wie Gott niemand ebenbürtig ist, sieht Hannibal auch niemanden als sich selbst ebenbürtig – aber Will hat zumindest das Potential. Dieses Element stammt direkt aus den Romanen, in denen Hannibal immer wieder davon spricht, wie Gott mitleidlos und zu seinem eigenen Vergnügen tötet. Dementsprechend negativ gestimmt ist Hannibal dann auch, wenn sich Will vehement dagegen wehrt, transformiert zu werden. Wie ein wütender alttestamentarischer Gott bestraft er Will, indem er im Finale der totgeglaubten Abigail Hobbs, zu der Will eine Vater-Tochter-Beziehung aufgebaut hat, die Kehle aufschlitzt. Doch trotz der immer weiter ausartenden Gräueltaten, die Hannibal begeht und die es unmöglich machen, ihn als Antihelden wahrzunehmen, bleibt die Faszination, die die Beziehung zwischen ihm und Will auslöst, über alle drei Staffeln hinweg ungebrochen.

Red Dragon
„Hannibal“ entnimmt die komplette Handlungsgrundlage sowie das Personal aus „Red Dragon“ – dieser Roman wird auch stets als primäre Quelle in den Credits angegeben. Im Figurenbereich betrifft das neben Hannibal und Will primär Jack Crawford (Laurence Fishburne) und Frederick Chilton (Raúl Esparza), die in Funktion und Charakterisierung ihren Romangegenstücken am nächsten sind. Diverse Figuren wurden dagegen stärker justiert, nicht zuletzt, um mehr weibliche Figuren im Cast zu haben. Dr. Alan Bloom hat beispielsweise in den ersten beiden Romanen eine sehr untergeordnete Rolle und ist meistens als Experte irgendwo im Hintergrund tätig. Dr. Alana Bloom (Caroline Dhavernas) hingegen ist eine sehr zentrale Figur, arbeitet sehr eng mit Hannibal und Will zusammen und hat zudem romantische Spannungen mit beiden; in der zweiten Staffel beginnt sie ein Verhältnis mit Hannibal. Auch Freddie Lounds (Lara Jean Chorostecki) ist nicht nur deutlich weiblicher und attraktiver als die von Thomas Harris als sehr unansehnlich beschriebene Romanfigur, sondern spielt eine sehr viel prominentere Rolle. Sogar das finale Schicksal bleibt ihr erspart, an ihrer statt landet Chilton im brennenden Rollstuhl.

Es sollte noch einmal deutlich erwähnt werden, dass Will Graham und Hannibal Lecter im Roman „Red Dragon“ nie gemeinsam ermittelt haben – diese Idee stammt aus der Filmadaption mit Anthony Hopkins. Zudem ist Will sowohl im Roman als auch in diesem Film nur für die Festnahme zweier Serienmörder verantwortlich: Lecter selbst und Garret Jacobs Hobbs. Letzterer ist, gespielt von Vladimir Jon Cubrt, Sujet der ersten „Hannibal“-die Folge und beinhaltet eigentlich alles, was Harris an Hintergrundinformationen in „Red Dragon“ liefert, dazu gehört die Baustelle als Arbeitsplatz, die Spuren, die Will dort findet und die ihn zu Hobbs führen sowie der Mord an der Ehefrau und der versuchte Mord an der Tochter. Diese trägt in der Serie den Namen Abigail und wird von Kacey Rohl dargestellt, während sie im Roman nicht nur namenlos bleibt, sondern auch in den folgenden Ereignissen keine Rolle mehr spielt. Und selbstverständlich ist Hannibal selbst an all diesen Ereignissen nur in der Serie beteiligt – zu der komplexen Beziehung zwischen Will, Hannibal und Abigail findet sich bei Harris keinerlei Gegenstück. Dennoch ist gerade diese erste Folge mit dem Titel „Apéritif“ sehr nah an Harris‘ Prosa und beinhaltet sogar direkte Dialogübernahmen aus dem Roman, etwa als Crawford und Alana Bloom Will und seine besondere Wahrnehmung diskutieren.

The Silence of the Lambs
Wie bereits erwähnt verfügten Fuller und Co. nicht über die Rechte an „The Silence of the Lambs“ und konnten somit auch keine der dort etablierten Figuren verwenden. In Interviews erläuterte Fuller immer wieder, wie gerne er „seine“ Version von „Silence“ umsetzen würde, aber dazu kam es bekanntermaßen nie, die diversen Rechteinhaber konnten sich nicht einigen und „Hannibal“ wurde schließlich nach der dritten Staffel abgesetzt. Das bedeutet aber nicht, dass Harris‘ bekanntester und populärster Roman völlig ausgespart wurde, im Gegenteil. Ein Subplot wurde sogar komplett in die Serie integriert, nämlich die Krebserkrankung Bella Crawfords (Gina Torres), inklusive des ganzen Drumherums, etwa der Bedeutung ihres Spitznamens. Ich bin nicht einmal sicher, ob Bella Crawford im Roman „Red Dragon“ überhaupt benannt wird; sollte dem nicht so sein, wäre sie wohl die große Ausnahme der oben erwähnten Regel. Aber selbst wenn ihr Name dort genannt wird, die Handlungselemente stammen doch eindeutig aus „The Silence of the Lambs“ – ohne eine wie auch immer geartete Einmischung Hannibals, versteht sich, da dieser zum entsprechenden Zeitpunkt bereits einsitzt.

Von diesem Umstand einmal abgesehen ist die sechste Episode der ersten Staffel, „Entrée“, eindeutig die „Silence of the Lambs“-Gedenkfolge der Serie. Das beginnt bereits mit dem Umstand, dass Frederick Chilton hier sein Seriendebüt feiert – die Figur etablierte Harris zwar bereits in „Red Dragon“, sie wird aber viel stärker mit dem Folgeroman und -film assoziiert, nicht zuletzt dank der gelungenen Darstellung von Anthony Heald. Zudem erinnern die Ermittlungen im Fall des Chesapeake Rippers sehr stark an „The Silence of the Lambs“. Der Ripper ist natürlich Hannibal, Chilton glaubt allerdings, beim Ripper handle es sich um den in seiner Anstalt einsitzenden Dr. Abel Gideon (Eddie Izzard). Besagter Dr. Gideon ist eine wandelnde Anspielung auf die von Anthony Hopkins dargestellte Version von Hannibal Lecter, nicht nur wird er für den Chesapeake Ripper gehalten, Izzards Darstellung der Figur und die Manierismen sind eindeutig an Hopkins angelehnt – das beginnt bereits bei der Etablierung der Figur. In der entsprechenden Szene marschiert Alana Bloom durch einen Zellenkorridor, in der letzten befindet sich Abel Gideon. Und mehr noch, sowohl die Episode mit der verstümmelten Krankenschwester als auch diverse Beschreibungen und Dialoge aus „The Silence of the Lambs“ werden auf Dr. Abel Gideon umgemünzt und die gesamte Folge ist voll von visuellen Anspielungen. Mit Miriam Lass (Anna Chlumsky) etablieren Fuller und Co. hier zudem eine Ersatzfigur für Clarice Starling, wobei sie mit Will in dieser Kontinuität gewissermaßen den Platz tauscht. Miriam Lass ist Crawfords erster Protegé, analog zu Will in „Red Dragon“, wobei die Interaktion zwischen ihr und Crawford, die in Flashbacks gezeigt wird, abermals direkt aus „Silence“ stammen könnten. Wie Roman-Will ermittelt sie im Fall des Rippers und stößt dabei zufällig auf Lecter, der sie attackiert, nachdem sie seine Identität fast schon unabsichtlich aufgedeckt hat. Allerdings behält Hannibal dieses Mal die Oberhand und sperrt Miriam Lass für zwei Jahre in ein Loch, das an jenes erinnert, in dem Jame Gumb Catherine Martin gefangen hält. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, erklärt Hannibal am Ende der Episode Chilton, wie schön es sei, einen alten Freund zum Dinner zu haben…

Das Ende von Staffel 1 verdreht, bedingt durch Hannibals Intrigen und Manipulationen, die gewöhnlichen Umstände, nun finden wir Will in einer Zelle und Hannibal als seinen Besucher. Dementsprechend finden sich vor allem zu Beginn von Staffel 2 viele „Silence“-Zitate, sei es in den Dialogen und auch in der visuellen Gestaltung. Zudem taucht in „Kaiseki“ (Staffel 2, Episode 1) Kade Prurnell (Cynthia Nixon) auf – hierbei handelt es sich um ein Stand-in für Paul Krendler, was sich bereits aus dem Namen ergibt, bei dem sich um ein Anagramm handelt – Hannibal mit seiner Vorliebe für Anagramme wäre sicher erfreut. Ähnlich verhält es sich mit dem namenlosen Serienmörder aus dieser Episode, dessen Vorgehen an Jame Gumb erinnert. Man sieht also: Obwohl die Rechtelage eine tatsächliche Adaption von „The Silence of the Lambs“ im Rahmen der drei Hannibal-Staffeln nicht zuließ, taten Bryan Fuller Co. so ziemlich alles, was sie konnten, um die Inhalte des für viele zentralen Lecter-Romans zu integrieren, ohne mit einer Klage rechnen zu müssen.

Hannibal
Ähnlich wie bei „Red Dragon“ beschäftigt sich die Serie zuerst mit der im Roman „Hannibal“ geschilderter Vorgeschichte. Bereits in „The Silence of the Lambs“ erfährt der geneigte Leser, dass es unter Lecters Opfern zwei gibt, die überlebt haben. Im Sequel geht Harris auf einen dieser Überlebenden näher ein. Gemeint ist natürlich Mason Verger (Michael Pitt in Staffel 2, Joe Anderson in Staffel 3), Erbe einer mächtigen Schweinezüchter-Dynastie und Sadist, der seine Martinis mit Kindertränen als Beigabe zu sich nimmt. Sein Lieblingsopfer ist seine lesbische Schwester Margot (Katerine Isabelle). Beide Vergers werden in der zweiten Hälfte der zweiten Staffel eingeführt und landen bei Hannibal auf der Couch. Bei Harris ist Mason Vergers Entstellung – bekanntermaßen bringt Hannibal ihn dazu, sich unter Drogeneinfluss selbst die Haut mit einer Spiegelscherbe vom Gesicht abzuziehen, woraufhin besagte Haut den Hunden zum Fraß vorgeworfen wird – eine verhältnismäßig in sich geschlossene Episode, die erst an Bedeutung gewinnt, als Jahre nach Lecters Ausbruch neue Spuren auftauchen und Clarice Starling zu ermitteln beginnt. Die Serie ordnet diese Episode in den andauernden Konflikt zwischen Hannibal und Will (der mit der ganzen Geschichte bei Harris nichts zu tun hatte) ein und macht Mason gewissermaßen zu einem Störfaktor. Fuller selbst verglich Verger in einem Interview mit dem Joker zu Hannibals Batman. Nun haben wir bereits deutlich etabliert, dass Hannibal kein Antiheld ist – dementsprechend extrem fällt dann auch Mason aus. Alle Elemente und Details aus dem Roman sind in der Umsetzung vorhanden, werden dem zentralen Will/Hannibal-Plot jedoch untergeordnet.

Margot verdient in diesem Kontext noch einmal besondere Erwähnung – ähnlich wie Jame Gumb ist sie eine Figur aus den Romanen, die nicht unbedingt besonders gut gealtert und im Fandom zudem recht umstritten ist. Auf die Serieninkarnation der Figur trifft das allerdings kaum weniger zu. Bei Harris ist Margot Bodybuilderin und vom Steroidmissbrauch gezeichnet (was u.a. zur Folge hat, dass sie keine Kinder bekommen kann), weshalb sie eine äußerst maskuline Erscheinung ist und als eher unattraktiv beschrieben wird. Dementsprechend ist man sich nicht einig, ob Margot als transgender zu interpretieren ist und ihre Steroidmissbrauch als Versuch verstanden werden sollte, „männlicher“ zu werden oder ob sie doch eher dem abwertenden und beleidigenden Klischee der „Kampflesbe“ entspricht. Man kann durchaus verstehen, weshalb Ridley Scott sich entschloss, die Figur komplett zu streichen. Bryan Fuller scheint eher Anhänger der zweiten Auslegung zu sein (wie er auch in einem Interview betont), denn Serien-Margot ist weder unattraktiv noch Bodybuilderin und im Gegensatz zu ihrem Romangegenstück nicht nur sehr feminin, sondern fast schon zerbrechlich. Hier sind es nicht die Steroide, durch die sie unfruchtbar geworden ist, stattdessen trägt Mason die Verantwortung – die gesamte Aktion, die u.a. einen in ein Schwein verpflanzten Fötus beinhaltet, sorgt dafür, dass Serien-Verger noch deutlich verabscheuungswürdiger ist als sein Widerpart.

Nachdem Hannibal am Ende von Staffel 2 endgültig auffliegt und gemeinsam mit der ausschließlich in der Serie auftauchenden Dr. Bedelia Du Maurier (Gillian Anderson) nach Europa flieht (vielleicht inspiriert vom Ende des Romans „Hannibal“), verlassen Fuller und Co. die Prequel-Gefilde und beginnen, die tatsächliche Handlung der Romane umzusetzen, und zwar in umgekehrter Reihenfolge. „Hannibal Rising“ und „The Silence of the Lambs“ werden natürlich außen vorgelassen, somit bleiben sieben Folgen für „Hannibal“ und sechs für „Red Dragon“. Zumindest in Florenz arbeitet die Serie die essentiellen Stationen des Romans ab: Hannibal nimmt die Identität von Dr. Fell als Kurator der Capponi-Bibliothek an, Rinaldo Pazzi (Fortunato Cerlino) kommt ihm auf die Schliche und wird von Mason Verger beauftragt, bei der Gefangennahme des Doktors behilflich zu sein. Alles, was mit Clarice Starling zu tun hat, findet selbstverständlich nicht statt, stattdessen mischt jedoch Will Graham mit und nimmt zumindest in Teilen ihren Platz in der Geschichte ein. Einige der Clarice-Szenen, primär die, in der sie mit Mason Verger spricht, bekommt jedoch auch Alan Bloom, die zudem als „Ersatz“ für Barney in seiner Rolle als ehemaliger Pfleger bzw. Vertrauter Hannibals, der Verger Informationen weitergibt, herhalten darf. Darüber hinaus ersetzt sie auch Judy, die im Roman mit Margot liiert ist. Hannibals Flucht von der Verger-Farm gestaltet sich recht ähnlich wie im Roman und ist in manchen Aspekten sogar vorlagengetreuer als in Ridley Scotts Film – wie bei Harris ist es auch hier Margot, die ihren Bruder tötet, inklusive Aal-Einsatz. Die Schweine als Werkzeug zur Hinrichtung Lecters hingegen fehlen – diese wurden bereits in Staffel 2 bemüht, stattdessen plant Mason, sich an Hannibal zu rächen, indem er ihn höchst persönlich verspeist. Mason selbst ist hier, wie im Film, deutlich mobiler als im Roman und auch nicht ganz so entstellt, wobei sein „Design“ doch deutlich von Gary Oldmans Make-up inspiriert ist.

Ähnlich wie Clarice und Hannibal bekommen auch Will und Hannibal etwas traute Zweisamkeit, allerdings ohne Gehirn-Dinner. Diese Szene existiert in stark abgewandelter Form, findet aber bereits in Florenz statt – mit Will an Stelle von Paul Krendler. Zudem wird Hannibal unterbrochen, bevor er Wills Schädeldecke tatsächlich entfernen kann. Ironischerweise endet die Hannibal-Sektion von Staffel 3 weder mit einer gemeinsamen Flucht von Hannibal und Will (als Clarice-Ersatz), noch mit einer erneuten Solo-Flucht, sondern mit der ersten Gefangennahme des kultivierten Kannibalen. Wer den Dialog aus Ridley Scotts „Hannibal“ zwischen Clarice und dem Doktor vermisst („Given the chance, you would deny me my life, wouldn’t you?”) findet ihn in abgewandelter Form im Finale der zweiten Hannibal-Staffel. Dort taucht auch die Metapher der sich wieder zusammensetzenden zerbrochenen Tasse auf, die im Kontext der Serie allerdings allgemeiner gehalten ist und sich nicht auf Mischa bezieht.

Tatsächlich ist diese Hälfte der dritten Staffel der Teil der Serie, der mir am wenigsten gefällt, was daran liegen könnte, dass der Roman „Hannibal“, trotz desselben Namens, einfach nicht so recht zur Konzeption der Serie passen will. Vielleicht hängt es auch mit der Absetzung und dem Umstand zusammen, dass für die Umsetzung „nur“ eine halbe Staffel zur Verfügung stand, statt, wie ursprünglich geplant, eine ganze. Manche Schwächen der Vorlage und des zugehörigen Films kann die Serie neutralisieren, primär leidet sie nicht unter dem unbefriedigenden Ende – dazu später mehr. Es kommen allerdings einige neue hinzu: Gerade den Episoden, die größtenteils in Florenz spielen, fehlt fast jegliche Form der Suspense. Nun ist „Hannibal“ zwar eine Serie, die generell sehr langsam erzählt und sehr viel Wert auf ihre Bildsprache legt, in dieser Staffelhälfte nimmt das aber wirklich prätentiöse Ausmaße an. Zudem ist mir Florenz dem Rest der Serie zu ähnlich. Man kann über Scotts „Hannibal“ sagen, was man möchte, aber die Florenz-Passagen sind nicht nur optisch enorm eindrucksvoll, sondern auch klar von den in den USA spielenden Teilen visuell abgegrenzt.

Hannibal Rising
Trotz der Rechtelage stelle ich hier die nicht besonders gewagte These auf, dass „Hannibal Rising“ und nicht „The Silence of the Lambs“ der Lecter-Roman ist, dessen Inhalte für die Serie am wenigsten berücksichtigt wurden. Die Natur dieses Romans ist dafür der primäre Grund: „Hannibal Rising“ ist ein Prequel. Fuller und Co. hatten nur wenig Interesse, sich ausgiebig mit Hannibals Vorgeschichte zu beschäftigen. Zudem erschwert der Umstand, dass die Serie zur Zeit ihres Erscheinens (also in den frühen 2010er-Jahren) spielt, eine stärkere Eingliederung der Inhalte passt einfach nicht. In „Hannibal Rising“ arbeitet Harris mit der in seinen anderen Romanen etablierten Timeline – dementsprechend wurde die Romainkarnation des kultivierten Kannibalen 1933 geboren, bekam als Kind den Zweiten Weltkrieg mit und musste im Rahmen desselben erleben, wie Nazi-Kollaborateure seine Schwester verspeisten. Mit der deutlich jüngeren Serienversion funktioniert zumindest der Zweite Weltkrieg als Teil des Hintergrundes nicht mehr. Die meisten anderen Elemente, die ohnehin schon im Roman „Hannibal“ etabliert wurden, behält die Serie bei; die litauische Herkunft, die adelige Abstammung, selbst die familiären Verhältnisse, inklusive der toten und kannibalisierten Schwester Mischa und der in Frankreich ansässigen Tante Lady Murasaki. In der dritten Staffel findet sich, was man als „Hannibal-Rising-Einschub“ bezeichnen könnte. Will Graham trifft eine Figur namens Chiyoh (Tao Okamoto), die von sich behauptet, Hannibals Tante Murasaki aufgewartet zu haben – und tatsächlich, Chiyoh stammt aus „Hannibal Rising“ und kommt dort als relativ unwichtige Figur in dieser Rolle vor. Chiyoh hilft ein wenig gegen Mason Verger und seine Schergen, um dann wieder völlig aus der Geschichte zu verschwinden. Viel essentieller ist allerdings, dass Mischa hier nicht als Freud’sche Erklärung von Hannibal herhält, im Gegenteil, von Chiyoh und auch Bedelia Du Maurier erfahren wir, dass Mische eher die wahre Natur ihres Bruders zurückgehalten hat. Das ist gegenüber Harris‘ eine fundamentale Umdeutung, die ich allerdings sehr gelungen finde, da sie im Einklang mit Hannibals Selbsteinschätzung in „The Silence of the Lambs“ steht: „Nothing happened to me. I happened.“ Exakt diesen Satz äußerst der Doktor auch in der dritten Folge der dritten Staffel.

Weil’s so schön war: Red Dragon Again
Und so schließt sich der Kreis: Nach zweieinhalb Staffeln Katz-und-Maus-Spiel sitzt Hannibal hinter Gittern und Will ist endlich frei, muss zwar mit den psychischen Narben leben, kann aber ein halbwegs normales Leben führen. Zwischen der siebten und achten Episode der dritten Staffel findet ein Zeitsprung von drei Jahren statt, Will ist inzwischen mit der von Nina Arianda dargestellten Molly verheiratet und hat sogar einen Stiefsohn, Walter, kurz Wally (Gabriel Browning Rodriguez). Nebenbei bemerkt, „Hannibal“ knüpft an die Tradition an, den Stiefsohn umzubenennen – in Harris‘ Roman heißt er Willy, in „Manhunter“ Kevin und in „Red Dragon“ mit Anthony Hopkins Josh. Alles in allem setzt diese zweite Hälfte der dritten Staffel die Handlung verhältnismäßig vorlagengetreu um, zumindest im Vergleich zu den restlichen Romanen. Primär hängt das sicher mit dem Umstand zusammen, dass Fuller und Co. hier über die kompletten Rechte an allen Figuren verfügen und niemanden ersetzen müssen. Die meisten größeren Änderungen sind ohnehin dem bisherigen Handlungsverlauf der Serie geschuldet und haben zur Folge, dass die Figuren bezüglich der Rolle, die sie im Roman spielen, ein wenig durcheinandergewürfelt werden. So teilen sich Alana Bloom und Frederick Chilton der Anstaltsleitung und „Lecter-Betreuung“. Zudem darf Chilton zusammen Freddie die Rolle der Roman-Inkarnation von Lounds ausfüllen. Das heißt im Klartext: Es ist Chilton, der im brennenden Rollstuhl landet – damit knüpft man gleich an die gute Tradition an, Chilton mindestens einmal pro Staffel ziemlich unangenehm zu verstümmeln. Tatsächlich überlebt er nachdem Abel Gideon seine Organe entfernt und Miriam Lass ihm ins Gesicht geschossen hat, auch Francis Dolarhydes Versuch, ihn zu töten. Er erinnert danach allerdings an den hautlosen Frank Cotton aus „Hellraiser“.

Wie im Film „Red Dragon“ nimmt Hannibal Lecter auch in der Serie, die schließlich nach ihm benannt ist, eine deutlich größere Rolle ein als im Roman und wird deutlich öfter konsultiert. Selbst Szenen, die Harris‘ Dialog eins-zu-eins wiedergeben, sind durch die zweieinhalb Staffeln zuvor und die dort ausgearbeitete Beziehung zwischen Will und Hannibal völlig anders kontextualisiert. Zudem sollte erwähnt werden, dass Hannibals Zelle in dieser Staffel sich nicht nur stark von den bisherigen Inkarnationen unterscheidet, sondern auch geradezu absurd groß und luxuriös ist, während die Sicherheitsvorkehrungen deutlich geringer sind als in allen bisherigen Werken. Man kann wohl davon ausgehen, dass der Mikkelsen-Hannibal nie eine Krankenschwester angefallen (diese Episode wurde, wie erwähnt, Abel Gideon zugeschrieben) und sich zudem wohl immer sehr gut benommen hat, weshalb die Vorkehrungen nicht ganz so extrem sein mussten. Handlungstechnisch bleibt Hannibals Rolle zumindest zu Beginn gleich – er wird hinzugezogen, um bei der Aufklärung der Zahnfeemorde zu helfen, tut dann aber mehr oder weniger das genaue Gegenteil, indem er Dolarhyde auf Will aufmerksam macht. Komplett gestrichen wurde das Segment aus dem Roman, in welchem Hannibal einen Brief auf Klopapier erhält und diesen in seiner Zelle versteckt. Stattdessen gelingt es Dolarhyde, direkt mit dem Doktor Kontakt aufzunehmen, indem er sich am Telefon als dessen Anwalt ausgibt.

Kommen wir nun zu unserem Großen Roten Drachen, dieses Mal gespielt von Richard Armitage, der auf diesem Gebiet bereits Erfahrung hat. Im direkten Vergleich zu Ralph Fiennes wirkt Armitages Dolarhyde deutlich selbstsicherer – was vielleicht auch damit zusammenhängen könnte, dass sich „Red Dragon“ von allen Adaptionen nach wie vor am intensivsten mit Dolarhydes Hintergrund und Werdegang auseinandersetzt. Die Rolle der dominanten Großmutter und das Kindheitstrauma werden zwar angedeutet, allerdings primär auf der visuellen Ebene. Nach bester Tradition bekommen wir als Zuschauer zudem Einblick in Dolarhydes Gedankenwelt und Wahrnehmung, sodass es immer wieder Szenen gibt, in denen ihm Flügel wachsen oder sich andere Körperteile an das Blake-Gemälde angleichen. Dolarhydes Handlungsstrang entfaltet sich zunächst sehr ähnlich wie im Roman, auch Reba McLane spielt dieselbe Rolle und wird hier sehr gut von Rutina Wesley dargestellt. Diesbezüglich sind auch alle wichtigen Szenen vorhanden, vom Zoobesuch mit Tiger über das Verschlingen des Blake-Gemäldes bis hin zum vorgetäuschten Selbstmord, wobei die Serie mit der Vortäuschung sehr offen umgeht und vom Publikum nicht erwartet, dass es an Dolarhydes Tod glaubt. Mit dem Fortschreiten der Staffel finden sich allerdings immer größere Diskrepanzen zwischen Roman und Serie. In beiden Medien greift Dolarhyde beispielsweise Will Grahams Familie an, im Roman nach dem vorgetäuschten Selbstmord, in der Serie dagegen deutlich früher. Zudem sollte erwähnt werden, dass das FBI Dolarhyde nicht über seinen Arbeitsplatz auf die Spur kommt. Dieser Umstand hängt mit der zeitlichen Verordnung zusammen: Der Roman und die Filme spielten in den 80ern, als die Entwicklung von Home Videos noch relevant war, in den 2010ern ergibt das natürlich keinen Sinn mehr. Somit bleibt in der Serie vage, wie Dolarhyde seine Opfer auswählt und ein großer Teil der Ermittlungsarbeit wird ausgespart.

Dementsprechend anders fällt dann auch das Finale aus, schließlich gilt es auch noch, Hannibal selbst irgendwie mit unterzubringen, der zu dieser Zeit im Roman schlicht keine Rolle mehr spielt. Also schmieden Will, Crawford und Alana einen Plan, um Dolarhyde doch noch zu erwischen: Sie wollen einen Ausbruch Hannibals fingieren und ihn als Lockvogel einsetzen, da Dolarhyde sich von ihm verraten fühlt. Der Doktor stimmt zu, das eigentliche Ziel ist jedoch, in letzter Konsequenz sowohl Dolarhyde als auch Hannibal zu töten – zumindest glauben das Alana und Crawford. Wills finale Absicht bleibt ziemlich offen. Der Plan funktioniert soweit und es kommt zur finalen Konfrontation, Will und Hannibal töten Dolarhyde gemeinsam (wobei sich Will dieselbe Gesichtsverletzung zuzieht wie sein Romangegenstück) und anschließend stürzt Will sich selbst und Hannibal von einer Klippe – ob sie überleben bleibt offen.

Im direkten Vergleich zur ersten Hälfte der dritten Staffel hat diese Adaption eindeutig die Nase vorn, der Plot mäandert nicht, ist deutlich fokussierter und es gibt wieder einen eindeutigen Sinn für Suspense. Das mag natürlich auch an der Vorlage und der Natur der Serie liegen, zum einen ist „Red Dragon“ ein deutlich besserer Roman als „Hannibal“ und zum anderen nimmt die Serie ihres Ausgangsprämisse aus „Red Dragon“ und kehrt nun wieder zum Ursprung zurück. Dennoch bleibt diese Umsetzung von „Red Dragon“ ein wenig hinter dem zurück, was ich mir im Vorfeld vorgestellt hätte. Gemessen an dem, was Fuller und Co. in den ersten beiden Staffeln so alles mit Will und Hannibal gemacht haben, will es ihnen nicht so recht gelingen, Dolarhyde eine neue Seite abzugewinnen. In meinen Augen hängt das allerdings auch damit zusammen, dass für „Red Dragon“ eben nur eine halbe und nicht eine ganze Staffel zur Verfügung stand und man sich nicht ausschließlich auf eine Adaption bzw. Erweiterung dieser Geschichte konzentrieren konnte, sondern auch noch die losen Fäden der restlichen Serie aufgreifen musste.

Diabolus in Musica
Die Musik der Serie „Hannibal“ ist im Kontext des Franchise sowohl konventionell als auch unkonventionell. Die generelle Herangehensweise ist uns bereits aus „The Silence of the Lambs“ und dem Film „Hannibal“ vertraut: Um Hannibals kultivierte Seite zu repräsentieren, griffen Fuller und Co. primär auf klassische Musik zurück (auch die Serie bedient sich mehr als einmal Bachs Goldberg-Variationen), während die Serienkiller im Allgemeinen und Hannibals finstere Seite im Besonderen von Dissonanzen und „Horror-Musik“ dargestellt werden. Letztere unterscheidet sich jedoch stark von dem, was Howard Shore, Hans Zimmer oder Danny Elfman komponierten. So unterschiedlich ihre Stile auch sein mögen, alle drei lieferten verhältnismäßig konventionelle, sprich: orchestrale, z.T. mit Elektronik angereicherte Film-Scores. Fuller ging hingegen einen anderen Weg und verpflichtete Brian Reitzell der, anders als die drei oben genannten, kaum Blockbuster-Erfahrung hat und auch nicht unbedingt für seine orchestralen Scores bekannt ist. Stattdessen vertont Reitzell eher Indie-Filme und arbeitete bereits häufiger mit Sofia Coppola zusammen. Seine Musik für „Hannibal“ ist dementsprechend unkonventionell, besteht primär aus Percussions und anderen, von Reitzell gespielten Instrumenten (in der zweiten Staffel auch diverse japanische) und Synthesizern – tatsächlich improvisierte Reitzell oft zum Bildmaterial der Serie. Abseits der klassischen Stücke ist die musikalische Untermalung wirklich extrem dissonant, bizarr und unmelodisch, Atmosphäre geht über alles, während Melodien oder gar Themen keinerlei Rolle spielen. Auf funktionaler Ebene ist diese Herangehensweise sehr zwiespältig, manchmal funktioniert sie sehr gut, manchmal überhaupt nicht. Auf persönlicher Ebene gehören diese Scores definitiv nicht zu den Werken, zu denen ich abseits der Serie zurückkehren werde. Ich bin sicher, wer mit dieser Art von Musik mehr anfangen kann, dem gelingt es, die Nuancen, die zweifelsohne vorhanden sind, auszumachen und eine klare Entwicklung festzustellen. Für mich hingegen wird Reitzells Musik jedoch sehr schnell sehr gleichförmig und uninteressant, sodass ich mich unweigerlich frage, wie „Hannibal“ wohl mit einem konventionelleren Score funktioniert hätte.

Fazit
„Hannibal“ ist schon ein Kuriosum: Großer Mainstreamerfolg war der Serie nie beschieden, sie war immer schon ein ästhetisches Nischenprodukt, das primär Genre- und Lecter-Fans anspricht und einen besonderen Geschmack voraussetzt. Es grenzt fast schon an ein Wunder, dass eine Serie wie diese, die noch dazu im linearen Fernsehen lief, es überhaupt auf drei Staffeln gebracht hat. „Hannibal“ als Adaption und das Verhältnis zu den Vorlagen ist dabei ein besonders faszinierender Aspekt, da es sich bei dieser Serie nicht einfach nur um eine Neuadaption der Lecter-Romane, noch um ein Pseudo-Prequel handelt. Natürlich adaptiert „Hannibal“ zuerst die Grundprämisse des Romans „Red Dragon“ und baut in den ersten beiden Staffeln Ereignisse der Vorgeschichte ein, sei es Will Grahams erste Konfrontation mit einem Serienkiller oder Mason Vergers Verstümmelung, um dann in Staffel 3 die Romane „Hannibal“ und „Red Dragon“ mehr oder weniger vorlagentreu umzusetzen, aber Bryan Fuller und Co. adaptieren noch viel mehr, nämlich die Wahrnehmung und Adaptionsgeschichte der Figur Hannibal Lecter. In vielerlei Hinsicht ist „Hannibal“ nicht nur Adaption, sondern Metaadaption und Kommentar. Ironischerweise ist der Kern der Serie zugleich der zentrale und kontroverseste Faktor des gleichnamigen Romans. Die Phrase „twisted gothic romance“ beschreibt es vielleicht am besten, Freddie Lounds nennt es weniger nonchalant „murder husbands“. In Harris‘ Roman sind es Hannibal und Clarice Starling, in der Serie Hannibal und Will Graham – in beiden Fällen versucht der gute Doktor, die jeweils andere Person zu transformieren und „sich gleich zu machen“. Die Serie setzt diesen Aspekt allerdings so viel besser um, da man in Harris‘ Roman das Gefühl nicht loswird, dass der Autor diese eigentlich zutiefst verstörende Beziehung verklärt und romantisiert – auf Kosten der Figur Clarice Starling. Bryan Fuller hingegen zeigt die Beziehung zwischen Hannibal und Will stets als das, was sie ist, so wie er auch keine Anstalten macht, Hannibal Lecter zum Antihelden zu entwickeln. Im Gegenteil, diese Umwandlung wird nicht nur rückgängig macht, sondern sogar noch kommentiert. Auch wenn die Serie in der Umsetzung dieser Prämisse hin und wieder kurz strauchelt, verpasst sie ihr doch einen äußerst gelungenen Schlusspunkt, denn das ebenso offene wie erschütternde Ende ist genau das, was diese schwarze Romanze benötigt.

Siehe auch:
Hannibal Staffel 1
Art of Adaptation: Red Dragon
Art of Adaptation: The Silence of the Lambs
Art of Adaptation: Hannibal

3 Gedanken zu “Art of Adaptation: Hannibal Staffel 1 bis 3

  1. Das war ein schöner Rückblick auf die Serie 😀 Hätte jetzt direkt wieder Lust alles nochmal in voller Länge zu gucken.

    Du hast eingangs geschrieben, dass du die drei Staffeln „deutlich leichter bekömmlich“ findest – wie meinst du das? Weil sie besser gefallen? Weil erstmal ist es ja mehr Masse. Da meintest du auch, dass die Serie wie die David Lynch Version des Stoffs ist. Für Lynch finde ich aber die Morde zu explizit und zu künstlerisch. Die Lynch-eigene Absurdität und hermetische Verschlossenheit der Auflösung sehe ich hier auch nicht so ganz.

    Ansonsten kann ich aber bei allem nur zustimmend nicken. Was mir während des Lesens noch einfiel: wie wenig ich warm geworden bin mit der sich ziehenden Aufmerksamkeit auf Abigail Hobbs. Hatte immer den Eindruck, dass die Rolle von Clarice auf sie und Will aufgeteilt wird und fand das zu mäandernd, zu inkonsequent, wenn das der Gedanke war.

    1. Danke, freut mich, dass er gefällt. Nachdem ich mit Roman und Film „Hannibal“ durch war, war der Gedanke, die Serie zu schauen weitaus ansprechender, als noch einmal „Hannibal Rising“ in irgendeinem Format zu konsumieren. 😉

      Der David-Lynch-Vergleich stammt tatsächlich nicht von mir, sondern von Bryan Fuller, der das in diversen Interviews als (eine) Prämisse der Serie nannte, sich dabei aber wahrscheinlich weniger auf Spezifika, sondern auf generelle Vibes und Figurenentwicklung bezog. Hier zum Beispiel: https://www.reellifewithjane.com/2013/04/exclusive-interview-hannibal-creator-bryan-fuller-on-dream-sequences-david-lynch-fbi-consultants/

      Zu Abigail Hobbs: Ich meine mich zu erinnern, dass es mir beim ersten Mal schauen nicht unähnlich ging, jetzt beim Rewatch hatte ich das aber weniger empfunden. Immer wieder interessant, wie sich die Wahrnehmung ein paar Jahre später dann doch ändern kann. Die Enthüllung ihres Überlebens am Ende von Staffel 2, nur um sie sofort umzubringen, fand ich allerdings bei jeder Sichtung irgendwie nicht allzu toll.

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