Götterdämmerung

götterdämmerung
Wie so viele Sagenstoffe auch existieren vom Nibelungenlied viele verschiedene Versionen und Adaptionen, wobei es in letzter Zeit diesbezüglich nicht allzu viel Material gab. Während beispielsweise die griechische Mythologie alle paar Jahre aus der Mottenkiste geholt wird, um für einen mehr oder minder gelungenen Film (meistens Letzteres) Inspiration zu liefern, liegt die letzte größere Filmadaption der Nibelungensage schon einige Zeit zurück – und zu allem Überfluss handelt es sich dabei auch noch um einen deutschen Fernsehzweiteiler mit Benno Führman, der wohl primär an den Erfolg der Herr-der-Ringe-Trilogie anknüpfen sollte. Wie dem auch sei, meine Lieblingsversion dieses Sagenstoffes ist „Der Ring des Nibelungen“, die Opernversion von Richard Wagner. Das dürfte auch primär daran liegen, dass es sich hierbei um die erste Version handelt, die ich in Form eines für Kinder aufbereiteten Opernhörspiels konsumierte. Als ich später das mittelhochdeutsche Nibelungenlied las, fehlte mir da immer die mythische Dimension – ohnehin finden sich bei Wagner nur einige ausgewählte Elemente des Nibelungenlieds, in weitaus größerem Ausmaß bediente er sich der altnordischen Völsunga saga als Quelle. Lediglich „Götterdämmerung“, die vierte Oper des Zyklus, deckt sich inhaltlich in etwa mit dem Nibelungenlied, die anderen drei Opern erzählen mythischere Vorgeschichten, in denen Götter, Zwerge, Drachen und Riesen sehr prominente Rollen spielen – „Das Rheingold“ kommt sogar völlig ohne Menschen aus.

Da passt es mir ganz gut, dass die aktuellste Adaption dieses Sagenstoffes sich sehr explizit an Wagner orientiert. Besagte Interpretation ist eine französische Comicserie mit Text von Nicolas Jarry und Zeichnungen Djief, die sich den Titel der vierten Wagner-Oper borgt: „Götterdämmerung“. Im deutschsprachigen Raum sind bislang zehne Bände erschienen, neun reguläre und ein Zusatzband 0 mit dem Titel „Der Fluch des Rings“ von einem anderen Team (Istin und Lemercier), der die Vorgeschichte schildert. Gerade besagter Zusatzband ist sehr nahe an Wagner; es handelt sich dabei quasi um eine Comicadaption des „Rheingold“ mit High-Fantasy-Optik. Die restliche Serie dagegen entfernt sich immer mal wieder etwas weiter von der Vorlage und fügt die eine oder andere Episode hinzu. Dennoch ist die Handlung der Bände 0 bis 6 ziemlich deckungsgleich mit den vier Opern: In grauer Vorzeit stiehlt der Nibelung Alberich das Rheingold und schmiedet sich daraus einen Ring, der das Schicksal der Welt beherrschen wird. Wotan, der König der Götter, hat derweil gerade seinen neuen Wohnsitz von zwei Riesen fertigstellen lassen, diese verlangen nun aber Idun, die Göttin der ewigen Jugend, als Bezahlung. Da die Götter keine Lust darauf haben, zu altern, schlägt Loge, der Feuergott mit finsteren Absichten, vor, das Gold der Nibelungen zu rauben und die Riesen damit zu bezahlen. Der Plan funktioniert, allerdings nicht, ohne dass Alberich Gold und Ring verflucht. Der Fluch zeigt sofort Wirkung, der eine Riese erschlägt den anderen, nimmt das Gold mit und verwandelt sich in einen Drachen, um ein mythologisches Klischee zu begründen. Derweil schläft sich Wotan in bester Göttervatermanie durch die Gegend und begründet das Wölsungen-Geschlecht, das ihm dereinst helfen soll, den Fluch des Rings zu brechen. Mit Siegmund klappt das nicht so ganz, aber dessen mit seiner Schwester Sieglinde inzestuös gezeugter Sohn Siegfried ist der ideale Kandidat, besonders, da er mit Wotans in Ungnade gefallener Tochter Brunhilde, ihres Zeichens Ex-Walküre, anbändelt. Bekanntermaßen nimmt das Ganze kein gutes Ende, als Siefried in die Dienste des Burgundenkönigs Gunther tritt, wo Alberichs Sohn Hagen mit allen möglichen schmutzigen Tricks versucht, an den Ring zu kommen. Intrigen, ein Vergessenstrank und Gunthers Schwester Kriemhild sorgen dafür, dass Siegfried Brunhilde vergisst und Gunther dabei hilft, sie als Gemahlin zu gewinnen. Das Ganze eskaliert letztendlich und führt zu Siegfrieds Tod sowie zur Rückgabe von Gold und Ring an den Rhein.

So viel zur gemeinsamen Handlung von Comicserie und Opernzyklus. Jarry und Djief bemühen sich jedoch, die nordisch/germanische Mythologie in noch größerem Ausmaß miteinzubeziehen. Die vierte Oper mag zwar den Titel „Götterdämmerung“ tragen, in der Handlung selbst kommen die Göttert im Vergleich zu den früheren Opern aber kaum noch vor, der mythologische Aspekt ist eher im Subtext vorhanden. In der Comicserie werden weitere Aspekte aus den nordischen Quellen miteinbezogen. Loge (die deutsche Version von Loki), der bei Wagner nur im „Rheingold“ eine Rolle spielt, nimmt seinen angestammten Platz als Bringer von Ragnarök ein und auch seine Kinder Fenrir und Hel mischen mit. Ein Krieg der Götter gegen dämonische Horden und Loge läuft quasi parallel zur allseits bekannten Siegfried-Handlung.

Insgesamt ist die Comicserie eine durchaus gelungene Umsetzung dieses Sagenschatzes, die gerade durch die Nähe zu Wagner von mir Bonuspunkte bekommt. Auch die visuelle Umsetzung weiß durchaus zu gefallen. Es lässt sich nicht leugnen, dass sich die Comicschaffenden mehr als nur ein wenig an der Ausstattung der HdR-Trilogie bedient haben, aber da die Völsunga saga nicht nur für Wagner, sondern auch für Tolkien eine wichtige Inspiration war, gibt es wahrlich schlechter passende Vorbilder. Ich muss allerdings sagen, dass mir Lemerciers Zeichnungen im Zusatzband „Der Fluchs des Rings“ weitaus besser gefallen Djiefs in der eigentlichen Serie. Djief zeichnet nicht schlecht, aber auch nicht wirklich herausragend – vor allem seine Frauenfiguren sehen mitunter einfach zu jung aus.

Nach Siegfrieds Tod und dem eigentlichen Ende des Opernzyklus geht die Serie noch weiter, allerdings orientiert sich Jarry nicht am zweiten Teil des Nibelungenlieds, in dem Kriemhild Rache an Siegfrieds Mördern nimmt und Figuren wie Etzel (Attila der Hunne) und Dietrich von Bern eine Rolle spielen, stattdessen wird eine eigene Geschichte erzählt, in der u.a. die Kinder von Siegfried eine Rolle spielen. Einige Ideen sind durchaus interessant, etwa Wotans Weiterleben nach dem eigentlichen Tod als Odin, aber insgesamt ist der Plot trotz diverser Handlungsstränge, inklusive Miteinbeziehung des Byzantinischen Reiches, relativ dünn und weiß die Aufmerksamkeit nicht wirklich zu fesseln, u.a. auch, weil die neuen Figuren (darunter ein byzantinischer General und eine überlebende Walküre) nicht wirklich interessant sind.

Fazit: „Götterdämmerung“ ist eine unterhaltsame und kurzweilige Adaption der Nibelungensage, die aber nicht unbedingt über Band 6 hinaus hätte weitergeführt werden müssen.

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