Das Soundtrack-Jahr 2022

Spoiler für „House of the Dragon”!

Die Soundtrack-Bestenliste des vergangenen Jahres war früher ein konstanter Bestandteil meines Blogs, in den letzten paar Jahren hatte ich allerdings kaum Zeit oder Muße, ein derartiges Unterfangen anzugehen. Zwar bin ich auch für 2022 weit davon entfernt, einen wirklich umfangreichen Überblick über die Score-Veröffentlichungen zu haben (von den zugehörigen Filmen gar nicht erst zu sprechen), aber zum ersten Mal seit längerem reizt es mich wieder, das, was ich gehört habe, in Listenform zu rekapitulieren. Von einem Ranking der größten Enttäuschungen habe ich dieses Mal abgesehen, stattdessen möchte ich mich auf die positiven Aspekte konzentrieren. Dementsprechend finden sich auf dieser Liste wohl auch nicht allzu viele überraschende Einträge; wer meinen Filmmusikgeschmack kennt, kann wahrscheinlich sehr gut erraten, welche Scores es geschafft haben. 2022 war interessanterweise ein erstaunlich gutes Jahr für Superheldenscores und ein ziemlich enttäuschendes für Star-Wars-Musik. Wie schon zuvor gibt es neben der eigentlichen Liste auch Honourable Mentions in Form herausragender Einzelstücke sowie zwei besondere Erwähnungen, die interessanteste Neuentdeckung, die nicht spezifisch etwas mit 2022 zu tun hat, ich habe sie nur in diesem Jahr gemacht, und die beste Neuauflage eines bereits veröffentlichten Scores, der endlich das Album bekommen hat, das er verdient.

Interessanteste Neuentdeckung: Hostel & Hostel Part II (Nathan Barr)

Nun gut, dieser erste Beitrag ist praktisch purer Zufall und hat, wie erwähnt, nicht per se etwas mit dem Jahr 2022 zu tun. Neben der Saw-Reihe sind die Hostel-Filme von Eli Roth wahrscheinlich der bekannteste Auswuchs der Torture-Porn-Welle der 2000er. Ich habe beide aus mir nicht wirklich ersichtlichen Gründen gesehen, sie für schlecht befunden, aus meinem Gedächtnis verbannt und an die Musik keine weiteren Gedanken verschwendet. Zu Unrecht, wie ich im vergangenen Jahr festgestellt habe, denn Komponist Nathan Barr hat wirklich beeindruckende Musik für die beiden Ausflüge in den Folterkeller komponiert. Keine Spur vom unhörbaren elektronischen Sounddesign, das ich wohl im Score dieser Filme erwartet hätte, sondern solide, orchestrale Kost, die in ihren Suspense- und Horror-Techniken hin und wieder an Christopher Young und ziemlich oft auch an Bernard Herrmann erinnert. Angereichert wird das durch eine Anzahl erstaunlich lyrischer und melodischer Passagen, exemplarisch sei hier der Eröffnungstrack des zweiten Teils, Suite (Amid a Crowd of Stars) erwähnt. Ich wäre angesichts dieser beiden Scores fast geneigt, mir die Filme noch einmal anzusehen, um Barrs Musik im Kontext zu erleben. Fast…

Beste Neuauflage: Tomorrow Never Dies (David Arnold)

Lange überfällig, endlich da: Während die anderen beiden Scores, die David Arnold für Pierce Brosnans James Bond geschrieben hat, bereits vor einigen Jahren vom Label La-La-Land Records vernünftige Alben bekamen, ließ Arnolds Debüt als 007-Komponist, „Tomorrow Never Dies“, viel zu lange auf sich warten. Über die ursprüngliche Albensituation und die Großartigkeit dieses Soundtracks habe ich an anderer Stelle bereits sehr ausführlich geschrieben, darum nur so viel: Das neue La-La-Land-Album erfüllt alle Erwartungen. Nicht nur wird der komplette Score auf zwei CDs geboten, es gibt auch eine Reihe an alternativen Tracks, zusätzlich zu einem sehr informativen Booklet. Absolute Kaufempfehlung, nach wie vor der beste Soundtrack der Filmreihe.
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Einzelstücke

Hekla aus „The Northman” (Robin Carolan und Sebastian Gainsborough)

Für „The Northman“ hat das Komponistenduo Robin Carolan und Sebastian Gainsborough einen sehr authentischen und rohen Score komponiert, der den Ansprüchen eines Robert-Eggers-Filmes definitiv gerecht wird, abseits des Films aber nicht unbedingt besonders gut hörbar ist. Das Werk kulminiert gewissermaßen in Hekla, dem Track, der das finale Duell von Amleth und seinem Onkel Fjölnir untermalt. Hier zeigen Carolan und Gainsborough durch massiven Choreinsatz sowohl die ungezügelte Wildheit dieser beiden Nordmänner als auch die nicht minder ungezügelte Wildheit der Natur. Zudem habe ich ein besonderes Faible für schicksalhafte Duelle vor vulkanischem Hintergrund, untermalt von beeindruckenden Chorpassagen.
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The Hammer of Thor aus „God of War: Ragnarök” (Bear McCreary)

Noch mehr Wikinger. Unter „normalen“ Umständen wäre dieser Game-Score mit Sicherheit auf der „Hauptliste“ gelandet, aber ich wollte sie nicht mit McCreary fluten und es gibt zugegebenermaßen ziemlich große Ähnlichkeiten zwischen „God of War: Ragnarök“ und einem bestimmten anderen Soundtrack. Dennoch soll er nicht unerwähnt bleiben. Ich persönlich finde McCrearys zweiten God-of-War-Score etwas schwächer als den ersten, was vielleicht daran liegen könnte, dass seine Aufmerksamkeit von dem bereits erwähnten anderen Projekt gefesselt wurde. The Hammer of Thor ist, ähnlich wie Hekla, ein chorlastiger Actiontrack, in seiner Konzeption aber deutlich traditioneller, mit vollem Orchester, angereichert durch einige nordische Spezialinstrumente . Zudem baut McCreary diverse Themen ein, unter anderem eine äußerst beeindruckende Variation seines Kratos-Themas, das als Höhepunkt dieses Stückes fungiert.
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Lake Baikal aus „Black Adam” (Lorne Balfe)

So wie es aussieht, neigt sich das filmische DC-Universum, wie wir es kennen, nun endgültig dem Ende entgegen. Einer der letzten Auswüchse ist das nun beinahe ein Jahrzehnt lang vorbereitete Dwayne-Johnson-Vehikel „Black Adam“. Der Score stammt von Remote-Control-Veteran Lorne Balfe und ist eine ziemlich massive Angelegenheit, Action-Musik von Anfang bis Ende. In vielerlei Hinsicht versucht Balfe hier, die Stilmittel von DC-Scores wie „Man of Steel“ und „Batman v Superman: Dawn of Justice“ mit einer klassischeren Genre-Sensibilität zu verknüpfen, für meinen Geschmack ist das alles aber immer noch deutlich zu prozessiert und mit viel zu vielen elektronischen Effekten versehen. Das Thema der Titelfigur finde ich persönlich auch eher suboptimal, aber das Leitmotiv der Justice Society hat es mir durchaus angetan – wären da nur nicht die ganzen elektronischen Effekte und Dance-Beats in der Themen-Suite oder dem Debüt-Track Introducing the JSA. Im Track Lake Baikal präsentiert Balfe das Thema dieses Superheldenteams allerdings in einer deutlich klassischeren Ausprägung, die eher an die Zimmer-Power-Hymnen der späten 90er und frühen 2000er statt an seine DC-Musik der 2010er-Jahre erinnert.
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Such Sights to Show You aus „Hellraiser” (Ben Lovett)

David Bruckners Hellraiser-Reboot kann aus mir unerfindlichen Gründen hierzulande nach wie vor auf keinem Streamingdienst begutachtet und auch nicht käuflich erworben werden, was mich geringfügig frustriert. Der Score von Ben Lovett hingegen ist verfügbar, aber aus anderen Gründen etwas frustrierend. Stilistisch handelt es sich hierbei eher um einen Horror-Score moderner Prägung, sehr elektronisch, bedacht auf Atmosphäre und Sound-Design. Zugleich haben Bruckner und Lovett allerdings beschlossen, das musikalische Vermächtnis des Franchise zu ehren, was im Klartext bedeutet, dass im Score durchaus üppiger Gebrauch von Christopher Youngs Themen gemacht wird, was mir als Fan leitmotivischer Kontinuität (und Christopher Youngs) natürlich zusagt – wie man an den späteren Hellraiser-Filmen feststellen konnte, funktioniert dieses Franchise mit Youngs Themen deutlich besser als ohne. Frustrierend ist, dass die beiden Aspekte des Scores, modernes, eher elektronisches Sounddesign auf der einen und Youngs Themen auf der anderen Seite nie so recht zusammen finden wollen. Zudem sind Lovetts Variationen dieser Themen den originalen, sehr viel besser orchestrierten deutlich unterlegen. Am nächsten kommt Lovett dem Vorbild in Such Sights to Show You; hier erlaubt er dem Hauptthema des ersten Films zumindest annähernd in die bombastischen Gefilde aufzusteigen, in denen Young seine Themen präsentierte.

The Escape aus „Fantastic Beasts: The Secrets of Dumbledore” (James Newton Howard)

So ziemlich der einzige lohnende Aspekt des dritten Fantastic-Beasts-Films ist schon, wie beim Vorgänger, der Score von James Newton Howard. Während auch der dritte Eintrag dieser inzwischen gescheiterten Harry-Potter-Prequel-Serie zu überzeugen weiß, ist er aus meiner Sicht doch der schwächste der drei. Während die lyrisch-elegischen Passagen nach wie vor zu überzeugen wissen, fehlt hier das Abenteuer-Element, das vor allem „Fantastic Beasts and Where to Find Them“ zu einem so unterhaltsamen Soundtrack machte. Mein Lieblingsthema ist Newt Scamanders heroisches Leitmotiv, das mich an die klassischen Western-Scores von Elmer Bernstein erinnert – leider erklingt dieses in „The Secrets of Dumbledore“ nur äußerst selten, aber immerhin spendiert Howard diesem Thema in The Escape noch einmal einen glorreichen, wenn auch kurzen Auftritt.
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Protector of the Realm aus „House of the Dragon” (Ramin Djawadi)

Der Score der ersten Staffel von „House of the Dragon“ bot relativ wenig Überraschungen: Nicht nur verpflichtete HBO den GoT-Komponisten Ramin Djawadi, dieser knüpfte stilistisch und leitmotivisch direkt an die Mutterserie an. Gerade im Vergleich zu den späteren GoT-Staffeln fällt dieser Score allerdings deutlich unspektakulärer aus, da „House of the Dragon wieder deutlich mehr komplexe Dialogszenen hat, in denen die Musik in den Hintergrund tritt – über weite Strecken passiert leider nicht allzu viel, immer wieder gelingt es Djawadi allerdings, den emotionalen Kern der Geschichte genau zu treffen. Protector of the Realm ist ein gutes Beispiel. Dieser Track wirkt ohne Kontext vielleicht nicht allzu beeindruckend, im Geflecht von Djawadis Motivarbeit und im Zusammenspiel mit der zugehörigen Szene entfaltet er aber seine volle Wucht. Die Kombination aus Viserys‘ persönlichem Leitmotiv und dem aus GoT bekannten Königsthema untermalt den letzten Gang des todkranken zum Eisernen Thron wirklich perfekt und betont die gesamte Tragik dieser Figur.
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Top 13

Platz 13: The Pale Blue Eye (Howard Shore)

Neue Scores von Howard Shore sind inzwischen eine Rarität geworden, das Mastermind hinter der Musik der LotR-Trilogie vertont nur noch sehr ausgewählte Filme – wobei auch erwähnt werden muss, dass er in den 2020ern aktiver war als in der zweiten Hälfte der 2010er. Vom Fantasy-Genre hält sich Shore, mit einer offensichtlichen Ausnahme, zudem eher fern. Für den Netflix-Film „The Pale Blue Eye“ komponierte Shore einen Score, der nahtlos an seine früheren, atmosphärischen Thriller wie „The Silence of the Lambs“ oder „A History of Violence“ anknüpft. Shores effektive Suspense-Techniken sorgen für eine düstere, bedrückende Atmosphäre. Dabei ist „The Pale Blue Eye“ für Mittelerde-Fans durchaus interessant, da es immer wieder Anklänge an das Mordor-Material gibt, besonders in den, zugegebenermaßen recht wenigen, Action-Tracks wie Attack on the Road. Da ich „The Pale Blue Eye“ noch nicht gesehen habe, weiß ich nicht, wie der Score im Film-Kontext wirkt, aber in jedem Fall funktioniert er ideal als Untermalung bedrückender, düsterer Lektüre – was als Kompliment zu verstehen ist.

Platz 12: Wednesday (Danny Elfman, Chris Bacon)

Als großer Fan der beiden Addams-Family-Filme aus den 90ern war ich natürlich sehr neugierig auf die neue Inkarnation, nicht zuletzt wegen der Beteiligung Tim Burtons. Der überwältigende Erfolg von „Wednesday“ will sich mir, ehrlich gesagt, nicht völlig erschließen; zwar ist diese Staffel durchaus unterhaltsam und anschaubar, aber doch auch ein recht typisches, konventionell konstruiertes YA-Mystery-Drama mit ziemlich vorhersehbarer Handlung, eindeutig zu wenig Addams Family und, zugegeben, sehr guten darstellerischen Leistungen, vor allem von Jenna Ortega. Wie dem auch sei, Tim Burtons Mitwirken an einem Projekt wie diesem garantiert natürlich die Beteiligung Danny Elfmans. Die Musik der Serie komponierte Elfman zusammen mit Chris Bacon; herausgekommen ist genau das, was man erwartet: gotisch-düstere Extravaganz, ebenso verspielt wie unterhaltsam mit einem sehr eingängigen Titelthema. Im Vergleich zu, sagen wir „Sleepey Hollow“ oder „The Wolfman“ kommt der Score von „Wednesday“ etwas unfokussierter daher, was aber auch mit dem Serienformat und dem doch sehr umfangreichen Album zusammenhängen mag. Soweit ich gehört habe, zitieren Elfman und Bacon weder das klassische Thema der 60er-Serie von Vic Mizzy noch die Musik von Marc Shaiman aus den 90ern, bewegen sich aber in ähnlichen Bereichen und tänzeln mitunter regelrecht um die vertrauten Melodien herum.

Platz 11: DC League of Super Pets (Steve Jablonsky)

Bei Superhelden-Scores von RCP-Komponisten bin ich immer erst einmal vorsichtig (siehe „Black Adam“), aber bei „DC League of Super-Pets“ ist diese Vorsichtig nicht angebracht, denn der parodistisch anmutende Animationsfilm besinnt sich auf die klassischen Genre-Tugenden und besticht durch schöne Orchester-Arbeit und aufregende Action-Passagen sowie eingängige Themen. Stilistisch erinnert mich Jablonskys Arbeit stark an Danny Elfmans „Justice League“ – ein Score, der meinem Empfinden nach sehr unfair behandelt wurde. Wie „Justice League“ ist auch „DC League of Super Pets” zweifelsohne ein moderner Action-Score, der sich aber zugleich an den Klassikern des Genres orientiert und dem die Balance deutlich besser gelingt als „Black Adam“. Zudem verschafft Jablonsky sowohl Danny Elfmans Batman-Thema als auch den Themen für Krypton und Superman von John Williams Gastauftritte, zwar kaum mehr als musikalische Cameos, die aber dennoch sehr willkommen sind. Wer also nach einem geistigen Nachfolger zu Elfmans „Justice League“ sucht, wird hier zweifellos fündig.

Platz 10: Avatar: The Way of Water (Simon Franglen)

Bereits an „Avatar“ arbeitete Simon Franglen eng mit James Horner zusammen, ebenso wie an den nachfolgenden Horner-Scores. Als Horner 2016 bei einem Flugzeugabsturz verstarb, war es Franglen, der Horners letzten Soundtrack, „The Magnificent Seven“, vollendete. Insofern war es nur logisch, Franglen das Avatar-Sequel vertonen zu lassen, nicht zuletzt, da er bereits für die Musik der Disney-World-Attraktion „Pandora – The World of Avatar“ verantwortlich war. „Avatar: The Way of Water“ ist eine beeindruckende Errungenschaft, Franglen knüpft an die Stilmittel und Leitmotive Horners direkt an, sorgt aber zugleich dafür, dass der Score nicht zur reinen Pastiche verkommt; Franglens eigener Kompositionsstil ist durchaus präsent. Immer wieder finden sich Passagen, die Horner auf diese Art wohl nicht komponiert hätte, die aber trotzdem nicht wie Fremdkörper wirken. Diese Balance zu halten ist eine schwierige Aufgabe, die Franglen mit Bravour meistert. Ich könnte mir vorstellen, dass meine Meinung zu diesem Score noch positiver wird, wenn ich ihn im Kontext erlebt habe.

Platz 9: Thor: Love and Thunder (Michael Giacchino, Nami Melumad)

Der Donnergott ist neben Iron Man wohl das größte Opfer des Mangels an leitmotivischer Kontinuität im MCU: In jedem, wirklich jedem seiner Solo-Filme wird er mit einem neuen Thema bedacht. Dass Mark Mothersbaugh in „Thor: Ragnarok“ einmal das Patrick Doyle-Thema zitiert, hilft da nur bedingt. „Thor: Love and Thunder“ ist keine Ausnahme. Obwohl Michael Giacchino (der hier zusammen mit Nami Melumad komponiert) sich in einigen seiner bisherigen MCU-Scores durchaus geneigt zeigte, bereits etablierte Themen zumindest zu zitieren, verwirft er hier ein weiteres Mal alles vorher Dagewesene. Giacchinos Thor-Thema gilt dem Konzept, unabhängig davon, wer welchen Hammer schwingt, und wird deshalb sowohl für die von Chris Hemsworth dargestellte Version als auch Natalie Portmans Jane-Foster-Thor verwendet, was mich nur noch mehr frustriert. Giacchino hätte sein neues Thema ausschließlich für Jane Foster verwenden und für die altbewährte Inkarnation auch eines der vorher etablierten Themen verwenden können – idealerweise das von Doyle. Wie dem auch sei, von diesem Faktor abgesehen ist Giacchinos Score schlicht brachial unterhaltsam. Das Thema für die beiden Thors ist absolut eingängig und gelungen und vor allem die völlig überdrehten Action-Passagen, inklusive Einsatz von Chor und E-Gitarre, wissen zu gefallen. Giacchino und Melumad knüpfen somit teilweise an Mothersbaughs Arbeit an, verzichten aber größtenteils auf die Retro-Synth-Effekte, was mir persönlich nicht ganz unrecht ist, aber eben auch auf Mothersbaughs Verweise auf die vorherigen Scores.
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Platz 8: Doctor Strange in the Multiverse of Madness (Danny Elfman)

Selbst ein Michael Giacchino ist nicht davor gefeit, durch einen anderen Komponisten ersetzt zu werden, wenn es einen Regisseurwechsel gibt. Als Sam Raimi nach Scott Derricksons Ausscheiden das Doctor-Strange-Sequel in Angriff nahm, brachte er Danny Elfman an den Start. Anders als Giacchino und Melumad bei „Thor: Love and Thunder“ greift Elfman durchaus auf das bereits etablierte leitmotivische Material zurück und zitiert nicht nur das Doctor-Strange-Thema, sondern auch das Titelthema aus der Serie „WandaVision“ von Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez, Alan Silvestris Captain-America-Marsch und sogar die Titelmelodie der X-Men-Animationsserie aus den 90ern. Allerdings verpasst Elfman Doctor Strange ein zusätzliches neues Thema, das in meinen Augen nicht nur deutlich schwächer als das alte, sondern auch ziemlich unnötig ist, und er nimmt leider keinerlei Rücksicht auf die spezielle Instrumentierung, die das hervorstechendste Merkmal des ersten Strange-Scores war und auch prominent in „Spider-Man: No Way Home“ zum Einsatz kam. Stattdessen ist Elfmans „Doctor Strange in the Multiverse of Madness” fest in Elfmans modernem Action-Stil verankert, mit Anleihen aus seinen Horror-Arbeiten. Obwohl ich mir mehr stilistische Anleihen aus „Doctor Strange“ gewünscht hätte, bin ich doch ein großer Fan von Elfmans Stil, insofern ist dieses Werk, abseits dieser Aspekte, extrem unterhaltsam, dynamisch, lebendig und kreativ. Es mag merkwürdig wirken, dass sowohl „Thor: Love and Thunder“ als auch „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ angesichts meiner Kritikpunkte derartig hoch auf der Liste gelandet sind, aber trotzdem haben sie es geschafft, mich nachhaltig zu beschäftigen, zu unterhalten und wurden seit Erscheinen zudem sehr, sehr häufig angespielt, weshalb ich diese Platzierung für gerechtfertigt halte.
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Platz 7: Violent Night (Dominic Lewis)

Es ist faszinierend, wie gut sich sowohl die Melodien als auch die Stilmittel klassischer Weihnachtslieder für verschiedene Genres adaptieren lassen, wie sich am Beispiel diverser Scores zeigt, seien es Komödien („Home Alone“), Superhelden („Batman: Arkham Origins“), Horror („Krampus“), Bibelverfilmungen („The Nativity Story) oder natürlich Action – man denke nur an „Arthur Christmas“ oder, das wohl populärste Beispiel, „Die Hard“. In eine sehr ähnliche Kerbe schlägt auch Dominic Lewis‘ „Violent Night“, ein extrovertierter, sehr überdrehter Action-Score, der nicht nur dank der melodischen Qualität seiner eigenen Themen, sondern auch durch die gelungene, um nicht zu sagen subversive Einbindung diverser Weihnachtslieder zu überzeugen weiß. Stilistisch ist Lewis nicht allzu weit von Alan Silvestri oder John Williams entfernt. Wer einen ebenso schönen wie absurden Weihnachts-Score sucht, macht mit „Violent Night“ sicher nichts falsch.

Platz 6: Paws of Fury: The Legend of Hank (Bear McCreary)

Ich habe eine besondere Schwäche für die Mischung von traditionellem Orchester und ostasiatischer Instrumentierung, egal ob „Mulan“, „The Monkey King“, „Kung Fu Panda“, „The Last Samurai“, „The Promise“ oder gar „World of Warcraft: Mists of Pandaria“. Bear McCrearys „Paws of Fury: The Legend of Hank“ stimmt ähnliche Töne an, vor allem zu den drei Kung-Fu-Panda-Scores von John Powell und Hans Zimmer finden sich eine Reihe von Parallelen. „Paws of Fury“ bietet genau die Art von aufwändig konstruierter musikalischer Extrovertiertheit, die sich gegenwärtig oft nur im Animationsbereich findet. Zusätzlich mischt McCreary auch noch Elemente aus Ennio Morricones Western-Scores und einer Prise Jazz in diese musikalische Suppe. Das Ganze ist ein faszinierendes Konglomerat, eine wilde Mischung, die deutlich besser funktioniert als sie eigentlich sollte. Wer 2022 einen zünftigen Powell-Animations-Score vermisst, findet in dieser Arbeit von Bear McCreary vielleicht einen angemessenen Ersatz.

Platz 5: Moon Knight (Hesham Nazih)

Unglaublich aber wahr, der beste MCU-Score des Jahres stammt von einem in westlichen Gefilden ziemlich unbekannten Komponisten, auch wenn man bei Hesham Nazih kaum von einem Newcomer sprechen kann, schließlich ist er nicht nur seit über zwanzig Jahren als Komponist tätig, sondern in seiner Heimat Ägypten auch sehr bekannt und populär. Anders als bei „Thor: Love and Thunder“ oder „Doctor Strange in the Multiverse of Madness” muss man hier keinerlei leitmotivische Abstriche machen, da „Moon Knight“ sehr vom restlichen MCU losgelöst ist. Für die Titelfigur liefert Nazih ein enorm starkes Thema, das er, analog zu den Persönlichkeiten Moon Knights, wunderbar spalten und fragmentieren kann. Der dominanteste und beeindruckendste Aspekt des Scores sind wohl die vielen, monumentalen Chorpassagen, die einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen. Bedingt durch die Thematik der Serie und die dazu passende Instrumentierung klingt Nazihs Arbeit eher nach Hollywoods Orient-Sound als nach der typischen MCU-Musik, kommt dabei aber deutlich authentischer und weniger klischeehaft rüber, als es bei, sagen wir, „The Mummy“ oder „Gods of Egypt“ der Fall ist (die natürlich trotzdem beide exzellent sind). Ich jedenfalls hoffe, dass „Moon Knight“ Nazih viele Türen öffnet.

Platz 4: Interview with the Vampire (Daniel Hart)

Zuerst war ich bei dieser Neuauflage von „Interview with the Vampire“ recht skeptisch, nicht zuletzt wegen der massiven Abweichungen von Anne Rice‘ Roman. Und natürlich wäre da noch der Umstand, dass es sich beim Film von Neil Jordan um eine fast perfekte Adaption handelt. Aber trotz einiger erzählerischer und inhaltlicher Mängel war ich insgesamt durchaus angetan von dieser ersten Staffel. Einer der größten Pluspunkte der Serie ist zweifellos der Score von Daniel Hart, der wunderbar altmodisch, fast schon klassisch, melodiös und gotisch klingt. Der Vergleich zu Elliot Goldenthals Musik von 1994, immerhin einer meiner liebsten Horror-Soundtracks, drängt sich natürlich fast schon auf, und tatsächlich, es gibt gewisse Parallelen. Daniel Harts Fokus liegt allerdings, ebenso wie der der Serie, stärker auf den romantischen Aspekten, und weniger auf dem schieren Grandeur und der orchestralen Brutalität des Goldenthals-Scores. Natürlich haben wir es hier mit einer zutiefst toxischen und ungesunden Romanze zu tun, und auch das spiegelt sich in Harts Musik wider und entsprechend fällt die Entwicklung zum Ende hin auch aus.

Platz 3: The Batman (Michael Giacchino)

Erstaunlich, was man mit vier Noten so alles anstellen. Nach Jahren der Zimmer-Dominanz im Batman-Bereich liefert Michael Giacchino endlich mal wieder einen Score für den Dunklen Ritter, der sich vom Wummern und Dröhnen distanziert, Gotham City mit den musikalischen Mitteln des Thrillers und des Film Noir darstellt und seinen Titelhelden fast schon wie ein Monster behandelt. Aber vor allem wird endlich einmal wieder ordentliche Orchesterarbeit geboten. Während Giacchinos Motiv für Batman in mancher Hinsicht ein wenig enttäuschend ist (ich hätte doch gerne mal wieder ein etwas komplexeres Batman-Thema), so ist es doch unleugbar effektiv. Dasselbe gilt auch für die anderen beiden dominanten Themen für Catwoman und den Riddler und die gesamte Tonalität.
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Platz 2: The 13 Lords of Shogun (Evan Call)

Jedes Jahr seit 1963 strahl der japanische Sender NHK ein sog. „Taiga-Drama“ aus – dabei handelt es sich um eine ziemlich epochale Serie mit etwa 40 bis 50 Folgen, die sich einer Figur oder einer Thematik der japanischen Geschichte annimmt. Das Taiga-Drama des Jahres 2022 trägt den Titel „The 13 Lords of Shogun“ und thematisiert die Herrschaft von Hōjō Yoshitoki, der von 1205 bis 1224 Japan regierte. Die Musik komponierte der britische, aber in Japan ansässige Komponist Evan Call. Auf dieses umfangreiche Werk – „The 13 Lords of Shogun“ wurde in Form von drei äußerst üppigen Alben veröffentlicht – bin ich eher durch Zufall in einem Soundtrack-Forum gestoßen, die Serie selbst habe ich nicht gesehen, weiß also auch nicht, wie sie im Kontext wirkt. Was ich weiß ist, dass Evan Calls Arbeit ein wirklich episches, ja geradezu monumentales Werk ist, voll von grandiosen Melodien, beeindruckender Action-Musik, aber auch sehr ruhigen, lyrischen und mitunter verspielten Passagen. Das Ganze mutet zwar japanisch an, kommt aber, ähnlich wie „Moon Knight“, deutlich authentischer rüber, als es bei einem typischen Hollywood-Score der Fall ist.

Platz 1: The Lord of the Rings: The Rings of Power (Bear McCreary)

Mittelerde-Scores haben die Angewohnheit, in meinen Rankings an der Spitze zu landen. So viele Probleme ich auch mit „The Lord of the Rings: The Rings of Power” habe, der Score von Bear McCreary ist DAS Element, das vollauf und rundum überzeugt. Ähnlich wie Howard Shore arbeitet McCreary mit einer Vielzahl an Leitmotiven, die er konsequent entwickelt und miteinander agieren lässt. Dabei gelingt es McCreary sehr gut, auf einem schmalen Grat zu wandern: Zwar darf er sich nicht der Themen und Motive aus den beiden Jackson-Trilogien bedienen, verankert seine Version von Mittelerde aber dennoch in einer ähnlichen stilistischen und instrumentalen Palette (etwa Männerchöre für die Zwerge, keltisch anmutende Musik für die Hobbits/Haarfüße etc.). Zugleich handelt es sich hier aber unverkennbar um McCrearys Interpretation von Tolkiens Werk und nicht nur um eine bloße Nachahmung von Shores Arbeit. Eingängige Themen und Melodien, lyrische Schönheit und beeindruckende Action – zumindest auf musikalischer Ebene bietet „The Lord of the Rings: The Rings of Power“ alles, was man sich nur wünschen kann.
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2 Gedanken zu “Das Soundtrack-Jahr 2022

  1. Aha, das Rätsel ist gelöst! Ich hatte mir schon sowas gedacht, hihi. Meine Podcast-Episode mit meinem Ranking folgt bald. Wir hier und dort einige Überschneidungen geben und wahrscheinlich sogar ein paar Überraschungen für dich.

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