Danny Elfmans Batman-Thema

Als Danny Elfman Tom Holkenborg bei „Justice League“ (2017) ersetzte, erklärte er in einem Interview, er werde kein neues Thema für Batman komponieren, schließlich gebe es nur ein einziges Thema für den Dunklen Ritter, nämlich seines. Diese Aussage, die vor allem viele Zimmer-Fans auf die Palme brachte, darf wohl getrost als etwas ironischer Kommentar und vor allem Seitenhieb auf ein Zimmer-Interview verstanden werden, in welchem dieser Elfmans Thema herabwürdigte. Natürlich ist Danny Elfmans Batman-Thema, ursprünglich komponiert für Tim Burtons „Batman“ (1989), bei weitem nicht das einzige Thema für die Figur, neben Zimmer selbst haben auch Shirley Walker, Elliot Goldenthal, Tom Holkenborg, Christopher Drake und viele weitere Leitmotive für den Dunklen Ritter beigesteuert, von Neal Heftis ebenso ikonischem wie albernem Thema der 60er-Serie gar nicht erst zu sprechen. Elfman hat allerdings immerhin in Ansätzen recht, zumindest insofern, dass sein Thema dasjenige ist, das sich als das dauerhafteste erweist und immer wieder auftaucht, während so gut wie alle anderen Batman-Themen an eine spezifische Inkarnation der Figur gebunden sind. Gerade dieses Jahr ist es wieder soweit, ein weiteres Mal wird Elfmans Thema aus der Mottenkiste geholt um, man sehe und staune, ein weiteres Mal Michael Keatons Interpretation des Dunklen Ritters zu repräsentieren. Bereits im Trailer von „The Flash“, welcher im Juni nach vielen Verzögerungen in die Kinos kommt, tauchte eine, mit den für Trailer typischen, synthetischen Percussions versehene Variation auf, und zudem postete Komponist Benjamin Wallfisch ein kurzes Video von der Aufnahme des Scores, in welchem eine Version mit Chor zu hören ist. Zur Vorbereitung auf „The Flash“, Michael Keatons Rückkehr und natürlich vor allem Benjamin Wallfischs Score, ist der ideale Zeitpunkt gekommen, Danny Elfmans Thema einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Maximaler Minimalismus: Batman
Gerade im Vergleich zu den Themen anderer Superhelden fielen die Leitmotive des Dunklen Ritters oft recht minimalistisch aus – man erinnere sich nur an das Zwei-Noten-Motiv aus der Dark Knight-Trilogie, das Bat-Stampfen aus „Batman v Superman: Dawn of Justice“ oder das Vier-Noten-Motiv aus „The Batman“. Tatsächlich ist auch Danny Elfmans Thema Teil dieses Trends, wenn nicht gar der Begründer. Die Crux bei der Sache: Elfman ist sehr gut darin, diesen Umstand zu verstecken und sein Thema komplexer erscheinen zu lassen, als es tatsächlich ist. Das eigentliche Thema, eine aufsteigende Tonfolge, die eine gewisse Ähnlichkeit zu einer Melodie aus Bernard Herrmans „Journey to the Centre of the Earth“ (1959) aufweist, besteht nur aus sechs Noten, wobei Elfman die sechste und letzte oftmals weglässt, sodass das Thema zumeist unvollendet wirkt. Zum ersten Mal erklingt es in der ikonischen Main-Title-Sequenz des ersten Burton-Films und erweckt dabei den Eindruck, ein mehrphrasiges, komplexes Thema zu sein, ähnlich wie John Williams Superman-Thema. Wir hören den Aufbau, Überleitungen und einen rasanten Marschteil. All diese verschiedenen Bestandteile bestehen allerdings aus denselben sechs Noten, die Elfman einmal quer durch sämtliche Sektionen des Orchesters jagt und mit Tempo und Harmonie so geschickt variiert, dass es scheint, als hörte man hier ein aus mehreren verschiedenen Motiven oder Bestandteilen bestehendes Konstrukt – dem ist aber nicht der Fall. Williams‘ Superman-Thema ist trotz dieser Differenz in Komplexität der wichtigste Referenzpunkt, schließlich gab es in den frühen 80ern noch nicht wirklich einen Genre-Standard, was Superheldenleitmotive angeht. Tatsächlich diente Williams‘ Komposition bezüglich der Präsentation im Main Title wohl eher als Ausgangspunkt als das Neal-Hefti-Thema, statt eines optimistischen, an Aaron Copeland’sche Americana erinnernde Heldenmelodie in Dur liefert Elfman aber, passend zur Figur, ein düster-brütendes Leitmotiv, das meistens in C-Moll gespielt wird.

Die Tatsache, dass das Batman-Thema nur aus fünf bzw. sechs Noten besteht, macht es so unendlich form- und einsetzbar. Erst einmal muss allerdings festgestellt werden, dass es im Verlauf von „Batman“ keinen Wandel bzw. keine Entwicklung im wagnerianischen Sinn durchmacht. Die Leitmotive des „Ring des Nibelungen“ sind nie statisch, sondern entwickeln sich mit der Geschichte und den Figuren, ein Umstand, der auch oft in Filmen beobachtet werden kann, wenn auch selten mit derselben Komplexität wie bei Wagner. Dennoch spiegeln sie die Entwicklung des Helden wider. Batman macht in Burtons Film (oder dem Sequel) allerdings keine wirkliche Entwicklung durch, er betritt die Leinwand als bereits geformte Figur und entwickelt sich kaum weiter. Dementsprechend variiert Elfman das Batman-Thema zwar nach szenischen Gesichtspunkten, aber nicht, um Charakterentwicklung in irgendeiner Form darzustellen. Die Ausnahme hiervon ist vielleicht der Track Finale, in welchem Elfman das Thema in einer triumphalen Dur-Variation präsentiert, die zwar keine Wandlung in Batmans Charakter darstellt, sehr wohl aber eine Wandlung in der Wahrnehmung: Ab diesem Zeitpunkt wird der Dunkle Ritter von Gothams Bevölkerung nicht mehr als zwiespältiger Vigilant, sondern als Held von Gotham gesehen.

Das alles bedeutet allerdings nicht, dass Elfman das Thema nicht auf höchst vielseitige Art und Weise einsetzen würde. Ganz klassisch begleitet es sein Sujet; wann immer Batman im Kostüm auftaucht, ist auch sein Thema nicht weit, Auftritte werden gerne mit einer Fanfare untermalt, die Actionszenen bekommen oft die Marschvariation und natürlich darf auch Descent Into Mystery nicht unerwähnt bleiben. Während der massive Choreinsatz ein Markenzeichen von „Batman Returns“ und so vielen anderen Elfman-Scores für Tim Burton ist, hält sich Elfman diesbezüglich in „Batman“ noch zurück – umso epochaler ist der Chor in Kombination mit dem Batman-Thema in besagtem Track. Nicht ganz so episch, aber äußerst clever sind zudem einige andere Abwandlungen. In Filmmusikkreisen wird nach wie vor diskutiert, ob „Batman“ denn nun als monothematischer Score bezeichnet werden kann. Der Joker verfügt über kein Leitmotiv im eigentlichen Sinn, wie Janet K. Halfyard darlegt, handelt es sich bei „seiner“ Musik um okkupiertes Material; Werbe-Jingles, Songs von Prince, die Melodie des Liedes Beautiful Dreamer und ein zirkusartiger Walzer, der zwar von Elfman komponiert wurde, aber doch so klingt, als stamme er aus dem Repertoire klassischer Musik. Halfyard identifiziert darüber hinaus noch ein, zwei weitere „Sub-Motive“, die sich jedoch alle aus dem Batman-Thema ableiten. Dasselbe gilt gewissermaßen für das Liebesthema von Bruce Wayne und Vicki Vale. Formal gesehen handelt es sich dabei um eine melodische Ausgliederung aus dem Prince-Song Scandalous – soweit ich weiß die einzige musikalische Verknüpfung des Scores mit den Liedern. In der Praxis ist besagte Melodielinie aber fast mit dem Batman-Thema identisch (Zufall?), auch wenn sie im Verlauf des Scores deutlich anders instrumentiert wird als das zentrale Leitmotiv oder das Lied von Prince.

Konstante Kämpfe: Batman Returns

An der tatsächlichen Verwendung des Batman-Themas ändert sich in „Batman Returns“ relativ wenig, wie schon in „Batman“ hat der Dunkle Ritter auch hier keinen wirklichen, den Charakter verändernden Handlungsbogen und verfolgt auch nicht wirklich eine Agenda, sondern reagiert primär auf die auftauchenden Schurken, die Tim Burton in deutlich größerem Ausmaß interessieren als die Titelfigur; sie sind es, die die Handlung auslösen und vorantreiben. Anders als im Vorgänger ist das Batman-Thema als Leitmotiv aber nicht mehr alleine, im Unterschied zum Joker haben Catwoman und der Pinguin sehr wohl markante, eigene Themen, die sie durch den Film begleiten. Oswald Cobblepot verpasst Danny Elfman eine grandiose, tragisch anmutende und opernhafte Melodie, während Selina Kyles Leitmotiv von chaotischen, aber eleganten Streicherfiguren dominiert wird. Ein zusätzlicher, wichtiger Faktor im Aufbau dieses Scores ist außerdem die wilde Zirkusmusik der Pinguin-Gang. Mit allein dreien befindet sich das Batman-Thema im konstanten, musikalischen Duell. Das zeigt sich bereits bei der Betrachtung der Main-Title-Sequenz. Anders als in „Batman“ verfügt „Batman Returns“ über eine Pre-Title-Sequenz, in welcher der Hintergrund des Pinguins erläutert und die deshalb, verständlicherweise, von seinem Thema dominiert wird. Eine kurze Andeutung des Batman-Themas eröffnet den Film und auch über die eigentlichen Main Title wird das Leitmotiv des Dunklen Ritters gespielt. Da wir aber dem Kinderwagen des Pinguins durch die Kanalisation folgen, befindet sich das Batman-Thema bereits hier im Widerstreit mit dem Pinguin-Thema. Dieser Konflikt zieht sich durch den gesamten Score und erreicht seinen Höhepunkt in Umbrella Source – The Children’s Hour – War.

Dieses Ringen um musikalische Dominanz ist der Aspekt, der Batmans Thema in „Batman Returns“ vor allem auszeichnet, während es mit der Musik des Jokers kaum Interaktion gab. In Shadow of Doom – Clown Attack – Introducing the Bat ist es die bereits erwähnte Musik der Pinguin-Gang – ein derartiges Ringen findet sich noch häufiger. Besonders spannend ist die leitmotivische Interaktion in Sore Spots – Batman’s Closet. Die erste Hälfte des Tracks untermalt die romantische Szene zwischen Selina und Bruce; dementsprechend erhalten ihre beiden Themen eine selten gehörte romantische Färbung und greifen auf „liebevolle“ Weise ineinander, allerdings mit leichten Dissonanzen, sodass klar wird, dass diese Beziehung zum Scheitern verurteilt ist. Die zweite Hälfte des Tracks hingegen zeigt den Kontrast: Selina, die sich während der Autofahrt mehr schlecht als recht ihr Catwoman-Kostüm anzieht, wird durch ihre zurückgekehrten schrillen und chaotischen Streicher repräsentiert. Bruce hingegen schlüpft in seiner wohlgeordneten Bathöhle in den Latexanzug, dementsprechend fällt sein Thema hier besonders marschartig und militärisch aus. Diese Interaktion wird in Final Confrontation – Finale wieder aufgegriffen; gewissermaßen machen die beiden Themen hier ihren Frieden miteinander und vereinen sich zu einer Art Abgesang.

Spiritual Succession: Elfmans Nachfolger
Tim Burtons „Batman“ fand in den 90ern durchaus eine ganze Reihe von Nachahmern, auch wenn er, anders als die frühen X-Men- und Spider-Man-Filme, abseits der eignen Fortsetzungen keinen Superhelden-Boom auslöste. Stattdessen versuchte Hollywood in den 90ern, die alten Pulp-Helden, die als Vorlage für Batman dienten, zu revitalisieren, was zu inzwischen recht vergessenen Filmen wie „Dick Tracy“ (1990), „Darkman“ (1990), „The Shadow“ (1994) und „The Phantom“ (1996) führte. Selbst Martin Campbells definitiv nicht vergessenen, weil grandiosen „The Mask of Zorro“ (1998) könnte man zu dieser Kategorie rechnen. Die ersten beiden wurden zu allem Überfluss ebenfalls von Danny Elfman vertont und verfügen daher über eine ähnlich klingende Soundpalette wie „Batman“, was auch deren Themen mit einschließt. Umgekehrt ließen neue Inkarnationen von Batman das Elfman-Thema (zumindest mehr oder weniger) hinter sich, die ikonische Melodie blieb jedoch lange Zeit die Blaupause. Das zeigt sich bereits an Ellioth Goldenthals Batman-Thema, das dieser für Joel Schumachers „Batman Forever“ komponierte und in „Batman and Robin“ abermals an den Start brachte. Goldenthals Komposition fehlt die elegant Einfachheit, es ist ein deutlich komplexeres und zugleich extrovertierteres (um nicht zu sagen: überdrehteres) Thema, was sich vor allem in der Betonung des Marschaspektes zeigt. Trotzdem ist es aber ganz eindeutig von Elfmans Arbeit inspiriert und bedient dieselben Grundsatzanforderungen. Auch Shirley Walker, die an Elfmans erstem Batman-Score als Dirigentin arbeitete, ließ sich (aus nachvollziehbaren Gründen) stark von Elfmans Thema beeinflussen. Ich persönlich finde Walkers Batman-Thema sogar noch gelungener, wenn auch weniger ikonisch als Elfmans, da sie den tragischen Aspekt der Figur stärker herausarbeitet.

Die radikale Abkehrt vom Elfmann’schen Sound und dem leitmotivischen Vorbild erfolgte erst 2005, als Han Zimmer und James Newton Howard sich für Chris Nolans „Batman Begins“ von der gotischen Stilistik ab- und einem noch extremeren Minimalismus zuwandten, in dem sie dem Dunklen Ritter ein Zwei-Noten-Motiv verpassten, gerne unterlegt mit wummernden Ostinati. Dennoch meint man, in „The Dark Knight“ im Track I’m Not a Hero direkt zu Beginn eine subtile Anspielung auf Elfmans Batman-Thema herauszuhören. Wie dem auch sei, seither dominierte die Zimmer’sche Herangehensweise an Batman, wobei diverse Komponisten sich durchaus sowohl von Elfman als auch von Zimmer inspirieren ließen. Ein sehr gutes Beispiel ist die Musik, die Ron Fish und Nick Arundel für die Arkham-Spiele komponierten. Sowohl ihre Methodologie als auch ihr Batman-Thema muten wie ein Elfman-Zimmer-Hybrid an. Auch in späteren Leitmotiven lässt sich zumindest Indirekt eine Spur Elfman heraushören, sei es in Lorne Balfes Batman-Thema aus „The Lego Batman Movie“, Tom Holkenborgs Motiv für den Dunklen Ritter aus „Zack Snyder’s Justice League“ oder in Michael Giacchinos „The Batman“, wobei es hier weniger das eigentlich Motiv, sondern eher der Umgang mit demselben sowie die Instrumentierung ist, die hin und wieder Elfmans Arbeit in Erinnerung ruft.

Elfman Everywhere: Weitere Einsätze

Leitmotivische Kontinuität wird bei Superhelden selten gewahrt. Noch seltener kommt es vor dass, wie es etwa bei James Bond der Fall ist, unterschiedliche Inkarnationen einer Figur dasselbe Thema noch einmal bekommen. Generell gilt das auch für Batman, allerdings mit Ausnahmen, denn immer wieder beschloss man aus dem einen oder anderen Grund, doch noch einmal auf Elfmans Thema zurückzugreifen. Das bekannteste Beispiel dürfte sich „Batman: The Animated Series“ sein. Zwar komponierte Shirley Walker, wie oben erwähnt, ein eigenes, wirklich exzellentes Thema für diese Inkarnation des Dunklen Ritters, das auch noch in späten Auswüchsen des DC Animated Universe wie „Batman Beyond“, „Justice League Unlimited“, „Batman and Harley Quinn“ oder „Justice League vs. the Fatal Five“ zum Einsatz kam. Als die Serie jedoch im Fahrwasser von „Batman Returns“ ihren Einstand feierte, beauftragte man Danny Elfman damit, das Intro zu vertonen. Dieser entschied sich für eine abgewandelte Version des Themas aus den Burton-Filmen, das zudem auch in der einen oder anderen frühen Episode noch erklingt, zumeist an der Seite von Walkers Batman-Thema. Hervorstechende Beispiele sind die Episoden „On Leather Wings“, „Nothing to Fear“ und „The Last Laugh“. Der Spin-off Film „Batman & Mister Freeze: SubZero“ verwendet das Elfman-Thema zudem im Intro. In späteren Episoden – von den späteren Serien gar nicht erst zu sprechen – findet sich dann aber nichts mehr vom Elfman-Thema, mit einer eher kuriosen Ausnahme. Wenn Batman in der Serie „Static Shock“ auftritt, wird er vom Elfman-Thema in einer sehr merkwürdigen, elektronischen Version untermalt, die wohl nicht allzu sehr aus der eher Hip-Hop-lastigen Musik dieser Serie hervorstechen soll.

Im Lauf der Jahre finden sich zudem diverse Gastauftritte, zumeist in eher komödantischem Kontext. Diverse Lego-Spiele benutzen das Elfman-Thema, verwenden aber zumeist keine neu komponierten Versionen, sondern Tracks, die direkt den Burton-Filmen entnommen wurden. Zudem gibt es musikalische Cameos in der Arrowverse-Serie „Supergirl“ im Rahmen des Crossovers „Crisis on Infinite Earths“, in der Animationsserie „Justice League Action“, in der dritten Staffel von „Harley Quinn“ und ich meine, in „Batman: The Brave and the Bold“ findet sich auch mindestens ein Einsatz des Elfman-Themas. Ein besonders kurioser Gastauftritt ist zudem in Steven Price‘ „Suicide Squad“, genauer im Track You Make My Teeth Hurt, zu hören. In David Ayers missglückter Umsetzung des Schurkenteams hat Batman ein, zwei größere Auftritte, darunter auch eine Szene, in der er den Joker und Harley Quinn einfängt. Der zugehörigen Track könnte man guten Gewissens als Batman-Hommage-Stück beschreiben, nicht nur zitiert Price hier mehrmals Elfmans Thema (wenn auch in abgewandelter Form), der Rhythmus sowie die Begleitung des Ganzen klingt verdächtige nach Neal Heftis Thema.

Sein großes Revival feierte Elfmans Leitmotiv jedoch im Rahmen der Kinofassung von „Justice League“ im Jahr 2017. Über Danny Elfman als Ersatz für Tom Holkenborg habe ich bereits mehrfach ausführlich geschrieben und werde das hier nicht wiederholen. Nur so viel: Elfman machte keinen Hehl daraus, dass er von den Zimmer/Holkenborg-Kompositionen für den Dunklen Ritter nicht allzu viel hielt, sondern setzte lieber sein eigenes Thema ein, allerdings keinesfalls so üppig wie in den Burton-Filmen und auch nicht auf dieselbe Weise. Die Marschvariation ist beispielsweise nur einmal im Track The Final Battle zu hören. Dennoch ist das Elfman-Thema in „Justice League“ ein essentieller Faktor, da es die Struktur des Scores auf nachhaltige Weise bestimmt und gewissermaßen nie weit entfernt ist; subtile An- und Einspielungen finden sich überall, beginnen bei Hero’s Theme und endend mit Anti Hero’s Theme. Die eindeutigsten Variationen tauchen in den Tracks Then There Were Three, Tunnel Fight und dem bereits erwähnten The Final Battle auf. Ein stilistisch ähnliches Cameo findet sich zudem in Lorne Balfes „DC League of Super-Pets“ aus dem letzten Jahr und auch in dem Crossoverspiel „MultiVersus“ wird ausgiebig Gebrauch von Elfmans Thema gemacht.

Ausblick
Dass Elfmans Batman-Thema in „The Flash” auftauchen wird, steht bereits fest – ich erwähnte das Video mit dem kurzen Score-Ausschnitt. In welcher Kapazität es eine Rolle spielen wird, ist natürlich eine andere Frage: Ein, zwei kleine Cameos oder doch eine zentrale Rolle inklusive Entwicklung? Der Umstand, dass in besagtem Video eine eher ungewöhnliche Chor-Variation auftaucht, spricht tatsächlich eher für Letzteres. Auf jeden Fall habe ich Vertrauen in Benjamin Wallfischs Fähigkeiten. Zwar bin ich kein großer Fan seiner Kollaborationen mit Hans Zimmer (Beispiele wären „Blade Runner 2049“ oder „Dunkirk“), aber solo liefert Wallfisch zumeist solide bis exzellente Arbeit ab, egal in welchem Genre, sei es Historienepos („Fetih 1453“), Horror („A Cure for Wellness“, „It“) oder Superhelden („Shazam!“).

Siehe auch:
Score-Duell: Justice League – Elfman vs. Holkenborg
Stück der Woche: Batman: The Caped Crusader
Danny Elfman’s Batman: A Film Score Guide
The Batman – Soundtrack

Stück der Woche: Batman: The Caped Crusader

Der Rahmen des Superbowl ausgestrahlte Trailer für den kommenden Film „The Flash“ zeigte eine ganze Reihe von Rückkehrern aus bisherigen DC-Filmen – neben Ben Afflecks Batman und Michael Shannons General Zod ist der „Hingucker“ des Trailers natürlich vor allem Michael Keatons Batman. Zudem wird, sollte der Trailer ein Indikator sein, auch Danny Elfmans Batman-Thema ein weiteres Revival feiern. Dabei handelt es sich freilich nicht um das erste – immer wieder griffen Kreativschaffende auf dieses Leitmotiv für den Dunklen Ritter zurück. Obwohl es noch eine Vielzahl an weiteren Batman-Themen gibt, kann doch eines mit Fug und Recht behauptet werden: Wenn es so etwas wie ein definitives Thema für die Figur gibt, eine musikalische Repräsentation für das abstrahierte Konzept „Batman“, dann ist es dieses. Interessanterweise liegt das letzte Revival dieser Melodie (das kurze Cameo in „DC League of Super Pets“ nicht mitgerechnet) noch nicht allzu lange zurück. Es geschah im Rahmen des Spiels „MultiVersus“, eines Crossover-Kampfspiels, in welchem Figuren diverser verschiedener Franchises gegeneinander antreten. Die Musik für dieses Spiel schrieben Stephen Barton, Gordy Haab, Kevin Notar und Edouard Brenneisen. Vor allem die ersten beiden sind SW-Fans definitiv keine Unbekannten und komponierten u.a. die Musik für „Jedi: Fallen Order“. Gerade Haab besitzt zweifellos eine Begabung dafür, John Williams Stil zu imitieren und tat das nicht nur im Rahmen von „Fallen Order“, sondern u.a. auch bei Spielen wie „Star Wars: The Old Republic“, „Star Wars Battlefront“, Star Wars Battlefront II“ oder „Star Wars: Squadrons“. Für „MultiVersus“ galt es nun allerdings, eine ganze Reihe von Stilen und musikalischen Einflüssen miteinander zu vereinen.

Das zum Spiel veröffentlichte Soundtrackalbum beinhaltet eine größere Zahl von Themen-Suiten, von denen zwei Batman gewidmet sind. Batman: From Shadow Reborn orientiert sich stilistisch sehr an der Musik, die Hans Zimmer und James Newton Howard für Chris Nolans Dark-Knight-Trilogie komponierten, ohne allerdings tatsächlich Material aus diesen Scores zu zitieren. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Batman: The Caped Crusader um eine über sechs Minuten lange Verarbeitung von Elfmans Thema, die sich stilistisch allerdings doch deutlich von den Scores der beiden Burton-Filme unterscheidet. Was hier fehlt, ist die düster-gotische Verspieltheit, die die Musik der Filme von 1989 und 1992 ausmacht. Das Ganze klingt freundlicher, positiver und heroischer als Elfmans Version in Burtons Filmen, ohne Zweifel der etwas kindlicheren bzw. parodistischen Natur des Spiels geschuldet. Mitunter fühlt man sich ein wenig an Elfmans Verwendung des Themas in „Justice League“ erinnert. In der ersten Hälfte des Tracks wird primär das aus fünf bzw. sechs Noten bestehende Kernmotiv bearbeitet und variiert, die oben erwähnten Eigenschaften treffen primär auf diesen Teil zu. Ab der Vierminutenmarke nehmen sich Haab und Co. des Marschteils an, dessen primäres Statement sich tatsächlich sehr eng am Original orientiert. Zusätzlich lassen die Komponisten Elfmans Thema vor allem in der zweiten Hälfte des Tracks immer wieder mit dem MultiVersus-Hauptthema interagieren, was erstaunlich gut funktioniert. Ursprünglich wollte ich diese wirklich gelungene Bearbeitung des Danny-Elfmans-Themas in „Das Soundtrack-Jahr 2022“ aufnehmen, habe das dann aber schlicht vergessen, darum wird der Track nun stattdessen zum Stück der Woche.

Siehe auch:
Das Soundtrack-Jahr 2022
Score-Duell: Justice League – Elfman vs. Holkenborg

Das Soundtrack-Jahr 2022

Spoiler für „House of the Dragon”!

Die Soundtrack-Bestenliste des vergangenen Jahres war früher ein konstanter Bestandteil meines Blogs, in den letzten paar Jahren hatte ich allerdings kaum Zeit oder Muße, ein derartiges Unterfangen anzugehen. Zwar bin ich auch für 2022 weit davon entfernt, einen wirklich umfangreichen Überblick über die Score-Veröffentlichungen zu haben (von den zugehörigen Filmen gar nicht erst zu sprechen), aber zum ersten Mal seit längerem reizt es mich wieder, das, was ich gehört habe, in Listenform zu rekapitulieren. Von einem Ranking der größten Enttäuschungen habe ich dieses Mal abgesehen, stattdessen möchte ich mich auf die positiven Aspekte konzentrieren. Dementsprechend finden sich auf dieser Liste wohl auch nicht allzu viele überraschende Einträge; wer meinen Filmmusikgeschmack kennt, kann wahrscheinlich sehr gut erraten, welche Scores es geschafft haben. 2022 war interessanterweise ein erstaunlich gutes Jahr für Superheldenscores und ein ziemlich enttäuschendes für Star-Wars-Musik. Wie schon zuvor gibt es neben der eigentlichen Liste auch Honourable Mentions in Form herausragender Einzelstücke sowie zwei besondere Erwähnungen, die interessanteste Neuentdeckung, die nicht spezifisch etwas mit 2022 zu tun hat, ich habe sie nur in diesem Jahr gemacht, und die beste Neuauflage eines bereits veröffentlichten Scores, der endlich das Album bekommen hat, das er verdient.

Interessanteste Neuentdeckung: Hostel & Hostel Part II (Nathan Barr)

Nun gut, dieser erste Beitrag ist praktisch purer Zufall und hat, wie erwähnt, nicht per se etwas mit dem Jahr 2022 zu tun. Neben der Saw-Reihe sind die Hostel-Filme von Eli Roth wahrscheinlich der bekannteste Auswuchs der Torture-Porn-Welle der 2000er. Ich habe beide aus mir nicht wirklich ersichtlichen Gründen gesehen, sie für schlecht befunden, aus meinem Gedächtnis verbannt und an die Musik keine weiteren Gedanken verschwendet. Zu Unrecht, wie ich im vergangenen Jahr festgestellt habe, denn Komponist Nathan Barr hat wirklich beeindruckende Musik für die beiden Ausflüge in den Folterkeller komponiert. Keine Spur vom unhörbaren elektronischen Sounddesign, das ich wohl im Score dieser Filme erwartet hätte, sondern solide, orchestrale Kost, die in ihren Suspense- und Horror-Techniken hin und wieder an Christopher Young und ziemlich oft auch an Bernard Herrmann erinnert. Angereichert wird das durch eine Anzahl erstaunlich lyrischer und melodischer Passagen, exemplarisch sei hier der Eröffnungstrack des zweiten Teils, Suite (Amid a Crowd of Stars) erwähnt. Ich wäre angesichts dieser beiden Scores fast geneigt, mir die Filme noch einmal anzusehen, um Barrs Musik im Kontext zu erleben. Fast…

Beste Neuauflage: Tomorrow Never Dies (David Arnold)

Lange überfällig, endlich da: Während die anderen beiden Scores, die David Arnold für Pierce Brosnans James Bond geschrieben hat, bereits vor einigen Jahren vom Label La-La-Land Records vernünftige Alben bekamen, ließ Arnolds Debüt als 007-Komponist, „Tomorrow Never Dies“, viel zu lange auf sich warten. Über die ursprüngliche Albensituation und die Großartigkeit dieses Soundtracks habe ich an anderer Stelle bereits sehr ausführlich geschrieben, darum nur so viel: Das neue La-La-Land-Album erfüllt alle Erwartungen. Nicht nur wird der komplette Score auf zwei CDs geboten, es gibt auch eine Reihe an alternativen Tracks, zusätzlich zu einem sehr informativen Booklet. Absolute Kaufempfehlung, nach wie vor der beste Soundtrack der Filmreihe.
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Einzelstücke

Hekla aus „The Northman” (Robin Carolan und Sebastian Gainsborough)

Für „The Northman“ hat das Komponistenduo Robin Carolan und Sebastian Gainsborough einen sehr authentischen und rohen Score komponiert, der den Ansprüchen eines Robert-Eggers-Filmes definitiv gerecht wird, abseits des Films aber nicht unbedingt besonders gut hörbar ist. Das Werk kulminiert gewissermaßen in Hekla, dem Track, der das finale Duell von Amleth und seinem Onkel Fjölnir untermalt. Hier zeigen Carolan und Gainsborough durch massiven Choreinsatz sowohl die ungezügelte Wildheit dieser beiden Nordmänner als auch die nicht minder ungezügelte Wildheit der Natur. Zudem habe ich ein besonderes Faible für schicksalhafte Duelle vor vulkanischem Hintergrund, untermalt von beeindruckenden Chorpassagen.
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The Hammer of Thor aus „God of War: Ragnarök” (Bear McCreary)

Noch mehr Wikinger. Unter „normalen“ Umständen wäre dieser Game-Score mit Sicherheit auf der „Hauptliste“ gelandet, aber ich wollte sie nicht mit McCreary fluten und es gibt zugegebenermaßen ziemlich große Ähnlichkeiten zwischen „God of War: Ragnarök“ und einem bestimmten anderen Soundtrack. Dennoch soll er nicht unerwähnt bleiben. Ich persönlich finde McCrearys zweiten God-of-War-Score etwas schwächer als den ersten, was vielleicht daran liegen könnte, dass seine Aufmerksamkeit von dem bereits erwähnten anderen Projekt gefesselt wurde. The Hammer of Thor ist, ähnlich wie Hekla, ein chorlastiger Actiontrack, in seiner Konzeption aber deutlich traditioneller, mit vollem Orchester, angereichert durch einige nordische Spezialinstrumente . Zudem baut McCreary diverse Themen ein, unter anderem eine äußerst beeindruckende Variation seines Kratos-Themas, das als Höhepunkt dieses Stückes fungiert.
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Lake Baikal aus „Black Adam” (Lorne Balfe)

So wie es aussieht, neigt sich das filmische DC-Universum, wie wir es kennen, nun endgültig dem Ende entgegen. Einer der letzten Auswüchse ist das nun beinahe ein Jahrzehnt lang vorbereitete Dwayne-Johnson-Vehikel „Black Adam“. Der Score stammt von Remote-Control-Veteran Lorne Balfe und ist eine ziemlich massive Angelegenheit, Action-Musik von Anfang bis Ende. In vielerlei Hinsicht versucht Balfe hier, die Stilmittel von DC-Scores wie „Man of Steel“ und „Batman v Superman: Dawn of Justice“ mit einer klassischeren Genre-Sensibilität zu verknüpfen, für meinen Geschmack ist das alles aber immer noch deutlich zu prozessiert und mit viel zu vielen elektronischen Effekten versehen. Das Thema der Titelfigur finde ich persönlich auch eher suboptimal, aber das Leitmotiv der Justice Society hat es mir durchaus angetan – wären da nur nicht die ganzen elektronischen Effekte und Dance-Beats in der Themen-Suite oder dem Debüt-Track Introducing the JSA. Im Track Lake Baikal präsentiert Balfe das Thema dieses Superheldenteams allerdings in einer deutlich klassischeren Ausprägung, die eher an die Zimmer-Power-Hymnen der späten 90er und frühen 2000er statt an seine DC-Musik der 2010er-Jahre erinnert.
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Such Sights to Show You aus „Hellraiser” (Ben Lovett)

David Bruckners Hellraiser-Reboot kann aus mir unerfindlichen Gründen hierzulande nach wie vor auf keinem Streamingdienst begutachtet und auch nicht käuflich erworben werden, was mich geringfügig frustriert. Der Score von Ben Lovett hingegen ist verfügbar, aber aus anderen Gründen etwas frustrierend. Stilistisch handelt es sich hierbei eher um einen Horror-Score moderner Prägung, sehr elektronisch, bedacht auf Atmosphäre und Sound-Design. Zugleich haben Bruckner und Lovett allerdings beschlossen, das musikalische Vermächtnis des Franchise zu ehren, was im Klartext bedeutet, dass im Score durchaus üppiger Gebrauch von Christopher Youngs Themen gemacht wird, was mir als Fan leitmotivischer Kontinuität (und Christopher Youngs) natürlich zusagt – wie man an den späteren Hellraiser-Filmen feststellen konnte, funktioniert dieses Franchise mit Youngs Themen deutlich besser als ohne. Frustrierend ist, dass die beiden Aspekte des Scores, modernes, eher elektronisches Sounddesign auf der einen und Youngs Themen auf der anderen Seite nie so recht zusammen finden wollen. Zudem sind Lovetts Variationen dieser Themen den originalen, sehr viel besser orchestrierten deutlich unterlegen. Am nächsten kommt Lovett dem Vorbild in Such Sights to Show You; hier erlaubt er dem Hauptthema des ersten Films zumindest annähernd in die bombastischen Gefilde aufzusteigen, in denen Young seine Themen präsentierte.

The Escape aus „Fantastic Beasts: The Secrets of Dumbledore” (James Newton Howard)

So ziemlich der einzige lohnende Aspekt des dritten Fantastic-Beasts-Films ist schon, wie beim Vorgänger, der Score von James Newton Howard. Während auch der dritte Eintrag dieser inzwischen gescheiterten Harry-Potter-Prequel-Serie zu überzeugen weiß, ist er aus meiner Sicht doch der schwächste der drei. Während die lyrisch-elegischen Passagen nach wie vor zu überzeugen wissen, fehlt hier das Abenteuer-Element, das vor allem „Fantastic Beasts and Where to Find Them“ zu einem so unterhaltsamen Soundtrack machte. Mein Lieblingsthema ist Newt Scamanders heroisches Leitmotiv, das mich an die klassischen Western-Scores von Elmer Bernstein erinnert – leider erklingt dieses in „The Secrets of Dumbledore“ nur äußerst selten, aber immerhin spendiert Howard diesem Thema in The Escape noch einmal einen glorreichen, wenn auch kurzen Auftritt.
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Protector of the Realm aus „House of the Dragon” (Ramin Djawadi)

Der Score der ersten Staffel von „House of the Dragon“ bot relativ wenig Überraschungen: Nicht nur verpflichtete HBO den GoT-Komponisten Ramin Djawadi, dieser knüpfte stilistisch und leitmotivisch direkt an die Mutterserie an. Gerade im Vergleich zu den späteren GoT-Staffeln fällt dieser Score allerdings deutlich unspektakulärer aus, da „House of the Dragon wieder deutlich mehr komplexe Dialogszenen hat, in denen die Musik in den Hintergrund tritt – über weite Strecken passiert leider nicht allzu viel, immer wieder gelingt es Djawadi allerdings, den emotionalen Kern der Geschichte genau zu treffen. Protector of the Realm ist ein gutes Beispiel. Dieser Track wirkt ohne Kontext vielleicht nicht allzu beeindruckend, im Geflecht von Djawadis Motivarbeit und im Zusammenspiel mit der zugehörigen Szene entfaltet er aber seine volle Wucht. Die Kombination aus Viserys‘ persönlichem Leitmotiv und dem aus GoT bekannten Königsthema untermalt den letzten Gang des todkranken zum Eisernen Thron wirklich perfekt und betont die gesamte Tragik dieser Figur.
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Top 13

Platz 13: The Pale Blue Eye (Howard Shore)

Neue Scores von Howard Shore sind inzwischen eine Rarität geworden, das Mastermind hinter der Musik der LotR-Trilogie vertont nur noch sehr ausgewählte Filme – wobei auch erwähnt werden muss, dass er in den 2020ern aktiver war als in der zweiten Hälfte der 2010er. Vom Fantasy-Genre hält sich Shore, mit einer offensichtlichen Ausnahme, zudem eher fern. Für den Netflix-Film „The Pale Blue Eye“ komponierte Shore einen Score, der nahtlos an seine früheren, atmosphärischen Thriller wie „The Silence of the Lambs“ oder „A History of Violence“ anknüpft. Shores effektive Suspense-Techniken sorgen für eine düstere, bedrückende Atmosphäre. Dabei ist „The Pale Blue Eye“ für Mittelerde-Fans durchaus interessant, da es immer wieder Anklänge an das Mordor-Material gibt, besonders in den, zugegebenermaßen recht wenigen, Action-Tracks wie Attack on the Road. Da ich „The Pale Blue Eye“ noch nicht gesehen habe, weiß ich nicht, wie der Score im Film-Kontext wirkt, aber in jedem Fall funktioniert er ideal als Untermalung bedrückender, düsterer Lektüre – was als Kompliment zu verstehen ist.

Platz 12: Wednesday (Danny Elfman, Chris Bacon)

Als großer Fan der beiden Addams-Family-Filme aus den 90ern war ich natürlich sehr neugierig auf die neue Inkarnation, nicht zuletzt wegen der Beteiligung Tim Burtons. Der überwältigende Erfolg von „Wednesday“ will sich mir, ehrlich gesagt, nicht völlig erschließen; zwar ist diese Staffel durchaus unterhaltsam und anschaubar, aber doch auch ein recht typisches, konventionell konstruiertes YA-Mystery-Drama mit ziemlich vorhersehbarer Handlung, eindeutig zu wenig Addams Family und, zugegeben, sehr guten darstellerischen Leistungen, vor allem von Jenna Ortega. Wie dem auch sei, Tim Burtons Mitwirken an einem Projekt wie diesem garantiert natürlich die Beteiligung Danny Elfmans. Die Musik der Serie komponierte Elfman zusammen mit Chris Bacon; herausgekommen ist genau das, was man erwartet: gotisch-düstere Extravaganz, ebenso verspielt wie unterhaltsam mit einem sehr eingängigen Titelthema. Im Vergleich zu, sagen wir „Sleepey Hollow“ oder „The Wolfman“ kommt der Score von „Wednesday“ etwas unfokussierter daher, was aber auch mit dem Serienformat und dem doch sehr umfangreichen Album zusammenhängen mag. Soweit ich gehört habe, zitieren Elfman und Bacon weder das klassische Thema der 60er-Serie von Vic Mizzy noch die Musik von Marc Shaiman aus den 90ern, bewegen sich aber in ähnlichen Bereichen und tänzeln mitunter regelrecht um die vertrauten Melodien herum.

Platz 11: DC League of Super Pets (Steve Jablonsky)

Bei Superhelden-Scores von RCP-Komponisten bin ich immer erst einmal vorsichtig (siehe „Black Adam“), aber bei „DC League of Super-Pets“ ist diese Vorsichtig nicht angebracht, denn der parodistisch anmutende Animationsfilm besinnt sich auf die klassischen Genre-Tugenden und besticht durch schöne Orchester-Arbeit und aufregende Action-Passagen sowie eingängige Themen. Stilistisch erinnert mich Jablonskys Arbeit stark an Danny Elfmans „Justice League“ – ein Score, der meinem Empfinden nach sehr unfair behandelt wurde. Wie „Justice League“ ist auch „DC League of Super Pets” zweifelsohne ein moderner Action-Score, der sich aber zugleich an den Klassikern des Genres orientiert und dem die Balance deutlich besser gelingt als „Black Adam“. Zudem verschafft Jablonsky sowohl Danny Elfmans Batman-Thema als auch den Themen für Krypton und Superman von John Williams Gastauftritte, zwar kaum mehr als musikalische Cameos, die aber dennoch sehr willkommen sind. Wer also nach einem geistigen Nachfolger zu Elfmans „Justice League“ sucht, wird hier zweifellos fündig.

Platz 10: Avatar: The Way of Water (Simon Franglen)

Bereits an „Avatar“ arbeitete Simon Franglen eng mit James Horner zusammen, ebenso wie an den nachfolgenden Horner-Scores. Als Horner 2016 bei einem Flugzeugabsturz verstarb, war es Franglen, der Horners letzten Soundtrack, „The Magnificent Seven“, vollendete. Insofern war es nur logisch, Franglen das Avatar-Sequel vertonen zu lassen, nicht zuletzt, da er bereits für die Musik der Disney-World-Attraktion „Pandora – The World of Avatar“ verantwortlich war. „Avatar: The Way of Water“ ist eine beeindruckende Errungenschaft, Franglen knüpft an die Stilmittel und Leitmotive Horners direkt an, sorgt aber zugleich dafür, dass der Score nicht zur reinen Pastiche verkommt; Franglens eigener Kompositionsstil ist durchaus präsent. Immer wieder finden sich Passagen, die Horner auf diese Art wohl nicht komponiert hätte, die aber trotzdem nicht wie Fremdkörper wirken. Diese Balance zu halten ist eine schwierige Aufgabe, die Franglen mit Bravour meistert. Ich könnte mir vorstellen, dass meine Meinung zu diesem Score noch positiver wird, wenn ich ihn im Kontext erlebt habe.

Platz 9: Thor: Love and Thunder (Michael Giacchino, Nami Melumad)

Der Donnergott ist neben Iron Man wohl das größte Opfer des Mangels an leitmotivischer Kontinuität im MCU: In jedem, wirklich jedem seiner Solo-Filme wird er mit einem neuen Thema bedacht. Dass Mark Mothersbaugh in „Thor: Ragnarok“ einmal das Patrick Doyle-Thema zitiert, hilft da nur bedingt. „Thor: Love and Thunder“ ist keine Ausnahme. Obwohl Michael Giacchino (der hier zusammen mit Nami Melumad komponiert) sich in einigen seiner bisherigen MCU-Scores durchaus geneigt zeigte, bereits etablierte Themen zumindest zu zitieren, verwirft er hier ein weiteres Mal alles vorher Dagewesene. Giacchinos Thor-Thema gilt dem Konzept, unabhängig davon, wer welchen Hammer schwingt, und wird deshalb sowohl für die von Chris Hemsworth dargestellte Version als auch Natalie Portmans Jane-Foster-Thor verwendet, was mich nur noch mehr frustriert. Giacchino hätte sein neues Thema ausschließlich für Jane Foster verwenden und für die altbewährte Inkarnation auch eines der vorher etablierten Themen verwenden können – idealerweise das von Doyle. Wie dem auch sei, von diesem Faktor abgesehen ist Giacchinos Score schlicht brachial unterhaltsam. Das Thema für die beiden Thors ist absolut eingängig und gelungen und vor allem die völlig überdrehten Action-Passagen, inklusive Einsatz von Chor und E-Gitarre, wissen zu gefallen. Giacchino und Melumad knüpfen somit teilweise an Mothersbaughs Arbeit an, verzichten aber größtenteils auf die Retro-Synth-Effekte, was mir persönlich nicht ganz unrecht ist, aber eben auch auf Mothersbaughs Verweise auf die vorherigen Scores.
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Platz 8: Doctor Strange in the Multiverse of Madness (Danny Elfman)

Selbst ein Michael Giacchino ist nicht davor gefeit, durch einen anderen Komponisten ersetzt zu werden, wenn es einen Regisseurwechsel gibt. Als Sam Raimi nach Scott Derricksons Ausscheiden das Doctor-Strange-Sequel in Angriff nahm, brachte er Danny Elfman an den Start. Anders als Giacchino und Melumad bei „Thor: Love and Thunder“ greift Elfman durchaus auf das bereits etablierte leitmotivische Material zurück und zitiert nicht nur das Doctor-Strange-Thema, sondern auch das Titelthema aus der Serie „WandaVision“ von Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez, Alan Silvestris Captain-America-Marsch und sogar die Titelmelodie der X-Men-Animationsserie aus den 90ern. Allerdings verpasst Elfman Doctor Strange ein zusätzliches neues Thema, das in meinen Augen nicht nur deutlich schwächer als das alte, sondern auch ziemlich unnötig ist, und er nimmt leider keinerlei Rücksicht auf die spezielle Instrumentierung, die das hervorstechendste Merkmal des ersten Strange-Scores war und auch prominent in „Spider-Man: No Way Home“ zum Einsatz kam. Stattdessen ist Elfmans „Doctor Strange in the Multiverse of Madness” fest in Elfmans modernem Action-Stil verankert, mit Anleihen aus seinen Horror-Arbeiten. Obwohl ich mir mehr stilistische Anleihen aus „Doctor Strange“ gewünscht hätte, bin ich doch ein großer Fan von Elfmans Stil, insofern ist dieses Werk, abseits dieser Aspekte, extrem unterhaltsam, dynamisch, lebendig und kreativ. Es mag merkwürdig wirken, dass sowohl „Thor: Love and Thunder“ als auch „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ angesichts meiner Kritikpunkte derartig hoch auf der Liste gelandet sind, aber trotzdem haben sie es geschafft, mich nachhaltig zu beschäftigen, zu unterhalten und wurden seit Erscheinen zudem sehr, sehr häufig angespielt, weshalb ich diese Platzierung für gerechtfertigt halte.
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Platz 7: Violent Night (Dominic Lewis)

Es ist faszinierend, wie gut sich sowohl die Melodien als auch die Stilmittel klassischer Weihnachtslieder für verschiedene Genres adaptieren lassen, wie sich am Beispiel diverser Scores zeigt, seien es Komödien („Home Alone“), Superhelden („Batman: Arkham Origins“), Horror („Krampus“), Bibelverfilmungen („The Nativity Story) oder natürlich Action – man denke nur an „Arthur Christmas“ oder, das wohl populärste Beispiel, „Die Hard“. In eine sehr ähnliche Kerbe schlägt auch Dominic Lewis‘ „Violent Night“, ein extrovertierter, sehr überdrehter Action-Score, der nicht nur dank der melodischen Qualität seiner eigenen Themen, sondern auch durch die gelungene, um nicht zu sagen subversive Einbindung diverser Weihnachtslieder zu überzeugen weiß. Stilistisch ist Lewis nicht allzu weit von Alan Silvestri oder John Williams entfernt. Wer einen ebenso schönen wie absurden Weihnachts-Score sucht, macht mit „Violent Night“ sicher nichts falsch.

Platz 6: Paws of Fury: The Legend of Hank (Bear McCreary)

Ich habe eine besondere Schwäche für die Mischung von traditionellem Orchester und ostasiatischer Instrumentierung, egal ob „Mulan“, „The Monkey King“, „Kung Fu Panda“, „The Last Samurai“, „The Promise“ oder gar „World of Warcraft: Mists of Pandaria“. Bear McCrearys „Paws of Fury: The Legend of Hank“ stimmt ähnliche Töne an, vor allem zu den drei Kung-Fu-Panda-Scores von John Powell und Hans Zimmer finden sich eine Reihe von Parallelen. „Paws of Fury“ bietet genau die Art von aufwändig konstruierter musikalischer Extrovertiertheit, die sich gegenwärtig oft nur im Animationsbereich findet. Zusätzlich mischt McCreary auch noch Elemente aus Ennio Morricones Western-Scores und einer Prise Jazz in diese musikalische Suppe. Das Ganze ist ein faszinierendes Konglomerat, eine wilde Mischung, die deutlich besser funktioniert als sie eigentlich sollte. Wer 2022 einen zünftigen Powell-Animations-Score vermisst, findet in dieser Arbeit von Bear McCreary vielleicht einen angemessenen Ersatz.

Platz 5: Moon Knight (Hesham Nazih)

Unglaublich aber wahr, der beste MCU-Score des Jahres stammt von einem in westlichen Gefilden ziemlich unbekannten Komponisten, auch wenn man bei Hesham Nazih kaum von einem Newcomer sprechen kann, schließlich ist er nicht nur seit über zwanzig Jahren als Komponist tätig, sondern in seiner Heimat Ägypten auch sehr bekannt und populär. Anders als bei „Thor: Love and Thunder“ oder „Doctor Strange in the Multiverse of Madness” muss man hier keinerlei leitmotivische Abstriche machen, da „Moon Knight“ sehr vom restlichen MCU losgelöst ist. Für die Titelfigur liefert Nazih ein enorm starkes Thema, das er, analog zu den Persönlichkeiten Moon Knights, wunderbar spalten und fragmentieren kann. Der dominanteste und beeindruckendste Aspekt des Scores sind wohl die vielen, monumentalen Chorpassagen, die einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen. Bedingt durch die Thematik der Serie und die dazu passende Instrumentierung klingt Nazihs Arbeit eher nach Hollywoods Orient-Sound als nach der typischen MCU-Musik, kommt dabei aber deutlich authentischer und weniger klischeehaft rüber, als es bei, sagen wir, „The Mummy“ oder „Gods of Egypt“ der Fall ist (die natürlich trotzdem beide exzellent sind). Ich jedenfalls hoffe, dass „Moon Knight“ Nazih viele Türen öffnet.

Platz 4: Interview with the Vampire (Daniel Hart)

Zuerst war ich bei dieser Neuauflage von „Interview with the Vampire“ recht skeptisch, nicht zuletzt wegen der massiven Abweichungen von Anne Rice‘ Roman. Und natürlich wäre da noch der Umstand, dass es sich beim Film von Neil Jordan um eine fast perfekte Adaption handelt. Aber trotz einiger erzählerischer und inhaltlicher Mängel war ich insgesamt durchaus angetan von dieser ersten Staffel. Einer der größten Pluspunkte der Serie ist zweifellos der Score von Daniel Hart, der wunderbar altmodisch, fast schon klassisch, melodiös und gotisch klingt. Der Vergleich zu Elliot Goldenthals Musik von 1994, immerhin einer meiner liebsten Horror-Soundtracks, drängt sich natürlich fast schon auf, und tatsächlich, es gibt gewisse Parallelen. Daniel Harts Fokus liegt allerdings, ebenso wie der der Serie, stärker auf den romantischen Aspekten, und weniger auf dem schieren Grandeur und der orchestralen Brutalität des Goldenthals-Scores. Natürlich haben wir es hier mit einer zutiefst toxischen und ungesunden Romanze zu tun, und auch das spiegelt sich in Harts Musik wider und entsprechend fällt die Entwicklung zum Ende hin auch aus.

Platz 3: The Batman (Michael Giacchino)

Erstaunlich, was man mit vier Noten so alles anstellen. Nach Jahren der Zimmer-Dominanz im Batman-Bereich liefert Michael Giacchino endlich mal wieder einen Score für den Dunklen Ritter, der sich vom Wummern und Dröhnen distanziert, Gotham City mit den musikalischen Mitteln des Thrillers und des Film Noir darstellt und seinen Titelhelden fast schon wie ein Monster behandelt. Aber vor allem wird endlich einmal wieder ordentliche Orchesterarbeit geboten. Während Giacchinos Motiv für Batman in mancher Hinsicht ein wenig enttäuschend ist (ich hätte doch gerne mal wieder ein etwas komplexeres Batman-Thema), so ist es doch unleugbar effektiv. Dasselbe gilt auch für die anderen beiden dominanten Themen für Catwoman und den Riddler und die gesamte Tonalität.
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Platz 2: The 13 Lords of Shogun (Evan Call)

Jedes Jahr seit 1963 strahl der japanische Sender NHK ein sog. „Taiga-Drama“ aus – dabei handelt es sich um eine ziemlich epochale Serie mit etwa 40 bis 50 Folgen, die sich einer Figur oder einer Thematik der japanischen Geschichte annimmt. Das Taiga-Drama des Jahres 2022 trägt den Titel „The 13 Lords of Shogun“ und thematisiert die Herrschaft von Hōjō Yoshitoki, der von 1205 bis 1224 Japan regierte. Die Musik komponierte der britische, aber in Japan ansässige Komponist Evan Call. Auf dieses umfangreiche Werk – „The 13 Lords of Shogun“ wurde in Form von drei äußerst üppigen Alben veröffentlicht – bin ich eher durch Zufall in einem Soundtrack-Forum gestoßen, die Serie selbst habe ich nicht gesehen, weiß also auch nicht, wie sie im Kontext wirkt. Was ich weiß ist, dass Evan Calls Arbeit ein wirklich episches, ja geradezu monumentales Werk ist, voll von grandiosen Melodien, beeindruckender Action-Musik, aber auch sehr ruhigen, lyrischen und mitunter verspielten Passagen. Das Ganze mutet zwar japanisch an, kommt aber, ähnlich wie „Moon Knight“, deutlich authentischer rüber, als es bei einem typischen Hollywood-Score der Fall ist.

Platz 1: The Lord of the Rings: The Rings of Power (Bear McCreary)

Mittelerde-Scores haben die Angewohnheit, in meinen Rankings an der Spitze zu landen. So viele Probleme ich auch mit „The Lord of the Rings: The Rings of Power” habe, der Score von Bear McCreary ist DAS Element, das vollauf und rundum überzeugt. Ähnlich wie Howard Shore arbeitet McCreary mit einer Vielzahl an Leitmotiven, die er konsequent entwickelt und miteinander agieren lässt. Dabei gelingt es McCreary sehr gut, auf einem schmalen Grat zu wandern: Zwar darf er sich nicht der Themen und Motive aus den beiden Jackson-Trilogien bedienen, verankert seine Version von Mittelerde aber dennoch in einer ähnlichen stilistischen und instrumentalen Palette (etwa Männerchöre für die Zwerge, keltisch anmutende Musik für die Hobbits/Haarfüße etc.). Zugleich handelt es sich hier aber unverkennbar um McCrearys Interpretation von Tolkiens Werk und nicht nur um eine bloße Nachahmung von Shores Arbeit. Eingängige Themen und Melodien, lyrische Schönheit und beeindruckende Action – zumindest auf musikalischer Ebene bietet „The Lord of the Rings: The Rings of Power“ alles, was man sich nur wünschen kann.
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Doctor Strange in the Multiverse of Madness – Ausführliche Rezension

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Seit seinem Debüt in Scott Derricksons „Doctor Strange“ trat Marvels Sorcerer Supreme primär in Nebenrollen auf; während man Spider-Man zwischen 2017 und 2021 drei Filme gewährte, musste Stephen Strange auf seinen zweiten Solo-Auftritt ganze sechs Jahre warten. Zusätzlich wurde „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ von einer ganzen Reihe an Problemen geplagt. Natürlich hatte jeder Film der letzten zweieinhalb Jahre unter der Corona-Pandemie zu leiden, wie so häufig kam es allerdings auch hier zu „kreativen Differenzen“ zwischen Marvel bzw. Disney und Derrickson, der ursprünglich auch den zweiten Strange-Film inszenieren sollte, weshalb man kurzerhand Regie-Veteran Sam Raimi heranholte. „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ist Raimis erster Kinofilm seit “Oz the Great and Powerful” (2013) und markiert natürlich seine Rückkehr zum Superheldenfilm im Allgemeinen und Marvel im Besonderen, nachdem er mit seiner Spider-Man-Trilogie (2002 bis 2007) einer der essentiellen Geburtshelfer des Superheldenfilms als Genre war. Ein zugegebenermaßen interessanter Wiedereinstiegspunkt, besonders da „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ unter einer Eigenheit des MCU mehr leidet als jedes andere Sequel dieses Franchise: Zwischen dem ersten und dem zweiten Film ist so viel passiert. Nicht immer, aber meistens gelingt es den Solo-Sequels eine halbwegs anständige Balance zwischen dem „großen Ganzen“ und den für den Solo-Helden spezifischen Handlungselementen zu halten, was Raimi und Drehbuchautor Michael Waldron hier aber sichtlich schwerfällt. In letzter Konsequenz ist dieser zweite Doctor-Strange-Film zwar überaus unterhaltsam und profitiert definitiv von Raimis Expertise, versucht aber mehr zu stemmen, als er tragen kann und leidet und einigen der üblichen MCU-Probleme.

Handlung
Die Hochzeit von Stephen Stranges (Benedict Cumberbatch) alter Flamme Christine Palmer (Rachel McAdams) – bei der er als Gast und nicht als Bräutigam zugegen ist – wird vom Angriff eines Tentakelmonsters unterbrochen, das es offensichtlich auf die junge America Chavez (Xochitl Gomez) abgesehen hat. Nachdem Strange und Wong (Benedict Wong) die Kreatur gemeinsam besiegt haben, stellen sie fest, dass America überhaupt nicht aus ihrem Universum stammt – tatsächlich besitzt sie die Fähigkeit, zwischen den verschiedenen Welten des Multiversums zu wechseln, kann diese aber nicht kontrollieren. Zudem scheinen interdimensionale Dämonen hinter ihr her zu sein. Um der Sache auf den Grund zu gehen, möchte sich Strange die Hilfe von Wanda Maximoff alias Scarlet Witch (Elizabeth Olsen) sichern, muss aber feststellen, dass diese hinter der ganzen Angelegenheit steckt. Unter dem Einfluss des Darkhold, eines schwarzmagischen Wälzers, und der Trauer über den Verlust ihrer durch Magie erschaffenen Zwillinge ist sie auf die Idee gekommen, in den Weiten des Multiversums nach Ersatz für die Verlorenen zu suchen – ohne Rücksicht auf Verluste. Zu diesem Zweck plant sie, sich Americas Kräfte anzueignen – was im Tod der mutliversalen Reisenden enden würde.

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Stephen Strange (Benedict Cumberbatch)

Wandas Angriff zwingt Strange und America, gemeinsam durch das Multiversum zu fliehen. Sie landen schließlich auf Erde 838 – die hiesige Variante von Strange ist bereits tot, statt seiner ist Karl Mordo (Chiwetel Ejiofor) nun Sorcerer Supreme. Mordo veranlasst, dass Strange gefangen und vor die Illuminati, den „Sicherheitsrat“ dieses Universums gebracht wird. Besagtes Gremium besteht zum Teil aus alten Bekannten in neuen Rollen, etwa Captain Marvel/Maria Rambeau (Lashana Lynch) und Captain Carter (Haley Atwell), aber auch aus Persönlichkeiten, mit denen zumindest Strange nicht vertraut ist, darunter Charles Xavier (Patrick Stewart), Black Bolt (Anson Mount) und Mister Fantastic (John Krasinski). Wanda kann sich über ihr hiesiges Gegenstück allerdings ebenfalls Zugang zu Erde 838 verschaffen, macht kurzen Prozess mit den Illuminati und setzt weiter alles daran, America und Strange, die nun Hilfe von 383-Christine-Palmer erhalten, endlich dingfest zu machen…

Raimi vs. MCU?
Eine der größten Schwächen des MCU ist die gewisse Gleichförmigkeit der Filme: Da Kevin Feige und Co. stets versuchen, ein relativ kohärentes Universum zu aufrechtzuerhalten, sind die Filmemacher oft recht eingeschränkt und zu Kompromissen zwischen ihrem individuellen Stil und dem „MCU-Stil“ gezwungen. Manch einem Regisseur gelang es ganz gut, seinen Stempel zu hinterlassen, sei es James Gunn in den beiden Guardians-Filmen oder Taika Waititi in „Thor: Ragnarok“. Sam Raimi ist ebenfalls ein Filmemacher mit einem sehr individuellen Stil, der sowohl in seinen frühen Horror-Filmen als auch in seiner Spider-Man-Trilogie immer offensichtlich ist. Und für einen MCU-Film ist „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ tatsächlich sehr von den Manierismen Raimis geprägt – sowohl inszenatorisch als auch inhaltlich. Im Zentrum der Handlung steht ein (zugegebenermaßen schon in „WandaVision“ etabliertes) finsteres Grimoire, das nicht von ungefähr an das Necronomicon ex Mortis erinnert, diverse dämonische Entitäten tauchen auf und Strange selbst verbringt das Finale im untoten Körper einer Variante seiner selbst, die dank diverser Geister über einige Zusatzarme verfügt – Ähnliches oder Gleichwertiges hat man auch schon in „Ash vs. Evil Dead“ gesehen. Und selbst gemessen an Raimis Spider-Man-Filmen durfte der Regisseur in seinem MCU-Debüt Schraube für Gewalt und Ekel ganz ordentlich anziehen und das PG-13-Rating ausreizen. Raimi-Fans, die mit dem MCU nicht allzu viel anfangen können, werden seinen Stil hingegen vermutlich als verwässert ansehen, denn auch Raimi musste sich mit den diversen Vorgaben des Studios herumärgern, was immer wieder deutlich wird. Erfreulicherweise gelingt es ihm dennoch, eine Form der Authentizität zumindest teilweise zu etablieren, die seine Spider-Man-Filme so einnehmend machten, die im MCU aber oftmals fehlt, da die Figuren sich genötigt fühlen, sofort einen ironischen selbstreferenziellen Kommentar abzugeben. Vor allem „Doctor Strange“ hatte das Bathos-Problem: Jeder ernstere oder emotionale Moment wurde sofort durch einen Gag entschärft und ironisiert, sodass automatisch eine gewisse Distanz entstand. Natürlich ist „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ weit davon entfernt, humorlos zu sein, dennoch hat man das Gefühl, dass die Protagonisten die Bedrohung deutlich ernster nehmen, als das im typischen MCU-Film der Fall ist. Um einen „echten Horrorfilm im MCU“, wie immer wieder vollmundig angekündigt wurde, handelt es sich zwar nicht, aber immerhin werden Horror-Elemente durchaus gelungen eingesetzt.

Strangers in a Strange Land
Doctor Strange im MCU bewegt sich konstant zwischen zwei Charakterisierungen: Wir haben zum einen den relativ zielgerichteten, auf seine Mission bedachten Strange, der vor allem in „Avengers: Infinity War“ und „Avengers: Endgame“ auftaucht, und zum anderen den waghalsigen Strange, der zum Teil idiotische Risiken eingeht – man denke nur an die Aktionen aus „Spider-Man: No Way Home“. Die beiden Solofilme versuchen jeweils (und nicht immer völlig gelungen) eine Balance zwischen diesen beiden Seiten von Stranges Persönlichkeit herzustellen. Ein zentrales Thema der Figur in all ihren filmischen Inkarnationen ist der Kontrollzwang: Strange versucht ständig, alles um sich herum zu kontrollieren, das beginnt bereits, als er noch als Arzt tätig ist; der Kontrollverlust über sein Leben, bedingt durch den Unfall, ist der Hauptantrieb der Figur im ersten Film. Auch in „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ist der Kontrollzwang ein essentieller Faktor und, gepaart mit Stranges Arroganz, ein fatales Problem, wie sich an diversen Inkarnationen der Figur aus anderen Universen zeigt. „Unser“ Strange muss in letzter Konsequenz beweisen, dass er als einzige Variante in der Lage ist, vom Kontrollzwang abzulassen, was ihm am Ende auch gelingt, indem er America Chavez vertraut.

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America Chavez (Xochitl Gomez)

Die von der Newcomerin Xochitl Gomez dargestellte America Chavez hat gewissermaßen das entgegengesetzte Problem. Ich bin mit America Chavez in den Comics praktisch überhaupt nicht vertraut und kann deshalb auch nichts darüber sagen, ob sie vorlagengetreu umgesetzt ist oder nicht – Xochitl Gomez liefert jedenfalls eine durchaus beeindruckende Leistung ab, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass ihr das Drehbuch nicht allzu viel mit auf den Weg gibt. Die obligatorische tragische Hintergrundgeschichte wird eher unsubtil abgehandelt, ansonsten lebt der Charakter in erster Linie vom Spiel der Darstellerin. America Chavez‘ primäres Problem ist, dass sie ihre Kräfte eben nicht kontrollieren kann und scheinbar auch nicht wirklich den Drang besitzt, es zu lernen. Stattdessen lässt sie sich einfach treiben. Gerade deshalb ergänzen sich Strange und America als Co-Protagonisten recht gut, da sich beide im Grunde vom jeweils anderen eine Scheibe abschneiden müssen, um erfolgreich zu sein. Thematisch und konzeptionell sind diesbezüglich gute Grundlagen gelegt, das Problem ist, dass es Raimi und Co. nicht unbedingt gelingt, diese auszuschöpfen, weil der Film mit so vielen anderen Dingen überfrachtet ist.

Gerade bezüglich der in „Doctor Strange“ begonnen Handlungsstränge zeigt sich dieses Manko noch stärker – das Sequel setzt sie zwar fort, meistens aber auf merkwürdige Weise. Christine etwa taucht zu Beginn auf, wo Strange ihrer Hochzeit beiwohnt, der zentrale romantische Subplot findet aber zwischen Strange und der Christine von Erde 838 statt. Ähnlich verhält es sich mit Mordo, der in der Post-Credits-Szene von „Doctor Strange“ als zukünftiger Schurke etabliert wird. Auch hier setzt sich Strange im Sequel allerdings mit dem Mordo von Erde 838 auseinander und wir erfahren im Dialog, dass Erde-616-Mordo irgendwann off-screen die Schurkenlaufbahn eingeschlagen hat und wahrscheinlich bereits besiegt wurde. Mehr und mehr wird so der Eindruck erweckt, dass noch mindestens ein weiterer Doctor-Strange-Film irgendwo auf der Strecke geblieben ist, weil Disney/Marvel eher darauf aus ist, die multiversale Agenda als Konzept voranzutreiben, statt die Figuren so weiterzuentwickeln, wie es nötig ist.

Der Wanda-Faktor
Ich erwähnte bereits die Probleme, die es hinter den Kulissen von „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ gab. Offenbar war die Entscheidung, Wanda Maximoff alias Scarlet Witch zur zentralen Antagonistin zu machen, eine relativ späte. Dass Wanda eine wichtige Rolle spielen würde, war bereits seit einiger Zeit klar, aber selbst die kreativen Köpfe bei Disney wussten offenbar für längere Zeit nicht, welche. Im Fandom spekulierte man derweil munter darauf los und vermutete, dass die Sere „Loki“, welche das MCU-Muliversum schließlich etablierte, eine wichtige Rolle spielen würde – immerhin verpflichtete man Loki-Serienschöpfer Michael Waldron als Drehbuchautor. Ebenso wurde vermutet, eine Variante von Strange, etwa die aus der vierten Folge der Animationsserie „What If…?“, könne als Widersacher fungieren. Beides stellte sich als falsch heraus, das Projekt mit dem größten Einfluss auf „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ist „WandaVision“.

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Wanda Maximoff (Elizabeth Olsen)

Wandas gesamte Motivation beruht auf der Disney-Plus-Serie, sie setzt Himmel, Hölle und das gesamte Multiversum in Bewegung, um ihre beiden Kinder zu finden bzw. Ersatz für die Zwillinge zu bekommen. Unglücklicherweise verwerfen bzw. simplifizieren Waldron und Raimi die komplexere Charakterisierung Wandas aus „WandaVision“ und machen sie zur relativ eindeutigen Schurkin – für Zuschauer fehlt hier abermals ein Zwischenschritt, denn am Ende der Serie versucht Wanda zwar, mit dem Darkhold eine Möglichkeit zu finden, ihre Kinder zurückzubringen, zeigte davor aber Reue wegen dem, was sie in Westview getan hat. Ein weiteres Mal findet eine essentielle Charakterentwicklung offscreen statt. Wenn man Wanda schon in die Schurkenrolle drängt (was in den Comics zugegebenermaßen ziemlich häufig geschieht), wäre eine etwas nachvollziehbarere Entwicklung schon angebracht gewesen. Ich hätte es tatsächlich bevorzugt, hätte sie in diesem Film zuerst mit Strange gegen eine wie auch immer geartete, multiversale Bedrohung gekämpft, um dabei auf die Idee zu kommen, ihre Kinder auf diese Weise zurückzubekommen. Elizabeth Olsen kann man in diesem Kontext natürlich keinerlei Vorwurf machen, schon in „WandaVision“ bekam sie die Gelegenheit zu zeigen, wozu sie darstellerisch in der Lage ist, daran knüpft sie hier nahtlos an. Sehr erfreulich ist dazu, dass Raimi Wanda eher als rücksichtslose Horror-Gestalt denn als einen typischen, Sprüche-klopfenden MCU-Schurken inszeniert.

Multiverse of Madness
Über die ersten multiversalen Gehversuche des MCU hatte ich bereits in meinem Artikel zu „Spider-Man: No Way Home“ geschrieben, das soll hier nicht noch einmal wiederholt werden. Es sei allerdings gesagt, dass „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ kaum auf den anderen multiversalen Abenteuern aufbaut – die Handlung der erwähnten Spider-Man-Films wird beispielsweise nur in einer Szene erwähnt, was u.a. daran liegt, dass „Multiverse of Madness“ ursprünglich vor „No Way Home“ hätte erscheinen sollen und nur aufgrund interner Probleme nach hinten verschoben wurde. „Loki“ und eine mögliche Bedrohung durch Kang, den Eroberer taucht ebenso wenig auf wie Uatu oder die „Guardians of the Multiverse“ – allesamt etabliert in „What If…?“. Tatsächlich bekommen wir relativ wenig vom Multiversum zu sehen, neben kurzen Eindrücken während Stranges und Americas unkontrolliertem Fall und einer zerstörten Welt mit einem psychotischen Strange ist der Haupthandlungsort des Films, neben der bekannten Erde des MCU, Erde 838, auf der Strange und America schließlich landen. Hier wird zudem etabliert, dass es sich bei der Standard-Erde des MCU um Erde 616 handelt, was zumindest Hardcore-Marvel-Fans irritierten dürfte, da Erde 616 eigentlich die Standard-Erde der Comics ist, während das MCU ursprünglich als Erde 199999 klassifiziert wurde; das aber nur am Rande.

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Wong (Benedict Wong)

Erde 838 hingegen ist eine Neuschöpfung, die in dieser Form bislang nicht in den Comics auftauchte, aber dennoch einige bekannte Gesichter beinhaltet, primär natürlich Captain Carter und Charles Xavier. Bei beiden handelt es sich allerdings nicht um die bzw. eine Version, die wir tatsächlich bereits gesehen haben, sondern um die Varianten dieser Figuren, die auf Erde 838 heimisch sind. Im Klartext bedeutet das, dass diese Captain Carter nicht mit der aus „What If…?“ identisch ist und dieser Charles Xavier weder aus den X-Men-Filmen von Fox, noch aus der Zeichentrickserie der 90er stammt, obwohl er von Patrick Stewart gespielt und wie der Animations-Xavier inszeniert wird (gelbes Gefährt, Intro-Thema aus der Serie). Diese Figuren sind lediglich konzeptionell ähnlich. Maria Rambeau als Captain Marvel verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie Captain Carter, Black Bolt ist einer der Inhumans und tauchte in der kurzlebigen Serie „Inhumans“ auf, die formal zum MCU gehört bzw. gehören sollte, als Kevin Feige noch nicht die Kontrolle über die Serienableger hatte. Wie in „Inhumans“ wird er auch hier von Anson Mount gespielt. Mister Fantastic alias Reed Richards ist natürlich der Anführer der Fantastic Four, der zuvor bereits von Ioan Gruffudd und Miles Teller dargestellt wurde – beide Versionen sind deutlich weniger beliebt als Patrick Stewart in der Rolle des Professor X, weshalb wir nun eine neue Variante erleben. Möglicherweise testet Marvel hier John Krasinski als Darsteller für das Standard-MCU aus. Zusammen bilden diese Figuren die Illuminati, eine Gruppe von Superhelden, die in den Comics zwar auftaucht, aber in einem völlig anderen Kontext. Da sie dort zu Erde 616 gehören, finden sich leichte Variationen bei der Zusammensetzung: Neben Black Bolt, Xavier und Mister Fantastic gehören in der ursprünglichen Zusammensetzung auch Iron Man, Namor, der Submariner und Doctor Strange persönlich zur Gruppierung, während Captain Carter, Captain Marvel und Baron Mordo fehlen.

Gerade für MCU- und natürlich Comic-Fans finden sich hier viele Anspielungen und es werden spannende Konzepte angerissen, zugleich leidet die Konzeption der Illuminati aber unter demselben Problem, das auch schon in „What If…?“ auftauchte: Gemessen an der Machtfülle dieser Figuren werden sie von Wanda ziemlich schnell abserviert, ebenso wie in „What If…?“ Handlungsstränge, die im regulären MCU einen oder sogar mehrere Filme zur Auflösung benötigen, mal eben schnell abgehandelt werden. So fragt man sich unweigerlich, ob es, vom Fan-Service abgesehen, handlungstechnisch nicht eleganter gewesen wäre, hätte sich Wanda beispielsweise mit Mordo ein ausgiebiges Zauberer-Duell geliefert. So wirken die Illuminati äußerst schwach und inkompetent, was gerade bei all jenen, die die Referenzen zuordnen können, einen schalen Geschmack hinterlassen dürfte. Zugleich bleiben die Teile des Multiversums, die tatsächlich auftauchen, für einen Film der die Worte „Multiverse of Madness“ im Titel hat, relativ konservativ und geerdet.

Soundtrack
Doctor Stranges musikalische Repräsentation war, zumindest für MCU-Verhältnisse, bislang relativ konsistent, für „Doctor Strange“ komponierte Michael Giacchino nicht nur ein sehr heroisches und einprägsames Thema für den Sorcerer Supreme, sondern gab ihm auch einen recht einzigartigen Sound, geprägt durch die Kombination von traditionellem Orchester, subtilem Einsatz elektronischer Elemente und einigen besonderen Instrumenten wie Cembalo und Sitar, die dem ganzen Score einen passend psychedelischen Anstrich verpassten. Wenn Stranges Thema nicht tatsächlich zitiert wurde, wie es in Laura Karpmans „What If…?“, Alan Silvestris „Avengers: Endgame“ und natürlich Giacchinos „Spider-Man: No Way Home“ der Fall war, wurde immerhin die oben beschrieben Instrumentierung für ihn integriert, so geschehen etwa in Mark Mothersboughs „Thor: Ragnarok“ und Alan Silvestris „Avengers: Infinty War“. Unter Scott Derrickson wäre Gacchino auch für „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ zurückgekehrt, doch Sam Raimi entschied sich, Danny Elfman den Taktstock in die Hand zu geben. Raimi und Elfman arbeiteten an einigen Projekten in den 90ern und frühen 2000ern zusammen, darunter etwa „Darkman“, „A Simple Plan“ und natürlich die ersten beiden Spider-Man-Filme. Über „Spider-Man 2“ zerstritten sie sich allerdings, versöhnten sich aber wieder, sodass sie an „Oz, the Great and Powerful“ erneut zusammenarbeiten konnten. Elfman selbst bekam bereits 2015 die Gelegenheit, seine Fühler ins MCU auszustrecken, indem er den Score von „Avengers: Age of Ultron“ vollendete. Sowohl stilistisch als auch konzeptionell lässt sich seine Arbeit für „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ sehr gut mit den Soundtracks von „Age of Ultron“ und „Justice League“ vergleichen. Elfmans neuester Streich ist ebenfalls fest in seinem Action-Sound verwurzelt, der primär durch aufwändige Orchesterarbeit und auch eine gewisse, für ihn typische Verspieltheit besticht. Bedingt durch die Horror-Elemente im Film bekommt Elfman darüber hinaus die Gelegenheit, immer mal wieder in seine Horror-Trickkiste zu greifen, sodass Passagen durchaus auch an „Sleepy Hollow“ oder „The Wolfman“ erinnern. Was sich leider nicht findet, sind Verweise auf Giacchinos distinktiv Instrumentierung – „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ist, im Guten wie im Schlechten, ein Elfman-Score durch und durch.

Leitmotivisch bemüht sich Elfman um eine Balance zwischen alten und neuen Themen. Die drei primären neuen Themen gelten Doctor Strange, America Chavez und Wanda – wobei es schwierig ist, Wandas Repräsentation wirklich als „neu“ zu bezeichnen. Zum einen scheint das Thema (passenderweise) eine Verwandtschaft zu Elfmans Motiv für die Figur aus „Avengers: Age of Ultron“ zu besitzen und zum anderen erinnert es sehr stark an das Willy-Wonka-Thema aus „Charlie and the Chocolat Factory“. Elfman verwirft Giacchinos Identität für Strange allerdings nicht völlig, sondern gewährt ihr einige Gastauftritte, primär in der ersten Hälfte des Films, u.a. in On the Run, Gargantos, Strang Statue und Battle Time (dieser kräftigste Einsatz ist im Film entweder unter Soundeffekten begraben oder überhaupt nicht zu hören). In der zweiten Hälfte dominiert hingegen Elfmans deutlich weniger markantes Motiv für die Figur, was ich persönlich ein wenig problematisch finde, da es nicht wirkliche erzählerische Notwendigkeit für ein neues Strange-Thema gibt und man sich, bei allem Respekt für Elfman, zudem fühlt, als bekäme man einen minderwertigen Ersatz für ein besseres Produkt.

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Christine Palmer (Rachel McAdams)

Darüber hinaus zitiert Elfman auch durchaus Themen anderer Komponisten, in Wanda at Home erklingt das Titelthema aus „WandaVision“ von Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez und auch beim Auftritt der Illuminati (im gleichnamigen Track) lässt er es sich nicht nehmen, einige bekannte Melodien zu anzuspielen, primär wären das der Captain-America-Marsch von Alan Silvestri für Captain Carter (ein Fragment ist außerdem in Illuminati vs. Wanda zu hören) und das Intro des klassischen X-Men-Serie aus den 90ern für Charles Xavier. Interessanterweise entschied sich Elfman offenbar dagegen, Pinar Topraks Captain-Marvel-Fanfare miteinzubeziehen.

Insgesamt ist Elfmans Arbeit definitiv ein mehr als solider und vor allem unheimlich unterhaltsamer Score, der vor allem Fans der Action-Musik des Komponisten (zu denen ich mich zähle) ansprechen und zufriedenstellen dürfte. Hätte Elfman allerdings noch einige Verweise auf Giacchinos distinktive Instrumentierung eingebaut und sich in größerem Ausmaß des bereits etablierten Themas für den Titelhelden bedient, hätte aus diesem guten ein wirklich großartiger Soundtrack werden können. Eine ausführliche Rezension findet sich hier.

Fazit
Während „Doctor Strange in the Multiverse of Madness” definitiv kurzweilig und unterhaltsam ist und zudem durchaus von Sam Raimis individuellem Stil als Regisseur profitiert, merkt man doch, dass es hinter den Kulissen Probleme gab. Einerseits hat man sich hier zu viel aufgebürdet, der Film wirkt überladen – es sind viele interessante Aspekte dabei, die jedoch oft kaum zur Zufriedenheit erforscht werden können. Zugleich wirkt Raimi, trotz der Vorzüge, die seine Präsenz bringt, beinahe verschwendet. In einer idealen Welt hätte man ihn einfach machen lassen und ihm keine Zügel angelegt. So bleibt „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ im Mittelfeld des MCU – ein Film des verschwendeten Potentials.

Trailer

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Siehe auch:
Doctor Strange
Spider-Man: No Way Home – Ausführliche Rezension
Avengers: Age of Ultron – Soundtrack

Hemators Empfehlungen: Horror-Soundtracks

Halloween 2021!

Was wäre Horror im Allgemeinen und Halloween im Besonderen ohne die richtige musikalische Untermalung? Bereits in den Anfangstagen meines Blogs konzipierte ich eine Top-10-Liste der besten Horror-Scores, dieser Artikel ist gewissermaßen eine Revision und ein Update – zugleich will ich mich aber nicht mehr auf zehn beschränken und ordne die Soundtracks dieses Mal auch nicht nach Qualität, sondern nach Erscheinungsjahr. In bestimmten Fällen habe ich zwei Werke kombiniert, bei denen es sich entweder um Teile derselben Filmreihe handelt oder die stilistisch sehr gut zusammenpassen. Zugleich handelt es sich hierbei auch um den Start einer neuen Artikelreihe, in deren Rahmen ich zu einer bestimmten Thematik Empfehlungen abgeben möchte, ohne allzu sehr in die Tiefe zu gehen.

Wer meinen Musikgeschmack kennt, wird sich schon denken können, in welche Richtung die Scores auf dieser Liste gehen: Da ich ein Fan des Orchesters bin, tauchen hier keine Werke auf, die primär auf Elektronik und/oder Ambience ausgerichtet sind – gerade im Horror-Bereich finden sich derartige Soundtracks doch ziemlich häufig. Das soll nicht heißen, dass diese Scores im Kontext nicht durchaus effektiv sein können, aber ich kann ihnen nur selten abseits der Filme etwas abgewinnen, und genau darum geht es hier. Dass ich zudem eine starke Vorliebe für Gothic Horror in all seinen Ausprägungen habe, dürfte auch kein Geheimnis sein, dementsprechend viele Soundtracks dieser Liste gehören deshalb diesem Subgenre an. Natürlich gibt es noch viele, viele weitere grandiose Horror-Scores, weshalb es durchaus möglich ist, dass dieser Artikel ein oder mehrere Sequels erhält. Fürs erste konzentriere ich mich ausschließlich auf Filme, hier finden sich also weder Spiele noch Serien – auch das mag sich in Zukunft ändern.

„The Omen“, Jerry Goldmsith (1976)

Beginnen wir mit einem Klassiker, der Horror-Scores über Jahrzehnte hinaus beeinflusste und absolut stilbildend war und ist, besonders, wenn es sich um religiös motivierten Horror handelt. Ich weiß nicht, wie üblich es vor „The Omen“, war, finstere Chöre, die wie eine Perversion gregorianischer Gesänge klingen, in diesem Kontext einzusetzen, (immerhin gibt es definitiv gewisse klangliche Parallelen zu John Barrys „The Lion in Winter“ aus dem Jahr 1968); meinem Empfinden nach markiert „The Omen“ jedenfalls den Startpunkt eines essentiellen Trends im Genre. Vorzeigestück ist fraglos das finstere und verstörende Ave Satani, das in vielfältigen Variationen im Verlauf des Scores erklingt. Als Gegenpool fungiert das deutlich angenehmere Familienthema, das aber natürlich deutlich weniger Eindruck hinterlässt. Die beiden Sequel-Scores bilden ganz interessante Gegensätze, auch wenn sie die Qualität des Vorgängers nicht erreichen. In „Damien: Omen II“ ist Ave Satani quasi allgegenwärtig, in „The Final Conflict“ hingegen macht es sich eher rar und erklingt deutlich subtiler und verfremdeter. An das Original kommen beide nicht heran. Wer eine gemütliche satanische Messe planen sollte, findet in „The Omen“ definitiv die richtige musikalische Untermalung dafür.

„Dracula“, John Williams (1979)

Horror ist nicht unbedingt das Genre, mit dem man John Williams primär in Verbindung bringt. Dennoch hat der Maestro Ende der Siebziger die Musik für eine Dracula-Adaption mit Frank Langella in der Rolle des Grafen geschrieben. Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht klassisch: Ein klassischer Williams-Score und ein klassischer Gothic-Horror-Score, wie er im Buche steht: Üppig, ausladend, opulent, man sieht vor dem inneren Auge sofort neblige Berggipfel und verfallene Ruinen. Stilistisch lassen sich viele Parallelen zu Williams‘ Werken dieser Zeit ziehen, sei es die Star-Wars-OT oder „Raiders of the Lost Ark“ – nur ist alles eben ein wenig düsterer und dramatischer. „Dracula“ ist leitmotivisch allerdings weit weniger vielseitig als besagte zeitgenössische Werke, da Williams sich nur eines zentralen Themas für Dracula selbst bedient (das dafür auch ordentlich Präsenz im Score besitzt) und ansonsten nur noch auf ein sekundäres Thema für Van Helsing zurückgreift. Definitiv kein Meilenstein in Williams‘ Œuvre oder im Horror-Genre, aber ein unterhaltsamer, oft übersehener Gothic-Horror-Score ohne jeden Zweifel.

„Alien“, Jerry Goldmsmith (1979)

Und gleich noch ein Genre-Meilenstein von Jerry Goldsmith, der allerdings völlig anders ausfällt als „The Omen“. Mit „Alien“ konnte Goldsmith nicht nur ein weiteres Mal seine Kreativität beweisen, sondern auch einem ganzen Film-Franchise seinen Stempel aufdrücken. Statt satanischer Chöre fährt Goldsmith hier verstörende, fremdartige Atonalität und brillante Atmosphäre auf, hin und wieder versehen mit einem Hauch Melodik oder gar Romantik (die Ridley Scott allerdings größtenteils aus dem Film entfernte). Goldsmith verbindet hier gekonnt traditionelles Orchester, exotische Instrumente und Synth-Einlagen, um eine einzigartige Klanglandschaft zu erschaffen. Sein ebenso simples wie einprägsames Time-Motiv wurde schließlich zum Aushängeschild der Filmreihe und taucht in fast allen weiteren Alien-Scores auf. Besonders Marc Streitenfeld (mit Hilfe von Harry Gregson-Williams) und Jed Kurzel bedienen sich des Motivs und der Goldsmith-Stilmittel in „Prometheus“ und „Alien: Covenant“ – an den Score des Meisters kommen aber beide nicht heran.

„The Fly”, Howard Shore (1986)

Unglaublich aber wahr, bevor Howard Shore als Komponist der LotR-Trilogie bekannt wurde und DEN definitiven Fantasy-Soundtrack schuf, schrieb er primär Musik für Thriller und Horror-Filme – gewisse „Reste“ finden sich auch durchaus in Jacksons Trilogie, etwa in der dissonanten Musik für Kankra. Shore ist nach wie vor der Stammkomponist von David Cronenberg, mit dem er bereits in den 80ern an „The Fly“ arbeitete. Anders als beispielsweise Goldsmiths „Alien“ ist „The Fly“ äußerst melodisch und klassisch angehaucht und steht damit über weite Strecken in Kontrast zu den Dissonanzen, mit denen Shore selbst in anderen Filmen arbeitet – hin und wieder tauchen sie dann aber doch auf. Die düsteren, brütenden Passagen nehmen allerdings durchaus bereits die Stilistik späterer Thriller-Scores wie „The Silence of the Lambs“ vorweg. Im Kern ist „The Fly“ ein sehr bombastischer, opernhafter Score, weit weniger fordernd und damit deutlich hörbarer als viele andere Soundtracks dieser Liste, deshalb aber nicht weniger wirkungsvoll. Für das unterirdische Sequel schrieb Christopher Young die Musik, der Shores Motive zwar nicht direkt zitiert, den Tonfall aber beibehält – trotzdem (oder gerade deswegen) klingt der Score von „The Fly II“ wie eine inoffizielle Fortführung des nächsten Eintrags dieser Liste.

„Hellraiser” & „Hellbound: Hellraiser II”, Christopher Young (1987 & 1988)

Genau genommen knüpft Christopher Young nicht nur in „The Fly II“ an Shores Score an, sondern auch in den ersten beiden Hellraiser-Filmen. Als Clive Barker sich daran machte, seine Novelle „The Hellbound Heart“ zu verfilmen, wollte er ursprünglich, dass die Industrial-Band „Coil“ die Musik beisteuerte, das Studio strebte allerdings einen traditionelleren Sound an, was sich in letzter Konsequenz als die richtige Entscheidung erwies. Christopher Young gelang es auf unnachahmliche Weise, die Mischung aus Schmerz und Lust, die die Cenobiten darstellen, musikalisch zu verkörpern: Vor allem sein Hauptthema hat etwas merkwürdig Einnehmendes, beinahe Angenehmes an sich, bleibt dabei aber doch unheimlich, ohne in Dissonanzen abzugleiten. Die Fremdartigkeit der Cenobiten vermittelt Young durch die Verwendung von Sounddesign-Elementen. Für das von Tony Randel inszenierte Sequel „Hellbound: Hellraiser II“ knüpfte Young nahtlos an seinen Erstling an, legte aber noch einmal eine ordentliche Schippe Bombast oben drauf. Sowohl Randy Miller als auch Daniel Licht bedienten sich in „Hellraiser III: Hell on Earth“ und „Hellraiser: Bloodline“ weiterhin dem von Young etablierten Stil und der Themen – beide Scores kommen nicht an Yongs heran, sind aber durchaus brauchbare Ergänzungen.

„Bram Stoker’s Dracula“, Wojciech Kilar (1992)

Für seine Version von Stokers Roman suchte Francis Ford Coppola nach einem spezifisch osteuropäischen Sound, und den bekam er vom polnischen Komponisten Wojciech Kilar. Für mich persönlich ist Kilars Musik DER prägende Dracula-Sound: Ebenso gotisch und opulent wie Williams‘ über zehn Jahre zuvor entstandener Score, aber distinktiver, einnehmender und mitreißender. Kilar konstruierte den Score auf Basis diverser Themen, die die zentrale Rolle einnehmen – es vergeht kaum eine Minute, in der nicht eines dieser Themen in irgend einer Art und Weise zu hören ist. Hierzu zählen primär Leitmotive, die alle auf den titelgebenden Vampir zurückzuführen sind, darunter ein Liebesthema, ein recht brutales Motiv für die monströse Seite des Grafen, aber auch ein treibender Rhythmus für die Vampirjäger. Kilars Musik für „Bram Stoker’s Dracula“ erwies sich als enorm einflussreich, Elemente und stilistische Hommagen erklingen in vielen weiteren Scores, etwa Kilars Musik zu Roman Polanskis „The Ninth Gate“ oder diversen anderen Soundtracks auf dieser Liste. Es empfiehlt sich allerdings, Annie Lennox‘ Abspannsong Love Song for a Vampire aus der Playlist zu tilgen, da er stilistisch absolut nicht zu Kilars Kompositionen passt.

„Alien 3“ & „Interview with the Vampire”, Elliot Goldenthal (1992 & 1994)

Jeder der Alien-Scores, selbst die des Spin-off-Franchise „Alien vs. Predator“, verweist in irgendeiner Form auf das Original von Jerry Goldsmith, sei es durch stilistische Anleihen, direkte Zitation oder beides. Die eine große Ausnahme ist der Score, den Elliot Goldenthal für „Alien 3“ komponierte. Hier zeigt sich Goldenthals Herkunft aus dem Bereich der modernen klassischen Musik – zumindest in der Methodologie gibt es gewisse Parallelen zu Goldsmith. Beide Komponisten sind diversen Avantgarde-Techniken und eher unüblichen Stilmitteln nicht abgeneigt, was sich aber in zwei stilistisch sehr unterschiedlichen Scores manifestiert. Wo Goldsmith die Fremdartigkeit des Xenomorph und die kalte Isolation des Weltalls in den Vordergrund stellte, konzentriert sich Goldenthal auf den religiösen Aspekt des Films, den er vertont. Tracks wie Lento oder Agnus Dei verweisen nicht nur in ihren Titeln auf Kirchenmusik, sie orientieren sich auch stilistisch an ihr, sind deutlich harmonischer als alles, was Goldsmith für „Alien“ komponierte und arbeiten mit himmlischen Chören. Horror und Gewalt stellt Goldenthal zum Teil durch gotisch-bizarr anmutende, zum Teil aber auch durch von Industrial inspirierte Passagen dar, die mitunter in unhörbaren Lärm ausarten; der eher unglücklich betitelte Track Wreckage and Rape ist hierfür ein Idealbeispiel. Der nur kurz darauf entstandene Soundtrack zu Neil Jordans „Interview with the Vampire“ fühlt sich wie eine natürliche Entwicklung des „Alien 3“-Scores an. Freilich entfallen hier die Industrial-Passagen, stattdessen werden die gotischen Elemente noch stärker betont und man meint, hin und wieder den Einfluss von „Bram Stoker’s Dracula“ herauszuhören, natürlich geprägt von Goldenthals distinktivem Stil. Sofern man die Industrial-Passagen aus der Playlist wirft, passen „Alien 3“ und „Interview with the Vampire“ wunderbar zusammen, wobei ich Letzterem den Vorzug vor Ersterem geben würde.

„Mary Shelley’s Frankenstein”, Patrick Doyle (1994)

Kenneth Branaghs Adaption von Mary Shelleys Roman ist gewissermaßen der Schwesterfilm von „Bram Stoker’s Dracula“ und entstand als direkte Reaktion auf dessen Erfolg – Coppola produzierte sogar, auch wenn er der Meinung war, „Mary Shelley’s Frankenstein“ sei ein wenig zu opernhaft geraten (was an sich schon aussagekräftig genug ist). Wie dem auch sei, Branagh arbeitete hier, wie auch an den meisten anderen seiner Filme, mit seinem Stammkomponisten Patrick Doyle zusammen, dessen Score mindestens so opernhaft, opulent und grandios ausfällt wie der Film, zu dem er gehört, und auch Kilars Arbeit in kaum etwas nachsteht. Ihm fehlt natürlich das distinktive osteuropäische Element, Doyle gleicht dessen Fehlen allerdings durch eine noch ausgeprägtere Romantik und orchestrale Wucht aus. „Mary Shelley’s Frankenstein“ ist kein Score der leisen Töne, sondern der großen Emotionen und epischen Gotik (inzwischen dürfte klar sein, dass man genau damit mein Interesse wecken kann). Nach wie vor mein liebster Soundtrack von Patrick Doyle

„House of Frankenstein”, Don Davis (1997)

Ähnlich wie Howard Shore ist auch Don Davis ein Komponist, der einiges im Horror-Bereich komponierte, bevor sein Name primär mit einer bestimmten Blockbuster-Trilogie verknüpft wurde. Anders als Shore ist Davis allerdings nach „The Matrix Revolutions“ praktisch völlig von der Bildfläche verschwunden. Nicht einmal für das anstehende Sequel „The Matrix Ressurection“ kehrt er zurück, stattdessen komponieren Tom Tykwer und Johnny Klimek (der Trailer verwendet allerdings Davis‘ alternierendes Zwei-Noten-Motiv bei der Titeleinblendung). „House of Frankenstein“ ist einer der erwähnten Horror-Scores und gehört zu einer wohl ziemlich trashigen TV-Miniserie, die lose auf dem gleichnamigen Universal-Film basiert. Dementsprechend ist „House of Frankenstein“ nicht unbedingt innovativ, man merkt sofort, dass sich Davis hier der Gothic-Horror-Klischees bedient und recht direkt Goldsmiths „The Omen“ und Youngs „Hellraiser“ zitiert. Aber er ist dabei so verdammt unterhaltsam und überdreht. Vor allem in der zweiten Hälfte gibt Davis aber auch immer wieder einen Vorgeschmack auf die atonalen Techniken, die später die Musik von „The Matrix“ dominieren würden.

„Sleepy Hollow“, Danny Elfman (1999)

Die Filme Tim Burtons wären ohne den gotisch-verspielten Sound von Danny Elfman nicht dasselbe: Egal ob „Beetle Juice“, „Batman“, „Edward Scissorhands“ oder spätere Werke wie „Frankenweenie“ oder „Dark Shadows“ – sie alle sind ästhetisch und klanglich an die Gothic-Horror-Tradition angelehnt, ohne aber tatsächlich Horror-Filme zu sein. Dasselbe trifft nicht auf „Sleepy Hollow“ zu, den wahrscheinlich einzigen „echten“ Horror-Film, an dem Burton und Elfman zusammen gearbeitet haben (und selbst hier finden sich parodistische Elemente). Wie dem auch sei, „Sleepey Hollow“ ist eine liebevolle Hommage an die Filme der britischen Hammer-Studios. Musikalisch schöpft Elfman hier aus den Vollen, „Sleepey Hollow“ ist düster, brutal, episch und gotisch bis zum geht nicht mehr. Technisch gesehen ist der Score beinahe monothematisch, das Titelthema fungiert als übergreifende Identität, Elfman gelingt es allerdings, dieses Thema in mehrere Motiv aufzuspalten und so gekonnt zu variieren, sodass ein erstaunlich vielseitiger Score entsteht, der nicht nur grandiose Horror- und Action-Musik, sondern auch erstaunlich berührende emotionale Zwischentöne zulässt.

„From Hell”, Trevor Jones (2001)

Für sich betrachtet ist „From Hell“ ein sehr kurzweiliger und vor allem atmosphärischer Thriller im viktorianischen London, als Adaption der grandiosen Graphic Novel von Alan Moore versagt der Film der Hughes-Brüder aber leider auf ganzer Linie. Absolut nicht versagt hat hingegen Komponist Trevor Jones, der, ähnlich wie Don Davis, irgendwann in den frühen 2000ern fast völlig von er Bildfläche verschwand. Der Score, den er für „From Hell“ komponierte, ist ein abgrundtief düsteres, brütendes Meisterwerk, voller Brutalität und verschlingender Finsternis, ebenso kraftvoll wie „Bram Stoker’s Dracula“ oder „Sleepy Hollow“. Ihm fehlen zwar die osteuropäischen Elemente von Ersterem oder die Verspieltheit von Letzterem, das gleicht Jones allerdings mit einem erhöhten Ausmaß an Tragik und instrumenteller Kreativität aus. Hier erklingt das viktorianische London Jack the Rippers in all seiner Abgründigkeit. Besonders The Compass and the Ruler, eines meiner absoluten Lieblingsstücke, ist wirklich exemplarisch für die Genialität von Jones‘ Arbeit.

„Drag Me to Hell“, Christopher Young (2009)

Christopher Young ist einer der profiliertesten Horror-Komponisten überhaupt (und darüber hinaus kriminell unterschätzte). Zwar hat er bewiesen, dass er auch in anderen Genres, etwa Action oder Fantasy, extrem fähig ist, aber irgendwann kehrt er doch immer wieder zum Horror zurück. Neben den beiden Hellraisern hätte ich auch noch „Bless the Child“, „Urban Legend“ oder „The Exorcism of Emily Rose“ auf diese Liste setzen können, aber ich wollte nicht mehr als zwei Einträge pro Komponist, und so fiel die Wahl letztendlich nicht schwer, denn abseits der ersten beiden Hellraiser-Scores ist „Drag Me to Hell“ mein Favorit von Young. Auf gewisse Weise handelt es sich hier bei um ein Best of der oben genannten Scores, die orchestralen Stilmittel, derer sich Young bedient, kulminieren hier zu einem rundum gelungenen Gesamtpaket: Chorale Macht, gotische Wucht, aber auch ebenso verstörende wie schöne Melodien. Angereichert wird das Ganze durch osteuropäische bzw. Roma-Elemente, die natürlich einen essentiellen Teil der Story ausmachen. Man lausche allein dem ebenso schönen wie beängstigenden Hauptthema…

„The Wolfman“, Danny Elfman (2010)

Wie würde es klingen, wenn sich „Bram Stoker’s Dracula“ und „Sleepy Hollow“ paaren würden, um ein unheiliges Wechselbalg zu zeugen? Mit „The Wolfman“ liefert Danny Elfman die Antwort. Da Elfman sowohl ein Fan des Originals als auch des Dracula-Scores von Kilar war (und vermutlich immer noch ist), erwies sich das als ideale Gelegenheit. Unglücklicherweise kam es zu Komplikationen, Nachdrehs und Studioeinmischung, zwischenzeitlich überlegte das Studio, einen Synth/Rock-Score von „Underworld“-Komponist Paul Haslinger zu verwenden, was völlig daneben gewesen wäre. Schließlich kehrte man doch zu Elfmans Score zurück und ließ Orchestrier Conrad Pope noch zusätzliche Musik komponieren, um durch die neue Schnittfassung entstandene Lücken zu schließen. Strukturell ist „The Wolfman“ ähnlich aufgebaut wie „Sleepy Hollow“, es gibt ein Hauptthema, das den Score dominiert, und gerade in Sachen gotischer Finsternis und Brutalität steht „The Wolfman“ dem Score zum Burton-Film in nichts nach. Was ihn vom spirituellen Vorgänger unterscheidet, sind die osteuropäischen Stilmittel, derer sich Elfman bedient, speziell in der Streichersektion – ähnlich wie bei „Drag Me to Hell“ passt diese Färbung tatsächlich sehr gut zur Story. Hier wird der Einfluss Kilars überdeutlich. Trotz seiner diversen Mängel habe ich für „The Wolfman“ eine ziemliche Schwäche, da Joe Johnstons blutige Liebeserklärung an Universals klassischen Horror genau in einer Zeit kam, als das Kino von Twilight-CGI-Werwölfen bevölkert wurde – der Score hatte einen nicht zu unterschätzenden Anteil an dieser Schwäche.

„Evil Dead“, Roque Baños (2013)

Wo wir gerade von Remakes sprechen: Fede Álvarez‘ Remake des Sam-Raimi-Klassiker gehört definitiv zu den besseren, nicht zuletzt, weil es sich zwar der Grundprämisse des Originals bediente, aber den Fokus verschob. Zugleich ließ es mich auf den spanischen Komponisten Roque Baños aufmerksam werden, der sich für diesen Score der Tonalität und des Stils von Christopher Young bedient, die Schraube schierer, orchestraler Brutalität aber noch einmal deutlich anzieht. Das Ergebnis ist komplex, schwierig, verstörend und meisterhaft. Orchester, Chor und eine enervierende Sirene entfesseln hier einen Sturm an dämonischer Intensität, der seinesgleichen sucht – was angesichts der anderen Einträge auf dieser Liste als höchstes Lob zu verstehen ist. Baños konzentriert sich dabei in größerem Ausmaß auf orchestrale und chorale Texturen als auf Themen, als primäres „Motiv“ der dämonischen Präsenz fungiert die bereits erwähnte Sirene, während der emotionale Kern des Films ein klassischeres Klavierthema erhält, das die konstante dämonische Brutalität hin und wieder durchbricht.

„The Witch“, Mark Corven (2016)

Robert Eggers Debütfilm dürfte einer der am besten recherchierten Horror-Filme überhaupt sein – das erstreckt sich auch auf den Score von Mark Korven. Gerade im Kontext dieser Auflistung ist seine Präsenz vielleicht ein wenig überraschend, da es sich hierbei nicht um eine „klassischen“ Horror-Score im Stile eines Christopher Young oder Danny Elfman handelt. Stattdessen bediente sich Korven nur eines kleinen Orchesters und vieler für das Setting authentischer Instrumente, etwa der Nyckelharpa oder des Hurdy Gurdy. Auf jegliche elektronische oder synthetische Bearbeitung verzichtet er komplett. Das Ergebnis ist zweifelsohne fordernd, aber auch enorm wirkungsvoll. Die Hexen werden primär durch Dissonanzen repräsentiert, während Corven das religiöse Element der Story durch hymnische Choreinlagen darstellt. Die Herangehensweise ist mit ihrem Fokus auf verstörende Texturen der von Roque Baños bei „Evil Dead“ gar nicht so unähnlich, durch die Instrumentierung klingt das Endergebnis aber natürlich völlig anders. Und so unterschiedlich beide auf visueller Ebene auch sind, so wirkungsvoll sind sie doch in ihren jeweiligen Filmen.

„It: Chapter One“ & „It: Chapter Two“, Benjamin Wallfisch (2017 & 2018)

Der Brite Benjamin Wallfisch absolvierte im Verlauf der letzten zehn Jahre einen geradezu kometenhaften Aufstieg. In den 2000ern übernahm er primär das Orchestrieren für Komponisten wie Dario Marianelli, wurde dann zu einem Zimmer-Protegé und arbeitete mit dem Remote-Control-Chef an Scores wie „Dunkirk“, „Hidden Figures“ oder „Blade Runner 2049“ mit. Interessanterweise finde ich Wallfischs Soloarbeiten fast durchweg gelungener als seine Kollaborationen mit Zimmer, die meistens sehr elektronisch und Synth-lastig ausfallen. Für die Stephen-King-Verfilmungen „It: Chapter One“ und „It: Chapter Two”, beide von Andy Muschietti, wählte er hingegen einen orchestralen, aber sehr anspruchsvollen Weg; ähnlich wie Goldsmith oder Goldenthal bedient er sich dabei diverser atonaler Techniken der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts, setzt aber auch sehr wirkungsvoll alte Kinderreime und unheimlich pervertierte Kinderlieder ein. Der Einsatz der menschlichen Stimme, zum Teil stark bearbeitet, ist in diesem Zusammenhang zentral und sorgt für die enervierendsten Momente der beiden Scores. Wallfisch gelingt es aber auch, die Freundschaft des „Loosers Club“ als Kernelement der Geschichte durch deutlich melodischeres Material wirkungsvoll darzustellen.

Score-Duell: Justice League – Elfman vs. Holkenborg

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Es mag vielleicht aufgefallen sein, dass in meiner ausführlichen Rezension zu „Zack Snyder’s Justice League“ ein Thema auffällig abwesend war: Der neue Score von Tom Holkenborg alias Junkie XL. Wer diesen Blog schon etwas länger verfolgt, weiß, dass ich eine, sagen wir, ausgeprägte Meinung zum Thema „Musik des DCEU“, wie sie vor allem von Hans Zimmer und Holkenborg geprägt wurde, habe. Wir haben hier eine zumindest relativ seltene Situation, in der (mehr oder weniger) derselbe Film von zwei Komponisten sehr unterschiedlich vertont wurde. Schon für die ursprüngliche Kinofassung hätte Holkenborg den Score schreiben sollen, tatsächlich war dieser wohl schon so gut wie fertig, bevor Holkenborg durch Elfman ersetzt wurde. Für den Snyder-Cut griff er allerdings nicht auf diesen ursprünglichen Score zurück, sondern begann noch einmal ganz von vorne, um den Anforderungen des nun deutlich längeren Filmes gerecht zu werden. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um ein neues Format der Soundtrack-Besprechung auszuprobieren, in dem ich zwei (oder auch mehr?) Scores anhand diverser Kategorien (die natürlich variabel sind) miteinander vergleiche, zum Beispiel Remakes, Reboots, Sequels mit völlig unterschiedlichem musikalischem Konzept oder Filme, die sich aus anderen Gründen musikalisch vergleichen lassen.

Stil
Im Verlauf seiner Karriere arbeitete Zack Snyder mit drei „Stammkomponisten“: Tyler Bates, Hans Zimmer und Tom Holkenborg, wobei die letzten beiden praktisch von Anfang an als Team auftraten. Alle Scores, die aus diesen Partnerschaften resultierten, weisen gewisse Gemeinsamkeiten auf, die wohl auf Snyders musikalische Vorlieben zurückgehen – sie alle zeichnen sich nicht unbedingt durch ausgeprägte Orchesterarbeit und detaillierte Leitmotivik, sondern eher durch Rock- und Sounddesignelemente sowie eine eher brachiale Natur aus. Das gilt ebenso für die Scores von früheren Snyder-Filmen wie „300“ oder „Watchmen“ als auch für die Soundtracks des DCEU, die natürlich stark vom Zimmer/Nolan-Sound geprägt sind. Als Joss Whedon das Ruder bei „Justice League“ übernahm, sagte ihm diese Herangehensweise allerdings nicht zu, weshalb er stattdessen Danny Elfman ins Boot holte – mit diesem hatte er zuvor bereits an „Avengers: Age of Ultron“ zusammengearbeitet und vermutlich gute Erfahrungen gemacht. Elfmans „Justice League“ ist deutlich traditioneller als die bisherigen DCEU-Scores, mit größerem Fokus auf das Orchester. Es handelt sich im Grunde um eine nahtlose Fortsetzung von Elfmans modernem Action-Stil, den er in „Men in Black“ und „Spider-Man“ etablierte und in „Wanted“, „Hellboy 2: The Golden Army“, den beiden Alice-Filmen und natürlich „Age of Ultron“ weiterentwickelte. Es finden sich durchaus hier und da Zugeständnisse an den von Zimmer und Holkenborg etablierten Sound, gerade in Hero’s Theme, (der Track findet sich zugegebenermaßen in dieser Form nicht im Film), aber „Justice League“ ist ohne Zweifel ein Elfman-Score durch und durch, die Orchesterarbeit ist weitaus komplexer, opulenter und organischer als bei den beiden Vorgängern – diesen Stil empfinden viele Kinogänger traurigerweise inzwischen als „veraltet“. Elektronische Manipulationen und Snyth-Elemente sind zwar vorhanden, aber in weitaus geringerem Ausmaß.

Wie nicht anders zu erwarten kehrte Holkenborg für den Snyder-Cut zum bereits etablierten DCEU-Stil zurück, was im Klartext bedeutet: mehr Sounddesign, mehr Ambience und durchgehende Manipulation und Prozessierung der Performance des Orchesters, bis man kaum mehr unterscheiden kann, was tatsächlich von Musikern und was aus dem Computer kommt. In letzter Konsequenz stellt sich hier natürlich zum einen die Frage, welchen Stil man persönlich bevorzugt und welcher besser zum Film passt. Meine Antwort auf den ersten Teil dieser Frage dürfte eindeutig sein: Ich war nie ein Fan von den reduzierten, übermäßig prozessierten und bearbeiteten Klängen, die Zimmer und Co. für die Dark-Knight-Trilogie, „Inception“ oder eben die DCEU-Filme ablieferte. Ich kann nicht bestreiten, dass sie oft zumindest funktional sind, aber derartige Scores haben darüber hinaus für mich nur selten Mehrwehrt, auch wenn sie den Geschmack vieler Zuschauer zu treffen scheinen. Dementsprechend gehöre ich zu der Minderheit, die Elfmans Score als Hörerlebnis definitiv vorzieht – tatsächlich kehre ich immer wieder gerne gerade zu den komplexen, motivisch ausgefeilten Action-Tracks zurück. Es lässt sich allerdings auch nicht bestreiten, dass Elfmans Score zumindest in der aktuellen Form für Snyders Vision unpassend gewesen wäre. Ich denke allerdings, dass Elfman auch durchaus in der Lage gewesen wäre, sich an „Zack Snyder’s Justice League“ anzupassen, hat er doch mit „Planet of the Apes“, „Sleepy Hollow“ und „The Wolfman“ bewiesen, dass er auch düstere, grimmige und brutale Stoffe passend vertonen kann, ohne seinen Stil zu verwässern. Warner wollte jedoch, dass die Kinofassung von „Justice League“ einem Avengers-Film so ähnlich wie möglich wird, und das erstreckte sich dann auch auf die Musik. Im Fandom wird spätestens seit „Justice League“ allerdings eine etwas merkwürdige Dichotomie wahrgenommen; ein Score, der weniger elektronisch wummert und dröhnt, wird, vor allem von Snyder-Fans, sofort als „Marvel-artig“ gesehen, was bestenfalls eine grobe Vereinfachung und schlimmstenfalls schlicht falsch ist.

Gewinner: Elfman, aufgrund meiner persönlichen Vorlieben; hier sticht die exzellente Orchesterarbeit die stilistische Kontinuität aus.

Themen
Sowohl Holkenborg als auch Elfman griffen auf ein Arsenal an bereits bestehenden Themen zurück, was bei einem Score eines etablierten Franchise nicht sonderlich verwundert. Elfman bediente sich allerdings, mit einer Ausnahme, nicht den von Zimmer und Holkenborg etablierten Leitmotiven, sondern der klassischen Themen. Elfman war wohl, ähnlich wie ich, von der bisherigen Musik des DCEU nicht allzu angetan und verfolgte deshalb einen anderen Ansatz: Er (oder Whedon, oder Warner) wollte, dass die ikonischen Helden der Justice League durch nicht minder ikonische Themen repräsentiert werden, weshalb er gerade für DCs Trinität diejenigen wählte, die die Allgemeinheit am stärksten mit ihnen verknüpft: sein eigenes Batman-Thema, John Williams‘ Superman-Thema und das Wonder-Woman-Motiv aus „Batman v Superman: Dawn of Justice“. Keines dieser drei Themen sollte allerdings den Film dominieren, weshalb Elfman sich ihrer eher fragmentarisch und subtil bedient, ihnen aber einen oder zwei Moment im Scheinwerferlicht gewährt. Das Superman-Thema etwa untermalt in entstellter Version den Kampf der restlichen Ligisten gegen den wiedererwachten Superman (Friends and Foes) und darf einmal klassisch-heroisch (aber nur sehr kurz) in The Final Battle erklingen. Der Rhythmus des Wonder-Woman-Motivs ist im gesamten Score sehr präsent, eine knackige Action-Variation findet sich allerdings nur in Wonder Woman Rescue. Elfmans Batman-Thema ist fraglos das dominanteste und dasjenige, das am häufigsten auftaucht, aber auch hier bedient sich Elfman nur des aus fünf bzw. sechs Noten bestehenden Kernmotivs, den „Marschteil“ zitiert er nur einmal in The Final Battle. Weitere, gut vernehmbare Variationen finden sich in Then There Were Three, The Tunnel Fight und Anti-Hero’s Theme.

Zusätzlich zu diesen drei bereits etablierten Themen komponierte Elfman eine Reihe neuer Themen und Motive, hierzu gehören das Hero’s Theme, das zwar eine Suite zu Beginn des Albums hat, im Score selbst aber nur eine untergeordnete Rolle spielt, und das eigentliche Thema der Justice League (sehr gut vernehmbar in The Justice League Theme – Logos und Justice League United, aber auch in den diversen Action-Tracks). Hier lässt sich eine gewisse Ähnlichkeit zum Avengers-Thema nicht leugnen, beide Themen sind ähnlich instrumentiert und um dasselbe Intervall, die reine Quinte (das klassische Helden-Intervall) aufgebaut. Den weiteren Mitgliedern der Liga verpasste Elfman ebenfalls eigene Motive, diejenigen von Aquaman und Cyborg gehen eher unter, das von Flash hingegen ist äußerst markant und erklingt jedes Mal, wenn er in die Speed Force gleitet, zum Beispiel am Ende von Spark of the Flash, in The Tunnel Fight oder Friends and Foes. Steppenwolf hat sein eigenes Schurkenmotiv und die Beziehung zwischen Lois und Clark erhält ebenfalls ein Thema. Nun denn, Fans der bisherigen Scores waren (nicht ganz zu Unrecht) ziemlich wütend darüber, dass Elfman die bisherigen Themen einfach so verwarf, und ich kann das gut nachvollziehen, denn bei fast jedem anderen Franchise würde ich ähnlich empfinden, aber gerade bei diesem haben die Leitmotive aus „Man of Steel“ und „Batman v Superman: Dawn of Justice“ so wenig emotionale Resonanz bei mir hervorgerufen, dass ich kaum Probleme damit habe. Tatsächlich finde ich es schön, die Klassiker noch einmal in neuem Gewand zu hören.

Holkennborgs leitmotivischer Ansatz ist dem von Elfman gar nicht so unähnlich, vor allem auf zwei bereits existierende Themen greift er in großem Ausmaß zurück, das wären zum einen das Wonder-Woman-Motiv, das hier in seiner harschesten und elektronischsten Ausprägung zu finden ist (zum Vergleich: Elfman wählte eine deutlich organischere Instrumentierung), etwa in Wonder Woman Defending/And What Rough Beast und Wonder Woman, a Call to Stand/A World Awakened und zum anderen das Superman/Clark-Kent-Thema, sowohl in der Klavierversion (Superman Rising, Pt. 1/A Book of Hours) als auch in der heroischen, aufstrebenden Variation, die in „Man of Steel“ nur zwei Mal und in „Batman v Superman: Dawn of Justice“ überhaupt nicht zu hören war (Superman Rising, Pt. 2/Immovable). Weitere bekannte Themen, die zumindest kleine Cameo-Auftritte spendiert bekommen, sind das Motiv für Lex Luthor und der Bat-Rhythmus, beide in „Batman v Superman: Dawn of Justice“ etabliert und beide in Your Own House Turned to Ashes zu hören. Interessanterweise ist dieses primäre Motiv für den Dunklen Ritter ansonsten allerdings abwesend, stattdessen spendiert ihm Holkenborg ein neues Leitmotiv, zu diesem später mehr.

Das zentrale neue Thema von „Zack Snyder’s Justice League“ ist das Foundation-Thema, gewissermaßen Holkenborgs Identität für die Justice League – es darauf zu reduzieren würde ihm allerdings nicht ganz gerecht werden, da sich der holländische Komponist tatsächlich einige Gedanken zu diesem Thema gemacht zu haben scheint. Es handelt sich dabei nämlich nicht nur um ein Team-Thema, sondern repräsentiert den Gedanken der heroischen Vereinigung im Kampf gegen die Horden von Apokolips – in dieser Funktion kommt es bereits bei der LotR-artigen Rückblende, in welcher die Amazonen, Menschen, Atlanter, Götter und Green Lanterns gegen Darkseid kämpfen, vor bzw. wird dort etabliert. Die Justice League führt dieses Bündnis fort und wird aus diesem Grund mit dem Foundation-Thema bedacht. Hier muss ich Holkenborg tatsächlich den Vorzug geben, denn besagtes Thema ist nun zwar auch nicht unbedingt das innovativste und steht in der Tradition der Zimmer-Power-Hymnen der 90er und frühen 2000er, ist aber doch markanter und effektiver als Elfmans Justice-League-Thema. Wie dieses ist es in viele der Action-Tracks eingearbeitet, auf dem Album finden sich aber auch zwei Suiten, The Foundation Theme und The Crew at Warpower, die es gut repräsentieren.

Holkenborgs neues Batman-Thema soll die nun heroischere Version des Dunklen Ritters, die uns im Kontrast zu „Batman v Superman: Dawn of Justice“ präsentiert wird, darstellen – ironischerweise ist es dabei von Elfmans deutlich ikonischerem Thema gar nicht einmal so weit entfernt. In Essenz handelt es sich bei diesem Motiv um eine Erweiterung bzw. Auskopplung des Foundation-Themas, was angesichts von Batmans Rolle als Rekrutierer der Liga in diesem Film durchaus clever ist. Cyborg und Aquaman bekommen ebenfalls Motive, die wie schon bei Elfman nicht allzu markant sind, Flash hingegen wird ausgespart. Der bemerkenswerteste Neuzugang unter den Heldenmotiven ist allerdings der „klagende Frauengesang“, der um die Jahrtausendwende en vogue war und durch Filme wie „Gladiator“ und „Troy“ regelrecht zum Klischee wurde. Hier repräsentiert er die Amazonen und Wonder Woman und wird tatsächlich jedes Mal gespielt, wenn Diana oder ihre Angehörigen in die Schlacht ziehen – spätestens ab dem dritten Mal geht einem das ungeheuerlich auf die Nerven. Ein weiteres Thema existiert für Steppenwolf, Darkseid und die Horden von Apokolips; hier dreht Holkenborg den Bass noch mehr auf und auch die synthetischen Elemente werden gesteigert. Gerade diese Charakteristika machen es schwierig, besagtes Motiv aus dem restlichen Unterscore herauszuhören. Am deutlichsten tritt es in That Terrible Strength heraus.

Trotz einer Vielzahl an Themen und größtenteils erfolgreicher Fortführung der Leitmotivik der bisherigen Filme bleibt hier aber sehr viel verschenktes Potential. Das hängt zum einen mit den Themen an sich zusammen, die bei mir, wie bereits erwähnt, kaum emotionale Resonanz hervorrufen, und zum anderen mit der Verarbeitung und dem Mangel an Variation. „Zack Snyder’s Justice League“ soll ohne Zweifel ein Epos darstellen, inszenatorisch scheint Snyder die Superhelden-Version des „Lord of the Rings“ anzustreben. Gerade diesbezüglich lässt Holkenborgs Score im Allgemeinen und die Leitmotivik im Besonderen aber sehr zu Wünschen übrig.

Gewinner: Holkenborg, aber auch nur sehr knapp – hier lasse ich das stärkere Hauptthema und leitmotivische Kontinuität über Emotion siegen.

Der Score im Film
Ich erwähnte bereits weiter oben, dass Elfmans Score definitiv nicht zu Snyders Vision gepasst hätte, aber darum soll es in diesem Abschnitt gar nicht gehen, sondern um die tatsächliche Verarbeitung der jeweiligen Musik im Film. Und es lässt sich nicht leugnen: Der Score in der Kinofassung leidet. Aufgrund der Nachdrehs, Probleme hinter den Kulissen etc. war die Feinabstimmung wohl ein äußerst gehetzter Prozess. Ich meine, mich an ein Interview mit Elfman erinnern zu können, in dem er erklärte, teilweise das Drehbuch als Kompositionsgrundlage nehmen zu müssen, da eine Schnittfassung noch nicht fertiggestellt werden konnte, die Musik aber dennoch geschrieben und aufgenommen werden musste. Ähnliche Probleme gab es auch schon in „Avengers: Age of Ultron“. Zudem ist der Musikschnitt nicht besonders gut, ebenso wie die Abstimmung mit den Soundeffekten. DER große Einsatz des Batman-Themas in The Final Battle ist im Film beispielsweise kaum zu hören, weil er vom Dröhnen des Batmobils überlagert wird. All diese Probleme hat „Zack Snyder’s Justice League“ nicht, der Score funktioniert so, wie er funktionieren soll und ist gut auf den Schnitt und die Bilder abgestimmt, auch bezüglich Lautstärke und Soundabmischung konnte ich keine Probleme feststellen.

Sieger: Holkenborg ohne jeden Zweifel.

Der Score auf dem Album
Dieser Aspekt spielt natürlich primär für Filmmusikfans eine Rolle; viele Cineasten wissen Scores und Scoreanalysen zwar durchaus zu schätzen, betrachten Soundtracks aber nicht als „Alltagsmusik“, die man losgelöst vom Film genießt. Die Albenpräsentation ist genau hierfür freilich essentiell. Bei Elfmans „Justice League“ gibt es da wirklich wenig zu meckern: Wer das kommerzielle Album erwirbt, erhält knapp über 100 Minuten Score plus drei Songs, die ich sofort aus der Playlist getilgt habe. Einige Tracks, primär Hero’s Theme, tauchen in dieser Form nicht einmal im Film auf und von den beiden großen Action-Set-Pieces The Tunnel Fight und The Final Battle werden zwei Versionen geboten, jeweils eine handliche, die zwischen sechs und sieben Minuten dauert, und eine erweiterte zwischen zehn und zwölf – aber Achtung, der heroische Einsatz des Williams-Superman-Themas findet sich nur in der sechsminütigen Version von The Final Battle. Alles in allem eine runde Sache, ein schönes Album, das als solches besser funktioniert als der Score im Film. Tatsächlich bietet es sich an, gerade für Filmmusik-Fans, die ähnlich ticken wie ich, den Film einfach zu ignorieren und den Score als Konzept-Album zu genießen, das einige der markantesten Themen des DC-Universums auf elegante Weise zusammenbringt, toll orchestrierte Musik bietet und sich exzellent als Untermalung zur Lektüre von Justice-League-Comics eignet.

Oft klagen Filmmusik-Fans darüber, dass ein Album zu knapp bemessen ist und essentielle musikalische Momente aus dem Film fehlen – man erinnere sich nur an das ursprüngliche Album von „The Return of the King“, auf dem unter anderem The Battle of the Pelennor Fields und For Frodo fehlten, nicht nur zwei der besten Tracks dieses Scores, sondern der letzten zwanzig, dreißig Jahre (mindestens). Bei „Zack Snyder’s Justice League“ hingegen gibt es das umgekehrte Problem: Das Album umfasst deutlich zu viel Musik. Fast vier Stunden für etwa 15 Euro ist zwar ein gutes Angebot, aber trotzdem… Es gibt Scores, die eine derartig umfangreiche bzw. komplette Präsentation rechtfertigen, seien es Golden-Age-Klassiker wie Miklós Rózsas „Ben Hur“, Williams Star-Wars-Scores oder natürlich Howard Shores LotR-Soundtracks – in diesen vergeht allerdings auch kaum eine Minute, ohne dass nicht irgend ein Thema weiterentwickelt oder eine neue, faszinierende musikalische Idee vorgestellt wird. „Zack Snyder’s Justice League“ ist weit, weit vom Qualitätslevel dieser Werke entfernt und beinhaltet viel Leerlauf, uninteressantes Dröhnen, simple Suspense-Musik, Wiederholungen und unhörbares Sounddesign. Hier hätte ein anderthalb bis zweistündiges Highlight-Album Wunder gewirkt. Der Enthusiast kann sich nun natürlich durch dieses Mammutwerk durcharbeiten, um sich selbst eine adäquate Playlist zu erstellen (oder das Internet konsultieren), aber trotzdem wäre eine gewisse Vorauswahl nett gewesen. Strukturell bietet das Album den Score in Filmreihenfolge (zumindest soweit ich das sagen kann) und hängt noch einigen Themensuiten zu den einzelnen Helden hinten dran – einzelne Bestandteile dieser Suiten tauchen auch im Film selbst auf, die beiden Tracks Wonder Woman Defending/And What Rough Beast und Wonder Woman, a Call to Stand/A World Awakened sind beispielsweise fast identisch – aber trotzdem helfen die Suiten durchaus bei der leitmotivischen Analyse.

Gewinner: Elfman, ganz ohne Frage das besser strukturierte und genießbarere Album.

Fazit: Unglaublich aber wahr, anhand der Kategorien haben wir einen Gleichstand zwischen Elfman und Holkenborg, ein solides 2 zu 2. Das endgültige Urteil lautet somit: Holkenborgs Score funktioniert im Film zweifelsohne besser, kommt dort auch besser zur Geltung und knüpft nahtlos an die Vorgänger an. Gerade stilistisch, kompositorisch und leitmotivisch wäre allerdings definitiv Luft nach oben gewesen. Elfmans Score kommt in Film nicht besonders gut weg, sagt mir aber stilistisch in weitaus größerem Maße zu und ist musikalisch um so Vieles interessanter, tatsächlich gehören besonders The Tunnel Fight und The Final Battle zu meinen meistgehörten Tracks der letzten Jahre, während ich momentan keinerlei Verlangen danach hege, „Zack Snyder’s Justice League“ wieder laufen zu lassen.

Siehe auch:
Zack Snyder’s Justice League – Ausführliche Rezension
Justice League – Soundtrack

Danny Elfman’s Batman: A Film Score Guide

9780810851269
Auf meiner unermüdlichen Suche nach guter Filmmusik-Literatur bin ich auf die Reihe „A Film Score Guide“ des Verlages Rowman & Littlefield gestoßen, die von 2004 bis 2017 lief und 19 Bände umfasst. Jeder davon widmet sich sehr ausführlich einem bestimmten Score, in manchen Fällen auch mehreren zusammenhängenden. Diese Reihe hat trotz des Umstandes, dass die einzelnen Bände gemessen am Umfang ziemlich teuer sind (zwischen 40 und 70 Euro) meine Neugier geweckt. Die besprochenen Soundtracks sind sehr breit gefächert, von Golden-Age-Klassikern wie „Ben Hur“ von Miklós Rózsa oder „Rebecca“ von Franz Waxman über neuere Klassiker wie „The Godfather Trilogy“ von Nino Rota bis hin zu ziemlich aktuellen Filmen wie „The Dark Knight“ von Hans Zimmer und James Newton Howard oder „Stardust“ von Ilan Eshkeri. Ich habe mich allerdings für eine Score-Analyse entschieden, die sich fast schon aufdrängte, schließlich gehört dieser Score zu den Werken, die meine Begeisterung für Filmmusik geweckt haben: Danny Elfmans „Batman“ aus dem Jahr 1989.

„Danny Elfman’s Batman: A Film Score Guide” ist der zweite Band der Reihe und wurde von Janet K. Halfyard, die am Royal Birmingham Conservatoire Kurse zu Film- und Fernsehmusik gibt, verfasst. Gerade im Vergleich zu Jon Burlingames „The Music of James Bond“, dem letzten Sachbuch dieser Fachrichtung, das ich rezensiert habe, hat dieses Werk einen deutlich akademischeren Anspruch und geht viel mehr in die Tiefe. Zugegebenermaßen behandelt Halfyard auch nur einen Score, während Burlingame zwar mehr Seiten zur Verfügung hatte, aber eben auch 25 Soundtracks abdecken musste. Halfyard beschäftigt sich weniger mit der Entstehung, damit verbundenen Anekdoten oder Aussagen der Beteiligten, sondern legt den Fokus auf die Analyse der Musik, inklusive ausführlicher Notenbeispiele. Dieser Fokus bedeutet allerdings nicht, dass dieser „Film Score Guide“ den Kontext ausklammert. Im ersten und zweiten Kapitel, „Danny Elfman’s Musical Background“ und „Elfman’s Scoring Technique“, beschäftigt sie sich in angemessenem Umfang mit dem Komponisten, seinem Werdegang, der Zusammenarbeit mit Tim Burton, seiner Kompositionstechnik und auch den Vorwürfen, die ihm immer wieder gemacht werden, denen zufolge nicht Elfman selbst, sondern sein Stamm-Orchestrierer Steve Bartek die eigentliche Arbeit macht. Nebenbei widerlegt sie diese auch gleich.

In Kapitel 3, „The Historical and Critical Context of Batman”, setzt sich Halfyard mit Batman, dem Vermächtnis der Figur und auch dem Genre des Superheldenfilms und seiner Musik auseinander. Da das Buch 2004 erschien, handelt es sich hier um eine interessante Momentaufnahme – das Superheldengenre im Film war gerade dabei, durchzustarten, hatte aber noch keine richtige Vielfalt anzubieten, vor allem musikalisch. In Bezug auf die direkten Vorgänger von Elfmans „Batman“ fällt das natürlich noch umso mehr auf, weshalb Halfyard in diesem Kontext auch die Star-Wars- und Indiana-Jones-Filme miteinbezieht, da sie Elfmans Arbeit sonst ausschließlich mit John Williams‘ „Superman“ vergleichen könnte.

Ab Kapitel 4, „The Sound of the Score“, geht’s ans Eingemachte: Hier beschreibt Halfyard die Gesamtkonzeption und die Stilmittel, die Elfman wählte und gibt zudem einen umfassenden Gesamtüberblick: Welcher orchestraler Farben bedient sich Elfman, wie arbeitet er mit Melodien und Themen bzw. dem Thema, da „Batman“ in Essenz ein monothematischer Score ist. Selbst das Liebesthema für Bruce Wayne und Vicki Vale ist im Grunde lediglich eine Abwandlung des Batman-Themas. Zusätzlich geht Halfyard auch auf den anderen musikalischen Aspekt des Films neben Elfmans Score ein: Die Songs von Prince.

In den letzten beiden Kapiteln, „Reading the Score Part I“ und “Reading the Score Part II” setzt sich Halfyard schließlich en detail mit Elfmans Kompositionen auseinander – dementsprechend finden sich hier auch die meisten Notenbeispiele und Fachtermini. Kapitel 5 bleibt dabei der Strukturierung der Musik und der Darstellung der Figureninteraktion im Score vorbehalten, während Kapitel 6 sich ausgiebig dem Batman-Thema und seiner Entwicklung widmet.

Vieles von dem, was Halfyard hier schildert, war mir durch jahrelange Beschäftigung mit dem Score und seiner Rezeption natürlich schon bekannt, aber einerseits ist es gut, die gesamten Informationen noch einmal gesammelt zu haben und andererseits geht Halfyard bei allen Aspekten stärker in die Tiefe, als das in anderem Kontext (bspw. Rezensionen) möglich wäre. Vor allem ihre Auseinandersetzung mit der Musik des Jokers hat mich fasziniert – aufgrund der „Übermacht“ des Batman-Themas wird diese oft mehr oder weniger vergessen. Als Jack Napier hat der Widersacher des Dunklen Ritters gar keine Musik und als Joker keine eigene – Halfyard spricht hier von musikalischer Appropriation. Als Joker kapert er gewissermaßen Musik aus anderer Quelle, sei es die Zirkusmusik, die meistens mit ihm assoziiert wird, die Songs von Prince, die Jingles, die bei seinen Werbespots eingesetzt werden oder das „Liebesthema“, bei dem es sich um die Melodie des Songs Beautiful Dreamer von Stephen Foster handelt. Anders als Batman verfügt der Joker nicht über genuin eigene Musik, geschweige denn ein wirklich eigenes Thema, sondern muss sich seine musikalische Identität quasi selbst zusammenbauen. Diese Tendenz der Figur geht, nebenbei bemerkt, über „Batman“ hinaus und zeigt sich auch bei anderen Inkarnationen. Sowohl in der B:TAS-Folge „Christmas with the Joker“ als auch im Spiel „Batman: Arkham Origins“ kapert der Joker beispielsweise Weihnachtsmusik und macht sie sich auf ähnliche Art und Weise zu Eigen.

Was mir persönlich allerdings fehlt, ist ein Fazit am Ende, nach dem Kapitel „Reading the Score Part II“ endet das Buch ziemlich abrupt mit den Endnoten und dem Literaturverzeichnis. Eine abschließende Zusammenfassung hätte auch die Möglichkeit gegeben, auf den nach wie vor anhaltenden Einfluss von Elfmans Score einzugehen, von Elfmans Sequel-Soundtrack zu „Batman Returns“ über die Musik der beiden Schumacher-Filme mit einem zumindest ähnlich konstruierten Hauptthema bis hin zur Verwendung von Elfmans Leitmotiv in „Batman: The Animated Series“. Manche dieser Aspekte streift Halfyard zwar in Kapitel 3, aber ein Fazit wäre der ideale Ort dafür gewesen. Vielleicht wird es Zeit für eine Neuauflage, da Danny Elfman sein Thema für den Score von „Justice League“ (Joss-Whedon-Version) bekanntermaßen noch einmal ausgegraben hat. Und auch davon abgesehen fand es immer mal wieder Verwendung, etwa in den Lego-Batman-Spielen.

Fazit: Gelungene und detaillierte Auseinandersetzung mit einem der essentiellen Superhelden-Scores und einem meiner persönlichen Favoriten. Einziges Manko ist das aufgrund eines fehlenden Fazits recht abrupte und unrunde Ende. Aber ansonsten volle Empfehlung für alle Fans des Scores oder Filmmusikenthusiasten, die sich wie ich eine kleine Fachbibliothek zu dieser Nische aufbauen wollen.

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Siehe auch:
The Music of James Bond

Stück der Woche: Wonder Womans Thema


Es soll hin und wieder vorkommen, dass man seine Meinung ändert. Als Hans Zimmer und Tom Holkenborg alias Junkie XL in „Batman v Superman: Dawn of Justice” im Track Is She with You? ihr Wonder-Woman-Thema vorstellten, war ich nicht allzu angetan. Die Idee dahinter war, sich vom „maskulinen Tonfall“ herkömmlicher Superheldenthemen mit ihrem Fokus auf Blechbläser zu distanzieren und das Cello (in diesem Fall ein elektrisches Modell) als feminines Instrument für Diana zu etablieren. Sehr werbewirksam setzte man auch die Cellistin Tina Guo ein, die gerade dabei war, sich in der Welt der Filmmusik einen Namen als Solo-Performerin zu machen. Grundsätzlich nicht die schlechteste Herangehensweise, das Thema selbst, eigentlich eher ein Motiv, hingegen fand ich eher bescheiden. Wie das restliche motivische Material dieses Films erschien es mir zu beschränkt in seiner Aussagekraft, zu sehr auf pure Aggression ausgerichtet – im Grund springt es immer nur zwischen zwei Noten hin und her. Zimmer und Holkenborg charakterisierten es als „den Schrei einer Banshee“. Eine gewisse Verwandtschaft zum Kampfschrei aus Led Zeppelins Immigrant Song lässt sich nicht leugnen.

Was inzwischen aus dem Wonder-Woman-Thema gemacht wurde, ist allerdings äußerst beeindruckend. Mehr oder weniger hat es sich zum inoffiziellen musikalischen Aushängeschild des in einem merkwürdigen Limbus existierenden DCEU entwickelt. Dieses ist musikalisch freilich ebenso zersplittert wie filmisch bzw. erzählerisch, aber immerhin in Bezug auf Wonder Woman wurde Konsistenz geschaffen: Wenn die Amazone auftaucht, bringt sie auch ihr Motiv mit. Gerade im Marketing von Patty Jenkins‘ erstem Wonder-Woman-Film von 2017 wurde es beispielsweise sehr effektiv eingesetzt und erklang am Ende jeden Trailers. Und als Danny Elfman in seinem Score für „Justice League“ praktisch alle Motive verwarf, die Zimmer und Holkenborg für „Man of Steel“ und „Batman v Superman“ komponiert hatte, war das Wonder-Woman-Thema die Ausnahme: In Wonder Woman Rescue ist eine neue, von Elfman und Pinar Toprak arrangierte Version zu hören, die das elektrische Cello durch eine Kombination aus Blechbläsern und E-Gitarre ersetzt.

Weit interessanter ist allerdings die Transformation des Motivs in den beiden Wonder-Woman-Scores, komponiert von Rupert Gregson-Williams respektive Hans Zimmer persönlich. In seiner Standardversion ist das Motiv im Grunde ein reines Action-Thema, das sich nur schwer variieren lässt. Man kann es subtil andeuten, in dem man beispielsweise die ersten drei Noten anspielt, was Zimmer und Holkenborg bereits in „Batman v Superman“ getan haben. Doch was tut man, wenn man Diana als Heldin und nicht nur als Kriegerin musikalisch repräsentieren möchte? Gregson-Williams komponierte ein neues Thema, verwendete als Basis aber das bereits vorhandene Motiv – genauer besagte drei Noten, die es einleiten. Diese werden zwei Mal gespielt, jeweils mit einer angehängten vierten Note, beim ersten Mal auf- und beim zweiten Mal absteigend. Diese Konstruktion fungiert im Film als Dianas primäres Thema, da sie deutlich formbarer ist als das Wonder-Woman-Motiv in seiner herkömmlichen Gestalt – dennoch sind beide eng miteinander verknüpft. Im Track No Man’s Land hört man beide Themen direkt hintereinander, zuerst das heroische bei 2:40 und dann das Action-Motiv bei 3:10.

Ansonsten wird das Wonder-Woman-Thema in seiner ursprünglichen Gestalt (inklusive Tina Guos elektrischem Cello) als Dianas Action-Motiv benutzt, das auch erst Verwendung findet, als sie mit Schwert, Schild und in ihrem ikonischen Outfit in die Schlacht zieht. In Wonder Woman’s Wrath nähert Gregson-Williams die beiden Motive einander an, indem er das heroische Thema mit dem Rhythmus des Zimmer/Holkenorg-Motivs unterlegt. (2:45).

Rupert Gregson-Williams‘ Thema taucht in „Wonder Woman 1984“ nicht mehr auf, aber Zimmer wählte dennoch einen ähnlichen Weg. Wie Remote-Control-Zögling Gregson-Williams schrieb auch der Meister persönlich ein neues Thema für die Superheldin, das all das ausdrückt, was sie als Figur ausmacht, das aber nach wie vor auf dem ursprünglichen Motiv basiert. Im Grunde verwandelt Zimmer das Thema in eine weit weniger aggressive Fanfare, die zum ersten Mal im Track Themyscira bei 1:53 erklingt. Über dieses Stück, das schon vor einigen Monaten als Auskopplung veröffentlicht wurde, hatte ich mich ja bereits ebenso ausführlich wie positiv geäußert.

Erfreulicherweise hält der Score, was dieses Stück verspricht. Mit „Wonder Woman 1984“ liefert Zimmer einen seiner besten und schlicht unterhaltsamsten Scores der letzten zehn Jahre – und vielleicht seinen bislang besten Superhelden-Score (mit diesem Urteil warte ich allerdings, bis ich den Score im Kontext gehört habe). Wie in Themyscira ist im gesamten Score die DNS des Wonder-Woman-Motivs fast überall, sei es in Rhythmus, Struktur oder subtilen Anspielungen, ohne dass es direkt zitiert würde. Fans der ursprünglichen Version müssen allerdings auch nicht verzagen, denn zumindest in Open Road kehrt Zimmer zu den Wurzeln des Motivs und (zumindest Ansatzweise) dem Tonfall von „Batman v Superman“ zurück und macht ausgiebig vom Kampfschrei Gebrauch. Inzwischen habe ich mich nicht nur an das ursprüngliche Motiv zumindest gewöhnt, die Entwicklungen begeistern mich sogar regelrecht.

Siehe auch:
Stück der Woche: Themyscira

Das Soundtrack-Jahr 2017

Die letzte Zeit war für mich äußerst geschäftig und stressig, weshalb ich leider bei weitem nicht dazu gekommen bin, alles an Filmmusik (und auch den zugehörigen Filmen) aufzuarbeiten, das ich gerne geschafft hätte – es gibt noch eine ganze Reihe an Scores, denen ich schlicht nicht die Aufmerksamkeit widmen konnte, die sie verdient hätten – andernfalls sähe diese Liste vielleicht ganz anders aus. Aus diesem Grund gibt es dieses Jahr nur fünfzehn Plätze (plus fünf herausragende Einzelstücke), und auch auf die Worst-of-Liste verzichte ich für 2017. Wie üblich gilt: Die Reihenfolge ist absolut nicht in Stein gehauen und könnte morgen schon wieder eine ganz andere sein.

Bemerkenswerte Einzelstücke

Paint It Black aus „Westworld Staffel 1” (Ramin Djawadi)

Rein formal gehört der Soundtrack zur grandiosen neuen HBO-Serie eigentlich noch ins Jahr 2016, aber ich mache hier mal eine Ausnahme, weil ich diesen Track unbedingt erwähnt haben wollte: Es handelt sich dabei um eine orchestrale Neuinterpretation von Pain It Black von den Rolling Stones, die in der zugehörigen Szene unglaublich gut funktioniert und darüber hinaus hervorragend zur Konzeption der Serie passt: Das Stück ist gleichzeitig (zumindest gemessen am Western-Setting) modern und nostalgisch, weckt durch die Instrumentierung eine Western-Assoziation, ist aber zugleich ein genauso anachronistischer Fremdkörper wie ein Androide in einem Saloon.

Kill the Filthy Pirate, I’ll Wait aus „Pirates of the Caribbean: Dead Men Tell No Tales” (Geoff Zanelli)

Mir persönlich gab es im fünften Pirates-Score zu viel Wiederholung bereits bekannten Materials, zu wenig Variation und zu wenig tatsächlich neues Material. Aber dennoch hat Geoff Zanelli einige durchaus unterhaltsame Stücke zum Franchise beigesteuert. Kill the Filthy Pirate, I’ll Wait knüpft nahtlos an die Stärken der Action-Musik der Vorgänger an: Locker, elegant und mit diversen leitmotivischen Einspielungen, darunter die Up-Is-Down-Variation des Liebesthemas aus „At World’s End“, das neue Abenteuer-Thema dieses Films und natürlich Hoist the Colours.

Wonder Woman’s Wrath aus „Wonder Woman” (Rupert Gregson-Williams)

Einige Monate lang war Rupert Gregson-Williams Vertonung von „Wonder Woman“ der beste DCEU-Score. Er ist nun beileibe nichts Besonderes, ein klassischer, unterhaltsamer RCP-Actioner im Stil der 90er und frühen 2000er, der sich angenehm von „Man of Steel“ und „Batman v Superman“ abgrenzt, ohne deren Stilistik völlig aufzugeben. Fraglos wäre da noch mehr dringewesen, aber gerade in Tracks wie Wonder Woman’s Wrath gelingt es Gregson-Williams durchaus, das Potential seines Ansatzes auszuschöpfen und mit den musikalischen Identitäten der Hauptfigur zu spielen, sodass die Wildheit des BvS-Motivs Seite an Seite mit tatsächlich heroischer Musik stehen kann.

Spoils of War aus „Game of Thrones Staffel 7” (Ramin Djawadi)

Vom ersten militärischen Konflikt der Häuser Lannister und Targaryen kann man schon einiges erwarten. Während Djawadis Musik zur siebten GoT-Staffel wieder etwas schwächer ist als die zur sechsten, gibt es durchaus einige äußerst gelungene Stücke. Das zweiteilige Spoils of War schafft es, die Dramatik der Schlacht gut zu vermitteln und spielt hervorragend mit den etablierten Themen. Besonders gelungen ist in meinen Augen natürlich die mal mehr, mal weniger subtile Einbindung von The Rains of Castamere, aber auch die Themen für Daenerys und die Unbefleckten dürfen glänzen.

Roland of Eld (Main Title) aus „The Dark Tower” (Tom Holkenborg)

Unglaublich, aber wahr: Tom Holkenborg erhält eine positive Erwähnung. Die Musik zur Stephen-King-Verfilmung „The Dark Tower“ schlägt in eine ähnliche Kerbe wie „Wonder Woman“ und weiß durchaus zu unterhalten – das gilt besonders für das Main-Title-Stück Roland of Eld, denn hier beweist Junkie XL, dass er durchaus hin und wieder in der Lage ist, etwas Melodisches und Ansprechendes zu komponieren.

Best of

Platz 15: King Arthur: Legend of the Sword (Daniel Pemberton)

Zugegebenermaßen kehre ich zu diesem Score nicht allzu oft zurück, aber ich möchte gelungene, innovative Andersartigkeit, die zudem nicht nur ein Gimmick ist, durchaus belohnen, wenn sie mir über den Weg läuft. Und wenn „King Arthur: Legend of the Sword“ eines ist, dann anders. Pembertons Musik besticht durch eine faszinierende Mischung aus altertümlichen Instrumenten und treibenden, modernen Rhythmen, die vage an Hans Zimmers Musik für „Sherlock Holmes“ erinnern – zufällig ebenfalls ein Guy-Ritchie-Film.

Platz 14: ES (Benjamin Wallfisch)

Und noch einmal Stephen King, dieses Mal von Benjamin Wallfisch, der mit „ES“ einen äußerst beeindruckenden Horror-Score liefert, dessen prägendstes Element die Verwendung eines alten britischen Kinderreims ist, natürlich auch von Kindern im Score gesungen – eine schaurige, unheimliche Angelegenheit. Darüber hinaus wird Wallfischs Score mitunter äußerst brutal und erinnert bezüglich seiner Intensität an „Drag Me to Hell“ von Christopher Young oder „Evil Dead“ von Roque Banos. Über all den Schrecken vergisst Wallfisch allerdings nicht, auch die jugendlichen Helden angemessen zu repräsentieren.

Platz 13: The Great Wall (Ramin Djawadi)

Auf gewisse Weise handelt es sich bei „The Great Wall“ um eine besser orchestrierte Version der Musik aus „Game of Thrones“. Na gut, vielleicht ist das etwas übertrieben, aber es gibt schon diverse Elemente, die direkt aus Westeros zu stammen scheinen, etwa ein zentrales Chorthema, das direkt dem Stück Mhysa entnommen wurde. Per se ist das allerdings nichts Schlechtes, im Gegenteil. Grundsätzlich bin ich der GoT-Musik durchaus wohlgesonnen, und da ich mir ohnehin eine etwas breitere instrumentale Palette dafür gewünscht habe, trifft „The Great Wall“ durchaus meinen Geschmack. Die Präsenz diverser asiatischer Instrumente ist natürlich ebenfalls nicht zu verachten.

Platz 12: Die Schöne und das Biest (Alan Menken)

Nur ziemlich selten bekommen Komponisten die Gelegenheit, denselben Film noch einmal zu vertonen. Natürlich gibt es durchaus Unterschiede zwischen dem Original aus den 90ern und dem Realfilmremake. Dennoch ist es schön zu sehen, wie Alan Menken noch einmal zu seinen Wurzeln zurückkehrt, die gelungenen Melodien beibehält, dabei aber zeigt, wie er sich in den letzten zwanzig Jahren als Komponist weiterentwickelt hat. Dieses Urteil gilt allerdings nur für den Score, nicht für die neu eingespielten Songs, die bei der Originalaufnahme definitiv weit überlegen sind.

Platz 11: Lego Batman/Captain Underpants (Lorne Balfe/Theodore Shapiro)

Diese beiden Scores sind sich in ihrer Konzeption sehr ähnlich, weshalb sie sich einen Platz teilen. Sowohl „Captain Underpants“ als auch „The Lego Batman Movie“ parodieren auf liebevolle, unterhaltsame und kreative Weise die musikalischen Eigenheiten des Superheldengenres. Lorne Balfes Musik nimmt sich dabei eher den modernen, Zimmer-geprägten Stilmitteln an, verpasst ihnen aber eine große Dosis abgedrehter Hyperaktivität, während Theodore Shapiro in größerem Ausmaß auf die Klassiker des Genres zurückgreift.

Platz 10: Tokyo Ghoul (Don Davis)

Nach dem Ende der Matrix-Trilogie wurde es sehr schnell still um Don Davis, der sich aus der Filmmusik zurückzog und u.a. eine Oper komponierte. Mit „Tokyo Ghoul“ kehrt er nun in den Soundtrack-Bereich zurück. Dabei ist zwar kein revolutionärer neuer Score entstanden, aber doch ein äußerst solides Werk, das vor allem in dem einen oder anderen Action-Track über klare Matrix-Bezüge verfügt, dabei aber auch ein wenig positiver und leichter daherkommt als die Musik der Wachowski-Dystopie. Da mir diese Tonalität äußerst gut gefällt und Don Davis darüber hinaus einen ziemlich einzigartigen Stil hat, ist „Tokyo Ghoul“ ein äußerst willkommenes Kleinod für alle, die seine Stimme seit der Matrix-Trilogie vermisst haben.

Platz 9: Guardians of the Galaxy Vol. 2 (Tyler Bates)

So langsam macht sich Tyler Bates. Ursprünglich war er ein Komponist, mit dem ich absolut nichts anfangen konnte und dessen Arbeit ich für äußerst uninspiriert hielt (was auf seine früheren Werke auch nach wie vor zutrifft). Mit den beiden Guardians-Scores hat sich das allerdings geändert, mit Teil 2 hat er den gelungenen ersten Teil noch einmal überboten. Wo es in Teil 1 noch einige langweilige und dröge Passagen gab, weiß Vol. 2 von Anfang bis Ende durchgehend exzellent zu unterhalten. Das Guardians-Thema kehrt in all seiner Pracht zurück, und auch die sekundären Themen, die Action-Musik und die emotionalen Tracks wissen zu überzeugen.

Platz 8: Thor: Ragnarok (Mark Mothersbaugh)

Mark Mothersbaugh nahm sich die anhaltende (und in meinen Augen nicht immer gerechtfertigte) Kritik an den Scores des MCU zu Herzen und bemühte sich, einen distinktiven Soundtrack abzuliefern, in dem er orchestrale Klänge mit Retro-Synth-Material der 80er mischte. Zumindest für mich ist dieses Konzept ziemlich gut aufgegangen. Ich bin ja nun nicht der größte Fan besagter Retro-Synth-Elemente, aber die Kombination funktioniert einfach ziemlich gut, besonders, weil beide Aspekte fachmännisch umgesetzt sind. Noch dazu hat Mothersbaugh einige gelungene Rückbezüge auf bisherige Marvel-Scores eingebaut, was noch Bonuspunkte gibt.

Platz 7: Kingsman: The Golden Circle (Henry Jackman, Matthew Margeson)

Und noch ein Karrierehöhepunkt, dieses Mal für Henry Jackman und Matthew Margeson. Zwar habe ich nach wie vor eine ziemliche Schwäche für „X-Men: First Class“, aber ich denke, „Kingsman: The Golden Circle“ könnte tatsächlich Jackmans bislang bester Score sein. Der lebhafte Bond-Vibe des erwähnten Superhelden-Scores und natürlich des direkten Vorgängers ist auch in „The Golden Circle“ vorhanden, aber Jackman und Margeson arbeiten noch weitaus besser damit. Hinzu kommen die Americana-Stilmittel, die die Statesmen repräsentieren – das Ergebnis ist ein verdammt unterhaltsamer und kurzweiliger Score.

Platz 6: Die Mumie (Brian Tyler)

Bis heute habe ich mich geweigert, diesen Reboot anzuschauen. Nicht, dass ich der Dark-Universe-Idee bzw. dem Plan, verschiedene klassische Horror-Kreaturen aufeinandertreffen zu lassen, per se nichts abgewinnen könnte (schließlich wurde das in „Penny Dreadful“ durchaus gelungen umgesetzt), aber die ganze Herangehensweise und Konzeption dieses Films stinkt nach Filmuniversum als Selbstzweck. Immerhin: Brian Tyler scheint dieser Streifen inspiriert zu haben, denn meinem Empfinden nach hat er hier einen seiner besten Scores der letzten Jahre abgeliefert. Ich habe ja schon mehrfach meine Liebe zu Hollywoods Ägypten-Sound bekundet, und natürlich ist er auch hier vorhanden – nicht ganz so dominant wie in Jerry Goldsmiths Mumien-Score oder „Gods of Egypt“ aus dem letzten Jahr, aber dennoch. Eingängige Themen, tolle Action-Musik und exotische Instrumente, was will man mehr?

Platz 5: Spider-Man: Homecoming (Michael Giacchino)

Wie war das nochmal mit der allgegenwärtigen Kritik an den Scores des MCU? Zumindest ich kann mich dieses Jahr über keinen der drei Vertreter beschweren, denn auch Michael Giacchino hat exzellente Arbeit abgeliefert, vor allem dank der gelungenen Identität für Spider-Man, die sich sowohl auf das Avengers-Thema, als auch auf das klassische Spider-Man-Zeichentrick-Titellied Bezug nimmt und somit eines der am besten durchdachtesten Themen des Jahres ist. Zudem wird es auch noch mannigfaltig und ausgiebig variiert und macht sich sowohl für komödiantische Szenen als auch als Action-Motiv äußerst gut. Und als ob das nicht genug wäre, gibt es auch noch ein gelungenes Schurkenthema und zwei Gastauftritte von Alans Silvestris Avengers-Thema. Die einzige Schwäche ist das neue Motiv für Iron Man, das es wirklich nicht gebraucht hätte, schließlich haben wir Brian Tylers weitaus gelungenere Komposition.

Platz 4: A Cure for Wellness (Benjamin Wallfisch)

Film und Score sind, anders als „ES“ eher unter dem Radar geblieben – völlig zu Unrecht. „A Cure for Wellness“ ist eine herrliche Liebeserklärung an das Gothic-Horror-Genre, und der Score folgt diesem Ansatz perfekt. Zwar fehlt ihm die schiere Brutalität von „ES“, aber seine lyrischen Momente sind noch weitaus besser gelungen, und es mangelt ihm definitiv nicht an alptraumhafter Intensität. Zusätzlich werden auch noch zwei wunderbar zusammenpassende Themen geboten. Benjamin Wallfisch ist gerade dabei, sich zum Horrorkomponisten par excellence zu entwickeln, wenn er so weitermacht, kann er bald Christopher Young das Wasser reichen.

Platz 3: Justice League (Danny Elfman)

Von vielen gescholten ist Danny Elfmans Rückkehr ins DC-Universum doch ein verdammt gelungener Score. Nicht, dass er frei Schwächen wäre (wobei viele davon aus dem Film resultieren, den er untermalt), aber im Großen und Ganzen kann ich viele der Vorwürfe, die diesem Score gemacht werden, absolut nicht nachvollziehen, vor allem wenn behauptet wird, diese Musik sei uninspiriert und generisch. Wer sich mit orchestraler Filmmusik auskennt, sollte, selbst wenn die Musik selbst nicht zu gefallen weiß, zumindest erkennen, was für ein Aufwand in sie geflossen ist, wie anspruchsvoll und komplex die Orchestrierungen sind und wie hervorragend und detailfreudig Elfman mit Themen und Motiven arbeitet – bisher gab es im DCEU nichts, das auf einem technischen Level mit diesen Kompositionen mithalten könnte. Anders als Zimmer und Holkenborg hat sich Elfman dazu entschlossen, weniger die spezifische DCEU-Interpretation dieser ikonischen Figuren zu vertonen (die bereits in „Man of Steel“ nicht gelungen war und mit „Justice League“ endgültig völlig inkohärent ist), sondern die eigentliche Essenz Figuren an sich – deshalb auch die Verwendung der ikonischsten DC-Themen.

Platz 2: Valerian – Die Stadt der tausend Planeten (Alexandre Desplat)

Alexandre Desplat ist ein Komponist, der bisher immer gute und kompetente Arbeit abgeliefert hat, allerdings hat bislang das Opus Magnum, das Vorzeigewerk zumindest meinem Empfinden nach gefehlt. Das hat sich mit „Valerian – Die Stadt der tausend Planeten“ nun geändert. Ein wenig erinnert mich die Situation an „Jupiter Ascending“ – in beiden Fällen haben wir einen recht schwachen Sci-Fi-Film (wobei „Valerian“ „Jupiter Ascending“ immer noch haushoch überlegen ist), der einen Komponisten ohne Ende inspirierte. Hier haben wir wirklich ein orchestrales Meisterwerk voller kreativer Instrumentierung, schöner Themen und orchestraler Opulenz.

Platz 1: Star Wars Episode VIII: Die letzten Jedi (John Williams)

Ich hatte mir sehr lange überlegt, Episode VIII doch auf den zweiten Platz zu setzen und „Valerian“ die Krone zu verleihen, denn gemessen am Standard dieses Franchise ist Williams achter Star-Wars-Score einer der schwächeren: Es gibt nur zwei wirklich neue Themen (und ein Motiv, das aber ziemlich untergeht), die wohl kaum noch in zehn Jahren in Konzertsälen gespielt werden dürften und auch im Vergleich mit den neuen Themen aus „Das Erwachen der Macht“ eindeutig den Kürzeren ziehen; und auch mit den bereits etablierten Identitäten hätte man noch mehr machen können. Allerdings gilt: Ein schwächerer Star-Wars-Score von John Williams ist allem anderen meistens immer noch haushoch überlegen. Williams‘ absolute Beherrschung des Orchesters in all seinen Facetten bleibt unübertroffen, das Zusammenspiel der Myriade an Themen und Leitmotiven ebenfalls. Wie jeder andere Score des Franchise hat auch dieser mich wieder vollständig in seinen Bann gezogen und nicht mehr losgelassen, bis ich ihn vollständig erforscht hatte. Ich denke, dafür hat er sich den ersten Platz verdient.

Justice League – Soundtrack

Spoiler!
jls
Track Listing:

01. Everybody Knows (written by Leonard Cohen and Sharon Robinson, performed by Sigrid)
02. The Justice League Theme – Logos
03. Hero’s Theme
04. Batman on the Roof
05. Enter Cyborg
06. Wonder Woman Rescue
07. Hippolyta’s Arrow
08. The Story of Steppenwolf
09. The Amazon Mother Box
10. Cyborg Meets Diana
11. Aquaman in Atlantis
12. Then There Were Three
13. The Tunnel Fight
14. The World Needs Superman
15. Spark of The Flash
16. Friends and Foes
17. Justice League United
18. Home
19. Bruce and Diana
20. The Final Battle
21. A New Hope
22. Anti-Hero’s Theme
23. Come Together (written by John Lennon and Paul McCartney, performed by Gary 24. Clark Jr. and Junkie XL)
25. Icky Thump (written by Jack White, performed by The White Stripes)
26. The Tunnel Fight (Full Length)
27. The Final Battle (Full Length)
28. Mother Russia

Ursprünglich war „Justice League“ ein Score, für den ich schwarzsah. Zwar kündigte Hans Zimmer nach „Batman v Superman: Dawn of Justice“ an, von nun an keine Superheldenmusik mehr schreiben zu wollen, aber da sein Schüler Tom Holkenborg alias Junkie XL übernehmen sollte, galt es für mich als sicher, dass der von mir gehasste Stil der beiden Snyder-DC-Film bleiben würdem. Dann kam Joss Whedon, um den Film fertigzustellen, und er brachte Danny Elfman mit, der ihm schon bei „Avengers: Age of Ultron“ ausgeholfen hatte und nun abermals in recht kurzer Zeit die Musik für ein Superheldenteam komponierte.

Während die Zimmer/Holkenborg-Scores zu „Man of Steel“ und „Batman v Superman“ beim vielen Filmmusikfans überhaupt nicht gut ankamen, gibt es eine ganze Reihe von (zumeist jüngeren) Fans der DCEU-Filme, für die auch diese Scores das Nonplusultra darstellen, und selbst unter denen, die Snyders Schaffen ablehnen, gibt es viele, für die zumindest die Musik ein positiver Aspekt dieses Franchise ist. Meine eigene, weit negativere Meinung werde ich an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholen, da ich sie schon genügend an anderer Stelle kundgetan habe.

Elfmans erster DC-Score seit „Batmans Rückkehr“ ist jedenfalls ein ziemlich krasser Stilbruch, da er die Methodologie von Zimmers Superheldenmusik ebenso vehement ablehnt wie ich und das auch ziemlich deutlich kundtut. Zugegebenermaßen wirkt er dabei mitunter eine Spur arrogant; gerade seiner Aussage, es gäbe nur ein Batman-Thema, kann ich nicht wirklich zustimmen, da ich das von Shirley Walker geschriebene Leitmotiv aus „Batman: The Animated Series“ Elfmans Komposition vorziehe. Man muss allerdings hinzufügen, dass es auch diverse Zimmer-Interviews gibt, in denen er sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert – ohne ein gewisses Ego kommt wohl einfach nicht so weit wie diese beiden Komponisten.

Elfmans Ansatz für „Justice League“ hat unter den Fans der DCEU-Scores viel Kritik hervorgerufen, die ich auf formaler Ebene sehr gut nachvollziehen kann. Als Fan leitmotivischer Kontinuität hat es mich schon oft genug aufgeregt, wenn ein Komponist das zuvor Etablierte ignoriert. In diesem Fall finde ich das zuvor Etablierte allerdings ziemlich unterirdisch. Zudem verwirft Elfman nicht alles, ein paar musikalische Verknüpfungen gibt es. Die dominanteste ist das Wonder-Woman-Thema, das in dem Track Wonder Woman Rescue mehrfach auftaucht, im restlichen Score aber bestenfalls hin und wieder subtil angedeutet wird. Anders als Rupert Gregson-Williams, der besagtes Motiv aus „Batman v Superman“ meistens ohne große Änderungen übernahm, macht sich Elfman das Thema zu Eigen und zeigt keine Hemmungen, die Instrumentierung zu verändern. Statt des elektrischen Cellos wird das Thema von gewöhnlichen Streichern und Blechbläsern gespielt, wobei eine E-Gitarre immer mal wieder in der Begleitung mitmischt. Im Film selbst ist darüber hinaus auch Zimmers Krypton-Thema, das die Basis für alle Superman-bezogenen Motive bildet, in der Szene zu hören, in der die Liga das kryptonische Schiff betritt. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine neue Version, sondern um eine Einspielung aus dem Score von „Man of Steel“. Hin und wieder könnte man darüber hinaus meinen, Elfman greife das eine oder andere musikalische Konstrukt aus den Soundtracks der Vorgänger auf. Sowohl in Hero’s Theme (ab der Dreiminutenmarke) als auch in The Amazon Mother Box (direkt am Anfang) meint man, die repetitiven Motive herauszuhören, die die Action- und Suspense-Musik von „Man of Steel“ und „Batman v Superman“ dominierten.

Trotz des einen oder anderen Zugeständnisses an die Zimmer-Methodologie – tiefere Bässe, die eine oder andere elektronische Spielerei – ist der Justice-League-Score doch klassische Orchesterarbeit. Elfman kehrt dafür allerdings bis auf wenige Ausnahmen nicht zum opernhaften Pathos seiner beiden Batman-Scores zurück, sondern bedient sich seines moderneren Stils für Action-Filme, den er bereits erfolgreich in Scores wie „Wanted“, „Hellboy II: Die goldene Armee“, „Alice Through the Looking Glass“ und natürlich „Avengers: Age of Ultron“ einsetzte. Besonders Letzterer kam bei vielen nicht gut an, was ich nicht wirklich nachvollziehen kann. Zwar wurde der Score im Film nicht besonders gut abgemischt, weshalb er in den Soundeffekten unterging (ein Problem, das auch „Justice League“ hat), und zu allem Überfluss wurde die Musik auch noch verhackstückt, aber die Kompositionen selbst fand ich exzellent und habe somit kein Problem damit, dass Elfman diesen Stil für die Justice League wieder aufgreift.

Und noch etwas andere greift Elfman auf: Statt sich der von Zimmer und Holkenborg etablierten Themen für Batman und Superman zu bedienen, verwendet Elfman hier die klassischen Themen der Figuren, nämlich sein eigenes Batman-Thema von 1989 und das Superman-Thema von John Williams aus dem Jahr 1978. Eine durchaus interessante Vorgehensweise, da bei Reboots normalerweise musikalische Bezüge zu früheren Inkarnationen völlig fehlen, wenn es sich nicht gerade um James Bond handelt. Ich habe an den Scores von „Man of Steel“ und „Batman v Superman“ auch nie kritisiert, dass sie sich nicht der klassischen Themen bedienen, sondern dass sie keine adäquaten neuen Leitmotive liefern, die die Figuren angemessen repräsentieren. Wie dem auch sei, Elfman beschränkt sich nicht darauf, die Themen einfach nur zu zitieren, er arbeitet sie kunstvoll in den Score ein, und das auf äußerst moderne Weise. Es lässt sich nicht leugnen: In der modernen Filmmusiklandschaft sind ausschweifende Statements von Themen mit langen Melodielinien selten geworden. Die digitale Schnitttechnik erlaubt es, Filme buchstäblich bis zur letzten Sekunde zu schneiden, wovon Filmemacher nur allzu gerne Gebrauch machen. Nun kann man meistens nicht bei jedem dieser Last-Minute-Umschnitte noch einmal den Komponisten samt Orchester einbestellen, damit er den Score anpasst – aus diesem Grund sind die knapperen Motive und der weniger komplexe, repetitive Stile von Remote Control so populär geworden, weil Regisseure und Cutter Musik dieser Art viel leichter bearbeiten können als ein Konstrukt, das in sich zusammenfällt, wenn man auch nur ein paar Noten herauskürzt. Lange Rede, kurzer Sinn: In „Justice League“ setzt Elfman die beiden ikonischen Themen sehr motivisch und fragmentiert ein, keines bekommt ein ausführliches Statement, jeder Einsatz ist bestenfalls ein paar Sekunden lang.

Supermans Thema taucht beispielsweise lediglich in zwei Tracks auf: Friends and Foes und The Final Battle. Friends and Foes untermalt Supermans Kampf gegen seine Kameraden, als er kurz nach seiner Auferstehung noch nicht ganz zurechnungsfähig ist. Bedrohliche Fragmente der Melodie durchziehen von Anfang an das gesamte Stück, am deutlichsten ist es jedoch bei 2:18 zu hören. Die Variation in The Final Battle (2:47, kurze Fassung) ist zwar ebenfalls nur ein knappes Fragment, dafür aber eindeutig heroisch.

Sein eigenes Thema für Batman setzt Elfman da weitaus großzügiger ein, aber auch dieses ikonische Leitmotiv bleibt fragmentarisch. Wie ich schon im Vorfeld vermutet hatte, bedient sich Elfman primär des aus fünf bzw. sechs Noten bestehenden Kernmotivs. Erste Andeutungen sind in Batman on the Roof zu hören. Hier kehrt Elfman bezüglich Stil und Instrumentierung zum Tonfall seiner Batman-Scores zurück, vermeidet es aber, das Thema eindeutig zu zitieren, stattdessen tänzelt er gewissermaßen um es herum. Einer der deutlichsten Einsätze findet sich in Then There Were Three, was auch angemessen ist, schließlich befinden wir uns in Gesellschaft Comissioner Gordons und des Bat-Signals. Die meisten anderen Einsätze tauchen mehr oder weniger subtil in den beiden massiven Action-Tracks The Tunnel Fight und The Final Battle auf, denen ich mich später noch einmal ausführlicher widmen werde. In Letzterem ist sogar einmal, wenn auch nur kurz, der tatsächliche Batman-Marsch zu hören (bei 1:14, kurze Fassung) – leider geht er im Film im Dröhnen des Batmobils unter.

Insgesamt funktioniert die Verwendung dieser klassischen Themen hier fast besser, als ich erwartet hätte; sowohl Elfmans als auch Williams‘ Thema erweisen sich als äußerst zeitlos und wissen auch noch nach Jahrzehnten in neuem Kontext zu überzeugen. Gerade bei Superman passt es ziemlich gut, da der Mann aus Stahl in diesem Film kaum mehr etwas mit dem brütenden Möchtegern-Batman der letzten beiden Filme gemein hat – hier gibt es den klassischen Superman.

Kommen wir nun zu den neuen Themen, die Elfman komponiert hat – und davon gibt es eine ganze Reihe. Jedes Mitglied der Liga erhält zumindest ein mehr oder weniger ausgearbeitetes Motiv, und darüber hinaus finden sich auch noch Themen für Steppenwolf, Lois und Clark, die Liga als Ganzes und das Konzept des Heldentums. Beginnen wir mit Letzterem, welches primär in Hero’s Theme zu hören ist. Bei diesem Track handelt es sich um eine Suite, die zu keiner spezifischen Szene gehört – hier gibt es noch am ehesten eine gewisse Vermischung der Stile von Zimmer/Holkenborg und Elfman; recht viel Bass, tiefe Streicher etc. In diesem Track tauchen bereits diverse, zum Teil extrem subtile Anspielungen an die individuellen Identitäten der einzelnen Helden auf. Interessanterweise findet man das eigentliche Thema, das in dieser Suite vorgestellt wird, im Score ziemlich selten, primär in beiden großen Action Tracks The Tunnel Fight und The Final Battle, wo es genutzt wird, um individuelle heroische Anstrengungen zu untermalen.

Das Thema für die Liga ist ein anderes, zum ersten Mal zu hören ist es in The Justice League Theme – Logos. Als Thema für die Liga ist es insgesamt in Ordnung, ein traditionelles heroisches Thema, das allerdings keines ist, das bei vielen lange im Gedächtnis bleiben wird. Eine gewisse Verwandtschaft zum Thema der Avengers, vor allem natürlich Danny Elfmans Hybrid-Version, lässt sich nicht leugnen. Ich bin schon ein wenig enttäuscht, dass dieses Thema nicht etwas hervorstechender und individueller geworden ist, aber dann höre ich mir auf Youtube das an, was Holkenborg angeblich bereits für „Justice League“ komponiert hat (es klingt zumindest passend) und erfreue mich plötzlich wieder an ihm. Zwar ist es nicht besonders markant, erweist sich aber als sehr formbar und macht sich in den bereits erwähnten Action-Tracks, in denen es Teamworkmomente untermalt, äußerst gut. Weitere Solomomente erhält es in Justice League United und A New Hope.

Die Themen für die einzelnen Ligisten werden jeweils in den Tracks der ersten Hälfte des Albums vorgestellt, die ihren Namen tragen. Enter Cyborg führt Victor Stones eher tragisch anmutendes Thema ein, zuerst auf dem Klavier, später mit Streichern. Cyborg Meets Diana baut auf diesem Fundament auf und lässt Cyborgs Thema sogar mit einer extrem subtilen Variation des Wonder-Woman-Motivs interagieren (2:18). Eine heroische Variante ist in The Final Battle bei 3:25 (kurze Version) zu hören. Aquamans Thema taucht in Aquaman in Atlantis zum ersten Mal auf und durchzieht in seiner dekonstruierten Form den gesamten Track. Ein eindeutigeres Statement findet sich beispielsweise in The Tunnel Fight bei 5:18 (kurze Version).

Flashs Thema war für mich von drei neuen Solo-Themen am leichtesten zu identifizieren, weil seine Einsätze im Film sehr deutlich sind; wann immer sich Flash in die Speed-Force versenkt und alles um ihn herum sich in Zeitlupe bewegt, erklingt sein Motiv, ein von hohen Streichern gespieltes Ostinato, punktiert von einzelnen, tiefen Blechbläsernoten. Sehr deutlich ist dieses Thema in Spark of the Flash zu vernehmen (ab 1:38), ebenso wie in The Tunnel Fight (3:37, kurze Version) und Friends and Foes (1:42). Wegen seiner repetitiven Natur ist Flashs Thema interessanterweise auch das neue Thema, das am ehesten so klingt, als hätte es durchaus auch von Zimmer oder Holkenborg kommen können – wobei die Instrumentierung natürlich trotzdem Elfmans Handschrift trägt.

Das Lois/Clark-Thema ist eine klassisch-romantische Streichermelodie mit Klavierakzenten, die am Ende von Friends and Foes debütiert und in Home ausführlich behandelt wird. Und schließlich hätten wir da noch Steppenwolfs Thema, eine bedrohliches Chor- und Blechbläser-Motiv, das besonders in The Story of Steppenwolf und The Amazon Mother Box dominant ist, aber auch in The Tunnel Fight und The Final Battle immer wieder auftaucht.

Insgesamt ist „Justice League“ leider nicht ganz das Meisterwerk, das ich mir zumindest heimlich erhofft habe, zu schwach ist dafür das Hauptthema, und trotz meiner Abneigung gegen die bisherigen DCEU-Motive hätte ich es gerne gesehen, wenn Elfman sie in noch größerem Ausmaß integriert hätte; nicht nur aus Kontinuitätsgründen, sondern auch, weil ich gerne gehört hätte, wie Elfman sie sich zu Eigen macht, so, wie er es beim Thema von Wonder Woman getan hat. Ein Hybrid aus dem Batman-Thema von ’89 und dem Holkenborg-Rhythmus oder die Superman-Themen von Williams und Zimmer im Kontrapunkt wären interessant gewesen. Die größte Stärke des Scores gleicht diese kleinen Mängel allerdings mühelos aus: Die Actionmusik, die Elfman hier liefert, ist schlicht phänomenal – in den bisherigen DCEU-Scores gibt es nichts, das damit auch nur ansatzweise vergleichbar wäre. Anstatt alles in sinnlosem elektronischen Dröhnen und tumbem Getrommel zu ertränken, komponierte er zugleich filigrane und bombastische Stücke, unglaublich detailverliebt, kreativ, komplex und leitmotivisch wunderbar ausgearbeitet. Abermals verweise ich auf die Action-Tracks The Tunnel Fight und The Final Battle, die jeweils in einer langen und einer kurzen Version vorliegen, was zumindest bei Ersterem relativ unnötig ist. Bei The Final Battle gibt es einen kleinen, aber doch signifikanten Unterschied; der heroische Einsatz von Supermans Thema findet sich lediglich in der kurzen Version. Wie dem auch sei, in diesen Tracks lässt Elfman die verschiedenen Themen und Motive fließend ineinander übergehen, unterlegt das Batman-Thema mit dem Rhythmus des Wonder-Woman-Motivs oder lässt Steppenwolfs Thema gegen die heroischen Leitmotive antreten. Diese beiden Tracks allein sind den Preis des Albums wert und gehören zweifellos zu den besten des Jahres – genau SO sollte Superheldenmusik klingen.

Fazit: Danny Elfmans „Justice League“ ist primär ein Score für Filmmusikfans, die die subtilen kleinen Nuancen und die aufwendige Orchesterarbeit zu schätzen wissen. Als solcher ist er zwar nicht frei von Schwächen (etwas schwaches Hauptthema, mehr Kontinuität zu bisherigen Scores wäre nett gewesen), aber diese fallen letztendlich kaum ins Gewicht. „Justice League“ ist ein ausgezeichneter Superhelden-Score und der mit Abstand bislang beste Soundtrack des DCEU.

Bildquelle

Siehe auch:
Justice League – Ausführliche Rezension
Man of Steel – Soundtrack
Batman v Superman: Dawn of Justice – Soundtrack
Wonder Woman – Soundtrack
Avengers – Age of Ultron – Soundtrack