Ich habe noch nie „Word of Warcraft“ gespielt, und ich habe es ehrlich gesagt auch nicht vor, da mich MMORPGs schlicht nicht interessieren. Trotzdem habe ich das Franchise doch immer mit marginalem Interesse verfolgt, da ich früher fast schon exzessiv „Warcraft III“, den Echtzeitstrategievorgänger von WoW, gespielt habe. Ich habe einige der Begleitromane gelesen, habe die Intro-Sequenzen genossen und mich geärgert, wenn eine meiner Lieblingsfiguren mal wieder als Raid-Boss verwurstet wurde. Vor allem aber habe ich eine ziemlich Schwäche für die Musik des Franchise. Insofern interessiert mich natürlich auch die Filmadaption namens „Warcraft: The Beginning“. Während die Umsetzung optisch sehr gelungen aussieht, macht mir die Musik hier ein wenig Sorgen. Warcraft-Musik hat einen sehr speziellen Stil und verbindet hemmungslosen Bombast mit wunderschönen, lyrischen Momenten. Stilistisch befinden sich die WoW-Scores im Fahrwasser von Basil Poledouris‘ „Conan, der Barabar“ und Howard Shores Herr-der-Ringe-Trilogie, auch wenn sie nie ganz die Klasse dieser beiden Meisterwerke erreichen. Dennoch, wer gute Fantasy-Musik sucht, macht mit WoW nichts falsch, die Musik spiegelt Optik und Inhalt sehr genau wieder. Beide sind von einem gewissen Ausmaß an Exzess gezeichnet; es reicht schon, sich die Trailer für den Film anzusehen. Die Musik gibt genau das wieder. Für den Film wurde nun Ramin Djawadi, einer der Hans-Zimmer-Zöglinge, bekannt für Scores wie „Iron Man“, „Pacific Rim“, „Kampf der Titanen“ und natürlich „Game of Thrones“, angeheuert. Für mich persönlich ist Djawadis Output sehr wechselhaft: „Pacific Rim“ hat mir wirklich gefallen, und einige seiner GoT-Kompositionen (vornehmlich aus den Staffeln 2 und 3) haben es mir ebenfalls angetan. Leider liefert Djawadi auch oft subpotimale, uninspirierte, langweilige und bestenfalls funktionale 0815-Remote-Control-Musik. Wäre es nach mir gegangen, so hätte Russel Brower, Blizzards Lead-Composer, auch den Film vertont. Eine gute Alternative wäre John Powell gewesen. Djawadi traue ich die nötige Extrovertiertheit für diesen Score schlicht nicht zu; es ist ihm bisher einfach nicht gelungen, die Beschränkungen des Remote-Control-Stils zu überwinden. Schlimmstenfalls wird sein Warcraft-Score, ähnlich wie „Dracula Untold“, ein unausgegorenes Gemisch aus GoT, „Pacific Rim“ und (würg!) „Man of Steel“.
Ein Stück aus Djawadis Score wurde bereits von Legendary auf Youtube veröffentlicht. Es klingt erfreulicherweise nicht ganz so sehr nach „Game of Thrones“ wie ich befürchtet hatte (obwohl vor allem in der Begleitung das Thema der Wildlinge aus Staffel 4 mitschwingt), man kann sogar einen gewissen Warcraft-Vibe heraushören, allerdings ist es für meinen Geschmack dennoch ein wenig zu gleichförmig und generisch. Man sollte einen Score natürlich nicht auf Basis eines Stückes bewerten, und das ist auch gar nicht meine Absicht. Stattdessen handelt es sich bei diesem Artikel um einen kleinen Exkurs zur WoW-Musik, ihrer Entwicklung und der verwendeten Stilmittel.
Sowohl der Soundtrack des Hauptspiels als auch der jedes darauffolgenden Add-ons besitzt ein Main-Title-Stück, welches im Hauptmenü des Spiels erklingt und gewissermaßen als Ouvertüre fungiert. Dieses Stück ist das Erste, was der Spieler vom Spiel hört, und es ist auch jeweils das erste Stück auf jedem der Soundtrack-Alben, es sorgt für die grundlegende Atmosphäre, bereitet auf das Kommende vor und, im Fall der Add-ons, rekapituliert auch das Bisherige. Da ich, wie bereits erwähnt, WoW nicht gespielt habe, kann ich nur einige wenige der Themen, die in den Ouvertüren auftauchen, wirklich treffsicher identifizieren, aber ich gebe mein Bestes.
Legends of Azeroth ist das erste Main-Title-Stück und hat nur eine Laufzeit von knapp drei Minuten. Musikalisch greift es den musikalischen Stil der Warcraft-III-Intros auf, man merkt allerdings hier und im Rest des Scores, dass nur vereinzelt echte Instrumente verwendet werden und große Teile des Materials aus Samples bestehen oder von einem Synth-Orchester gespielt werden. Erfreulicherweise verbessert sich das mit jedem folgenden Add-on. Gleich zu Beginn wird in Legends of Azeroth das WoW-Hauptthema vorgestellt, das in der einen oder anderen Form jedes der Main-Title-Stücke eröffnet. Hier handelt es sich um ein mehrfach wiederholtes Blechbläser-Motiv aus drei Noten, das über eine martialische, marschartige Begleitung gespielt. Es folgen ruhigere Streicherpassagen, die nach einiger Zeit aggressiver und, nicht zuletzt durch zurückkehrende Blechbläser, wieder martialischer werden. Ein kurzer Choreinsatz beendet das Stück. Legends of Azeroth erfüllt seine Aufgabe als Ouvertüre ziemlich gut, leidet aber noch unter den Beschränkungen, vor allem die Streicher im Mittelteil klingen noch ziemlich unecht.
Das erste WoW-Add-on, „The Burning Crusade“, legt qualitativ bereits ordentlich zu. Zumindest in The Burning Legion, dieser zweiten Warcraft-Ouvertüre, spielt laut Russel Brower bereits ein echtes Orchester, und das hört man auch: Das aus Legends of Azeroth bekannte Hauptthema kehrt zurück und klingt gleich um einiges wuchtiger. Besser noch, ab 0:25 entwickelt sich das Motiv zu einer Andeutung von Illidans Thema (bei Illidan handelt es sich um den Hauptschurken dieses Add-ons), das bereits in „Warcraft III: The Frozen Throne“ zu hören war und in den Tracks The Dark Portal und Illidan (beides Mal direkt am Anfang) noch deutlichere Statements erhält. Ganz allgemein wirkt The Burning Legion um einiges imposanter und epischer, einerseits bedingt durch das echte Orchester und andererseits wegen des massiven Choreinsatzes. Der Track erinnert vom Aufbau her an Legends of Azeroth, die Mitte ist wieder einem eher lyrischen Motiv vorbehalten, während das letzte Drittel noch einmal ordentlich aufdreht und zu massivem Choreinsatz und einem marschartigen Rhythmus zurückkehrt.
Für „Wrath of the Lich King“ wurde das Repertoire nochmal erweitert. Nicht nur erklingt in der inzwischen fast neun Minuten langen dritten Warcraft-Ouvertüre ein volles Orchester samt Chor, dieses Mal legten Brower und seine Komponisten auch noch Wert auf den einen oder anderen Solisten. Das Main-Title-Stück, das denselben Namen wie das Add-on trägt, wird von Glöckchen und einer Flöte eröffnet, die langsam in das Hauptthema übergehen, das dieses Mal von metallischen Percussions unterstützt wird und sich über die bereits bekannten drei Noten hinausentwickelt. Dieses weiterentwickelte Hauptthema wird vom Chor aufgegriffen. Durch verschiedene Akzente, etwa die immer wiederkehrenden Flötenfiguren, wird eine gewisse Kälte vermittelt, die den neuen Kontinent Northrend repräsentiert. Ab 4:08 erklingt ein Solo-Cello, das eine eindringliche, leicht unheimliche Melodie spielt, bevor die Blechbläser mit voller Wucht zurückkehren und sich mit dem Chor vereinen. Bei 7:30 erleben wir schließlich einen triumphalen Ausbruch von A Call to Arms, einem Thema, das ebenfalls bereits in „Warcraft III“ zu hören war und hier seine bombastischste Variation erhält.
In „Cataclysm“ richtet der bösartige Drache Neltharion (alias Deathwing) Chaos und Zerstörung an – das spiegelt sich auch in der vierten Warcraft-Ouvertüre mit dem Namen The Shattering wider. Die obligatorische Einspielung des Hauptthemas fällt dieses Mal anders aus. Der Marschrhythmus ist durchsetzt von subtilen Fragmenten des Deathwing-Themas, klingt zersetzt und kommt einfach nicht recht in Gang. Es dauert fast zwei Minuten, bis das eigentlich Hauptthema erklingt, das wiederum nicht in Form des bekannten Motivs aus drei Noten auftaucht, sondern sofort in einer erweiterten Version mit Chor zu hören ist. In diesem zwölfminütigen Monster von einem Main-Title-Stück spielt der Chor ohnehin eine sehr prominente Rolle. Ab der dritten Minute wird der Tonfall elegischer, Streicher und Klavier übernehmen die Führung, später kommt noch ein Frauenchor hinzu. Ab 5:25 wird der Tonfall verspielter, das Stück stellt hier das Thema der Goblins vor, bevor es bei 5:58 zu dem getragenen Streichermotiv zurückkehrt, das bereits aus Legends of Azeroth bekannt ist. Bei 6:39 setzt eine weitere bekannte Melodie ein, dieses Mal Arthas‘ vom Chor gesungenes Thema, das bis zu „Wacraft III: The Frozen Throne“ zurückgeht und in „Wrath of the Lich King“ prominent vertreten war. Nach diesem eher tragischen Intermezzo kehrt The Shattering zurück zu den bedrohlichen Tönen, Chor, Streicher und Blechbläser sorgen für eine aggressive Atmosphäre, bis die Blechbläser bei 9:10 eine heroischen Ausbruch vorbereiten. Bei 10:30 kommt der Chor wieder hinzu und beendet The Shattering mit einem gänsehauterzeugenden Finale.
Die Musik von Add-on Nummer Vier, „Mists of Pandaria“, stellt eine größere stilistische Abweichung vom WoW-Stil dar, wie sich bereits im Main Title zeigt. Die Kultur der Pandaren, der neuen spielbaren Rasse dieser Erweiterung, ist stark asiatisch angehaucht, und das spiegelt sich auch in der Musik wider. Bereits am Anfang gibt es einen subtilen Vorgeschmack, bis dann der altbekannte Rhythmus des Hauptthemas einsetzt, dieses Mal wieder in traditionellem Gewand, jedenfalls bis bei etwa 1:25 vollständig eine ostasiatische Instrumentierung übernimmt. Der Stil dieser Ouvertüre, und des gesamten restlichen Soundtracks, erinnert stark an die Kung-Fu-Panda-Scores von John Powell und Hans Zimmer. Ostasiatisch angehauchte Filmmusik (bzw. Spielemusik) ist nun wahrlich keine Seltenheit, aber wie Powell und Zimmer gelingt es auch Brower und seinem Komponistenteam, eine ausgezeichnete Balance zwischen dem klassischen orchestralen Sound und den ostasiatischen Elementen zu finden, ohne das Letztere allzu klischeehaft klingen. Es ist tatsächlich ziemlich erstaunlich, wie gut sich beide Elemente des Scores von „Mists of Pandaria“ miteinander verbinden und wie die Instrumentierung es schafft, frischen Wind in die WoW-Musik zu bringen, ohne wie ein Fremdkörper zu wirken. Der klassische Warcraft-Sound verschwindet nie ganz und taucht beispielsweise bei 3:28 in Heart of Pandaria mit einem marschartigen Choreinsatz wieder auf. Darüber hinaus stellt das Stück auch diverse Themen vor, die in späteren Stücken wieder aufgegriffen werden, etwa ein hypnotisches Motiv, das mich an das Dschungelbuchlied Trust in Me erinnert (4:33) und in Going Hozen abermals erklingt, oder das Schlangenreiterthema (6:13), welches in Serpent Riders abermals zu hören ist. Insgesamt ist „Mists of Pandaria“ der vielseitigste, kreativste und schlicht beste WoW-Soundtrack; jedes Stück ist ein Highlight.
Das bislang letzte Add-on, „Warlords of Draenor“, kann da leider nicht ganz mithalten, muss sich aber dennoch nicht verstecken. Passend zum Titel und dem Orkfokus beginnt A Siege of Worlds mit der bislang martialischsten Variation des Hauptthemas, die von Percussions und einem Männerchor dominiert wird. Die gesamten ersten drei Minuten des Stücks sind von diesem Stil geprägt, das Schlagzeug haut drauf, die Blechbläser werden aggressiver und der Chor wetteifert mit ihnen. Erst ab der Dreiminutenmarke folgen einige eher lyrische Passagen, in denen eine Flöte die Hauptrolle übernimmt, bis sie von dramatischen Streichern und gemischtem Chor abgelöst wird, die ein vertraut klingendes Motiv spielen. Ab 5:49 wird die Musik regelrecht zärtlich und steht in krassem Kontrast zum martialischen Beginn des Stückes. Nach und nach baut sich ein vom Chor und Blechbläsern getragenes tragisch anmutendes Motiv auf, das dem Orkanführer Grommash Hellscream gilt. Dieser Tonfall dominiert das Stück bis zur Zehnminutenmarke, an der der martialische Tonfall vom Anfang mitsamt den donnernden Percussions, den aggressiven Blechbläsern und dem tiefen Männerchor zurückkehrt. Ab 10:45 ist schließlich das ein allzu vertrautes Thema aus „Warcraft III“ zu hören (Blackrock and Roll), das für ein weiteres, fulminantes Ende sorgt.
Und was bringt das Jahr 2016 für die Klangwelten von Azeroth? Zum einen Ramin Djawadis Score zu „Warcraft: The Beginning“, von dem ich hoffe, dass er dem Vermächtnis der MMORPG-Musik gerecht wird, und zum anderen den Soundtrack von „Legion“, dem sechsten WoW-Add-on, das mit ziemlicher Sicherheit die Qualität fortsetzen wird.
Siehe auch:
Stück der Woche: O Thanagor