Dracula the Undead

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Werke, die „Dracula“ in irgendeiner Form fortsetzen gibt es viele, vor allem in Form günstig produzierter Filme, solche, die sich direkt auf Stokers Geschichte beziehen, sind dagegen deutlich seltener. Das hängt natürlich damit zusammen, dass Stokers Roman relativ eindeutig endet: Der Graf ist endgültig tot und die Helden haben triumphiert. Besonders notorische Fortsetzungen sind die diversen Hammer-Filme: Durch irgendeinen Kniff kehrt der Graf zurück und sucht sich neue Opfer, bis er schließlich wieder getötet wird. Universals „Dracula’s Daughter“ und Hammers „The Brides of Dracula“ fallen da ein wenig aus dem Rahmen, denn in beiden Fällen ist es der Vampirjäger Van Helsing, der sich mit einer neuen vampirischen Bedrohung auseinandersetzen muss, sei es Gräfin Marya Zaleska oder Baron Meinster. Fortsetzungen, die sich tatsächlich des kompletten Personals aus Bram Stokers Roman bedienen, sind da weitaus seltener. Am bekanntesten ist wohl der von Dacre Stoker, seines Zeichens Urgroßneffe von Bram Stoker, und Ian Holt verfasste Roman „Dracula: The Un-Dead“, erschienen 2009; mit diesem werde ich mich zu gegebener Zeit befassen. Es existiert allerdings ein Roman mit fast demselben Titel, „Dracula the Undead“ von Freda Warrington, publiziert bereits im Jahr 1997, der zuerst eine Besprechung verdient.

„Dracula the Undead“ beginnt genau dort, wo Bram Stokers Roman endet, sieben Jahre nach der eigentlichen Handlung besuchen die Überlebenden Transsylvanien, um die Ereignisse aufzuarbeiten. Warrington orientiert sich sowohl stilistisch als auch strukturell stark am Vorbild, abermals lesen wir die Tagebucheinträge der verschiedenen Figuren. Auch der inhaltliche Aufbau erinnert stark „Dracula“ mit dem Anfang in Transsylvanien, dem Mittelteil in England und dem Finale wieder in Osteuropa. Während sich Abraham Van Helsing, Jonathan und Mina Harker, John Seward und Arthur Holmwood noch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, stellt Warrington die beiden wichtigsten neuen Figuren des Romans vor: André Kovacs, ein alter Freund Van Helsings, und seine Nichte Elena, eine junge Frau aus restriktivem Elternhaus, die es nach Freiheit gelüstet und die in Mina ein Vorbild findet. Kaum, dass Stokers Figuren Osteuropa verlassen haben, werden Kovacs und Elena mit mysteriösen Ereignissen konfrontiert. Ersterer ist auf der Suche nach der Schule der Scholomanten. Diese mysteriöse magische Schule aus osteuropäischen Sagen erwähnte Stoker eher beiläufig in „Dracula“ als möglichen Ursprung des Vampirismus, in Filmen oder sonstigen Verarbeitungen des Stoffes wird dieses Element allerdings selten aufgegriffen. Warrington hingegen macht es, erfreulicherweise, zu einem zentralen Teil ihrer Narrative. Während Kovavcs nach dieser „Schule des Teufels“ sucht und sie zu seinem Unglück auch findet, bekommt Elena Gesellschaft von einem „dunkeln Gefährten“, der ihr dabei hilft, sich ihres tyrannischen Vaters zu entledigen und sie dazu bringt, nach London zu reisen. Dort wird sie zum Kindermädchen des jungen und recht kränklichen Quincey Harker. Dass Elenas dunkler Gefährte ein auf Rache sinnender Dracula ist, der seine ursprüngliche, untote Existenz wiederherstellen möchte, muss wohl nicht extra erwähnt werden…

Bei der Lektüre von „Dracula the Undead“ merkt man durchaus, wie viel Respekt Freda Warrington vor Bram Stokers Roman hat. Da dies der einzige ihrer Romane ist, den ich gelesen habe, weiß ich nicht, wie sie sonst schreibt, aber hier hat sie ihren Stil definitiv an Stokers Prosa und die Stilmittel des späten 19. Jahrhunderts angepasst, sei es in der Redeweise der Figuren oder den doch eher blumig ausfallenden Beschreibungen. Die Handlungs- und Denkweise der Figuren fühlt sich dabei durchaus wie eine kohärente Fortführung von „Dracula“ an. Allerdings sind 100 Jahre an Adaptionen und sonstigen Verarbeitungen der Geschichte nicht spurlos vorbeigegangen: Auch Warrington interpretiert den Grafen etwas positiver als Stoker dies tat, etwas romantischer und nachvollziehbarer. Warringtons Graf ist nach wie vor böse, wir haben es also nicht mit einer kompletten Umdeutung zu tun, aber gerade sein Verhältnis zu Mina wächst über die reine Täter/Opfer-Dynamik hinaus – auch das gehört mittlerweile fast schon zum guten Ton und wird erwartet.

Ganz ähnlich wie bei „Dracula“ ist auch die erste Hälfte von „Dracula the Undead“ die deutlich stärkere und spannendere. Gerade die Bemühungen, den Grafen ins Unleben zurückzuholen und die wachsende Suspense, während seine Widersacher noch ahnungslos sind – all das sorgt für die ansprechendsten Passagen des Romans. In der zweiten Hälfte agiert Dracula dann aber, anders als bei Stoker, sehr viel direkter mit unseren Helden, was einfach nicht ganz so gut funktioniert. Mit Elene hat Warrington allerdings eine äußerst interessante Figur geschaffen, die gewissermaßen den Platz Renfields einnimmt. Man fühlt sich in mancher Hinsicht an den Renfield aus Universals „Dracula“ erinnert, der den Grafen nicht einfach nur in England erwartet, während er Insekten schnabuliert (Letzteres tut Elena allerdings nicht), sondern ihn aktiv von Transsylvanien nach England bringt. Elena beginnt als sympathische Figur, die verständlicherweise aus ihrem restriktiven Umfeld ausbrechen möchte, dafür aber gewissermaßen einen Deal mit dem Teufel eingeht. Über den Verlauf der Geschichte wird sie jedoch konsequent labiler, was wir als Leser direkt mitbekommen, gehört sie doch zu den Tagebuchschreibern. Irgendwann ist schließlich der Punkt erreich, an dem sie sich sowohl in Dracula als auch in Mina verliebt zu haben scheint und gleichzeitig auf beide eifersüchtig ist.

Die bereits erwähnte Idee, die Schule der Scholomanten hier miteinzubeziehen finde ich durchaus gelungen, gerade weil es ein so wenig beachteter Aspekt des ursprünglichen Romans ist, allerdings schöpft Warrington das Potential nicht völlig aus und benutzt die Schule vor allem, um noch einen zweiten Vampir in der Geschichte unterzubringen, der als noch üblerer Kontrast zu Dracula selbst und als finaler Antagonist fungiert. Gerade das Finale, inklusive der Andeutung, Dracula und nicht Jonathan könne Quinceys Vater sein, finde ich nicht allzu gelungen, zumindest im Kontext des restlichen Romans. Es wirkt etwas zu plump, so als wäre es Warrington nicht gelungen, ein wirklich passendes Ende zu ihrem sonst sehr gut konstruierten Roman zu finden.

Fazit: Freda Warringtons inoffizielle und größtenteils vergessene Fortsetzung zu „Dracula“ kann durchaus als Geheimtipp für Fans des Grafen bewertet werden. Auch wenn das Finale nicht völlig zu überzeugen weiß, gelingt es Warrington doch, eine stimmige und relativ kohärente Fortsetzung zu einem der einflussreichsten Romane der Literaturgeschichte abzuliefern.

Bildquelle

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Geschichte der Vampire: Secret Origin
The Brides of Dracula
The Dracula Tape
Dracula: Sense & Nonsense
‘Salem’s Lot