Hellraiser (2022)

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Story:
Riley (Odessa A‘zion), eine ehemalige Drogensüchtige auf dem Weg der Besserung, lebt bei ihrem Bruder Matt (Brandon Flynn) und dessen Freund Colin (Adam Faison). Zusammen mit ihrem Freund Trevor (Drew Starkey) stiehlt sie eine mysteriöse Puzzle-Box. Als sie nach einem Streit mit Matt die Box bearbeitet, kann sie verhindern, sich an der herausfahrenden Klinge zu schneiden, woraufhin bizarre Kreaturen, die Cenobiten, erscheinen und Opfer verlangen. Unfreiwillig wird Matt das erste Opfer der Box. Doch das ist erst der Anfang: Immer mehr verstricken sich Riley und ihre Angehörigen in die Machenschaften des finsteren Millionärs Roland Voight (Goran Višnjić) und der enigmatischen Anführerin der dämonischen Cenobiten (Jamie Clayton)…

Kritik: Da sind wir also nun beim elften Hellraiser-Film angekommen, dem dritten ohne Doug Bradleys Mitwirken und dem ersten seit gefühlt einer Ewigkeit, der wieder so etwas wie ein Budget zu haben scheint und nicht nur gedreht wurde, damit ein gieriges Studio die Rechte behalten kann. Zudem handelt es sich hierbei offiziell um einen Reboot – auch wenn Kontinuität niemals die Stärke der bisherigen Filmreihe war. Tatsächlich wagen Regisseur David Bruckner und seine Drehbuchautoren Ben Collins und Luke Piotrowski (basierend auf einer Idee von David S. Goyer) durchaus einige Neuerungen und Änderungen, berufen sich aber zugleich auf viele Werte und Elemente der frühen Einträge im Franchise.

Dieser Reboot, der den schlichten Titel „Hellraiser“ trägt, lässt sich unter zwei Gesichtspunkten betrachten. Da wäre zum einen „Hellraiser“ als Horrorfilm – in dieser Hinsicht haben wir es eher mit solidem Mittelmaß zu tun, Bruckner und Co. erfinden das Rad definitiv nicht neu. Zudem wird vor allem die erste Hälfte von einigen Problemen geplagt, dazu gehören primär sehr unmarkante Nebenfiguren, die einander ständig anpöbeln und ein gewisses Mäandern der Handlung; es passiert einfach nicht viel im ersten Akt und das, was passiert, wird nicht unbedingt interessant inszeniert. Mit einer Laufzeit von zwei Stunden ist Bruckners Film für einen Eintrag in diesem Franchise tatsächlich ziemlich lang – zu lang. Wer Jump-Scares erwartet, ist hier natürlich ohnehin an der falschen Stelle, das ist etwas, das dieses Franchise weder anbieten kann noch möchte. Auch der Blutzoll bleibt verhältnismäßig niedrig und in Bezug auf kreative Todesarten ist definitiv noch Luft nach oben. Horrorfans, die keine spezielle Neigung zur Hellraiser-Reihe haben, können durchaus ihr Vergnügen mit diesem Film haben, werden ihn aber wohl kaum als wirklich besonders oder bahnbrechend empfinden.

Im Kontext des Franchise sieht die Sache natürlich noch einmal ein wenig anders aus, hier kommt Bruckners Reboot deutlich besser weg, was nicht zuletzt an der unterirdischen Qualität der diversen Direct-to-DVD-Streifen liegt, die diesem hier vorangingen. Tatsächlich katapultiert allein die solide Machart und der Umstand, dass es sich hierbei nicht um ein Skript handelt, in das kurzfristig die Lemarchand-Konfiguration und ein paar Cenobiten integriert wurden, diesen Film relativ weit nach vorne im Hellraiser-Gesamtranking. Hinzu kommen einige durchaus interessante Idee, die zwar nicht immer völlig aufgehen, aber dennoch eine willkommene Abwechslung bieten. Thematisch versuchen Bruckner und Co., die Puzzle-Box und ihre Effekte als Metapher für Sucht darzustellen. Dieser Umstand ist durch die Konzeption der Hauptfigur nicht unbedingt besonders subtil und funktioniert auch nur eingeschränkt, aber ein interessanter Ansatz ist es zweifelsohne. Ein Aspekt, der dabei aber leider größtenteils verloren geht, ist die Dualität von Lust und Schmerz, die in Barkers ursprünglicher Novelle eine so zentrale Rolle spielt. Während die Cenobiten definitiv auf altbekannte Art und Weise foltern, fehlen doch Figuren, die selbstzerstörerische Erotik so repräsentierten wie Frank und Julia. Zugegebenermaßen gelingt es aber keinem Hellraiser-Film außer dem ersten, wirklich gut mit dieser Thematik zu arbeiten.

Inhaltlich erzählen Bruckner, Collins und Piotrowski zwar definitiv eine neue Geschichte, lassen sich aber von Elementen der ersten beiden Filme und natürlich Clive Barkers Novelle „The Hellbound Heart“ inspirieren. Mit Riley fungiert erneut eine junge Frau als Protagonistin, die allerdings verhältnismäßig wenig mit Kirsty gemein hat. Roland Voight hingegen vereint Charakterzüge sowohl von Frank Cotton als auch von Dr. Channard aus „Hellbound: Hellraiser II“. Am interessantesten sind jedoch die Darstellung der Cenobiten und Pinheads. Nach zehn Filmen hat man sich so sehr an die schwarze Lederoptik gewöhnt, dass eine wie auch immer geartete Neuinterpretation, die Barkers eher vage Beschreibungen allerdings durchaus zulassen, erst einmal merkwürdig erscheint. Tatsächlich verzichtet der Reboot komplett sowohl auf die S/M- als auch die katholischen Einflüsse im Design der Cenobiten, stattdessen sind es nun kunstvolle Entstellungen und Hautlappen, die als Kleidungsersatz fungieren. Der Reboot verfügt über eine ganze Reihe von Cenobiten, die meisten tun allerdings nicht mehr, als bedrohlich im Hintergrund herumzustehen. Am dominantesten sind zweifelsohne die Neuinterpretation des Chatterers (Jason Liles) – kaum ein Hellraiser-Film kommt ohne eine Variation dieser Figur aus – und „The Gasp“ (Selina Lo), die in Konzeption und Design Elemente des „Female Cenobite“ aus den ersten beiden Teilen und von Angelique aus „Hellraiser: Bloodline“ vereint. Und dann wäre da natürlich noch Pinhead – offiziell hier die Höllenpriesterin, aber den von Clive Barker gehassten Spitznamen wird diese Figur nun einfach nicht mehr los. Auch hier orientierte man sich stärker an „The Hellbound Heart“, in welchem ein geschlechtlich nicht eindeutig zuordenbarer, aber doch eher weiblicher Proto-Pinhead auftauchte. Die Rolle als Wortführer der Cenobiten erhielt er freilich erst in der Filmadaption von 1987. Wie dem auch sei, die von Jamie Clayton dargestellte Version der Figur lässt die billigen Kopien aus „Hellraiser: Revelations“ und „Hellraiser: Judgement“ jedenfalls mühelos hinter sich. Doug Bradley wird für mich (und die meisten anderen sicher auch) immer das ungeschlagene Original bleiben, aber dennoch gefällt mir die neue Pinhead ausnehmend gut, gerade weil Clayton nicht einfach nur einen Abklatsch darstellt, sondern die Figur deutlich anders interpretiert. Wo Bradleys Pinhead sich durch markanten Stoizismus auszeichnete und nur selten emotionale Regungen zeigte (mit Ausnahme von „Hellraiser III: Hell on Earth“, versteht sich), verleiht Clayton ihrer Version der Figur eine, man möchte fast sagen, kindlich-amüsierte Neugier. Und ja, Jamie Clayton darf Doug Bradley das eine oder andere Mal zitieren: „We have such sights to show you.“

Auch darüber hinaus zeigt sich der Reboot der in den ersten beiden Hellraiser-Filmen etablierten Mythologie gegenüber sehr respektvoll – deutlich respektvoller als alle Teile der Filmreihe ab „Hellraiser III: Hell on Earth“. Während in den späteren Filmen die Cenobiten zunehmend christlich als tatsächliche Dämonen ausgelegt wurden, sind sie hier wieder in deutlich größerem Ausmaß amoralische Wesen mit einem sehr extremen Verständnis von Vergnügen. Mehr noch, Leviathan, der „Gott“ der Cenobiten, darf sich zum ersten Mal seit „Hellbound: Hellraiser II“ wieder zeigen (diverse Auftritte in Comics natürlich nicht mitgerechnet). Ein Detail, das mir besonders gefallen hat, war die langsame Verwandlung von Voights Anwesen und Umgebung in das Labyrinth, eine visuell beeindruckende Hommage an das erste Hellraiser-Sequel. Nicht ganz so gelungen fand ich persönlich hingegen die Neuinterpretation der Puzzle-Box. Diese hat nun einer Reihe diverser Konfigurationen, die mir ein wenig zu statisch und formalisiert erscheinen, frei nach folgendem Pinhead-Zitat aus „Hellraiser: Bloodline“: „Hell is more ordered since your time, princess, and much less amusing.“ Was mich allerdings in deutlich größerem Ausmaß stört, ist die „Opferwahl“: In früheren Filmen spielte beim Lösen der Lemarchand-Konfiguration Verlangen eine wichtige Rolle. Wir erinnern uns, wie Pinhead seine Cenobiten in „Hellbound: Hellraiser II“ davon abhält, Tiffany anzugreifen, weil sie das Puzzle aus einem mentalen Zwang heraus gelöst hat, nicht aus eigenem Willen: „It is not hands that call us. It is desire.“ Hier hingegen wird zum Opfer der Cenobiten, wer sich an der Klinge der Box schneidet und sie mit Blut „füttert“. Ja, Blut spielt stets eine wichtige Rolle, aber dieser Neuerung ist mir zu zufällig und unpersönlich.

Und schließlich hätten wir da noch Ben Lovetts Score. Musik ist ein essentielles Element der Hellraiser-Filme, die ersten beiden Teile verfügen über phänomenale Scores von Christopher Young und die Komponisten des dritten und vierten Teils, Randy Miller und Daniel Licht, konnten zwar nicht ganz an die Qualität von Youngs Arbeit anknüpfen, bemühten sich aber um stilistische Anleihen und leitmotivische Kontinuität. Lovett knüpft an diese Vorgehensweise an, zumindest teilweise. Seine Hellraiser-Musik fällt deutlich moderner und elektronischer aus als Youngs, mehr den aktuellen Konventionen des Genres folgend, zugleich macht Lovett aber auch ausgiebig Gebrauch von Youngs Motiven und Melodien, primär natürlich in der zweiten Hälfte des Films. Im direkten Vergleich mit den Originalen können Lovetts Neuinterpretationen der Themen nicht mithalten, ihnen fehlt die schiere, orchestrale Wucht, nur allzu oft wirkt die Darbietung zu elektronisch und steril, aber im Kontext des Films funktionieren sie tatsächlich sehr gut und verbreiten ordentlich Hellraiser-Feeling.

Fazit: David Bruckners Hellraiser-Reboot ist zwar kein Meisterwerk des Genres, aber endlich einmal wieder ein solider, handwerklich gut gemachter Hellraiser-Film mit einigen interessanten Ideen. Das Potential wird zwar bei weitem nicht ausgeschöpft und auch dramaturgisch gibt es einige Probleme, aber die gelungene Pinhead-Neuinterpretation und die offensichtliche Liebe zum Franchise sorgen dafür, dass dieser Reboot der beste Hellraiser-Film seit langer, langer Zeit ist.

Bildquelle

Trailer

Siehe auch:
Art of Adaptation: The Hellbound Heart
The Scarlet Gospels
Hellbound Hearts
Sherlock Holmes and the Servants of Hell
Hellraiser: The Toll
Hellraiser: Jugdment
Das Soundtrack-Jahr 2022
Hemators Empfehlungen: Horror-Soundtracks

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