Fantastic Beasts: The Secrets of Dumbledore

Spoiler!
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Story: Wir schreiben das Jahr 1932; die Internationale Zauberervereinigung ist auf der Suche nach einem neuen Vorsitzenden. Dies möchte sich Gellert Grindelwald (Mads Mikkelsen), der nach wie vor finstere Absichten hegt, zunutze machen. Derweil versucht Albus Dumbledore (Jude Law) seinen ehemaligen Geliebten immer noch aufzuhalten. Nachdem Grindelwald von Anton Vogel (Oliver Masucci), dem noch amtierenden Vorsitzenden, rehabilitiert wird, stellt er sich selbst zur Wahl – diese wird jedoch nicht von der magischen Bevölkerung, sondern von einer magischen Kreatur, dem Qilin, der sowohl in die Herzen als auch in die Zukunft sehen kann, durchgeführt. Um zum Anführer der Zaubererschaft zu werden und diese endlich in einen Krieg gegen die Muggel führen zu können, heckt Grindelwald einen durchtriebenen Plan aus. Ein weiteres Mal ist es an Dumbledore und seinen Verbündeten, darunter Newt (Eddie Redmayne) und Theseus Scamander (Callum Turner), Jacob Kowalski (Dan Fogler) und die amerikanische Hexe Lally Hicks (Jessica Williams), den Schwarzmagier aufzuhalten…

Kritik: Ähnlich wie „X-Men: Dark Phoenix“ scheint auch „Fantastic Beasts: The Secrets of Dumbledore“ der Abgesang auf eine sterbende Filmreihe zu sein, der eher aus Pflichtgefühl überhaupt erst in die Kinos kam und dort zu allem Überfluss nicht allzu viele interessierte, nicht zuletzt, weil einer der kreativen Köpfe sich zur Persona non grata entwickelte. Das war bei mir nicht anders, auch ich hatte ziemlich wenig Interesse an diesem (vorläufigen) Finale der „Fantastic-Beasts-Saga“, was allerdings nicht einmal so sehr an J. K. Rowlings Twitter-Ausfällen, sondern viel mehr an der unterirdischen Qualität des Vorgängers „The Crimes of Grindelwald“ lag – dieser hat mein Interesse am einstmals florierenden Potter-Franchise nachhaltig erstickt. Dennoch, ich bin eben Komplettist und war zudem auch neugierig auf die neue Inkarnation von Gellert Grindelwald. Bekanntermaßen erwies sich Johnny Depp ebenfalls als problematisch, auch wenn er jetzt im Gerichtshof der öffentlichen Online-Meinung rehabilitiert zu sein scheint – Warner hätte wohl besser daran getan, sich von Ezra Miller zu trennen. Wie dem auch sei und ohne hier ein Fass aufmachen zu wollen: Völlig unabhängig von Johnny Depps Charakter und seinem Privatleben war er in meinen Augen von Anfang an die völlig falsche Besetzung für Grindelwald und hat in dieser Rolle für mich nie funktioniert. Mads Mikkelsen ist da tatsächlich die deutlich bessere Wahl, aber dazu später mehr.

Nachdem „The Crimes of Grindelwald” zwar durchaus erfolgreich, aber eben nicht erfolgreich genug war und zudem (völlig zurecht) mit harscher Kritik bedacht wurde, bemühte man sich bei Warner um eine Kurskorrektur. Dass J. K. Rowling mit dem Schreiben (und vor allem Strukturieren) eines Drehbuchs überfordert war, hatte sich überdeutlich gezeigt, weshalb man ihr Potter-Drehbuch-Veteran Steve Kloves zur Seite stellte. Und tatsächlich: „The Secrets of Dumbledore“ ist immerhin besser strukturiert als der direkte Vorgänger und auch weniger erratisch. Massive erzählerische Probleme bleiben allerdings erhalten. Zum einen wäre da eine recht ungleichmäßig Fortführung und Weiterentwicklung der Handlungselemente und Figuren des Vorgängers. Nagini, in „The Crimes of Grindelwald“ gespielt von Claudia Kim, wird beispielsweise nicht einmal mehr erwähnt, während Tina Goldstein (Katherine Waterston), immerhin eine der zentralen Figuren der ersten beiden Filme, nur zwei kleine Cameos absolviert (was aber primär mit der Verfügbarkeit der Darstellerin zusammenhängt). Auch das ganze Hin und Her um Prophezeiungen, die (extrem subtil) auf den Zweiten Weltkrieg hinweisen und alles, was mit der Familie Lestrange zu tun hat, spielt überhaupt keine Rolle mehr. Und selbst Newt Scamander, immerhin in der Theorie der Protagonist der Filmreihe, wird mehr oder weniger zur Nebenfigur degradiert – ein Schicksal, das er mit Bilbo Beutlin teilt.

Stattdessen wird mit der Wahl des Vorsitzenden der Internationalen Zaubererversammlung ein völlig neues Fass aufgemacht, mit dem Rowling, Kloves und Yates mehr denn je versuchen, einen Politthriller mit magischem Abenteuer zu verknüpfen, was hier nicht allzu gut gelingt. Parallelen zu aktueller Politik und Geschichte sind nur allzu deutlich, wie üblich bleibt die Politik der „Wizarding World“ allerdings eine äußerst schwammige Angelegenheit. In den Harry-Potter-Romanen hat das allerdings nur bedingt geschadet, gerade in „Harry Potter and the Order of the Phoenix“ hat Rowling es wirklich gut genug geschafft, das herauszuarbeiten, was nötig und wichtig ist, nicht zuletzt deshalb, weil sie den Blickwinkel von Teenagern einnehmen konnte. Im Gegensatz dazu wirken die politischen Elemente in „The Secrets of Dumbledore“ geradezu beliebig, wenn nicht gar unsinnig. Was zu Anfang als Wahl inszeniert wird, verkommt zur magischen Zeremonie, in der nicht die Mehrheit, sondern ein ominöses Tierwesen darüber entscheidet, wer die Zaubererschaft führt. Zudem wird man auch nie wirklich über die Befugnisse des Vorsitzenden aufgeklärt. Diese Position existierte zwar bereits in den HP-Romanen (und wurde dort von Dumbledore ausgefüllt), hatte aber scheinbar kaum tatsächliche Auswirkungen. Hier nun scheint derjenige, der sie innehat, dazu in der Lage zu sein, den Muggeln den Krieg zu erklären.

Zudem ist überdeutlich, dass „The Secrets of Dumbledore“ ein merkwürdiger Hybridfilm geworden ist: Ursprünglich waren fünf Fantastic-Beasts-Filme geplant, aber nachdem die ersten beiden hinter den Erwartungen zurückblieben, entschloss man sich, mit dem dritten Film einen vorläufigen Schlussstrich zu ziehen. Somit muss „The Secrets of Dumbledore“ als Finale fungieren können, aber zugleich auch weitere Fortsetzungen ermöglichen, falls doch genug Zuschauer in die Kinos strömen. Harry-Potter-Fans wissen zudem, dass Grindelwalds finale Niederlage erst im Jahr 1945 stattfindet (nicht, dass Rowling im Rahmen dieser Filmreihe jemals vor massiven Retcons zurückgeschreckt wäre…). Ich persönlich denke, dass Rowling ursprünglich plante, Grindelwald hier Erfolg haben und das angestrebte Amt tatsächlich gewinnen zu lassen. Nicht von ungefähr spielt der Film im Jahr 1932, ein Jahr vor Hitlers Machtergreifung – die Parallelen zwischen Grindelwald und Hitler waren nie besonders subtil. Die beiden verbliebenen geplanten Filme hätten sich dann mit einer (kontinentaleuropäischen) Zaubererwelt unter Grindelwalds Kontrolle und dem magischen Äquivalent zum Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen können. So muss Grindelwald hier aber ein weiteres Mal verlieren und flüchten, damit die Reihe, sollte es der letzte Fantastic-Beasts-Film sein, mit einem positiven Ende versehen werden kann.

Figurentechnisch konzentriert sich „The Secrets of Dumbledore“ tatsächlich auf die beiden Kontrahenten, während die meisten anderen in den Hintergrund rücken. Mit der von Jessica Williams gespielten Eulalie „Lally“ Hicks wird zudem eine neue, zentrale Figur vorgestellt, die wohl als Ersatz für Tina Goldstein gewertet werden kann – zumindest was die Stellung als zentrale weibliche Figur auf Dumbledores Seite angeht. Die Ilvermorny-Lehrerin (samt Darstellerin) absolvierte bereits in „The Crimes of Grindelwald“ einen kleinen Cameo-Auftritt und Jessica Williams hat sichtlich Spaß daran, sie zu spielen, darüber hinaus fällt die Charakterisierung aber eher dünn aus – etwas, das sich auf die meisten Figuren erstreckt. Weiterhin unterhaltsam bleibt auch Dan Fogler als Jacob Kowalski, der trotz seiner romantischen Verwicklungen seinen Optimismus nicht verliert. Alison Sudols Queenie Goldstein hat immerhin mehr Präsenz als ihre Schwester, aber auch ihr wird nicht wirklich viel Platz zur Entfaltung gelassen. Der junge Dumbledore ist weniger exzentrisch als sein älteres Ich, ansonsten aber ziemlich in-Character, inklusive der Eigenheit, seine Verbündeten über seine unnötig komplizierten Pläne im Dunkeln zu lassen. Nebenfiguren aus dem Vorgänger wie Yusuf Kama (William Nadylam) oder Bunty (Victoria Yeates) sind ebenfalls Teil von Dumbledores Team, tragen aber nur wenig zur Handlung bei. Credence‘ familiäre Situation wird ebenfalls aufgelöst, hier stellt sich nun heraus, dass er der Sohn von Albus Dumbledores Bruder Aberforth (Richard Coyle) ist.

Kommen wir nun aber zu Grindelwald: Ich hatte mich im Vorfeld gefragt, ob das veränderte Aussehen des Schwarzmagiers wohl thematisiert werden würde, immerhin könnte ich problemlos eine magische Erklärung finden, allerdings entschied man sich dazu, Grindelwalds Aussehen ebenso zu ignorieren wie seine völlig veränderte Persönlichkeit. Die Jack Sparrow’sche Exzentrik, die Johnny Depp mitbrachte, hat die Figur nun völlig verloren, stattdessen wird sie nun von einer energischen Zielstrebigkeit dominiert, die ich persönlich weitaus passender finde, die aber freilich ein massiver Kontinuitätsbruch ist (nicht, dass das noch jemanden besonders kümmern würde).

Wie schon „The Crimes of Grindelwald” bemüht sich auch „The Secrets of Dumbledore” um massives Spektakel, ohne allerdings jemals die alte Magie der Potter-Filme reaktivieren zu können, was ironischerweise auch an der Darstellung der Magie liegt – ein Problem, das jedes der drei Prequels plagt. Nicht, dass Rowling bei den Regeln der Magie in der „Wizarding World“ immer konsistent oder konsequent gewesen wäre, aber es gab immerhin Regeln und sie wurden auch erklärt. Vor allem in den letzten beiden Teilen dieser unfreiwilligen Prequel-Trilogie können Zauberer und Hexen inzwischen quasi fast alles machen, was sie wollen. Das Duell zwischen Dumbledore und Credence beispielsweise wirkt eher, als stamme es aus „Doctor Strange“, inklusive der Spiegeldimension. In der Figurenkonzeption und -konstellation versuchen Rowling, Kloves und Yates zudem immer wieder, nach bester George-Lucas-Manier („It rhymes!“) auf bereits Erzähltes zu verweisen, etwa durch die Parallelen zwischen Ariana Dumbledore und Credence, Draco Malfoy und Credence oder Snape und Queenie.

Auch die Nostalgiekeule wird immer wieder ausgepackt – wenn handelnde Figuren in Hogwarts vorbeischauen, erklingt Hedwigs Thema in bester Williams-Manier und erweckt zumindest bei mir das Bedürfnis, statt dieses Films doch lieber die alten Potter-Filme wieder anzuschauen. Und dann ist da noch diese eine Szene, in der aus einem Koffer buchstäblich Potter-Requisiten ausbrechen, darunter ein Schnatz und mehrere Exemplare des Monsterbuchs der Monster, natürlich untermalt vom Flug-Thema aus den ersten drei Potter-Scores. Abseits dieser offensichtlichen Einspielungen weiß immerhin James Newton Howards Score auch ein drittes Mal zu überzeugen und die Emotionalität zu vermitteln, an der der Film scheitert. Eine ausführliche Besprechung des Scores findet sich hier.

All das zeigt, dass auch hier die altbekannten Fehler gemacht wurden, die so viele Franchises plagen. Ich denke, die Fantastic-Beasts-Serie hätte durchaus funktionieren können, hätte man sich auf die Stärken des ersten Teils berufen und es vermieden, eine epische Saga und ein mit Nostalgie getränktes Prequel zu den Potter-Filmen zu erzählen. Stattdessen hätte man sich an den inhaltlich kaum miteinander verbundenen Bond-Filmen der Roger-Moore-Ära orientieren können und pro Film ein in sich geschlossene Abenteuer mit magischen Tierwesen an verschiedenen, interessanten Orten erzählen können, während der Krieg gegen Grindelwald lediglich ein Element des Hintergrundes bleibt, so wie es der Kalte Krieg in den Bond-Filmen war.

Fazit: „The Secrets of Dumbledore“ ist zwar marginal besser als „The Crimes of Grindelwald”, schafft es aber nicht einmal in Ansätzen, die alte Magie zurückzubringen. Ein besser strukturiertes Drehbuch und ein talentierter Cast können leider nicht über massive erzählerische Probleme und den Mangel an Inspiration hinwegtäuschen.

Bildquelle (Foto: Warner Bros.)

Trailer

Siehe auch:
Fantastic Beasts and Where to Find Them
Fantastic Beasts: The Crimes of Grindelwald – Ausführliche Rezension

No Time to Die – Ausführliche Rezension

Spoiler nach dem ersten Absatz!
UK
Nach über eineinhalb Jahren ist es soweit: Daniel Craig feiert seinen Abschied als James Bond mit „No Time to Die“. Obwohl sowohl Sean Connery mit sechs (sieben, wenn man „Never Say Never Again“ mitrechnet) als auch Roger Moore mit sieben Filmen öfter Bond gespielt haben, ist Craigs Amtszeit als „amtierender“ Bond mit 16 Jahren die längste. Lange war nach „Spectre“ und der gemischten Reaktion, die Bond Nummer 24 hervorrief, unklar, ob Craig überhaupt zurückkehren würde, auch weil er in Interviews erklärte, sich lieber die Pulsadern aufschneiden zu wollen als noch einmal Bond zu spielen. Aber die Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson konnten ihn dann doch überzeugen, für „No Time to Die“ noch einmal den Smoking anzulegen. Auch sonst erwies sich die Produktion als problematisch, ursprünglich sollte Danny Boyle Regie führen, sprang aber ab, weshalb Cary Joji Fukunaga schließlich das Ruder übernahm. Und dann ist da noch eine gewisse Pandemie, die die ganze Gelegenheit weiter hinauszögerte und u.a. auch zu weiteren Nachdrehs führte, weil das Product Placement inzwischen veraltet war. Wie dem auch sei, an dieser Stelle zuerst kurz meine spoilerfreien Gedanken, bevor es ans Eingemachte geht: Im Kontext der fünf Craig-Filme würde ich „No Time to Die“ genau in die Mitte setzen, deutlich besser als „Spectre“ und „Quantum of Solace“, aber schwächer als „Skyfall“ und „Casino Royale“. Vor allem die ersten beiden Drittel des Films wissen zu überzeugen, im finalen Drittel fällte der Film allerdings auseinander.

Handlung und Struktur
Nachdem Ernst Stavro Blofeld (Christoph Waltz), Anführer der Verbrecherorganisation Spectre, von James Bond (Daniel Craig) und dem MI6 in Gewahrsam genommen wurde, begibt sich Bond nach seinem Ausscheiden aus dem Geheimdienst zusammen mit Madeleine Swann (Léa Seydoux) nach Matera, doch Blofelds Arm reicht auch bis hier her: Attentäter greifen das Paar an und geben Bond Grund zu der Annahme, dass Madeleine ihn verraten hat, weshalb er sich von ihr trennt. Fünf Jahre später hat sich Bond auf Jamaica zur Ruhe gesetzt, wo seiner alter Freund, der CIA-Agent Felix Leiter (Jeffrey Wright) ihn aufsucht und ihn um Hilfe bittet: Der für den MI6 arbeitende Wissenschaftler Valdo Obruchev (David Dencik) wurde von Spectre gekidnappt. Zuerst lehnt Bond ab, aber nach einer Begegnung mit Nomi (Lashana Lynch), seiner Nachfolgerin als 007, entscheidet er sich, Leite dabei zu helfen, Obruchev aufzuspüren. Die Spur führt nach Kuba, wo Bond zusammen mit der CIA-Agentin Paloma (Ana de Armas) ein Spectre-Treffen infiltriert. Dieses erweist sich als weitere Falle von Blofeld, bei der eine Biowaffe namens Heracles, an deren Entwicklung Obruchev und der MI6 beteiligt waren, dazu benutzt werden soll, Bond zu töten. Diese Waffe auf Nanobotbasis funktioniert wie ein Virus, nimmt aber nur bestimmte DNS ins Visier. Doch die Dinge entwickeln sich anders, denn Obruchev erhält in Warheit seine Befehle vom mysteriösen Terroristen Lyutsifer Safin (Rami Malek), sodass nur Bond und Paloma überleben, während die gesamte Spectre-Führung, bis auf Blofeld, eines äußerst unangenehmen Todes stirbt. Bei der Übergabe Obruchevs an Leiter stellt sich heraus, dass sein Kollege Logan Ash (Billy Magnussen) ebenfalls für Safin arbeitet, beide können entkommen, Leiter überlebt nicht.

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Paloma (Ana de Armas)

Daraufhin begibt sich Bond nach London. Da Safin offenbar darauf aus ist, sämtliche Spectre-Mitglieder zu töten, ist Blofeld offensichtlich Safins nächstes Ziel. Nach ein wenig hin und her und einem Wiedertreffen mit Q (Ben Wishaw) und Moneypenny (Naomi Harris) kehrt Bond schließlich zum MI6 zurück und darf mit Ms (Ralph Fiennes) Erlaubnis Blofeld in Anwesenheit seiner Psychiaterin verhören. Bei dieser Psychiaterin handelt es sich allerdings um Madeleine Swann, die kurz zuvor von Safin aufgesucht wurde, mit dem sie eine gemeinsame Vergangenheit verbindet. Safin will Madeleine nutzen, um Blofeld zu töten und infiziert sie mit Heracles. Mit Bond als „Mittelsmann“ gelingt der Plan. Madeleine verschwindet daraufhin nach Norwegen, wird jedoch von Bond aufgespürt, der hier erfährt, dass seine alte Flamme inzwischen eine Tochter namens Mathilde (Lisa-Dorah Sonnet) hat. Doch Safins Männer sind ihnen bereits auf der Spur, kidnappen Mutter und Tochter und bringen sie zu einer alten Militärbasis auf einer Insel zwischen Russland und Japan. Gemeinsam mit Nomi macht sich Bond daran, die beiden zu retten und Safin zu stoppen…

Mit 163 Minuten ist „No Time to Die” der bislang längste Bond-Film und übertrifft damit sogar „Spectre“. Zudem weist der Film gerade für dieses Franchise einige strukturelle Besonderheiten auf. Normalerweise folgt nach der Gun-Barrel-Sequenz eine ausgedehnte Action-Szene, mit der der Regisseur einen Vorgeschmack auf später kommendes geben kann und die oft nichts oder nur wenig mit dem eigentlichen Plot des Films zu tun hat. „No Time to Die“ weicht in mehr als einer Hinsicht von dieser Formel ab: Zuerst erhalten wir einen Einblick in Madeleines Kindheit und erleben ihre erste Begegnung mit Safin, um anschließend den Spectre-Angriff in Matera erleben zu dürfen. Beide Sequenzen separat sind schon deutlich länger als die Prä-Credits-Szenen der meisten Bond-Filme – bis Billie Eilishs Titelsong erklingt, vergehen gut und gerne zwanzig Minuten. Durch diesen langen Prolog fühlt sich „No Time to Die“ an wie ein Vierakter, denn alles nach diesem ausufernden Prolog lässt sich relativ bequem in die typische Hollywood-Drei-Akt-Struktur teilen.

Spectre of the Past
„No Time to Die“ ist ein äußerst ambitionierter Film, der nicht nur eine Menge erreichen, sondern auch ein Abgesang und ein befriedigendes Ende für die Daniel-Craig-Ära sein und noch einmal alle Fäden zusammenführen möchte – dementsprechend ist der Film gerade nach Bond-Maßstäben ziemlich untypisch. Über lange Zeit hinweg waren Bond-Filme sehr selbstständige, in sich geschlossene Angelegenheiten. Während Sean Connerys (und George Lazenbys) Zeit als Bond gab es immerhin tatsächlich einen übergreifenden Handlungsstrang, jeder Film, mit Ausnahme von „Goldfinger“, hatte S.P.E.C.T.R.E. als Gegner und Blofeld als Strippenzieher oder Hauptwidersacher. Die Verzahnung der einzelnen Filme war dennoch eher mäßig, sodass es problemlos möglich war, der Handlung von, sagen wir, „You Only Live Twice“ zu folgen, ohne vorher „Thunderball“ gesehen zu haben. Am eindeutigsten fungierte „From Russia with Love“ als direkte Fortsetzung zu „Dr. No“, immerhin gibt es deutliche Referenzen an den Bond-Erstling. Die Craig-Filme hingegen sind noch einmal deutlich enger verzahnt. Allerdings war das mit Sicherheit nicht von Anfang an so geplant. Nach dem Erfolg von „Casino Royale“ entschloss man sich, mit „Quantum of Solace“ eine direkte Fortsetzung zu drehen, besagte Fortsetzung kam allerdings nur bedingt an, weshalb „Skyfall“ eine eigenständige Geschichte erzählt. Mit „Spectre“ versuchte Eon dann schließlich, alles miteinander zu verknüpfen und die losen Fäden aus „Quantum of Solace“ wieder aufzugreifen, in dem man „enthüllte“, dass die verbrecherische Organisation Quantum in Wahrheit nur eine Gruppierung innerhalb von Spectre ist und Blofeld von Anfang an hinter allem steckte. Obwohl das alles, insbesondere der Umstand, dass Blofeld nun Bonds Stiefbruder ist, nicht besonders gut ankam, setzten Eon Productions und Cary Fukunaga dieses Konzept fort: Die fünf Craig-Filme erzählen nun eine Geschichte, von Bonds Anfängen bis zu seinem Tod. Aufgrund des oben geschilderten Hin-und-Hers, der diversen Retcons, Planänderungen und schwächeren Filme fühlt sich diese Geschichte aber sehr uneben und holprig erzählt an. Wir springen gewissermaßen direkt von Bonds Anfangszeit zu einem Vorruhestand in „Skyfall“. In „Spectre“ ist Bond dann plötzlich nicht mehr alt und auf dem Höhepunkt seiner Kräfte, nur um gleich wieder in den Ruhestand zu verschwinden und dann im aktuellen Film doch noch einmal reaktiviert zu werden.

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Nomi (Lashana Lynch) und Melanie Swann (Léa Seydoux)

Im Gegensatz zu den finalen Filmen der anderen Bonds besteht hier natürlich der Vorteil, dass Eon „No Time to Die“ gezielt als letzten Craig-Film konzipieren konnte, während bei den meisten anderen Bonds einfach irgendwann klar wurde, dass die aktuelle Formel nicht mehr funktioniert. Dementsprechend ist Fukunagas Film ein finaler Abgesang auf diese Ära und arbeitet sehr bewusst mit dem Bond’schen Vermächtnis. Aber nicht nur auf die vier Vorgänger finden sich Anspielungen en masse, auch frühere Filme werden miteinbezogen, primär „On Her Majesty’s Secrer Service“. George Lazenbys einziger Einsatz als 007 von 1969 kam damals beim Publikum nicht besonders gut an, gilt inzwischen vielen, auch prominenten Bond-Fans aber als Favorit, Chris Nolan nennt ihn beispielsweise als seinen Lieblingsfilm des Franchise. In vielerlei Hinsicht kann „On Her Majesty’s Secret Service“ als früher Vorgänger zu den Craig-Filmen betrachtet werden, hier machte Bond (zumindest in einem Film) zum ersten Mal eine wirkliche Entwicklung durch, war persönlich involviert, verliebte sich tatsächlich und am Schluss kam es natürlich zur Tragödie. Fukunaga macht keinen Hehl daraus, dass „On Her Majesty’s Secret Service“ auch sein Favorit ist und ihn stark beeinflusst hat. Sowohl konzeptionell (Liebesgeschichte als Zentrum der Handlung) als auch musikalisch und wörtlich zitiert Fukunaga den Film von 1969 immer wieder.

Leider ist „No Time to Die” letztendlich bezüglich seines Status als Finale Furioso der „Craig-Saga“ als subtiles Scheitern zu bewerten. Ich bin dem Konzept, Bond hier als Abschluss zu töten, nicht per se abgeneigt, tatsächlich bin ich beeindruckt, dass Eon und Fukunaga es tatsächlich durchgezogen haben, aber die Umsetzung lässt leider zu Wünschen übrig. Wie ich oben bereits schrieb, der gesamte dritte Akt fällt gewissermaßen auseinander, was zum einen am nicht völlig überzeugenden Schurken Safin liegt, aber auch am finalen Plan und der Situation, in der sich Bond befindet. Die Lage ist relativ unklar, Bonds Opfer fühlt sich in letzter Konsequenz erzwungen an und entwickelt sich nicht wirklich logisch aus der Handlung und zudem gelingt es dem Film auch nicht, die Dringlichkeit der Situation wirklich klar zu machen: Warum muss die Insel unbedingt jetzt sofort beschossen werden? Als Konsequenz fühlt sich Bonds Tod nicht verdient an und hat mich persönlich ein wenig an Supermans Ableben in „Batman v Superman: Dawn of Justice“ erinnert. Das ist natürlich nur Spekulation, aber ein wenig wirkt es, als sei 007s Ende erst spät Teil der Geschichte geworden, auch wenn es, zugegebenermaßen, bereits relativ früh im Film Andeutungen gibt (die aber natürlich ihrerseits später eingefügt worden sein können).

Bond Back in Action
Sowohl für die Filmreihe im Allgemeinen als auch für die Craig-Ära im Besonderen ist „No Time to Die“ ein ungewöhnlicher Film und weicht in mehr als einer Hinsicht von der Formel ab – und dabei meine ich nicht einmal so sehr Bonds Tod am Ende, obwohl das natürlich auch ein Novum ist. Immerhin, in den Romanen gibt es einen gewissen Präzedenzfall: In „From Russia with Love“ scheint Bond am Ende nicht zu überleben, als Leser wird man zumindest im Ungewissen gelassen, da Ian Fleming sich nicht sicher war, ob er weiter Bond-Romane schreiben wollte. Erst in der Fortsetzung „Dr. No“ wird dann klar, dass 007 tatsächlich überlebt hat. Nicht ganz dieselbe Situation, aber immerhin ansatzweise vergleichbar. Wie dem auch sei, untypisch für die Craig-Filme ist vor allem, dass Bond hier relativ gesprächig daherkommt. Wir sind es ja bereits gewöhnt, dass gewisse Konventionen der Serie hier immer wieder hinterfragt oder gebrochen werden, ebenso wie wir daran gewöhnt sind, dass Craig der „leidende Bond“ ist, aber bisher war er dabei meistens recht stoisch und verschlossen, während er in „No Time to Die“ insgesamt deutlich gesprächiger ist als in den bisherigen vier Filmen und sogar hin und wieder einen Roger-Moore-Gedächtnis-Spruch loslässt.

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Bond (Daniel Craig) und Felix Leiter (Jeffrey Wright)

Was das Franchise insgesamt angeht, ist Bond hier nicht nur so monogam wie selten zuvor, es gibt nicht einmal ein neues Bond-Girl, stattdessen ist Madeleine Swann auch weiterhin Bonds einziger Love Interest. Die beiden neuen Frauenfiguren, Ana de Armas als Paloma und Lashana Lynch als Nomi, sind beide alles andere als traditionelle Bond-Girls. Eines der größeren Probleme von „No Time to Die“ ist wohl, dass es mir nicht gelingt, Madeleine als „Bonds große Liebe“ wahrzunehmen. Léa Seydoux‘ Chemie mit Daniel Craig ist hier zweifellos besser als in „Spectre“, wo sie praktisch nicht vorhanden war, aber im Vergleich zu dem, was Craig und Eva Green hatten, gibt es noch viel Luft nach oben. Da diese Liebesgeschichte aber der Anker des Films ist, führt das zum einen oder anderen Wahrnehmungsproblem, zumindest bei mir. Dass Bond hier erstmals ein Kind hat, ist freilich ein weiteres Novum, mit dem man sich erst einmal abfinden muss, schließlich waren Kinder in Bond-Filmen selten bis gar nie ein Faktor. Im Großen und Ganzen gibt es bei Craigs schauspielerischer Leistung in jedem Fall nichts zu meckern, man merkt, dass er hier, bei seinem letzten Film, noch einmal voll investiert ist.

Was in „No Time to Die” glücklicherweise vollauf zu überzeugen weiß, ist die Action. Nachdem diese in „Spectre“ oftmals dröge und uninspiriert daherkam, bemüht sich Fukunaga, wirklich grandiose und abwechslungsreiche Set-Pieces zu inszenieren, sei es der Angriff der Spectre-Agenten auf Matera, die Verfolgungsjagd auf Kuba, das Intermezzo in Norwegen oder die scheinbare One-Take-Szene auf Safins Insel. Schauplätze, Bildkomposition und Action sind ebenso schön anzusehen wie unterhaltsam und kreativ, sodass „No Time to Die“ glücklicherweise nicht langweilig wird.

Safin und Blofeld
Im Vorfeld wurde wild spekuliert, ob Eon wohl einen ähnlichen Stunt wie in „Spectre“ abziehen und Safin als bereits bekannten Schurken enthüllen würde. Man vermutete Dr. No hinter der Kabuki-Maske, zum einen, weil das Wort im Titel auftaucht und zum anderen wegen eines kleinen Details aus Flemings Roman „Dr. No“, das keinen Eingang in den gleichnamigen Film fand: Dr. Nos Herz befindet sich statt auf der linken auf der rechten Seite seines Körpers. Im Trailer zu „No Time to Die“ (und auch im fertigen Film) sieht man im Prolog ein Einschussloch dort, wo Safins Herz sein müsste, was ihn jedoch nicht weiter aufzuhalten scheint. Glücklicherweise entpuppt sich Safin nicht als Dr. No; auf dieses Detail geht der Film selbst nicht weiter ein. Vielleicht trägt Safin einfach eine schusssichere Weste unter seinem Parka, vielleicht wurde dieses Element auch für ihn übernommen, wer weiß? Ich persönlich ordne Lyutsifer Safin (extrem subtiler Vorname) ähnlich ein wie den Film insgesamt: Als Schurke ist er stärker als Blofeld oder der von Mathieu Amalric gespielte Dominic Greene, verblasst aber im Vergleich zu Raoul Silva (Javier Bardem) und Le Chiffre (Mads Mikkelsen). Vor allem in der Prolog-Szene wird Safin sehr effektiv inszeniert, hier nutzt Fukunaga Techniken des Horror-Films, danach verschwindet er allerdings für recht lange Zeit aus der Handlung. Rami Malek ist in der Rolle angenehm bedrohlich, ihm wird aber nicht die nötige Gelegenheit gegeben, wirklich viel aus ihr herauszuholen. Das hängt auch mit dem Umstand zusammen, dass Safin in seiner Motivation merkwürdig zwiegespalten ist. Seine Rachepläne an Blofeld und Spectre sind nachvollziehbar, schließlich sind sie für den Tod seiner Familie verantwortlich, aber alles, was Safin im dritten Akt des Films mit Heracles anstellt bzw. anstellen will, ist merkwürdig schwammig und undefiniert. Will er die Weltherrschaft? Will er nach Ra’s-al-Ghul-Manier einen großen Teil der Weltbevölkerung auslöschen? Und wenn ja, weshalb? Zudem wird sein Verhalten im Finale zunehmend erratisch: Als Mathilde ihn in den Finger beißt, lässt er sie einfach davonlaufen – das wirkt untypisch. Mir scheint, dass im dritten Akt aufgrund der ohnehin schon enormen Länge einige Szenen geschnitten wurden, die für das Verständnis aber besser im Film geblieben wären. Gerade was Safin angeht, fühlt man sich eher an frühere Bond-Widersacher erinnert: In bester Tradition hat Safin eine eigene Insel mit einem „Garden of Poison“, und natürlich gibt er sich mit Kleinigkeiten nicht zufrieden, er ist eine Bedrohung für die gesamte Welt. Gerade in der jetzigen Zeit kommt man zudem nicht umhin, zudem gewisse Parallelen zwischen Heracles und Corona festzustellen, die sicher nicht beabsichtigt waren („No Time to Die“ wurde ja deutlich vor dem Ausbruch abgedreht), aber nichts desto trotz faszinierend sind.

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Lyutsifer Safin (Rami Malek)

Bekanntermaßen überlebte Ernst Stavro Blofeld „Spectre“ und darf nun erneut auftauchen und Bond primär in der ersten Hälfte des Films das Leben schwer machen – wenn auch vom Gefängnis aus. Damit ist Christoph Waltz der bislang einzige Darsteller, der Blofeld mehr als einmal gespielt hat (die schattenhafte Version der Figur in „From Russia with Love“ und „Thunderball“ nicht mitgerechnet). Leider kommt Blofeld in „No Time to Die“ nicht allzu viel besser weg als in „Spectre“: Nach wie vor funktioniert Waltz für mich in dieser Rolle einfach nicht, mehr noch, er scheint auch kein besonderes Interesse an ihr zu haben. Eine der größten Schwächen der „Craig-Saga“ ist für mich zudem, dass es ihr fast nie gelingt, die große, böse Organisation im Schatten, sei es Quantum oder Spectre, wirklich interessant oder eindrücklich zu inszenieren. „No Time to Die“ setzt dem die Krone auf, in dem die gesamte Spectre-Führungsriege hier bei ausgerechnet Blofelds Geburtstagsparty umgebracht wird – das klingt eher nach der Roger-Moore-Ära. Blofeld selbst wird auf ähnlich unrühmliche Weise abserviert. In Anbetracht der Tatsache, dass er DER Gegner James Bonds sein soll und in „Spectre“ als das große Mastermind hinter allen anderen Filmen etabliert wurde, wirkt dieser Abgang unbefriedigend. Aus rein erzählerischen Gründen wäre tatsächlich eine größere Rolle für Blofeld nötig gewesen. Hier wäre vielleicht eine Rückkehr zu Ian Fleming die richtige Lösung gewesen. In den Romanen verändert Blofeld sein Äußeres ständig mit plastischer Chirurgie, man hätte durch diesen Kniff problemlos ein Recasting rechtfertigen können, schließlich will ein geflohener Blofeld nicht erkannt werden. So wirkt „No Time to Die“ mitunter wie eine merkwürdige Coda einer ohnehin holprig erzählten Saga.

Her Majesty’s Secret Service
Im Verlauf der Craig-Ära sammelte Bond ein durchaus beeindruckendes Raster an Verbündeten und Unterstützern an. Die Präsenz von Judi Denchs M ist selbst nach dem Tod der Figur immer noch vorhanden, sei es durch Videos oder ein Porträt. Bereits in „Casino Royale“ und „Quantum of Solace“ arbeitete Bond mit Jeffrey Wrights Felix Leiter zusammen, in Letzterem tauchte auch erstmals die von Rory Kinnear gespielte Version des Fleming-Charakters Bill Tanner auf, die von nun an zum festen Bestandteil des Casts gehören sollte. In „Skyfall“ bekam Craig „seine“ Moneypenny (Naomi Harris) und „seinen“ Q (Ben Wishaw), zusätzlich zu einem neuen M (Ralph Fiennes) und in „No Time to Die“ stoßen nun schließlich Lashana Lynch als Bonds Nachfolgerin Nomi und Ana de Armas als CIA-Agentin Paloma hinzu. Als die Rolle von Ersterer bekanntgegeben wurde, erfolgten natürlich sofort Aufschreie wie „Bond goes woke“, verbunden mit der Befürchtung, Lashana Lynch könne Craig aus dem Rampenlicht drängen, was sich angesichts der Rolle, die Nomi im Film spielt, als ziemlich albern entpuppt. Nicht nur ist die neue 007 verhältnismäßig insignifikant, sie gibt auch ihre Kennung vor dem Finale ganz brav zurück. Heimlicher Star des Films ist ohnehin Paloma – Ana de Armas tauch in der Kuba-Sequenz auf, reißt mit ihrem Charme und ihrer Energie kurzzeitig den gesamten Film an sich, harmonisiert wunderbar mit Daniel Craig und verschwindet dann ebenso unverhofft wieder. Da hätte man sich durchaus eine größere Rolle gewünscht.

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Eve Moneypenny (Naomi Harris), M (Ralph Fiennes) und Bill Tanner (Rory Kinnear)

Das Ableben von Felix Leiter soll ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Bereits bei Ian Fleming ist er eine immer wieder auftauchende Figur, die im zweiten Roman, „Live and Let Die“, brutal durch einen Haiangriff verstümmelt wird; ein Schicksal, das ihm zwar in der Verfilmung besagten Romans erspart bleibt, aber dafür 16 Jahre später in „Licence to Kill“ widerfährt – ironischerweise wird Leiter in beiden Filmen von David Hedison dargestellt. Wright ist bislang der einzige Schauspieler, der Leiter sogar ganze drei Mal gespielt hat – insofern ist es auch gerechtfertigt, dass er in „No Time to Die“ eine etwas größere Rolle bekommt. Tatsächlich empfand ich sein Ableben als emotionaler als Bonds am Ende des Films – was eher gegen Letzteres und nicht unbedingt für Ersteres spricht.

Der Rest MI6-Besatzung ist hier nicht so beschäftigt wie in „Spectre“, aber immer noch deutlich aktiver als in früheren Bond-Filmen. Moneypenny und Q haben verhältnismäßig wenig zu tun, Ralph Fiennes‘ M dagegen wird negativer dargestellt, da er bei der Entwicklung von Heracles seine Finger im Spiel hatte, was ein wenig an „Skyfall“ erinnert, wo seine Vorgängerin aufgrund ihres Umgangs mit den Agenten, primär Bond und Silva, kritisiert wird.

James Bond Will Return
Bereits im Vorfeld kam die Frage auf, wie es nun weitergehen wird: Wird nur Bond ausgetauscht und der Rest der Besatzung bleibt oder gibt es einen harten Reboot? Nach „No Time to Die“ scheint relativ klar, dass ein harter Reboot ins Haus steht. Ein erneutes auftauchen der bekannten MI6-Besatzung nach diesem Ende wäre höchst merkwürdig und würde das unterlaufen, was Eon mit Bond Nummer 25 erreichen wollten. Tatsächlich ist das auch einer der Gründe, weshalb ich Bonds Tod eher negativ gegenüberstehe: Ich mochte diesen MI6-Cast und hätte ihn gerne auch weiterhin an der Seite eines neuen Bond gesehen. Andererseits gehört die Marke nun Amazon, da ist ein Spin-off wahrscheinlicher denn je. Sowohl für Michelle Yeohs Wai Lin aus „Tomorrow Never Dies“ als auch Halle Berrys Jinx Jordan aus „Die Another Day“ gab es Pläne für Soloauftritte, aus denen freilich nichts geworden ist, aber wer weiß, vielleicht erwartet uns in naher Zukunft ein Agenten-Team-Up bestehend aus Nomi und Paloma, in dem der Craig-MI6-Cast Gastauftritte absolvieren kann.

Wie dem auch sei, ich persönlich denke, dass der neue Bond 2022 verkündet wird. Barabara Broccoli erklärte zwar, man habe noch keine Auswahl getroffen, aber bei Eon Productions hatte man nun doch über eineinhalb Jahre Zeit, sich zumindest Gedanken über den Nachfolger zu machen. Zusätzlich ist 2022 wieder Mal ein Jubiläumsjahr für den Film-Bond, der 1962 sein Debüt feierte und somit 60 wird. 2002 und 2012 gab es jeweils einen mit Anspielungen gespickten Jubiläumsfilm, das kann nächstes Jahr nicht geboten werden, also wäre die Verkündigung des neuen Bond-Darstellers zumindest in Ansätzen eine passende Alternative. Spekulationen, in welche Richtung Bond 26 gehen wird, sind bis zur Bekanntgabe wohl ohnehin müßig. Ich denke, die emotionale Komponente und der stärkere Fokus auf Bonds Charakterisierung wird uns erhalten bleiben, aber ob man sich erneut an einem größeren Handlungsbogen versuchen oder doch den Fokus wieder auf Einzelabenteuer legen möchte, steht noch in den Sternen.

Fazit: Sowohl im Kontext der gesamten Filmreihe als auch der Craig-Ära landet „No Time to Die“ in der Mitte, weder gehört er zu den besten, noch zu den schlechtesten Filmen des Franchise. Primär wird er wohl als der Film in Erinnerung bleiben, in dem Bond stirbt – auch wenn sein Tod eine eher unbefriedigende Angelegenheit bleibt. Ansonsten ist Cary Joji Fukunagas Beitrag zum 007-Vermächtnis mit Sicherheit einer der bestaussehndsten Bonds mit einigen überaus beeindruckenden Action-Szenen, einem eher schwächeren Schurken und einem grandiosen Auftritt von Ana de Armas – weder Meisterwerk noch Totalausfall.

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Art of Adaptation: Casino Royale

Art of Adaptation: Casino Royale


Ich würde mich nicht unbedingt als James-Bond-Fan bezeichnen, insgesamt bin ich eher am cineastischen und popkulturellen Vermächtnis des Agenten mit der Lizenz zum Töten interessiert. Aber ich bin ein Fan von „Casino Royale“, Daniel Craigs Debüt als 007 und meiner bescheidenen Meinung nach der mit Abstand beste Film der Reihe. Während die frühen Einträge des Franchise noch Romane oder Kurzgeschichten von Bond-Erfinder Ian Fleming adaptierten (oder sich zumindest deren Titel ausborgten), ging man in der Roger-Moore-Ära irgendwann dazu über, völlig neue Geschichten zu schreiben – „Casino Royale“ ist der erste Bond-Film seit vielen Jahren, der wieder direkt auf einem der Romane basiert und somit ein idealer Kandidat für „Art of Adaptation“

Handlung und Hintergründe
Nachdem „Die Another Day“ (2002), der letzte Brosnan-Bond, zwar finanziell erfolgreich war, aber aufgrund seiner vielen Probleme, nicht zuletzt dem Übermaß an CGI-Effekten, nicht besonders gut ankam, beschloss man bei Eon Productions, einen Reboot zu wagen. Nicht nur gab es mit Daniel Craig einen neuen Bond, man beschloss darüber hinaus, den Film zu Bonds Origin-Story zu machen und sich dabei auf die Tugenden der frühen Fleming-Romane zu konzentrieren – ganz ähnlich, wie Warner und Chris Nolan bei „Batman Begins“ vorgegangen waren. Nachdem Regisseur Martin Campbell mit „Goldeneye“ bereits einmal einen neuen Bond eingeführt hatte, gab Eon ihm für Craigs Debüt ein weiteres Mal die Zügel in die Hand.

„Casino Royale“ als Vorlage zu nehmen war da ein naheliegender Gedanke, schließlich handelt es sich um Flemings ersten Bond-Roman, der bereits 1953 erschien. Interessanterweise ist der Film von 2006 keinesfalls die erste Adaption dieses Romans – bereits 1954, also mehrere Jahre vor dem ersten „offiziellen“ Bond-Film mit Sean Connery, wurde die Handlung im Rahmen eines Fernseh-Specials umgesetzt und dann noch einmal 1967 in Form einer Parodie mit Orson Wells als Le Chiffre. Erst 1999 gelang es Eon-Productions, die Filmrechte, die Fleming noch in den 50ern äußerst billig abgegeben hatte, zu gewinnen, sodass „Casino Royale“ als offizieller Bond Nummer 21 umgesetzt werden konnte.

Der Roman selbst ist, besonders im Vergleich zu den Bond-Filmen und selbst zu späteren Romanen, sehr schlicht und stilistisch sehr geradlinig. Als Leser wird man direkt in die Handlung geworfen und erlebt Bond am Casino-Tisch, bevor der eigentliche Rahmen abgesteckt und erläutert wird, worum es eigentlich geht: Le Chiffre, ein Agent der Sowjetunion, genauer der russischen Spionageabwehrorganisation SMERSH (Kürzung von „SMERSchpionam“, Russisch für „Tod den Spionen“, der Dienst existierte tatsächlich, allerdings nur von 1943 bis 1946 – Flemings Version ist stark fiktionalisiert) versucht, diverse finanzielle Verluste zu verschleiern. Da er das Geld der Sowjetunion verloren hat, versucht er, dieses nun im Rahmen eines Baccara-Turniers im fiktiven Royale-les-Eaux in Nordfrankreich zurückzugewinnen. Der MI6 hingegen möchte, dass Le Chiffre verliert und schickt James Bond, den besten Kartenspieler der Organisation, nach Frankreich, um Le Chiffres Niederlage zu sichern. Zu Bonds direkten Verbündeten  gehören Vesper Lynd, die die Finanzen verwaltet, sowie René Mathis, der Kontakt vor Ort. Zu Beginn des Spiels verliert Bond erst, erhält jedoch von Felix Leiter, einem CIA-Agenten mit ähnlichem Ziel, neue finanzielle Mittel. Nach einem gescheiterten Attentat auf Bonds Leben durch Le Chiffres Bodyguards gewinnt 007 das Turnier und bringt seinen Kontrahenten so in eine fast aussichtslose Lage. Aus diesem Grund werden sowohl er als auch Vesper gekidnappt – Le Chiffre versucht, den Standort der Gewinne aus Bond herauszufoltern. Ausgerechnet ein Agent von SMERSH rettet den britischen Agenten und das auch nur, weil er keinen expliziten Tötungsauftrag für ihn hat; lediglich Le Chiffre steht auf seiner Liste. So kann Bond wiederum Vesper retten. Während Bonds Genesungsphase besucht sie ihn jeden Tag und die beiden verlieben sich ineinander. Doch nachdem Vesper einen Einäugigen sieht, beginnt sie sich merkwürdig zu verhalten und begeht schließlich Selbstmord. Aus einem Abschiedsbrief erfährt Bond, dass sie eine Doppelagentin der Sowjets war, wenn auch unfreiwillig. SMERSH hielt ihren Liebhaber als Geisel und erpresste sie damit. Aus der Sichtung des Einäugigen – eines SMERSH-Agenten – schloss Vesper, dass ihre Liebhaber getötet wurde. Aus diesem Grund nahm sie sich selbst das Leben, da sie befürchtete, Bond könne das neue Ziel der russischen Organisation werden. So kehrt Bond mit einer deutlich zynischeren Weltsicht in den aktiven Dienst zurück und bekämpft SMERSH von nun an mit vollem Einsatz.

Context Is King
An dieser Inhaltsbeschreibung zeigt sich, dass der Roman „Casino Royale“ sehr stark im Setting der 50er-Jahre und des Kalten Kriegs verwurzelt ist – aus diesem Grund wird der Kontext im Film radikal geändert. Zwar spielte man bei Eon wohl eine Zeit lang mit dem Gedanken, einen Period-Piece-Bond zu drehen (und Quentin Tarantino Regie führen zu lassen), man entschied sich aber letztendlich für einen modernen Reboot. Während also die tatsächliche Handlung des Romans relativ genau umgesetzt wird, ist der Kontext ein völlig anderer. Anstatt für SMERSH und die Sowjets zu arbeiten, ist Le Chiffre (Mads Mikkelsen) nun ein Banker für Terroristen und internationale Kriminelle. Der Kontak zwischen Le Chiffre und seinen Kunden – zu Beginn des Films wird eine Konversation mit ugandischen Terroristen gezeigt – kommt durch eine ominöse Organisation, primär vertreten durch Mister White (Jesper Christensen), zustande, die in Bond Nummer 22 als Quantum identifiziert wird, um dann in Bond Nummer 24 rückwirkend zu einem Teil von Spectre zu werden. Das war zwar sicher nicht von Anfang an so geplant, passt aber gut zur Tradition der Bond-Filme, Spectre bzw. SPECTRE (SPecial Executive for Counter-intelligence, Terrorism, Revenge and Extortion) statt SMERSH zu verwenden. Lange Rede, kurzer Sinn, in der Film-Adaption sind es nicht sowjetische Gelder, die Le Chiffre verliert, stattdessen ist es das Kapital der durch Quantum vermittelten Kunden.

Campbell und die Drehbuchautoren Neal Purvis, Robert Wade und Paul Haggis tun allerdings noch deutlich mehr, als nur den Kontext anzupassen – sie liefern gleich die Vorgeschichte mit. In Flemings Roman haben Bond und der MI6 nichts mit Le Chiffres Verlusten zu tun, im Film dagegen dreht sich der gesamte erste Akt darum. Bonds erste Mission als Doppelnull-Agent führt ihn, nach einer der grandiosesten Action-Szenen des Franchise, auf Le Chiffres Spur. Während der kriminelle Banker im Roman in französische Bordelle investiert, ist es im Film der Niedergang einer Airline, die vom Erfolg eines Prototypen abhängt, dessen Zerstörung Bond verhindert, was Le Chiffre in dieselbe Position bringt wie sein Buchgegenstück. Dementsprechend ist es kein unbekannter SMERSH-Agent, der Le Chiffre am Ende tötet, sondern Mister White persönlich. Auch bezüglich des Handlungsortes gibt es eine Änderung, statt Royale-les-Eaux in Frankreich findet das Turnier in Montenegro statt und es wird auch nicht Baccara, sondern Poker gespielt.

Ansonsten folgt der Film dem Roman relativ genau, erhöht die Dramatik allerdings hier und da ein wenig. Sowohl bei Fleming als auch bei Campbell versucht Le Chiffre, Bond während des Spiels zu töten, im Roman ist es ein Bodyguard, der ihn erschießen soll, im Film vergiftet Le Chiffres Freundin Valenka (Ivana Miličević) Bonds Drink. Die attackierenden ugandischen Terroristen sind ein weiteres Action-Intermezzo, das ausschließlich in der Adaption vorkommt. Die berühmt-berüchtigte Folter-Szene stammt hingegen quasi direkt von Fleming, der einzige Unterschied ist das Werkzeug, denn statt eines Seils benutzt Le Chiffre einen Teppichklopfer.

Figuren und Beziehungen
Obwohl „Casino Royale“ Flemings erster Bond-Roman war, kann er nur bedingt als Origin Story verstanden werden – im Gegensatz zum Film, der diesen Aspekt deutlich stärker herausarbeitet. Der Bond der späteren Romane mag hier entstehen, seine Lizenz zum Töten besitzt er aber bereits seit einiger Zeit – nicht so die Film-Version. Im Cold Open erleben wir, wie Bond genau diese Lizenz erwirbt. Ohnehin ist der Bond, den wir in Campbells Film sehen, noch sehr unausgereift, ja mitunter fast schon naiv. Obwohl er sich um ein ordentliches Maß an Arroganz und Kaltschnäuzigkeit bemüht, wird er erst mit Vespers Tod zum tatsächlichen zynischen Agenten, der niemandem vertraut. All das wird im Film deutlich stärker betont als im Roman, gerade durch das Brechen oder Etablieren der für dieses Franchise typischen Konventionen – sei es der Vodka-Martini oder das typische Outfit. Viele dieser Elemente wurden erst in späteren Bond-Romanen oder -Filmen eingeführt, weshalb sie in Flemings Erstling schlicht keine Rolle spielen können. Auch Bonds Beziehung zu M bedarf einer näheren Betrachtung. M spielt im Roman keine besonders große Rolle, während das Film-Gegenstück deutlich mehr Präsenz besitzt. Die von Judi Dench gespielte Version ist das einzige On-Screen-Überbleibsel der Brosnan-Ära, wobei sich das Verhältnis quasi gedreht hat. In „Goldeneye“ scheint Denches M relativ neu als Kopf des MI6 und bezeichnet Bond als „sexist, misogynist dinosaur. A relic of the Cold War, whose boyish charms, though wasted on me, obviously appealed to that young woman I sent out to evaluate you.” Bond scheint hier der etablierte Agent zu sein, der sich mit einem neuen, weiblichen Befehlshaber auseinandersetzen muss. Im Gegensatz dazu ist M in „Casino Royale“ die Etablierte, während Bond der Neuling ist. Dementsprechend wird das obige Zitat quasi auf den Kopf gestellt. Nachdem Bond bei seiner ersten Mission Mist baut, erklärt M: „In the old days if an agent did sommething that embarrassing he’d have the good sense to defect. Christ, I miss the Cold War.“

Auch rein visuell gibt es einige Unterschiede, der von Fleming beschriebene Bond hat nicht allzu viel mit Daniel Craig gemeinsam – er wird als groß, dunkelhaarig, mit einem länglichen Gesicht und einer Narbe auf der Wange beschrieben. In mehreren Romanen wird Bond visuell mit dem Schauspieler Hoagy Carmichael verglichen – rein optisch käme Timothy Dalton dem Roman-Bond wohl am nächsten. Ganz ähnlich verhält es sich mit Le Chiffre, der bei Fleming übergewichtig und rothaarig ist. Zudem wird er mitunter auf eine Art beschrieben, die man heute eher als problematisch empfinden würde, beispielsweise hebt Fleming Le Chiffres kleine Ohren mit den großen Ohrläppchen hervor, die auf jüdisches Blut hindeuten sollen. Der Inhalator kommt auch im Roman vor, die Narbe am Auge und das Weinen von Blut hingegen nicht. Ein Detail, das der Film auslässt, ist Le Chiffres großer sexueller Appetit; die von Mad Mikkelsen gespielt Version scheint monogam zu sein. Da Le Chiffre im Film deutlich mehr Zeit gewidmet wird und Mads Mikkelsen einfach ein grandioser Schauspieler ist, macht seine Interpretation der Figur letztendlich deutlich mehr her als ihr Romangegenstück – mitunter tendiert Fleming in seinem Erstling dazu, den Leser eher über Sachverhalte und Eigenschaften zu informieren, als sie tatsächlich zu zeigen, während Campbell Letzteres wirklich mit Bravour erledigt – nicht nur in Bezug auf Le Chiffre, sondern bei allen Figuren.

Auch die von der nicht minder grandiosen Eva Green gespielte Vesper Lynd ist bei Campbell die interessante Figur. Das mag natürlich auch der Entstehungszeit geschuldet sein, aber Buch-Vesper ist deutlich stärker Anhängsel, während sie in der Adaption eine weitaus besser ausgearbeitete Figur ist, die mit Bond auf Augenhöhe agiert, aber gerade im Angesicht der Gewalt, die auszuüben er gezwungen ist, genauso reagiert, wie wohl die meisten Menschen reagieren würden. Die Szene, in der Vesper Bond das Geld zum Weiterspielen verweigert, findet sich beispielsweise ausschließlich bei Campbell, Flemings Vesper würde so etwas schlicht nicht tun. Nebenbei bemerkt, wer den Bond der Filme bereits für einen Chauvinisten hält, wird sich mit seinem schriftlichen Gegenstück sicher nicht anfreunden. Ein weiterer Aspekt, den Fleming im Roman nicht allzu gut zu vermitteln weiß, ist die Chemie zwischen Vesper und Bond – man hat das Gefühl, dass die Romanze nie wirklich in Fahrt kommt, bevor sie auch schon auseinanderbricht. Im Gegensatz dazu ist die Chemie zwischen Craig und Green exzellent, da funkt und knistert es bereits bei der ersten Begegnung, sodass das Finale, das im Film weitaus actionreicher ist, deutlich besser funktioniert. Wo Vesper bei Fleming einfach nur Schlaftabletten schluckt, bietet die Adaption eine weitere Actionszene und einen wirklich emotionalen Tod. Auch sonst profitiert der Film vom wirklich exzellenten Cast. Eine Figur wie Felix Leiter, die im Roman noch kaum Profil besitzt, wird im Film durch Jeffrey Wright enorm aufgewertet, obwohl ihm kaum mehr Zeit zur Verfügung steht. Auch René Mathis profitiert ungemein durch Giancarlo Gianninis Darstellung.

Fazit
Hier haben wir mal wieder einen dieser Fälle, in denen eine Filmadaption der Vorlage nicht nur gerecht wird, sondern sie sogar weit übertrifft. Martin Campbells Adaption profitiert natürlich von vielen Jahrzehnten an Bond-Geschichte, aus der sie schöpfen kann. Dennoch: Im Grunde ist jeder Aspekt, von der Charakterisierung der Figuren über den Handlungsverlauf bis hin zur Ausgestaltung, im Film deutlich überlegen. Die Aspekte, die funktionierten, wurden praktisch eins-zu-eins übernommen und die, die nicht funktionierten, wurden entweder erzählerisch oder filmisch ausgestaltet, sodass sie funktionieren. Egal ob als Bond-Film bzw. -Origin, actionreiches Charakterdrama oder clevere Dekonstruktion, „Casino Royale“ überzeugt einfach auf allen Ebenen.

Rogue One: A Star Wars Story

rogueone
Story:
Das Imperium steht kurz vor der Fertigstellung des Todessterns, die Allianz der Rebellen muss handeln. Der Wissenschaftler Galen Erso (Mads Mikkelsen), der an der Entwicklung des Todessterns beteiligt war, erweist sich diesbezüglich als wichtiges Puzzlestück, denn er hat Bodhi Rook (Riz Ahmed), einen abtrünnigen Piloten, nach Jedha zu seinem alten Freund, dem Rebellenextremisten Saw Gerrera (Forest Whitaker) geschickt, um der Allianz wichtige Informationen zukommen zu lassen. Doch Gerrera erweist sich als nicht sehr umgänglich, weshalb die Allianz Galens Tochter Jyn (Felicity Jones) ausfindig macht, damit diese in Begleitung des Rebellenagenten Cassian Andor (Diego Luna) und des umprogrammierten imperialen Droiden K-2SO (Alan Tudyk) mit Gerrera Kontakt aufnimmt. Ihnen auf den Fersen ist Orson Krennic (Ben Mendelsohn), Direktor der imperialen Waffenforschung und Verantwortlicher für den Bau des Todessterns, der bemüht ist, das Sicherheitsleck zu stopfen – mit allen Mitteln…

Kritik: Im Vorfeld erwies sich „Rogue One“ bereits als problematisch: Informationen über umfassende Nachdrehs wuchsen zu monströsen Gerüchten heran. Diesbezüglich kann ich schon einmal Entwarnung geben, „Rogue One“ ist kein Desaster á la „Suicide Squad“. Zwar merkt man hin und wieder die eine oder andere Unebenheit, aber insgesamt weiß der erste Star-Wars-Realfilm ohne das Wörtchen „Episode“ im Titel (über diverse Jugendsünden des Franchise breiten wir lieber den Mantel des Schweigens) zu überzeugen. Überaschenderweise ist „Rogue One“, trotz Drehbuchneufassungen, Nachdrehs und (je nach dem, wem man glaubt) Teil- bzw. Komplettersetzung des Regisseurs Gareth Edwards durch Tony Gilroy ein überwiegend kohärenter Film geworden. Das größte Problem in dieser Hinsicht ist die etwas holprige Erzählstruktur zu Beginn. Hier werden sehr schnell sehr viele Planeten und Figuren vorgestellt; wer sich nicht ein wenig vorinformiert hat, könnte etwas schwimmen. Insgesamt ist die Story des Films zwar sehr geradlinig und vorhersehbar (nun ja, wir wissen ja ohnehin alle, dass die Rebellen am Ende die Todessternpläne erbeuten), aber der erste Akt des Films ist etwas behäbig und umständlich erzählt, weshalb „Rogue One“ eine Weile braucht, um in die Gänge zu kommen. Erfreulicherweise steigert sich „Rogue One“ jedoch konstant und legt einen wirklich grandiosen und kompromisslosen dritten Akt vor, der den nicht ganz so gelungenen Anfang des Films mehr als ausgleicht und ein überwältigendes Action- und Effektfeuerwerk auf den Zuschauer loslässt.

Um meinen weiteren Gesamteindruck von „Rogue One“ zu vermitteln, möchte ich „Das Erwachen der Macht“ vergleichend heranziehen. Episode VII spielt gut dreißig Jahre nach der klassischen Trilogie, während die Ereignisse von „Rogue One“ nur kurze Zeit vor „Eine neue Hoffnung“ stattfinden. Trotzdem ist „Das Erwachen der Macht“ der Film, der der OT weitaus näher steht, denn während sich „Rogue One“ zwar der klassischen optischen Ausstattung (Schiffe, Sturmtruppenrüstungen etc.) der OT bedient, entfernt sich das Spin-off doch weit vom typischen Gefühl der Episoden und geht andere Wege. Unter anderem wurde der Humor stark zurückgefahren, ist trockener, grimmiger und kommt in erster Linie von K-2SO – ohnehin der heimliche Star des Films. Vom märchenhaft-mythologischen Flair der Episoden ist ebenfalls nicht mehr viel geblieben; wie zu erwarten war ist „Rogue One“ in erster Linie ein Kriegsfilm und als solcher der bisher grimmigste und bodenständigste Film des Franchise. Manch einem Zuschauer oder Kritiker geht das schon zu weit, hin und wieder hört und liest man, in „Rogue One“ fehle die „Star-Wars-Magie“. Ich kann diesen Kritikpunkt verstehen, teile ihn aber nicht. Gerade Fans des alten EU dürften sich mit „Rogue One“ sehr viel leichter tun als Zuschauer, die lediglich die Episoden gesehen haben. In Comics und Romanen gibt es schon seit vielen Jahren ein düstereres, dreckigeres Star Wars, das ohne die Jedi oder andere mythische Elemente auskommt. So spielt die Macht in „Rogue One“ eine ziemlich untergeordnete Rolle, was in einer Zeit, in der die Jedi so gut wie ausgelöscht sind, völlig legitim ist. Ganz allgemein erinnert „Rogue One“ an ein EU-Werk, das eher zufällig ein Film statt eines Romans oder eines Comics ist. Dieser Eindruck wird nicht nur durch die Atmosphäre und die Einbettung zwischen die Episoden geweckt, sondern auch durch die Gastauftritte bekannter Figuren und diverse Anspielungen, die sich mit ein, zwei Ausnahmen besser in den Kontext des Films einfügen als ähnlich geartete Elemente in „Das Erwachen der Macht“. Besonders hat mich gefreut, dass sogar diverse Prequel-Anspielungen zu finden sind.

Nicht nur bezüglich des Tonfalls, auch in anderen Bereichen erweist sich „Rogue One“ als sehr viel innovativer als Episode VII. Wo dort die Planeten ziemlich langweilig und uninteressant waren, schafft es „Rogue One“ wirklich, interessante Schauplätze zu generieren. Das betrifft vor allem Jedha, den Hauptschauplatz des ersten Aktes. Ja, es handelt sich dabei nochmal um eine Wüstenwelt, aber der Unterschied zu Jakku könnte nicht größer sein. Was vor allem auffällt: Jakku wirkte stets wie eine Kulisse für Reys Handlungsbogen und nicht mehr. Jedha dagegen ist eine lebendige Welt, wir sehen, wenn auch nur kurz, Ausschnitte aus dem Leben der Bewohner unter dem Imperium; es tobt ein Konflikt zwischen Imperialen und Saw Gerreras Partisanen. Kurz und gut, man hat das Gefühl, hier laufen noch viel mehr Geschichten parallel ab, die die Geschichte dieses Films mehr oder weniger zufällig kreuzen. Mehr davon! Und wo wir gerade von Saw Gerrera sprechen: Ein weiterer Pluspunkt ist die Zeichnung der Rebellion, die hier als äußerst heterogene Gemeinschaft dargestellt wird und nicht einfach nur „die Guten“ sind. Gareth Edwards, Tony Gilroy und Mit-Drehbuchautor Chris Weitz bemühen sich um Grautöne bei der Allianz, sie zeigen eine uneinige Führung, Extremisten und unlautere Methoden – Freiheitskämpfer für die einen, Terroristen für die anderen.

Mit dieser Stärke hängen allerdings auch die größten Schwächen des Films zusammen. Die Allianz wird zwar vielschichtig, die Rebellen selbst aber nicht besonders tiefgründig dargestellt. Aufgrund des großen Casts und des breiten Figurenspektrums werden Figurenmotivationen und Charakterentwicklung eher angedeutet als ausgearbeitet – diesbezüglich schneidet „Das Erwachen der Macht“ mit dem eindeutigen Fokus auf Rey und Finn besser ab. Die Figur, die besten ausgearbeitet ist, ist Jyn Erso, und selbst hier geht der Film nicht besonders ins Detail. Leider trifft das auch auf die Schurken zu. Anders als die Rebellion haben wir es hier ohne Zweifel mit genau dem Imperium der Filme zu tun. Ben Mendelsohn spielt Orson Krennic zwar überzeugend, aber die Figur selbst bleibt flach und stereotyp, wenn man nicht den Prequel-Roman „Catalyst“ von James Luceno gelesen hat. Das ist besonders schade, da man gerade hier die Gelegenheit gehabt hätte, sich mit imperialer Ideologie zu beschäftigen und das Imperium etwas nachvollziehbarer zu zeichnen. Anders als die Rebellen sind die Imperialen in „Rogue One“ einfach „die Bösen“.

Besonders lobend möchte ich zum Schluss noch Michael Giacchino erwähnen, dem es in nur wenigen Wochen gelungen ist, einen absolut überzeugenden Score zu komponieren, die bereits bestehenden Williams-Themen und Stilmittel gelungen und sinnvoll einzuarbeiten und ansprechende neue Leitmotive zu schreiben.

Fazit: „Rogue One: A Star Wars Story“ mag bezüglich der Erzählstruktur und der Figuren ein paar Probleme haben, ist aber ansonsten ein vollauf gelungener Star-Wars-Kriegsfilm, der sich weitaus unkonventioneller und frischer anfühlt als die übermäßig nostalgisch aufgeladene Episode VII.

Trailer

Siehe auch:
Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Meinung
Catalyst: A Rogue One Novel

Catalyst: A Rogue One Novel

catalyst
Im Star-Wars-Fandom gilt James Luceno als Lückenfüller und Verknüpfer – und das sollte hier als Lob verstanden werden. Mit „Schleier der Täuschung“ und „Darth Plagueis“ gelang es ihm erfolgreich, die unzureichend erläuterten politischen Elemente von Episode I logisch und nachvollziehbar zu unterfüttern, und mit „Labyrinth des Bösen“ griff er die losen Fäden der Klonkriege auf und überführte sie in Episode III. Sein neuester Roman mit dem Titel „Catalyst“ tut etwas Ähnliches für das anstehende erste Star-Wars-Spin-off „Rogue One“; Luceno erläutert Hintergründe und stellt einige Figuren sehr ausführlich vor.

Ähnlich wie „Darth Plagueis“ ist auch „Catalyst“ ein verknüpfender Roman. Die Handlung startet im ersten Jahr der Klonkriegen und deckt die folgenden fünf Jahre ab, im Fokus stehen Galen Erso und Orson Krennic, im Film verkörpert von Mads Mikkelsen und Ben Mendelsohn. Bereits zu Anfang enthüllt der Roman einige interessante Details: Der Bau des Todessterns beginnt bereits, initiiert von der Republik, während der Klonkriege. Auch hier hat natürlich Palpatine seine Finger im Spiel, er täuscht gewissermaßen ein Superwaffenwettrüsten zwischen Republik und Separatisten vor; das erklärt unter anderem auch, weshalb der Todesstern am Ende von „Die Rache der Sith“ schon so weit fortgeschritten ist. Krennic fungiert dabei als verantwortlicher Kommandant des Projekts, während Galen Erso als Forscher im Bereich der Energiegewinnung tätig ist und sich auf Kyber-Kristalle spezialisiert hat. Ersos Forschung könnte für den Erfolg des Todessternlasers unabdinglich sein, dummerweise ist er aber absoluter Pazifist und lässt sich nicht für militärische Forschung einspannen.

Die Beziehung zwischen Erso und Krennic ist das Herz des Romans. Vor allem Letzterer wird als äußerst interessante Figur gezeichnet, der zwar einerseits ein absoluter Opportunist ist, aber andererseits sehr geschickt und subtil vorgeht, anders viele andere imperiale Schurken. Die Art und Weise, wie er Erso bearbeitet, die anfängliche Freundschaft zu ihm ausnutzt und ihn und seine Forschung nach und nach ausbeutet, ist höchst faszinierend.

Mit Ersos Frau Lyra baut Luceno allerdings auch einen Gegenpart zu Krennic auf. Lyra ist in mehr als einer Hinsicht eine höchst interessante Figur. „Catalyst“ ist bezüglich vieler typischer Star-Wars-Elemente ein sehr indirekter Roman. Weder Jedi und Lichtschwerter, noch Vader und Palpatine kommen tatsächlich direkt im Roman vor, gleichzeitig ist ihre Präsenz bzw. ihr Vermächtnis stets spürbar. Lyra vertritt dabei die Jedi. Sie ist minimal machtsensitiv und versucht, nach den Prinzipien des Ordens zu leben, weshalb Order 66 sie ziemlich hart trifft. Sie ist auch diejenige, die Krennics Manipulationen durchschaut und als Galen Ersos Anker fungiert.

Die Kyber-Kristalle, die Energiequelle der Lichtschwerter, sind ein weiterer Jedi-Aspekt, der in der Handlung eine wichtige Rolle spielt. In gewisser Weise pervertieren Krennic und Erso (Letzterer allerdings unwissend) das Erbe der Jedi, um eine planetenvernichtende Waffe zu erschaffen. Mich erinnert das entfernt an eine Äußerung von Palpatine aus „Dunkler Lord: Der Aufstieg des Darth Vader“ (ebenfalls von James Luceno); der Imperator erklärt dort, dass die Sith Lichtschwerter primär noch verwenden, um die Jedi zu verspotten und ihr Vermächtnis zu besudeln. Zwar ist dieser Roman inzwischen nicht mehr Kanon, aber die Verwendung der Kyber-Kristalle für den Todessternlaser passt perfekt zu dieser Geisteshaltung; vermutlich amüsiert sich Palpatine köstlich über diese Angelegenheit.

Abermals zeigt Luceno mit „Catalyst“, wie gut er darin ist, alles miteinander zu verknüpfen. Die Prequels, die OT, „Rogue One“, „The Clone Wars“ und Lucenos eigener Kanon-Roman „Tarkin“ werden durch „Catalyst“ ziemlich effektiv miteinander verbunden. Der spätere erste Großmoff des Galaktischen Imperiums spielt ebenfalls eine kleine, wenn auch wichtige Rolle und fügt der Handlung einen weiteren interessanten Aspekt hinzu. Tarkin ist der erste Name, der gemeinhin mit dem Todesstern assoziiert wird. Tatsächlich sind Krennic und Tarkin hier Rivalen, die konstant und über die gesamte Laufzeit des Romans gegeneinander intrigieren, um den anderen schlecht aussehen zu lassen, dabei aber versuchen, den Bau des Todessterns nicht zu kompromittieren. In diesem Zusammenhang drängt sich natürlich die Frage auf, ob Tarkin in „Rogue One“ zu sehen sein wird. Das Gerücht, Peter Cushing könne per CGI wiedererweckt werden, hält sich hartnäckig und es gibt durchaus einige Indizien, da dafür sprechen, nicht zuletzt die prominente Rolle, die Tarkin in diesem Roman spielt.

Wie dem auch sei, noch zwei weitere Figuren aus „Rogue One“ werden in „Catalyst“ vorgestellt, wenn auch bei weitem nicht so ausführlich wie Krennic und Erso. Jyn Erso, die eigentliche Protagonistin des Films, taucht als Baby und sehr aufgewecktes und liebenswertes Kleinkind auf. Ebenso bekommt Saw Gerrera, der von Forrest Whitaker gespielte Clone-Wars-Immigrant einen ersten, wenn auch nicht allzu aufschlussreichen Aufritt, der aber immerhin verdeutlicht, dass Jyn und Saw bereits eine gemeinsame Vergangenheit haben.

Insgesamt ist „Catalyst“ ein Roman, der eher interessant als spannend ist, er lebt von der Charakterinteraktion, den Details und den Zusammenführungen; Action und Raumschlachten sind dagegen Mangelware und spielen kaum eine Rolle. Ich persönlich fand vor allem das erste Drittel, das den Leser noch einmal in die Klonkriege zurückbringt, extrem gelungen, in der Mitte entsteht allerdings die eine oder andere Länge. Mein größter Kritikpunkt ist wohl, dass „Catalyst“ vor allem aus Aufbau besteht, während sich eine tatsächliche Auflösung kaum findet; das Ende des Romans ist ziemlich abrupt. Angesichts seines Prequel-Status war das zwar zu erwarten, aber ähnlich gelagerte Romane, etwa „Labyrinth des Bösen“, fühlte sich runder, abgeschlossener und insgesamt selbstständiger an.

Bislang ist es noch relativ schwer zu sagen, wie essentiell die Lektüre von Lucenos Roman für den Genuss des Filmes ist. Ich würde vermuten, dass es ohne Kenntnisse zwar nicht zu Verständnisproblemen kommen wird, dass „Catalyst“ „Rogue One“ allerdings eine zusätzliche Ebene und größere Figurentiefe verleiht.

Fazit: „Catalyst“ eignet sich wunderbar zur Vorbereitung auf „Rogue One“, sofern man nicht unbedingt Action, Jedi oder allzu viele Rebellen dafür benötigt – Luceno verknüpft gekonnt diverse lose Fäden, füllt Lücken und macht aus Galen Erso und Orson Krennic interessante Figuren, von denen man mehr sehen möchte. Wegen des abrupten Endes und der einen oder anderen Länge im Mittelteil bleibt „Catalyst“ zwar hinter Lucenos besten Werken zurück, gehört aber ansonsten zu den gelungensten Kanonromanen.

Siehe auch:
Labyrinth des Bösen
Darth Plagueis
Tarkin

Doctor Strange

doctorstrange
Story: Bei einem Autounfall werden die Hände des genialen, aber arroganten Chirurgen Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) irreparabel beschädigt, woraufhin er alles und jeden, darunter seine Ex-Freundin Christine (Rachel McAdams), von sich stößt. Schließlich offenbart sich eine letzte Möglichkeit: In Kamar-Taj in Nepal wurde ein ähnlicher Fall erfolgreich behandelt. Also begibt sich Strange auf die lange Reise, nur um schließlich zu lernen, dass es jenseits der profanen Welt, die er bisher bewohnte, noch viele weitere gibt. Von der Ältesten (Tilda Swinton) wird Strange in die Geheimnisse der Magie eingeweiht. Derweil versucht Kaecilius (Mads Mikkelsen), ein ehemaliger Schüler der Ältesten, die böse Macht Dormammu aus ihrer Dimension zur Erde zu holen. So wird Strange in einen mystischen Konflikt hineingezogen, bei dem viel mehr auf dem Spiel steht als nur ein paar Hände…

Kritik: In einer der Schlüsselszenen des Films teilt die Älteste Doctor Strange mit, dass er, um die Magie wirklich meistern zu können, erkennen muss, dass sich nicht alles um ihn dreht. Da ist es schon ziemlich ironisch, dass sich im Film tatsächlich alles um Doctor Strange dreht: Mehr noch als diverse andere Marvel-Helden dominiert der Sorcerer Supreme seinen Film. Einerseits ist das durchaus gerechtfertigt, andererseits schadet das aber einmal mehr den Nebenfiguren. In vielerlei Hinsicht gleicht „Doctor Strange“ dem letztjährigen „Ant-Man“. Der neuste MCU-Film bemüht sich, die Genre-Grenzen zu erweitern, dabei aber gleichzeitig bei der bewährten Formel zu bleiben. Im Klartext bedeutet das: Ein starker Protagonist, eine recht einfache und vorhersehbare Handlung, die vor allem dazu dient, den Protagonisten angemessen in Szene zu setzen, viel Humor und ein schwacher Schurke. Besonders Letzteres ist angesichts eines Darstellers wie Mads Mikkelsen wirklich äußerst schade. Was ich schon an „Ant-Man“ kritisierte, trifft auf „Doctor Strange“ in ähnlichem Maße zu: Held und Schurke haben so gut wie keine persönlichen Konfliktpunkte. In beiden Fällen handelt es sich um einen Konflikt des Mentors, der auf den Protegé lediglich übertragen wird. Auch die Motivation von Kaecilius ist eher dürftig; während diverse Hintergrundmaterialien suggerieren, dass es einen persönlichen, familiären Grund für sein Handeln gibt, wird dies im Film nicht einmal angerissen, die Motivation bleibt sehr theoretisch. Immerhin deutet sich für mein potentielles Sequel Besserung an.

Ganz ähnlich wie Kaecilius ergeht es der von Rachel McAdams gespielten Christine Palmer, deren Rolle als Love Interest sogar noch dürftiger ausfällt als die von Jane Foster (Natalie Portman). Auch das ist ziemlich schade, denn zwischen ihr und Benedict Cumberbatch gibt es durchaus Chemie. Vielleicht wäre es besser gewesen, hätten sich Regisseur Scott Derrickson und seine Mit-Drehbuchautoren John Spaihts und C. Robert Cargill für Clea als Love Interest entschieden. In den Comics ist sie, wie Doctor Strange, eine Schülerin der Magie und als solche hätte sie mehr zur Handlung beitragen können.

Auch strukturell ist „Doctor Strange“ ziemlich konservativ. Das ist durchaus zu verzeihen, aber gerade in diesem Fall hätte eine non-lineare Origin-Story vielleicht besser funktioniert (andererseits ist das bei „Man of Steel“ ziemlich in die Hose gegangen). Mir persönlich ging Stranges Aufstieg zum Sorcerer Supreme ein wenig zu schnell und schnörkellos, er wirkt auch am Ende des Films (im Gegensatz zur Mid-Credits-Scene) nicht so, als hätte er seine Ausbildung wirklich abgeschlossen. Besagte schnörkellose Ausbildung sorgt allerdings auch dafür, dass es Derrickson gelingt, diverse Klischees zu umschiffen, die man sonst in derartigen Filmen antrifft.

Der Humor des Films erweist sich darüber hinaus hin und wieder als zweischneidiges Schwert: Einige Gags sitzen, andere sind etwas zu überdreht und stören eine eigentlich dramatische Szene. Diese deplatzierte Überdrehtheit betrifft nicht ausschließlich den Humor, insgesamt wäre das eine oder andere Mal weniger mehr gewesen. Ein gutes Beispiel ist der Autounfall, der Stranges Handlungsstrang auslöst: Die Szene erinnert ein wenig an die exzessiven Autostunts aus „Blues Brothers“; man fragt sich unweigerlich, wieso nur Stranges Hände irreparabel beschädigt sind. Ein realistischerer Unfall hätte hier weitaus besser und intensiver gewirkt.

Auf der visuellen Ebene dagegen weiß „Doctor Strange“ vollauf zu überzeugen. Man kann sich regelrecht vorstellen, wie Derrickson seinen Effekt-Spezialisten erklärt: „Eigentlich war ‚Inception‘ doch ziemlich konservativ, da geht noch was.“ Selten finden sich derart überzeugende und kreative CGI-Effekte, die auch noch derart gelungen eingesetzt werden. Ich denke, diesbezüglich dürfte „Doctor Strange“ zu einem Referenzfilm werden. Umso negativer erscheinen da die lieblos-sterilen, allzu artifiziellen Welten eines Films wie „Maleficent“. Dass auch Bedendict Cumberbatch in der Rolle des Titelhelden vollauf überzeugt, muss wohl kaum noch zusätzlich erwähnt werden. Ganz allgemein ist der Cast um Tilda Swinton, Mad Mikkelsen und Chiwetel Ejiofor hervorragend, auch wenn er nicht immer sein volles Potential ausspielen kann. Auch Michael Giacchinos Score ist gelungen; er verpasst dem Sorcerer Supreme ein solides Thema und schafft es durch den Einsatz ungewöhnlicher Instrumente, der mystischen Seite des Marvel-Universums einen eigenen Klang zu verleihen. Zugegeben, diesen hätte Giacchino noch etwas stärker hervorheben können, gerade die Actionmusik ist zwar gut, aber doch, mit der einen oder anderen Ausnahme, recht konventionell.

Fazit: „Doctor Strange“ ist vor allem visuell überwältigend und mit Sicherheit einer der kurzweiligsten Marvel-Filme (was schon etwas heißen will), inhaltlich jedoch verhältnismäßig konventionell, was der großartige Cast allerdings ganz gut ausgleicht. Dennoch bleiben Schurke und Love Interest äußerst blass. Auf jeden Fall freue ich mich, dass das MCU nun vollständige in mystische Dimensionen vorgestoßen ist und diese in zukünftigen Filmen hoffentlich noch weiter auslotet.

Trailer

Die Top 10 + 10 Film- und Serienschurken

Die singende Lehrerin hat mal wieder zur Blogparade aufgerufen. Beim Thema „Die besten Schurken in Film und Serie“ kann ich als Fan der Bösen Buben natürlich kaum widerstehen. Zwar habe ich in der Anfangszeit meines Blogs bereits eine derartige Liste konzipiert, diese bestand aber nur aus fünf Filmschurken, insofern ist es, denke ich, mehr als berechtigt, nun die aktualisierte und erweiterte Liste zu präsentieren. Wie so oft gilt auch hier: Die Rangfolge ist nicht in Stein gemeißelt, sie entspricht meiner aktuellen Gemütslage und kann sich schon nächste Woche wieder ändern. Ich habe darüber hinaus versucht, pro Film (bzw. Filmreihe) und Serie nur einen Schurken auszuwählen, aber natürlich musste ich hin und wieder doch ein wenig schummeln, vor allem bei Platz 1 der Filmschurken. Insgesamt finde ich es auch ein wenig traurig, dass es keine einzige Schurkin auf die Film-Liste geschafft hat (das Herz will, was das Herz will), aber dafür ist die Serienliste fast ausgeglichen.

Und nun, schon mal zur Einstimmung, die Runners-up-Liste, völlig unsortiert: Sauron, Darth Maul, Malefiz, Smaug, Thailog, Antonio Salieri, Davy Jones, Hades („Disneys Hercules“), Hector Barbossa, Roose Bolton, Coriolanus Snow, Darth Tyranus, Bellatrix Lestrange, Satan („Im Auftrag des Teufels“), Lex Luthor („Superman: The Animated Series“), Darth Vader, Bane („The Dark Knight Rises“), Ava Lord, Dschafar, Francis Dolarhyde, die Meerhexe Ursula, Imhotep, William Stryker, Mystique, Saruman, Jack the Ripper („From Hell“), David Xanatos, Scar.

Serie

10. Morgan (Eva Green) aus „Camelot“

Die kurzlebige Starz-Serie „Camelot“ war zwar gewiss nicht frei von Fehlern (der größte war Jamie Campbell Bower als Arthur), hat es aber dennoch geschafft, dem allseits bekannten Artus-Mythos die eine oder andere neue Facette abzugewinnen, wobei das Highlight definitiv die Interpretation von Merlin und Morgan war. Letztere gibt im Rahmen dieser Serie eine wirklich grandiose Schurkin ab, was einerseits daran liegt, dass sie ziemlich nachvollziehbar gestaltet ist und mit ihren Ansichten dem modernen Zuschauer oftmals näher ist als die eigentlich guten Figuren (warum sollte nicht eine Frau über England herrschen?), und andererseits, weil sie von Eva Green gespielt wird, was prinzipiell nicht schadet. Schon allein wegen ihrer Interpretation von Morgan lohnt es sich, die Serie anzuschauen.

9. Jim Moriarty (Andrew Scott) aus „Sherlock“

Professor Moriarty gehört zu den großen Widersachern der Literatur und wurde schon vielfach interpretiert. Die Sherlock-Version, ohne akademischen Titel, muss sich definitiv nicht verstecken – in bester Schurkentradition ist er sowohl Spiegel als auch Gegensatz zu seinem heroischen Gegner. Wo Sherlock Holmes ein „Consulting Detective“ ist, ist Moriarty ein „Consulting Criminal“ und wo Sherlock stoisch und kalt erscheint, sich in Wahrheit aber sehr um die Menschen, die ihm am nächsten stehen, sorgt und für sie eintritt, scheint Moriarty übermäßigen emotionalen Ausbrüchen und Stimmungsschwankungen unterworfen, schert sich aber um niemand anderen als sich selbst. Beide Widersacher verbindet allerdings ihre überragende Intelligenz und ihre durchaus ähnliche Weltsicht, denn in vielerlei Hinsicht ist Moriarty das, was Sherlock wäre, besäße er kein Gewissen. Zu all diesen gelungenen Gemeinsamkeiten und Gegensätzen kommt hinzu, dass Andrew Scott beim Spielen der Figur sichtlich Spaß hat, zur großen Freude des Zuschauers.

8. Harley Quinn (Arleen Sorkin) aus „Batman: The Animated Series“

Harley Quinn ist witzig, lebensfroh, hin und wieder ziemlich durchgeknallt und unglaublich tragisch, denn sie hat das Pech, dass sie unsterblich in den Joker verliebt ist. Die Beziehung der beiden hat eine unglaubliche Dynamik, die Tragik rührt daher dass Harley, egal wie sehr die Joker sie misshandelt, doch stets zu ihm zurückkehrt, weil sie von ihm vollkommen besessen ist. Der Joker seinerseits ist oft von ihr genervt oder versucht sogar umzubringen, sollte sie sich aber kurzfristig für jemand anderen interessieren, wird er unglaublich eifersüchtig und besitzergreifend. Ursprünglich begann Harley als relativ unwichtiger Nebencharakter in „Batman: The Animated Series“, weil Bruce Timm und Paul Dini sich dachten, dass es cool wäre, wenn der Joker einen weiblichen Sidekick hätte. Gewissermaßen begann Harley danach aber ein Eigenleben zu entwickeln, sie bekam in Form der Graphic Novel „Mad Love“ (die im Rahmen der Serie auch adaptiert wurde) eine interessante Hintergrundgeschichte und war bei den Fans so beliebt, dass sie schon bald ins reguläre DC-Universum übernommen wurde, von zusätzlichen Auftritten in weiteren Serien (beispielsweise „The Batman“) oder Spielen („Arkham Asylum“ und Sequels) ganz zu schweigen. Und mit Suicide Squad steht bald ihr erster Auftritt in einem Realfilm bevor. Aber es ist die Cartoon-Version, gesprochen von Arlene Sorkin, die Harley definiert hat.

7. Russel Edgington (Denis O’Hare) aus „True Blood“

„True Blood“ wurde ab Staffel 4 deutlich schwächer, Staffel 3 war aber noch wirklich grandios, was zum Großteil dem von Denis O’Hare gespielten Russel Edgington zu verdanken ist. Der gute Russel balanciert auf einem sehr schmalen Grat, er ist unterhaltsam und witzig, aber gleichzeitig bedrohlich und gefährlich, ohne dass das eine das andere aufheben würde. O’Hare gelingt es, den uralten Vampir glaubwürdig und charismatisch darzustellen, und ihm zu allem Überfluss auch noch einen Hauch Tragik zu verleihen, denn man merkt, dass ihm der Verlust seines geliebten Talbot wirklich und aufrichtig zu Herzen geht. Und wer könnte jemals die geniale Fernsehansprache vergessen.

6. Amanda Waller (C. C. H. Pounder) aus „Justice League Unlimited“

Amanda Waller ist so ganz anders als die typischen Superschurkinnen mit Modelfiguren und hautengem Spandex: Sie ist keine gute Kämpferin und übergewichtig, aber trotzdem eine, wenn nicht gar die, gefährlichste Frau des DC-Universums – und dazu noch eine ziemlich komplexe und interessante Figur, gerade in „Justice League Unlimited“. Dort fürchtet sie die wachsende Macht der Justice League, eine Angst, die durchaus berechtigt ist, denn in einem Paralleluniversum machten sich die Mitglieder der Justice League zu den Justice Lords und errichteten eine Diktatur. Waller will die Menschheit vor übermächtigen Superwesen beschützen, diese Aufgabe verfolgt sie allerdings völlig rücksichtslos: Der Zweck heiligt fast jedes Mittel.

5. Wilson Fisk (Vincent D’Onofrio) aus „Daredevil“
Achtung! Das Video stammt aus dem Finale der ersten Staffel von „Daredevil“ und enthält Spoiler.

Ich habe Wilson Fisk, den Kingspin (auch wenn dieser Spitznamen in der ersten Staffel von „Daredevil“ nie benutzt wird) ja bereits ausführlich gelobt. Vincent D’Onofrio spielt Fisk als außergewöhnlich vielschichtigen Widersacher des Titelhelden, als Gangsterboss mit Vision, auf der einen Seite brutal und geplagt von seinem Temperament, auf der anderen Seite schüchtern und unsicher; ein Schurke, von dem ich definitiv mehr sehen will. Glücklicherweise ist Staffel 2 bereits in der Mache.

4. Demona (Marina Sirtis) aus „Gargoyles“

Disneys „Gargoyles“ hat eine ausgezeichnete Schurkenriege, von David Xanatos über Thailog und MacBeth bis hin zu Fox und Oberon, aber Demona ist ohne Zweifel die Krönung. Goliaths ehemalige Geliebte ist ganz ähnlich konzipiert wie Magneto: Aufgrund ihrer tragischen Vergangenheit hat sie gelernt, Menschen zu hassen, mehr als einmal versucht sie, die gesamte Menschheit auszulöschen, wobei ihr der Manhatten-Clan natürlich stets einen Strich durch die Rechnung macht. Tief in ihrem Inneren ist Demona allerdings ein zutiefst einsames Wesen, das sich nach einer verlorenen Liebe sehnt und sich konsequent selbst belügt. Tragisch, getrieben, und wunderbar gesprochen von Marina Sirtis – die perfekte Schurkin für eine der besten Zeichentrickserien.

3. Darkseid (Michael Ironside) aus „Superman: The Animated Series“

Darkseid ist der große Böse des DC-Universums und die (inoffizielle) Vorlage für Thanos (der nette Herr, der in der Mid-Credits-Szene der beiden Avengers-Filme kurz auftaucht). Zwar wurde er schon einige Mal dargestellt, unter anderem in „Smallville“ und dem einen oder anderen Zeichentrickfilm, aber bislang hat mich nur eine Interpretation des finsteren Gottes wirklich zufrieden gestellt: Die von Michael Ironside aus „Superman: The Animated Series“ und den restlichen DCAU-Serien. Allein mit seiner Stimme schafft es Ironside, die Essenz der Figur perfekt einzufangen. Darkseid spricht fast immer ruhig, gelassen und mit absoluter Selbstsicherheit, er ist sich der Tatsache, dass er eines er mächtigsten Wesen des Universums ist, absolut bewusst. Umso furchterregender wird es dann, wenn er einmal wirklich die Stimme erhebt. Darüber hinaus ist er (zumindest im Rahmen des DCAU) der Schurke, der Superman am nachhaltigsten unter die Haut geht, indem er ihm eine Gehirnwäsche verpasst und ihn dazu zwingt, die Erde anzugreifen. Darkseid ist der einzige Schurke, bei dem sich Superman nicht zurückhält und den er tot sehen möchte.

2. Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) aus „Hannibal“

Da gibt es keine Diskussion: Kultivierte Kannibalen geben einfach grandiose Schurken ab. In Bezug auf Hannibal Lecter stellt sich natürlich oft die Frage: Anthony Hopkins oder Mads Mikkelsen? Diese Frage beantworte ich mit einer Gegenfrage: Warum sollte ich mich entscheiden? Mads Mikkelsen Interpretation der Figur ist anders als die von Hopkins, ruhiger, subtiler, aber deswegen keinesfalls weniger gelungen oder fesselnd. Die Serien-Version von Hannibal Lecter ist extrem beherrscht und sehr auf Kontrolle bedacht, spielt jedoch trotzdem (oder gerade deshalb) hervorragend mit allen Menschen, die ihn umgeben.

1. Tywin Lannister (Charles Dance) aus „Game of Thrones“

Ob Tywin Lannister überhaupt ein Schurke ist, ist freileich diskutabel; Charles Dance sieht ihn jedenfalls nicht als solchen, aber immerhin gehört er zu den Figuren, die einem bösen Masterminde in „Game of Thrones“ am nächsten kommen. Joffrey mag ein sadistisches Arschloch sein, aber es ist Lord Tywin, von dem die Gefahr ausgeht, er ist stets die eigentliche Macht hinter dem Eisernen Thron. Ich muss ja zugeben, als ich Tywin in der Serie zum ersten Mal sah, war ich doch ein wenig enttäuscht, denn in den Romanen hat er mit Glatze und Backenbart eine so markante Erscheinung. Schnell stellte ich allerdings fest, dass man für Lord Tywin keinen besseren Schauspieler als Charles Dance hätte finden können. Von den Unterschieden bei Kopf- und Gesichtsbehaarung einmal abgesehen bringt Dance die Figur nämlich perfekt auf den Punkt und hat genau die richtige Ausstrahlung. Schon sein Blick allein reicht, um andere verstummen zu lassen und wenn er spricht, hört man zu. Charles Dance als Lord von Casterly Rock kommandiert eine Präsenz, wie man sie nur selten findet, und das selbst dann noch, wenn Tywin auf dem Klo sitzt.

Filme

10. Frollo (Tony Jay) aus „Der Glöckner von Notre Dame“

Disney-Schurken sind so eine Sache für sich: Sie sind selten vielschichtig, aber doch sehr oft äußerst einprägsam, weil sie auf so glorreiche Weise schurkisch sind und bei vielen von uns die Kindheit dominiert haben. Richter Frollo, gesprochen vom leider verstorbenen, aber grandiosen Tony Jay, ist zwar ebenfalls unheimlich markant, unterscheidet sich aber von vielen anderen Disney-Schurken dadurch, dass er seine Taten tatsächlich zu rechtfertigen versucht, während Dschafar oder Hades sich einfach in ihrer Bosheit suhlen und sich Malefiz sogar zur „Mistress of all evil“ erklärt. Frollo ist für einen Disney-Schurken beängstigend realistisch, denn er besitzt keinerlei magische Kräfte, zettelt dafür aber ein Pogrom an, plant einen Genozid und wird von fleischlicher Lust angetrieben. Hach ja, die magische Welt von Disney…

9. Dracula (Gary Oldman) aus „Bram Stoker’s Dracula“

Über die Jahrzehnte hinweg wurde Dracula bereits von vielen großen (und auch vielen weniger großen) Darstellern verkörpert, von Bela Lugosi über Christopher Lee, Klaus Kinski, Luke Evans, bis hin zu Frank Langella und Jonathan Rhys Meyers, aber meine Lieblingsversion ist eindeutig die von Gary Oldman verkörperte aus „Bram Stoker’s Dracula“. Anders als die meisten Inkarnationen, die vorher kamen, ist Oldmans Graf ein tragisches Monster, aber im Unterschied zur Luke-Evans-Version ist trotzdem nicht völlig heroisiert, sondern tatsächlich eine Bestie. Dass die Figur so funktioniert, ist vor allem Gary Oldmans Wandlungsfähigkeit zu verdanken, der sowohl als tragischer Liebhaber als auch als bösartig lachender Vampirfürst überzeugt. Nebenbei, dieser Dracula hat wohl mit Abstand die meisten unterschiedlichen Erscheinungsformen; alter Mann, junger Mann, Werwolf, Nebel, Fledermausmonster…

8. Hans Landa (Christoph Waltz) aus „Inglourious Basterds“

Landa ist die Rolle, die Christoph Waltz international bekannt gemacht hat und ein Oscar ist auch dabei herausgesprungen – völlig zurecht, denn Hans Landa ist ein grandioser Schurke, der die gängigen Filmnazi-Klischees widerlegt und am Ende sogar die Seiten wechselt (aus reinem Opportunismus, versteht sich). Bis dahin ist er aber rechtschaffen gemein und grausam, deduziert als finstere Version von Sherlock Holmes und macht seine Feinde in vier verschiedenen Sprachen nieder.

7. Loki (Tom Hiddleston) aus „Thor“, „The Avengers“ und „Thor: The Dark World“

Ich mochte Loki als Schurke in der nordischen Mythologie und im Marvel-Universum schon vor dem MCU, was Tom Hiddleston aus der Figur macht, ist allerdings noch einmal eine Klasse für sich. Lange war Loki der mit Abstand beste und beliebteste MCU-Schurke (jedenfalls, bis Wilson Fisk sich zeigte), und das aus gutem Grund. Loki ist nicht nur durchtrieben, seine Handlungen sind auch nachvollziehbar, und darüber hinaus ist er noch so unheimlich unterhaltsam. Hinzu kommt, dass er sich über die Filme konstant weiterentwickelt und bei jedem neuen Auftritt an einem völlig anderen Punkt steht. Ironischerweise gewinnt er in dem Film, in dem er nicht der Hauptschurke ist.

6. Pinhead (Doug Bradley) aus „Hellraiser 1-8“
Achtung, das Video könnte religiöse Gefühle verletzen und ist recht eklig!

Im Horrorfilmbereich gibt es diverse Filmreihen, die jeweils von ihrem Schurken definiert werden und deren Sequels von Film zu Film immer schlechter werden. Freddy Kruger, Michael Myers, Jason Vorhees und Jigsaw sind nur einige davon, aber einer steckt sie meiner Meinung nach alle in die Tasche: Pinhead, der nagelgespickte Priester der Hölle. Obwohl er das Element ist, das alle Hellraiser-Filme zusammenhält, fungiert er dabei nicht einmal per se immer als Schurke – genau genommen tut er das nur in den Teilen 3 und 4. Gerade das macht Pinhead so interessant, wobei Doug Bradley und das ikonische Design ihren Teil ebenfalls beitragen. Über Pinhead habe ich mich bereits sehr ausführlich geäußert.

5. Magneto (Ian McKellen, Michael Fassbender) aus „X-Men 1-3“, „X-Men: First Class“ und „X-Men: Days of Future Past“

Magneto ist nicht nur einer der bekanntesten Comicschurken, sondern auch, wenn er angemessen umgesetzt wird, einer der nachvollziehbarsten: Seine Eltern wurden während des Holocaust getötet, er selbst überlebte, kam aber zu dem Schluss, dass es den Mutanten irgendwann ähnlich ergehen wird wie den Juden im Dritten Reich, weshalb er eine Vormachtsstellung für die Seinen anstrebt. Sowohl Michael Fassbender als auch Ian McKellen spielen den Meister des Magnetismus so grandios und einnehmend, dass ich mich beileibe nicht für einen der beiden entscheiden kann. Egal ob jung oder alt, Magneto ist ein grandioser Schurke.

4. Lord Voldemort (Ralph Fiennes) aus „Harry Potter 4-7.2“

Als literarische Figur hat mich Lord Voldemort von Anfang an fasziniert, was Rowling in „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ dann aber letztendlich aus ihm gemacht hat, fand ich äußerst unbefriedigend. Aus diesem Grund hat Ralph Fiennes Lord Voldemort im Grunde für mich gerettet, denn er gehört zu den Schauspielern, die dafür sorgen, dass auch die schwächsten Dialogzeilen noch funktionieren. Bereits nach der Sichtung von „Harry Potter und der Feuerkelch“ war ich von Fiennes‘ Dunklem Lord begeistert, „Der Orden des Phönix“ hat noch eine Schippe draufgelegt, aber richtig brillant wurde es erst mit den beiden Teilen von „Die Heiligtümer des Todes“: Im ersten sehen wir einen Voldemort auf dem Höhepunkt seiner Macht, im zweiten einen Voldemort, der durch die Zerstörung seiner Horkruxe immer wahnsinniger wird – und beides stellt Fiennes blendend dar. Er schafft es gar, allein durch sein Spiel, Voldemort noch eine tragische Seite abzugewinnen, wo er im Roman nur noch eine flache Parodie seiner selbst war. Hut ab!

3. Hannibal Lecter (Anthony Hopkins) aus „Das Schweigen der Lämmer“, „Hannibal“ und „Roter Drache“

Die andere Version des kultivierten Kannibalen, anders, aber nicht minder gelungen. Für Anthony Hopkins‘ Hannibal Lecter ist seine Zelle (und später Florenz) eine Bühne, er genießt es, seine Gegenspieler psychologisch fertig zu machen und ihnen seine Überlegenheit unter die Nase zu reiben. Anthony Hopkins war es, der die Figur des kannibalischen Psychiaters zur Ikone gemacht hat.

2. Darth Sidious (Ian McDiamird) aus „Star Wars Episode VI und I-III”

In den meisten Schurkenhitlisten ist es Darth Vader, der Star Wars vertritt, doch letztendlich ist er „nur“ ein Handlanger, der eigentliche Vertreter des Bösen in George Lucas‘ Weltraumoper ist der Imperator. Interessanterweise gehört er auch zu den wenigen Figuren, die von den Prequels tatsächlich profitiert haben. War er in „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ vor allem ein relativ typischer böser Overlord, der in erster Linie in seinem Sessel saß, Befehle gab, böse lachte und am Ende Blitz schleuderte, so gewinnt er in den Prequels an Facetten, wir sehen ihn als Charismatiker, politischen Ränkeschmied und Puppenspieler, der galaktische Regierungen zu seinen Marionetten macht und Anakin Skywalker gekonnt zur Dunklen Seite der Macht verführt. Er ist der wahre Dunkle Lord der Sith, und aus diesem Grund benutze ich, wenn ich über ihn spreche oder schreibe, auch seinen Sith-Namen, da „Darth Sidious“den Kern seines Wesens besser trifft als „Palpatine“.

1. Der Joker (Jack Nicholson, Mark Hamill und Heath Ledger) aus „Batman“, „Batman: Mask of the Phantasm“ und „The Dark Knight“

Okay, hier habe ich geschummelt, denn ich liebe alle drei Inkarnationen von Batmans Erzfeind. Streng genommen ist die Mark-Hamill-Version auch kein Film-, sondern ein Serienschurke, aber da er auch in dem Kinofilm „Batman: Mask of the Phantasm“ auftauchte (und ich andernfalls auf Harley Quinn verzichten müsste), wird auch dieser Joker hier integriert. Während sowohl die Jack-Nicholson- als auch die Heath-Ledger-Version – der Todeskünstler und der nihilistische Terrorist – genau auf ihren jeweiligen Film perfekt zugeschnitten sind, ist der Hamill-Joker die genaueste Verkörperung der Comicfigur, die mühelos zwischen dem harmlosen Spaßmacher der 60er und dem mörderischen Psychopathen der Moderne hin- und herwechseln kann und praktisch immer funktioniert. Wenn ich Comics mit dem Joker lese, stelle ich mir dabei Mark Hamills Stimme vor. Nichts desto trotz, alle drei sind wirklich grandiose Schurken, die ihrer Version von Batman jeweils das Leben zur Hölle machen.

Hannibal Staffel 1

hannibal
Und wieder etwas, das schon lange überfällig ist. Warum ich mich der ersten Staffel von „Hannibal“ erst so spät zugewendet habe, ist mir zum Teil selbst ein Rätsel, immerhin bin ich ein Fan des Doktors, die von Anthony Hopkins verkörperte Version hat es immerhin auf Platz 3 meiner Lieblingsschurken geschafft. Da ich sämtliche Thomas-Harris-Romane mit dem kultivierten Kannibalen gelesen und auch sämtliche Filme gesehen habe, lohnt sich natürlich ein ausführlicher und vergleichender Blick darauf, wie die von Bryan Fuller geschaffene Serie sich des Materials annimmt. „Hannibal Rising“ werde ich dabei allerdings großzügig übergehen, ich denke, die Gründe dafür sind eindeutig.

Konzeption und Handlung
Im Grunde erzählt „Hannibal“ erst einmal die Vorgeschichte zu „Roter Drache“: In der ersten Episode wird der Profiler Will Graham (Hugh Dancy) von FBI-Ermittler Jack Crawford (Laurence Fishbourne) in einem Mordfall herangezogen, da Graham über die einzigartige Gabe verfügt, sich in den Kopf von Serienmördern hineinzuversetzen. Da dies Graham allerdings schwer zu schaffen macht, erhält der forensische Psychiater Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) den Auftrag, Will behilflich zu sein und vor allem dessen Geisteszustand zu überwachen. Gemeinsam schnappen sie noch in der ersten Episode ihren ersten Serienkiller, Garrett Jacob Hobbs (Vladimir Jon Cubrt), der auch im Roman „Roter Drache“ am Rande erwähnt wird. Hobbs wird von Graham erschossen und das Ganze könnte der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit zweier außergewöhnlicher Ermittler sein, wäre da nicht die Tatsache, dass Hannibal Lecter ein Kannibale ist, der sein Umfeld mit größter Freude in grausame und potentiell tödliche Psychospiele verwickelt.
In der Tat erinnert „Hannibal“ vor allem zu Beginn stark an die düsterere Version einer Ermittlerserie wie die diversen CSI-Serien, die Folgen scheinen nach Schema F aufgebaut zu sein, pro Folge taucht ein neuer Serienkiller auf, der dingfest gemacht werden muss. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, denn schnell wird klar, dass die Aufklärung des aktuellen Falls aboslut nicht im Zentrum steht, manchmal werden die Serienkiller geradezu sekundär. Es geht viel mehr um die Auswirkungen, die die Serienkiller auf Will haben, und natürlich um die komplizierte Beziehung zwischen Hannibal und Will. Trotz seines frühen Ablebens bleibt Garrett Jacob Hobbs etwa die ganze erste Staffel durch ein wichtiger Faktor, nicht zuletzt wegen seiner Tochter Abigail (Kacey Rohl), die von Will vor ihrem Vater gerettet wird. Somit offenbart sich im Verlauf der ersten Staffel, dass es sich bei „Hannibal“ eher um eine Charakterstudie als „nur“ um eine Krimiserie handelt.
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Jack Crawford (Laurence Fishburne)

Laut Bryan Fuller waren ursprünglich sieben Staffeln für die Serie geplant: Die ersten drei sollten die Vorgeschichte erzählen, die vierte sollte „Roter Drache“ adaptieren, die fünfte „Das Schweigen der Lämmer“, die sechste „Hannibal“ und die siebte sollte das Ganze mit neuem Material abschließen. Inzwischen sind jedoch sechs Staffeln anvisiert, die die Romane anders als bisher geplant adaptieren. Gewisse Freiheiten werden sich dabei gar nicht vermeiden lassen, schon allein deshalb, weil die Serie nicht in den 70ern und 80ern, sondern in den 2010ern spielt und die Handlung dementsprechend angepasst wurde. Neue Figuren sind hinzugekommen und andere wurden stark verändert. Aus Dr. Alan Bloom, einem ziemlich unwichtigen Nebencharakter, wurde beispielsweise Dr. Alana Bloom (Caroline Dhavernas), die nun eine wichtige Hauptrolle spielt. Ebenso wurde der Klatschreporter Freddie Lounds einer Geschlechtsumwandlung unterzogen (in der Serie dargestellt von Lara Jean Chorostecki) und mutierte vom Journalisten einer Boulevardzeitung zur Bloggerin, die eine True-Crime-Website betreibt.
Ich bin auf jeden Fall gespannt, in welcher Form der Inhalt der Bücher letztendlich in die Serie einfließt.

Die Umsetzung
Schon die drei Hannibal-Lecter-Filme mit Anthony Hopkins sind stilistisch und atmosphärisch sehr unterschiedlich. Wenn wir „Manhunter“, die erste Verfilmung von „Roter Drache“ aus dem Jahr 1986 noch miteinbeziehen, haben wir eine ziemlich große Bandbreite verschiedener Stile. Michael Manns „Manhunter“ ist sehr eindeutig ein Film der 80er, er wird dominiert von pseudofuturistischer Architektur, kahlen weißen Wänden, ausgedehnten Stränden und einer sehr interessanten Farbgebung.
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Alana Bloom (Caroline Dhavernas)

Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“ dagegen wirkt geerdeter, dreckiger und hat einen eindeutig gotischen Einschlag. Für „Hannibal“ wollte Ridley Scott eine barocke Blutorgie inszenieren, und egal ob man nun der Meinung ist, dass ihm dies gelungen ist, die Bilder des Films, vor allem die Aufnahmen von Florenz, sind zweifelsohne beeindruckend. „Hannibal“ fühlt sich eindeutig größer an als das eher beengte „Schweigen der Lämmer“. Mit „Roter Dracher“ unternahm Brett Ratner schließlich den Versuch, Elemente aller drei Herangehensweisen in seinen Film zu integrieren, was ihm in meinen Augen erstaunlich gut gelungen ist (von der Hannibal-Lecter-Filmen ist „Roter Drache“ ohnehin mein Favorit, was auch daran liegt, dass Francis Dolarhyde von Ralph Fiennes gespielt wird). Der Anfang des Films erinnert ein wenig an „Hannibal“, während Ratner im restlichen Film versucht, die gotisch-dreckige Atmosphäre von „Das Schweigen der Lämmer“ zu rekonstruieren und zu erweitern. Da er allerdings Dante Spinotti, der bereits bei „Manhunter“ als Kameramann fungierte, anheuerte, finden sich einige visuelle Anspielungen an die erste Verfilmung von „Roter Drache“.
Kommen wir nun zur Serie (die im kommenden Absatz gemeint ist, wenn ich „Hannibal“ schreibe): Gewisse Gemeinsamkeiten zu „Das Schweigen der Lämmer“ und „Roter Drache“ lassen sich nicht leugnen, auch „Hannibal“ bemüht sich um eine sehr düstere Atmosphäre mit Gothic-Elementen, geht dabei aber noch sehr viel weiter als die Filme. Laut Fuller war eine der Grundideen der Serie die Frage, was jemand wie David Lynch wohl mit Hannibal Lecter angestellt hätte. Dementsprechend strotz die Serie nur so vor surrealen, alptraumhaften Visionen. Während die Filme die Wahnsinnigen und die Auswirkungen ihres Wahnsinns zeigten, bemüht sich „Hannibal“, den Wahnsinn selbst darzustellen. Wir sehen nicht, was die Serienkiller tun, wir sehen durch ihre Augen, während sie es tun, wir erfahren genau, wie sie die Welt wahrnehmen, was „Hannibal“ sowohl inhaltlich als auch optisch enorm aufwertet und einen großen Teil der Faszination der Serie ausmacht. Obwohl die Morde an sich schon alles andere als harmlos sind, entfaltet sich der volle Schrecken erst durch diese zusätzliche, wohl durchdachte und grandios gestaltete psychologisch-visuelle Ebene.
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Freddie Lounds (Lara Jean Chorostecki)

Der Rest kommt von den meisterhaft gezeichneten Charakteren und den beeindruckenden Darstellern. Den beiden Hauptakteuren der Serie werde ich mich separat widmen, da es über sie viel zu schreiben gibt. Generell macht aber jeder der Schauspieler seine Sache ausgezeichnet. Laurence Fishburns Jack Crawford ist im Grunde die Rolle, die er ständig spielt, aber Fishburn eignet sich einfach wirklich gut für diese Art von Figur. Ebenso weiß Caroline Dhavernas als Alana Bloom zu überzeugen, und auch die Nebenrollen sind durchweg gelungen besetzt. Lediglich die von Lara Jean Chorostecki dargestellte Freddie Lounds bleibt ziemlich blass, wofür die Schauspielerin allerdings nichts kann.
Ebenfalls sehr gelungen sind die zahlreichen Anspielungen an Thomas Harris‘ Romane und die bisherigen Filme in Form von Zitaten, Kameraeinstellungen, neuen Figuren (Stichwort Dr. Abel Gideon; Eddie Izzards Darstellung erinnert stark an Anthony Hopkins‘ Hannibal Lecter; im Grunde ist die Figur eine wandelnde Anspielung) und Sets – hier wird nichts dem Zufall überlassen. „Hannibal“ spielt hier gekonnt mit den Erwartungen des Publikums, das letztendlich weiß, wie das Ganze enden muss – und dreht sie dann im Finale der ersten Staffel gekonnt um.

Will Graham
will graham
Die Serie mag zwar „Hannibal“ heißen, aber der eigentliche positive Protagonist ist Will Graham. Hugh Dancy ist bereits der dritte, der diese Rolle spielt, und auch hier gilt: In „Manhunter“ und „Roter Drache“ war die Figur, trotz gewisser Gemeinsamkeiten, sehr unterschiedlich konzipiert. Das Besondere an Will Graham ist, dass er sich in den Verstand von Serienmördern hineinversetzen kann. Diese Grundprämisse wird von den beiden Filmen und der Serie allerdings sehr unterschiedlich umgesetzt.
„Roter Drache“ ist hier am konservativsten, Edward Nortons Will Graham hat zwar die spezielle Gabe, die die Figur ausmacht und ist durchaus auch traumatisiert, aber davon abgesehen wirkt er wie ein ziemlich ausgeglichener und normaler Genosse. William Petersons Version der Figur scheint da schon weit weniger ausgeglichen, sein Graham leidet stärker unter seiner Gabe und ist dadurch getriebener, man bekommt den Eindruck, dass mit ihm nicht alles in Ordnung ist. Im Vergleich zu Hugh Dancys Darstellung ist allerdings auch Petersons Graham noch recht normal. Serien-Will weist eindeutig autistische Züge auf und hat sichtlich mit seinen Fähigkeiten und seiner ungewöhnlichen Wahrnehmung zu kämpfen. Über den Verlauf der ersten Staffel hat er (auch dank Hannibal Lecters Einmischung) immer mehr Probleme, zwischen Realität und Alptraum zu unterscheiden. Hugh Dancy stellt alle Aspekte seiner Figur hervorragend dar und ist in meinen Augen der beste, weil interessanteste Will Graham.

Hannibal Lecter
hannibal lecter
Hannibal Lecter gehört fraglos zu den ikonischsten Schurken der Filmgeschichte. Auch hier lassen sich drei sehr verschiedene Darstellungen miteinander vergleichen. Brian Cox hatte in „Manhunter“ freilich nicht allzu viel Gelegenheit, seinen Hannibal Lecktor (man achte auf die falsche Schreibweise) zur vollen Entfaltung zu bringen, da er nur drei Szenen hat (es wird nicht einmal erwähnt, dass er Kannibale ist): Das Gespräch mit Will Graham, das anschließende Herausfinden von Grahams Privatadresse und schließlich noch ein kurzes Telefonat mit Graham zum Schluss des Films. Cox‘ Version der Figur ist vor allem eine schnellsprechende Nervensäge, der es trotzdem gelingt, auf diese Weise in den Kopf seines Gegenübers einzudringen.
Anthony Hopkins ist natürlich der Schauspieler, der primär mit Hannibal Lecter in Verbindung gebracht wird, und seine Herangehensweise an die Figur unterscheidet sich stark von Cox‘ Performance. Für diese Version des Charakters ist seine Zelle quasi eine Bühne, er genießt die Konversation mit den ihm geistig unterlegenen in vollen Zügen – und er genießt es, sie wissen zu lassen, dass er mehr auf dem Kasten hat als sie. Hopkins‘ Hannibal Lecter ist äußerst theatralisch und reizt die gegensätzlichen Seiten seiner Figur voll aus, sei es der Kulturmensch oder das gnadenlose Monster. Dies könnte auch damit zusammenhängen, dass Hopkins-Hannibal sich nur selten verstellen muss, vor allem in „Roter Drache“ und „Das Schweigen der Lämmer“ weiß jeder, mit dem er spricht, dass er ein Massenmörder und Kannibale ist; warum als sich verstellen, statt mit den Leuten zu spielen und sie zu irritieren?
Dieser Aspekt spielt auch bei Mads Mikkelsens Darstellung des Doktors eine wichtige Rolle, da Lecter in „Hannibal“ an einem anderen Punkt in seinem Leben steht: Er ist gezwungen, sich zu verstellen und muss den Anschein erwecken, dem FBI und Will Graham zu helfen, während er sie manipuliert und mit ihnen spielt. Mikkelsens Hannibal ist weitaus subtiler und zurückhaltender als Hopkins‘, weniger offen monströs und auch weniger offen überlegen. Mikkelsen wirkt in der Rolle kühler und beherrschter, wobei ich sehr gespannt darauf bin, wie die Figur sich wohl entwickelt, wenn sie sich in einer ähnlichen Situation befindet wie Hopkins-Lecter.
Letztendlich finde ich alle drei Versionen der Figur äußerst gelungen, alle drei Schauspieler liefern tadellose Arbeit ab. Cox schafft es trotz seiner kurzen Auftritte, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, Hopkins hat die Figur unsterblich gemacht und Mikkelsen schafft es vorzüglich, den Zuschauer einzunehmen. Besonders gelungen ist in meinen Augen, dass es ihm gelingt, den Zuschauer mitunter vergessen zu lassen, dass er hier Hannibal Lecter zusieht, sodass sogar des Öfteren Sympathie entsteht – das liest man zumindest ziemlich häufig. Da ich ohnehin fast immer für die Bösen bin, ist das für mich völlig normal.

Die Musik
Wenn ich die größte Schwäche der Serie nennen müsste, wäre das in meinen Augen wohl die Musik, auch wenn das stark mit meinem persönlichen Geschmack zusammenhängt. Komponist der Serie ist Brian Reitzell, der sich für eine sehr minimalistische Herangehensweise entschieden hat – nur leider mag ich minimalistische Ambience-Scores überhaupt nicht. An manchen Stellen erinnert die Musik ein wenig an den Soundtrack von „Verblendung“, auch wenn Reitzell immer noch ein weitaus besseres dramatisches Gespür hat als das Duo Reznor/Ross.
Unterziehen wir noch kurz die anderen Adaptionen der Harris-Romane einer kurzen, musikalischen Betrachtung. Alle vier Filme haben stilistisch sehr unterschiedliche Soundtracks. Die Musik von „Manhunter“, komponiert von Michel Rubini und The Reds, klingt sehr nach den 80ern und wirkt leider hoffnungslos veraltet. Für „Das Schweigen der Lämmer“ komponierte Howard Shore einen sehr zurückhaltenden, aber nichts desto trotz gut funktionierenden Suspense-Score, der als vom Film getrenntes Hörerlebnis allerdings eher dröge ist. Sowohl Hans Zimmers „Hannibal“ als auch Danny Elfmans „Roter Drache“ konkurrieren für mich um den Titel „Bester Hannibal-Lecter-Soundtrack“. Für Ridley Scotts Film komponierte Zimmer etwas, das zur grandios-barocken Atmosphäre des Films passt und sowohl die Düsternis (durch elektronische Manipulation und schrille Töne) als auch Hannibals kulturelle Seite (durch das Einflechten klassischer Stücke und Stilanleihen bei Johann Sebastian Bach) hervorragende repräsentiert. Der musikalische Höhepunkt des Franchise ist in Form der von Patrick Cassidy komponierten Arie Vide Cor Meum ebenfalls in Scotts „Hannibal“ zu finden.
Elfman schließlich komponierte einen klassischen, recht brutalen Horror-Score im Stile Bernhard Herrmans, dessen dominante Motive allerdings in erster Linie Francis Dolarhyde und nicht Hannibal Lecter repräsentieren.
Um nun wieder zu Reitzells Musik zurückzukehren: Im Grunde versucht die Serie, musikalisch eine ähnliche Dualität zu etablieren, wie Hans Zimmer es tut, nur ist der Erfolg in meinen Augen weitaus geringer. Die klassischen Stücke, die etwa eingespielt werden, wenn Hannibal gerade kocht, funktionieren gut, aber, aber zwischen diesen und Reitzells‘ Suspense-Musik gibt es so gut wie keine Verbindung. Mehr noch, besagte Suspense-Musik besteht vor allem aus repetitiven Klangfiguren und viel Sounddesign. Wie gesagt, das hängt vor allem mit meiner persönliche Vorliebe zusammen, aber ich hätte mir eine (orchestrale) Mischung der Herangehensweisen von Hans Zimmer und Danny Elfman gewünscht, vielleicht von einem Komponisten wie Roque Baños. Allerdings finde ich es toll, dass in der ohnehin schon genialen Finalszene der ersten Staffel das Vide Cor Meum erklingt.

Fazit
„Hannibal“ ist nicht nur eine gelungene Neuinterpretation des hochgebildeten Kannibalen und der anderen Charaktere von Thomas Harris, sondern auch eine eindringliche, enorm spannende und rundum gelungene Thriller/Horror-Serie, die ihresgleichen sucht. Vollste Empfehlung für alle Fans von Hannibal Lecter und all jene, die gute Serienkost schätzen und keinen schwachen Magen haben.