Marco Kreuzpaintners Adaption von „Krabat“ ist nicht die erste filmische Umsetzung von Otfried Preußlers Roman, bereits 1977 erschien ein tschechischer Animationsfilm von Karel Zeman (Originaltitel: „Čarodějův učeň“), der unter Fans des Buchs zumindest meines Wissens nach einen deutlich besseren Ruf hat als die Realverfilmung – die DVD findet sich aber leider nur noch zu relativ hohen Preisen. Da es schon um die 20 Jahre her sein dürfte, dass ich besagten Zeichentrickfilm gesehen habe, wird hier ausschließlich der neuere Film besprochen.
Story und Struktur
Der Film folgt der Story des Romans, nimmt aber in den Details, dem Kontext und der Strukturierung der Geschichte einige massive Änderungen vor. Auch hier wird Krabat (David Kross) vom Meister (Christian Redl) zur Mühle gerufen, wird in die Schwarze Schule eingeführt, lernt das Zaubern, erfährt, dass der Müller pro Jahr einen Burschen opfern muss – in Krabats erstem Jahr seinen Mentor Tonda (Daniel Brühl) – und kann sich am Ende mit der Hilfe seines Mitgesellen Juro (Hanno Koffler) und seiner Liebsten, der Kantorka (Paula Kalenberg) vom Einfluss der dunklen Mächte befreien. Eine der ersten Änderungen, die auffällt, ist die historische Platzierung der Handlung. Während der Roman zur Zeit der Herrschaft August des Starken, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, also am Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts, spielt, wurde die Filmhandlung um einige Jahrzehnte nach vorne in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges versetzt. Das geschah wohl, weil der Dreißigjährige Krieg bei den meisten Zuschauern deutlich präsenter sein dürfte als der Große Türkenkrieg.
Preußlers Roman ist relativ eindeutig dreigeteilt, drei Jahre auf der Mühle, drei „Erzähleinheiten“, die alle relativ gleich lang sind. Ironischerweise verträgt sich diese Struktur allerdings nicht allzu gut mit der klassischen Drei-Akt-Struktur eines Films – dieser Meinung schien zumindest Regisseur Marco Kreuzpaintner zu sein, der zusammen mit Michael Gutmann auch das Drehbuch schrieb. Die drei Jahre werden auf zwei reduziert, wobei der Fokus eindeutig auf dem ersten Jahr liegt, das etwa zwei Drittel des Films ausmacht – wohl auch wegen Daniel Brühl. Die Ereignisse des zweiten Buchjahres werden entweder in das finale Jahr integriert oder komplett ausgelassen – so taucht etwa Witko, der Lehrjunge des zweiten Jahres, überhaupt nicht auf und Michals (Charly Hübner) Tod findet ebenfalls nicht statt.
Darüber hinaus versuchen Kreuzpaintner und Gutmann, den Erzählfluss stringenter zu gestalten. Selbst in den einzelnen Jahren haftet dem Roman mitunter etwas Episodenhaftes an, Krabat erlebt einzelne Abenteuer, die ein großes Ganzes ergeben. Außerdem wird vieles über Dialoge vermittelt. Im Film greifen die Ereignisse stärker ineinander und manches, das bereits vor dem Beginn der Romanhandlung stattfand, wird im Film gezeigt. Das beste Beispiel hierfür ist der Tod von Tondas Geliebter Worschula (Anna Thalbach). Bei Preußler erzählt Tonda Krabat von seiner Liebe zu ihr, dass der Meister ihren Namen erfahren hat und dass das schließlich zu ihrem Tod geführt hat. Der Film hingegen zeigt diese Ereignisse. Prinzipiell ist das nicht die schlechteste Idee und für ein visuelles Medium durchaus angemessen. Das Problem ist, dass das auf äußerst ungelenke Art und Weise geschieht. Im Roman sind die drei Osternächte essentiell für die Entwicklung der Beziehung zwischen Krabat und der Kantorka. In der ersten hört er ihre Stimme zum ersten Mal, ohne sie zu sehen. Außerdem erzählt ihm Tonda von Worschula und wie gefährlich es sein kann, sich als Bursche der schwarzen Mühle zu verlieben. In der Osternacht im zweiten Jahr geht Krabat aus seinem Körper und sieht sie zum ersten Mal und in der dritten wird diese Verbindung praktisch besiegelt. Kreuzpaintner hat allerdings nur zwei Osternächte zur Verfügung, weshalb Tonda aus sich hinausgeht, um Worschula zu besuchen und Krabat mitnimmt, wobei er die Kantorka zum ersten Mal sieht. Diese Abänderung folgt natürlich der filmischen Grundsatzregel „Show, don’t tell“ und ist als solche ganz clever konstruiert, zugleich ist die Angelegenheit allerdings für einen Nicht-Buchleser etwas verwirrend. Darüber hinaus werden Tondas und Krabats Beziehungen zu ihren jeweiligen Geliebten auf eine Art und Weise miteinander verknüpft, die es bei Preußler so nicht gegeben hat. Wirklich schlecht umgesetzt ist hingegen die Entdeckung Worschulas durch den Meister, die mit einer Action-Szene verknüpft ist, die kein Pendant im Roman hat. Soldaten greifen Schwarzkollm an und die Müllerburschen rücken zur Verteidigung aus. Die Inszenierung dieser Action-Szene ist grauenhaft, da Kreuzpaintner offensichtlich der Meinung war, er müsse sich hier den Action-Konventionen der 2000er beugen: Schnelle Schnitte, Shaky Cam und allgemeine Unübersichtlichkeit – „Krabat meets Bourne“ ist keine gute Idee. Selbst der sonst sehr gelungene Score von Annette Focks wird an dieser Stelle mit elektronischen Percussions und Verzerrungen angereichert, die völlig unpassend erscheinen. Zusätzlich hierzu versucht Kreuzpaintner, die Krabat-Beziehung weiterzuentwickeln und Worschulas Schicksal zu besiegeln, quasi alles auf einen Streich. Dementsprechend überfüllt und unausgegoren wirkt die ganze Sequenz.
Die Neustrukturierung hat auch zur Folge, dass das zweite Jahr, das ja die Buch-Jahre 2 und 3 umfasst, ebenfalls sehr gehetzt wirkt. Wo man sich für die Mentor-Beziehung zu Tonda durchaus angemessen Zeit nimmt, bleibt Krabats weiterer Reifeprozess auf der Strecke, alle Lektionen, die er lernt und die Dinge, die er erlebt, werden auf das absolut nötige heruntergebrochen. Kaum ist der erste Jahreswechsel vorbei, schon steht der nächste und damit das Finale an. Es ist selten ein gutes Zeichen, wenn bei einer Adaption zwei Drittel der Vorlage auf ein Drittel herunterreduziert werden.
Figuren und Darsteller
Neben den Änderungen an der Erzählstruktur sind die Anpassungen der Figuren wahrscheinlich die gravierendsten Unterschiede zwischen Roman und Film. Über viele der anderen Änderungen kann man durchaus hinwegsehen: Dass die Zauberei im Film ein wenig effektlastiger und beeindruckender ist, ist durchaus nachvollziehbar – das sind Anpassungen an das visuelle Medium. Die Änderung der Figurendynamik hingegen schadet der Geschichte nicht nur, sie ist auch relativ unnötig. Der Erzähler des Films – Krabat selbst, wie wir am Ende erfahren, allerdings gesprochen von Otto Sander – erklärt bereits zu Beginn, dass es keine Kameradschaft zwischen den Burschen gibt. Da steht in krassem Kontrast zum Roman, in welchem sich die Burschen untereinander im Großen und Ganzen ziemlich gut verstehen und die meiste Zeit über miteinander auskommen. Natürlich gibt es auch Streitigkeiten, diese sind aber kaum vergleichbar mit der Antipathie, die die Müllerburschen einander im Film zum Teil entgegenbringen.
Die Besetzung ist im Großen und Ganzen sehr solide, gerade Christian Redl als Müller und Daniel Brühl als Tonda wissen zu überzeugen – besonders in Letzterem findet man das Roman-Gegenstück am besten wieder. Die Ausnahme hier ist David Kross als Krabat, der für mich einfach nicht in dieser Rolle funktionieren will. Das kann ich gar nicht mal so sehr an bestimmten Details festmachen, ich habe schlicht Probleme, Preußlers Charakter in Kross‘ Darstellung wiederzufinden. Ich denke, es ist vor allem die zurückhaltende Reserviertheit, die dem Film-Pendant fast völlig fehlt.
Auch darüber hinaus wurden bei den einzelnen Figuren einige Änderungen vorgenommen. Der Meister ist im Film beispielsweise deutlich zugänglicher und weniger tyrannisch als im Roman, quasi entgegengesetzt zu den Burschen. Und dann hätten wir noch Juro und Lyschko (Robert Stadlober). Juro wird im Film deutlich negativer gezeichnet als im Roman, weil er nicht nur intelligenter ist, als er zu sein vorgibt, sondern weil er nicht nur Krabat, sondern auch Tonda für seine Zwecke auszunutzen scheint. Es ist der Meister selbst, der Krabat darauf hinweist, aber es lässt sich nicht völlig von der Hand weisen. Dieser Eindruck entstand zumindest für mich bei der Lektüre des Buches nicht. Lyschko, unter den Müllerburschen die mit Abstand negativste Figur, hingegen bekommt so etwas wie einen Redemption-Arc, denn in letzter Konsequenz ist er es, der die Kantorka dazu bewegt, zur Mühle zu kommen und Krabat freizubitten. Dabei bleibt allerdings unklar, ob Lyschko das tatsächlich getan hat, um Krabat zu helfen, oder aus Eigennutz und verletztem Stolz, weil er überhört hat, dass der Meister ihn nicht mag und ihn opfern will. Dieses Hin und Her wirkt lediglich wie eine unnötige Trivialisierung, die Preußlers Geschichte nicht nötig hat.
Fazit: Marco Kreuzpaintners Verfilmung ist in manchen Aspekten zwar durchaus adäquat, gerade in der visuellen Umsetzung und der Atmosphäre, hat aber einige Probleme bezüglich der Erzählstruktur, der Gewichtung bestimmter Ereignisse und einiger Figuren. Viele der Nuancen des Romans gehen verloren – was sich bei einer Filmumsetzung oftmals nicht verhindern lässt, aber wenn diese Nuancen auf Kosten unnötiger Actionszenen oder Handlungsverkomplizierungen verloren gehen, ist das besonders ärgerlich. Kreuzpaintners „Krabat“ ist nicht per se ein schlechter Film, aber auch keine wirklich adäquate Umsetzung des Romans.
Siehe auch:
Art of Adaptation: Krabat Teil I