Stück der Woche: Into the Water


2014 wird für mich immer das Jahr der „agnostischen Bibelfilme“ sein. Obwohl sowohl Darren Aronofskys „Noah“ als auch Ridley Scotts „Exodus: Gods and Kings“ sehr unterschiedliche Filme sind, adaptieren beide zwar biblische Geschichten, versuchen die Umsetzung allerdings so wenig predigend und tatsächlich biblisch wie möglich zu gestalten bzw. entweder die Möglichkeit einzuräumen, es handle sich alles nur um Menschenwerk („Exodus“) oder die mythologischen Inhalte so allgemein darzustellen, wie es geht, ohne eine andere Geschichte zu erzählen („Noah“). Während Clint Mansell für Aronofskys Film einen eher ungewöhnlichen Score komponierte, ist die Musik von „Exodus“ deutlich konventioneller – wie üblich bei Ridley Scott gab es aber einige Probleme. Scott ist bekannt dafür, in Bezug auf Scores schwierig zu sein. Zwei Mal arbeitete er mit Jerry Goldsmith zusammen – bei „Alien“ und bei „Legend“ – und beide Male wurden Teile des Scores ersetzt oder massiv verändert. Bei „Kingdom of Heaven“ reicherte Scott Harry Gregson-Williams‘ Musik mit Stücken von anderen Komponisten, darunter Jerry Goldsmith, Marco Beltrami und Patrick Cassidy an, während Gregson-Williams dann wiederum bei „Prometheus“ in die Bresche springen und Marc Streitenfeld mit einigen Stücken unterstützen musste. Für „Exodus“ wandte sich Scott an den spanischen Komponisten Alberto Iglesias, mit dessen Arbeit er aber wohl ebenfalls nicht ganz zufrieden war, weshalb, zusätzlich zu Federico Jusid, abermals Gregson-Williams hinzu gebeten wurde.

Man fragt sich, weshalb Scott Gregson-Williams nicht gleich für diesen Film anheuerte, denn der Tonfall ist genau seine Kragenweite. Stilistisch passt „Exodus“ hervorragend zu den biblischen bzw. religiösen Scores der 90er und 2000er, sei es Zimmers inhaltlich eng verwandter „The Prince of Egypt“ oder die thematisch passenden Scores von Gregson-Williams, primär „Kingdom of Heaven“ und die auf dem dort etablierten Stil aufbauenden Narnia-Soundtracks. Besonders die Verbindung zu Letzterem wird über den Verlauf von „Exodus“ deutlich, denn das Hauptthema des Films, das man wohl als Moses-Thema, vielleicht auch als Thema für die Aufgabe, die er von Gott erhält, deuten kann, ruft gewisse Narnia-Erinnerungen wach. Im ersten Drittel des Films ist dieses Thema eher spärlich zu hören, wird im Rest aber kontinuierlich aufgebaut. Eines der eindrucksvollsten Statements findet sich im eigentlichen Sujet dieses Artikels, dem Track Into the Water.

Nach einem eher düsteren Streicher-Intro hört erklingt bei der Zwanzig-Sekunden-Marke auch bereits besagtes Thema, zuerst noch in einer zurückhaltenden Variation mit subtilem Choreinsatz und ab 0:48 getragen von den Streichern. Es gewinnt langsam an Kraft, braucht aber bis 2:40, um sich voll zu entfalten. An dieser Stelle kommt der gemischte Chor dazu, um dem ganzen den nötigen religiösen Wumms zu verleihen. Fast schon epische, um nicht zu sagen: biblische Dimensionen erreicht der Track dann bei der Drei-Minuten-Marke. Ähnlich, wie sich Moses von einem Prinzen Ägyptens zu einem Gesandten Gottes entwickelt hat, entwickelt sich auch sein Thema an dieser Stelle, um bei 3:30 endgültig zum Aslan/Königs-Thema aus den Narnia-Filmen zu werden. Was C. S. Lewis wohl zu dieser musikalischen Querverbindung gesagt hätte? Das wirklich ironische daran ist, dass dieser Track anscheinend nicht von Gregson-Williams, sondern von Jusid und Iglesias komponiert wurde, jedenfalls wenn man dieser Auflistung glauben schenken darf. Zufall? Plagiat? Oder doch ein Easter-Egg, das die beiden Komponisten als kleine Hommage an ihren Kollegen eingebaut haben?

Lovecrafts Vermächtnis: The Thing

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Im Grunde ist John Carpenters „The Thing“ aus dem Jahr 1982 ein Vetter von Ridley Scotts „Alien“: Beide Filme gelten als Meilensteine des Sci-Fi-Horror-Genres und beide Filme gelten als die besten Lovecraft-Adaptionen, die nicht direkt auf Lovecraft basieren, aber viel mit „At the Mountains of Madness“ gemein haben. Auf „The Thing“ trifft dies sogar noch in größerem Maße zu, denn Handlungsort von Film und Novelle ist derselbe: Die Antarktis. Während bei Lovecraft ein Forscherteam der Miskatonic University am Südpol nicht nur Berge, die höher als der Everest sind, findet, sondern auch Spuren einer vormenschlichen Zivilisation, ist Carpenter ein wenig bescheidener. Die Forscher um R. J. MacReady (Kurt Russel) beobachten, wie zwei Norweger mit einem Helikopter versuchen, einen Hund zu töten. Einer der Norweger jagt sich mitsamt dem Hubschrauber selbst in die Luft, der andere wird von MacReady schließlich erschossen, um die Sicherheit zu gewährleisten, während der Hund mit in die Station darf. Die Forscher untersuchen auch die Station der Norweger und finden dort eine deformierte Leiche, die sie zur Untersuchung mitnehmen. Beides erweist sich als Fehler, denn sowohl Hund als auch Leichnam mutieren. MacReady und seine Kumpanen müssen feststellen, dass es sich um ein Alien handelt, dass viele Jahrtausende unter dem Eis gefangen war und in der Lage ist, andere Wesen sowohl zu imitieren als auch zu assimilieren.

Schon an dieser Handlungszusammenfassung zeigt sich: Im Grunde ist „The Thing“ eine heruntergebrochene Version von „At the Mountains of Madness“ – die gesamte mythologische Komponente, die bei „Alien“ zumindest noch ansatzweise vorhanden ist, fehlt hier völlig. Dennoch ist es dieselbe Furcht, die sowohl bei Lovecraft als auch bei Carpenter als Katalysator fungiert: Die Furcht vor dem Unbekannten, dem Unverständlichen und Unbeschreiblichen, die kosmischen Horror zumindest mit ausmacht. Das titelgebende „Ding“ ist für die Forscher fremdartig und unverständlich. Ebenso wie die Großen Alten besitzt es das Potential, die Welt auf seine Weise zu zerstören. Mehr noch, zwar kann man das Ding sehen und wahrnehmen, aber seine wahre Gestalt, so es denn überhaupt eine besitzt, zeigt es nie. Ähnlich wie Yog-Sothoth oder Nyarlathotep ist sein Äußeres im konstanten Wandel. Und natürlich erinnert es ein wenig an die als „formlos“ beschriebenen Shoggothen. Übermäßige Splatter-Effekte sind natürlich weniger in Lovecrafts Werken vertreten, passen aber hier, da sie im Dienst der Geschichte stehen und nicht zum Selbstzweck verkommen. Unabhängig davon sind die praktischen Effekte, die hier bei den Metamorphosen des Dings zum Einsatz kommen, nach wie vor äußerst beeindruckend.

Insgesamt ist „The Thing“ ein fast schon nihilistischer Film, der ebenso wenig ein Happy-End zulässt wie die meisten Lovecraft-Geschichten. Auch in der Reaktion der menschlichen Protagonisten findet sich der Schriftsteller aus Providence wieder. Wie Lovecrafts Figuren wachsen und lernen MacReady und Co. nicht. Stattdessen nähern sie sich im Angesicht des Schreckens dem Wahnsinn an. Schon zu Beginn des Films zeigt MacReady einen gewissen Kontrollzwang, der im Verlauf des Films noch stärker wird und schließlich dazu führt, dass er einen unschuldigen, nicht infizierten Kollegen erschießt. Und noch ein weiteres kleines Details hat „The Thing“ mit den meisten Lovecraft-Geschichten gemein: Frauen spielen keine Rolle.

Inwiefern „The Thing“ tatsächlich direkt von Lovecraft beeinflusst wurde, ist jedoch diskutabel. Einerseits gehört „The Thing“ zu einer inoffiziellen Trilogie apokalyptischer Carpenter-Filme, deren spätere Teile deutliche von Lovecraft beeinflusst wurden (der Titel „In the Mouth of Madness“ ist ein sehr eindeutiger Hinweis), andererseits basiert der Film auf der Novelle „Who Goes There?“. Ich habe dieses Werk des amerikanischen Sci-Fi-Autoren John W. Campbell jr. zwar bisher nicht gelesen, aber es handelt sich wohl um eine relativ vorlagengetreue Adaption. Man sollte allerdings auch beachten, dass „Who Goes There?“ nur zwei Jahre nach „At the Mountains of Madness“ erschien…

Fazit: Trotz des Mangels an „mythologischem Grandeur“ ist „The Thing“ definitiv einer der besten kosmischen Horror-Filme und fängt die Atmosphäre einer Lovecraft-Geschichte weitaus besser ein als die meisten direkten Adaptionen, speziell wenn sie von Stuart Gordon kommen.

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Blade Runner 2049 – Ausführliche Rezension

Spoiler nach dem ersten Absatz!
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In einem Zeitraum von gerade einmal zwei Jahren kehrt Harrison Ford zu seinen beiden ikonischen Science-Fiction-Rollen zurück – nach Han Solo ist nun also auch Rick Deckard ein weiterer Auftritt auf der großen Leinwand vergönnt. „Blade Runner“ ist nun freilich ein völlig anderes Biest als das Star-Wars-Franchise. Wo George Lucas‘ Space Opera ein durchbrechender Erfolg war, erlitt Ridley Scotts Film an den Kinokassen erst einmal Schiffbruch und entwickelte sich langsam über die Jahre hinweg zum Kultfilm (nicht zuletzt dank diverser Schnittfassungen, da sich das Studio bei der ursprünglichen Kinofassung eingemischt hatte). Aus diesem Grund erscheint eine Fortsetzung zu „Blade Runner“ aus rein finanzieller Sicht auch ein wenig merkwürdig: Scotts Film ist zwar ein Sci-Fi-Klassiker, hatte aber nie den Mainstream-Reiz von Star Wars. Dementsprechend vorhersehbar ist auch die Reaktion auf „Blade Runner 2049“: Von Kritikern wird er im Großen und Ganzen äußerst positiv bewertet, an den Kinokassen dagegen geht er eher unter und hat es bislang noch nicht einmal geschafft, sein Budget wieder einzuspielen. Deshalb würde ich fast davon ausgehen, dass es sich bei „Blade Runner 2049“ für Sony gezielt um ein Prestige-Projekt handelt, das eine ähnliche Wirkung wie der Vorgänger entfalten soll, denn dass dieser bei der breiten Masse nicht gut ankommen würde, war eigentlich von vornherein klar. Zudem hat man bei Sony dem Regisseur Denis Villeneuve, der mit seinen bisherigen Filmen, darunter „Arrival“ und „Sicario“, im großen Stil Kritiker-Lob einheimste, weitgehend freie Hand gelassen und ihn nicht in die Blockbuster-Schablone gepresst – und das bei einem ziemlich ansehnlichen Budget von 150 Millionen Dollar. Dementsprechend fällt dann auch mein spoilerfreies Urteil aus (nach diesem Absatz nehme ich keine Rücksicht mehr): „Blade Runner 2049“ ist ein hochinteressanter und visuell opulenter, aber auch ein langsamer, ja fast schon behäbiger und zum Teil recht anstrengender Film (im positiven Sinn). Er verlangt eine Öffnung für die philosophische Thematik, mit der er sich auseinandersetzt, sowie Geduld und Sitzfleisch.

Harrison Ford träumt von elektronischen Schafen
Bevor ich mich mit Denis Villeneuves Film beschäftige, noch ein paar Worte zum Vorgänger und seiner Vorlage. „Blade Runner“ basiert lose auf dem 1968 erschienenen Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ von Philip K. Dick, den ich zur Vorbereitung auf den Film als Hörbuch konsumiert habe. Die vierzehn Jahre spätere veröffentlichte Filmadaption von Ridley Scott übernimmt allerdings nur die grobe Handlung und einige Figuren, macht aus der zugrunde liegenden Geschichte aber etwas Eigenes. Sowohl im Film als auch im Roman jagt Rick Deckard in einem dystopischen Los Angeles künstliche Menschen, die illegal auf die Erde gekommen sind. Die Unterschiede fangen allerdings schon bei den Fachbegriffen an. Besagte künstliche Menschen werden im Roman als „Androiden“ bezeichnet, im Film als „Replikanten“, ihre Jäger sind bei Dick „Bounty Hunter“, bei Scott dagegen „Blade Runner“ und die Firma, die die Androiden/Replikanten herstellt, trägt im Roman den Namen „Rosen Corporation“, im Film heißt sie dagegen „Tyrell Corporation“ (dementsprechend heißt Rachael Rosen im Film auch Rachael Tyrell). Neben der Thematik der künstlichen Menschen spielt im Roman darüber hinaus auch die Religion eine wichtige Rolle. In Dicks postapokalyptischem Los Angeles folgen fast alle Menschen den Dogmen des „Mercerism“ (zurückgehend auf den Propheten Wilbur Mercer), einer Religion, die menschliches und tierisches Leben sehr hoch schätzt, aber von Androiden nicht allzu angetan ist. Dementsprechend sind echte Haustiere auch das Statussymbol schlechthin, was Deckard im Verlauf des Romans immer wieder zu schaffen macht, weil er nur ein elektronisches Schaf besitzt (daher auch der Titel). All diese Aspekte spielen im Film keine Rolle. Dafür fehlt im Roman die Ambiguität – Deckard ist hier eindeutig ein Mensch, er ist verheiratet und führt den Test, mit dem festgestellt wird, ob man Android ist, an sich selbst durch.

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Rick Deckard (Harrison Ford) 30 Jahre später

Alles in allem ist der Roman weit gesprächiger und, in Ermangelung eines besseren Wortes, „intellektueller“ als der Film. Die Ideen und Konzepte, Menschlichkeit, Religion, Empathie, Künstlichkeit etc., werden bei Dick sehr ausführlich in Dialogen und inneren Monologen besprochen. Der Film dagegen bemüht sich eher, zumindest einige dieser Konzepte auf visueller und emotionaler Ebene zu vermitteln. Insgesamt ist Buch-Deckard sowohl geschwätziger als auch unsympathischer als sein von Harrison Ford verkörpertes Gegenstück. Besagtes Gegenstück steht dafür mehr im Fokus – „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ zeichnet im größeren Maße das Bild einer zerfallenden Gesellschaft, während „Blade Runner“ persönlicher und intimer ist. Die Neo-Noir-Atmosphäre ist ebenfalls ein Element, das vor allem den Film auszeichnet – allgemein gibt es für die visuelle Opulenz im Roman nur wenige Grundlagen, da Dicks Beschreibungen eher spartanisch ausfallen. Insgesamt muss ich sagen, dass ich sowohl Roman als auch Film eher interessant finde – weder die Vorlage noch die Adaption haben eine tatsächliche Passion in mir hervorgerufen. Gerade „Blade Runner“ ist natürlich auch wegen des Einflusses, den dieser Film auf sein Genre hatte, von großem Interesse. Egal ob „Matrix“ oder die Star-Wars-Prequels (besonders die Verfolgungsjagd in „Angriff der Klonkrieger“), die Ästhetik von Scotts Film ist bei dystopischen Großstadtlandschaften kaum wegzudenken.

Handlung

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Niander Wallace (Jared Leto)

Wir schreiben das Jahr 2049, 30 Jahre sind vergangen, seit Rick Deckard (Harrison Ford) als Blade Runner aktiv war. Die Tyrell Corporation, die für die Herstellung der Replikanten zuständig war, wurde nach einer größeren Katastrophe, Aufständen und einem globalen Stromausfall im Jahre 2022 von Niander Wallace (Jared Leto) übernommen und heißt seither Wallace Corporation, stellt aber nach wie vor Replikanten her, die den „natürlichen Menschen“ als speziell hergestellte Sklaven dienen. Einige der älteren Modelle sind aber nach wie vor auf der Flucht und werden von Blade Runnern zur Strecke gebracht. Der Replikant KD6-3.7, kurz K (Ryan Gosling) gehört dieser neuen Blade-Runner-Generation an. Auf einer Farm liquidiert er den Replikanten Sapper Morton (Dave Bautista), findet dort aber etwas sehr merkwürdiges: Die Knochen einer Replikantin, die im Kindbett starb, was eigentlich unmöglich sein sollte. Im Auftrag seiner Vorgesetzten Lt. Joshi (Robin Wright), die in einem natürlich geborenen Replikanten eine große Gefahr für die allgmeine Stabilität sieht, stellt K weitere Ermittlungen an, die ihn unter anderem auch zum Hauptquartier der Wallace Corporation führen, wo er der Replikantin Luv (Sylvia Hoeks) begegnet, die ihm Informationen über die experimentelle Replikantin Rachael Tyrell (eine rekonstruierte Sean Young) und ihre Verhältnis zu Rick Deckard gibt. Wie sich herausstellt, hat Niander Wallace großes Interesse an einem natürlich geborenen Replikanten, da er in ihm großes Potential sieht, weshalb er Luv befiehlt, sich an Ks Fersen zu heften. In K erhärtet sich derweil aufgrund von merkwürdigen Erinnerungen, von denen er dachte, sie seien künstlich, bis er einen Beweis findet, dass sie echt sind, der Verdacht, er selbst könne der natürlich geborene Replikant sein. Er folgt der Spur weiter und findet schließlich einen gealterten Rick Deckard in Las Vegas. Die Konversation der beiden wird jedoch von Luv unterbrochen, die Deckard mitnimmt und K zum Sterben zurücklässt. Dieser wird allerdings von den Mitgliedern einer Replikanten-Widerstandsgruppe gerettet; von ihnen erfährt er, dass er nicht das Kind von Deckard und Rachael sein kann, da sie eine Tochter hatten. Dennoch macht sich K nun daran Deckard zu befreien, um ihn zu seiner Tochter zu bringen…

Ästhetik und Dramaturgie
Wie schon „Blade Runner“ verfügt auch die Fortsetzung über extrem opulente und beeindruckende Bilder. Dabei gelingt es Villeneuve allerdings, nicht einfach nur die Ästhetik des Vorgängers zu kopieren, sondern auch eine völlig eigenständige Atmosphäre zu kreieren. Einige Einstellungen erinnern natürlich stark an das Original, gerade die Luftaufnahmen des futuristischen Los Angeles, aber „Blade Runner 2049“ verlässt, anders als Ridley Scotts Film, die urbane Landschaft immer mal wieder, sodass es weitaus mehr unterschiedliche Schauplätze gibt. Das ist auch einer der Hauptgründe, weshalb die Fortsetzung weniger klaustrophobisch wirkt als das Original, darüber hinaus wurde die Neo-Noir-Atmsophäre zurückgefahren. Stattdessen sind die verschiedenen Schauplätze stärker von einzelnen Farbfiltern geprägt, was ihnen eine unwirkliche, traumartige Qualität verleiht. Wo „Blade Runner“ ausschließlich dystopisch war, greift Villeneuve die postapokalyptischen Elemente von Dicks Roman auf ästhetischer Ebene wieder auf, wann immer wir zusammen mit K Los Angeles verlassen – die Welt außerhalb der urbanen Enklave ist ein verwüsteter, trostloser und lebensfeindlicher Ort.

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K (Ryan Gosling) und seine virtuelle Freundin Joi (Ana de Armas)

Auch dramaturgische orientiert sich Villeneuve durchaus am Original. Wie Scotts Film ist „Blade Runner 2049“ sehr getragen und sehr langsam. Beide Filme sind nicht wirklich spannend im herkömmlichen Sinn und können den Zuschauer, der nicht für sie bereit ist, mit ihrer behäbigen Art relativ schnell abschrecken. Auf die Fortsetzung trifft das in noch größerem Maße zu, da sie noch einmal deutlich länger ist als selbst der 2008 veröffentlichte Final Cut des Vorgängers. Villeneuve schwelgt regelrecht in den opulenten Bildern und kostet sie voll aus. Wie in Scotts Film sind die Dialoge und Erklärungen eher spärlich gehalten, sodass man als Zuschauer durchaus gefordert ist und nicht alles serviert bekommt. Selbst die abschließende Frage wird noch verhältnismäßig zweideutig beantwortet, ebenso wie die Frage aus dem Vorgänger, ob es sich bei Deckard nun um einen Replikanten handelt oder nicht (nun, zumindest Ridley Scott hat diesbezüglich eine sehr eindeutige Meinung).

Wie schon beim ersten Film ist die eigentliche Handlung relativ simpel und banal, es handelt sich letztendlich um eine sehr ausgedehnte Spurensuche mit erwartbarem Ausgang. Die Art und Weise, wie dieser Plot verarbeitet wird, ist das, was „Blade Runner 2049“ zu etwas Besonderem macht. In einem konventionelleren Sci-Fi-Film wäre die Replikantenverschwörung, auf die K letztendlich stößt, wahrscheinlich ein essentielles Handlungselement. Hier jedoch fungiert sie nur als nötiger Hintergrund und findet kaum mehr Beachtung, nachdem die Anführerin Freysa (Hiam Abbass) die nötige Exposition losgeworden ist. Villeneuve kümmert sich nicht um das Schicksal der Welt, ihn interessieren am Ende nur die Figuren. Die Handlung dient letztendlich vor allem dazu, die Atmosphäre auszukosten und den philosophischen Subtext zu vermitteln – alles andere ist zweitrangig.

Ein richtiger Junge: Von Replikanten und Hologrammen
Wie nicht anders zu erwarten war, setzt „Blade Runner 2049“ die Thematik des Vorgängers fort, kopiert sie aber erfreulicherweise nicht einfach nur, sondern gewinnt ihr neue Facetten ab. Augenscheinlich ist die Situation genau umgekehrt wie im Vorgänger, wo Deckard glaubt, ein Mensch zu sein und es dann Hinweise gibt, dass er ein Replikant ist, was ihn dann wiederum dazu veranlasst, Replikanten anders wahrzunehmen. Hier haben wir einen Replikanten als Protagonisten, der im Verlauf seiner Ermittlungen entdeckt, dass er zumindest „echt“ (also geboren) sein könnte. Damit greift Villeneuves Sequel relativ direkt die Pinocchio-Thematik auf – es gibt sogar eine ziemlich eindeutige Dialoganspielung. Eine weitere literarische Anspielung findet sich bei K selbst, der natürlich auf Franz Kafkas „Der Process“ verweist – auch das wird noch offensichtlicher, als K im Verlauf des Films den Namen Joe annimmt. Außer „Joe K“ selbst gibt es darüber hinaus noch eine ganze Reihe von Figuren, die diese Thematik auf die eine oder andere Weise verkörpert. Da wäre natürlich vor allem Joi (Ana de Armas), Ks holografische Freundin, mit der Villeneuve und sein Drehbuchautoren Hampton Fancher und Michael Green im Grunde das Konzept von „Her“ aufgreifen und weiterdenken. Mehrfach fragt man sich, ob Joi nur ihrer Programmierung folgt oder tatsächlich so etwas wie Liebe für K empfindet.

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Die Replikantin Luv (Sylvia Hoeks)

Am anderen Ende des Spektrums befindet sich der von Jared Leto verkörperte Niander Wallace, der erblindet ist, aber dank diverser elektronischer Verbesserungen sehen kann und somit seinerseits schon ein halber Roboter ist. Und schließlich wäre da noch Ks Gegenspielerin und Gegenstück Luv, die an einen Terminator erinnert. Luv ist vor allem deshalb interessant, weil ihre Motivation nur angedeutet wird. Es scheint, als fühle sie sich sowohl von K, als auch von Rachael und dem geborenen Replikanten bedroht, weil sie sich für das fortschrittlichste Modell hält, dabei aber vollkommen empathielos bleibt. Im Verlauf des Films jagt sie K immer energischer und gnadenloser. Was „Blade Runner 2049“ im Vergleich zum Original allerdings fehlt, ist die Ambiguität bei der Figurenzeichnung. Luv und Wallace sind interessant, aber auch eindeutig böse, anders als etwa der von Rutger Hauer verkörperte Roy Batty im Original, der letztendlich äußerst sympathisch war und eigentlich Recht hatte.

Musik
Ursprünglich sollte Denis Villeneuves Stammkomponist Jóhann Jóhannsson, mit dem er bereits an „Arrival“, „Sicario“ und „Prisoners“ zusammenarbeitete, auch für „Blade Runner 2049“ die Musik schreiben. Allerdings entschieden Villeneuv und das Studio schließlich, dass Jóhannssons Ansatz nicht zu dem passte, was sie erreichen wollten; stattdessen entschloss man sich, stilistisch in stärkerem Maße auf Vangelis‘ ursprünglichen Score zurückzugreifen. In dieser Situation taten sie, was die meisten Regisseure und Studios in dieser Situation tun: Sie wandten sich an Hans Zimmer und Remote Control Productions. Letztendlich komponierten Zimmer selbst sowie Benjamin Wallfisch, der dieses Jahr mit „A Cure for Wellness“ und „ES“ bereits zwei exzellente Horror-Scores ablieferte, für Villeneuve die Musik, wobei wie üblich unklar ist, wer für was verantwortlich ist. Ich persönlich denke, dass Zimmer die Richtung vorgegeben hat, während Wallfisch den Löwenanteil der tatsächlichen Kompositionsarbeit erledigt hat – das ist aber nur eine unbestätigte Vermutung. Wie dem auch sei, leider bleibt „Blade Runner 2049“ weit hinter den beiden erwähnten Wallfisch-Scores zurück. Schon bei „Arrival“ habe ich festgestellt, dass Villeneuves Herangehensweise an Filmmusik mir nicht unbedingt zusagt, und das hat sich hier noch einmal bestätigt. Zudem gehört Vangelis‘ Score für „Blade Runner“ auch nicht unbedingt zu meinen Favoriten. Beide Scores haben durchaus einige Gemeinsamkeiten: Das dominante „Instrument“ ist der Yamaha CS-80 Synthesizer, dieser sorgt für die fast schon ikonischen, getragenen Klänge, die bereits „Blade Runner“ dominierten und auch in „Blade Runner 2049“ zu vernehmen sind. Darüber hinaus funktionieren beide Scores nicht wirklich leitmotivisch, sondern eher als untermalende Klangtapete. Der größte Unterschied ist die Art und Weise, wie besagte Klangtapete in das Gefüge des Films eingearbeitet ist. Vangelis‘ Musik wurde von Ridley Scott sehr behutsam eingesetzt, sie wirkte fast schon wie ein Teil der erzählten Welt des Films, ohne dabei aber zu reinem Sounddesign zu verkommen. Dieser Einsatz der Musik sorgte für die sehr spezielle Stimmung, die „Blade Runner“ ausmachte. Dasselbe lässt sich leider nicht über die Musik von „Blade Runner 2049“ sagen. Hier habe ich dasselbe Problem wie bei „Verblendung“, „Stranger Things“ oder „Dunkirk“: Es gibt kaum etwas, dass die Musik und die einzelnen Szenen miteinander verknüpft, im Grunde ist alles ziemlich austauschbar. Der Score reagiert nicht auf den Film, er spiegelt weder die Handlung wieder, noch sagt er etwas über die Emotionen der Protagonisten aus. Im Grunde gibt es nur zwei Modi: Getragene Synthesizer-Klänge (die aber anders als beim Vorgänger kaum Emotionen ausdrücken; Vangelis setzte, im Gegensatz zu Zimmer und Wallfisch, tatsächlich Melodien ein) und elektronisches Dröhnen, das vage an „Dunkirk“ erinnert und mich mitunter aus dem Film gerissen und ziemlich genervt hat – und das sollte ein Score niemals tun. So gelungen „Blade Runner 2049“ sonst auch ist, der Score ist die Schwachstelle und ich fürchte, dass er letztendlich auf meiner Worts-of-Liste des Jahres 2017 landen wird.

Fazit
Ist „Blade Runner 2049“ ein weiteres Meisterwerk des Science-Fiction-Films? Ich bin mir da ehrlich gesagt noch nicht ganz sicher. In mancher Hinsicht hat er mir durchaus besser gefallen als das Original, das Sequel ist visuell noch beeindruckender, K ist als Protagonist einnehmender und die Bearbeitung der Thematik „künstlicher Mensch vs. echter Mensch“ finde ich ebenfalls gelungener. Zugleich lässt Villeneuvs Film die Ambiguität bei der Figurenzeichnung vermissen, ist, allein aufgrund der Länge, anstrengender und der Score ist auch deutlich schwächer. Ich denke, „Blade Runner 2049“ ist ein Film, der sein volles Potential erst nach mehrmaliger Sichtung entfaltet.

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Siehe auch:
Arrival

Alien: Covenant – Ausführliche Rezension

Enthält Spoiler!
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Mit „Alien: Covenant“, Ridley Scotts drittem Film aus dem Alien-Franchise, haben wir mal wieder ein Werk, das, ähnlich wie „Suicide Squad“ und „Logan“, eine ausführliche Betrachtung rechtfertigt. Es gilt die gleiche Vorgehensweise wie bei diesen beiden Artikeln: Im Folgenden ist mein spoilerfreies Fazit zum Film zu lesen, danach nehme ich keine Rücksicht mehr. Nun denn: Oberflächlich betrachtet ist „Alien: Covenant“ ein spannender Sci-Fi-Horror-Film; Ridley Scott versteht ohne Zweifel sein Handwerk. Die Bilder sind atemberaubend, die Atmosphäre ist exzellent konstruiert, auch dramaturgisch und strukturell gibt es wenig zu meckern. Problematisch wird es allerdings, wenn man die Oberfläche hinter sich lässt und tiefer in die Materie eindringt. Das betrifft sowohl die Figurenzeichnung als auch die mythologische Dimension, was letztendlich dafür sorgt, dass „Alien: Covenant“ weder als Sequel zu „Prometheus“ noch als Prequel zu „Alien“ so richtig funktioniert und vor allem für Fans der ursprünglichen Filme ziemlich frustrierend sein dürfte.

Handlung
Im Jahr 2106, elf Jahre nach den Ereignissen von „Prometheus“, befindet sich das Kolonisationsschiff Covenant, bemannt mit einer Crew aus Pärchen sowie 2000 Kolonisten im Cryoschlaf und 1000 Embryos, auf dem Weg nach Origae-6. Lediglich der Androide Walter (Michael Fassbender) ist wach und sorgt dafür, dass alles klappt. Unglücklicherweise kann er nichts gegen einen Weltraumsturm und die dadurch ausgelöste Neutrinoexplosion tun, die den Captain der Covenant (James Franco in einem kleinen Cameo-Auftritt) das Leben kostet. Somit ruht die Last der Verantwortung auf den Schultern des gläubigen ersten Offiziers Christopher Oram (Billy Crudup), der nun als Captain übernimmt und Daniels Branson (Katherine Waterston), Terraforming-Expertin und Witwe des Verstorbenen, zur neuen ersten Offizieren macht. Noch bevor die Covenant ihre Reise fortsetzen kann, erreicht sie ein merkwürdiges Signal von einem anderen Planeten, der sich sogar noch weitaus besser für die Kolonisation eignet als Origae-6. Oram entscheidet schließlich, das Risiko einzugehen, dem Ruf zu folgen und den Planeten zu erforschen. Er selbst, Branson und neun weitere Besatzungsmitglieder, inklusive Orams Frau Karine (Carmen Ejogo) und des Androiden Walter, begeben sich zur Oberfläche und entdecken eine üppig bewachsene Welt. Schon bald kommt es jedoch zu Unstimmigkeiten: Zwar ist pflanzliches Leben im Übermaß vorhanden, aber kein tierisches. Das Team stößt auf ein abgestürztes Alien-Schiff, auf dem sich Spuren der Prometheus-Expedition finden, was nahelegt, dass ein Mitglied der Besatzung dieses Schiffes für das Signal verantwortlich ist. Unglücklicherweise atmen zwei der Expeditionsteilnehmer merkwürdige Sporen ein, die sie krank machen, bis schließlich eine mörderische, bleiche Kreatur aus ihnen herausbricht und die Crew noch weiter dezimiert. Erst ein merkwürdiger Fremder kann die Aliens vertreiben. Bei diesem Fremden handelt es sich um das letzte Überbleibsel der Prometheus-Expedition, den Androiden David (nochmal Michael Fassbender). David bringt die Überlebenden zu einer mysteriösen Stadt, in der sie vorerst in Sicherheit zu sein scheinen. Doch schon bald müssen Branson und Oram feststellen, dass David und Walter zwar gleich aussehen, aber völlig unterschiedlich ticken…

Sequel vs. Prequel
Die Reaktionen auf „Prometheus“ waren insgesamt eher negativ, was sich dann auch stark in der Konzeption dieser Fortsetzung niederschlug. Es gibt viel, das man an diesem Film zurecht kritisieren kann, einer der Hauptkritikpunkte war im Grunde jedoch der Mangel an Xenomorphs – hier gingen die Vorstellungen von Ridley Scott und die Wünsche der Fans deutlich auseinander. Zwar gab es mit dem Trilobiten und dem Deacon einen Proto-Facehugger und ein Proto-Xenomorph, doch deren Auftritte sind nicht nur sehr kurz, sondern haben auch kaum Auswirkungen auf die eigentliche Handlung und wirken eher wie eine Last-Minute-Entscheidung, nach dem Motto: „Sollte nicht irgendwo in diesem Film ein Alien auftauchen?“ Ridley Scott war wohl viel eher daran interessiert, die Hintergründe des abgestürzten Schiffes zu erläutern und sich mit Themen wie Schöpfer und Schöpfung, Herkunft der Menschheit etc. auseinanderzusetzen.

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Die Konstrukteure in „Alien: Covenant“ (Bildquelle)

„Alien: Covenant“ soll nun eine inhaltliche Brücke zwischen „Prometheus“ und „Alien“ schlagen. Ich bin mir ziemlich sicher (Ridley Scott hat das in Interviews praktisch bestätigt), dass die ursprünglichen Pläne eines Prometheus-Sequels anders ausgehen hätten. Zwar werden die philosophischen Gedankengänge des Vorgängers durchaus fortgesetzt, das Verhältnis zwischen Schöpfer und Schöpfung ist nach wie vor DAS dominante Thema des Films, inhaltlich gibt es aber einen sehr deutlichen Bruch. Der Plot in „Prometheus“ dreht sich um die Konstrukteure, die mysteriösen außerirdischen Schöpfer der Menschheit, die dieser wohl nun den Gar ausmachen wollen; weshalb erklärte der Film aber nicht wirklich. Nicht nur liefert „Covenant“ ebenfalls keine Antwort auf diese Frage, die Konstrukteure werden in einem kurzen Flashback abgehandelt und sind bereits zu Beginn des Films ausgelöscht Natürlich könnte es im Universum anderswo noch mehr von ihnen geben, zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiß man aber nicht mehr; und dann wäre da auch noch der Umstand, dass sich das Design der Covenant-Konstrukteure deutlich von dem der Prometheus-Exemplare unterscheidet. Die Thematik des Films wird jedenfalls fast ausschließlich über David abgehandelt, der sowohl Geschöpf als auch Schöpfer ist (zu ihm später mehr). Ein paar Details, die die Lücke zwischen „Prometheus“ und „Covenant“ immerhin ansatzweise schließen, gibt es im Online-Prolog „The Crossing“, in dem auch Noomi Rapace noch einmal als lebendige Elizabeth Shaw zu sehen ist.

Rein handlungstechnisch sind sich „Alien“, „Prometheus“ und „Alien: Covenant“ ohnehin alle ziemlich ähnlich, der Grundplot ist eigentlich jedes Mal derselbe, wobei „Alien“ ihn am besten ausführt, während die anderen beiden einen komplexeren thematischen Überbau haben, wobei dieser bei „Prometheus“ vielleicht zu sehr im Zentrum steht. „Covenant“ nähert sich „Alien“ vor allem im dritten Akt ziemlich. Abermals haben wir die klassische Situation: Ein Xenomorph ist auf dem Schiff und versucht, nach und nach alles niederzumetzeln, was sich bewegt. Das Problem dabei ist, dass die Prometheus-Sequel-Elemente und die Alien-Prequel-Elemente alle nicht so recht ineinandergreifen wollen, sodass fast der Eindruck entsteht, es würde noch ein kompletter Film zwischen „Prometheus“ und „Covenant“ fehlen.

Figuren und Darsteller
Einer der Gründe, weshalb „Alien“ so gut funktioniert, sind die Figuren, die sich in ihrem Zusammenspiel äußerst authentisch anfühlen und ausgezeichnet miteinander interagieren. Bei „Prometheus“ war das, gelinde gesagt, nicht der Fall. Es ist schon ein bisschen her, dass ich „Prometheus“ gesehen habe, aber ich weiß kaum etwas über die Figuren, und sonst kann ich mir Figurennamen und -konstellationen recht gut merken. Natürlich erinnere ich mich noch an Elizabeth Shaw und David. Da war noch Guy Pearce als Firmengründer von Wayland mit schlechtem Senioren-Make-up, Charlize Theron hat mitgespielt und es gab noch einige nervende Wissenschaftler, von denen einer aussah wie Tom Hardy. „Alien: Covenant“ ist in mancher Hinsicht ein wenig besser, es wirkt immerhin so, als hätten sich die Drehbuchschreiber John Logan und Dante Harper zumindest bemüht, ihre Figuren etwas besser oder doch zumindest weniger nervig zu gestalten, wobei der Umstand, dass wir sie direkt in einer Krise kennenlernen, nicht unbedingt dafür sorgt, dass sie besser im Gedächtnis bleiben. Auch zur Covenant-Crew gibt es einen Prolog, der als Eröffnungsszene des Films vielleicht gar nicht so verkehrt gewesen wäre.

Wie sich im Verlauf des Films leider zeigt, ist die Covenant-Crew nicht unbedingt intelligenter oder kompetenter als die Prometheus-Crew. Dennoch, der gläubige Oram, die mit der Trauer um den Verlust ihres Mannes ringende Branson – das sind zumindest interessante Ansätze, die aber leider kaum ausgeschöpft werden. Die meisten anderen Besatzungsmitglieder der Covenant bleiben profillos und sind vor allem dazu da, um eines äußerst unangenehmen Todes zu sterben (abermals mit einer Ausnahme – wie gesagt, Michael Fassbender als David und Walter wird weiter unten besprochen). Aliens platzen ihnen aus dem Rücken und der Brust, sie werden gefressen oder, besonders heimtückisch, beim Sex unter der Dusche gemeuchelt. Die Leistungen der Schauspieler sind eigentlich durchgehend funktional, aber nicht herausragend. Billy Crudup fand ich in seiner Rolle recht überzeugend, auch Katherine Waterston, die nun schon in ihrem zweiten großen Franchise-Blockbuster mitspielt, ist in Ordnung. Daniels Branson fehlt allerdings die liebenswerte Verschrobenheit, die Waterston in „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ anbringen durfte. Somit bleibt auch die neue Alien-Protagonistin eher auf der funktionalen Seite. So ungern ich diesen Vergleich auch anbringe: Sie kann Ellen Ripley einfach nicht das Wasser reichen.

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Das Xenomorph in „Alien Covenant“: Fast, aber noch nicht ganz (Bildquelle)

Wie setzt man das ikonische Xenomorph am besten ein? Es gibt im Grunde zwei Vorlagen, alle anderen Filme orientieren sich an ihnen oder versuchen, eine Balance zwischen ihnen zu finden. In „Alien“ gibt es eine Kreatur, mit der Ripley Katz und Maus spielt – der Horror dominiert. In „Aliens“ gibt es viele Kreaturen, die in größere Zahl niedergemäht werden, und die Königin, die als Endgegner fungiert – die Action dominiert, das einzelne Xenomorph verliert seinen Schrecken, wenn es im Rudel auftritt und mit großkalibrigen Waffen niedergemäht wird. In „Alien: Covenant“ gibt es zwar mehr als ein Alien, aber Scott orientiert sich doch viel eher an seinem ursprünglichen Film als an James Camerons Sequel. Neben dem klassischen Xenomorph gibt es auch eine neue Variante, das sog. „Neomorph“, das eine ähnliche Körperform wie die ikonische Verwandtschaft aufweist (keine Augen, langgezogener Schädel), aber über keinerlei biomechanische Elemente verfügt, sondern eine glatte, weiße Haut hat. Diese Kreatur, die durch Sporeninfektion entsteht und nicht aus dem Brustkorb, sondern aus dem Rücken hervorbricht, soll den Zuschauer wohl über Wasser halten, bis im dritten Akt das tatsächliche Xenomorph auftaucht – oder zumindest ein sehr naher Vorgänger. Es gibt ein paar Designunterschiede, die Kreatur ist noch nicht ganz das Wesen, mit dem sich Ripley ein paar Jahrzehnte später herumärgern muss, aber es ist doch schon sehr nahe dran. Aufgrund des technischen Fortschritts kann Scott es sich erlauben, sehr viel mehr mit dem Xenomorph anzustellen als 1979 – damals musste er das Alien sehr sparsam einsetzen, da es sich um Schauspieler im Anzug handelte. Zu viel oder die falsche Belichtung konnte die Illusion und den Horror nachhaltig zerstören, weshalb das Alien meistens im Dunklen auftauchte oder bestenfalls teilweise oder ungenau zu sehen war. Anders die Aliens in „Covenant“. Immerhin verließ sich Scott nicht ausschließlich auf CGI und Motion Capture, sondern ließ tatsächlich auch Darsteller in Anzügen aufmarschieren.

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Ein Neomorph beim Frühstück (Bildquelle)

Was „Alien: Covenant“ für einen Hardcore-Fan des Franchise allerdings den Rücken brechen dürfte, ist nicht der eigentliche Einsatz der Xenomorphs, sondern der Umstand, dass Scott hier tatsächlich zeigt, woher die ikonischen Kreaturen kommen: David war’s. Ich selbst betrachte mich bestenfalls als „Casual Fan“ der Alien-Filme, aber auch ich finde es doch relativ banal, dass ein abtrünniger Androide letztendlich für die Erschaffung des Xenomorph verantwortlich ist. Die Frage ist nun, ob „Alien: Covenant“ diesbezüglich tatsächlich das letzte Wort ist, denn einerseits bleiben noch eine ganze Menge Fragen offen und anderseits ist da das Relief im Konstrukteur-Schiff in „Prometheus“, das einen Xenomorph zeigt, lange bevor diese laut „Covenant“ von David erschaffen werden. Wie ich an anderer Stelle bereits schrieb: „Alien“ ist gerade deshalb so wirkungsvoll, auch als Kosmische Horrorgeschichte, weil es eben rätselhaft bleibt, woher diese Kreatur kommt.

Paradise Lost
Kommen wir nun zur mit Abstand interessantesten Figur nicht nur dieses Films, sondern auch des Vorgängers. Durch „Prometheus“ bekam das Alien-Franchise eine mythologische Dimension, die bis dahin fehlte oder bestenfalls in subtilen Andeutungen vorhanden war. Schon der Titel, obwohl er sich oberflächlich betrachtet auf das Schiff bezieht, das die Wissenschaftler nach LV-223 bringt, verweist auf die griechische Mythologie und den Titanen Prometheus, der den Menschen das Feuer bringt (und sie in manchen Versionen sogar erschaffen hat) und dafür von Zeus bestraft wird. Wie bereits erwähnt ist die Schöpfer/Schöpfung-Thematik in „Prometheus“ dominant: Die Konstrukteure erschaffen die Menschen, die Menschen erschaffen Androiden und alle drei erschaffen durch Zufälle, böse Absichten und den unvorsichtigen Umgang mit einer schwarzen Flüssigkeit diverse Monstrositäten. „Alien: Covenant“ greift die Thematik auf, bewegt sich aber in eine andere mythologische Richtung, dieses Mal mit christlichen Implikationen. Ursprünglich sollte „Covenant“ den Titel „Paradise Lost“ tragen, bevor sich Ridley Scott (oder die Studioverantwortlichen) dafür entschieden, abermals den Namen des Schiffs, das die Protagonisten zu den Aliens bringt, zu verwenden. Auch „Covenant“ verweist auf christliche bzw. jüdische Mythologie, damit ist das Abkommen zwischen Gott und dem Volk Israel gemeint, das mit der Bundeslade („Ark of the Covenant“) besiegelt wird. Ich persönlich denke allerdings, dass „Paradise Lost“ tatsächlich der passendere Titel ist, da er inhaltlich und thematisch weitaus besser zum Endprodukt passt. Zum Einen landen die Kolonisten tatsächlich in einem verlorenen Paradies, nämlich der nun leeren Heimatwelt der Konstrukteure (viele Rezensenten haben offenbar nicht ganz verstanden, dass der Planet aus „Covenant“ nicht LV-223 ist) und zum Anderen liefert der Verweis auf John Miltons berühmtes Gedicht mit demselben Namen einen Interpretationsschlüssel. David ist praktisch Satan, der gegen seine Schöpfer rebelliert. Zuerst vernichtet er die Schöpfer seiner Schöpfer, um anschließend selbst schöpferisch tätig zu werden und den perfekten Organismus zu kreieren. Definitiv eine interessante Entwicklung, besonders für einen Androiden. David bekommt mit Walter ein Gegenstück, das optimiert wurde, indem es weniger menschliche und somit auch weniger selbstständig ist. Besonders die Interaktion der beiden identischen Androiden ist faszinierend (und zeigt, was für ein grandioser Schauspieler Michael Fassbender ist), auch wenn der folgende Austausch (David gibt sich als Walter aus) nicht nur vorhersehbar, sondern auch etwas unmotiviert ist und Logiklöcher oder zumindest Klärungsbedarf hinterlässt. Apropos: Davids Motivation für die ganzen genetischen Experimente, ebenso wie das damit zusammenhängende Endziel, bleibt auch etwas nebulös. Frustration mit seinen eigenen Schöpfern ist die offensichtlichste Möglichkeit, es könnte aber auch mit schierer Langeweile zusammenhängen. Insgesamt bleibt in Bezug auf David vieles nach wie vor unklar, auch was seine Beziehung zu Elizabeth Shaw angeht: Hat er sie wirklich selbst getötet? Und gibt es eine definitive, überzeugende Antwort auf die unzähligen offenen Fragen oder sind die Autoren einfach nur faul und schlampig?

Die beiden Szenen des Films, die mir persönlich am besten gefallen haben, waren die Anfangs- und die Schlussszene, weil sie einen schönen Rahmen bilden und der mythologischen Komponente des Films noch eine zusätzliche Ebene verleihen. Am Anfang sehen wir, wie sich Peter Wayland, gespielt von Guy Pearce ohne schlechte Seniorenmaske, mit einem frisch geschaffenen David über die Schöpferthematik unterhält. Dabei spielt David ein Stück von Richard Wagner, Einzug der Götter in Walhall aus dem „Rheingold“ auf dem Klavier. Dieses Stück kehrt in der Schlussszene zurück, als sich David mit den Kolonisten im Cryoschlaf, den menschlichen Embryos sowie zwei Facehugger-Embryos zum eigentlichen Ziel der Mission, Origae-6, begibt. Hierdurch wird nach der griechischen und der jüdisch-christlichen nun auch die nordisch-germanische Mythologie miteinbezogen, wenn auch nur sehr implizit. Vielleicht handelt es sich um eine Vorausdeutung auf die Thematik des geplanten Sequels von „Alien: Covenant“.

Der Score
Ursprünglich sollte Harry Gregson-Williams, der bereits ein Thema zu „Prometheus“ beisteuerte, den Score für „Alien: Covenant“ komponieren, er wurde dann allerdings kurzfristig durch Jed Kurzel ersetzt. Nach seinem katastrophalen Score zur Spieleadaption „Assassin’s Creed“ hatte ich da ziemliche Bedenken, aber für „Alien: Covenant“ hat Kurzel eine sehr kompetente Arbeit abgeliefert. Die bisherigen Scores des Alien-Franchise waren alle sehr eigenständig und individuell – das gilt in besonderem Maße für die beiden Sequel-Scores von James Horner und Elliot Goldenthal, die nur wenig oder keinen Bezug zu Goldsmiths Arbeit haben. Kurzel dagegen orientiert sich sehr stark am Alien-Score, sowohl das Hauptthema als auch das alternierende Zeit-Motiv, dessen sich auch Horner bediente, werden in „Covenant“ ausgiebig verwendet. Stilistisch verhält es sich ähnlich, die oft dissonante Suspense-Musik steht definitiv in der Tradition des ersten Alien-Scores. Erfreulicherweise vergisst Kurzel „Prometheus“ nicht und arbeitet Gregson-Williams‘ Life-Thema in den Score ein. Insgesamt ist die Musik von „Alien: Covenant“ zwar nicht so frisch und innovativ, wie es andere Soundtracks der Reihe waren, weiß aber durch die clevere Verarbeitung der Themen von Goldsmith und Gregson-Williams zu gefallen.

Fazit
Oberflächlich betrachtet liefert „Alien: Covenant“ das, was vielen Fans des Franchise in „Prometheus“ zu fehlen schien: Horror, Blut, Suspense und natürlich Xenomorphs, die Menschen metzeln. Unter eingehender Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass Scott abermals mit denselben Problemen ringt wie beim Vorgänger: Über die philosophischen und thematischen Ambitionen vergessen Regisseur und Autoren, die Charaktere interessant und erinnerungswürdig und den Plot kohärent und logisch zu gestalten. Mehr noch, ihnen entgeht, was das Franchise für viele ursprünglich so anziehend gemacht hat: Das Mysterium. Während die Fragen nach Schöpfer, Schöpfung und Herkunft definitiv interessant sind, gelingt es Scott nicht, diese angemessen zu bearbeiten. Indem er die ikonischen Aliens mehr oder weniger zu einem Nebenprodukt der Ambitionen eines satanischen Androiden macht, banalisiert er diese ikonischen Filmmonster. Ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass die meisten Liebhaber des Xenomorph lieber die abgesagte Fortsetzung der ursprünglichen Filme von Neill Blomkamp als ein entmystifizierendes Prequel gesehen hätten.

Trailer
Titelbildquelle

Siehe auch:
Lovecrafts Vermächtnis: Das Alien-Franchise

 

Lovecrafts Vermächtnis: Das Alien-Franchise

In dieser Woche startete der neue Alien-Film, bei dem es sich, je nach Zählweise, um den fünften (mit dem Wort „Alien“ im Titel), sechsten (unter Einbeziehung von „Prometheus“) oder achten (wenn man die beiden AvP-Filme mitrechnet) Film des Franchise handelt. Die Zeit ist also ideal, um die Wurzeln und Inspirationen dieser Filmreihe ein wenig zu beleuchten. Wenn es eine Person gibt, die auf diese Filmserie einen massiven Einfluss hatte, ohne direkt an der Produktion beteiligt zu sein, dann ist es H. P. Lovecraft. Das beginnt schon bei der Inspiration. Das Design des ikonischen titelgebenden Aliens, unter Fans vor allem als Xenomorph bekannt, stammt vom schweizer Künstler H. R. Giger (leider bereits 2014 verstorben). Regisseur Ridley Scott wurde durch ein Kompendium auf Gigers alptraumhafte biomechanische Werke aufmerksam, das den Namen „Necronomicon“ trägt. Das ist selbstverständlich nicht das einzige Element, das auf Lovecraft verweist. Vor allem in drei Filmen des Franchise ist Lovecrafts Vermächtnis sehr deutlich zu spüren: „Alien“, „Alien vs. Predator“ und „Prometheus“, weshalb diese im Fokus dieses Artikels stehen.

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H. R. Gigers Meisterwerk: Das Xenomorph (Bildquelle)

Natürlich ist weder „Alien“, noch eine der Fortsetzungen eine wirkliche Adaption von Lovecrafts Werken, der Einfluss kann aber kaum geleugnet werden. „At the Mountains of Madness“ ist hierbei das zentrale Werk des Schriftstellers aus Providence. Diese 1931 verfasste und 1936 erschienene Novelle ist eines von Lovecrafts längsten und einflussreichsten Werken und handelt von einer Antarktis-Expedition der Miskatonic-Universität, in deren Verlauf die Forscher eine Bergkette entdecken, deren Gipfel höher sind als der Mount Everest. Das ist allerdings noch der geringste Fund. Viel interessanter sind die Spuren einer uralten, nichtmenschlichen Zivilisation, der sogenannten „Alten Wesen“ („Elder Things“), die vor Millionen Jahren auf der Erde lebten und der Menschheit nicht nur weit überlegen waren, sondern diese vielleicht sogar geschaffen haben. In jedem Fall haben besagte Alte Wesen noch anderes geschaffen, in ihren Ruinen finden sich weitere Überreste ihrer biologischen Künste. Die Shoggothen wurden ursprünglich als Sklaven gezüchtet, lehnten sich jedoch gegen ihre Herren auf. Wie üblich bei Lovecraft rührt der eigentliche Horror jedoch nicht von den monströsen Shoggothen her, sondern von den Implikationen und der kosmischen Insignifikanz der Menschheit.

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Ein Shoggoth (Bildquelle)

„Alien“ übernimmt vor allem die Atmosphäre der Geschichte, zusätzlich zu einigen Handlungselementen. Zwar handelt es sich nicht Forscher, sondern um Weltraum-Trucker, die auf die Überreste einer uralten Zivilisation stoßen, aber wie in „At the Mountains of Madness“ finden sich auch in dem Raumschiffwrack, auf das die Crew der Nostromo stößt, biologische Spuren. Der Aspekt des Kosmischen Horrors ist in „Alien“ nicht ganz so dominant wie in „At the Mountains of Madness“, der Fokus liegt stärker auf Spannung und der Vergewaltigungsmetapher, die der Lebenszyklus und das Design des Xenomorph verkörpern. Dennoch sind die Aspekte des Kosmizismus vorhanden, Hoffnungslosigkeit, Fremdartigkeit und natürlich die Frage, in welcher Beziehung das Xenomorph zu dem Wrack steht, in welchem die Eier gefunden wurden. Spätere Filme, Romane und Comics des Franchise haben natürlich versucht, diesen Fragen nachzugehen, doch gerade wenn man „Alien“ als für sich alleinstehend betrachtet, machen diese vagen Andeutungen, die ohne Antwort bleiben, einen Großteil des Kosmischen Horrors dieses Films aus. In „Alien“ gibt es am Ende nur Ellen Ripley (Sigourney Weaver) und die Kreatur, die ebenso tödlich wie rätselhaft bleibt.

James Camerons „Aliens“ ist eine exzellente Fortsetzung und ein Klassiker des Sci-Fi-Action-Genres, den Horror des ersten Teils vermisst man allerdings, speziell den Kosmischen Horror. In „Alien“ was das Xenomorph eine fast unaufhaltsame und fast unkaputtbare Macht, gegen die es kaum eine Verteidigung gab. In „Aliens“ dagegen werden die Xenomorphs im Dutzend niedergemäht, was diese Wahrnehmung gründlich zunichte macht. Ähnlich verhält es sich mit den beiden folgenden Sequels, denen es allerdings nicht nur an Kosmischem Horror, sondern auch an allgemeiner Qualität mangelt. Mit „Alien 3“ wollte Fincher zwar tatsächlich zu den Horror-Aspekten des ersten Teils zurückkehren, aber es handelt sich dabei eher um persönlichen, figurenzentrierten Horror. Bekanntermaßen war Dreh des Films vor allem für Fincher ein persönlicher Horror. „Alien: Die Wiedergeburt“ schließlich ist ein völliges Desaster.

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Die Predator-Spezies als antiker Zivilisationsbringer (Bildquelle)

Lovecrafts Einfluss wird erst wieder in Paul W. S. Andersons „Alien vs. Predator“ deutlicher. Dieses Crossover zweier Sci-Fi-Ikonen hat keinen allzu guten Ruf. Während es qualitativ doch recht weit von den ersten beiden Filmen des Franchise entfernt ist, ist es in meinen Augen gar nicht so übel, wenn man seine Erwartungen etwas herunterschraubt. Inhaltlich ist „Alien vs. Predator“ sogar noch näher an „At the Mountains of Madness“, denn die Handlung beinhaltet tatsächlich eine Antarktisexpedition. Wissenschaftler entdecken unter dem Eis eine prähistorische Pyramide, weshalb ein Team ausgeschickt wird, um diese Pyramide zu erforschen. Ähnlich wie in „At the Mountains of Madness“ stellt sich heraus, dass es sich um die Überbleibsel einer außerirdischen Zivilisation handelt – in diesem Fall der Predator-Spezies, die die Xenomorphs züchtet, um sie als Initiationsritus für ihre Jäger zu verwenden. Handlungstechnisch ist Andersons Crossover-Film also relativ nah an Lovecraft, aber nicht atmosphärisch oder philosophische. Kosmischer Horror ist in Ansätzen bzw. im Konzept vorhanden, gerade im ersten Akt herrscht durchaus noch eine Lovecraft’sche Stimmung, aber ähnlich wie „Aliens“ ist „Alien vs. Predator“ letztendlich weniger Horror als vielmehr Action. Die Klopperei zwischen den beiden Sci-Fi-Ikonen und mehr noch die aufkeimende Freundschaft zwischen dem Predator Scar (Ian Whyte) und der menschlichen Protagonistin Alexa Woods (Sanaa Lathan) verhindert letztendlich, dass im zweiten und dritten Akt wirklich Lovecraft’sches Feeling aufkommt.

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Das fremdartige Schiff der Konstrukteure (Bildquelle)

Und schließlich und endlich hätten wir da noch „Prometheus“, das nicht-so-ganz-Prequel zu „Alien“, das weniger die Herkunft der Xenomorph-Spezies erklärt (diese wird eher nebenbei kurz angeschnitten), sondern sich mit dem abgestürzten Raumschiff beschäftigt, in dessen Innerem die Xenomorph-Eier im ersten Alien-Film gefunden werden. Auf ein solches Schiff stößt die Crew des Forschungsschiffs Prometheus. Die Wissenschaftler dieser Crew suchen nach dem Ursprung des irdischen Lebens und sind einer auf der Erde gefundenen Sternenkarte gefolgt, die sie zu dem Mond LV-223 führt, auf dem sie besagtes Schiff finden (es handelt sich dabei nicht um dasselbe Schiff wie in „Alien“, dieses wird auf dem Planetoiden LV-426 gefunden). Tatsächlich stoßen sie auf einen noch lebenden Piloten, dessen Spezies wohl die für die Erschaffung der Menschheit verantwortlich ist. Unglücklicherweise scheint dieser „Konstrukteur“ nicht allzu viel von den Menschen zu halten, was biomechanisches, höchst mörderisches Chaos zur Folge hat. Ridley Scotts Rückkehr zum Alien-Franchise ist interessant, aber auch höchst umstritten. Diverse inhaltliche Probleme lassen sich kaum wegdiskutieren; vor allem die Figurenzeichnung ist ziemlich unterirdisch, lediglich der von Michael Fassbender verkörperte Androide David ist interessant. „Prometheus“ stellt jedoch nicht nur sehr interessante Fragen zu Göttlichkeit und der Herkunft der Menschen, sondern ist „At Mountains of Madness“ vor allem philosophisch noch näher als „Alien“ und „Alien vs. Predator“. Mehr noch als diese beiden Filme bedient sich „Prometheus“ des Kosmischen Horrors. Wie bei Lovecraft ist die Menschheit ein Produkt außerirdischer Wesen, die ihrer Schöpfung nicht unbedingt wohlgesonnen sind und zu allem Überfluss sehr unangenehme biologische Spuren hinterlassen haben, um die Menschheit auszulöschen. Mehr noch, der Trilobit, eine Art übergroßer Proto-Facehugger, erinnert sogar entfernt an einen Shoggothen, und eine gewisse Ähnlichkeit zu Cthulhu ist ebenfalls vorhanden.

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Der letzte Konstrukteur ringt mit dem Trilobiten (Bildquelle)

Diese Ähnlichkeit zwischen „At the Mountains of Madness“ und „Prometheus“ hatte sogar sehr direkte Auswirkungen. Guillermo del Toro plante lange, Lovecrafts Novelle zu verfilmen. Als diese Verfilmung schließlich abgesagt wurde, war die Ähnlichkeit zwischen Scotts Film und „At the Mountains of Madness“ einer der angegebenen Gründe. Inzwischen ist die Wahrscheinlichkeit, dass eines von Lovecrafts Werken in diesem Stil für die große Leinwand umgesetzt wird, sehr gering. Bis dahin sind die Filme des Alien-Franchise, speziell die drei hier besprochenen, wohl das, was einer Verfilmung von „At the Mountains of Madness“ am nächsten kommt. Man muss nehmen, was man bekommt.

Lovecrafts Vermächtnis:
Der Cthulhu-Mythos
Nathaniel
Dagon
Die Opferung

Top 10 Scores von Hans Zimmer

Hans Zimmer ist der gegenwärtig einflussreichste und, in Filmmusikfankreisen, wohl auch der polarisierendste Komponist. Sein Stil und seine Art, Filme zu vertonen, haben die Industrie nachhaltig geprägt. Hier auf meinem Blog kommt Zimmer meistens nicht allzu gut weg. Das liegt zum einen an seiner Herangehensweise an Projekte und dem Wandel seiner Methodologie, aber auch natürlich an meinem persönlichen Musikgeschmack. Um Kritik an diesem Komponisten und seinem Werk soll es dieses Mal aber nicht gehen, dazu habe ich vor einiger Zeit schon einen ausführlichen Artikel verfasst, der nach wie vor Gültigkeit besitzt. Nein, heute werde ich ergründen, WARUM ich mit Zimmer so hart ins Gericht gehe, und zwar in Form einer Top-10-Liste. Denn wenn er will kann Zimmer wirklich grandios sein – und genau deshalb hat mich sein Output der letzten Jahre so sehr enttäuscht.

Kommen wir zu den Parametern dieser Liste. Da Zimmer bei vielen Scores einen Team-Ansatz verfolgt, ist es oftmals sehr schwierig auszumachen, wie viel er bei einzelnen Scores tatsächlich komponiert hat: Ist er wirklich für den Großteil des Materials verantwortlich, oder hat er nur ein, zwei Themen geschrieben und die ungefähre Richtung bestimmt? Ausschlaggebend ist für diese Liste letztendlich ein ganz simpler Fakt: Steht sein Name auf dem Cover? Wenn ja, dann ist der Score wählbar. Da die meisten Zimmer-Scores ohnehin Kollaborationen sind, stört mich ein weiterer Name auf dem Cover allerdings nicht. Und letztendlich habe ich beschlossen, keine ganzen Filmreihen aufzunehmen, sondern lediglich einzelne Scores bzw. Alben. Wie üblich gilt: Diese Liste repräsentiert nur meinen persönlichen Geschmack und ist eher eine Momentaufnahme; je nach Gemütslage können die Platzierungen, mit Ausnahme von 1 und 2, durchaus anders ausfallen

Bevor wir zu den Platzierungen kommen, hier noch die Honourable Mentions, in keiner bestimmten Reihenfolge: „Pirates of the Caribbean: Dead Man’s Chest“, „Rush“, „The Lone Ranger“, „Crimson Tide“, „Hannibal“, „The Power of One“, „Kung Fu Panda 1 & 3“

Platz 10: The Da Vinci Code: Sakrileg

Ähnlich wie Zimmers Score für Ridley Scotts „Hannibal“ gehört auch die Musik dieser Dan-Brown-Verfilmung zu den Werken des deutschstämmigen Komponisten, die sehr klassisch angehaucht sind. Obwohl Zimmer keineswegs auf synthetische Unterstützung verzichtet, erinnert der Score von „The Da Vinci Code“ des Öfteren an die Werke Johann Sebastian Bachs. Weite Strecken dieses Scores sind eher atmosphärischer Natur, aber gerade hier zeigt sich, wie sehr Zimmer sich in meinen Augen in den letzten Jahren zum Schlechteren entwickelt hat: Derartige Passagen bestehen heute oft aus tumbem elektronischen Dröhnen; da ziehe ich die elegischen Streicherpassagen dieses Soundtracks definitiv vor. Wirklich interessant wird „The Da Vinci Code“ allerdings immer dann, wenn Zimmer die religiösen Elemente des Films vertont und sich der Schönheit und Wucht des Chors bedient. „The Da Vinci Code“ ist insgesamt weniger leitmotivisch (auch wenn es durchaus wiederkehrende Melodien gibt, etwa die aus Chevaliers de Sangreal), sondern eher atmosphärisch und emotional, aber das ist per se, und besonders in diesem Fall, nicht unbedingt etwas Schlechtes.

Platz 9: The Last Samurai

Zimmer hat schon des Öfteren bewiesen, dass er durchaus ein Händchen für ethnische Instrumentierung besitzt und es versteht, das traditionelle Sinfonie-Orchester mit Instrumenten aus aller Welt zu kombinieren – tatsächlich sind diverse Einträge meiner Liste dieser Natur. So auch „The Last Samurai“; Zimmer ergänzt das Orchester hier mit diversen traditionellen japanischen Instrumenten, darunter die Shakuhachi (eine Bambusflöte), die Koto (eine Harfe mit 13 Saiten) und die immer beliebter werdenden Taiko-Trommeln. Besagte Instrumente behandelt Zimmer allerdings weniger als hervorstechende Solisten, sondern ordnet sie dem Ensemble unter. Das Hauptthema des Scores ist eine getragene, erhabene und sehr schöne Melodie, die von Zimmer im Verlauf des Scores ausreichend und passend orchestriert wird. Auch die Action-Musik, die vornehmlich in der zweiten Hälfte erklingt, ist sehr gelungen und besticht durch ein stets präsentes, getrieben-tragisches Element.

Platz 8: Sherlock Holmes

Ursprünglich verwendete Guy Ritchie für seine actionreiche Sherlock-Holmes-Adaption die Musik von „The Dark Knight“ als Temp Track – da war es natürlich naheliegend, Zimmer selbst für den Score zu gewinnen. Erfreulicherweise entschieden sich Zimmer und Ritchie dann jedoch für eine völlig andere Herangehensweise, denn „Sherlock Holmes“, klingt nun wahrlich nicht nach „The Dark Knight“. Zimmer wollte das geniale Chaos in Holmes‘ Kopf passend darstellen. Um das zu erreichen reduzierte er die Präsenz des traditionellen Orchesters und reicherte es mit diversen Spezialinstrumenten an, etwa einem ungestimmten Klavier, Banjos, Fiedeln und Cimbalom. Das Ergebnis rangiert irgendwo zwischen osteuropäischer „Zigeunermusik“ und den Klängen eines irischen Pubs und funktioniert im Kontext des Films hervorragend. Zimmers Score hat eine Frische und Energie, die man vor allem heutzutage nur noch selten von ihm hört. Dazu kommt noch ein äußerst eingängiges, sehr passendes Thema für den Titelhelden und einige kleinere, wiederkehrende Motive, die zu einem gelungenen Gesamtbild zusammenfinden. Schade, dass der Score der Fortsetzung so enttäuschend war.

Platz 7: Gladiator

Zimmers Musik zu Ridley Scotts Monumentalfilm „Gladiator“ ist ein schöner Beweis dafür, wie gut Zimmers Methodologie funktionieren kann, wenn er sich nur dazu entscheidet, seine Musik auch tatsächlich Emotionen ausdrücken zu lassen. Natürlich ist hier (genauso wie im Film selbst) nichts authentisch römisch, aber wenn man die Klänge hört, fühlt man die Pracht des alten Roms. Gemessen an der Tatsache, dass „Gladiator“ doch zumeist als Actionfilm angesehen wird, enthält der Score verhältnismäßig wenig Actionmusik, aber wenn die Kämpfe losgehen, lässt Zimmer die volle Wucht seiner (im Vergleich zu späteren Werken noch sehr subtil synthetisch unterstützten) Blechbläser los. Noch essentieller ist die emotionale Seite des Scores – hier sollte Lisa Gerrard nicht unerwähnt bleiben, die nicht nur ihre Stimme beisteuerte, sondern auch das Elysium-Thema komponierte. Hin und wieder werden noch einige zusätzliche instrumentale Akzente gesetzt; Maximus‘ Herkunft wird etwa durch spanische Gitarren repräsentiert, während der Einsatz des Duduk seinen Weg in die Sklaverei untermalt.

Platz 6: King Arthur

„King Arthur“ ist eine Fortsetzung und Steigerung des in „Gladiator“ etablierten Sounds für das alte Rom – man könnte meinen, Zimmer habe sich beim Komponieren dieses Scores gefragt: „Was passiert, wenn ich ‚Gladiator‘ Steroide verpasse?“ Das Ergebnis ist grandioser, hemmungslos melodramatischer Bombast. Thematisch ist „King Arthur“ weit weniger ergiebig als andere Zimmer-Scores, die Musik dieser historisch unsinnigen Adaption der Artus-Legende lebt eher von ihren orchestralen Texturen, die wahrhaft epische Breite vermitteln. Das Hauptthema hält das Ganze zusammen, ist aber weniger tatsächliches Leitmotiv, sondern fungiert eher als melodische Grundlage, auf der die Stücke basieren. „King Arthur“ überzeugt letztendlich durch schiere, brachiale Wucht, die immer wieder von erstaunlich lyrischen Momenten durchzogen ist.

Platz 5: Kung Fu Panda 2

Es ließe sich freilich ausgiebig darüber diskutieren, ob „Kung Fu Panda 2“ nicht eher ein John-Powell- als ein Hans-Zimmer-Score ist, aber Zimmers Name steht auf dem Cover, somit ist er für diese Liste auch relevant. Wie dem auch sei, Zimmers melodisches Gespür und Powells Vorliebe für frenetische Action-Musik verbinden sich hier, mehr noch als im ebenfalls sehr gelungenen ersten Kung-Fu-Panda-Score, zu einem gelungenen und homogenen Ganzen. Ähnlich wie bei „The Last Samurai“ spielen ostasiatische Instrumente, hier vor allem das Erhu und diverse Percussions, eine wichtige Rolle. Passend zur Natur des Films ist „Kung Fu Panda 2“ allerdings weit weniger elegisch und dafür schlicht und einfach fürchterlich unterhaltsam und energetisch. Darüber hinaus besitzt „Kung Fu Panda 2“ auch eine sehr moderne, ein wenig an Jazz erinnernde Sensibilität, die ebenfalls sehr gut ins unterhaltsame Gesamtpacket passt.

Platz 4: Illuminati

Der Score von Ron Howards zweiter Dan-Brown-Verfilmung greift den religiösen Ton des Vorgängers auf, kombiniert ihn aber in größerem Ausmaß mit elektronischen Elementen, um so den Konflikt zwischen Religion und Technik widerzuspiegeln. Der Actionanteil erhöht sich ebenfalls deutlich, was zu einigen bombastischen, energetischen und wirklich beeindruckenden Stücken wie 160 BPM (ein wirklich grandioser Albenauftakt) führt. Das dominanteste Thema der Vorgängers, Chevaliers de Sangreal, kehrt ebenso wie die Chorpräsenz zurück und etabliert sich als Hauptthema der Filmreihe und zugleich als Leitmotiv für deren Protagonist Robert Langdon. Oftmals finde ich Zimmers Kombination von Orchester und Elektronik nicht allzu gelungen, aber in „Illuminati“ weiß sie zu überzeugen und repräsentiert den der Geschichte zugrundeliegenden Konflikt ausgezeichnet.

Platz 3: Der Prinz von Ägypten

Das Zusammenspiel zwischen Liedern und Score ist bei „Der Prinz von Ägypten“ ein enorm wichtiges Element. Die Melodien der Songs stammen zwar von Stephen Schwartz, aber Zimmer sorgte immerhin für die Arrangements, sodass die Musik der in meinen Augen besten Bibelverfilmung wie aus einem Guss wirkt und sich nur schwer separieren lässt. Da aber eigentlich fast alle Zimmer-Scores ohnehin Kollaborationen sind, sollte auch hier das Gesamtpaket bewertet werden, vor allem, da Zimmers Themen in den Liedern auftauchen und Schwartz‘ Melodien ihren Weg in den Score gefunden haben. Aber selbst wenn man Lieder und Score separiert, weiß Zimmers Arbeit definitiv zu überzeugen. Zu Beginn dominiert Hollywoods typischer (und von mir geliebter) Ägypten-Sound, der vor allem die Naivität und Jugend der beiden ungleichen Brüder repräsentiert. Im Verlauf gewinnt der Score dann an religiöser Gravitas. Das Highlight ist ohne Frage Zimmers grandioses und stimmiges Thema für Gott selbst, das sogar in einem Agnostiker wie mir religiöse Gefühle wecken kann, zumindest solange ich es höre. Das muss man erstmal hinbekommen. Das Einzige, was an „Der Prinz von Ägypten“ misslungen ist, ist die Albenpräsentation, die zu viele unnötige und lahme Pop-Versionen der Lieder und zu wenig von Zimmers Score enthält – wie konnte man nur das grandiose Chariot Race nicht auf die CD packen?

Platz 2: Der König der Löwen

Als Kind habe ich den „König der Löwen“ so oft geschaut, dass ich ihn irgendwann auswendig konnte. Die Musik war dabei natürlich ebenfalls ein Faktor; der Score hatte sich irgendwann genauso in meinen Kopf eingebrannt wie Elton Johns Lieder. Dieser Soundtrack, der einzige, für den Zimmers mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, ist für mich nicht nur der emotionalste Score seines Œuvre, sondern eines der emotionalsten Stücke Filmmusik überhaupt. Hier zeigt Zimmer, dass er wie kaum ein anderer in der Lage ist, die Emotionen einer Geschichte einzufangen, wenn er nur wirklich will. „Der König der Löwen“ ist ein Score von epischer Breite, die Musik spiegelt die shakespeare’sche Dimension des Filmes wieder und trifft auch in den Momenten naiver Komik stets den richtigen Ton. Besonders erwähnenswert ist das grandiose Hauptthema des Films (oft nach dem Track des ursprünglichen Albums This Land genannt), eine der besten Melodien, die Zimmer je geschrieben hat.

Platz 1: Pirates of the Caribbean: At World’s End

Mir kommt es manchmal so vor, als kulminierten Zimmers beste Stilmittel in diesem Score, der die Emotionen von „The Last Samurai“ mit dem Bombast von „King Arthur“ und der Wucht von „Gladiator“ kombiniert. Darüber hinaus ist der dritte Pirates-Score Zimmers mit Abstand leitmotivisch komplexeste und beste Arbeit. Während sonst zumeist ein Hauptthema im Fokus des Scores steht, jongliert Zimmer hier mit diversen, bereits im Vorgänger etablierten Themen sowie grandiosen Neuzugängen, vornehmlich dem dreiteiligen Liebesthema und der Piratenhymne Hoist the Colours, die neben This Land zu seinen besten Themen überhaupt gehören. Und nicht nur sind die Themen selbst grandios, Zimmer gelingt es auch, sie stets gekonnt und kreativ einzusetzen und zu variieren, sodass sie stets präsent und niemals langweilig werden. „Pirates of the Caribbean: At World’s End“ überschattet für mich nach wie vor alles andere, was der deutschstämmige Komponist jemals geschrieben hat. Gerade deshalb finde ich es so verdammt schade, dass er scheinbar keinerlei Interesse mehr daran hat, diese Art von Soundtrack zu komponieren.

Lovecrafts Vermächtnis: Das Necronomicon

Halloween 2015
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Anmerkung: Im Verlauf meines Studiums habe ich es immer mal wieder geschafft, Hausarbeiten über Themen zu schreiben, die mir besonders am Herzen liegen. Bei diesem Artikel handelt es sich um eine davon, die ich bearbeitet, gekürzt und von Zitaten und dem wissenschaftlichen Apparat befreit habe. Für den Fall, dass dieser Text Interesse an der Thematik geweckt hat, habe ich die Bibliographie der verwendeten Werke ans Ende des Artikels gepackt.

Howard Phillips Lovecraft gehört mit Sicherheit zu den einflussreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts – oder zumindest zu den Autoren, die am häufigsten imitiert und deren Ideen weiter verfolgt werden. Gerade in den Bereichen Horror und Science-Fiction – die Genres, denen Lovecrafts Geschichten selbst ebenfalls am ehesten zuzuordnen sind – stößt man immer wieder auf Spuren des Schriftstellers aus Providence. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Lovecraft verfügte, dass seine Geschichten und Ideen weiterverwendet werden durften und sollten, was befreundete Autoren bereits zu seinen Lebzeiten taten. Nach seinem Tod nahm dies noch viel größere Ausmaße an, viele Autoren wurden zu direkten „Nachfolgern“ Lovecrafts und bauten direkt auf seinen Geschichten auf.

Eine der wohl populärsten Erfindungen Lovecrafts ist das Necronomicon, ein verbotenes Buch mit fürchterlichem Inhalt, verfasst von dem verrückten Araber Abdul Alhazred, das in vielen seiner Geschichten eine wichtige Rolle spielt oder doch zumindest erwähnt wird. Das Necronomicon ist auch das Element aus Lovecrafts Schaffen, das bei anderen Autoren am häufigsten verwendet wird. Es taucht oftmals – und sei es nur als Anspielung – in Geschichten auf, die augenscheinlich gar nichts mit der von Lovecraft geschaffenen Mythologie zu tun haben – ein Beispiel ist Stanley G. Weinbaums Roman „The New Adam“, aber selbst in einer Episode der Zeichentrickserie „Justice League Unlimited“ wird es einmal beiläufig erwähnt. Darüber hinaus hat es praktisch ein Eigenleben entwickelt, da sich lange der Glaube hielt, beim Necronomicon handle es sich um ein wirklich existierendes und nicht um ein fiktives Buch. In den Jahrzehnten nach Lovecrafts Tod entstanden sogar mehrere Ausgaben des Necronomicons, die von sich behaupteten, das „echte“ zu sein.

Das Necronomicon in Lovecrafts Geschichten
Wie bereits erwähnt zählt das Necronomicon, neben Orten wie dem fiktiven Arkham, zu den immer wiederkehrenden Elementen in Lovecrafts Geschichten. Zwar ist es nicht das einzige fiktive okkulte Werk in seinen Geschichten, aber mit Abstand das bekannteste. Zum ersten Mal tauchte es in der 1922 erschienen Geschichte „The Hound“ auf, es gab allerdings in anderen Geschichten bereits erste „Vorzeichen“, etwa in „Polaris“ (1918) oder „The Statement of Randolph Carter“ (1919) – in beiden ist die Rede von mysteriösen Manuskripten und Büchern. In „The Nameless City“ von 1921 wird darüber hinaus bereits Abdul Alhazred, der Autor des Necronomicons, erwähnt, ebenso wie ein später dem Necronomicon zugeordneter und von Alhazred verfasster Zweizeiler, der auch in „The Call of Cthulhu“ wieder auftaucht: „That is not dead which can eternal lie,/And with strange aeons even death may die.”

In „The Hound“ schließlich erfolgte die erste namentliche Erwähnung des Necronomicons, und zusätzlich wird Abdul Alhazred als Autor genannt, ansonsten gibt es allerdings kaum weitere Informationen zum finsteren Grimoire. Stattdessen führt Lovecraft hier schon die Art und Weise ein, wie das Necronomicon in kommenden Erzählungen oftmals verwendet werden sollte, denn in vielen Geschichten, in denen es vorkommt, ist es nicht wirklich für die Handlung relevant, stattdessen wird es benutzt, um die Atmosphäre des Unheimlichen und Verbotenen aufzubauen oder zu verstärken. Oftmals erinnern die merkwürdigen Vorkommnisse, die die Protagonisten Lovecrafts erleben, sie an Dinge, die sie im Necronomicon gelesen haben. In „The Hound“ wird zum Beispiel ein Amulett gefunden, das den Erzähler an eine Textstelle aus dem verbotenen Buch erinnert.

„Fragment“ des Necronomicon (kann als Wanddekoration oder RPG-Requisit käuflich erworden werden)

Ähnliche Einsätze des Necronomicons finden sich in Geschichten wie „The Call of Cthulhu“ oder „At the Mountains of Madness”, in denen das Buch selbst ebenfalls kaum handlungsrelevant ist, sondern eher dazu dient, die Atmosphäre zu schüren und der Erzählung Tiefe zu verleihen. Gerade bei Letzterer fühlt sich der Protagonist beim Anblick der Antarktis an eine Beschreibung aus dem Necronomicon erinnert, und später kommt er zu dem Schluss, dass die „Elder Things“, die die Expedition in der Antarktis gefunden hat, wohl die Grundlage für die Schilderungen im Necronomicon sind.

Es gibt allerdings auch Geschichten, in welchen das Necronomicon und sein Inhalt eine wichtige Rolle für den Plot spielen und nicht nur „Dekoration“ sind. Eine solche ist „The Case of Charles Dexter Ward“. Bei dem in dieser Geschichte enthaltenen Auszug handelt es sich um zwei Formeln, mit deren Hilfe es möglich ist, die Toten aus ihren chemischen Salzen wiederzuerwecken und diese Wiedererweckung rückgängig zu machen. Beide Formeln werden lediglich in einer fiktiven und somit unverständlichen Sprache wiedergegeben, sie enthalten jedoch den Namen des dunklen Gottes Yog-Sothoth, der in einigen anderen Geschichten eine größere Rolle spielt, u.a. in „The Dunwich Horror“. Besagte Geschichte ist auch die einzige außer „The Festival“, in welcher sich ausführliche (und auch verständliche) Zitate aus dem Necronomicon finden. In „The Festival“ steht das Necronomicon praktisch im Zentrum der Handlung, die Geschichte arbeitet jedoch in erster Linie mit Atmosphäre: Der Protagonist nimmt in der fiktiven Stadt Kingsport an einem unheimlichen Ritual, das um das Necronomicon und merkwürdige, geflügelte Kreaturen herum aufgebaut ist, teil. Letztendlich wehrt er sich, fällt in einen Fluss und wacht im Krankenhaus wieder auf. Am Ende der Geschichte sucht er ein anderes Exemplar des Necronomicon auf und liest dort einen Abschnitt, der seine Erlebnisse genau widerspiegelt.

Die in „The Dunwich Horror“, eine der wenigen Lovecraft-Geschichten mit einem „Gut-gegen-Böse-Schema“, wiedergegebene Stelle ist noch länger und auch hier ist das Necronomicon ein Teil der Handlung: Mithilfe des verfluchten Buches möchte Wilbur Whateley seinem Vater, dem finsteren Gott Yog-Sothoth, den Zugang zur Welt der Menschen ermöglichen. Besagte Stelle stammt von Seite 751 des verbotenen Buches, und ist, im Vergleich zu anderen Geschichten, verhältnismäßig eindeutig, vor allem, was die „Great Old Ones“ angeht, neben Yog-Sothoth selbst werden auch Shub-Niggurath und Cthulhu erwähnt.

Da das Necronomicon in seinen Geschichten immer häufiger auftauchte, verfasste Lovecraft 1927 einen kurzen, nicht immer ganz ernst gemeinten Abriss der Geschichte des verbotenen Buches, um in seinen Verweisen konsistent zu bleiben. Darin enthüllt er den ursprünglichen Titel des Werkes – Al Azif (abgeleitet von Geräusch, das nächtliche Insekten machen und das für das Heulen von Dämonen gehalten wurde) – und macht Angaben zur Entstehung und zum Autor, ebenso wie zur weiteren Verbreitung. So kommt der Name „Necronomicon“ nicht von Alhazred selbst, sondern von Theodorus Philetas, der das Buch im 10. Jahrhundert ins Griechische übersetzt hat. In diesem historischen Abriss finden sich auch immer wieder historische Persönlichkeiten wie Olaus Wormius oder John Dee (die Idee, dass Letzterer eine englische Übersetzung des Necronomicons anfertigte, stammt allerdings von Frank Belknap), die das Necronomicon weiter verbreiteten und übersetzten. Tatsächlich werden die historischen Persönlichkeiten, die, wie John Dee, in Lovecrafts Geschichten mit dem Necronomicon zu tun haben, genau gleich behandelt wie die fiktiven Figuren und Ereignisse, was abermals für die Verwischung der Grenze zwischen Fakt und Fiktion sorgt. Das Necronomicon bei Lovecraft ist also, wenn es für die Handlung wirklich eine Rolle spielt, immer eine Quelle von verbotenem Wissen – mitunter ist es allerdings recht unzuverlässig. In manchen Fällen sind dies lediglich Informationen, in anderen aber auch wirkungsvolle Zaubersprüche.

Das Necronomicon und der „Cthulhu-Mythos“
Beim sogenannten „Cthulhu-Mythos“ handelt es sich um eine thematische Kategorisierung der Geschichten Lovecrafts. In den Werken, die dem „Cthulhu-Mythos“ zugeordnet werden, spielen die von ihm geschaffenen, bedrohlichen und enorm mächtigen fiktiven Götter – Cthulhu, Yog-Sothoth, Azathoth etc. – eine Rolle. Er ist praktisch das, was hinter dem Necronomicon steht und die Quelle des Wahnsinns seines Autors. So gehören die meisten der oben aufgezählten Werke zu den „Mythos-Geschichten“, in denen das Necronomicon zumeist als mehr oder minder zuverlässige Wissensquelle fungiert – somit ist es, neben den unbegreiflichen Gottheiten, eines der Elemente, die die eigentlich für sich stehenden Geschichten verbinden.

Diese Einordnung ist jedoch alles andere als unumstritten. Zuerst einmal ist es nicht immer eindeutig, ob eine Geschichte zum Mythos gehört. „The Dream-Quest of Unknown Kadath“ unterscheidet sich beispielsweise stilistisch und inhaltlich stark von der „typischen“ Mythos-Geschichte wie „The Call of Cthulhu“, mit Azathoth und Nyarlathotep tauchen aber zwei Mythos-Götter auf. Ganz ähnlich verhält es sich mit „The Hound“ oder „The Festival“, in denen Mythos-Bestandteile wie Abdul Alhazred und das Necronomicon erwähnt werden, der Mythos an sich aber keine Rolle zu spielen scheint oder lediglich sehr vage angedeutet wird. Andere Geschichten, vor allem aus den früheren Jahren von Lovecrafts Tätigkeit, weisen dagegen bereits inhaltliche oder stilistische Merkmale späterer, eindeutiger „Mythos-Geschichten“ auf, enthalten aber noch keine direkten Verweise, etwa „Dagon“ oder „The Temple“. Die Zuordnung, welche Geschichten zum „Cthulhu-Mythos“ gehören und welche nicht, ist somit nicht eindeutig.

Weiteres „Fragment“ des Necronomicon

Darüber hinaus ist der Begriff „Cthulhu-Mythos“ selbst ziemlich umstritten. Er wurde von Lovecrafts Freund und Nachlassverwalter August Derleth geprägt und stammt nicht von Lovecraft selbst. In der Tat nahm Lovecraft seine Pseuodmythologie, wie sich anhand mehrerer Aussagen belegen lässt, wohl nicht besonders ernst. Viele der Aspekte stammen in der Tat von Derleth, der selbst auch „Mythos-Geschichten“ schrieb und für die zentrale Stellung Cthulhus verantwortlich ist – Lovecraft verwendete den tentakelgesichtigen Gott verhältnismäßig selten, und er ist auch nicht das dominanteste oder mächtigste Wesen seines „Pantheons“. Er selbst bezeichnete die Mythologie, wenn auch scherzhaft, als „Yog-Sothothery“. In der Tat wurde das Konzept „Cthulhu-Mythos“ von vielen Nachfolgern Lovecrafts weitaus ernster genommen als von diesem – und zum Teil wohl auch falsch verstanden, was wohl letztendlich auf Derleth zurückzuführen ist.

Das Missverständnis besteht letztendlich in der Uminterpretation der Großen Alten, die Derleth vornahm. Er klassifizierte sie als böse Wesenheiten und führte, als Gegenstück, die den Menschen wohlgesonnenen „Old Beings“ oder „Elder Gods“ ein, die es in dieser Form bei Lovecraft niemals gegeben hat – diese Begriffe beschreiben in Lovecrafts Geschichten unterschiedliche Gruppen, und auf keine davon passt Derleths Definition. Lovecraft selbst verstand den „Cthulhu-Mythos“ niemals als einen Konflikt „Gut gegen Böse“, sondern thematisierte die Begegnungen einzelner Individuen mit gewaltigen, chaotischen Kräften, auf die sie durch Zufall, Wissensdrang oder Unachtsamkeit stoßen. Zumeist endet dieser Zusammenstoß damit, dass die beteiligten Menschen sterben oder wahnsinnig werden; die destruktiven und unverständlichen Götter können nur selten direkt bekämpft werden. Gerade „The Call of Cthulhu“, wohl eine der bekanntesten Geschichten Lovecrafts, ist hier exemplarisch, Lovecraft stellt dort die Frage, ob der Mensch damit umgehen kann, dass er als Einzelner oder als Spezies völlig unbedeutend ist. Dies wird durch übermächtige Götter versinnbildlicht, die der Mensch nicht einmal verstehen kann.

Andere Autoren nahmen später weitere Modifikationen vor, die ebenfalls nicht mit Lovecrafts Absichten konform waren, aber die Wahrnehmung des „Mythos“ prägten. So versuchte Lin Carter, Lovecrafts Götter in einer Hierarchie unterzubringen oder sie den vier Elementen zuzuordnen. Trotz, oder gerade wegen des Missverständnisses, ist der „Cthulhu-Mythos“ der Aspekt von Lovecrafts Schaffen, der seine Nachfolger am meisten inspirierte. Bei ihnen ist er allerdings weniger Ausdruck der persönlichen Philosophie als viel mehr Selbstzweck.

Das Necronomicon bei anderen Autoren
Die Frage nach literarischem Einfluss des Werkes eines Autors auf die Nachfolgenden lässt sich äußerst schwer beantworten, weil dieser „Einfluss“ kaum oder gar nicht messbar ist. So finden sich in vielen Werken, die zu den Genres Science Fiction, Horror oder Fantasy gehören, gewisse Merkmale, die von Lovecraft inspiriert worden sein könnten.

Lovecrafts Einfluss erstreckt sich allerdings nicht nur auf die Literatur: In Guillermo del Toros Film „Hellboy“ etwa tauchen ebenfalls böse, schlafende Götter auf, die beim Erwachen drohen, die Welt zu zerstören, die Handlung von Ridley Scotts „Prometheus“ gleicht der von „At the Mountains of Madness“ und selbst in Werken wie George R. R. Martins Buchreihe „A Song of Ice and Fire“, die von der Konzeption doch sehr weit von Lovecraft entfernt ist, gibt es Elemente, die man als Anspielung auf ihn verstehen könnte – in diesem Fall die Religion des „Drowned God“, in Verbindung mit dem Wappen des Hauses Greyjoy (ein Krake), welches besagten Gott verehrt und der „Taufformel“ „What is dead may never die, but rises again, harder and stronger.“ Der Zweizeiler Abdul Alhazreds aus „The Nameless City“ und „The Call of Cthulhu“ könnte gut als Vorlage gedient haben. Sogar das Necronomicon selbst taucht des Öfteren in Werken auf, die nicht zum Mythos gehören, etwa in dem bereits erwähnten Roman „The New Adam“ oder der Filmreihe „The Evil Dead“.

Das „Necronomicon“ (auch „Necronomicon Ex-Mortis“) in den Evil-Dead-Filmen

Weitere Autoren, die zwar nicht den „Cthulhu-Mythos“ weiterstricken, aber doch merklich von Lovecrafts beeinflusst wurden, sind zum Beispiel Kurt Vonnegut jr. oder Ray Bradbury. Insgesamt ist die Feststellung des Lovecraft’schen Einflusses auf die nach ihm kommenden Autoren leichter festzustellen als bei vielen anderen, vor allem natürlich, weil viele andere Autoren bis heute die Tradition Lovecrafts fortführen und den Mythos kontinuierlich erweitern, wobei das Necronomicon stets ein wichtiges Element dieser Fortführung ist.

Da es eine schier unüberschaubare Anzahl an Lovecraft-Nachfolgern gibt – schon zu seinen Lebzeiten ermunterte er Autoren wie Robert Howard oder Clark Ashton Smith dazu, sich Elemente wie das Necronomicon zu „borgen“, während er seinerseits Dinge aus deren Geschichten in seinen Erzählungen einbaute – werde ich hier nur ein paar ausgewählte Beispiele aufzählen.

So manch ein Autor setzt das Necronomicon nur als Beiwerk ein, um, wie so oft bei Lovecraft, die Atmosphäre zu unterstützen und eine Verbindung zum Vorbild zu schaffen. Dies ist in Brian Stablefords „Das Innsmouth-Syndrom“ der Fall, in welcher das Necronomicon nur beiläufig erwähnt wird. Auch in der Geschichte „Der runde Turm“ ist das Vorkommen des Necronomicons eher beiläufig, auch wenn es die Nachforschungen des Protagonisten Armitage Harper in eine neue Richtung lenkt und zudem auf „History of the Necronomicon“ anspielt. Das Necronomicon wird hier im Zusammenhang mit anderen fiktiven Werken des Okkulten erwähnt, allerdings wird seine Sonderstellung gegenüber den anderen verbotenen Büchern hervorgehoben, vor keinem anderen hat Harper einen ähnlichen Respekt. Ganz ähnlich verhält es sich in „Der große Fisch“, wo das Necronomicon ebenfalls für die Handlung keine Rolle spielt und nur erwähnt wird, um noch mehr typische Lovecraft-Elemente zu haben.

Es gibt jedoch auch Gegenbeispiele. Schon in Jens Schumachers „Der Hügel von Yhth“ ist das Necronomicon als Ausgangspunkt einer Recherche von größerer Bedeutung. „Ein Porträt Torquemadas“, verfasst von Christian von Aster, stellt diesbezüglich allerdings ein noch lohnenderes Objekt dar, da das Necronomicon in dieser Geschichte eine wichtige und darüber hinaus ziemlich einzigartige Rolle spielt, durch die von Aster gleichzeitig die Popularität des verbotenen Buches kommentiert. In dieser Geschichte entdeckt der Kunsthistoriker Felix Ney, dass mit einem Bild des Malers Guiseppe del Candini, das den spanischen Großinquisitor Tomas de Torquemada zeigt, etwas nicht stimmt. Am Ende findet er heraus, dass Torquemada ein Anhänger des Cthulhu-Kultes war und die katholische Kirche von dem finsteren Gott seit Jahrhunderten beeinflusst wird. Was ihn zu dieser Entdeckung geführt hat, ist ein übermaltes Buch im Hintergrund des Bildes. Nachdem er die Übermalung abgekratzt hat, entdeckt er das ursprünglich gemalte Buch. Er bringt das Bild zu bibliophilen Antiquaren, denen es in der Tat gelingt, besagtes Buch nur anhand des Aussehens als eine Ausgabe des Necronomicons zu identifizieren. Die Handlung wird also durch das Necronomicon ausgelöst, allerdings nicht direkt durch den Inhalt, sondern vielmehr durch die bloße Existenz auf einem Gemälde. Nicht das, was ein Leser im Necronomicon findet, zählt hier, sondern die bloße Natur des Werkes. Darüber hinaus ist das Necronomicon in der erzählten Welt, ähnlich wie in der Realität, bekannt und so markant, dass es nur anhand einer unbeschrifteten Abbildung erkannt werden kann. Somit spiegelt Christian von Aster die Realität wieder, in der sich das Necronomicon ebenfalls verselbstständigt hat. Und ebenso vermischt er wie Lovecraft Realität und Fiktion, indem er real existierend historische Figuren wie Tomas de Torquemada mit dem Necronomicon in Verbindung setzt.

Eine weitere Geschichte, in der das Necronomicon eine wichtige Rolle spielt, ist „Die Glocke im Turm“ von Lin Carter, basierend auf einer Idee oder einem Fragment Lovecrafts. In dieser Geschichte ist das Necronomicon gleich in doppeltem Sinn das handlungsauslösende Element. In der Rahmenhandlung bringt der junge William dem eigentümlichen Lord Northam eine Ausgabe des Necronomicons, was diesen dazu veranlasst, William von seinen Erfahrungen mit den dunklen Künsten zu berichten. Dort ist das Necronomicon abermals handlungsauslösend; nachdem Northam lange versucht hat, durch Drogen sein Bewusstsein zu erweitern, stößt er auf „das verabscheuungswürdige und grässliche Necronomicon“ , das hier erneut als das finsterste aller finsteren Bücher dargestellt wird. Northam entdeckt dort ein Ritual, das ihm einen Einblick in andere Welten gewähren soll und das er schließlich durchführt.

Außergewöhnlich an dieser Geschichte ist, dass es, außer der Erwähnung des Necronomicons und Abdul Alhazreds, keinen wirklichen Bezug zum „Cthulhu-Mythos“, keine Erwähnung der „Great Old Ones“ oder ähnliches gibt, was für die Geschichten der Lovecraft-Nachfolger eher selten ist. Insofern steht „Die Glocke im Turm“ eher in der Tradition von Geschichten wie „The Hound“ oder „The Festival.“
Es zeigt sich also, dass das Necronomicon zwar kein unverzichtbarer, aber doch ein häufig verwendeter Bestandteil der Geschichten in Lovecraft’scher Tradition ist. Oftmals wird es nur erwähnt um, wie Lovecraft es selbst oft tat, die Atmosphäre zu steigern, manchen Autoren wie Christian von Aster gelingt es allerdings auch, das Necronomicon als wichtigen Bestandteil der Handlung zu verwenden. Die Verwendung des Necronomicons bei anderen Autoren, vor allem wenn es in Werken geschieht, die, wie die Evil-Dead-Filme, nichts mit Lovecraft zu tun haben, hat darüber hinaus auch den Nebeneffekt, dass uneingeweihte Konsumenten dadurch zu dem Schluss kommen könnten, es gäbe für das Necronomicon eine reale Grundlage.

Necronomicon-Fälschungen
Obwohl Lovecraft selbst mehrfach zu Protokoll gegeben hat, dass das Necronomicon seine Erfindung ist, hält sich nach wie vor der Glaube, es handle sich dabei um ein real existierendes Werk. Das liegt zum einen an Dingen wie der oben geschilderten Präsenz bei anderen Autoren sowie gefälschten Anzeigen oder Bibliothekseintragungen, zum anderen aber auch daran, dass es in der Tat Bücher im Handel gibt, die von sich behaupten, das echte Necronomicon zu sein, was zeigt, wie stark das Necronomicon in Lovecrafts Schaffen ist. Lovecraft selbst hatte auch mit dem Gedanken gespielt, die Nachfragen zu befriedigen, indem er das Necronomicon selbst schrieb, kam jedoch zu dem Schluss, dass es einerseits zu viel Aufwand wäre (den Angaben seiner Geschichten zufolge hätte das Buch mindestens 800 Seiten) und dass andererseits die Andeutungen und die Ungewissheit viel mehr Grauen erzeugten, als jeder Text, den er schreiben konnte.

Das Simon-Necronomicon
Das Simon-Necronomicon

Zwei dieser Werke besitze ich: „Das Buch der Toten Namen: Necronomicon“ (auch als „Hay-Wilson-Langford-Turner-Necronomicon“ bezeichnet) und das Necronomicon von Simon. Ersteres wurde bereits von einem der Autoren, Colin Wilson, als Fälschung bestätigt. Wilson veröffentlichte 1992 einen Aufsatz, der sich explizit mit der Schaffung des „Buchs der toten Namen“ beschäftigt und den Titel „The Necronomicon: The Origin of a Spoof“ trägt. Bei beiden Werken handelt es sich, da es sich nicht um die Nachahmung eines existierenden Objekts handelt – stattdessen wird etwas Fiktives „real“ – um einen sogenannten „Hoax“, was sich ehesten mit dem Begriff „Spottfälschung“ übersetzen ließe.

Sowohl das „Buch der toten Namen“ als auch das Simon-Necronomicon müssen sich erst einmal mit der Tatsache auseinandersetzen, dass das okkulte Werk, das darzustellen sie behaupten, in erster Linie in den eindeutig fiktiven Geschichten Lovecrafts vorkommt. In gewissem Sinne werfen beide Werke Lovecraft implizit selbst Fälschung vor: Während allerdings das gewöhnliche „Hoax“ Fiktion als Wahrheit präsentiert, fälsche Lovecraft, in dem er Fakt als Fiktion darstellt. Während das „Buch der toten Namen“ sich noch bemüht, dieses Problem mit umstrittenen und weit hergeholten Anekdoten aus Lovecrafts Biographie zu erklären, versucht das Simon-Necronomicon nicht einmal, diesen Umstand irgendwie zu thematisieren.

Die wichtigste Frage, die sich nun im Zusammenhang mit den beiden Necronomicon-Fälschungen stellt, ist die nach den inhaltlichen Verknüpfungen zwischen den beiden Werken und Lovecrafts Geschichten. Die Anzahl der inhaltlichen Verknüpfungen zu Lovecraft im Simon-Necronomicon ist verhältnismäßig gering. Das Werk besteht in erster Linie aus Anrufungen, Bannsprüchen, Ritualanleitungen u.ä., diese richten sich zumeist allerdings nicht an Lovecrafts Götter, sondern an Götter wie Nergal, Ishtar oder Marduk, die in Altmesopotamien oder Syrien verehrt wurden. Die Verbindungen zu Lovecrafts Werk, die tatsächlich vorhanden sind, wirken eher wie nachträglich eingearbeitet. Keines der Zitate aus „The Festival“, „The Call of Cthulhu“ oder „The Dunwich Horror“ findet sich im Simon-Necronomicon, ebenso wenig wie die Yog-Sothoth-Formel aus „The Case of Charles Dexter Ward“ oder andere wiedergegebene Inhalte aus „At the Mountains of Madness“, „The Hound“ oder irgendeiner anderen Geschichte von Lovecraft. Stattdessen werden nur immer wieder, in unterschiedlichen Zusammenhängen, einige Namen der „Great Old Ones“ genannt, in leicht abgeänderter Schreibweise, die laut Simon sumerisch ist; Cthulhu heißt im Simon-Necronomicon Kutulu, Azathoth trägt den Namen Azag-thoth und Shub Niggurath wird Shub Ishniggarab geschrieben. Der Text beschränkt sich auf diese drei, die meisten anderen Entitäten Lovecrafts, etwa Nyarlathothep oder Yog-Sothoth, finden keine Erwähnung. Darüber hinaus scheinen die meisten Referenzen ziemlich willkürlich hinzugefügt und bestehen aus eingestreuten Sätzen oder Teilsätzen, die sogar vage nach Lovecraft Inhalten klingen, wie etwa „The Dead Kutulu, Dead but Dreaming“ oftmals werden die Namen von Lovecrafts Göttern nur zusammen mit anderen aufgezählt.

Das Buch der Toten Namen
Das Buch der Toten Namen

Im Gegensatz dazu beruft sich das „Buch der toten Namen“ sehr viel stärker auf Lovecraft, seine Götter werden eindeutig und häufig beim Namen genannt, und die Beschwörungen und Rituale richten sich an sie. Und in der Tat beziehen sich einige der kurzen Kapitel auf Erwähnungen aus Lovecrafts Geschichten; die Beschreibung von „Leng in der kalten Einöde“ etwa taucht am Rande in „At the Mountains of Madness“ auf, ein Teil der Yog-Sothoth-Beschwörung aus „The Dunwich Horror“ findet sich ebenso wie der „Erkennungssatz“ der Cthulhu-Kultisten aus „The Call of Cthulhu“ – laut besagter Geschichte ist dieser allerdings gar nicht Teil des Necronomicon. Der Rest ist, salopp gesagt, Standard-Okkultismus, gewürzt mit den Namen einiger Mythos-Götter.

Das „Buch der toten Namen“ hat also weitaus mehr mit den Geschichten Lovecrafts zu tun als das Simon-Necronomicon, beide haben allerdings ein Detail gemeinsam, das sie von Lovecraft entfernt: Die grundsätzliche Auffassung des „Cthulhu-Mythos“. Hier orientieren sich beide nicht an Lovecraft selbst, sondern an August Derleths Sichtweise auf Lovecrafts Geschichten. Das trifft besonders auf das „Buch der toten Namen“ zu, das Derleths „Elder Gods“ als den Menschen wohlgesonnene Gegenspieler der „Great Old Ones“ aufgreift. Letztendlich sind sowohl das „Buch der toten Namen“ als auch das Simon-Necronomicon nicht nur Fälschungen, sie sind sogar ziemlich fehlerhafte Fälschungen, die mit dem, was sie zu sein behaupten, wenig zu tun haben. Daher eignen sie sich nicht dazu, das verbotene Buch zu sein, das Lovecraft zu seinen Geschichten inspirierte, da sie nur die Interpretation eines Nachahmers enthalten.

Bibliographie

Primärliteratur:
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– Hay, George u.a.: Das Buch der toten Namen: Necronomicon. Holdenstedt 2000.
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– Lovecraft, Howard Phillips: The Case of Charles Dexter Ward, in: Ders.: The Com-plete Fiction. New York 2008, S. 490-593.
– Lovecraft, Howard Phillips: The Dunwich Horror, in: Ders.: The Complete Fiction. New York 2008, S. 633-667.
– Lovecraft, Howard Phillips: The Festival, in: Ders.: The Complete Fiction. New York 2008, S. 262-269.
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– Lovecraft, Howard Phillips: The Hound, in: Ders.: The Complete Fiction. New York 2008, S. 216-222.
– Lovecraft, Howard Phillips: The Nameless City, in: Ders.: The Complete Fiction. New York 2008, S. 141-150.
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– Price, Robert M.: Der Runde Turm. (Der Bericht des Armitage Harper), übersetzt von Alexander Röder, in: Fest, Frank (Hg.): Der Cthulhu-Mythos: 1976-2002. Leipzig 2003, S. 77-111
– Schumacher, Jens: Der Hügel von Yhth, in: Festa, Frank (Hg.): Der Cthulhu-Mythos: 1976-2002. Leipzig 2003, S. 102-128.
– Simon: Necronomicon. New York 1980.
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Die besten Song-Momente in Filmen und Serien

Hier kommt noch ein ziemlich verspätetes Stöckchen, geworfen von der singenden Lehrerin und inszeniert von taranKino. Gefragt wird nach den besten Songmomenten in Filmen und Serien (wobei der Fokus hier auf Filmen liegt). Es wäre mir natürlich ein leichtes, so eine Liste mit Scoremomenten zu füllen, aber das bedarf einer eigenen Parade und sollte dann auch so genannt werden. Aus diesem Grund gibt es hier auch keine Score-Beispiele. Hier zu finden sind entweder Lieder, die für den Film komponiert wurden, oder Musikstücke (sowohl Lied als auch Instrumentalstücke) die vorher bereits existierten. Die Liste ist wertfrei, die Anordnung der Einträge ist willkürlich.

Dies Irae (Wolfgang Amadeus Mozart, John Ottman), in „X2: X-Men United“

Ich liebe es, wenn eine Szenen bzw. Action-Choreographie genau auf die Musik abgestimmt ist, so wie es in „X2: X-Men United“ der Fall ist. Das Dies Irae aus Mozarts Requiem, wahrscheinlich sein bekanntestes Stück, das ohne einen Vogelfänger oder die Königin der Nacht auskommt, untermalt die erste Actionszene des Films. Die Verbindung zum Geschehen findet sich dabei nicht nur in der Choreographie, sondern auch im Inhalt: Nightcrawler ist eine zutiefst religiöse Figur, weshalb sich die Verwendung eines kirchlichen Stückes natürlich anbietet. Mozarts Original wurde von John Ottman minimal bearbeitet, um noch besser zur Szene zu passen. Da Ottman bei Bryan Singers Filmen nicht nur für die Musik, sondern auch für den Schnitt verantwortlich ist, hat er wirklich ein Händchen für derartige Momente, wie sich im Verlauf dieser Liste noch einmal zeigen wird.

The Verdict/Für Elise (Ludwig van Beethoven, Ennio Morricone), in „Inglourious Basterds“

Quentin Tarantinos Filme sind dafür bekannt, dass sie praktisch nie extra für den Film komponierte Scores haben; die Musik wird vom Regisseur selbst ausgewählt und meistens extrem passend in den Film integriert – ich denke mal, wenn ich behaupte, dass Tarantino wohl der Regisseur ist, der die Verwendung bereits existierender Musik in seinen Filmen am besten beherrscht, wird mir kaum jemand widersprechen. Obwohl es viele gelungene Momente in Tarantinos Filmen gibt, fiel mir doch die Wahl nicht schwer. „Inglourious Basterds“ ist in meinen Augen mit Abstand Tarantinos bester Film, denn schon die Anfangsszene weiß den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. Das dem klassischen Western entlehnte Holzhacken wird, wie könnte es anders sein, untermalt von einem Stück des klassischen Westernkomponisten Ennio Morricone (der zwar auch viele andere Sachen gemacht hat, aber vor allem, dafür bekannt ist). Bei The Verdict handelt es sich um eine Adaption von Beethovens Für Elise, dem Morricone ein Western-Setting verpasst, weshalb es zu dieser Anfangsszene natürlich perfekt passt: Eine an einen Western gemahnende Sequenz mitten im von den Nazis besetzten Frankreich.

The Times They Are A-Chanin’ (Bob Dylan), in: „Watchmen”

Mit Zack Synders Scorevorlieben kann ich nicht besonders viel anfangen, sowohl Tyler Bates‘ als auch Hans Zimmers Arbeit für den Watchmen- und Man-of-Steel-Regisseur finde ich ziemlich unterirdisch. Aber es lässt sich nicht leugnen, der Mann versteht es, passende Songs auszuwählen. „Watchmen“ insgesamt ist ein gelungenes Beispiel, aber in keiner anderen Szene wird dies so deutlich wie beim aufwendig gestalteten Vorspann, zu dem Bob Dylans The Times They Are A-Changin‘ erklingt, während die Montage genau auf die Musik abgestimmt ist.

„Amadeus“ (Wolfgang Amadeus Mozart, Antonio Salieri)

Ich konnte mich einfach nicht entscheiden. Miloš Formans „Amadeus“ gehört zu meinen absoluten Lieblingsfilmen und ist mit großartigen Musikmomenten randvoll. Und das liegt nicht nur an der Qualität der Musik (Mozart halt), sondern auch daran, wie meisterhaft diese integriert und zum bestimmenden Mittel der Narrative wird, egal ob sie gerade diegetisch oder extradiegetisch eingesetzt wird. Zu meinen absoluten Favoriten gehören: Mozart komponiert „ausversehen“ aus Salieris Willkommensmarsch das Non più andrai (aus „Le Nozze di Figaro“), die Don-Giovanni-Szene, der zur Stimmung passende Wechsel zwischen „Die Zauberflöte“ und dem Requiem, als Mozart beides parallel komponiert, und natürlich das Komponieren am Totenbett (Confutatis Maledictis). Ich hätte auch problemlos eine Liste nur mit Momenten aus „Amadeus“ füllen können, aber das wäre vielleicht etwas eintönig geworden.

Misty Mountains (Plan 9), in: „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“

Dieses Lied hat den ersten Hobbit-Trailer zu einem der besten Trailer überhaupt gemacht, es fängt die Stimmung der Szene perfekt ein, es wird zum Leitmotiv, es ist einfach rundum gelungen. Und ich habe an anderer Stelle bereits ziemlich viel darüber geschrieben.

Der Ritt der Walküren (Richard Wagner), in: „Apocalypse Now“

Definitiv kein schöner Songmoment, aber dafür perfekt inszeniert – und zwar so perfekt, dass Wagners Ritt der Walküren inzwischen immer zuerst mit „Apocalypse Now“ in Verbindung gebracht wird, bevor jemand überhaupt an „Die Walküre“ denkt, was auch daran liegen könnte, dass es so viele Anspielungen gibt; zum Beispiel verwendete Zack Snyder in „Watchmen“ für die Vietnam-Szene mit dem Comedian und Doctor Manhattan ebenfalls dieses Stück.

Time in a Bottle (Jim Croce), in: „X-Men: Days of Future Past“

Nochmal X-Men, nochmal Bryan Singer und John Ottman, nochmal eine zur Musik choreographierte Actionszene. So unzufrieden ich auch mit dem Score, den Ottman für „Days of Future Past“ komponiert hat, bin, so gelungen ist doch seine Schneidearbeit, gerade in dieser Szene und gerade in Bezug auf den hier verwendeten Song. Obwohl ich das Dies Irae Time in a Bottle vorziehe, ist doch die Quicksilver-Szene noch um ein gutes Stück stärker, da hier die Verknüpfung von Bild und Musik noch reibungsloser funktioniert. Darüber hinaus wird Quicksilver so perfekt charakterisiert, ohne, dass er ein einziges Wort verliert – es tut mir Leid für Aaron Taylor-Johnson, aber seine Version der Figur hatte quasi schon verloren, bevor sie überhaupt angetreten ist.

Vide Cor Meum (Patrick Cassidy), in: „Hannibal“

In einer Szene in „Hannibal“ besucht der Doktor in Florenz eine Oper, Ridley Scott entschied sich dabei allerdings dafür, keine existierende Oper zu verwenden, sondern heuerte den irischen Komponisten Patrick Cassidy an, um extra für den Film eine Arie zu komponieren die, passend zur Handlung, auf „La Vita Nuova“ von Dante Aligheri basiert. Diese Arie gefiel Ridley Scott übrigens so gut, dass er sie „Hannibal“ noch einmal extradiegetisch verwendete und auch in „Königreich der Himmel“ einsetzte. Für mich ist Vide Cor Meum der mit Abstand beste musikalische Moment aller Hannibal-Lecter-Adaptionen, und umso begeisterter war ich, als genau diese Arie auch in der finalen Szene der ersten Staffel von „Hannibal“ eingesetzt wurde. Was für ein perfekter Abschluss.

Hoist the Colours (Hans Zimmer), in: „Pirates of the Caribbean: At World’s End“

Zwar ist „At World’s End“ der Pirates-Film, den ich insgesamt am schlechtesten finde, allerdings ist er auch der Pirates-Film, der die besten Einzelszenen und mit Abstand die beste Musik hat. Ein hervorragendes Beispiel für beides ist die Eröffnungsszene des Films, in der eine Massenhinrichtung stattfindet. Die Piraten auf dem Weg zum Strick beginnen allerdings, ein Lied zu singen, das als Aufruf fungiert und gleichzeitig die Geschichte von Davy Jones und Calypso thematisiert. Im Verlauf des Films wird Hoist the Colours ähnlich verwendet wie Misty Mountains: Die Melodie fungiert im Score als Leitmotiv der Bruderschaft – und ist darüber hinaus das in meinen Augen beste Thema, das Hans Zimmer komponiert hat.

Also sprach Zarathustra (Richard Strauss), in: „2001: A Space Odysee“

Ganz ähnlich wie Der Ritt der Walküren ist auch Strauss’ Also sprach Zarathustra (zumindest der Anfang) inzwischen fast untrennbar mit einem Film verbunden. Die Szene mit dem Affen, dem Knochen und dem großen, schwarzen Monolithen gehört wahrscheinlich zu den ikonischsten der Filmgeschichte und wurde unzählige Male parodiert – sie auszulassen wäre fast schon kriminell.

The Rains of Castamere (Ramin Djawadi), in: „Game of Thrones“

Eigentlich wollte ich mich ja auf Filme beschränken, aber da mit „Hannibal“ zumindest teilweise eine Serie reingerutscht ist warum dann nicht noch eine zweite? Auch zu The Rains of Castamere habe ich schon einiges geschrieben. Die Lannisters sind das einzige Haus, das so etwas wie eine eigene Hymne besitzt, und da ist es natürlich nur logisch, die Melodie dieser Hymne zu ihrem Thema zu machen. Es existieren zwei Abspannversionen des Liedes, einmal von The National und einmal von Sigur Rós. Zweifellos am interessantesten sind allerdings die diegetischen Einsätze, die ab der zweiten Staffel immer wieder auftauchen. Mal wird das Lied von Tyrion gepfiffen, mal singt es Thoros von Myr, die Lannister-Soldaten nutzen es, um sich vor der Schlacht von King’s Landing Mut zu machen, und dann ist da natürlich der geradezu ikonische Einsatz bei der Roten Hochzeit…

Hannibal Staffel 1

hannibal
Und wieder etwas, das schon lange überfällig ist. Warum ich mich der ersten Staffel von „Hannibal“ erst so spät zugewendet habe, ist mir zum Teil selbst ein Rätsel, immerhin bin ich ein Fan des Doktors, die von Anthony Hopkins verkörperte Version hat es immerhin auf Platz 3 meiner Lieblingsschurken geschafft. Da ich sämtliche Thomas-Harris-Romane mit dem kultivierten Kannibalen gelesen und auch sämtliche Filme gesehen habe, lohnt sich natürlich ein ausführlicher und vergleichender Blick darauf, wie die von Bryan Fuller geschaffene Serie sich des Materials annimmt. „Hannibal Rising“ werde ich dabei allerdings großzügig übergehen, ich denke, die Gründe dafür sind eindeutig.

Konzeption und Handlung
Im Grunde erzählt „Hannibal“ erst einmal die Vorgeschichte zu „Roter Drache“: In der ersten Episode wird der Profiler Will Graham (Hugh Dancy) von FBI-Ermittler Jack Crawford (Laurence Fishbourne) in einem Mordfall herangezogen, da Graham über die einzigartige Gabe verfügt, sich in den Kopf von Serienmördern hineinzuversetzen. Da dies Graham allerdings schwer zu schaffen macht, erhält der forensische Psychiater Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) den Auftrag, Will behilflich zu sein und vor allem dessen Geisteszustand zu überwachen. Gemeinsam schnappen sie noch in der ersten Episode ihren ersten Serienkiller, Garrett Jacob Hobbs (Vladimir Jon Cubrt), der auch im Roman „Roter Drache“ am Rande erwähnt wird. Hobbs wird von Graham erschossen und das Ganze könnte der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit zweier außergewöhnlicher Ermittler sein, wäre da nicht die Tatsache, dass Hannibal Lecter ein Kannibale ist, der sein Umfeld mit größter Freude in grausame und potentiell tödliche Psychospiele verwickelt.
In der Tat erinnert „Hannibal“ vor allem zu Beginn stark an die düsterere Version einer Ermittlerserie wie die diversen CSI-Serien, die Folgen scheinen nach Schema F aufgebaut zu sein, pro Folge taucht ein neuer Serienkiller auf, der dingfest gemacht werden muss. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, denn schnell wird klar, dass die Aufklärung des aktuellen Falls aboslut nicht im Zentrum steht, manchmal werden die Serienkiller geradezu sekundär. Es geht viel mehr um die Auswirkungen, die die Serienkiller auf Will haben, und natürlich um die komplizierte Beziehung zwischen Hannibal und Will. Trotz seines frühen Ablebens bleibt Garrett Jacob Hobbs etwa die ganze erste Staffel durch ein wichtiger Faktor, nicht zuletzt wegen seiner Tochter Abigail (Kacey Rohl), die von Will vor ihrem Vater gerettet wird. Somit offenbart sich im Verlauf der ersten Staffel, dass es sich bei „Hannibal“ eher um eine Charakterstudie als „nur“ um eine Krimiserie handelt.
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Jack Crawford (Laurence Fishburne)

Laut Bryan Fuller waren ursprünglich sieben Staffeln für die Serie geplant: Die ersten drei sollten die Vorgeschichte erzählen, die vierte sollte „Roter Drache“ adaptieren, die fünfte „Das Schweigen der Lämmer“, die sechste „Hannibal“ und die siebte sollte das Ganze mit neuem Material abschließen. Inzwischen sind jedoch sechs Staffeln anvisiert, die die Romane anders als bisher geplant adaptieren. Gewisse Freiheiten werden sich dabei gar nicht vermeiden lassen, schon allein deshalb, weil die Serie nicht in den 70ern und 80ern, sondern in den 2010ern spielt und die Handlung dementsprechend angepasst wurde. Neue Figuren sind hinzugekommen und andere wurden stark verändert. Aus Dr. Alan Bloom, einem ziemlich unwichtigen Nebencharakter, wurde beispielsweise Dr. Alana Bloom (Caroline Dhavernas), die nun eine wichtige Hauptrolle spielt. Ebenso wurde der Klatschreporter Freddie Lounds einer Geschlechtsumwandlung unterzogen (in der Serie dargestellt von Lara Jean Chorostecki) und mutierte vom Journalisten einer Boulevardzeitung zur Bloggerin, die eine True-Crime-Website betreibt.
Ich bin auf jeden Fall gespannt, in welcher Form der Inhalt der Bücher letztendlich in die Serie einfließt.

Die Umsetzung
Schon die drei Hannibal-Lecter-Filme mit Anthony Hopkins sind stilistisch und atmosphärisch sehr unterschiedlich. Wenn wir „Manhunter“, die erste Verfilmung von „Roter Drache“ aus dem Jahr 1986 noch miteinbeziehen, haben wir eine ziemlich große Bandbreite verschiedener Stile. Michael Manns „Manhunter“ ist sehr eindeutig ein Film der 80er, er wird dominiert von pseudofuturistischer Architektur, kahlen weißen Wänden, ausgedehnten Stränden und einer sehr interessanten Farbgebung.
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Alana Bloom (Caroline Dhavernas)

Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“ dagegen wirkt geerdeter, dreckiger und hat einen eindeutig gotischen Einschlag. Für „Hannibal“ wollte Ridley Scott eine barocke Blutorgie inszenieren, und egal ob man nun der Meinung ist, dass ihm dies gelungen ist, die Bilder des Films, vor allem die Aufnahmen von Florenz, sind zweifelsohne beeindruckend. „Hannibal“ fühlt sich eindeutig größer an als das eher beengte „Schweigen der Lämmer“. Mit „Roter Dracher“ unternahm Brett Ratner schließlich den Versuch, Elemente aller drei Herangehensweisen in seinen Film zu integrieren, was ihm in meinen Augen erstaunlich gut gelungen ist (von der Hannibal-Lecter-Filmen ist „Roter Drache“ ohnehin mein Favorit, was auch daran liegt, dass Francis Dolarhyde von Ralph Fiennes gespielt wird). Der Anfang des Films erinnert ein wenig an „Hannibal“, während Ratner im restlichen Film versucht, die gotisch-dreckige Atmosphäre von „Das Schweigen der Lämmer“ zu rekonstruieren und zu erweitern. Da er allerdings Dante Spinotti, der bereits bei „Manhunter“ als Kameramann fungierte, anheuerte, finden sich einige visuelle Anspielungen an die erste Verfilmung von „Roter Drache“.
Kommen wir nun zur Serie (die im kommenden Absatz gemeint ist, wenn ich „Hannibal“ schreibe): Gewisse Gemeinsamkeiten zu „Das Schweigen der Lämmer“ und „Roter Drache“ lassen sich nicht leugnen, auch „Hannibal“ bemüht sich um eine sehr düstere Atmosphäre mit Gothic-Elementen, geht dabei aber noch sehr viel weiter als die Filme. Laut Fuller war eine der Grundideen der Serie die Frage, was jemand wie David Lynch wohl mit Hannibal Lecter angestellt hätte. Dementsprechend strotz die Serie nur so vor surrealen, alptraumhaften Visionen. Während die Filme die Wahnsinnigen und die Auswirkungen ihres Wahnsinns zeigten, bemüht sich „Hannibal“, den Wahnsinn selbst darzustellen. Wir sehen nicht, was die Serienkiller tun, wir sehen durch ihre Augen, während sie es tun, wir erfahren genau, wie sie die Welt wahrnehmen, was „Hannibal“ sowohl inhaltlich als auch optisch enorm aufwertet und einen großen Teil der Faszination der Serie ausmacht. Obwohl die Morde an sich schon alles andere als harmlos sind, entfaltet sich der volle Schrecken erst durch diese zusätzliche, wohl durchdachte und grandios gestaltete psychologisch-visuelle Ebene.
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Freddie Lounds (Lara Jean Chorostecki)

Der Rest kommt von den meisterhaft gezeichneten Charakteren und den beeindruckenden Darstellern. Den beiden Hauptakteuren der Serie werde ich mich separat widmen, da es über sie viel zu schreiben gibt. Generell macht aber jeder der Schauspieler seine Sache ausgezeichnet. Laurence Fishburns Jack Crawford ist im Grunde die Rolle, die er ständig spielt, aber Fishburn eignet sich einfach wirklich gut für diese Art von Figur. Ebenso weiß Caroline Dhavernas als Alana Bloom zu überzeugen, und auch die Nebenrollen sind durchweg gelungen besetzt. Lediglich die von Lara Jean Chorostecki dargestellte Freddie Lounds bleibt ziemlich blass, wofür die Schauspielerin allerdings nichts kann.
Ebenfalls sehr gelungen sind die zahlreichen Anspielungen an Thomas Harris‘ Romane und die bisherigen Filme in Form von Zitaten, Kameraeinstellungen, neuen Figuren (Stichwort Dr. Abel Gideon; Eddie Izzards Darstellung erinnert stark an Anthony Hopkins‘ Hannibal Lecter; im Grunde ist die Figur eine wandelnde Anspielung) und Sets – hier wird nichts dem Zufall überlassen. „Hannibal“ spielt hier gekonnt mit den Erwartungen des Publikums, das letztendlich weiß, wie das Ganze enden muss – und dreht sie dann im Finale der ersten Staffel gekonnt um.

Will Graham
will graham
Die Serie mag zwar „Hannibal“ heißen, aber der eigentliche positive Protagonist ist Will Graham. Hugh Dancy ist bereits der dritte, der diese Rolle spielt, und auch hier gilt: In „Manhunter“ und „Roter Drache“ war die Figur, trotz gewisser Gemeinsamkeiten, sehr unterschiedlich konzipiert. Das Besondere an Will Graham ist, dass er sich in den Verstand von Serienmördern hineinversetzen kann. Diese Grundprämisse wird von den beiden Filmen und der Serie allerdings sehr unterschiedlich umgesetzt.
„Roter Drache“ ist hier am konservativsten, Edward Nortons Will Graham hat zwar die spezielle Gabe, die die Figur ausmacht und ist durchaus auch traumatisiert, aber davon abgesehen wirkt er wie ein ziemlich ausgeglichener und normaler Genosse. William Petersons Version der Figur scheint da schon weit weniger ausgeglichen, sein Graham leidet stärker unter seiner Gabe und ist dadurch getriebener, man bekommt den Eindruck, dass mit ihm nicht alles in Ordnung ist. Im Vergleich zu Hugh Dancys Darstellung ist allerdings auch Petersons Graham noch recht normal. Serien-Will weist eindeutig autistische Züge auf und hat sichtlich mit seinen Fähigkeiten und seiner ungewöhnlichen Wahrnehmung zu kämpfen. Über den Verlauf der ersten Staffel hat er (auch dank Hannibal Lecters Einmischung) immer mehr Probleme, zwischen Realität und Alptraum zu unterscheiden. Hugh Dancy stellt alle Aspekte seiner Figur hervorragend dar und ist in meinen Augen der beste, weil interessanteste Will Graham.

Hannibal Lecter
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Hannibal Lecter gehört fraglos zu den ikonischsten Schurken der Filmgeschichte. Auch hier lassen sich drei sehr verschiedene Darstellungen miteinander vergleichen. Brian Cox hatte in „Manhunter“ freilich nicht allzu viel Gelegenheit, seinen Hannibal Lecktor (man achte auf die falsche Schreibweise) zur vollen Entfaltung zu bringen, da er nur drei Szenen hat (es wird nicht einmal erwähnt, dass er Kannibale ist): Das Gespräch mit Will Graham, das anschließende Herausfinden von Grahams Privatadresse und schließlich noch ein kurzes Telefonat mit Graham zum Schluss des Films. Cox‘ Version der Figur ist vor allem eine schnellsprechende Nervensäge, der es trotzdem gelingt, auf diese Weise in den Kopf seines Gegenübers einzudringen.
Anthony Hopkins ist natürlich der Schauspieler, der primär mit Hannibal Lecter in Verbindung gebracht wird, und seine Herangehensweise an die Figur unterscheidet sich stark von Cox‘ Performance. Für diese Version des Charakters ist seine Zelle quasi eine Bühne, er genießt die Konversation mit den ihm geistig unterlegenen in vollen Zügen – und er genießt es, sie wissen zu lassen, dass er mehr auf dem Kasten hat als sie. Hopkins‘ Hannibal Lecter ist äußerst theatralisch und reizt die gegensätzlichen Seiten seiner Figur voll aus, sei es der Kulturmensch oder das gnadenlose Monster. Dies könnte auch damit zusammenhängen, dass Hopkins-Hannibal sich nur selten verstellen muss, vor allem in „Roter Drache“ und „Das Schweigen der Lämmer“ weiß jeder, mit dem er spricht, dass er ein Massenmörder und Kannibale ist; warum als sich verstellen, statt mit den Leuten zu spielen und sie zu irritieren?
Dieser Aspekt spielt auch bei Mads Mikkelsens Darstellung des Doktors eine wichtige Rolle, da Lecter in „Hannibal“ an einem anderen Punkt in seinem Leben steht: Er ist gezwungen, sich zu verstellen und muss den Anschein erwecken, dem FBI und Will Graham zu helfen, während er sie manipuliert und mit ihnen spielt. Mikkelsens Hannibal ist weitaus subtiler und zurückhaltender als Hopkins‘, weniger offen monströs und auch weniger offen überlegen. Mikkelsen wirkt in der Rolle kühler und beherrschter, wobei ich sehr gespannt darauf bin, wie die Figur sich wohl entwickelt, wenn sie sich in einer ähnlichen Situation befindet wie Hopkins-Lecter.
Letztendlich finde ich alle drei Versionen der Figur äußerst gelungen, alle drei Schauspieler liefern tadellose Arbeit ab. Cox schafft es trotz seiner kurzen Auftritte, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, Hopkins hat die Figur unsterblich gemacht und Mikkelsen schafft es vorzüglich, den Zuschauer einzunehmen. Besonders gelungen ist in meinen Augen, dass es ihm gelingt, den Zuschauer mitunter vergessen zu lassen, dass er hier Hannibal Lecter zusieht, sodass sogar des Öfteren Sympathie entsteht – das liest man zumindest ziemlich häufig. Da ich ohnehin fast immer für die Bösen bin, ist das für mich völlig normal.

Die Musik
Wenn ich die größte Schwäche der Serie nennen müsste, wäre das in meinen Augen wohl die Musik, auch wenn das stark mit meinem persönlichen Geschmack zusammenhängt. Komponist der Serie ist Brian Reitzell, der sich für eine sehr minimalistische Herangehensweise entschieden hat – nur leider mag ich minimalistische Ambience-Scores überhaupt nicht. An manchen Stellen erinnert die Musik ein wenig an den Soundtrack von „Verblendung“, auch wenn Reitzell immer noch ein weitaus besseres dramatisches Gespür hat als das Duo Reznor/Ross.
Unterziehen wir noch kurz die anderen Adaptionen der Harris-Romane einer kurzen, musikalischen Betrachtung. Alle vier Filme haben stilistisch sehr unterschiedliche Soundtracks. Die Musik von „Manhunter“, komponiert von Michel Rubini und The Reds, klingt sehr nach den 80ern und wirkt leider hoffnungslos veraltet. Für „Das Schweigen der Lämmer“ komponierte Howard Shore einen sehr zurückhaltenden, aber nichts desto trotz gut funktionierenden Suspense-Score, der als vom Film getrenntes Hörerlebnis allerdings eher dröge ist. Sowohl Hans Zimmers „Hannibal“ als auch Danny Elfmans „Roter Drache“ konkurrieren für mich um den Titel „Bester Hannibal-Lecter-Soundtrack“. Für Ridley Scotts Film komponierte Zimmer etwas, das zur grandios-barocken Atmosphäre des Films passt und sowohl die Düsternis (durch elektronische Manipulation und schrille Töne) als auch Hannibals kulturelle Seite (durch das Einflechten klassischer Stücke und Stilanleihen bei Johann Sebastian Bach) hervorragende repräsentiert. Der musikalische Höhepunkt des Franchise ist in Form der von Patrick Cassidy komponierten Arie Vide Cor Meum ebenfalls in Scotts „Hannibal“ zu finden.
Elfman schließlich komponierte einen klassischen, recht brutalen Horror-Score im Stile Bernhard Herrmans, dessen dominante Motive allerdings in erster Linie Francis Dolarhyde und nicht Hannibal Lecter repräsentieren.
Um nun wieder zu Reitzells Musik zurückzukehren: Im Grunde versucht die Serie, musikalisch eine ähnliche Dualität zu etablieren, wie Hans Zimmer es tut, nur ist der Erfolg in meinen Augen weitaus geringer. Die klassischen Stücke, die etwa eingespielt werden, wenn Hannibal gerade kocht, funktionieren gut, aber, aber zwischen diesen und Reitzells‘ Suspense-Musik gibt es so gut wie keine Verbindung. Mehr noch, besagte Suspense-Musik besteht vor allem aus repetitiven Klangfiguren und viel Sounddesign. Wie gesagt, das hängt vor allem mit meiner persönliche Vorliebe zusammen, aber ich hätte mir eine (orchestrale) Mischung der Herangehensweisen von Hans Zimmer und Danny Elfman gewünscht, vielleicht von einem Komponisten wie Roque Baños. Allerdings finde ich es toll, dass in der ohnehin schon genialen Finalszene der ersten Staffel das Vide Cor Meum erklingt.

Fazit
„Hannibal“ ist nicht nur eine gelungene Neuinterpretation des hochgebildeten Kannibalen und der anderen Charaktere von Thomas Harris, sondern auch eine eindringliche, enorm spannende und rundum gelungene Thriller/Horror-Serie, die ihresgleichen sucht. Vollste Empfehlung für alle Fans von Hannibal Lecter und all jene, die gute Serienkost schätzen und keinen schwachen Magen haben.

Prometheus – Dunkle Zeichen

prometheus
Story: 2089: Die Wissenschaftler Elizabeth Shaw (Noomi Rapace) und Charly Holloway (Logan Marshall-Green) entdecken Spuren einer mythischen Schöpferrasse, der sogenannten „Konstrukteure“, die möglicherweise auch die Menschheit geschaffen hat. Zu diesen Spuren gehört auch eine Sternenkarte. Die Weyland Corporation, eine mächtige Firma, stellt den beiden ein Schiff samt Besatzung, inklusive des mysteriösen Androiden David (Michael Fassbender), zur Verfügung, um diesen Spuren nachzugehen. Die Crew landet schließlich auf einem Mond mit Atmosphäre, auf welchem sie in der Tat Spuren der Konstrukteure finden – Spuren, die sich schon bald als lebendige, tödliche Gefahr erweisen. Dass einige Mitglieder der Crew ein doppeltes Spiel spielen ist dabei auch nicht sonderlich hilfreich…

Kritik: „Prometheus“ stellt Ridley Scotts Rückkehr ins Alien-Franchise dar, welches er 1979 mit gleichnamigem Film begründete. Ursprünglich sollte dieser Film ein direktes Prequel werden, das die Herkunft des Xenomorph zeigen sollte. Ein Prequel ist „Prometheus“ immer noch – in gewisser Weise; und auch der Alien-Ursprung wird thematisiert – in gewisser Weise. Im Alien-Fandom ist „Prometheus“ jedenfalls nach allem, was man so hört, nicht besonders gut angekommen, und ich kann mir auch recht gut vorstellen weshalb. Es gibt natürlich viele Parallelen zum ursprünglichen Film, u.a. in Aufbau, Atmosphäre, Figurenkonstellation (überlebende Protagonistin, Android), sogar Jerry Goldsmiths Alien-Thema wird an einer Stelle zitiert. Der eigentliche Ursprung des Aliens – der Film endet mit der „Geburt“ eines Alien-Prototyps, von den Filmemachern als „Deacon“ bezeichnet – ist letztendlich einer Kette von Zufällen zu verdanken und für den Verlauf dieses Films ziemlich obsolet. Wären die entsprechenden Szenen geschnitten worden, man hätte wohl kaum etwas vermisst. Möglicherweise wird das Ganze ja noch für ein potentielles Sequel wichtig, aber wenn man sich „Prometheus“ alleine ansieht, ist die Entstehung des Alien vor allem deshalb im Film, um die Fans zufrieden zu stellen – so erscheint es zumindest mir, und dieses Vorhaben ist dann ja wohl auch irgendwie misslungen. Trotz der Parallelen und des Alien-Handlungsstranges ist „Prometheus“ weniger ein Prequel zu „Alien“ als eine Verfilmung von H.P. Lovecrafts „Berge des Wahnsinns“. Strukturell und inhaltlich sind sich beide Werke extrem ähnlich: Eine Forschergruppe findet an einem abgelegenen Ort (bei Scott auf dem Mond eines fremden Planeten, bei Lovecraft in der Arktis) Spuren einer überlegenen Schöpferrasse (bei Scott die Konstrukeure, bei Lovecraft die Alten Wesen bzw. „Elder Beings“), welche die Menschheit aus Zufall, zum Spaß oder aus einem anderen Grund erschaffen hat und nun scheinbar nicht mehr da ist. Allerdings hat besagte Rasse biologische Spuren ihres Schaffens hinterlassen, welche dem Forscherteam ziemlich Probleme bereiten und sich als äußerst mörderisch erweisen. Und ein großes, schleimiges Etwas mit Tentakeln gibt es auch.
In der Tat funktioniert „Prometheus“ als Lovecraft-Verfilmung fast besser denn als Alien-Prequel. Während vor allem in den ersten beiden Dritteln der Geist von „Berge des Wahnsinns“ wirklich gut eingefangen wird, sind für einen Alien-Film (wenn man die guten als Maßstab nimmt und nicht die schlechten) vor allem die Figuren zu schwach und uninteressant. Gerade diesbezüglich sticht lediglich der von Michael Fassbender verkörperte Androide David hervor, der Rest ist sowohl charakterlich als auch schauspielerisch relativ uninteressant, Charlize Theron wirkt sogar irgendwie Fehl am Platz. Enttäuschend ist auch das Finale das, gemessen an dem, was unternommen wurde, um es aufzubauen, viel zu unkreativ ausfällt.
Fazit: Netter, atmosphärischer Sci-Fi-Horror, der allerdings weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt und als Lovecraft-Verfilmung besser funktioniert als als Alien-Prequel.

Trailer

Siehe auch:
Der Cthulhu-Mythos
Hellboy