Fiebertraum

Halloween 2015
fevredream
Unglaublich, aber wahr: George R. R. Martin hat auch Werke verfasst, die nichts mit der Welt von Eis und Feuer zu tun haben. Tatsächlich war er in einigen Genres aktiv, darunter auch Horror. 1982 erschien mit „Fiebertraum“ („Fevre Dream“) ein Vampirroman aus seiner Feder – und ein äußerst lohnenswerter noch dazu, denn auch Martin leistete seinen Beitrag zum immer populärer werdenden sympathischen Vampir.

Die Handlung beginnt im Jahr 1857, im Zentrum steht Abner Marsh, ein sehr fähiger, wenn auch äußerst unattraktiver Mississippi-Kapitän. Nach einer Pechsträhne erhält Marsh von dem mysteriösen Joshua York ein Angebot, das er einfach nicht ablehnen kann: York schlägt ihm vor, einen Flussdampfer zu finanzieren, wie ihn der Mississippi noch nie gesehen hat und auf dem sie gemeinsam das Sagen haben. Die einzige Bedingung ist, dass Marsh Yorks seltsame Angewohnheiten akzeptiert und keine Fragen stellt. Das Ergebnis der Zusammenarbeit ist die Fevre Dream, ein opulentes Schiff, das schon bald zur Legende werden und die schnellsten Dampfer auf dem Mississippi schlagen könnte. Doch besagte Angewohnheiten Yorks beginnen schon bald, Marsh massiv zu stören, unter anderem verschwindet York immer wieder, verzögert so die Abfahrt und bringt neue, merkwürdige Passagiere an Bord. Schließlich kommt Marsh hinter das Geheimnis seines Partners: Dieser ist ein Vampir, der sein Schicksal nicht anerkennt und versucht, seine Artgenossen mithilfe eines Blutersatzes vom Töten abzubringen. Marsh erklärt sich schließlich dazu bereit, seinem Partner zu helfen. In Damon Julien, einem Jahrtausende alten Blutsauger, haben sie allerdings einen übermächtigen Gegner, der keinerlei Interesse daran hat, seine Lebensweise zu ändern…

Inhaltlich unterscheidet sich „Fiebertraum“ sehr stark von den Romanen, für die Martin vor allem populär ist, stilistisch gibt es allerdings diverse Parallelen. Wie in „A Song of Ice and Fire“ gibt es POV-Charaktere, durch deren Augen der Leser das Geschehen ausschließlich sieht; hier sind es Abner Marsh und Sour Billy Tipton, der menschliche Helfer von Damon Julien, wobei Letzterer eindeutig ein sekundärer Protagonist ist, während der Fokus auf Marsh liegt. Und wie in „A Song of Ice and Fire“ ist die Erzählung sehr breit angelegt und darüber hinaus auch sehr gut recherchiert, es dauert eine Weile, bevor man als uneingeweihter Leser erfährt, worum es eigentlich geht. Der Horror-Aspekt wird erst in der zweiten Hälfte des Romans dominant, dann aber richtig, denn mit Damon Julien ist definitiv nicht zu Spaßen. Den ersten Teil nutzt Martin vor allem, um die Eigenheiten der Zeit und des Settings sehr detailliert zu beschrieben, was manch einen ungeduldigeren Leser vielleicht abschrecken könnte. Auf mich hatte es allerdings eher den gegenteiligen Effekt, Martin schafft es, Setting und Atmosphäre äußerst plastisch zu gestalten und die Geschehnisse interessant darzustellen. Das gilt auch für Abner Marsh, der erfreulicherweise kein klischeehafter Protagonist ist, sondern äußerst authentisch und sympathisch daherkommt. Ebenso sind die beiden Vampire äußerst interessante Figuren.

Apropos Vampire: Diese sind bei Martin eine eigene Spezies, die sich parallel zu den Menschen entwickelt hat, das heißt, dass Menschen nicht verwandelt werden können, man wird als Vampir geboren. Viele der klassischen Eigenschaften spielen deshalb auch keine Rolle, wirklich wichtig sind nur zwei: Der Blutdurst (hier als „der rote Durst“ bezeichnet, der Vampire zum Töten treibt) sowie die Anfälligkeit gegenüber Sonnenlicht. Einige der inhaltlichen Ideen greifen bereits einiges vorweg, was in den folgenden Jahrzehnten durch andere Werke populär werden sollte. Das von Joshua York erfundene Elixier, das den roten Durst bekämpft, kann wohl getrost als Vorläufer des Tru Blood in Charliane Harris‘ „Southern Vampire Mysteries“ und der darauf basierenden TV-Serie „True Blood“ betrachtet werden, während die Idee, dass der biblische Kain der Urvater der Vampire ist, von „Vampire: The Masquerade“ aufgegriffen und popularisiert wurde.

Joshua York steht als mit seiner Natur hadernder „guter“ Vampir derweil in der Tradition von Sir Francis Varney und Louis de Point du Lac. Anders als sonst bei Martin ist Damon Julien wirklich eindeutig böse und der Schurke, bleibt als solcher aufgrund seiner Konzeption allerdings stets interessant; Julien ist alt und ausgebrannt, hegt einen Todeswunsch und klammert sich gleichzeitig an sein Leben. Jegliche Ähnlichkeit zu Menschen, die er vielleicht einmal besessen haben mag, ist schon vor langer Zeit verschwunden. Auch hier haben sich die Macher von „Vampire: The Masquerade“ bei der Konzeption der uralten Vampire deutlich an Martin orientiert.

Fazit: „Fiebertraum“ ist der Beweis, dass George R. R. Martin auch schon ein großartiger Autor war, bevor er sein Magnum Opus verfasste. Hier finden sich bereits viele der stilistischen Stärken von „A Song of Ice and Fire“, zusätzlich zu einer gelungenen Variation des Vampirs und einer verdammt spannenden, atmosphärisch grandiosen Geschichte. Wer nach einem guten Vampirroman sucht, macht mit „Fiebertraum“ nichts falsch.

5 Gedanken zu “Fiebertraum

  1. The LaSt

    Oh, es gibt eine illustrierte Ausgabe von Fevre Dream? Oder ist das eine Neuauflage der Graphic Novel auf dem Bild?

    Ich hatte leider ein bisschen so meine Probleme mit den Charakteren – vielleicht wäre das nicht so schlimm gewesen, hätte ich das Buch vor der ASOIAF-Reihe gelesen, aber ich finde, man merkt, wie sehr sich Martin gesteigert hat. Ich fand die Protagonisten in Fevre Dream im Vergleich etwas zu eindimensional, es gibt mir eine zu klare Grenze zwischen gut und böse. Aber wenn man es mit einigen andern *hüstel* „Vampir“-Romanen vergleicht, die in den letzten Jahren auf den Markt kamen, will ich mal nicht meckern… 😀

    1. Die Comicadaption wurde von Rafa Lopez gezeichnet, das ist also tatsächlich eine illustrierte Ausgabe, die aber leider nicht besitze – ich fand dieses Cover lediglich am schönsten, deshalb habe ich es verwendet 😉

      Stimmt schon, im Vergleich zu ASoIaF sind die Charaktere nicht ganz so detailliert ausgearbeitet. Sie sind zwar relativ eindeutig gut und böse, aber sowohl Marsh als auch York haben trotzdem ihre Schwächen, sind gut ausgearbeitet und (für mich) auch interessant genug – und gerade York hat ja auch seine dunkle Seite und seine doch eher unschöne Vergangenheit. Und, wie ich schrieb, vor allem Damon Julien fand ich sehr interessant konzipiert.

      Jep, derzeit darf man mit Vampirromanen und Filmen nicht soo wählerisch sein – wenn sie nicht glitzern ist das schon mal ein dicker Pluspunkt 😀

      1. The LaSt

        Ah, ok – ja, dieses Cover sieht bedeutend schöner aus als das der deutschen Ausgabe oder das billige Bantam-Taschenbuch, das mein Regal verunziert 😛

        Es ist bei mir wohl auch eher „jammern auf sehr hohem Niveau“: Das Buch ist wirklich gut, die Charaktere waren gut ausgearbeitet, im Vergleich zu ASoIAF wäre aber manchmal noch Luft nach oben. Damon ist wirklich eine interessante Figur, ich fand ihn spannender als Joshua, obwohl er nicht so ambivalent ist wie dieser.

        Ja, nicht glitzern und keine „vegetarische“ Ernährung… 😀 In dieser Hinsicht war Fevre Dream zusammen mit John Ajvide Lindqvists „So finster die Nacht“ definitiv einer der besten „neuen“ Vampirromane, die mir untergekommen sind.

      2. Ein Artikel zu „So finster die Nacht“, bzw. das Verhältnis der Vorlage zu den beiden Filmadaptionen, steht diesen Monat auch noch auf meiner To-Do-Liste 😉

      3. The LaSt

        Da bin ich ja mal gespannt 🙂 Ich habe auch beide Filme gesehen, muss aber sagen, dass mein urteil, welcher der bessere ist, sehr eindeutig zugunsten des schwedischen Originals ausfällt…

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