Art of Adaptation: Hannibal

Halloween 2023
Hannibal_1999_Book_Cover
Thomas Harris ist kein Vielschreiber. Für „The Silence of the Lambs” brauchte er sieben Jahre, und nachdem der zweite Hannibal-Lecter-Roman sich als enorm erfolgreich erwies, von der Verfilmung gar nicht erst zu sprechen, nahm sich Harris noch mehr Zeit, um die Fortsetzung zu verfassen. Elf Jahren sollten vergehen, bis „Hannibal“ 1999 erschien. Anders als die beiden Vorgänger wurde der Roman sehr zwiespältig aufgenommen, ein Schicksal, das er mit dem Film teilt. Das mag auch daran liegen, dass sich „Hannibal“ stark von seinen Vorgängern unterscheidet, was sowohl inhaltliche als auch externe Gründe hat. Zum einen ließ Harris Hannibal Lecter in „Silence“ ausbrechen, das heißt, das Muster des Ermittlers, der den einsitzenden Serienkiller in einem Fall konsultiert, konnte nicht mehr verwendet werden. Zum anderen hatte Harris eine potentielle Verfilmung vermutlich bereits im Hinterkopf, und so legte er den Fokus auf das Element, von dem er glaubte, dass seine Leserschaft es wollte: Mehr Hannibal und seine Beziehung zu Clarice Starling.

Handlung und Konzeption
Strukturell sind „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs” einander sehr ähnlich: Beiden Romanen liegt eine klassische Krimihandlung zugrunde, ein Ermittler, Will Graham bzw. Clarice Starling, ermittelt im Fall eines Serienkillers und zieht dabei den eingesperrten Kannibalen Hannibal Lecter zurate. Und in beiden Romanen erforscht Harris nicht nur die Persönlichkeit besagten Ermittlers, sondern auch die des gejagten Serienkillers, den der Leser deutlich vor dem Ermittler kennenlernt. „Hannibal“ ist der erste Roman der Lecter-Reihe, der aus diesem Muster ausbricht, nicht zuletzt deshalb, weil auch Hannibal Lecter im letzten Drittel von „The Silence of the Lambs“ ausgebrochen ist und sich zu Beginn von „Hannibal“ bereits seit Jahren auf freiem Fuß in Florenz befindet, also nicht in der Lage ist, bei einem wie auch immer gearteten Fall zu helfen oder den Serienkiller per Zeitungsannonce auf den Ermittler aufmerksam zu machen. Folgende Inhaltsangabe deckt sowohl den Roman als auch den Film ab.

Seitdem sie Jame Gumb gestellt und getötet hat, ist Clarice Starling (Julianne Moore) eine vollwertige FBI-Agentin, allerdings läuft es derzeit nicht allzu rosig. Nach einem verpatzten Einsatz versucht das Bureau, Starling zum Sündenbock zu machen – besonders Paul Krendler (Ray Liotta) vom Justizministerium scheint es auf Starling abgesehen zu haben. Just in diesem Moment erhält Starling einen Brief von Hannibal Lecter (Anthony Hopkins). Zudem scheint das einzige überlebende Opfer Lecters, der reiche, aber entstellte und gelähmte Mason Verger (Gary Oldman in phänomenalem Make-up) über eine neue Spur zu verfügen. Seine Informationen gibt Verger allerdings nicht aus purer Herzensgüte heraus, stattdessen ist er auf Rache aus und kocht sein eigenes Süppchen, um den kannibalischen Psychiater einzufangen. Lecter selbst betätigt sich derweil unter dem Decknamen „Dr. Fell“ als Kurator der Capponi-Bibliothek in Florenz, wo allerdings der Polizist Rinaldo Pazzi (Giancarlo Giannini) auf ihn aufmerksam wird, um schließlich Mason Verger zu informieren. Lecter gelingt es allerdings, Pazzi und Vergers Häschern zu entgehen und nach Amerika zurückzukehren – allerdings nicht, ohne Pazzi vorher auf äußerst unschöne Art zu töten. Zurück in den USA gelingt es Verger dann allerdings doch, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, Lecter in seine Gewalt zu bringen. Um sich an ihm zu rächen, möchte Verger den Psychiater an eine Horde speziell gezüchteter Wildschweine verfüttern. Nun ist es an Starling, Lecter zu retten oder ihn sterben zu lassen…

Hier zeigt sich relativ eindeutig, wie Harris die Struktur der ersten beiden Lecter-Romane hinter sich lässt. Einige Elemente behält er allerdings auch bei – so ist Lecter in keinem der Romane beispielsweise der zentrale Antagonist, auch wenn sich seine Rolle von Roman zu Roman wandelt. In „Red Dragon“ lässt er sich am besten als sekundärer Antagonist beschreiben, in „The Silence of the Lambs“ hat er eher eine Mentorenrolle und in „Hannibal“ beginnt er, sich als sekundärer Protagonist fast schon zum Antihelden zu entwickeln; eine Entwicklung, die ihren Höhepunkt in „Hannibal Rising“ findet. Zentraler Antagonist ist in „Hannibal“ Mason Verger, der jedoch ein völlig anderes Biest ist als Francis Dolarhyde oder Jame Gumb. Auch Mason Verger ist zweifelsohne ein menschliches Monster, aber definitiv kein sozial gehemmter Serienkiller, der von seinen Psychosen getrieben wird. In gewisser Weise erinnert Verger, auf der einen Seite körperlich entstellt und völlig hilflos, auf der anderen aber aufgrund seines Reichtums extrem mächtig und zudem sadistisch, eher an einen Comic- oder Bond-Schurken. Gerade im Kontrast zu den (verhältnismäßig) geerdeten und realistischen, wenn auch überhöhten Serienmördern in „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs“ ist Mason Verger, der seine Martinis gerne mit Kindertränen angereichert trinkt und bereits gemeinsam mit Idi Amin seinem mörderischen Hedonismus frönte, doch reichlich over the top.

Dementsprechend ist der Plot von „Hannibal“ auch nicht als Krimihandlung inszeniert. Zwar gibt es durchaus Ermittlungsarbeiten, diese treten allerdings rasch in den Hintergrund. In einer Rezension, die ich vor vielen Jahren einmal gelesen habe (unglücklicherweise weiß ich nicht mehr, wo) wurde „Hannibal“ recht treffend beschrieben als Versuch, eine „barocke Blutorgie“ zu inszenieren. Tatsächlich wirkt es so, als versuche Harris „Hannibal“ zum Epos zu machen, mit einer deutlich weiteren und umfangreicheren Erzählweise. Vor allem die Florenz-Passagen stechen hier hervor. Zudem werde zumindest ich den Gedanken nicht los, dass Harris den Roman bereits mit dem Gedanken an eine potentielle Verfilmung verfasste: Mehr Action, mehr Nervenkitzel, generell mehr Grandeur. Und zumindest in Teilen wird das durchaus auch genutzt: Die düsteren Keller und verfallenen Häuser des Vorgängers werden durch die üppige Panoramaaufnahmen von Florenz ersetzt und wo die Konfrontation der Ermittlerin mit dem Serienkiller der Höhepunkt an Action war, beginnt „Hannibal“ bereits mit einem FBI-Großeinsatz.

Ist weniger mehr?
Dass „Hannibal“ verfilmt werden würde, war angesichts des Erfolges von „The Silence of the Lambs“ von Anfang an klar. Allerdings waren weder Regisseur Jonathan Demme noch Hauptdarstellerin Jodie Foster geneigt, sich an der Fortsetzung zu beteiligen – beiden behagte die Entwicklung der Geschichte und vor allem das Ende nicht. Aus diesem Grund wandte sich Produzent Dino de Laurentiis, Produzent aller vier Lecter-Filme, an einen Hochkaräter, dessen Film „Gladiator“ zuvor den Oscar als bester Film gewonnen hatte: Ridley Scott. Tatsächlich schlug de Laurentiis Scott bereits am Set von „Gladiator“ die Regie für „Hannibal“ vor, was dieser allerdings zuerst ablehnte, da er dachte, es handle sich um einen Film über den punischen Heerführer und er nach „Gladiator“ nicht schon wieder ein Historienepos drehen wollte. Das Drehbuch von David Mamet und Steven Zaillian überzeugte ihn dann allerdings. Während Anthony Hopkins als Lecter zurückkehrte (ohne seine Beteiligung wäre der Film kaum denkbar gewesen), besetzten Scott und de Laurentiis Starling dieses Mal mit Julianne Moore, die das eine oder andere Mal mit Starlings Akzent kämpfen muss und auch sonst hinter Jodie Foster zurückbleibt. Außer Hopkins kehrte zudem nur ein weiterer Schauspieler aus „The Silence of the Lambs“ zurück: Frankie Faison als Barney Matthews, der nicht nur, wie Hopkins, in allen Filmen der sog. Lecter-Trilogie mitspielt, sondern auch eine kleine Rolle in „Manhunter“ innehat und damit der Schauspieler in den meisten Harris-Verfilmungen ist.

Nun ist „Hannibal“ der umfangreichste Lecter-Roman – dementsprechend musste die Filmadaption deutlich mehr Elemente auslassen, als es noch bei „The Silence of the Lambs“ der Fall war. Einige ergaben sich durch die Umstände: Scott Glenn hatte, ähnlich wie Jodie Foster, kein Interesse an einer Rückkehr als Starlings Mentor Jack Crawford, und so wurde die Figur, die im Roman ohnehin nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, komplett entfernt. Auch Starlings andere primäre Bezugsfigur, ihre Mitbewohnerin Ardelia Mapp, in „The Silence of the Lambs“ gespielt von Kasi Lemmons, fiel der Schere zum Opfer. Schon im Roman hat Starling scheinbar nur wenige soziale Kontakte, ohne Mapp und Crawford wirkt sie im Film nun fast völlig isoliert. Auch einige für „Hannibal“ neu geschaffene Figuren wurden ausgelassen, so etwa Mason Vergers Schwester Margot – auf sie werde ich in einem zukünftigen Artikel noch zu sprechen kommen. Zudem wurden zwei von Vergers Lakaien, Cordell und Dr. Doemling, zu einer Figur verschmolzen – Dr. Cordell Doemling (Željko Ivanek), der zu allem Überfluss auch noch Margots Rolle übernimmt, denn im Roman ist sie es, die ihren verhassten Bruder tötet, während diese Aufgabe im Film Cordell zugedacht wurde.

Von den geschnittenen Subplots und Figuren einmal abgesehen folgt der Film der Romanhandlung relativ genau und arbeitet zumindest die wichtigsten Stationen der Handlung ab, auch wenn hier und da einige Umstrukturierungen stattfinden. Das Gespräch zwischen Barney und Verger, mit dem der Film eröffnet wird, findet bei Harris beispielsweise erst in der Mitte des Romans statt und die Endszene im Flugzeug, in der Hannibal einem Kind etwas zu essen anbietet stammt, anders kontextualisiert, ebenfalls aus der Mitte des Romans. Wie nicht anders zu erwarten werden zudem diverse Details ausgespart: Nach ihrem Besuch bei Mason Verger führt Starling auf der Suche nach Lecter noch weitaus umfangreichere Ermittlungen durch und besucht beispielsweise das inzwischen größtenteils leerstehende Gebäude, in dem Hannibal Lecter so viele Jahre lang eingesperrt war. Dreh- und Angelpunkt dieser Ermittlungen ist ein Detail, das in den Filmen ohnehin nicht vorkommt: Lecters zusätzlicher Finger an einer Hand, den er sich chirurgisch entfernen ließ. Ebenfalls stark reduziert wird Lecters Rückkehr nach Amerika, diese sowie die Vorkehrungen und Maßnahmen, die der Doktor trifft, schildert Harris sehr ausführlich, im Film hingegen werden sie kaum thematisiert.

Gerade im Kontext des Medienwechsels ist zudem die Gewaltdarstellung ein sehr interessantes Thema, auch in Hinblick auf die anderen Romane und Filme. „Red Dragon“ und „The Silence of the Lambs“ sowie ihre zugehörigen Filmumsetzungen schilderten bzw. zeigten selten die Morde an sich, sondern ließen uns als Zuschauer und Leser eher die Nachwirkungen erforschen – die große Ausnahme diesbezüglich ist natürlich Lecters Ausbruch. Im Gegensatz dazu finden sich in „Hannibal“ diverse perfide Morde, die der Doktor begeht, zusätzlich zu nicht primär tödlichen Gemeinheiten – Stichwort: Mason Vergers Verstümmelung. Diese wird im Roman nur rückblickend von Verger selbst geschildert, der Film hingegen zeigt sie als recht verschwommenen Rückblick – allerdings kein Vergleich zu dem, was die Serie „Hannibal“ aus dieser Szene machen sollte. Generell ist „Hannibal“ – egal ob Buch oder Film – in der Gewaltdarstellung sehr viel expliziter und überdrehter. In „The Silence of the Lambs“ war Lecters Ausbruch gerade deshalb so schockierend, weil er der einzige Vorfall dieser Art war, während der Rest des Films sich auf implizierte Gewalt verließ. „Hannibal“ dagegen such nur allzu oft den schieren Schock, sei es beim Tod Rinaldo Pazzis oder in der berühmt berüchtigten Gehirn-Szene. Mason Vergers Tod, so unangenehm er auch sein mag, ist im Vergleich zum Roman allerdings etwas, sagen wir, „entschärft“. Generell scheint mir dieser Hang zur Exploitation in „Hannibal“ eher kontraproduktiv zu sein, primär, weil er die Suspense unterminiert und Selbstzweck zu sein scheint. Dies steht in einem interessanten Kontrast zur Serie „Hannibal“, die zwar über eine nicht minder drastische Gewaltdarstellung verfügt, diese aber in einen völlig anderen konzeptionellen und narrativen Kontext setzt.

Die Vollendung der Metamorphose: Mehr von Hannibal und Clarice
Metamorphose war stets ein essentielles Thema in den bisherigen Hannibal-Lecter-Romanen und -Filmen – primär als motivierende Psychose des jeweiligen Serienkillers. In „Red Dragon“ ist es die mentale Transformation Francis Dolarhydes in den großen roten Drachen und in „The Silence of the Lambs“ Jame Gumbs Wunsch nach körperlicher Metamorphose. In „Hannibal“ ist es der titelgebende Doktor selbst, der diese Thematik fortsetzt. Nachdem in den vergangenen beiden Romanen verhältnismäßig wenig über Hintergründe und Werdegang des kultivierten Kannibalen enthüllt wurde, gibt Harris in „Hannibal“ erste Details, die er in „Hannibal Rising“ weiter ausarbeiten sollte. Als Ursprung von Lecters, nennen wir es einmal „Geisteshaltung“, denn Psychose trifft es definitiv nicht, inszeniert Harris den gewaltsamen Tod von Lecters Schwester Mischa, den er in jungen Jahren miterleben musste, als Lecters Elternhaus in Litauen während des Zweiten Weltkriegs von Nazi-Kollaborateuren überfallen wird. Diese töten Mischa nicht nur, sondern verspeisen sie aufgrund der Lebensmittelknappheit auch – und füttern den jungen Hannibal Lecter ebenfalls mit ihr. Diese Idee einer Freudschen Entschuldigung für Lecters Kannibalismus kam unter Fans des Doktors überhaupt nicht gut an – wie so oft scheint eine derartige Enthüllung die enigmatische Figur zu entmystifizieren und zugleich zu banalisieren. Dennoch baut Lecters komplette Motivation im Roman auf diesem erlittenen Trauma auf. Sein letztendliches Ziel ist es, einen Platz für seine Schwester Mischa in der Welt zu finden, sie quasi zurückzubringen. Symbolisiert wird das durch eine zerbrochene Teetasse, die sich von selbst wieder zusammensetzt – eine Metapher, die immer wieder auftaucht. Der Platz, den Lecter sich schließlich für die Rückkehr seiner Schwester aussucht, ist Starling. Das kontroverse Ende des Romans steht schließlich komplett im Zeichen dieser Motivation, denn mit Drogen und Gehirnwäsche versucht Lecter tatsächlich, Starling praktisch in Mischa zu verwandeln, wobei wir wieder bei der Thematik der Metamorphose wären. Starling wehrt sich allerdings gegen dieses Vorhaben und bleibt sie selbst, was Hannibal in letzter Konsequenz akzeptiert. Stattdessen werden die beiden nun ein Liebespaar, überwinden so ihr jeweiliges Trauma und werden Jahre später von Barney in Buenos Aires beobachtet, woraufhin dieser panisch die Flucht ergreift. Dieses Ende der Lecter-Saga ist auf vielen Ebenen problematisch und wurde extrem kontrovers aufgenommen. Es scheint primär gegen Starlings fundamentale Natur und ihre Prinzipien zu verstoßen, aber auch für Lecter wirkt dieser Ausgang unangemessen.

Ganz ähnlich sahen es auch Ridley Scott, David Mamet, Steven Zaillian und Anthony Hopkins, weswegen sowohl Lecters Motivation als auch das Ende komplett geändert wurden. Mischa und sonstige Elemente des von Harris etablierten Hintergrunds der Figur tauchen im Film nicht auf, Lecters Gedankengänge, sein Antrieb bleibt dem Zuschauer verborgen. Und am Ende muss auch Starling ihre Integrität nicht opfern, sie gibt Hannibal nicht nach, sodass er sich gezwungen sieht, sich selbst die Hand abzuhacken, um fliehen zu können. Interessanterweise entledigten sich Scott und Co. so zwar der kontroversesten Elemente der Vorlage, rauben der Geschichte aber zugleich ihre thematische Grundlage. Egal, wie man Harris‘ „Hannibal“ nun bewertet, es ist definitiv ein Finale, ein Ende der Geschichte, das die Thematik der Serie weiterentwickelt und zum Abschluss bringt und zudem den Status Quo nachhaltig verändert. Im Kontrast dazu wirkt die Filmadaption beinahe belanglos, da am Ende praktisch derselbe Zustand hergestellt ist wie zu Beginn des Films: Hannibal, nun einhändig, ist auf der Flucht, während Starling einer ungewissen Zukunft beim FBI entgegenblickt. Die Frage ist nun, was man bevorzugt: Ein tatsächliches, abschließendes Ende, das die Figuren abwertet, oder ein offenes, belangloses Ende, das der Charakterisierung eher gerecht wird. Ich jedenfalls kann mich da nicht so recht entscheiden und bin mit beiden unzufrieden. Stattdessen verweise ich abermals auf die Serie „Hannibal“, die mit einer abstrahierten Version der Grundprämisse des Romans deutlich bessere Arbeit geleistet hat.

Diabolus in Musica
Viele Regisseure verlassen sich auf ein oder zwei Stammkomponisten – man denke nur an Steven Spielberg und John Williams oder Tim Burton und Danny Elfman. Ridley Scott hingegen scheint sich zwar immer wieder einen Stammkomponisten zu suchen, wechselt diesen dann aber alle paar Jahre aus. „Hannibal“ stammt aus Scotts „Zimmer-Phase“: Bereits an Gladiator arbeitete er mit Hans Zimmer zusammen und verpflichtete ihn nach „Hannibal“ auch noch für „Black Hawk Down“ und „Matchstick Men“, bevor Harry Gregson-Williams Scotts nächstes Historien-Epos „Kingdom of Heaven“ vertonte. Zimmer und sein Team knüpften zwar nicht stilistisch, sehr wohl aber methodisch an Howard Shores Score und die Musikauswahl von „The Silence of the Lambs“ an und bauten auf der Dualität von musikalischer Düsternis auf der einen und klassischer Schönheit auf der anderen an. Da Zimmer ohnehin, ähnlich wie Hannibal Lecter selbst, ein Fan von Johann Sebastian Bach ist, bildete das Werk des Barockkomponisten, primär seine lyrischen, kirchenmusikalischen Werke, die Grundlage des Scores – vor allem die Florenz-Szenen untermalt Zimmer mit überirdisch schönen Chor-Stücken und das Klavier spielt auch eine dominante Rolle. Die Horroraspekte hingegen werden zumeist durch sehr dissonante, abstrakte und häufig elektronisch verzerrte Passagen repräsentiert. Wie schon in Howard Shores Score sind Leitmotive bestenfalls von sekundärer Bedeutung, Atmosphäre und Stimmung stehen vor allem im Vordergrund.

Interessanterweise erweist sich „Hannibal“ als „Foreshadowing“ diverser populärer Zimmer-Werke der 2000er: Viele der eher elektronisch geprägten Action- und Suspense-Stücke geben bereits einen Eindruck dessen, was Zimmer später für die Dark-Knight-Trilogie komponieren sollte, während die religiös anmutenden choralen Texturen die Grundlage für den Sound der Robert-Langdon-Filme legen. Alles in allem ist „Hannibal“ unter den Lecter-Scores mit großem Abstand mein Favorit – Zimmer und Co. gelingt es hier, den Film nicht nur effektiv zu untermalen, sondern ihn aktiv aufzuwerten. Zudem beinhaltet der Soundtrack das schönste Stück, das jemals für einen Lecter-Film oder eine Lecter-Serie komponiert wurde: Die Arie Vide Cor Meum, die allerdings nicht von Zimmer, sondern von Patrick Cassidy geschrieben wurde. Den Text entnahm man Dante Aligheris La Vita Nuova. Die Arie taucht als diegetisches Stück im Film als Teil einer fiktiven Oper auf, die von Hannibal Lecter und Rinaldo Pazzi in Florenz besucht wird, findet später aber auch noch einmal extradiegetisch Verwendung. Zudem setzte Scott Vide Cor Meum auch in „Kingdom of Heaven“ wirkungsvoll, wenn auch für mich etwas irritierend, ein und die Macher der Serie „Hannibal“ entschlossen sich, die finale Szene der ersten Staffel mit der Arie zu unterlegen, was ich persönlich für einen grandiosen Einfall halte.

Fazit
Egal ob in Roman- oder in Filmform, „Hannibal“ lässt als großes Finale der Lecter-Trilogie in mehreren Bereichen zu wünschen übrig. Beide sind ambitionierter, als ihnen guttut und scheitern an der Inszenierung einer barocken Blutorgie, nicht zuletzt wegen der teils überdrehten Gewaltdarstellung. Knackpunkt des Scheiterns ist in beiden Fällen das Ende, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Thomas Harris inszeniert ein Finale, das unglaubwürdig ist und zugleich die Figuren banalisiert, während Ridley Scott die beiden Hauptfiguren, mit Abstrichen, in dieselbe Situation bringt, in der sie zu Beginn des Films waren, sodass nicht nur das Ende, sondern der gesamte Film, gewissermaßen belanglos wird.

Bildquelle

Trailer

Halloween 2023:
Art of Adaptation: The Silence of the Lambs
Art of Adaptation: Bride of Frankenstein
Fright Night (2011)

Siehe auch:
Art of Adaptation: Red Dragon
Hannibal Staffel 1