Universal Monsters: Dracula

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In „Bram Stoker’s Dracula Starring Bela Lugosi” erzählten El Garing, Kerry Gammill und Robert Napton Bram Stokers Geschichte in der Optik der Universal-Filme und unter Verwendung von Bela Lugosis Gesicht. Bei „Universal Monsters: Dracula“ von James Tynion IV and Martin Simmonds handelt es sich gewissermaßen um einen Gegenentwurf. Handlungstechnisch orientiert sich diese Neuerzählung explizit am Film von 1931 bzw. dem ihm zugrundliegenden Theaterstück. Renfield, nicht Jonathan Harker, reist nach Transsylvanien (eine Szene die der Comic, anders als der Film, nicht bzw. nur in Form eines kurzen Rückblicks zeigt), wird dort zum Diener des Grafen, um anschließend im Sanatorium von Dr. Seward zu enden. Mina ist abermals Dr. Sewards Tochter und Lucy sein Mündel, während ihrer sonstigen Verehrer durch Abwesenheit glänzen – selbst Jonathan Harkers Rolle fällt ziemlich minimal aus. Im Gegensatz dazu interpretieren Tynion IV. und Simmonds, Ersterer konnte als versierter Batman-Autor bereits ausgiebig Erfahrung mit Fledermäusen sammeln, den titelgebenden Grafen allerdings völlig anders als der Film.

Wo Dracula im Roman primär monströs und böse war und auch Orlok vor allem durch sein unmenschliches Aussehen geprägt war, bekam das geneigte Publikum 1931 mit Bela Lugosis Darstellung der Figur erstmals einen romantischeren, attraktiveren, ja gar charmanten Dracula vorgesetzt. Diese Inkarnation erwies sich als deutlich gesprächiger als ihr Romangegenstück (zumindest abseits der Transsylvanien-Szenen) und interagierte mit ihren Widersachern in weitaus größerem Ausmaß. Dieser Umstand war natürlich der Theater-Natur des ursprünglichen Skripts geschuldet, an der Regisseur Tod Browning nicht viel änderte. Der Graf, den Tynion IV. und Simmonds hingegen auf London loslassen, ist das krasse Gegenteil. Während einige visuelle „Reste“ des Lugosi-Grafen im Outfit geblieben sind, erinnert er hier doch eher an Christopher Lees Dracula in „Dracula: Prince of Darkness“: ein schweigsames, blutgieriges Monster, beinahe bar jeder Menschlichkeit. Tynion IV. und Simmonds gehen, bedingt durch die visuelle Gestaltung dieses Comics, sogar noch weiter. Dracula erscheint hier völlig übernatürlich, beinahe ein lebender Schatten, der jederzeit und überall zuschlagen kann. Der geneigte Kenner der Materie fühlt sich vielleicht ein wenig an Alucards übermächtige Fähigkeiten aus „Hellsing“ erinnert.

Generell haftet Simmonds‘ Bildern etwas zutiefst Surreales und Verstörendes an, das zumindest vage an Dave McKean erinnert – das erstreckt sich nicht nur auf Dracula selbst, sondern auf die gesamte Atmosphäre des Werkes. Ein besonders faszinierender Aspekt ist Renfield, dem Tynion IV. und Simmonds sehr viel Platz einräumen. Rein inhaltlich fügen Autor und Zeichner der Figur nicht allzu viel hinzu. Sie distanzieren sich von der zum Teil albernen Darstellung, die sich mitunter findet, und bemühen sich, die Tragik der Figur zu betonen. Abermals ist es die visuelle Gestaltung, die hervorsticht, denn Renfield ist kaum weniger surreal als Dracula selbst. Simmonds zeigt ihn mit weiß leuchtender Haut und ohne Nase – die Optik erinnert ein wenig an die Ästhetik eines Rammstein-Videos. Der Nase und ihrem Fehlen scheint dabei eine zentrale metaphorische Bedeutung zuzukommen, sie scheint zentrale Symbolik der „Vampirkrankheit“ zu sein, denn als Mina zu Draculas Opfer wird, verschwindet auch ihre Nase langsam, als Renfield sich jedoch am Ende auf die Seite Van Helsings und Dr. Sewards schlägt, kehrt seine Nase zurück. Nebenbei bemerkt, die beiden Mediziner sind zweifelsohne die Protagonisten dieser Version von „Dracula“ und haben hier einen Konflikt, der sich selten findet und selbst im zugrundeliegenden Film bestenfalls angedeutet wird..

Fazit: „Universal Monsters: Dracula“ hat der allzu bekannten Geschichte, sei es Bram Stokers Roman oder der Film mit Bela Lugosi, rein inhaltlich wenig hinzuzufügen. Stattdessen bemühen sich James Tynion IV. und Martin Simmonds um eine fast ausschließlich visuelle Herangehensweise. Dementsprechend ist diese Neuinterpretation ein surrealer, mitreißender Rausch, der jedoch eine gewisse Kenntnis des Materials voraussetzt.

Bildquelle

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gezeichnete Graf
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Art of Adaptation: Bram Stoker’s Dracula Starring Bela Lugosi
Art of Adaptation: Georges Bess’ Dracula
Art of Adaptation: Guido Crepax’ Dracula
Dracula: Prince of Darkness

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