Halloween 2019
Nachdem ich letztes Jahr ausgesetzt habe, wollte ich dieses Jahr wieder einen Themenmonat zu Halloween starten, was bisher leider nicht ganz so geklappt hat, primär aus Zeit- und Joker-Gründen. Aber da ich hier ohnehin machen kann, was ich will, lasse ich den Themenmonat einfach in den November laufen und fange zu Halloween an. Wie dem auch sei, für mich als Vampir-Fan gibt es einen besonderen Fixpunkt. Essentielle Werke des Genres finden sich natürlich viele, von Polidors „The Vampyre“ über Stokers definierendes „Dracula“ bis hin zu Anne Rice‘ „Interview mit einem Vampir“, doch für mich persönlich ist die Messlatte das Pen&Paper-Rollenspiel „Vampire: The Masquerade“, das außerhalb der einschlägigen Kreise, wenn überhaupt, noch am ehesten durch die beiden PC-Spiele „Vampire: The Masquerade – Redemption“ und „Vampire: The Masquerade – Bloodlines“ bekannt ist. Da Letzteres im kommenden Jahr eine Fortsetzung erhält, auf die ich mich schon unheimlich freue, wird es Zeit, diese mit einer längeren Artikelreihe vorzubereiten, die sich mit dem Einfluss des Rollenspiels auf andere Medien beschäftigt. Zum Start dieser Reihe werde ich einen angemessen knappen Überblick über dieses RPG und seine Geschichte geben.
Ich persönlich halte „Vampire: The Masquerade“ für eines der einflussreichsten Vampirmedien der letzten 30 Jahre – wobei der Bekanntheitsgrad sich umgekehrt proportional zum Einfluss verhält. Das Rollenspiel erschien genau zur richtigen Zeit auf dem Markt, denn in den frühen 90ern änderte sich das Vampirgenre nachhaltig. Autoren wie Anne Rice oder George R. R. Martin (ja, DER George R. R. Martin) ebneten dem sympathischen Vampir, dem Vampir als Protagonist und dem Vampir als tragischer Figur zwar schon vorher den Weg, aber erst Anfang der 90er setzte er sich, nicht zuletzt dank der Filme „Bram Stoker’s Dracula“ und „Interview mit einem Vampir“, die ein breiteres Publikum ansprachen, wirklich durch. Genau in dieser Zeit, im Jahr 1991, erschien „Vampire: The Masquerade“. Die Rollenspiellandschaft war zu dieser Zeit primär vom eher kampf- und würfellastigen „Dungeons and Dragons“ geprägt – „Vampire: The Masquerade“ stellte dem ein Spiel entgegen, in dem es im erster Linie um das Erzählen der Geschichte, um politische Winkelzüge innerhalb der Vampirgesellschaft und natürlich um persönlichen Horror geht – was bedeutet es, ein blutsaugendes Monster zu sein? Besonders Anne Rice‘ Einfluss zeigt sich sowohl hier als auch in vielen weiteren Details. In ihren „Vampire Chronicles“ war es Rice, die erstmals zeigte, wie eine Vampirgesellschaft funktionieren könnte.
„Vampire: The Masquerade“ präsentiert die Camarilla als primäre soziale Gruppe – diese Sekte verwaltet die Vampirgesellschaft, wobei sie in erster Linie dazu da ist, die Existenz der Vampire vor den Menschen zu verheimlichen – dabei handelt es sich um die titelgebende Maskerade. Ursprünglich entstand sie im 15. Jahrhundert als Reaktion auf die Inquisition, die nicht nur Hexen und Ketzer, sondern auch Vampire jagte und diese an den Rand der Auslöschung brachte. Aus diesem Grund bezeichnen sich Vampire auch als „Kindred“, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Vampire der Camarilla teilen sich in sieben Clans auf, die jeweils Aspekte oder Eigenschaften der Vampirdarstellungen in Film und Literatur aufgreifen. Die Brujah sind Rebellen und Punks, wie es die Vampire in 80er-Jahre-Filmen wie „The Lost Boys“ waren, die Grangel arbeiten die Verwandlungsfähigkeit die beispielsweise Dracula in Stokers Roman aufweist, weiter aus, die Nosferatu basieren sehr eindeutig auf dem hässlichen und monströsen gleichnamigen Stummfilm von Friedrich Willhelm Murnau, die Toreador sind an Anne Rice‘ Blutsauger angelehnt und die Ventrue erinnern an den autoritären, von Christopher Lee verkörperten Dracula der Hammer-Filme – der Vampir als Herrscher der Nacht. Die beiden übrigen Clans, die wahnsinnigen Malkavianer und die Tremere, mächtige Blutmagier, sind weniger eindeutig einem Stereotyp zuordenbar. Als Gegenpart zur Camarilla fungieren die Anarchen, die die Maskerade zwar nicht ablehnen, sehr wohl aber die rigiden Strukturen der Camarilla. Darüber hinaus gibt es auch noch den Sabbat, eine ebenso monströse wie mysteriöse vampirische Macht von außen. Der Fokus der ersten Edition lag auf sehr stark auf den individuellen Vampiren und einzelnen Städten – das primäre Setting der ersten Auflage war Chicago. Erst nach und nach kamen in Supplement-Bänden die weiteren Clans hinzu, die sich zum Teil stärker von typischen Vampir-Stereotypen entfernten. Die beiden Hauptclans des Sabbat sind die Tzimisce und die Lasombra – erstere vermischen die monströse Seite von Stokers Dracula mit den Whampyri aus Brian Lumleys „Necroscope“, während die Lasombra das fehlende Spiegelbild und den fehlenden Schatten der Vampire aufgreifen und besonderes mit Letzterem regelrecht Amok laufen. Vier weitere „neutrale“ Clans kamen ebenfalls hinzu – diese verkörpern aber nicht einen wie auch immer gearteten Vampir-Aspekt, sondern andere Stereotypen, die eigentlich nichts mit Vampiren zu tun haben und zu Beginn auch durchaus eindimensional und mitunter problematisch waren, bevor sie in späteren Editionen des Spiels deutlich mehr Tiefe bekamen. Bei diesen vier Clans handelt es sich um die Giovanni, italienische Mafia-Nekromanten, die Ravnos, „Zigeuner-Vampire“, die Assamiten, „Assassinen-Vampire“ und die Jünger des Set, ägyptische Verführer mit Schlangenfetisch, die zumindest zu Beginn mehr mit Thulsa Doom aus „Conan the Barbarian“ als mit tatsächlicher ägyptischer Mythologie zu tun hatten.
Ein besonders essentielles Element von „Vampire: The Masquerade“ ist die mythologische bzw. religiöse Dimension. Die Vampire des Rollenspiels führen sich auf den biblischen Kain zurück, der ihren Überlieferungen nach dazu verflucht wurde, als erster Vampir ewig über die Erde zu wandeln. Die Eskapaden Kains und seiner Nachkommen, der zweiten und dritten Vampir-Generation (bei Letzteren handelt es sich um die Gründer der 13 Clans) werden im Buch Nod, der „Vampir-Bibel“ geschildert. Die enthält auch Prophezeiungen, die das Ende der Welt verkünden – diese spezifische Vampir-Apokalypse wird „Gehenna“ genannt und ist ein essentieller Teil des Settings. Tatsächlich arbeitete man ab der dritten (bzw. „Revised Edition“) des Spiels, die 1998 erschien, stark auf Gehenna hin, das dann 2004 auch tatsächlich stattfand und die Linie beendete.
Der direkte Einfluss von „Vampire: The Masquerade“ lässt sich relativ leicht feststellen: Das Rollenspiel war in entsprechenden Kreisen enorm populär und sorgte dafür, dass White Wolf, der zuständige Verlag, bald ähnlich geartete Spiele mit anderen übernatürlichen Kreaturen produzierte: „Werewolf: The Apocalypse“, „Mage: The Ascension“, „Wraith: The Oblivion“ etc. – gemeinsam bilden all diese Spiele die „World of Darkness“. Darüber hinaus wurde „Vampire: The Masquerade“ auch oft genug adaptiert, es existieren Romane und Comics, ein Sammelkartenspiel (zuerst unter dem Namen „Jyhad“, dann umbenannt in „Vampire: The Eternal Struggle“), eine kurzlebige und nicht besonders gelungene Fernsehserie, „Kindred: The Embraced“ und natürlich die beiden bereits erwähnten PC-Spiele „Redemption“ und „Bloodlines“. Nach dem Ende von „Masquerade“ initiierte White Wolf darüber hinaus ein ähnlich geartetes Nachfolgeprojekt, „Vampire: The Requiem“, für das der Verlag zwar einen anderen Ansatz wählte, das dem Vorgänger aber dennoch in vieler Hinsicht gleicht und bei dem viele Konzepte und Ideen übernommen wurden. Die anhaltende Beliebtheit von „Vampire: The Masquerade“ sorgte schließlich dafür, dass 2011 eine vierte Edition zum 20. Jubiläum (V20) erschien, deren Erfolg wiederum das Entstehen der fünften Edition (V5) nach sich zog.
Bei dieser Artikelreihe geht es mir allerdings um den indirekten Einfluss: Welche Vampirfilme, -bücher und -serien hat das Rollenspiel beeinflusst. Dabei handelt es sich oftmals um Vermutungen – die Parallelen zwischen „Vampire: The Masquerade“ und anderen Medien der letzten 30 Jahr sind jedoch häufig so deutlich, dass es mir schwer fällt, an einen Zufall zu glauben.