Geschichte der Vampire: Dracula – Der gehörte Graf

Halloween 2020

Da es sich bei „Dracula“ nun schon seit einiger Zeit um ein rechtefreies Werk handelt, ist es ein beliebtes Objekt für die Bearbeitung als Hörbuch oder -spiel, wie schon eine einfach Audible-Suche zeigt. Allein auf Deutsch und Englisch finden sich dutzende Adaptionen von Stokers-Roman, von Hörspielen und Hörbüchern, die den Grafen anderweitig verarbeiten oder solchen, die nicht auf Audible zu finden sind, gar nicht erst zu sprechen. Selbstverständlich bin ich weit davon entfernt, alle verfügbaren Bearbeitungen durchgehört zu haben – zum Einen bin ich nicht gewillt, derart viele Guthaben zu opfern und zum Anderen möchte ich weder so viel Zeit aufbringen, noch derart oft hintereinander dieselbe Geschichte hören, so sehr ich sie auch schätze. Zwei Hörbuchproduktionen sollen allerdings erwähnt werden, nämlich die beiden Audible-Eigenproduktionen auf Deutsch und Englisch. Konzeptionell ähneln sich beide ziemlich und verfolgen denselben Ansatz: Es handelt sich um Komplettlesungen, wobei jeder der Tagebuch- und Briefeschreiber seine eigene Stimme bekommt – gerade für „Dracula“ bietet sich diese Herangehensweise natürlich wunderbar an. Beiden Produktionen haben außerdem die Gemeinsamkeit, dass sie sehr hochkarätig besetzt sind. Am deutschen Hörbuch wirken unter anderem Simon Jäger (deutsche Stimme von Heath Ledger und Josh Hartnett) als Jonathan Harker, Martin Keßler (deutsche Stimme von Nicolas Cage und Vin Diesel) als Dr. Seward und die Filmschauspielerin Tanja Fornaro als Mina Harker mit. Selbst die weniger prominenten Passagen, die nur einige Briefe oder Notizen vorlesen, sind mit Nana Spier, Lutz Riedel oder Oliver Rohrbeck prominent besetzt. Ähnlich sieht es bei der englischen Besetzung aus, hier wirkten unter anderem Simon Vance (der bereits Vampirerfahrung mit den Hörbuchproduktionen diverser Anne-Rice-Romane sammeln konnte) als Jonathan Harker, Alan Cumming als Dr. Seward, Katy Kellgren als Mina Harker und, besonders bemerkenswert, Tim Curry als Van Helsing mit. Wer sich Stokers Volltext hörend zu Gemüte führen möchte, macht mit beiden Versionen eigentlich nichts falsch. Nebenbei bemerkt, ein besonderes Schnäppchen ist „The Monster Collection“; hier findet man drei Horror-Klassiker, darunter „Dracula“ zum Preis von einem (hier geht’s zur Rezension von Miss Booleana). Das eigentliche Sujet dieses Artikels sind allerdings nicht die Hörbücher, sondern die Hörspiele. Auch hier gilt: Es gibt deutlich zu viele, um sie alle in diesem Artikel zu besprechen, weshalb ich mich auf drei deutsche Produktionen konzentriere, die man ironischerweise nicht auf Audbile findet. Es handelt sich dabei um das WDR-Hörspiel aus dem Jahr 1995, die Adaption des Deutsche Grammophon von 2003 und die Gruselkabinett-Umsetzung von Titania Medien aus dem Jahr 2007.

Dracula beim WDR
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Zu diesem Hörspiel habe ich eine ganz besondere Beziehung, da es, zusammen mit der von Mike Mignola gezeichneten Comicadaption von „Bram Stoker’s Dracula“ und der illustrierten Kinderbuchfassung des Romans aus der Reihe „Visuelle Bibliothek: Klassiker für Kinder“ die erste Version von „Dracula“ war, mit der ich in Kontakt kam. Diese 1995 erstmals vom WDR ausgestrahlte und später vom Hörverlag veröffentlichte Bearbeitung, bei der Annette Kurth Regie führte, erinnert stilistisch an ähnlich geartete WDR-Produktionen wie beispielsweise „Das Foulcaultsche Pendel“. Von den drei hier besprochenen Produktionen gelingt es dieser am besten, den Horror und die Intensität von „Dracula“ einzufangen und mitunter auch zu steigern, nicht zuletzt dank der hervorragenden Musik und Sound-Effekte. Vor allem zu Beginn wird die Erzählstruktur ein wenig abgewandelt, wie die BBC/Netflix-Version von „Dracula“ beginnt auch dieses Hörspiel mit Jonathan Harker in der Obhut der Nonnen, wo er die Ereignisse auf Draculas Schloss in Rückblicken durchlebt. Und wie in „Bram Stoker’s Dracula“ wird die Harker-Episode nicht separat erzählt, Ereignisse des Whitby-Handlungsstranges werden bereits früher eingeführt. Offenbar bemühte man sich, die Erzählerstimmen so weit wie möglich zu reduzieren, ganz verzichtete man allerdings auch nicht auf sie, speziell im letzten Drittel fungieren die Figuren immer wieder als Erzähler, obwohl die Tagebücher des Romans nie wirklich etabliert werden.

Der Cast an sich ist nicht nur äußerst namhaft, sondern auch wirklich großartig. Lutz Herkenrath spricht Jonathan Harker, Katharina Palm ist als Mina Harker zu hören, WDR-Veteran Matthias Haase gibt Dr. Seward und Daniela Hoffmann, die deutsche Stimme von Julia Roberts, mimt Lucy. Wie so oft sind es allerdings Dracula und Van Helsing, die besonders hervorstechen. Ersterer wird von dem Film- und Theater-Schauspieler Martin Reinke gesprochen, der hier einen sehr unterkühlten und unnahbaren, aber nicht minder bedrohlichen und effektiven Grafen gibt. Das wahre Highlight ist allerdings Gottfried John als Abraham Van Helsing, dessen Performance ebenso emotional wie fesselnd ist – gerade im Hörspielbereich mit Abstand meine liebste Darstellung der Figur. Die Nostalgie ist diesbezüglich natürlich auch ein nicht zu unterschätzender Faktor – wie bereits erwähnt, diese Version von „Dracula“ ist für mich quasi die grundlegende. Lange Zeit war an dieses Hörspiel nur schwer heranzukommen, im Sommer letzten Jahres gelang es mir allerdings, die CDs zu halbwegs akzeptablen Preisen zu erwerben. Momentan kann das Hörspiel auch hier auf der Website des WDR angehört werden, allerdings ist es nur noch bis zum 17. November verfügbar. Auf Spotify wird man ebenfalls fündig.

Dracula beim Deutsche Grammophon
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Die Hörspielbearbeitung des Deutsche Grammophon ist die mit Abstand textgetreuste und umfangreichste der drei Produktionen – zum Vergleich, diese umfasst fünf CDs die anderen beiden jeweils drei (bzw. im Fall der Gruselkabinett-Version vier, allerdings wurde hier „Dracula’s Guest“ mit in die Handlung integriert). In mancher Hinsicht ist sie das genaue Gegenstück zur WDR-Version – wo diese den Erzähltext so weit wie möglich reduziert, verlässt sich diese von Anja Wagener und Wenke Kleine-Benne umgesetzte Adaption sehr stark auf Stokers Originaltext, sodass oftmals der Eindruck entsteht, es handle sich um eine atmosphärische Lesung mit Musik. Dem ist natürlich letztendlich nicht so, aber die Erzähllastigkeit ist schon auffällig, die Briefe und Tagebücher als Erzählkonstrukt werden hier voll ausgeschöpft. Das sorgt mitunter für gewisse Längen, wie die beiden anderen Hörspiele effektiv beweisen, sind wirklich nicht unbedingt alle Details nötig, um der Geschichte folgen zu können.

Die Besetzung ist deutlich weniger namhaft als bei den anderen beiden Hörspielen – zumindest mir sind die Sprecher nicht allzu bekannt. Jonathan Harker wird von Robin Bosch gesprochen, Mina von Kristina von Weltzin, John Seward von Michael Bideller und Van Helsing von Uli Plessmann – mit Letzterem kann ich mich in dieser Rolle nicht wirklich anfreunden, gerade im Kontrast zu Gottfried John. Plessmann klingt als Van Helsing ein wenig zu kraftlos und unsicher, ihm fehlt hier die Energie und Entschlossenheit, die ich persönlich mit dieser Figur verbinde und die John so hervorragend verkörpert. Alle anderen Sprecher sind überaus solide, aber kaum einer hinterlässt einen so bleibenden Eindruck wie die aus der WDR-Adaption – was aber natürlich auch daran liegen kann, dass ich diese Version deutlich länger kenne. Die große Ausnahme zu all dem ist Dracula, für den man mit Lutz Riedel einen sehr prominenten Sprecher angeheuert hat, der seine Sache wirklich exzellent macht und von den drei hier zu vergleichenden Hörspiel-Draculas mein Favorit ist. Er bringt eine einschüchternde Macht und Brutalität mit, die den anderen beiden fehlt. Einziges Manko: Man entschied sich, Lutz Riedels Stimme gerade in den besonders dramatischen Passagen immer mal wieder zu verzerren und mit Effekten auszustatten, was ein Sprecher von Riedels Kaliber schlicht nicht nötig hat. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Kurz und gut, wer auf Textnähe und Ausführlichkeit steht, aber bei den Hörbüchern Musik, Soundeffekte und ein Zuwortkommen Draculas vermisst, für den könnte diese Bearbeitung genau das Richtige sein. Leider scheint man an dieses Hörspiel gerade ziemlich schwer heranzukommen, die CD-Version ist über Amazon nicht mehr erhältlich und auch zum Download oder als Stream wird es nirgendwo angeboten, zumindest habe ich es nicht gefunden.

Dracula im Gruselkabinett
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In vielerlei Hinsicht ist die Gruselkabinett-Version von Stokers Roman, wie üblich umgesetzt von Mar Gruppe und Stephan Bosenius, der Kompromiss zwischen der WDR- und der Grammophon-Adaption. Zugleich ist sie auch die angenehmste und Einsteiger-freundlichste Adaption – sie ist weder so textlastig wie Letztere, noch als Hörspiel so szenisch und fordernd wie Erstere. Die Tagebücher als Erzählinstanz sind vorhanden, aber auf ein effektives Maß heruntergefahren, szenische Dialoge sind deutlich dominanter.

Der interessanteste Aspekt dieses Hörspiels ist natürlich der Umstand, dass die Kurzgeschichte „Dracula’s Guest“, die aus einer früheren Fassung des Romans stammt und posthum von Bram Stokers Witwe Florence 1914 als Kurzgeschichte veröffentlicht wurde, der eigentlichen Handlung als Prolog vorangestellt wird. Es ist einerseits wirklich faszinierend, diese „Überbleibsel“ zusammen mit der Romandhandlung zu erleben und erlaubt zugleich, die Exposition des eigentlichen Romananfangs etwas zu entzerren. Zugleich führt das allerdings auch zum einen oder anderen Logikproblem, da es dem Grafen offenbar in Windeseile gelingt, von Transsylvanien nach München zu reisen, was angesichts der Schwierigkeiten, die ihm später die Reise von Transsylvanien nach England und wieder zurück bereitet, etwas merkwürdig erscheint.

Ansonsten entspricht diese Adaption von Dracula dem sehr hohen Gruselkabinett-Standard, ist zugleich aufwändig und atmosphärisch produziert, aber sehr zugänglich und angenehm zu hören. Die Sprecherriege setzt sich wie üblich aus bekannten deutschen Synchronsprechern zusammen. Wie im deutschen Audible-Hörbuch übernimmt Simon Jäger den Part von Jonathan Harker, während Tanja Geke (u.a. deutsche Stimme von Zoe Saldana) Mina und Petra Barthel (deutsche Stimme von Uma Thurman und Nicole Kidman) Lucy spricht. Darüber hinaus erlauben sich Marc Gruppe und Stephan Bosenius ein paar Casting-Gags: Lutz Mackensy ist hier als John Seward zu hören, eine Rolle, mit der er bereits vertraut ist, synchronisierte er doch Richard E. Grant in eben dieser Rolle in „Bram Stoker’s Dracula“. Noch subtiler ist Kaspar Eichel als Van Helsing, der zwar nicht als Anthony Hopkins‘ deutsche Stimme in diesem Film fungierte, aber dem leider 2013 verstorbenen Sprecher Rolf Schult stimmlich sehr ähnelt – so sehr, dass er ihn als deutsche Stimme Patrick Stewarts in den neueren X-Men-Filmen ablöste. Für mich am problematischsten ist hier Joachim Höppner als titelgebender Graf, allerdings nicht, weil Höppner einen schlechten Job machen würde, im Gegenteil. Allerdings ist seine Stimme für mich so sehr mit Gandalf bzw. Ian McKellen verknüpft, dass ich Probleme damit habe, ihn als Dracula zu akzeptieren. Davon abgesehen gibt es allerdings weder an Höppners Dracula, noch an den anderen Sprechern oder am Hörspiel insgesamt etwas auszusetzen. Die CD-Version ist inzwischen vergriffen, als Download ist der Gruselkabinett-Graf allerdings nach wie vor erhältlich.

Fazit: Die drei hier vorgestellten Dracula-Hörspiele ergänzen sich ziemlich gut. Die WDR-Adaption nutzt ihr Medium am besten, ist als Hörspiel am anspruchsvollsten und bietet die intensivste Erfahrung, die Grammophon-Umsetzung ist der Vorlage am nächsten und bietet sehr viel von Stokers Originaltext in der deutschen Übersetzung von Heinz Widtmann aus dem Jahr 1908 und die Gruselkabinett-Version stellt quasi den Kompromiss zwischen beiden Adaptionen dar und ist zugleich die einsteigerfreundlichste – eine sehr gute Möglichkeit, Stokers Roman kennenzulernen.

Bildquelle WDR
Bildquelle Deutsche Grammophon
Bildquelle Gruselkabinett

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stokers Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gezeichnete Graf

The Masque of the Red Death

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Literatur in Zeiten des Corona-Virus? Welcher Horror-Fan denkt da nicht an Edgar Allan Poes „The Masque of the Red Death“? Kaum eine andere Geschichte aus dem reichen Fundus der Schauerliteratur dürfte jemals so brandaktuell gewesen sein wie diese – inklusive Quarantäne und Corona-Party – oder besser gesagt, Corona-Party in Quarantäne. Wie bei so vielen anderen Poe-Geschichten ist die Liste der Adaptionen lang und die der Referenzen noch länger. Für diesen Artikel habe ich mir zwei dieser Adaptionen herausgegriffen, die ich zusammen mit der eigentlichen Geschichte besprechen werde: Es handelt sich dabei um zwei deutsche Hörspielproduktionen, die diese Kurzgeschichte auf sehr unterschiedliche Art und Weise umsetzen.

Die Geschichte
„The Masque of the Red Death” erschien 1842 auf den Seiten von Graham’s Magazine und erzählt die Geschichte des, je nach Übersetzung, Prinzen bzw. Fürsten Prospero. Im ganzen Land wütet eine besondere Krankheit, der „Rote Tod“, die ein exzessives Bluten der Poren verursacht und in kurzer Zeit nach der Ansteckung zum Tod führen kann. Prospero und seine Adeligen verschanzen sich in einer alten Abtei mit vielen Vorräten und versuchen so, der Krankheit zu trotzen. Um gegen ihre Langweile anzukämpfen, veranstaltet der Fürst ein großes Maskenfest in sieben speziell präparierten Räumen. Jeder ist mit anderem Licht illuminiert, blau, lila, grün, orange, weiß und violett. Nur der siebte Raum ist schwarz ausgehängt und wird von rotem Licht beleuchtet. Unter die Gäste mischt sich eine Gestalt im Kostüm des Roten Todes, inklusive blutbeschmierter Robe und entsprechender Maske. Prospero befiehlt, den Träger dieses geschmacklosen Kostüms hinzurichten, doch als seine Wachen versuchen, den Fremden zu demaskieren, müssen sie feststellen, dass sich kein Mensch aus Fleisch und Blut im Kostüm befindet. Stattdessen ist der Rote Tod persönlich gekommen und fordert nun das Leben Prosperos und aller Adeligen.

Edgar Allan Poe ist bekannt dafür, typische Elemente der „Gothic Fiction“ zu entnehmen und diese zu psychologisieren. Bei ihm sind es weniger die Geister und sonstigen übernatürlichen Monster, die im Mittelpunkt stehen, sondern der Wahnsinn und die Verderbtheit der Protagonisten. „The Masque of the Red Death“ ist da keine Ausnahme. Poe borgt sich einige Elemente aus „The Castle of Otranto“ von Horace Walpole, dem ersten Vertreter der Gattung „Gothic Novel“, inklusive des Schloss-ähnlichen Schauplatzes, der Atmosphäre und natürlich des Handlungsortes Italien, der durch Prosperos Namen angedeutet wird. Die Bedrohung tritt hier durch eine fiktive Krankheit auf, die sich letzten Endes auch den arroganten Adel holt, der glaubt, sich ihr entziehen zu können und sich dabei ein Gefängnis erbaut, das ihn ein-, die Krankheit aber letzten Endes nicht ausschließt. Oft wurde der Rote Tod als Ausdruck von Tuberkulose interpretiert, an welcher mehrere Mitglieder aus Poes Umfeld, darunter seine Frau Virginia, seine Mutter Eliza und sein Bruder William litten und zum Teil auch verstarben.

Stilistisch ist „The Masque of the Red Death” sehr distanziert vom Geschehen, mehr Bericht denn tatsächliche Erzählung. Es gibt einen Ich-Erzähler, der jedoch kaum in den Vordergrund tritt und auch nicht Teil der eigentlichen Narrative ist, sei es als tatsächlich handelnde Person oder als bloßer Beobachter. Prosepro ist die einzige namentlich erwähnte Figur und im Grunde auch die einzige Figur, mit Ausnahme des maskierten Fremden, die in irgendeiner Form als handelnde Person auftritt. Gerade das macht es natürlich schwer, die Geschichte für ein anderes Medium zu adaptieren, speziell eines, das wie das Hörspiel primär auf Dialogen basiert.

Lübbe Audio: Edgar Allan Poe
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Von 2003 bis 2009 veröffentlichte Lübbe Audio unter der Regie von Simon Bertling und Christian Hagitte eine Hörspielserie mit dem schlichten Titel „Edgar Allan Poe“. Im Rahmen dieser Serie, die insgesamt 37 Folgen umfasst und leider unvollendet bleibt, werden einerseits Poes Geschichten adaptiert, andererseits wird aber auch eine neue, „poeesque“ Geschichte mit subtilen Metaelementen erzählt. Im Zentrum dieser Geschichte steht ein Mann, der sein Gedächtnis verloren hat und den zufälligen Namen Edgar Allan Poe annimmt. Vor allem zu Beginn folgt jede Episode dem selben Muster: Poe versucht, seiner Vergangenheit auf die Spur zu kommen, reist von einem Ort zum anderen und wird immer wieder von bizarren, verstörenden Alpträumen geplagt – jeder dieser Alpträume ist eine mehr oder weniger vorlagengetreue Adaption einer Poe-Geschichte und nimmt den Großteil des Hörspiels in Anspruch, während die Suche des Protagonisten nach seiner Identität als Rahmenhandlung fungiert. In späteren Episoden wird dieses Muster allerdings aufgebrochen und die Rahmenhandlung rückt stärker in den Vordergrund. Was diese Hörspielserie vor allem auszeichnet, ist die hochwertige Produktion, unter anderem wurde der Soundtrack extra von einem Orchester eingespielt und auch die Sprecherriege kann sich sehen lassen, unter anderem wirken Ulrich Pleitgen als Poe, Iris Berben als seine Geliebte Leonie und Till Hagen als Dr. Templeton mit, zusätzlich zu diversen Gaststars, darunter Joachim Kerzel, Anna Thalbach, Hans Peter Hallwachs, Jürgen Kluckert und viele weitere.

„The Masque of the Red Death“ findet sich, ebenso wie die meisten anderen wirklich bekannten Poe-Geschichten, zu Beginn der Serie, es handelt sich um Folge 4. Amüsanterweise war es auch die erste Folge der Serie, die ich hörte und tatsächlich wohl einer meiner ersten Kontakte mit Poe überhaupt. Die Rahmenhandlung nimmt hier noch verhältnismäßig wenig Raum ein, der Fokus liegt auf der eigentlichen Kurzgeschichte, die weniger inhaltlich verändert als vielmehr weiter ausgearbeitet und dem Medium angepasst wird. Poes Prosa konzentriert sich vor allem auf das Maskenfest, beschreibt dessen Konzeption ziemlich detailliert, geht aber kaum auf Figuren ein, erzählt nicht szenisch und beinhaltet kaum wörtliche Rede. Das Hörspiel dagegen konzentriert sich auf all die Elemente, die bei Poe lediglich impliziert werden oder keine Rolle spielen, etwa den Ausbruch der Seuche. Zu Beginn der Geschichte wütet der Rote Tod bereits im Land, während das Hörspiel deutlich unbeschwerter beginnt. Neben Prospero, durch dessen Augen Edgar Allan Poe (die Figur) die Geschehnisse wahrnimmt, werden weitere Figuren vorgestellt, darunter Prosepros Hofmeister (Peter Groeger), sein Narr (Thomas B. Hoffmann) und das Küchenmädchen Louisa (Yara Blümel). Poe (die Figur) fungiert zwar als Erzähler der Rahmenhandlung, die eigentliche Adaption der Kurzgeschichte kommt allerdings ohne Erzähler aus und setzt die Handlung szenisch um, vom Ausbruch der Krankheit, die von Gauklern ins Land gebracht wird, über die rasche Ausbreitung und die Verschanzung des Adels bis hin zum Maskenball. Die Distanziertheit der Vorlage wird zugunsten des persönlichen Schicksals der Figuren aufgegeben. Das Hörspiel bemüht sich, die Folgen der Seuche und der Isolation auf den psychischen Zustand der Charaktere plastisch darzustellen. Die Konzeption des Maskenballs mit den farbigen Räumen, dessen Beschreibung bei Poe so viel Platz bekommt, spielt hier dagegen nur eine kleine Rolle.

In der Kurzgeschichte wird Prospero darüber hinaus kaum als plastische Figur gezeichnet, was einer Adaption einige Möglichkeiten an die Hand gibt. Hier wird Prospero, natürlich ebenfalls von Ulrich Pleitgen gesprochen, im Großen und Ganzen als positive, fast schon gutmütige, wenn auch hilflose Figur gezeichnet. Der Hofmeister ist eher die handelnde Figur, schlägt die Maßnahmen zu Kampf gegen die Seuche vor, ordnet die Isolation an und hat auch die Idee, den Maskenball zu veranstalten. Prospero ist schon fast passiv. Insgesamt ist diese Darstellung der Figur ein sehr interessanter Kontrast zum zweiten zu besprechenden Hörspiel.

Titania Medien: Gruselkabinett
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Seit 2004 produzieren Stephan Bosenius und Marc Gruppe mit ihrem Label Titania Medien hochwertige Hörspiele. Neben Sherlock Holmes und diversen Märchen gehört zu ihrem Repertoire auch die Reihe Gruselkabinett, in der Klassiker der Schauerliteratur adaptiert werden – da darf Poe natürlich nicht fehlen. Da „The Masque of the Red Death“ ohnehin eine von Poes bekanntesten und beliebtesten Geschichten ist, bot es sich natürlich an, nach „The Fall of the House of Usher“ auch diese Erzählung adaptieren – dabei standen Bosenius und Gruppe natürlich ebenfalls vor dem Problem, dass sie es mit einer sehr kurzen, nicht szenischen Geschichte zu tun hatten. Anstatt allerdings die Handlung „nur“ auszuarbeiten, wählten die beiden einen anderen Ansatz und verschmolzen zwei von Poes Geschichten zu einer, die zweite ist die deutlich weniger bekannte Erzählung „Hop-Frog“, in der ein missgestalteter Zwerg diesen Namens und seine ebenfalls kleinwüchsige Gefährtin Tripetta Rache an einer Gruppe spottender und grausamer Adeliger und ihrem König nehmen. Im Zentrum dieser Geschichte steht ebenfalls ein Maskenfest, in dessen Rahmen die Adeligen und der König sich dazu überreden lassen, sich als Orang-Utans zu verkleiden, um dann anschließend von Hopp-Frosch angezündet zu werden.

Ähnlich wie in der Kurzgeschichte wütet der Rote Tod zu Beginn des Hörspiels bereits im Lande. Hauptfigur ist Hopp-Frosch (Sven Plate), der zusammen mit Tripetta (Daniela Reidies) von Prospero (Ernst Meincke), der an die Stelle des grausamen Königs tritt, und seinen Ministern (Uli Krohm, Viktor Neumann und Alexander Turrek) aufgesammelt wird. So sind die beiden zwar vorerst sicher vor dem Roten Tod, aber der Grausamkeit Prosperos und seiner Minister ausgeliefert. Die Szenen des Hörspiels sind, bis auf das Finale, praktisch alle aus „Hop-Frog“ entnommen und werden sogar noch erweitert, unter anderem taucht mit Giulietta, der Geliebten Prosperos, noch eine Figur auf, die extra für das Hörspiel neu geschaffen wurde, um weitere Dialoge zu ermöglichen. Darüber hinaus wurde Tripettas Rolle stark erweitert. Da Prospero natürlich erst am Ende sterben darf, ist er, anders als der grausame König aus „Hop-Frog“, nicht an der Orang-Utan-Maskerade beteiligt. Ansonsten wird er als Figur aber deutlich negativer gezeichnet als sein Gegenstück aus der Vorlage oder dem Lübbe-Audio-Hörspiel. Und anders als im Hörspiel von Lübbe Audio wird der Fokus wieder stärker auf das Setting und die farbigen Räume gelegt.

Es ist tatsächlich interessant, wie gut die beiden Geschichten zu- bzw. ineinander passen. In einem späteren Hörspiel gingen Bosenius und Gruppe noch einmal denselben Weg und kombinierten zwei weitere Poe-Geschichten miteinander, „The Pit and the Pendulum“ und „The Casc of Amontillado“ – hier ist das Ergebnis allerdings weitaus unbefriedigender, da die Geschichten nicht gut ineinandergreifen und einer der zentralen Aspekte der zweiten Erzählung nichtig wird: Als Leser wissen wir nie, weshalb Montresor an Fortunato Rache nehmen will, was einen Großteil des Schreckens ausmacht, im Hörspiel sind es die Ereignisse aus „The Pit and the Pendulum“.

Fazit: Das Gruselkabinett-Hörspiel legt den Fokus stärker auf die bizarren und schaurigen Elemente der Geschichte – sogar der Rote Tod (Axel Lutter) selbst darf am Ende zu Wort kommen, während sein Gegenstück von Lübbe Audio die Figuren und ihre Psychologie stärker in den Fokus rückt. Gerade in der aktuellen Situation ist aus diesem Grund die Lübbe-Audio-Version deutlich intensiver und wirkungsvoller, da man gewissermaßen die letzten Wochen noch einmal im Schnelldurchlauf erlebt. Beide Hörspiele sind allerdings überaus hochwertig, gut gesprochen und sehr atmosphärisch.

Bildquelle Lübbe Audio
Bildquelle Titania Medien

Lovecraft im Gruselkabinett

Halloween 2016

H. P. Lovecraft ist einer der einflussreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts und hat die phantastischen Genres beeinflusst wie nur wenige andere Autoren. Ob man sich dessen bewusst ist oder nicht, überall trifft man auf Spuren des eigenbrötlerischen Autors aus Providence. Dennoch sind seine Werke oftmals ein wenig abschreckend. Besonders einen Leser, der moderne Spannungsliteratur gewohnt ist, können Lovecrafts Geschichten, die stilistisch eher eigenwillig und zum Teil sperrig sind, eher langweilen denn erschrecken, da der Lovecraft’sche Horror sich doch deutlich von den Genre-Standards unterscheidet. Zum Glück gibt es Möglichkeiten, sich Lovecraft anzunähern und sich mit ihm vertraut zu machen, ohne dabei an seinen Eigenheiten zu scheitern. Die Hörspieladaptionen seiner Geschichten aus der Reihe „Gruselkabinett“ bieten eine solche Möglichkeit.

„Gruselkabinett“ ist die erfolgreichste Serie des Hörspiellabels Titania Medien, das von seinen Gründern Marc Gruppe und Stephan Bosenius geleitet wird. Die beiden produzieren ihre Hörspiele gemeinsam und führen Regie, Gruppe ist darüber hinaus auch für die Bücher verantwortlich. Die Hörspiele sind stets sehr aufwändig und atmosphärisch produziert; Gruppe und Bosenius greifen bevorzugt auf bekannte deutsche Synchronsprecher zurück, was fast durchweg hervorragend funktioniert. In der Zwischenzeit wurden bereits neun Lovecraft-Geschichten adaptiert, die ich im Folgenden besprechen möchte.

Der Fall Charles Dexter Ward (Folge 24 und 25)
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Dieser Kurzroman, verfasst im Jahr 1927, den Lovecraft selbst nicht allzu sehr schätzte und der erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde, entspricht inhaltlich eher den üblichen Konventionen des Schauerromans. Er handelt von den okkulten Interessen des Charles Dexter Ward, der bald erkennen muss, dass man sich mit untoten Vorfahren besser nicht abgibt. Der eigentliche Protagonist der Geschichte ist jedoch Dr. Marinus Willet, der Hausarzt der Wards, der die mysteriösen Umstände untersucht. Die Hörspielumsetzung ist im Großen und Ganzen durchaus gelungen und sehr atmosphärisch. Bereits in dieser ersten Lovecraft-Adaption zeigt sich eine gewisse Tendenz, die erst mit späteren Lovecraft-Hörspielen endet: Fast sämtliche Bezüge zum sogenannten „Cthulhu-Mythos“, etwa die Erwähnung des Necronomicon, wurden entfernt. Einerseits macht das die Geschichte für einen Hörer ohne Vorkenntnisse zugänglicher, andererseits raubt es ihr auch einiges an Atmosphäre und Kontext. Das fällt hier allerdings nicht so sehr ins Gewicht wie bei einer der anderen Adaptionen. Ansonsten ist „Der Fall Charles Dexter Ward“ ein solider, wenn auch kein herausragender Start der Lovecraft-Hörspiele; routiniert, gelungen, aber nicht mehr.

Der Tempel (Folge 39)
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Bei „Der Tempel“ handelt es sich um eine etwas obskurere Geschichte aus dem Frühwerk Lovecrafts. Gewisse Themen, die in späteren Geschichten dominant sind, werden hier bereits angerissen, allerdings fehlt zum Teil noch die rechte Form. Wie so oft im Lovecraft’schen Œuvre ist „Der Tempel“ als aufgefundenes Dokument konzipiert. Der fiktive Autor trägt den Namen Karl Heinrich, Graf von Altberg-Ehrenstein und ist Kapitän eines deutschen U-Boots im Ersten Weltkrieg. Die Handlung wird durch den Fund einer Leiche ausgelöst, die eine Statue bei sich hat. Ein Besatzungsmitglied nimmt die Statue an sich, was katastrophale Folgen hat, denn besagtes Abbild treibt die Mannschaft nach und nach in den Wahnsinn. Diese Geschichte wurde von Marc Gruppe etwas entschärft, da der Protagonist ein ziemlich übler Rassist ist, dem alle, die nicht preußischer Abstammung sind, zuwider sind. Lovecraft machte sich hier wohl über das lustig, was er als deutsche Mentalität sah (was angesichts seines eigenen Rassismus schon ein wenig ironisch ist). Die übertriebenen Tiraden wurden jedenfalls gestrichen, was der Geschichte durchaus gut tut. Ansonsten gelingt es dem Hörspiel sehr gut, die klaustrophobische Stimmung des U-Bootes einzufangen; auch das langsam Abgleiten in den Wahnsinn wird von den Sprechern gut vermittelt.

Berge des Wahnsinns (Folge 44 und 45)
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„Berge des Wahnsinns“ (erschienen im Jahr 1931) ist eine von Lovecrafts bekanntesten Geschichten, hier dekonstruiert er die mythischen Elemente seiner Geschichten regelrecht. Die Handlung dreht sich um eine Expedition in die Antarktis. Die Forscher entdecken dabei Spuren einer uralten, nichtmenschlichen und womöglich außerirdischen Zivilisation, die eventuell für die Entstehung des Lebens auf der Erde verantwortlich ist. Zwar sind die Angehörigen dieser Spezies verschwunden, doch haben sie höchst gefährliche Kreaturen zurückgelassen. Von allen Lovecraft-Hörspielen verliert „Berge des Wahnsinns“ durch die Adaption am meisten. Wie schon in „Der Fall Charles Dexter Ward“ wurden sämtliche Elemente des „Cthulhu-Mythos“ entfernt, was hier in weitaus größerem Maße ins Gewicht fällt, da dieser Kurzroman, wie gesagt, quasi als Dekonstruktion des „Cthulhu-Mythos“ betrachtet werden kann. In mancher Hinsicht zeigt dieses Hörspiel wohl, wie eine Hollywood-Adaption von Lovecrafts Geschichten aussehen könnte. Gruppe nahm es sich hier heraus, eine weibliche Figur einzuführen, die regelrecht feministische Züge besitzt. Auch eine Romanze wird subtil angedeutet. Derartige Hinzufügungen passen allerdings überhaupt nicht zu Lovecraft und wirken für jene, die mit ihm als Autor vertraut sind, erzwungen und deplatziert. Wer jedoch unvoreingenommen an dieses Hörspiel herangeht, wird sicher gut unterhalten, da die Hinzufügungen, Weglassungen und Veränderungen nicht auffallen.

Pickmans Modell (Folge 58)
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Die Adaption von „Pickmans Modell“, 1926 verfasst und ein Jahr später publiziert, gehört zu meinen persönlichen Favoriten. Das Grauen dieser Geschichte ist konventioneller und nicht wirklich mit den Entitäten des „Cthulhu-Mythos“ verbunden, wird jedoch auf für Lovecraft typische Art und Weise präsentiert. Alles dreht sich um den Maler Richard Upton Pickman, dessen verstörende Gemälde die Bostoner Kunstszene aufwühlen; die abgebildeten Kreaturen entspringen allerdings nicht nur der Phantasie des Malers. Das Gelingen dieses atmosphärischen Hörspiels hängt vor allem mit Sascha Rotermund zusammen, der Richard Upton Pickman hervorragend und nuancenreich spricht und so das Hörspiel fast im Alleingang stemmt. Das Grauen dieser Geschichte ist ein sehr indirektes, impliziertes, das jedoch hervorragend vermittelt wird.

Der Schatten über Innsmouth (Folge 66 und 67)
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Ein weiterer Klassiker, der dieses Mal exzellent vertont wurde, auch, weil die mythischen Elemente nicht allzu sehr beschnitten wurden. Wie auch die Geschichte selbst braucht das Hörspiel eine Weile, um richtig in Fahrt zu kommen. Der Protagonist Robert Olmstead (der Name taucht in der Geschichte selbst nicht auf, sondern stammt aus Lovecrafts Notizen, wird aber im Hörspiel verwendet) erforscht den geheimnisvollen Küstenort Innsmouth und stößt dabei auf ein Geheimnis, das nicht nur die merkwürdigen Bewohner der Stadt, sondern auch ihn selbst betrifft. Die Umsetzung ist schnörkellos gelungen. Da „Der Schatten über Innsmouth“ als Geschichte sehr geradlinig und einfach strukturiert ist (jedenfalls einfacher als viele andere Lovecraft-Geschichten), dürfte die Umsetzung auch nicht ganz so anspruchsvoll gewesen sein. Allgemein steht Gruppe bei der Adaption immer vor dem Problem, dass Lovecraft nur selten Dialoge verwendet; seine Geschichten haben zumeist einen distanzierten, berichthaften Charakter mit viel indirekter Rede. „Innsmouth“ ist diesbezüglich eine Ausnahme, da der Mittelteil der Geschichte ein sehr ausführliches Gespräch schildert.

Das Ding auf der Schwelle (Folge 78)
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Eine höchst enervierende Geschichte, verfasst 1933 und publiziert 1937, deren Implikationen fast erschreckender sind als die Dinge, die tatsächlich thematisiert werden. Strukturell gibt es einige Ähnlichkeiten zu „Der Fall Charles Dexter Ward“, durch die Augen von Daniel Upton, des eigentlichen Protagonisten, wird die Lebensgeschichte seines besten Freundes Edward Derby erzählt, wobei „Das Ding auf der Schwelle“ mit Uptons Mord an Derby beginnt. Nach und nach wird enthüllt, wie und warum es zu diesem Mord kam, wobei Okkultismus und Edward Derbys Frau Asenath Waite eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus fungiert diese Geschichte gewissermaßen als indirekte Fortsetzung zu „Der Schatten über Innsmouth“, da Asenath Waite aus besagter Stadt stammt und die Geschichte vereinzelt Elemente aus „Innsmouth“ aufgreift. Auch hier ist die Umsetzung ausgezeichnet und schafft es, Atmosphäre, subtile Bedrohung und Schrecken der Vorlage ausgezeichnet umzusetzen und die berichtartige Geschichte in Dialogform zu bringen.

Die Farbe aus dem All (Folge 90)
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„Die Farbe aus dem All“ (1927) gilt vielen als eine von Lovecrafts besten Geschichten, sie setzt sich auf beängstigende Weise mit Fremdartigkeit auseinander, die von Menschen nicht erfasst werden kann. Ein Meteor landet auf der Farm der Gardners und bringt etwas Fremdes mit sich, das sich am ehesten als unbekannte Farbe beschreiben lässt, die sich nach und nach ausbreitet und alles, was mit ihr in Berührung kommt, verdirbt. Viele Jahre später versucht ein Ermittler aus Arkham herauszufinden, was es mit der Farbe auf sich hat und was mit den Gardners geschehen ist. Trotz der einen oder anderen Freiheit, die sich Marc Gruppe nahm, funktionier auch diese Hörspieladaption ausgezeichnet. „Die Farbe aus dem All“ ist, wie so oft bei Lovecraft, eine Geschichte des subtilen Schreckens, die nicht auf oberflächlichen Schock, sondern auf tiefe Beunruhigung zurückgreift. Tatsächlich denke ich, dass sie auf gewisse Weise sehr realistisch ist. Sollte jemals außerirdisches Leben auf die Erde kommen, könnte ich mir vorstellen, dass es sich tatsächlich so abspielt wie von Lovecraft geschildert.

Träume im Hexenhaus (Folge 100)
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Gruppe und Bosenius wählten „Träume im Hexenhaus“ (verfasst 1932, im Folgejahr publiziert) als Folge 100 aus, weil die Geschichte Lovecrafts kosmischen Horror mit Elementen der traditionellen Schauergeschichte verbindet. Was in der Theorie gut klingt, klappt praktisch aber nicht immer. Die Geschichte erzählt von dem Mathematikstudenten Walter Gilman, der von der in Salem verbrannten Hexe Keziah Mason fasziniert ist und glaubt, ihre Magie basiere auf unirdischer Geometrie, mit deren Hilfe sie sich Raum und Zeit unterwerfen könne. Um seinen Wissensdurst zu stillen zieht er in das alte Haus der Hexe, nur um schon bald von grauenhaften Alpträumen geplagt zu werden. „Träume im Hexenhaus“ gehört nicht unbedingt zu Lovecrafts stärksten Geschichten. Ähnlich wie „Berge des Wahnsinns“ scheint Lovecraft hier eine Dekonstruktion durchzuführen, die einzelnen Elemente der Geschichte wollen aber oftmals nicht so recht zusammenpassen. Während das Hörspiel grundsätzlich professionell aufgezogen und produziert wurde, treten hier die Schwächen der Geschichte fast noch deutlicher zutage, sodass viele der Schrecken letztendlich zu banal und plakativ wirken.

Der Ruf des Cthulhu (Folge 114 und 115)
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Diese Geschichte aus dem Jahr 1926 bzw. 1928 hat dem „Cthulhu-Mythos“ seinen Namen verliehen. Ironischerweise war Lovecraft weder besonders begeistert von ihr, noch bediente er sich des tentakelgesichtigen Gottes, nach dem Geschichte und Mythos benannt sind, besonders häufig. Lediglich in „Berge des Wahnsinns“ und „Der Schatten über Innsmouth“ wird Cthulhu noch erwähnt. Dennoch gehört sie zu Lovecrafts bekanntesten und beliebtesten Geschichten. Leider eignet sie sich nicht besonders gut als Vorlage für ein Hörspiel. Die Erzählung setzt sich aus mehreren Berichten zusammen, die sich nach und nach wie ein Puzzle verbinden und vom Erwachen des finsteren Gottes Cthulhu berichten. Was in gedruckter Form allerdings ziemlich gut funktioniert, will als Hörspiel nicht so recht klappen. Die Handlung wirkt ziemlich fragmentiert und kommt bis zum Schluss nicht so recht in Gang. Davon abgesehen ist die Produktion natürlich dennoch auf einem sehr hohen Niveau, kann den Spitzenreitern „Der Schatten über Innsmouth“, „Pickmans Modell“ und „Die Farbe aus dem All“ aber nicht das Wasser reichen.

Siehe auch:
Das Necronomicon
Berge des Wahnsinns