Art of Adaptation: Die Nibelungen (Roman Wolf)

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Während Hollywood alle paar Jahre eine, meistens zum Scheitern verurteilte, Neuadaption der Geschichten um Robin Hood oder König Artus herausbringt und selbst die Sagen der griechischen Mythologie es immer wieder auf die Leinwand schaffen, sind Filme, die den Nibelungenstoff, praktisch das deutsche Gegenstück, umsetzen, äußerst rar geworden. Die letzte Produktion, an die ich mich erinnern kann, war der zweiteiliger Fernsehfilm „Die Nibelungen“ aus dem Jahr 2004; Regie führte Uli Edel, Benno Fürmann spielte Siegfried, Kristanna Loken Brunhild und ein Prä-Harry-Potter Robert Pattinson war als Giselher zu sehen. Trotz der Namensgleichheit ist dieser Zweiteiler allerdings nicht Sujet dieses Artikels, denn im Gegensatz zu Filmemachern greifen Autoren nur allzu gerne auf den Nibelungenstoff zurück – schließlich müssen sie sich nicht mit Budgetfragen beschäftigen. Die neueste Prosadaption des Stoffes ist der Romanerstling des Berliner Autoren Roman Wolf und zugleich auch der Grund, weshalb ich mich aktuell mal wieder mit dem Sagenkomplex beschäftige.

Konzept und Handlung
Bei einer Adaption des Nibelungen-Stoffes gibt es eine Reihe von Ansätzen, die man als Autor verfolgen kann. Der amerikanische Schriftsteller Stephan Grundy konzentriert sich in seinem Roman „The Rhinegold“ (1992) beispielsweise auf die nordische Version der Sage, während Wolfgang Hohlbein die ganze Angelegenheit in seinem Frühwerk „Hagen von Tronje“ (1986) aus der Sicht des vermeintlichen Schurken schildert. Roman Wolf hingegen orientiert sich sehr stark am „Nibelungenlied“, dem mittelalterlichen Versepos, bemüht sich aber, die Anachronismen auszumerzen. Technisch gesehen spielt das „Nibelungenlied“ während der Zeit der Völkerwanderung, was sich allein an der Präsenz Attilas des Hunnen (alias Etzel) zeigt. Der ursprüngliche Sagenstoff oder die historische Grundlage (die zu erläutern deutlich zu viel Platz einnehmen würde, nicht zuletzt, da es hier ebenso viele unbestätigte Vermutungen wie Kontroversen gibt) stammt wohl aus der Zeit der Völkerwanderung und entwickelte sich in verschiedene Richtungen. Während die nordischen Versionen, etwa die Völsunga saga oder die Thidrekssaga, noch mit „heidnischer Mythologie“ verknüpft sind, ist das „Nibelungenlied“ christianisiert und zeigt Worms, den primären Handlungsort, als mittelalterlich-höfische Welt. Diesen Umstand „korrigiert“ Wolf: Die Handlungsentwicklung ist dieselbe wie im „Nibelungenlied“ (mit diversen Anpassungen und Abänderungen, versteht sich), aber wir haben es mit einem eindeutig spätantiken Setting in der frühen Völkerwanderungszeit zu tun, inklusive eines Subplots, in dem ein schwächer werdendes und inzwischen christianisiertes römisches Imperium eine Rolle spielt. Dieser hat im Gesamtkontext des Romans zwar nur eine relativ geringe Bedeutung, sorgt aber sofort für eine völlig andere Zuordnung.

Davon abgesehen verlässt Wolf selten die vertrauten Handlungselemente: Siegfried von Xanten besiegt zu Beginn einen Drachen und bringt einen gewaltigen Schatz an sich, landet nach weiteren Abenteuern in Worms, verliebt sich in die königliche Schwester Kriemhild und hilft dem Burgundenherrscher Gunther dabei, die enigmatische Brunhild als Ehefrau zu gewinnen, die nur den heiratet, der sie besiegt, was Siegfried unter Vorspiegelungen falscher Tatsachen für Gunther erledigt. Dies wiederum führt zum Konflikt zwischen Kriemhild und Brunhild, während der intrigante Berater Gunthers, Hagen von Tronje, einen Weg sucht, um an den Schatz zu kommen. Er nutzt die Intrige um Brunhilds Brautwerbung, um Siegfried anzuklagen und ihn schließlich zu töten. Daraufhin schwört Kriemhild, inzwischen Siegfrieds Ehefrau (bzw. Witwe), Rache. Zu dieser verhilft ihr Jahre später Attila, der ihr zweiter Ehemann wird: Ihre Verwandtschaft wird an Attilas Hof geladen, und was als Feier beginnt, artet zum brutalen Gemetzel aus, das kaum eine Figur überlebt. Diese knappe Handlungszusammenfassung (eine ausführlichere Besprechung des Versepos findet sich hier im Wissenstagebuch) funktioniert sowohl für Wolfs Roman als auch für das Versepos. In einem Roman wie „Die Nibelungen“ kommt es weniger darauf an, was passiert, die Handlung ist schließlich bereits seit vielen Jahrhunderten bekannt, sondern wie es passiert und wie Wolf den Plot und die Figuren interpretiert. Im Großen und Ganzen inszeniert er die Geschichte als historischen Roman, während fantastische und mythische Elemente kaum eine Rolle spielen.

Stilistisch ist der Roman insgesamt recht geerdet und angenehm, nicht unbedingt allzu anspruchsvoll und ohne größere Experimente, aber auch nicht zu simpel. Ein Aspekt, der mich allerdings doch ein wenig gestört hat, ist der Umstand, dass Wolf recht häufig die Perspektive wechselt und recht abrupt vom Kopf des einen Charakters in den des nächsten „springt“. Das ist freilich persönliche Präferenz, ich ziehe diesbezüglich eine stärkere Separierung, bspw. durch Kapitel vor und finde es auch besser, wenn es eine Reihe von Figuren gibt, deren Gedanken man als Leser nicht kennt. Vielleicht bin ich da zu sehr durch George R. R. Martin und seine PoV-Kapitel in „A Song of Ice and Fire“ geprägt. Apropos George R. R. Martin, da ich den Roman in Hörbuchform konsumiert habe, hat er bei mir durchaus ASoIaF-Vibes ausgelöst, da Reinhard Kuhnert als Sprecher fungiert. Kuhnert ist praktisch Martins deutsche Hörbuchstimme und hat neben ASoIaF sowie den diversen Zusatzwerken auch „Tuf Voyaging“ (dt. Titel „Der Planetenwanderer“) und „Fevre Dream“ eingelesen.

Magie und Mythos
Wie erwähnt ist „Die Nibelungen“ primär als historischer Roman konzipiert. Die größte Ausnahme ist der Drache, dem Siegfried seinen Titel als Drachentöter verdankt. Besagter Drache spielt vor allem in den nordischen Versionen und in Wagners Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ eine wichtige Rolle. Dort trägt er den Namen Fafnir bzw. Fafner und ist zumeist ein Riese, der sich aus dem einen oder anderen Grund in einen Drachen verwandelt. Im „Nibelungenlied“ ist der Drache hingegen lediglich Teil von Siegfrieds Vorgeschichte, gehört aber nicht zur eigentlichen Handlung. Zu Beginn des Werkes ist er bereits durch Siegfrieds Hand gefallen, bleibt namenlos und spielt auch keine Rolle mehr. Wolf setzt mit der Handlung früher ein als das Versepos, sodass die Drachentötung und Schatzgewinnung eines der Eröffnungsereignisse des Romans ist, mit den Hintergründen der Kreatur oder selbst ihrem Aussehen beschäftigt er sich allerdings nicht groß und bleibt sehr vage. Ähnlich verhält es sich mit Siegfrieds Unverwundbarkeit und der Tarnkappe; Erstere kommt hier nicht vom Bad im Drachenblut, sondern von einer Rüstung, die vielleicht übernatürlich ist, vielleicht auch nicht, aber definitiv am Rücken eine Schwachstelle hat, während die „Tarnkappe“ lediglich ein das Gesicht verbergender Helm ist, mit dem Brunhild getäuscht wird.

Die heidnischen Götter spielen, anders als im „Nibelungenlied“, durchaus eine gewisse Rolle, bei weitem aber nicht dieselbe wie in Wagners „Ring des Nibelungen“ als handelnde Personen. Stattdessen inszeniert Wolf hier einen Konflikt zwischen alter und neuer Religion, zwischen dem Glaube an Wodan, Donar und die germanischen Götter auf der einen und dem von Rom gebrachten, noch jungen Christentum auf der anderen Seite. Siegfried, die Xantener und auch Brunhild und die Ihren sind Anhänger der alten Götter, während die Burgunder sich im Zwiespalt befinden, Kriemhild und ihre Mutter Ute haben das Christentum angenommen, viele andere Burgunder hängen aber noch dem alten Glauben an, was immer wieder zu Konflikten führt, mit denen sich Gunther und seine Brüder auseinandersetzen müssen. Diesem Konflikt wird vor allem zu Beginn eine größere Rolle zugewiesen, mit fortschreitender Handlung tritt er allerdings immer weiter in den Hintergrund.

Siegfried und Brunhild
In den nordischen Versionen der Nibelungensage spielt Siegfrieds Familie eine nicht zu unterschätzende Rolle, die Völsunga saga ist gar nach seinem Geschlecht, den Völsungen bzw. Wölsungen bzw. Wälsungen (es existieren sehr viele Schreibweisen) benannt. Dort fungiert Odin persönlich als Stammvater, die Linie setzt sich mit den mythischen Königen Sigi und Rerir fort, Rerirs Sohn (und damit Odins Urenkel) ist schließlich der namensgebende Wölsung, dessen Sohn Sigmund wiederum Vater des Drachentöters Sigurd, der nordischen Version von Siegfried ist. Wagner dampfte diesen umfassenden Stammbaum ein, machte aus Odin bzw. Wotan und Wälse (also Wälsung) dieselbe Person, sodass nun Siegmund (bei Wagner in der Schreibweise des „Niebelungenlieds“) der Sohn des Göttervaters ist. Dessen drei andere Söhne werden aus der Geschichte getilgt, nicht aber der Inzest, den Sigmund mit seiner Zwillingsschwester Signey (bei Wagner Sieglinde) begeht – nur dass in der Völsunga saga nicht Sigurd, sondern Sinfiötli aus dieser Verbindung hervorgeht. Lange Rede, kurzer Sinn, in „Die Nibelungen“ spielt das alles keine Rolle, Siegmund und Sieglinde sind wie im „Nibelungenlied“ das Herrscherpaar von Xanten und spielen nach dem Anfang des Romans keine große Rolle mehr. Ein Element, das dagegen eine sehr große Rolle spielt, ist die Beziehung zwischen Siegfried und Brunhild, bei der sich Wolf eher an der nordischen Auslegung bzw. Wagner orientiert.

Im „Nibelungenlied“ bleibt es sehr vage, ob Siegfried und Brunhild, die hier Königin von Island ist, eine wie auch immer geartete Vorgeschichte haben, zweifellos weiß Siegfried mehr über sie als Gunther und seine Mannen, hat jedoch anscheinend kein Problem damit, Gunther dabei zu helfen, sie in einer Reihe von Wettkämpfen zu besiegen. In den nordischen Quellen und bei Wagner hingegen ist Brunhild eine Walküre und hat eine Beziehung mit Siegfried, bevor ihn Gunther (bzw. ähnlich konzipierte Figuren) dazu bringen, die Angebetete mithilfe eines Zaubertranks zu vergessen. Auf diese Weise entsteht die noch deutlich problematischere Variante, in der Brunhild (ihrer Sicht nach) von ihrer großen Liebe verraten wird. Im „Nibelungenlied“ hingegen ist es primär eine Statusfrage und keine derart persönliche Angelegenheit. In keiner dieser Versionen kommt Siegfried besonders gut weg, aber es gibt doch immer zumindest gewisse mildernde Umstände, entweder fehlt die Beziehung zu Brunhild, oder aber Siegfried wird per Zaubertrank bearbeitet. Wolf entscheidet sich in „Die Nibelungen“ dafür, Siegfried die volle Bürde aufzuladen: Nicht nur hat er zuerst eine Beziehung zu Brunhild, bevor er sich nach Worms begibt, ihm wird auch kein magischer Trank verabreicht, stattdessen betrügt er seine Angebetete mit Kriemhild und wird anschließend von Gunther erpresst.

Brunhild ist hier weder eine Walküre noch Königin von Island, sondern stattdessen Herrscherin des Suavawaldes, der laut Nachwort des Romans im Harz liegt. Mehr noch, sie posiert als ihre eigene (nicht existente) Zwillingsschwester, um ihrer heimlichen Leidenschaft, dem Schmieden nachgehen zu können. In dieser Funktion ist sie für die Erschaffung von Siegfrieds Schwert und seiner Rüstung verantwortlich. Dies kann als Anspielung auf Wagner verstanden werden, dort ist es ebenfalls nicht das Drachenblut, das Siegfried unverwundbar macht, sondern Brunhilds Zauberkraft. Um ihre Gunst zu gewinnen, muss Gunther sie, anders als im „Nibelungenlied“, nicht in einer Reihe von Wettkämpfen, in welchen ihm der durch die Tarnkappe unsichtbare Siegfried unter die Arme greift, sondern im Zweikampf besiegen. Auch der zweite Kampf gegen Brunhild wird in „Die Nibelungen“ deutlich anders inszeniert als im „Nibelungenlied“, in welchem diese sich nach der Hochzeit mit Gunther weigert, die Ehe zu vollziehen. So muss Siegfried mit Tarnkappe erneut Brunhild bändigen, damit Gunther sie entjungfern kann, wodurch sie letztendlich ihre übernatürliche Stärke verliert. Da Siegfried Brunhild Gürtel und Ring abnimmt, um sie später Kriemhild zu schenken, entsteht das Gerücht, in Wahrheit habe Siegfried, nicht Gunther die Ehe vollzogen. Eine derartige Handlungsentwicklung wird inzwischen freilich als recht problematisch wahrgenommen, weshalb Wolf zwar eine ähnliche Situation schafft, Brunhild dabei aber nicht nur deutlich aktiver agieren, sondern sie überhaupt die Bedingungen dafür diktiert lässt, dass sie die brave Ehefrau spielt.

Kriemhilds Rache
Zwar wird gemeinhin Siegfried als Protagonist des „Nibelungenlieds“ wahrgenommen, das ist jedoch eine Fehleinschätzung, schließlich stirbt er bereits in der Mitte des Werkes. Die eigentliche Hauptfigur ist Kriemhild, nicht nur ist sie im zweiten Teil diejenige, die gnadenlos die Handlung vorantreibt, sie ist auch die Figur, die als erste, direkt in der ersten Aventiure vorgestellt wird, während Siegfried erst in der zweiten auftaucht. Ein zentrales Element des „Nibelungenlieds“ ist die Parallelentwicklung von Kriemhild und Brunhild. Kriemhild beginnt als fest in der höfischen Welt verwurzelte Figur, die Gewöhnliche, die Unspektakuläre, im Vergleich zu Brunhild, der übernatürlichen und exotischen Außenseiterin. Nachdem Brunhild allerdings zwei Mal besiegt wird, wird sie erst Teil der höfischen Welt und versinkt nach Siegfrieds Tod in der Bedeutungslosigkeit. Im zweiten Teil des Versepos spielt sie keine Rolle mehr, während Kriemhild sich zum Racheengel entwickelt, die höfische Welt verlässt, Etzel/Attila zu ihrem Werkzeug macht und schließlich ein Massaker an ihren Anverwandten, denen sie nicht zu Unrecht die Schuld an Siegfrieds Tod gibt, inszeniert. Diese doch sehr krasse Parallelentwicklung ist ein Element, das Wagner beispielsweise überhaupt nicht interessiert, weshalb seine Versionen von Brunhild und von Kriemhild (die in der „Götterdämmerung“ den Namen Gutrune trägt) sie auch nicht durchmachen, stattdessen ist und bleibt Brunhild die zentrale Weibliche Figur der Opern-Tetralogie – und das, obwohl sie im „Rheingold“ nicht einmal auftaucht. Wolf schien diese Parallelentwicklung wohl ebenfalls ein wenig zu krass bzw. zumindest für ein modernes Publikum zu unbefriedigend. Während sich Kriemhild in „Die Nibelungen“ ziemlich genauso entwickelt wie im Versepos, räumt Wolf Brunhild doch ein wenig mehr Platz ein, zeigt auf, wie sie sich nach Siegfrieds Tod als Figur entwickelt und gewährt ihr gewissermaßen das letzte Wort mit einem Epilog, der an Brunhilds finale Szene im „Ring des Nibelungen“ erinnert.

Obwohl es falsch wäre zu sagen, dass Wolf die zweite Hälfte des „Nibelungenlieds“ stiefmütterlich behandelt, fällt doch auf, dass er ihr und Kriemhilds Rache deutlich weniger Platz einräumt, als es bei der ersten Hälfte der Fall war. Zwar ist Kriemhild auch hier ohne Zweifel die eigentliche Hauptfigur des gesamten Romans, zugleich scheint es aber, als habe ihn die erste Hälfte des Versepos deutlich mehr interessiert als die zweite. Dies zeigt sich nicht zuletzt an den Ausgestaltungen und Eigeneinfällen, die in diesem Teil des Romans deutlich spärlicher ausfallen. Auffällig ist zudem, dass Wolf aus historischen Gründen auf den gemeinhin mit dem Ostgotenkönig Theoderich gleichgesetzten Dietrich von Bern verzichtet, der im „Nibelungenlied“ beim finalen Massaker zugegen ist. Gewissermaßen als Ersatz ist der römische Heermeister Flavius Aëtius präsent, der als Hauptrepräsentant des römischen Subplots fungiert.

Zum Abschluss noch eine Beobachtung bezüglich des Romantitels: Die Bedeutung des Wortes „Nibelungen“ bzw. die Identität besagter Gruppe ändert sich von Version zu Version, mal ist die Rede von einer familiären Abstammung, im „Nibelungenlied“ ist König Nibelung beispielsweise der ursprüngliche Besitzer des Nibelungenschatzes, seines Nachkommen sind dementsprechend die Nibelungen. Zumeist handelt es sich bei den Nibelungen um übernatürliche Wesen, primär Zwerge, gerne werden aber auch die Gibichungen, also Gunther, Hagen und Co. in letzter Konsequenz als Nibelungen identifiziert. Im Roman, der diesen Namen trägt, handelt es sich bei den Nibelungen allerdings nur um Brunhilds Leibgarde, deren Anführer den Namen Nibel trägt, weshalb seine Mannen als Nibelungen bezeichnet werden. Diese Konstruktion erscheint mit persönlich ein wenig antiklimatisch.

Fazit: In seinem Roman „Die Nibelungen“ inszeniert Roman Wolf das „Nibelungenlied“ als historischen Roman, der fest in der Zeit der Völkerwanderung verwurzelt ist. Dabei folgt er dem Plot des mittelalterlichen Versepos recht genau, nimmt aber größere und kleinere Feinjustierungen an den Figuren vor, um diese einem modernen Publikum zugänglicher zu machen. Alles in allem eine gelungene Neuinterpretation des „Nibelungenlieds“ vor spätantikem Hintergrund.

Bildquelle (Copyright: Rütten & Loening)

Siehe auch:
Wagner: Der Ring ohne Worte
Art of Adaptation: Der Ring des Nibelungen – RBB-Hörspiel
Art of Adaptation: Der Ring des Nibelungen – Comic von P. Craig Russel
Götterdämmerung

Art of Adaptation: Der Ring des Nibelungen – Comic von P. Craig Russell

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Richard Wagners Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ dürfte schon allein aufgrund des Umfangs eines der fordernsten Werke der klassischen Musik sein – zum Glück gibt es Möglichkeiten, sich diesem Mammutwerk zu nähern, ohne sich durch vier Opern von insgesamt gut 14 Stunden zu arbeiten. Einige davon habe ich bereits vorgestellt, etwa das Instrumentalalbum „Der Ring ohne Worte“, das aus dem Zyklus praktisch ein Filmmusikalbum macht, oder die 2022 ausgestrahlte Hörspielserie des RBB. Wer hingegen eher einen visuellen Zugang bevorzugt und es zudem auf ein hochwertigeres (und teureres) Objekt abgesehen hat, kann zur kürzlich von Cross Cult in einem Hardcover-Sammelband auf Deutsch herausgebrachten Comic-Adaption von P. Craig Russell aus den frühen 2000ern greifen.

Wie so viele amerikanische Comicschaffende arbeitete auch der 1951 geborene Russell im Lauf seiner Karriere für die beiden großen Verlage DC und Marvel, für die er sowohl als Texter als auch als Zeichner und Inker tätig war. Bereits in den 80ern schrieb und zeichnete er die Anthologieserie „Night Stories“, in deren Rahmen er nicht nur Literaturklassiker, sondern auch Opern adaptiert. Besonderes Letztere sollten sein Comicschaffen immer begleiten, bis er sich in den frühen 2000ern für Dark Horse Wagners „Ring des Nibelungen“ annahm. Die epische Geschichte des deutschen Komponisten, basierend auf diversen mittelalterlichen Quellen, darunter primär die nordische Völsunga saga, aber auch (in geringerem Maße) das mittelhochdeutsche Versepos „Das Nibelungenlied“, setzt er in 14 Ausgaben um, vier für „Das Rheingold“, jeweils drei für „Die Walküre“ und „Siegfried“ und noch einmal vier für „Götterdämmerung“.

Anders als beispielsweise die französische Serie „Götterdämmerung“, die sich zwar an Wagner orientiert, viele Elemente aber sehr frei umsetzt und u.a. noch deutlich mehr nordische Mythologie einarbeitet, handelt es sich bei Russells Werk um eine sehr vorlagengetreue Umsetzung, weshalb Wagners Name auch das Cover ziert. Auf eine ausführliche Handlungswidergabe werde ich in diesem Kontext verzichten und verweise dafür auf meinen Artikel zum RBB-Hörspiel – sowohl dieses als Russells Comicadaption sind jeweils äußerst nahe an der Vorlage, die Abweichungen und Änderungen sind minimal. Diesbezüglich am interessantesten ist wahrscheinlich Russells Gestaltung des Endes. Im Finale der „Götterdämmerung“ sterben praktisch alle wichtigen Figuren und die alte Ordnung der Götter Walhalls endet, aber es liegt zumeist im Ermessen des jeweiligen Regisseurs, ob dieser Umstand positiv oder negativ bewertet wird. Russell zeigt nach dem eigentlichen Ende, wie Wotan nach der Rückgabe des Rings an die Rheintöchter Loge mit seinem Speer ersticht, woraufhin Walhall in Flammen aufgeht. Anschließend sehen wir Siegfried und Brünhild in ätherischem Licht, das einer verwüsteten Landschaft neues Leben bringt, die entstehende Pflanze könnte sogar als neue Weltesche interpretiert werden. Russell geht also von einem positiven Neuanfang nach dem Ende der alten Ordnung aus. Deutlich interessanter als die Handlungsabweichungen – bzw. der Mangel an denselben – ist die visuelle Umsetzung.

Wer moderne Operninszenierungen, in denen die Figuren in moderner Kleidung durch ein minimalistisches Bühnenbild rennen, absolut nicht ausstehen kann, dürfte mit dem von Russell gewählten visuellen Stil wirklich seine Freude haben, denn sein „Ring des Nibelungen“ sieht exakt so aus, wie man sich eine stereotype Wagner-Oper vorstellt. Russell inszeniert die Welt des deutschen Komponisten als romantisch verklärte Mischung aus Pseudo-Völkerwanderung, Pseudo-Mittelalter und Pseudo-Wikingern, will heißen: Es finden sich viele Flügel- und Hörner-Helme. Das Ganze mutet einerseits, vor allem für eine Leserschaft des Jahres 2023, die eine andere Darstellung von Mythologie, Wikingern und Fantasy gewohnt ist, reichlich kitschig an. Wenn Russell es sich allerdings zum Ziel gesetzt hat, den „Ring“ so in Szene zu setzen, dass er Wagners Idealvorstellung am nächsten kommt, kann das Ergebnis zweifelsohne als durchschlagender Erfolg bewertet werden.

Den romantisch-kitschigen Aspekt außen vorgelassen sind Russells Zeichnungen, Bildkompositionen und Panelanordnungen keinesfalls anspruchslos oder simpel, im Gegenteil. Russell bemüht sich um eine ausgeprägte Bildsprache und zeigt zudem eine stilistische Vielseitigkeit – so werden beispielsweise Rückblenden oder „Handlungsbrücken“, die in den Opern nur verbal vermittelt werden, als nicht kolorierte Bleistiftzeichnungen gezeigt. Mehr noch, Russell versucht auch, Wagners Musik visuell umzusetzen, spezifisch die Leitmotivik. Wagner ist nicht nur der Vorreiter dieser musikalischen Erzähltechnik, tatsächlich hat ihm bislang kaum ein Komponist diesbezüglich das Wasser reichen können, zumindest im Hinblick auf den „Ring“. Das liegt primär daran, dass Wagners Leitmotive im „Ring“ einer ständigen, von der Handlung bestimmten Entwicklung und Metamorphose unterworfen sind. Siegfrieds Thema, wie es am prominentesten in Siegfrieds Trauermarsch erklingt, entwickelt sich beispielsweise über den Verlauf der Tetralogie langsam und ist eine Ausarbeitung des Schwert-Motivs, beinhaltet eine invertierte Version des Ring-Motivs etc. Im Gegensatz dazu bleiben die Leitmotive und Themen in der Filmmusik zumeist relativ starr, um einen besseren Wiedererkennungswert zu gewährleisten. Zugegebenermaßen haben Filmkomponisten auch nur zwei bis drei Monate, um einen Film-Score zu schreiben, während Wagner mehrere Jahrzehnte an den vier Opern des „Rings“ arbeitete. Wie dem auch sei, Russell versucht, diese motivische Entwicklung immer wieder bildlich darzustellen, etwa wenn am Ende des „Rheingolds“ Wotan das Schwert Notung als zentrales Element seines Weltrettungsplanes ersinnt und Russell es in ein Geflecht aus visuellen Motiven einbindet, das Wagners leitmotivischer Entwicklung gleicht.

Ich muss allerdings zugeben, dass ich nicht jede grafische Gestaltung Russells vollauf gelungen finde. Vor allem der Drache Fafner wirkt nicht allzu einschüchternd oder schrecklich, sondern sieht primär aus wie ein großes Krokodil – die drachenartige Riesenschlange, in die sich Alberich im „Rheingold“ mithilfe der Tarnkappe verwandelt, ist da deutlich besser gelungen. Allgemein wirken die schurkischen Figuren, Alberich, Mime und Hagen, visuell äußerst uninteressant, gerade im Vergleich zu den Helden und Göttern. Während die Nibelungen meistens spärlich bekleidet durch die Gegend rennen, mutet Hagen an wie eine mit Hörnerhelm ausgestattete Version von Gríma Schlangenzunge. Ich denke, da wäre mehr drin gewesen. Absolut keinen Grund zur Klage liefert die Aufmachung der deutschen Ausgabe: Hardcover mit Lesebändchen und umfangreichem Bonusmaterial, darunter Cover, Skizzen P. Craig Russells sowie Kommentare und Erläuterungen zu seinem Adaptionsprozess, die mir das Verfassen dieses Artikels deutlich erleichtert haben.

Fazit: Gelungene, sehr vorlagengetreue Comicadaption des „Ring des Nibelungen“ in ansprechender Prachtausgabe, visuell verwurzelt in der Romantik des 19. Jahrhunderts, die aufwändig und komplex darstellt, wie Wagner selbst sich den „Ring“ vorgestellt haben könnte.

Bildquelle

Siehe auch:
Wagner: Der Ring ohne Worte
Art of Adaptation: Der Ring des Nibelungen – RBB-Hörspiel
Götterdämmerung

Art of Adaptation: Der Ring des Nibelungen – RBB-Hörspiel

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Wagners „Der Ring des Nibelungen“ taucht aktuell immer wieder in den Schlagzeilen auf, primär natürlich wegen den gerade stattfindenden Bayreuther Festspielen, sei es wegen der neuen Inszenierung des Opernzyklus durch Regisseur Valentin Schwarz, Belästigungsvorwürfen oder Unfällen, bei denen sich Darsteller schwer verletzen. Mehr oder weniger parallel dazu habe ich eine Entdeckung gemacht, die zwar deutlich weniger dramatisch, dafür aber nicht minder interessant ist. Bereits vor einigen Monaten inszenierte der RBB eine aufwändige Hörspielproduktion des „Rings“ mit hochkarätiger Sprecherriege unter Regie von Regine Ahrem, die zumindest in Ansätzen einen von mir lange gehegten Traum erfüllt: Ich war schon lange der Meinung, es müsse eine vernünftige Film- oder Serienadaption des „Rings der Nibelungen“ geben, in der eine bearbeitete Fassung von Wangers Musik als Score fungiert – die Ringpartituren mit ihrer aufwändigen Leitmotivstruktur sind praktisch schon fast Film-Scores. Besagtes Hörspiel ist zwar kein Film, folgt allerdings eben diesem Konzept – gesungen wird nicht, Wagners Musik ist aber durchaus zu vernehmen, arrangiert und durch eigene Kompositionen angereichert von Felix Raffel.

Nun ist Wagners Opernzyklus ja bekanntermaßen selbst kein originales Werk – der umstrittene Komponist bediente sich nicht nur beim „Nibelungenlied“, quasi dem deutschen Nationalepos, sondern auch bei diversen anderen Versionen der Geschichte. Während das „Nibelungenlied“ eindeutig christlich geprägt ist und den Fokus auf die höfischen Elemente (und die spätere Racheaktion von Kriemhild) legt, konzentriert sich Wagner in weit größerem Maß auf die mythischen Elemente und entnimmt für die ersten drei Opern „Das Rheingold“, „Die Walküre“ und „Siegfried“ viele Komponente aus der Völsunga saga und anderen nordischen Quellen; auf diese Weise versuchte er gewissermaßen, eine ursprüngliche, germanische Version der Sage zu rekonstruieren. Aus Odin wird Wotan, aus Thor Donner, aus Loki Loge etc. „Götterdämmerung“ schließlich ist in etwa inhaltsgleich mit der ersten Hälfte des „Nibelungenliedes“, während die zweite Hälfte, die Kriemhilds Rache an den Burgunden, die für Siegfrieds Tod verantwortlich sind, schildert und nebenbei diverse Gastauftritte bekannter Figuren aus Sage und Geschichte, von Dietrich von Bern bis hin zu Etzel/Attila beinhaltet, von Wagner nicht beachtet wird. Und selbst die Teile, die deckungsgleich sind, sind von größeren Unterschieden geprägt, im „Nibelungenlied“ lässt sich beispielsweise eine Parallelentwicklung beobachten: Zu Beginn ist Bründhilde die kriegerischer Frauenfigur, wird dann aber zunehmend gebändigt und spielt später kaum eine Rolle mehr, während Kriemhild die zentrale Figur der zweiten Hälfte ist und sich praktisch zur Rachegöttin entwickelt. Wagners Kriemhild-Gegenstück Gutrune dagegen bleibt der höfischen Welt verbunden und alles in allem ziemlich unwichtig, während Bründhilde diejenige ist, die am Schluss die Initiative ergreift.

Die Hörspieladaption hält sich sehr eng an Wagners Version der Handlung: Alles beginnt am Rhein, der Nibelungenzwerg Alberich steigt den Rheintöchtern nach, wird von diesen allerdings nur verhöhnt, weshalb er stattdessen der Liebe entsagt und das Rheingold, dessen Geheimnis ihm die Rheintöchter leichtsinnigerweise anvertraut haben, für sich beansprucht. Denn wer aus dem Rheingold einen Ring schmiedet, kann damit die Welt beherrschen. In anderen Sphären har Göttervater Wotan derweil mit eigenen Problemen zu kämpfen. Zwar haben die Riesen Fasolt und Fafner ihm eine herrliche Burg mit dem Namen Walhall erbaut, allerdings fordern sie als Preis Wotans Schwägerin Freia. Darüber ist Ehegattin Fricka nicht amüsiert, zudem sind die Götter auf Freias Äpfel, die ihre ewige Jugend garantieren, angewiesen. Feuergeist Loge weiß allerdings Rat: Wenn man den Riesen das Rheingold anstelle von Freia verspräche, könnte man die Göttin zurückerhalten. Da Alberich das Gold geschickterweise bereits gestohlen hat, würde man es zudem nur einem Dieb abnehmen. Da kann man die ursprünglichen Wärterinnen schon mal ignorieren. Gesagt, getan, Wotan und Loge steigen hinab nach Nibelheim und schaffen es, Alberich, der inzwischen nicht nur einen Ring, sondern auch einen Tarnhelm mit der Hilfe seines Bruders Mime aus dem Gold geschmiedet hat, um Gold, Ring und Tarnhelm zu erleichtern. Alberich verflucht allerdings den Ring, auf dass er Tod und Verderben bringe. Wotan ist zuerst nicht gewillt, Gold und Allmacht aufzugeben, lässt sich aber von Erda, der Urmutter, schließlich überreden, alles den Riesen zu überlassen. Der Fluch auf dem Ring zeigt sofort Wirkung: Fafner tötet Fasolt und verschwindet in die Wälder, um sich in einen Drachen zu verwandeln.

In den anderen drei Opern arbeitet Wotan unermüdlich daran, seine Fehler aus dem „Rheingold“ auszumerzen. Zu diesem Zweck zeugt er mit diversen Göttinnen, darunter auch Erda, die Walküren, die die gefallenen Helden nach Walhall bringen, damit diese Wotan in einem potentiellen finalen Kampf unterstützen. Es sind allerdings sterbliche Helden, die die Misere in letzter Konsequenz in Ordnung bringen müssen. Zu diesem Zweck gründet Wotan das Geschlecht der Wälsungen. Die Zwillinge Siegmund und Sieglinde, Kinder Wotans, verlieben sich auch prompt ineinander und alles könnte so schön sein, bestünde Wotans Ehefrau Fricka, zufällig die Göttin der Gattentreue, nicht darauf, dass die inzestuöse Beziehung gewaltsam beendet wird. Schweren Herzens befiehlt Wotan Brünhilde, in Siegmunds Kampf mit Sieglindes Ehemann Hunding Letzterem zum Sieg zu verhelfen, was diese allerdings ablehnt, ihrem Herzen folgt und für die Liebe eintritt. Also muss Wotan selbst tätig werden, Siegmund stirbt, sein magisches Schwert Notung zerbricht und Brünhilde trägt Sieglinde von dannen. Wotans ursprünglicher Plan geht dennoch auf, denn Sieglinde ist mit Siegfried, dem ultimativen Helden schwanger. Aber Strafe muss sein, weshalb Brünhilde auf einem Felsen in magischen Schlaf versetzt wird. Ein Feuerkreis schützt sie vor Unwürdigen, wer jedoch furchtlos ist, soll sie besitzen.

In „Siegfried“ wird der verwaiste Titelheld (Sieglinde ist bei der Geburt gestorben) von Alberichs Bruder Mime aufgezogen, der hofft, der Junge wäre eines Tages dazu in der Lage, den Drachen Fafner zu töten, denn natürlich ist auch Mime hinter Ring und Goldschatz her. Dazu benötigt er allerdings Notung – da Mime nicht in der Lage ist, das Schwert neu zu schmieden, muss Siegfried selbst Hand anlegen und erweist sich als Naturtalent. Es kommt, wie es kommen muss: Nicht nur gelingt es Siegfried, den Drachen zu töten, er demütigt auch noch Wotan, zerstört dessen Gesetzesspeer und macht sich schließlich daran, die schlafende Brünhilde aufzusuchen. Natürlich durchschreitet er den Flammenring problemlos und Tante und Neffe verlieben sich sofort ineinander.

Im Finale des Zyklus wird Siegfried mit etwas deutlich Schlimmerem konfrontiert als einem Drachen: höfischen Intrigen. Auf der Suche nach neuen Heldentaten lässt er Brünhilde samt Ring der Macht zurück und sucht die Gibichungen auf, die von einem gewissen Gunther regiert werden. Gunthers Halbbruder Hagen ist jedoch Alberichs Protegé und hat eigene Pläne mit Siegfried. Sowohl Gunther als auch seine Schwester Gutrune müssen vielversprechende Ehen eingehen, um die Macht der Gibichungen zu sichern, und wer wäre da besser geeignet als eine ehemalige Walküre und ein Drachentöter? Der Plan ist simpel: Mit einem Zaubertrank sorgt man dafür, dass Siegfried Brünhilde vergisst und sich in Gutrune verliebt. Anschließend gibt sich Siegfried, um Gutrune ehelichen zu können, per Tarnhelm als Gunther aus und bringt Brünhilde gegen ihren Willen an den Hof der Gibichungen. Letztendlich dient dieses ganze Kunststück natürlich dazu, an den Ring zu kommen. Kaum, dass die erste Intrige aufgeht, arbeitet Hagen auch schon an der nächsten: Siegfried muss weg. Durch den Zaubertrank hat er unwissentlich einen Meineid geschworen, und natürlich fühlt auch Brünhilde sich verraten, weshalb sie Hagen mitteilt, dass Siegfried durch ihren Zauber zwar unverwundbar ist, sie den Rücken allerdings ausgespart hat, sodass Hagen ihn wegen Verrats töten kann. Auch dieser Plan geht auf, Brünhilde beschließt nun aber, endlich das Richtige zu tun und den Ring an die Rheintöchter zurückzugeben, damit der Fluch gebrochen wird.

Die Vorlagentreue ist einerseits die größte, Stärke, aber auch die größte Schwäche der Hörspielproduktion. An der einen oder anderen Stelle wird der „Ring“ hier zweifellos etwas moderner ausgelegt, gerade zu Beginn wird etwa das menschliche (bzw. göttliche) Eingreifen in die Natur und Wotans Vertragsversessenheit noch einmal negativer hervorgehoben und Regisseurin Regine Ahrem legt nach eigener Aussage den Fokus noch einmal stärker auf die Frauenfiguren. Ansonsten werden aber nur wenige Anpassungen vorgenommen, Hagen scheint hier beispielsweise nicht mehr Alberichs leiblicher Sohn zu sein. Somit ist das Hörspiel eine wirklich gute Gelegenheit, die Wagner’sche Version dieses Stoffes – und zusätzlich zumindest in Ansätzen auch seine Musik – kennenzulernen. Zudem leisten die Sprecher wirklich gute Arbeit – der Cast um Martina Gedeck, Bernhard Schütz, Bibiana Beglau, Dimitrij Schaad und Lars Rudolphleihen kann sich wirklich sehen bzw. hören lassen.

Die Vorlagentreue wird primär dann zum Problem, wenn sie auf die Opern- bzw. Theaterherkunft nur allzu deutlich hinweist: Entnimmt man die Geschichte des „Rings“ ihrem Opernkontext, verliert sie automatisch einen Teil ihrer epochalen Natur. Zum einen liegt das an den fehlenden Gesangseinlagen, die relativ banale Handlungselemente oder Gespräche natürlich sofort dramatisieren. Diesbezüglich fallen auch die Dialoge mitunter etwas uneben aus, manchmal bemüht man sich um modernere Diktion, manchmal wird Wagners Libretto aber auch recht direkt zitiert. Wie dem auch sei, mitunter wird die Theaterherkunft des „Rings“ in dieser Bearbeitung unangenehm deutlich, und das auf eine Art und Weise, die gerade bei einem Hörspiel nicht hätte sein müssen, da es eben nicht an die Beschränkungen der Bühne gebunden ist. Zudem treten hier einige Schwächen der Vorlage noch deutlicher zutage. Das betrifft besonders die „Götterdämmerung“. Egal ob bei Wagner oder im Hörspiel, der Umstand, dass sich das Finale der Tetralogie ausschließlich auf die menschlichen bzw. halbmenschlichen oder menschgewordenen Figuren konzentriert und die Götter fast völlig außenvorlässt, sorgt dafür, dass der Titel wie ein gebrochenes Versprechen klingt. Die ursprünglichen Kontrahenten Alberich und Wotan tauchen kaum bzw. gar nicht mehr auf und über den Untergang der Götter wird man lediglich durch Dialoge informiert. Die Comicserie „Götterdämmerung“ hat hier einen relativ gelungenen Weg gefunden – auch sie orientiert sich an Wagner, erlaubt aber zusätzliche Handlungsstränge und zeigt auch tatsächlich den Untergang der Götter Walhalls.

Die Musikauswahl ist im Großen und Ganzen gelungen. Es ist natürlich schwierig, Wagners komplexe Leitmotivstruktur aus 16 Stunden Opernzyklus für ein deutlich kürzeres Hörspiel zu adaptieren, dennoch hätte es meinem Empfinden nach etwas mehr sein dürfen. Gerade die größtenteils atmosphärischen Passagen, die Felix Raffel selbst komponiert hat, wirken äußerst uninteressant und austauschbar – vielleicht wäre es besser gewesen, sich dort stärker Wagners Motivsprache zu bedienen und die Themen nach Bedarf selbst weiterzuentwickeln. Das ist jedenfalls, was ich mir von dem oben beschriebenen, hypothetischen Film wünschen würde. Dennoch, die Highlights, vom Einzug der Götter in Walhall über den Ritt der Walküren bis hin zu Siegfrieds Thema finden sich in das Hörspiel eingearbeitet, allerdings habe ich die Variation aus Siegfrieds Trauermarsch vermisst.

Ursprünglich wurde das Hörspiel als 16-teilige Podcast-Serie veröffentlicht, da die Jugend mit Podcasts anscheinend leichter anzulocken ist als mit klassischen Hörspielen. In dieser Form kann die Ring-Adaption direkt auf Seite des RBB gehört werden. Inzwischen gibt es allerdings auch Albenveröffentlichungen, die sich auf den gängigen Plattformen (Amazon, Audible etc.) erwerben lassen. Dass es ursprünglich ein auf mehrere Teile angelegtes Projekt war, merkt man allerdings immer noch, da Erda, die als Erzählerin fungiert, immer wieder das kurz zuvor gehört zusammenfasst.

Fazit: Aufwändiges Hörspiel, das einen durchaus gelungenen Einstieg in das Werk Wagners bietet, da es sich sehr eng an die Vorlage hält. Für Kenner der Materie dagegen dürfte das Hörspiel zu wenig Musik und zu wenig Eigeninitiative besitzen. Unterhaltsam ist es trotzdem.

Siehe auch:
Hörspiel beim RBB
Wagner: Der Ring ohne Worte
Götterdämmerung

Wagner: Der Ring ohne Worte

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Track Listing:

01. Dämmerung des Rheins
02. Einzug der Götter in Walhall
03. Nibelheim
04. Donner
05. Siegmund und Sieglinde
06. Flucht
07. Wotans Wut
08. Ritt der Walküren
09. Wotans Abschied und Feuerzauber
10. Mime
11. Siegfried
12. Waldweben
13. Der Drache
14. Fafners Klagelied
15. Morgenröte
16. Siegfrieds Rheinfahrt
17. Not ist da
18. Siegfried und die Rheintöchter
19. Siegfrieds Tod und Trauermarsch
20. Götterdämmerung

Wer sich tiefergehend mit orchestraler (bzw. leitmotivischer) Filmmusik beschäftigt, kommt an den Werken Richard Wagners irgendwann nicht vorbei. Was die Leitmotivtechnik angeht, nimmt Wagner eine ähnliche Stellung ein wie J.R.R. Tolkien für die Fantasy oder Bram Stoker für die Vampirliteratur. Auch Wagner hat die Leitmotivtechnik nicht erfunden – die Idee, einem Motiv, einer Melodie oder einem Thema eine feststehende Bedeutung zu verleihen, existiert bereits seit dem Mittelalter – aber Wagner legte mit seinen Opern den Grundstein für die moderne Verwendung dieser Technik in der Filmmusik und kann als Pionier für musikalisches Geschichtenerzählen gelten. Im Laufe seiner Karriere als Komponist entfernte er sich immer weiter von der klassischen „Nummernoper“, in der klar abgetrennte Arien und Duette (Terzette, Quartette etc.) sich mit Rezitativen und Dialogen abwechseln. In seiner Entwicklung als Komponist bewegte sich Wagner immer stärker in Richtung durchkomponiertes Werk, das er mit Hilfe von Leitmotiven (Wagner selbst sprach von „Erinnerungsmotiven“) strukturierte. Somit nahm er Aufbau und Struktur des Filmscores bereits vorweg, bevor es den Film überhaupt gab. Wagners Verwendung von Leitmotiven, die Art und Weise, wie er sie nutzte, wie er sie abwandelte und ineinander übergehen ließ, ist heute noch fast unübertroffen. Höhepunkt seines Schaffens ist freilich der vierteilige Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“, bestehend aus den vier Opern „Das Rheingold“, „Die Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ – dieses musikalische Gesamtkunstwerk ist die Blaupause, wie man die Leitmotivtechnik richtig einsetzt.

Das Problem an der Sache ist allerdings, dass Wagners „Ring“ nicht gerade zugänglich ist. Die Gesamtaufnahme, die ich mein Eigen nenne, umfasst 14 CDs und ich muss zugeben, dass ich sie sehr selten frequentiere. Das liegt u.a. auch daran, dass ich zwar ein großer Fan von Wagners Leitmotivtechnik bin, mit seinen Gesangspassagen aber nicht allzu viel anfangen kann. Zum Glück gibt es für alle, die vor dem schieren Umfang des Werkes zurückschrecken oder ein ähnliches Problem wie ich haben, eine angenehme Lösung: Das Album „Der Ring ohne Worte“. Der 2014 verstorbene Dirigent Lorin Maazel machte aus dem 16 Stunden dauernden Monumentalwerk ein 75-Minütiges Album, das den Hardcore-Wagnerianer sicher nicht zufriedenstellen wird, aber besonders für Filmmusikfans eine lohnende Anschaffung ist, denn „Der Ring ohne Worte“ funktioniert sehr ähnlich wie ein Score-Album und beinhaltet darüber hinaus die wichtigsten und bekanntesten Highlights des Opern-Zyklus in einer rein orchestralen Fassung. Obwohl natürlich viel gekürzt und weggelassen wurde, bekommt man einen durchaus passenden Eindruck davon, wie Wagner seine Leitmotive etabliert und entwickelt.

Besonders die Entwicklung von Siegfrieds Thema lässt sich schön verfolgen und an ihm zeigt sich, wie komplex Wagner seine Leitmotive anlegt. Rein formal gesehen hat Siegfried sogar zwei Themen, die ihm gelten (sowie einige weitere, an denen er „beteiligt“ ist, beispielsweise ein Liebesthema mit Brünhild). Da wäre zum einen sein Hornruf (erklingt beispielsweise mehrfach in Der Drache, wo er, passend zum Kampf, mit dem Motiv des Drachen Fafner ringt) und zum anderen sein eigentliches, heroisches Thema, das aus zwei anderen Themen während „Die Walküre“ quasi „zusammenwächst“: Wagner nimmt das Motiv des Schwertes Nothung, das in der zweiten Oper von Siegmund geborgen und von Wotan zerstört wird, um in „Siegfried“ neu geschmiedet zu werden (die Entwicklung kommt einem irgendwie bekannt vor) und kombiniert es mit einer Dur-Umkehrung des Themas des titelgebenden Ringes. Die Bedeutung des Themas ist klar: Dies ist der Held, der Nothung führen und das Unheil, das der Ring anrichtet, letztendlich korrigieren wird. Nebenbei ist Siegfrieds Thema auch gleich der Urvater der typischen Heldenthemen in der Filmmusik. Erstmalig ist es in Wotans Abschied gleich zu Beginn zu hören, als Siegfried, zu diesem Zeitpunkt noch ein Fötus im Mutterleib, angekündigt wird. Im weiteren Verlauf wird das Thema dann, etwa bei 4:05 in Morgenröte, immer triumphaler. Die brachialste Variation erklingt schließlich in Siegfrieds Tod und Trauermarsch, in den dem das Leitmotiv ab 3:40 erst vorbereitet wird, bevor es, nach ein, zwei sanfteren Variationen, schließlich in seiner ganzen epischen Breite bei 7:10 erklingt.

Zu den weiteren Highlights des Albums gehören Einzug der Götter in Walhall, das das Walhall-, bzw. Götter-Motiv vorstellt und Wotans Wut, in dem auf beeindruckende Weise der Ritt der Walküren vorbereitet wird, dessen Rhythmus das Stück unterwandert, bis er bei 1:45 ausbricht. In Reinform findet sich der Ritt der Walküren natürlich ebenfalls auf dem Album. In Götterdämmerung schließlich kulminiert alles, der Zuhörer wird noch einmal mit aller Macht durch die diversen Themen geführt, darunter das Loge/Feuer-Motiv, der Ritt der Walküren, Siegfrieds Thema, Siegfrieds und Brünhilds Liebesthema, das Rhein-Motiv, das Walhall-Thema etc.

Wer sich darüber hinaus für die genau Aufschlüsselung und Konstruktion der Leitmotiv-Struktur des „Rings“ interessiert, dem empfehle ich das Hörbuch „Wagners Ring-Motive“ aus der Reihe „Der Klassik(ver)führer“, in dem sie alle en detail erläutert werden.

Fazit: Wer sich immer schon einmal mit dem „Ring des Nibelungen“ beschäftigen wollte, aber vor dem schieren Umfang zurückschreckte, erhält mit „Ring ohne Worte“ die perfekte Gelegenheit, Wagners Opus Magnum kennen zu lernen. Für alle, die sich für die Entwicklung Leitmotivtechnik interessieren, ist dieses Album ohnehin Pflicht.

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Grundlagen der Filmmusik

Im Grunde kommt dieser Artikel um viele Jahre zu spät, da ich ja bereits seit Langem über Filmmusik schreibe und dabei auch munter mit Fachbegriffen um mich werfe, meistens ohne Erläuterung. Nun denn, in diesem Artikel sollen einige grundlegende Aspekte der Filmmusik besprochen werden, die man kennen sollte, wenn man sich mit diesem speziellen Sujet auseinandersetzen will. Dabei geht es mir nicht um tatsächliche musiktheoretische Inhalte, sondern um Aspekte, die mit Musik als dramatischem Medium, das eine Geschichte erzählt, zusammenhängen.

Diegese
Der Begriff „Diegese“ stammt aus der Erzähltheorie, geht ursprünglich auf Aristoteles zurück und wurde vor allem vom französischen Literaturwissenschaftler Gérard Genette geprägt – wer wie ich Germanistik oder ein anderes Fach mit literaturwissenschaftlichem Bestandteil studiert hat, dürfte mit ihm nur allzu vertraut sein. Kurz und knapp bezeichnet „Diegese“ alles, was Teil der Erzählten Welt eines Werkes ist, im modernen Jargon spricht man von „in-Universe“. Diesem Grundsatz folgend gibt es in Filmen erst einmal zwei Arten von Musik: diegetische und non- oder extradiegetische. Erstere ist Musik, die Teil der erzählten Welt eines Films ist und somit von den Figuren wahrgenommen wird: Wenn im Film ein Radio läuft, jemand Gitarre spielt, eine Oper oder ein Konzert besucht, dann handelt es sich um diegetische Musik. Musik, die keinen Ursprung in der Erzählten Welt des Films hat und ausschließlich vom Zuschauer wahrgenommen werden kann, ist extradiegetische Musik. Film-Scores sind somit fast ausschließlich extradiegetisch. Meistens lässt sich Filmmusik relativ klar der einen oder anderen Kategorie zuordnen, es gibt allerdings auch Mischformen und manche Regisseure und Komponisten spielen gerne mit der Diegese.

Ein Sonderfall sind zum Beispiel Lieder in Musicals. Es gibt Filmmusicals, bei denen die Songs tatsächlich vollständig Teil der Erzählten Welt sind: Wenn die Blues Brothers einen Auftritt absolvieren, ist das Lied, das sie singen, diegetischer Natur. Bei den meisten Musicals ist der Fall aber weniger eindeutig, da die Figuren zwar sichtbar singen, die Musik selbst aber keine ersichtliche Quelle hat oder sogar schlicht unlogisch ist: Woher sollte in „Der Prinz von Ägypten“ in der Antike ein Sinfonie-Orchester kommen, das die Musik zu den Liedern der Figuren spielt? Natürlich ist das eine Frage, die sich niemand stellt, der mit dem Musical als Genre vertraut ist. Dennoch finde ich diese Frage im Kontext der Diegese interessant. Am besten fährt man wohl mit dem Begriff „halbdiegetisch“, weil es keine abschließende Antwort gibt – Musicals (und natürlich auch Opernverfilmungen) sind schlicht ein Sonderfall, an den man andere Maßstäbe anlegen sollte. Es existieren jedoch einige interessante Spielarten. In „Chicago“ sind alle Lieder beispielsweise als Bühnennummern inszeniert, die sich deutlich von der eigentlichen Erzählten Welt des Filmes unterscheiden und somit als Imaginationen einer Figur gekennzeichnet werden.

Auch abseits von Musicals finden sich interessante Mischformen von diegetischer und extradiegetischer Musik. Beliebt sind zum Beispiel Lieder oder Stücke, die einmal diegetisch auftauchen und fortan als extradiegetisches Leitmotiv gebraucht werden, etwa Davy Jones‘ Orgelspiel in „Pirates of the Caribbean: Dead Man’s Chest“, Hoist the Colours im Sequel oder Misty Mountains in „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“. Noch trickreicher kann ein Musikstück sein, das seine Natur wechselt, während es gespielt wird. Das passiert relativ oft, wenn etwa ein Lied als diegetisches Stück beginnt, dann aber ein Szenenwechsel stattfindet, während es noch läuft und es somit automatisch extradiegetisch ist. In seltenen Fällen passiert das auch mit einem Score-Stück.

Mein liebstes Beispiel ist eine Szene aus „From Hell“, in der Jack the Ripper ein blutiges Steak isst und sich dann auf seinen nächtlichen Einsatz vorbereitet. Dazu spielt ein Grammophon ein unheimliches, diegetisches Musikstück, das im Verlauf der Szene extradiegetisch wird – Chor und Orchester kommen hinzu, während sich der Ripper in einer Montage einkleidet. Am Ende kehrt das Stück zu seinen diegetischen Wurzeln zurück – dies ist allerdings nur im Film selbst der Fall, die auf dem Soundtrack-Album veröffentliche Version dieses Stücks mit dem Namen The Compass and the Ruler ist eine Alternativversion.

Filme oder Serien mit Meta-Elementen spielen natürlich gerne mit der Diegese. Bislang ist es zwar noch nicht vorgekommen, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass Deadpool in einem zukünftigen Film einen Kommentar zu seinem Thema ablässt oder sich der extradiegetischen Musik bewusst ist. In „Justice League Unlimited“ gibt es eine kurze Szene, die in diese Richtung geht: Green Arrow stürzt sich in die Schlacht und singt dabei sein Thema, das zeitgleich gespielt wird.

Techniken
Generell ist in der Filmmusik die Rede von drei Techniken, wobei diese vor allem im deutschsprachigen Diskurs klar unterschieden werden, während es im englischsprachigen Raum die klare Einteilung nicht gibt – durchaus zurecht, denn die Übergänge sind oftmals fließend und zudem lassen sich Scores und Score-Stücke nur selten einer Kategorie zuteilen.

Als erstes hätte wir Underscoring: Die Musik spiegelt direkt wieder, was auf der Leinwand geschieht und agiert auf aktive Handlungen. In der Extremform spricht man von „Mickey-Mousing“, angelehnt an frühe Cartoons, in denen Musik und Bild völlig synchron sind bzw. die Musik die Soundeffekte ergänzt: Streicher imitieren den Wind, eine schleichende Figur wird durch Percussion dargestellt etc. Das Schulbuchbeispiel zum Mickey-Mousing ist „Skeleton Dance“, ein Disney-Cartoon aus dem Jahr 1929, der sehr anschaulich zeigt, wie Mickey-Mousing funktioniert und wie Bild und Musik eine Einheit bilden. Eine interessante Umkehrung stammt ebenfalls von Disney: In „Phantasia“ wurde zu bereits existierenden Musikstücken animiert, sodass Bild und Musik ebenfalls sehr stark aufeinander abgestimmt sind.

Insgesamt werden Underscoring und Mickey-Mousing vor allem im Kontext von Comedy oder Action verwendet. Ein sehr schönes Beispiel für ziemlich genaues Underscoring, das einerseits nicht in Mickey-Mousing ausartet, aber dennoch sehr genau auf das Leinwandgeschehen eingeht, findet sich in der großen Action-Szene in „Harry Potter und der Orden des Phönix“. Man achte darauf, wie Nicholas Hooper die Zauberduelle, das Eintreffen der Ordensmitglieder und das wilde Chaos der Schlacht durch frenetische Streicherfiguren darstellt. Wer ansonsten nach guten Beispiel sucht, macht mit John Williams selten etwas falsch.

Die sog. Mood-Technik (dieser Begriff ist im englischen Diskurs unbekannt) beschäftigt sich mit allem, was nicht direkt auf der Leinwand zu sehen ist: Sie etabliert Atmosphäre oder versucht musikalisch darzustellen, was im Inneren der Figuren vorgeht. Ein sehr schönes Beispiel für die Verwendung dieser Technik findet sich etwa in „Gladiator“: Die stark an Richard Wagner angelehnte Musik verdeutlicht die Pracht und Erhabenheit Roms. Gerade zur Etablierung eines Handlungsortes wird die Mood-Technik nur allzu gerne verwendet, gerne unter Zuhilfenahme typischer Elemente: ein Akkordeon für Paris, ein religiöser Choral für eine Kirche, eine Sithar für Indien etc. Es finden sich sogar Scores, die sich fast ausschließlich auf die Mood-Technik verlassen – man spricht dabei von einem „Ambient Score“. Die amerikanische Version von „Verblendung“ ist hierfür ein Beispiel, die Musik interagiert so gut wie überhaupt nicht mit dem Geschehen auf der Leinwand (unter anderem auch, weil sie nicht spezifisch für die Szenen geschrieben wurde, in denen sie eingesetzt wird) – ihr einzige Aufgabe ist es, für Atmosphäre zu sorgen.

Schließlich und endlich hätten wir noch die Leitmotivtechnik, die bekanntermaßen auf Richard Wagner zurückgeht (der zwar nicht als erster auf die Idee kam, aber diese Idee als erster in gewaltigem Umfang nutzte): Figuren, Orte, Gegenstände, Nationen oder andere Handlungselemente werden durch eine musikalische Phrase bzw. Melodie repräsentiert. Dieses Thema wird abhängig von Situation und Handlungsverlauf entsprechend variiert. Entwickelt oder mit anderen Themen kombiniert. Gerade an Leitmotiven zeigt sich, dass die strikte Trennung in drei Techniken bei der Analyse von Filmmusik mitunter sogar eher hinderlich denn hilfreich sein kann, denn es gibt nur allzu oft Überschneidungen: Die Variation eines Themas kann genauso dazu dienen, Emotionen darzustellen, Atmosphäre zu erzeugen oder das Geschehen auf der Leinwand darzustellen.

Götterdämmerung

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Wie so viele Sagenstoffe auch existieren vom Nibelungenlied viele verschiedene Versionen und Adaptionen, wobei es in letzter Zeit diesbezüglich nicht allzu viel Material gab. Während beispielsweise die griechische Mythologie alle paar Jahre aus der Mottenkiste geholt wird, um für einen mehr oder minder gelungenen Film (meistens Letzteres) Inspiration zu liefern, liegt die letzte größere Filmadaption der Nibelungensage schon einige Zeit zurück – und zu allem Überfluss handelt es sich dabei auch noch um einen deutschen Fernsehzweiteiler mit Benno Führman, der wohl primär an den Erfolg der Herr-der-Ringe-Trilogie anknüpfen sollte. Wie dem auch sei, meine Lieblingsversion dieses Sagenstoffes ist „Der Ring des Nibelungen“, die Opernversion von Richard Wagner. Das dürfte auch primär daran liegen, dass es sich hierbei um die erste Version handelt, die ich in Form eines für Kinder aufbereiteten Opernhörspiels konsumierte. Als ich später das mittelhochdeutsche Nibelungenlied las, fehlte mir da immer die mythische Dimension – ohnehin finden sich bei Wagner nur einige ausgewählte Elemente des Nibelungenlieds, in weitaus größerem Ausmaß bediente er sich der altnordischen Völsunga saga als Quelle. Lediglich „Götterdämmerung“, die vierte Oper des Zyklus, deckt sich inhaltlich in etwa mit dem Nibelungenlied, die anderen drei Opern erzählen mythischere Vorgeschichten, in denen Götter, Zwerge, Drachen und Riesen sehr prominente Rollen spielen – „Das Rheingold“ kommt sogar völlig ohne Menschen aus.

Da passt es mir ganz gut, dass die aktuellste Adaption dieses Sagenstoffes sich sehr explizit an Wagner orientiert. Besagte Interpretation ist eine französische Comicserie mit Text von Nicolas Jarry und Zeichnungen Djief, die sich den Titel der vierten Wagner-Oper borgt: „Götterdämmerung“. Im deutschsprachigen Raum sind bislang zehne Bände erschienen, neun reguläre und ein Zusatzband 0 mit dem Titel „Der Fluch des Rings“ von einem anderen Team (Istin und Lemercier), der die Vorgeschichte schildert. Gerade besagter Zusatzband ist sehr nahe an Wagner; es handelt sich dabei quasi um eine Comicadaption des „Rheingold“ mit High-Fantasy-Optik. Die restliche Serie dagegen entfernt sich immer mal wieder etwas weiter von der Vorlage und fügt die eine oder andere Episode hinzu. Dennoch ist die Handlung der Bände 0 bis 6 ziemlich deckungsgleich mit den vier Opern: In grauer Vorzeit stiehlt der Nibelung Alberich das Rheingold und schmiedet sich daraus einen Ring, der das Schicksal der Welt beherrschen wird. Wotan, der König der Götter, hat derweil gerade seinen neuen Wohnsitz von zwei Riesen fertigstellen lassen, diese verlangen nun aber Idun, die Göttin der ewigen Jugend, als Bezahlung. Da die Götter keine Lust darauf haben, zu altern, schlägt Loge, der Feuergott mit finsteren Absichten, vor, das Gold der Nibelungen zu rauben und die Riesen damit zu bezahlen. Der Plan funktioniert, allerdings nicht, ohne dass Alberich Gold und Ring verflucht. Der Fluch zeigt sofort Wirkung, der eine Riese erschlägt den anderen, nimmt das Gold mit und verwandelt sich in einen Drachen, um ein mythologisches Klischee zu begründen. Derweil schläft sich Wotan in bester Göttervatermanie durch die Gegend und begründet das Wölsungen-Geschlecht, das ihm dereinst helfen soll, den Fluch des Rings zu brechen. Mit Siegmund klappt das nicht so ganz, aber dessen mit seiner Schwester Sieglinde inzestuös gezeugter Sohn Siegfried ist der ideale Kandidat, besonders, da er mit Wotans in Ungnade gefallener Tochter Brunhilde, ihres Zeichens Ex-Walküre, anbändelt. Bekanntermaßen nimmt das Ganze kein gutes Ende, als Siefried in die Dienste des Burgundenkönigs Gunther tritt, wo Alberichs Sohn Hagen mit allen möglichen schmutzigen Tricks versucht, an den Ring zu kommen. Intrigen, ein Vergessenstrank und Gunthers Schwester Kriemhild sorgen dafür, dass Siegfried Brunhilde vergisst und Gunther dabei hilft, sie als Gemahlin zu gewinnen. Das Ganze eskaliert letztendlich und führt zu Siegfrieds Tod sowie zur Rückgabe von Gold und Ring an den Rhein.

So viel zur gemeinsamen Handlung von Comicserie und Opernzyklus. Jarry und Djief bemühen sich jedoch, die nordisch/germanische Mythologie in noch größerem Ausmaß miteinzubeziehen. Die vierte Oper mag zwar den Titel „Götterdämmerung“ tragen, in der Handlung selbst kommen die Göttert im Vergleich zu den früheren Opern aber kaum noch vor, der mythologische Aspekt ist eher im Subtext vorhanden. In der Comicserie werden weitere Aspekte aus den nordischen Quellen miteinbezogen. Loge (die deutsche Version von Loki), der bei Wagner nur im „Rheingold“ eine Rolle spielt, nimmt seinen angestammten Platz als Bringer von Ragnarök ein und auch seine Kinder Fenrir und Hel mischen mit. Ein Krieg der Götter gegen dämonische Horden und Loge läuft quasi parallel zur allseits bekannten Siegfried-Handlung.

Insgesamt ist die Comicserie eine durchaus gelungene Umsetzung dieses Sagenschatzes, die gerade durch die Nähe zu Wagner von mir Bonuspunkte bekommt. Auch die visuelle Umsetzung weiß durchaus zu gefallen. Es lässt sich nicht leugnen, dass sich die Comicschaffenden mehr als nur ein wenig an der Ausstattung der HdR-Trilogie bedient haben, aber da die Völsunga saga nicht nur für Wagner, sondern auch für Tolkien eine wichtige Inspiration war, gibt es wahrlich schlechter passende Vorbilder. Ich muss allerdings sagen, dass mir Lemerciers Zeichnungen im Zusatzband „Der Fluchs des Rings“ weitaus besser gefallen Djiefs in der eigentlichen Serie. Djief zeichnet nicht schlecht, aber auch nicht wirklich herausragend – vor allem seine Frauenfiguren sehen mitunter einfach zu jung aus.

Nach Siegfrieds Tod und dem eigentlichen Ende des Opernzyklus geht die Serie noch weiter, allerdings orientiert sich Jarry nicht am zweiten Teil des Nibelungenlieds, in dem Kriemhild Rache an Siegfrieds Mördern nimmt und Figuren wie Etzel (Attila der Hunne) und Dietrich von Bern eine Rolle spielen, stattdessen wird eine eigene Geschichte erzählt, in der u.a. die Kinder von Siegfried eine Rolle spielen. Einige Ideen sind durchaus interessant, etwa Wotans Weiterleben nach dem eigentlichen Tod als Odin, aber insgesamt ist der Plot trotz diverser Handlungsstränge, inklusive Miteinbeziehung des Byzantinischen Reiches, relativ dünn und weiß die Aufmerksamkeit nicht wirklich zu fesseln, u.a. auch, weil die neuen Figuren (darunter ein byzantinischer General und eine überlebende Walküre) nicht wirklich interessant sind.

Fazit: „Götterdämmerung“ ist eine unterhaltsame und kurzweilige Adaption der Nibelungensage, die aber nicht unbedingt über Band 6 hinaus hätte weitergeführt werden müssen.

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Alien: Covenant – Ausführliche Rezension

Enthält Spoiler!
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Mit „Alien: Covenant“, Ridley Scotts drittem Film aus dem Alien-Franchise, haben wir mal wieder ein Werk, das, ähnlich wie „Suicide Squad“ und „Logan“, eine ausführliche Betrachtung rechtfertigt. Es gilt die gleiche Vorgehensweise wie bei diesen beiden Artikeln: Im Folgenden ist mein spoilerfreies Fazit zum Film zu lesen, danach nehme ich keine Rücksicht mehr. Nun denn: Oberflächlich betrachtet ist „Alien: Covenant“ ein spannender Sci-Fi-Horror-Film; Ridley Scott versteht ohne Zweifel sein Handwerk. Die Bilder sind atemberaubend, die Atmosphäre ist exzellent konstruiert, auch dramaturgisch und strukturell gibt es wenig zu meckern. Problematisch wird es allerdings, wenn man die Oberfläche hinter sich lässt und tiefer in die Materie eindringt. Das betrifft sowohl die Figurenzeichnung als auch die mythologische Dimension, was letztendlich dafür sorgt, dass „Alien: Covenant“ weder als Sequel zu „Prometheus“ noch als Prequel zu „Alien“ so richtig funktioniert und vor allem für Fans der ursprünglichen Filme ziemlich frustrierend sein dürfte.

Handlung
Im Jahr 2106, elf Jahre nach den Ereignissen von „Prometheus“, befindet sich das Kolonisationsschiff Covenant, bemannt mit einer Crew aus Pärchen sowie 2000 Kolonisten im Cryoschlaf und 1000 Embryos, auf dem Weg nach Origae-6. Lediglich der Androide Walter (Michael Fassbender) ist wach und sorgt dafür, dass alles klappt. Unglücklicherweise kann er nichts gegen einen Weltraumsturm und die dadurch ausgelöste Neutrinoexplosion tun, die den Captain der Covenant (James Franco in einem kleinen Cameo-Auftritt) das Leben kostet. Somit ruht die Last der Verantwortung auf den Schultern des gläubigen ersten Offiziers Christopher Oram (Billy Crudup), der nun als Captain übernimmt und Daniels Branson (Katherine Waterston), Terraforming-Expertin und Witwe des Verstorbenen, zur neuen ersten Offizieren macht. Noch bevor die Covenant ihre Reise fortsetzen kann, erreicht sie ein merkwürdiges Signal von einem anderen Planeten, der sich sogar noch weitaus besser für die Kolonisation eignet als Origae-6. Oram entscheidet schließlich, das Risiko einzugehen, dem Ruf zu folgen und den Planeten zu erforschen. Er selbst, Branson und neun weitere Besatzungsmitglieder, inklusive Orams Frau Karine (Carmen Ejogo) und des Androiden Walter, begeben sich zur Oberfläche und entdecken eine üppig bewachsene Welt. Schon bald kommt es jedoch zu Unstimmigkeiten: Zwar ist pflanzliches Leben im Übermaß vorhanden, aber kein tierisches. Das Team stößt auf ein abgestürztes Alien-Schiff, auf dem sich Spuren der Prometheus-Expedition finden, was nahelegt, dass ein Mitglied der Besatzung dieses Schiffes für das Signal verantwortlich ist. Unglücklicherweise atmen zwei der Expeditionsteilnehmer merkwürdige Sporen ein, die sie krank machen, bis schließlich eine mörderische, bleiche Kreatur aus ihnen herausbricht und die Crew noch weiter dezimiert. Erst ein merkwürdiger Fremder kann die Aliens vertreiben. Bei diesem Fremden handelt es sich um das letzte Überbleibsel der Prometheus-Expedition, den Androiden David (nochmal Michael Fassbender). David bringt die Überlebenden zu einer mysteriösen Stadt, in der sie vorerst in Sicherheit zu sein scheinen. Doch schon bald müssen Branson und Oram feststellen, dass David und Walter zwar gleich aussehen, aber völlig unterschiedlich ticken…

Sequel vs. Prequel
Die Reaktionen auf „Prometheus“ waren insgesamt eher negativ, was sich dann auch stark in der Konzeption dieser Fortsetzung niederschlug. Es gibt viel, das man an diesem Film zurecht kritisieren kann, einer der Hauptkritikpunkte war im Grunde jedoch der Mangel an Xenomorphs – hier gingen die Vorstellungen von Ridley Scott und die Wünsche der Fans deutlich auseinander. Zwar gab es mit dem Trilobiten und dem Deacon einen Proto-Facehugger und ein Proto-Xenomorph, doch deren Auftritte sind nicht nur sehr kurz, sondern haben auch kaum Auswirkungen auf die eigentliche Handlung und wirken eher wie eine Last-Minute-Entscheidung, nach dem Motto: „Sollte nicht irgendwo in diesem Film ein Alien auftauchen?“ Ridley Scott war wohl viel eher daran interessiert, die Hintergründe des abgestürzten Schiffes zu erläutern und sich mit Themen wie Schöpfer und Schöpfung, Herkunft der Menschheit etc. auseinanderzusetzen.

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Die Konstrukteure in „Alien: Covenant“ (Bildquelle)

„Alien: Covenant“ soll nun eine inhaltliche Brücke zwischen „Prometheus“ und „Alien“ schlagen. Ich bin mir ziemlich sicher (Ridley Scott hat das in Interviews praktisch bestätigt), dass die ursprünglichen Pläne eines Prometheus-Sequels anders ausgehen hätten. Zwar werden die philosophischen Gedankengänge des Vorgängers durchaus fortgesetzt, das Verhältnis zwischen Schöpfer und Schöpfung ist nach wie vor DAS dominante Thema des Films, inhaltlich gibt es aber einen sehr deutlichen Bruch. Der Plot in „Prometheus“ dreht sich um die Konstrukteure, die mysteriösen außerirdischen Schöpfer der Menschheit, die dieser wohl nun den Gar ausmachen wollen; weshalb erklärte der Film aber nicht wirklich. Nicht nur liefert „Covenant“ ebenfalls keine Antwort auf diese Frage, die Konstrukteure werden in einem kurzen Flashback abgehandelt und sind bereits zu Beginn des Films ausgelöscht Natürlich könnte es im Universum anderswo noch mehr von ihnen geben, zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiß man aber nicht mehr; und dann wäre da auch noch der Umstand, dass sich das Design der Covenant-Konstrukteure deutlich von dem der Prometheus-Exemplare unterscheidet. Die Thematik des Films wird jedenfalls fast ausschließlich über David abgehandelt, der sowohl Geschöpf als auch Schöpfer ist (zu ihm später mehr). Ein paar Details, die die Lücke zwischen „Prometheus“ und „Covenant“ immerhin ansatzweise schließen, gibt es im Online-Prolog „The Crossing“, in dem auch Noomi Rapace noch einmal als lebendige Elizabeth Shaw zu sehen ist.

Rein handlungstechnisch sind sich „Alien“, „Prometheus“ und „Alien: Covenant“ ohnehin alle ziemlich ähnlich, der Grundplot ist eigentlich jedes Mal derselbe, wobei „Alien“ ihn am besten ausführt, während die anderen beiden einen komplexeren thematischen Überbau haben, wobei dieser bei „Prometheus“ vielleicht zu sehr im Zentrum steht. „Covenant“ nähert sich „Alien“ vor allem im dritten Akt ziemlich. Abermals haben wir die klassische Situation: Ein Xenomorph ist auf dem Schiff und versucht, nach und nach alles niederzumetzeln, was sich bewegt. Das Problem dabei ist, dass die Prometheus-Sequel-Elemente und die Alien-Prequel-Elemente alle nicht so recht ineinandergreifen wollen, sodass fast der Eindruck entsteht, es würde noch ein kompletter Film zwischen „Prometheus“ und „Covenant“ fehlen.

Figuren und Darsteller
Einer der Gründe, weshalb „Alien“ so gut funktioniert, sind die Figuren, die sich in ihrem Zusammenspiel äußerst authentisch anfühlen und ausgezeichnet miteinander interagieren. Bei „Prometheus“ war das, gelinde gesagt, nicht der Fall. Es ist schon ein bisschen her, dass ich „Prometheus“ gesehen habe, aber ich weiß kaum etwas über die Figuren, und sonst kann ich mir Figurennamen und -konstellationen recht gut merken. Natürlich erinnere ich mich noch an Elizabeth Shaw und David. Da war noch Guy Pearce als Firmengründer von Wayland mit schlechtem Senioren-Make-up, Charlize Theron hat mitgespielt und es gab noch einige nervende Wissenschaftler, von denen einer aussah wie Tom Hardy. „Alien: Covenant“ ist in mancher Hinsicht ein wenig besser, es wirkt immerhin so, als hätten sich die Drehbuchschreiber John Logan und Dante Harper zumindest bemüht, ihre Figuren etwas besser oder doch zumindest weniger nervig zu gestalten, wobei der Umstand, dass wir sie direkt in einer Krise kennenlernen, nicht unbedingt dafür sorgt, dass sie besser im Gedächtnis bleiben. Auch zur Covenant-Crew gibt es einen Prolog, der als Eröffnungsszene des Films vielleicht gar nicht so verkehrt gewesen wäre.

Wie sich im Verlauf des Films leider zeigt, ist die Covenant-Crew nicht unbedingt intelligenter oder kompetenter als die Prometheus-Crew. Dennoch, der gläubige Oram, die mit der Trauer um den Verlust ihres Mannes ringende Branson – das sind zumindest interessante Ansätze, die aber leider kaum ausgeschöpft werden. Die meisten anderen Besatzungsmitglieder der Covenant bleiben profillos und sind vor allem dazu da, um eines äußerst unangenehmen Todes zu sterben (abermals mit einer Ausnahme – wie gesagt, Michael Fassbender als David und Walter wird weiter unten besprochen). Aliens platzen ihnen aus dem Rücken und der Brust, sie werden gefressen oder, besonders heimtückisch, beim Sex unter der Dusche gemeuchelt. Die Leistungen der Schauspieler sind eigentlich durchgehend funktional, aber nicht herausragend. Billy Crudup fand ich in seiner Rolle recht überzeugend, auch Katherine Waterston, die nun schon in ihrem zweiten großen Franchise-Blockbuster mitspielt, ist in Ordnung. Daniels Branson fehlt allerdings die liebenswerte Verschrobenheit, die Waterston in „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ anbringen durfte. Somit bleibt auch die neue Alien-Protagonistin eher auf der funktionalen Seite. So ungern ich diesen Vergleich auch anbringe: Sie kann Ellen Ripley einfach nicht das Wasser reichen.

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Das Xenomorph in „Alien Covenant“: Fast, aber noch nicht ganz (Bildquelle)

Wie setzt man das ikonische Xenomorph am besten ein? Es gibt im Grunde zwei Vorlagen, alle anderen Filme orientieren sich an ihnen oder versuchen, eine Balance zwischen ihnen zu finden. In „Alien“ gibt es eine Kreatur, mit der Ripley Katz und Maus spielt – der Horror dominiert. In „Aliens“ gibt es viele Kreaturen, die in größere Zahl niedergemäht werden, und die Königin, die als Endgegner fungiert – die Action dominiert, das einzelne Xenomorph verliert seinen Schrecken, wenn es im Rudel auftritt und mit großkalibrigen Waffen niedergemäht wird. In „Alien: Covenant“ gibt es zwar mehr als ein Alien, aber Scott orientiert sich doch viel eher an seinem ursprünglichen Film als an James Camerons Sequel. Neben dem klassischen Xenomorph gibt es auch eine neue Variante, das sog. „Neomorph“, das eine ähnliche Körperform wie die ikonische Verwandtschaft aufweist (keine Augen, langgezogener Schädel), aber über keinerlei biomechanische Elemente verfügt, sondern eine glatte, weiße Haut hat. Diese Kreatur, die durch Sporeninfektion entsteht und nicht aus dem Brustkorb, sondern aus dem Rücken hervorbricht, soll den Zuschauer wohl über Wasser halten, bis im dritten Akt das tatsächliche Xenomorph auftaucht – oder zumindest ein sehr naher Vorgänger. Es gibt ein paar Designunterschiede, die Kreatur ist noch nicht ganz das Wesen, mit dem sich Ripley ein paar Jahrzehnte später herumärgern muss, aber es ist doch schon sehr nahe dran. Aufgrund des technischen Fortschritts kann Scott es sich erlauben, sehr viel mehr mit dem Xenomorph anzustellen als 1979 – damals musste er das Alien sehr sparsam einsetzen, da es sich um Schauspieler im Anzug handelte. Zu viel oder die falsche Belichtung konnte die Illusion und den Horror nachhaltig zerstören, weshalb das Alien meistens im Dunklen auftauchte oder bestenfalls teilweise oder ungenau zu sehen war. Anders die Aliens in „Covenant“. Immerhin verließ sich Scott nicht ausschließlich auf CGI und Motion Capture, sondern ließ tatsächlich auch Darsteller in Anzügen aufmarschieren.

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Ein Neomorph beim Frühstück (Bildquelle)

Was „Alien: Covenant“ für einen Hardcore-Fan des Franchise allerdings den Rücken brechen dürfte, ist nicht der eigentliche Einsatz der Xenomorphs, sondern der Umstand, dass Scott hier tatsächlich zeigt, woher die ikonischen Kreaturen kommen: David war’s. Ich selbst betrachte mich bestenfalls als „Casual Fan“ der Alien-Filme, aber auch ich finde es doch relativ banal, dass ein abtrünniger Androide letztendlich für die Erschaffung des Xenomorph verantwortlich ist. Die Frage ist nun, ob „Alien: Covenant“ diesbezüglich tatsächlich das letzte Wort ist, denn einerseits bleiben noch eine ganze Menge Fragen offen und anderseits ist da das Relief im Konstrukteur-Schiff in „Prometheus“, das einen Xenomorph zeigt, lange bevor diese laut „Covenant“ von David erschaffen werden. Wie ich an anderer Stelle bereits schrieb: „Alien“ ist gerade deshalb so wirkungsvoll, auch als Kosmische Horrorgeschichte, weil es eben rätselhaft bleibt, woher diese Kreatur kommt.

Paradise Lost
Kommen wir nun zur mit Abstand interessantesten Figur nicht nur dieses Films, sondern auch des Vorgängers. Durch „Prometheus“ bekam das Alien-Franchise eine mythologische Dimension, die bis dahin fehlte oder bestenfalls in subtilen Andeutungen vorhanden war. Schon der Titel, obwohl er sich oberflächlich betrachtet auf das Schiff bezieht, das die Wissenschaftler nach LV-223 bringt, verweist auf die griechische Mythologie und den Titanen Prometheus, der den Menschen das Feuer bringt (und sie in manchen Versionen sogar erschaffen hat) und dafür von Zeus bestraft wird. Wie bereits erwähnt ist die Schöpfer/Schöpfung-Thematik in „Prometheus“ dominant: Die Konstrukteure erschaffen die Menschen, die Menschen erschaffen Androiden und alle drei erschaffen durch Zufälle, böse Absichten und den unvorsichtigen Umgang mit einer schwarzen Flüssigkeit diverse Monstrositäten. „Alien: Covenant“ greift die Thematik auf, bewegt sich aber in eine andere mythologische Richtung, dieses Mal mit christlichen Implikationen. Ursprünglich sollte „Covenant“ den Titel „Paradise Lost“ tragen, bevor sich Ridley Scott (oder die Studioverantwortlichen) dafür entschieden, abermals den Namen des Schiffs, das die Protagonisten zu den Aliens bringt, zu verwenden. Auch „Covenant“ verweist auf christliche bzw. jüdische Mythologie, damit ist das Abkommen zwischen Gott und dem Volk Israel gemeint, das mit der Bundeslade („Ark of the Covenant“) besiegelt wird. Ich persönlich denke allerdings, dass „Paradise Lost“ tatsächlich der passendere Titel ist, da er inhaltlich und thematisch weitaus besser zum Endprodukt passt. Zum Einen landen die Kolonisten tatsächlich in einem verlorenen Paradies, nämlich der nun leeren Heimatwelt der Konstrukteure (viele Rezensenten haben offenbar nicht ganz verstanden, dass der Planet aus „Covenant“ nicht LV-223 ist) und zum Anderen liefert der Verweis auf John Miltons berühmtes Gedicht mit demselben Namen einen Interpretationsschlüssel. David ist praktisch Satan, der gegen seine Schöpfer rebelliert. Zuerst vernichtet er die Schöpfer seiner Schöpfer, um anschließend selbst schöpferisch tätig zu werden und den perfekten Organismus zu kreieren. Definitiv eine interessante Entwicklung, besonders für einen Androiden. David bekommt mit Walter ein Gegenstück, das optimiert wurde, indem es weniger menschliche und somit auch weniger selbstständig ist. Besonders die Interaktion der beiden identischen Androiden ist faszinierend (und zeigt, was für ein grandioser Schauspieler Michael Fassbender ist), auch wenn der folgende Austausch (David gibt sich als Walter aus) nicht nur vorhersehbar, sondern auch etwas unmotiviert ist und Logiklöcher oder zumindest Klärungsbedarf hinterlässt. Apropos: Davids Motivation für die ganzen genetischen Experimente, ebenso wie das damit zusammenhängende Endziel, bleibt auch etwas nebulös. Frustration mit seinen eigenen Schöpfern ist die offensichtlichste Möglichkeit, es könnte aber auch mit schierer Langeweile zusammenhängen. Insgesamt bleibt in Bezug auf David vieles nach wie vor unklar, auch was seine Beziehung zu Elizabeth Shaw angeht: Hat er sie wirklich selbst getötet? Und gibt es eine definitive, überzeugende Antwort auf die unzähligen offenen Fragen oder sind die Autoren einfach nur faul und schlampig?

Die beiden Szenen des Films, die mir persönlich am besten gefallen haben, waren die Anfangs- und die Schlussszene, weil sie einen schönen Rahmen bilden und der mythologischen Komponente des Films noch eine zusätzliche Ebene verleihen. Am Anfang sehen wir, wie sich Peter Wayland, gespielt von Guy Pearce ohne schlechte Seniorenmaske, mit einem frisch geschaffenen David über die Schöpferthematik unterhält. Dabei spielt David ein Stück von Richard Wagner, Einzug der Götter in Walhall aus dem „Rheingold“ auf dem Klavier. Dieses Stück kehrt in der Schlussszene zurück, als sich David mit den Kolonisten im Cryoschlaf, den menschlichen Embryos sowie zwei Facehugger-Embryos zum eigentlichen Ziel der Mission, Origae-6, begibt. Hierdurch wird nach der griechischen und der jüdisch-christlichen nun auch die nordisch-germanische Mythologie miteinbezogen, wenn auch nur sehr implizit. Vielleicht handelt es sich um eine Vorausdeutung auf die Thematik des geplanten Sequels von „Alien: Covenant“.

Der Score
Ursprünglich sollte Harry Gregson-Williams, der bereits ein Thema zu „Prometheus“ beisteuerte, den Score für „Alien: Covenant“ komponieren, er wurde dann allerdings kurzfristig durch Jed Kurzel ersetzt. Nach seinem katastrophalen Score zur Spieleadaption „Assassin’s Creed“ hatte ich da ziemliche Bedenken, aber für „Alien: Covenant“ hat Kurzel eine sehr kompetente Arbeit abgeliefert. Die bisherigen Scores des Alien-Franchise waren alle sehr eigenständig und individuell – das gilt in besonderem Maße für die beiden Sequel-Scores von James Horner und Elliot Goldenthal, die nur wenig oder keinen Bezug zu Goldsmiths Arbeit haben. Kurzel dagegen orientiert sich sehr stark am Alien-Score, sowohl das Hauptthema als auch das alternierende Zeit-Motiv, dessen sich auch Horner bediente, werden in „Covenant“ ausgiebig verwendet. Stilistisch verhält es sich ähnlich, die oft dissonante Suspense-Musik steht definitiv in der Tradition des ersten Alien-Scores. Erfreulicherweise vergisst Kurzel „Prometheus“ nicht und arbeitet Gregson-Williams‘ Life-Thema in den Score ein. Insgesamt ist die Musik von „Alien: Covenant“ zwar nicht so frisch und innovativ, wie es andere Soundtracks der Reihe waren, weiß aber durch die clevere Verarbeitung der Themen von Goldsmith und Gregson-Williams zu gefallen.

Fazit
Oberflächlich betrachtet liefert „Alien: Covenant“ das, was vielen Fans des Franchise in „Prometheus“ zu fehlen schien: Horror, Blut, Suspense und natürlich Xenomorphs, die Menschen metzeln. Unter eingehender Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass Scott abermals mit denselben Problemen ringt wie beim Vorgänger: Über die philosophischen und thematischen Ambitionen vergessen Regisseur und Autoren, die Charaktere interessant und erinnerungswürdig und den Plot kohärent und logisch zu gestalten. Mehr noch, ihnen entgeht, was das Franchise für viele ursprünglich so anziehend gemacht hat: Das Mysterium. Während die Fragen nach Schöpfer, Schöpfung und Herkunft definitiv interessant sind, gelingt es Scott nicht, diese angemessen zu bearbeiten. Indem er die ikonischen Aliens mehr oder weniger zu einem Nebenprodukt der Ambitionen eines satanischen Androiden macht, banalisiert er diese ikonischen Filmmonster. Ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass die meisten Liebhaber des Xenomorph lieber die abgesagte Fortsetzung der ursprünglichen Filme von Neill Blomkamp als ein entmystifizierendes Prequel gesehen hätten.

Trailer
Titelbildquelle

Siehe auch:
Lovecrafts Vermächtnis: Das Alien-Franchise

 

Gute Musik

„Gute Musik“ – zwei Worte, die man nur allzu oft hört, besonders wenn man Musik bevorzugt, die eher einem Nischengenre angehört und aus dem einen oder anderen Grund mit dem breiten Mainstream nicht besonders harmoniert, wie etwa orchestrale Filmmusik. Wie oft hört man: „Jetzt mach aber mal gute Musik an!“ Alternativ auch: „Okay, jetzt hören wir aber richtige Musik.“ Der Versuch dagegen, „gute Musik“ (oder gar „richtige Musik“) zu definieren, fällt den meisten Menschen nicht besonders leicht. Wie in allen anderen Bereichen auch gibt es natürlich genug Leute, die meinen, sie könnten objektiv bewerten, ob Musik gut ist oder nicht. Solche Leute gehen mir meistens auf die Nerven. Wie dem auch sei, für die meisten Menschen ist gute Musik Musik, die ihnen gefällt bzw. sie in irgendeiner Form emotional berührt. Im Grunde eine passende Definition, aber auch so subjektiv wie nur irgend möglich, schließlich gefällt wohl fast jede Art von Musik irgendjemandem, sonst würde sie nicht existieren. Gerade in dieser Hinsicht ist Filmmusik natürlich besonders interessant, da sie in höchstem Maße zweckgebunden ist und nicht, zumindest nicht in erster Linie, als angenehmes Hörerlebnis gedacht ist – sie möchte ihren Film unterstützen.

Nun liegt mir nichts ferner, als zu versuchen, allgemeine Kriterien zur Definition guter Musik aufzustellen – das ist in meinen Augen schlicht nicht möglich. Natürlich lässt sich Musik analysieren, auseinandernehmen, auf Komplexität und Innovation hin untersuchen etc. Man weiß, wie welche Intervalle und Notenkombinationen auf uns wirken, zumindest theoretisch. Aber das ist zum einen auch kulturbedingt und zum anderen nach wie vor sehr individuell – dem einen gefällt Musik, die dem anderen Kopfschmerzen bereitet.

Kaum jemand wird wohl bestreiten, dass eine Fuge von Bach komplexer ist als moderne Popmusik. Zwölftonmusik von Arnold Schönberg ist zweifelsohne innovativ, denn so etwas hat man vorher definitiv noch nicht gehört. Ob man das will, ist dann wieder eine andere Frage. Manchmal ist etwas Einfaches und oder Bewährtes weitaus wirkungsvoller als etwas Komplexes oder Innovatives – es hängt immer davon ab, was man als Künstler erreichen oder ausdrücken möchte. Aber gute Musik lediglich über die emotionale Reaktion zu definieren, ist mir dann doch wieder zu leicht und ungenau. Manche Menschen sind in Bezug auf Musik nicht sehr wählerisch, ihnen gefällt sehr viel. Andere, und dazu zähle ich mich, sind eher Musik-Snobs, sie (wir) haben einen eher eingeschränkten Musikgeschmack und stören sich leichter an Musik, die nicht in ihre Wohlfühlzone fällt. Das hat einige Nachteile; wenn es um Kriterien zur Geschmacksbestimmung geht, gibt es aber auch diverse Vorteile. Je eingeschränkter der Geschmack, desto besser lässt er sich bestimmen. Dieser Artikel ist der Versuch, meine eigene, ganz persönliche und subjektive Definition guter Musik (die niemand teilen muss) anhand von drei Kategorien aufzustellen. Die Merkmale, die diese Kategorien ausmachen, sind keinesfalls absolut: Wenn eines, zwei oder sogar alle drei zutreffen, bedeutet es nicht, dass mir das entsprechende Musikstück gefallen MUSS, der emotionale Faktor ist letztendlich immer noch ausschlaggebend. Aber je mehr Merkmale zutreffen, desto höher ist die Chance, dass es mir gefällt. Im Gegenzug kennen wir es sicher alle, dass wir ein Lied hören, das uns eigentlich nicht gefallen sollte, es aus für uns nicht nachvollziehbaren Gründen aber trotzdem tut.

1. Melodie
Eigentlich relativ ziemlich simpel: Ich bin ein Mensch, der auf Melodien stark anspricht. Melodielose Musik sollte der zweiten Kategorie angehören, um mir zu gefallen. Das bedeutet natürlich fast automatisch, dass viele Musikgenres, in erster Linie diejenigen, die ausschließlich oder zum größten Teil auf Rhythmus und Beats statt Melodie basieren, mir nicht zusagen, egal ob House, Dance, Trance, Hip Hop etc. Musik dieser Genres langweilt mich bestenfalls und geht mir schlimmstenfalls ziemlich auf die Nerven; mit gleichförmiger, wummernder Tanzmusik kann man mich jagen. Dennoch ist dieses Kriterium dasjenige, das in Ermangelung eines besseren Wortes, am unwichtigsten ist, jedenfalls im Vergleich zu den anderen beiden.

Beispiele für Musik, die mir beispielsweise vor allem aufgrund ihrer melodischen Qualitäten gefällt, sind die Songs, die Jim Steinman für Meat Loaf (und andere) komponiert hat. So gerne Steinman seine Melodien auch recycelt, man muss anerkennen, dass sie wirklich verdammt opulent sind – nicht umsonst bezeichnet er seine Musik als „Wagnerian Rock“. Ich mag meine Melodien opulent, extrovertiert und ausdrucksstark. Musik ist Emotion, warum sollte man sich hier zurückhalten? Das Idealbeispiel wäre wohl I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That): Was für ein kitschiger Text, was für eine grandiose Melodie, die dafür sorgt, dass das Ganze perfekt funktioniert. Nebenbei bemerkt: Dieser Song sollte unbedingt in der ungekürzten, zwölfminütigen Version gehört werden, nicht in der verstümmelten Musikvideofassung, die ich hier eingebettet habe.

Am Rand meines persönlichen Wohlfühlspektrums befinden sich dann Songs wie In the Land of the Pig, the Butcher is King, welches zumindest für Meat-Loaf-Verhältnisse ziemlich hart und unmelodisch ist, mir aber immer noch gefällt – gerade noch so, könnte man sagen. Im Vergleich dazu trifft das von Desmond Child geschriebene The Monster is Loose, das stilistisch recht ähnlich ist, meinen Geschmack dann schon nicht mehr; wahrscheinlich fehlt mir da einfach die Steinman’sche Sensibilität.

2. Orchester
Ich liebe das Orchester. Ich liebe die Komplexität, ich liebe das nuancierte und perfekt abgestimmte Zusammenspiel, ich liebe den Facettenreichtum, kurz: Orchestrale Musik bleibt für mich persönlich unübertroffen, keine andere Form der Musik ist so vielschichtig und so wandelbar – deshalb dürfte es kaum verwundern, dass 90 bis 95 Prozent der Musik, die ich höre, auf ein großes Symphonieorchester angewiesen ist (im Idealfall mit Chor). Für mich persönlich ist das Orchester die Königsklasse, es gibt nichts anderes, mit dem man so vieles ausdrücken kann. Bei orchestraler Musik bin ich auch in der Lage, auf eingängige Melodien zu verzichten und habe auch keine Problem mit Dissonanz, solang das entsprechende Stück nur aufwendig und interessant instrumentiert ist.

Es dürfte wohl kaum überraschend sein, dass ich sowohl das, was man gemeinhin als „Klassische Musik“ (leider ein extrem ungenauer Begriff, der mehrere Jahrhunderte Musikgeschichte umfasst) bezeichnet, als auch orchestrale Filmmusik liebe und verehre. Was Erstere angeht, schätze ich vor allem Komponisten der Wiener Klassik und der Romantik; Mozart, Beethoven, Wagner, Rossini, Dvořák, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Ich finde es dabei natürlich unheimlich faszinierend, wie die Komponisten die vielen Möglichkeiten und Facetten des Orchesters nutzen, um Melodien aufzubauen, zu variieren und zu verarbeiten. Das Schulbuchbeispiel ist natürlich der nur allzu bekannte und völlig zu Recht als Meisterwerk verehrte vierte Satz von Beethovens neunter Sinfonie (natürlich ist die gesamte Sinfonie ein Meisterwerk ohnegleichen). Über die ersten zwei Minuten arbeitet Beethoven langsam auf sein Thema, die Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“, hin, deutet es in Fragmenten an, die sich aus den Themen der ersten drei Sätze herausarbeiten, bis es bei 2:25 dann zum ersten Mal ganz subtil und zurückhaltend, nur von den Streichern gespielt, erklingt. Nach und nach kommen immer mehr Instrumente in immer mehr Kombinationen hinzu, Beethoven variiert kräftig und jagt die Melodie im weiteren Verlauf des Satzes einmal quer durch Orchester und Chor. Genau so macht man das!

Hier zeigt sich dann auch schon eines der Probleme, das ich mit moderner Filmmusik habe, die sich in erster Linie auf extrem simple melodische Konstrukte, ebenso simple Orchestrierung und viele, viele Streicherostinati und Percussions verlässt: Mit dem Orchester kann man so viele tolle Sachen machen, warum greift man dann immer auf diese langweiligen, inzwischen völlig ausgelutschten Techniken zurück? Auch die Überbeanspruchung von elektronischen und Synth-Elementen ist etwas, das mir sauer aufstößt. Ich bin keinesfalls völlig gegen Derartiges, aber ich ziehe letztendlich die Herangehensweise von John Williams oder James Horner vor, die Synthesizer oft nur als weiteres, zusätzliches Instrument im Orchester verwenden oder einen bestimmten Effekt verstärken. Die vor allem von Hans Zimmer und seinen Schülern bemühte Technik, orchestrale Aufnahmen zu verfremden und einmal komplett durch den elektronischen Fleischwolf zu drehen, finde ich dagegen zumeist sehr nervig. Aber wenden wir uns lieber den positiven Aspekten orchestraler Filmmusik zu, denn Komponisten müssen sich ja keinesfalls mit dem klassischen Sinfonieorchester begnügen und können dem noch diverse Spezialinstrumente hinzufügen. Möchte man die Musik ein wenig moderner oder schlicht cooler gestalten, nimmt man einfach eine oder mehrere E-Gitarren dazu, das kann wunderbar funktionieren, wie schon allein zahlreiche James-Bond-Scores bewiesen haben. Ramin Djawadis Musik für „Pacific Rim“ ist auch ein sehr schönes Beispiel. Am Anfang des Hauptthemas ist nur die E-Gitarre zu hören, dann kommt langsam das Orchester dazu und integriert sie als Facette in den Klangkorpus, sodass sie, mal mehr, mal weniger dominant als Teil des großen Ganzen fungiert.

Instrumente, die für die Ohren von Amerikanern und Westeuropäern eher exotisch oder mit einem bestimmten Land verbunden sind, funktionieren ebenfalls ziemlich gut. Manchmal werden dabei natürlich Klischees bedient: Bei einem Dudelsack denkt man sofort an Schottland, mit Gitarren kann man spanische Assoziationen erwecken, das Akkordeon lässt an Paris denken etc. Dieses Spiel kann man aber noch viel weiter treiben. So hat Howard Shore für seine Mittelerde-Musik diverse „Spezialinstrumente“ verwendet, um Kulturen oder Figuren höchst wirkungsvoll zu repräsentieren ohne sich dabei auf allzu offensichtliche Klischees zu verlassen: Die Hardangerfidel etwa, ein altnordisches Saiteninstrument, wird mit Rohan assoziiert, Saurons Thema wird oft von der Rhaita, einem arabischen bzw. nordafrikanischen Blasinstrument, gespielt, für Gollums Thema ist das Cimbalom unabdinglich und Smaug wird oft von ostasiatischen Percussions wie dem Gamelan begleitet. So viele, so grandiose Möglichkeiten – es gibt also eigentlich keinen Grund, immer nur mit Streicherostinati zu arbeiten.

3. Narrative
Ich möchte, dass Musik mir eine Geschichte erzählt. Und damit meine ich nicht, dass der Liedtext mir eine Geschichte erzählen soll. Eine Ballade kann eine schöne Sache sein, aber mir geht es darum, mit musikalischen Mitteln eine Narrative zu gestalten. Opern, Musicals und Filme sind diesbezüglich natürlich die Vorreiter. Schon Lieder, die in den Kontext einer Erzählung gebettet sind, faszinieren mich, aber das Ganze völlig ohne Text und nur mit Musik zu tun ist das Nonplusultra. Diesbezüglich kommt man an der Oper natürlich nicht vorbei. Die klassische Nummernoper besteht aus Arien, Rezitativen, Duetten, Terzetten etc., die sich im Idealfall alle in den Dienst der Geschichte stellen, die die Oper erzählt. Sie fungieren zur Vorstellung oder Ergründung des Innenlebens der Figuren oder als Dialoge zwischen ihnen. Die Komponisten der Romantik, allen voran Richard Wagner, lösten das klassische Nummernmodell (zum Beispiel: Arie, Rezitativ, Duett, Rezitativ, Terzett, Rezitativ, Arie etc., alle klar voneinander getrennt) langsam auf und schrieben durchkomponierte Opern. Statt der alten, klar abgetrennten Einheiten prägte und perfektionierte Wagner das Konzept des Leitmotivs (auch wenn er das Wort „Leitmotiv“ selbst nie benutzte, stattdessen sprach er von „Erinnerungsmotiven“), der Tonfolge bzw. Melodie, die mit einer bestimmten Person, einem Gegenstand, Ereignis, Konzept oder was auch immer verbunden ist und dieses in der Musik repräsentiert. Ich muss wohl nicht extra sagen, dass ich diesen Einfall für einen der genialsten der Musikgeschichte halte (und wenn Theodor W. Adorno noch so sehr etwas anderes behauptet). Wahrscheinlich hängt das mit meinem inneren Literaturwissenschaftler zusammen, denn die Leitmotivtechnik erlaubt eine literaturwissenschaftliche Herangehensweise an Musik, die mich persönlich enorm anspricht.

Praktisch die gesamte sinfonische Filmmusik basiert auf der Leitmotivtechnik, die von Max Steiner und Erich Wolfgang Korngold nach Hollywood gebracht und populär gemacht wurde. Eine Oper oder ein Score mit wirklich exzellenter Leitmotivik zeichnet sich nicht nur durch griffige, eingängige Themen und Motive aus, sondern auch durch die Verknüpfung und Entwicklung besagter Themen. Das Idealbeispiel ist nach wie vor Wagners „Ring des Nibelungen“: Die Leitmotive des vierteiligen Opernzyklus sind niemals statisch, sie entwickeln sich konstant und reflektieren die Erzählung wieder – man könnte den Gesang komplett eliminieren und die Musik würde trotzdem noch die Geschichte erzählen. Das ist im Grunde auch genau das, was bei sinfonischer Filmmusik passiert. Die beiden, zumindest in meinen Augen, besten Beispiele für eine komplexe, gut funktionierende Leitmotivik sind John Willams‘ Star-Wars-Scores und Howard Shores Musik für Mittelerde. Alle beide sind exzellente Beispiele für Musik, die zu allen drei Kategorien gehört: Grandiose Melodien, üppige Orchestralwerke und komplexe Narrative.

Shores Gefährtenthema aus der Herr-der-Ringe-Trilogie funktioniert außerdem hervorragend als Idealbeispiel für die gelungene Entwicklung eines Leitmotivs, da es sehr gut wahrnehmbar ist und stets den Zustand der Gemeinschaft widerspiegelt, von den Verknüpfungen zu diversen anderen Themen gar nicht erst zu sprechen. Zu Anfang, als Frodo und Sam aus dem Auenland aufbrechen, ist es noch nicht vollständig zu hören. Nach und nach stoßen in Bree und Bruchtal weitere Mitglieder zur Gemeinschaft hinzu, und dementsprechend wird auch das Gefährtenthema vollständiger. Im Nebelgebirge bzw. in Moria erklingt es drei Mal in voller Pracht, während es nach Gandalfs Tod nur noch fragmentarisch hören ist und erst am Ende von „Die Gefährten“ wieder Kraft schöpft. Zwar gibt es in „Die zwei Türme“ und „Die Rückkehr des Königs“ noch einige äußerst opulente Variationen, gerade während der Schlacht von Helms Klamm, aber es ist nie mehr wirklich vollständig.

Das ist meine individuelle, persönliche, hoffentlich nachvollziehbar dargelegte Definition „guter Musik“. Gleichzeitig fungiert diese Definition als Bestandsaufnahme; mein Musikgeschmack ist natürlich gewachsen und hat sich über lange Zeit entwickelt, diese Kategorisierung habe ich rückwirkend erstellt. Wer weiß, im Verlauf meines weiteren Lebens mag sich das noch ändern. Nun würden mich, in Form von Kommentaren und/oder eigenen Blogbeiträgen, weitere persönliche, aber nachvollziehbare Definitionen interessieren, die über „gefällt mir“ oder „spricht mich emotional an“ hinausgehen.

Die besten Song-Momente in Filmen und Serien

Hier kommt noch ein ziemlich verspätetes Stöckchen, geworfen von der singenden Lehrerin und inszeniert von taranKino. Gefragt wird nach den besten Songmomenten in Filmen und Serien (wobei der Fokus hier auf Filmen liegt). Es wäre mir natürlich ein leichtes, so eine Liste mit Scoremomenten zu füllen, aber das bedarf einer eigenen Parade und sollte dann auch so genannt werden. Aus diesem Grund gibt es hier auch keine Score-Beispiele. Hier zu finden sind entweder Lieder, die für den Film komponiert wurden, oder Musikstücke (sowohl Lied als auch Instrumentalstücke) die vorher bereits existierten. Die Liste ist wertfrei, die Anordnung der Einträge ist willkürlich.

Dies Irae (Wolfgang Amadeus Mozart, John Ottman), in „X2: X-Men United“

Ich liebe es, wenn eine Szenen bzw. Action-Choreographie genau auf die Musik abgestimmt ist, so wie es in „X2: X-Men United“ der Fall ist. Das Dies Irae aus Mozarts Requiem, wahrscheinlich sein bekanntestes Stück, das ohne einen Vogelfänger oder die Königin der Nacht auskommt, untermalt die erste Actionszene des Films. Die Verbindung zum Geschehen findet sich dabei nicht nur in der Choreographie, sondern auch im Inhalt: Nightcrawler ist eine zutiefst religiöse Figur, weshalb sich die Verwendung eines kirchlichen Stückes natürlich anbietet. Mozarts Original wurde von John Ottman minimal bearbeitet, um noch besser zur Szene zu passen. Da Ottman bei Bryan Singers Filmen nicht nur für die Musik, sondern auch für den Schnitt verantwortlich ist, hat er wirklich ein Händchen für derartige Momente, wie sich im Verlauf dieser Liste noch einmal zeigen wird.

The Verdict/Für Elise (Ludwig van Beethoven, Ennio Morricone), in „Inglourious Basterds“

Quentin Tarantinos Filme sind dafür bekannt, dass sie praktisch nie extra für den Film komponierte Scores haben; die Musik wird vom Regisseur selbst ausgewählt und meistens extrem passend in den Film integriert – ich denke mal, wenn ich behaupte, dass Tarantino wohl der Regisseur ist, der die Verwendung bereits existierender Musik in seinen Filmen am besten beherrscht, wird mir kaum jemand widersprechen. Obwohl es viele gelungene Momente in Tarantinos Filmen gibt, fiel mir doch die Wahl nicht schwer. „Inglourious Basterds“ ist in meinen Augen mit Abstand Tarantinos bester Film, denn schon die Anfangsszene weiß den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. Das dem klassischen Western entlehnte Holzhacken wird, wie könnte es anders sein, untermalt von einem Stück des klassischen Westernkomponisten Ennio Morricone (der zwar auch viele andere Sachen gemacht hat, aber vor allem, dafür bekannt ist). Bei The Verdict handelt es sich um eine Adaption von Beethovens Für Elise, dem Morricone ein Western-Setting verpasst, weshalb es zu dieser Anfangsszene natürlich perfekt passt: Eine an einen Western gemahnende Sequenz mitten im von den Nazis besetzten Frankreich.

The Times They Are A-Chanin’ (Bob Dylan), in: „Watchmen”

Mit Zack Synders Scorevorlieben kann ich nicht besonders viel anfangen, sowohl Tyler Bates‘ als auch Hans Zimmers Arbeit für den Watchmen- und Man-of-Steel-Regisseur finde ich ziemlich unterirdisch. Aber es lässt sich nicht leugnen, der Mann versteht es, passende Songs auszuwählen. „Watchmen“ insgesamt ist ein gelungenes Beispiel, aber in keiner anderen Szene wird dies so deutlich wie beim aufwendig gestalteten Vorspann, zu dem Bob Dylans The Times They Are A-Changin‘ erklingt, während die Montage genau auf die Musik abgestimmt ist.

„Amadeus“ (Wolfgang Amadeus Mozart, Antonio Salieri)

Ich konnte mich einfach nicht entscheiden. Miloš Formans „Amadeus“ gehört zu meinen absoluten Lieblingsfilmen und ist mit großartigen Musikmomenten randvoll. Und das liegt nicht nur an der Qualität der Musik (Mozart halt), sondern auch daran, wie meisterhaft diese integriert und zum bestimmenden Mittel der Narrative wird, egal ob sie gerade diegetisch oder extradiegetisch eingesetzt wird. Zu meinen absoluten Favoriten gehören: Mozart komponiert „ausversehen“ aus Salieris Willkommensmarsch das Non più andrai (aus „Le Nozze di Figaro“), die Don-Giovanni-Szene, der zur Stimmung passende Wechsel zwischen „Die Zauberflöte“ und dem Requiem, als Mozart beides parallel komponiert, und natürlich das Komponieren am Totenbett (Confutatis Maledictis). Ich hätte auch problemlos eine Liste nur mit Momenten aus „Amadeus“ füllen können, aber das wäre vielleicht etwas eintönig geworden.

Misty Mountains (Plan 9), in: „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“

Dieses Lied hat den ersten Hobbit-Trailer zu einem der besten Trailer überhaupt gemacht, es fängt die Stimmung der Szene perfekt ein, es wird zum Leitmotiv, es ist einfach rundum gelungen. Und ich habe an anderer Stelle bereits ziemlich viel darüber geschrieben.

Der Ritt der Walküren (Richard Wagner), in: „Apocalypse Now“

Definitiv kein schöner Songmoment, aber dafür perfekt inszeniert – und zwar so perfekt, dass Wagners Ritt der Walküren inzwischen immer zuerst mit „Apocalypse Now“ in Verbindung gebracht wird, bevor jemand überhaupt an „Die Walküre“ denkt, was auch daran liegen könnte, dass es so viele Anspielungen gibt; zum Beispiel verwendete Zack Snyder in „Watchmen“ für die Vietnam-Szene mit dem Comedian und Doctor Manhattan ebenfalls dieses Stück.

Time in a Bottle (Jim Croce), in: „X-Men: Days of Future Past“

Nochmal X-Men, nochmal Bryan Singer und John Ottman, nochmal eine zur Musik choreographierte Actionszene. So unzufrieden ich auch mit dem Score, den Ottman für „Days of Future Past“ komponiert hat, bin, so gelungen ist doch seine Schneidearbeit, gerade in dieser Szene und gerade in Bezug auf den hier verwendeten Song. Obwohl ich das Dies Irae Time in a Bottle vorziehe, ist doch die Quicksilver-Szene noch um ein gutes Stück stärker, da hier die Verknüpfung von Bild und Musik noch reibungsloser funktioniert. Darüber hinaus wird Quicksilver so perfekt charakterisiert, ohne, dass er ein einziges Wort verliert – es tut mir Leid für Aaron Taylor-Johnson, aber seine Version der Figur hatte quasi schon verloren, bevor sie überhaupt angetreten ist.

Vide Cor Meum (Patrick Cassidy), in: „Hannibal“

In einer Szene in „Hannibal“ besucht der Doktor in Florenz eine Oper, Ridley Scott entschied sich dabei allerdings dafür, keine existierende Oper zu verwenden, sondern heuerte den irischen Komponisten Patrick Cassidy an, um extra für den Film eine Arie zu komponieren die, passend zur Handlung, auf „La Vita Nuova“ von Dante Aligheri basiert. Diese Arie gefiel Ridley Scott übrigens so gut, dass er sie „Hannibal“ noch einmal extradiegetisch verwendete und auch in „Königreich der Himmel“ einsetzte. Für mich ist Vide Cor Meum der mit Abstand beste musikalische Moment aller Hannibal-Lecter-Adaptionen, und umso begeisterter war ich, als genau diese Arie auch in der finalen Szene der ersten Staffel von „Hannibal“ eingesetzt wurde. Was für ein perfekter Abschluss.

Hoist the Colours (Hans Zimmer), in: „Pirates of the Caribbean: At World’s End“

Zwar ist „At World’s End“ der Pirates-Film, den ich insgesamt am schlechtesten finde, allerdings ist er auch der Pirates-Film, der die besten Einzelszenen und mit Abstand die beste Musik hat. Ein hervorragendes Beispiel für beides ist die Eröffnungsszene des Films, in der eine Massenhinrichtung stattfindet. Die Piraten auf dem Weg zum Strick beginnen allerdings, ein Lied zu singen, das als Aufruf fungiert und gleichzeitig die Geschichte von Davy Jones und Calypso thematisiert. Im Verlauf des Films wird Hoist the Colours ähnlich verwendet wie Misty Mountains: Die Melodie fungiert im Score als Leitmotiv der Bruderschaft – und ist darüber hinaus das in meinen Augen beste Thema, das Hans Zimmer komponiert hat.

Also sprach Zarathustra (Richard Strauss), in: „2001: A Space Odysee“

Ganz ähnlich wie Der Ritt der Walküren ist auch Strauss’ Also sprach Zarathustra (zumindest der Anfang) inzwischen fast untrennbar mit einem Film verbunden. Die Szene mit dem Affen, dem Knochen und dem großen, schwarzen Monolithen gehört wahrscheinlich zu den ikonischsten der Filmgeschichte und wurde unzählige Male parodiert – sie auszulassen wäre fast schon kriminell.

The Rains of Castamere (Ramin Djawadi), in: „Game of Thrones“

Eigentlich wollte ich mich ja auf Filme beschränken, aber da mit „Hannibal“ zumindest teilweise eine Serie reingerutscht ist warum dann nicht noch eine zweite? Auch zu The Rains of Castamere habe ich schon einiges geschrieben. Die Lannisters sind das einzige Haus, das so etwas wie eine eigene Hymne besitzt, und da ist es natürlich nur logisch, die Melodie dieser Hymne zu ihrem Thema zu machen. Es existieren zwei Abspannversionen des Liedes, einmal von The National und einmal von Sigur Rós. Zweifellos am interessantesten sind allerdings die diegetischen Einsätze, die ab der zweiten Staffel immer wieder auftauchen. Mal wird das Lied von Tyrion gepfiffen, mal singt es Thoros von Myr, die Lannister-Soldaten nutzen es, um sich vor der Schlacht von King’s Landing Mut zu machen, und dann ist da natürlich der geradezu ikonische Einsatz bei der Roten Hochzeit…