Art of Adaptation: Live and Let Die

Was verbindet man gemeinhin mit „Live and Let Die“, Roger Moores Debüt als James Bond – neben dem grandiosen Titelsong von Paul McCartney, versteht sich? Sheriff J. W. Pepper vielleicht? Bond, der über Krokodile springt? Baron Samedi? Die enorm aufwändige Bootverfolgungsjagd? Den explodierenden Dr. Kananga? Umso faszinierender ist es, dass sich all diese Elemente nicht im gleichnamigen Roman von Ian Fleming finden. Dieser wurde, wie alle anderen auch, deutlich früher als der Bond-Erstling „Casino Royale“ von Eon Productions, aber auch viele Jahre nach seinem Erscheinen, adaptiert. Denn bei „Live and Let Die“, der als Bond Nummer 8 1973 ins Kino kam, handelt es sich um den zweiten Roman der Reihe.

Handlung und Hintergründe
Bonds neue Mission führt ihn nach New York, wo er gegen einen gewissen afroamerikanischen Gangsterboss namens „Mr Big“ ermitteln soll. Dieser Gangster, dessen tatsächlicher Name Buonapart Ignace Gallia lautet, soll nicht nur Goldmünzen aus dem Schatz des auf Jamaica aktiven Piraten Henry Morgan verkaufen, sondern damit auch die russische Spionageabwehrorganisation SMERSH, mit der Bond bereits während des Vorgängerromans „Casino Royale“ unangenehme Bekanntschaft gemacht hat, finanziell unterstützen. Also begibt sich Bond nach Harlem, wo er abermals mit dem CIA-Agenten Felix Leiter zusammenarbeitet. Die beiden beginnen die Nachtclubs, die Mr Big betreibt, zu untersuchen, werden aber erwischt und von Mr Bigs Leuten gefangen genommen. Um mehr über Bond herauszufinden, befragt Mr Big seine Wahrsagerin Solitaire, die jedoch zu Bonds Gunsten lügt, da sie Mr Big entkommen möchte und sich von 007 Hilfe erhofft. So kommt Bond wieder auf freien Fuß.

Später nimmt Solitaire Kontakt zu Bond auf. Die beiden begeben sich nach St. Petersburg, Florida, wo Bond und Leiter weiter ermitteln. Dort werden sowohl Solitaire als auch Leiter von Mr Bigs Männern gefangengenommen – der CIA-Agent soll an Haie verfüttert werden, überlebt aber, auch wenn er dabei einen Arm und ein Bein verliert. Bond kommt zu spät, um Mr Big zu ergreifen, es gelingt ihm aber, einen der Handlanger des Gangsters, Robber, zu töten. Um Mr Big und seinen Handel mit Piratengold endgültig zu stoppen, begibt sich 007 nach Jamaica, wo er, talentierter Geheimagent der er ist, schnell das Gerätetauchen erlernt, um so in Mir Bigs geheime Insel eindringen zu können. Dort trifft er die gefangene Solitaire wieder und mit Hilfe einer Miene gelingt es ihm, Mr Big auszuschalten, der schließlich seinerseits von Haien gefressen wird.

Ian Fleming verarbeitete viele seiner eigenen Erfahrungen und Ansichten in die Bond-Romane – „Live and Let Die“ ist da keine Ausnahme. Sowohl Bonds Ankunft in New York am Anfang als auch das Gerätetauchen am Ende basieren auf Erfahrungen, die Fleming selbst machte, die Idee des Piratenschatzes als Handlungsauslöser stammt aus dem Errol-Flynn-Film „Captain Blood“ (1935), den Fleming sehr schätzte und während Bonds Aufenthalt auf Jamaica merkt man, wie sehr die Insel Fleming am Herzen lag – schließlich befindet sich dort sein Anwesen Goldeneye. Stilistisch knüpft Fleming nahtlos an seinen Erstling an, bemüht sich aber, Bond als Figur etwas sympathischer und nahbarer zu zeichnen (mit gemischten Erfolgen). Zudem findet sich hier bereits deutlich mehr Grandeur als in „Casino Royale“. Während die Schauplätze in Flemings Erstling noch recht beschränkt ist, sodass die Szenen beinahe kammerspielartig anmuten, sind die Schauplätze mit Harlem, St. Petersburg und Jamaica deutlich variantenreicher und eindrücklicher.

Context Is King
Zwischen Roman und Film liegen bei „Live and Let Die“ zwar nicht ganz so viele Jahrzehnte wie bei „Casino Royale“, aber doch immerhin knapp zwanzig Jahre. Fleming greift direkt zu Beginn die Ereignisse aus „Casino Royale“ wieder auf und versucht den Plot von „Live and Let Die“ über Mr Bigs SMERSH-Kontakte mit seinem Erstling zu verknüpfen, dabei handelt es sich aber letztendlich nur um Kosmetik um zu erklären, weshalb der MI6 überhaupt gegen Mr Big ermittelt. Auch Vesper Lynds Tod spielt eine ziemlich untergeordnete Rolle, gerade im Vergleich zur „anderen“ Fortsetzung „Quantum of Solace“ (der Film, nicht die Kurzgeschichte). Das Konzept des „Bond-Girls“, das in jedem Abenteuer ein anderes ist, wird mit Solitaire hier endgültig etabliert. Insgesamt ist „Live and Let Die“ allerdings eher unspektakulär, nicht zuletzt, weil alles nicht so recht zusammenpassen will: Der Plot um das Piratengold wirkt unpassend, viele Aspekte, etwa der Voodoo-Kult um Mr Big, werden nur angeschnitten, verlaufen dann aber im Sand und Solitaire ist als Figur uninteressant bis nervig und primär dazu da, um sich Bond an den Hals zu werfen und natürlich, um am Ende gerettet zu werden. Das Finale, in dem Bond sich mit diversen Fischen herumschlagen muss, kommt reichlich albern daher und zudem ist „Live and Let Die“ fürchterlich schlecht gealtert. Vielleicht hatte Fleming vor, hier eine Art Milieustudie vorzulegen, aber dafür fehlt ihm jegliche Sensitivität. Zugegeben, nach dem Maßstab der 50er war er wohl nicht außergewöhnlich rassistisch, sondern eher auf der gemäßigten Seite, aber aus heutiger Perspektive wirken selbst die Vorträge über die Leistungen der „schwarzen Rasse“ bestenfalls patronisierend. Bestenfalls. Immerhin ist es von Vorteil, die deutsche Übersetzung zu konsumieren, da Fleming im Original wohl stark mit einem eher merkwürdigen Akzent für die afroamerikanischen Charaktere arbeitet. Wer zudem auf das Vorkommen des Wortes „Neger“ auch in älteren Werken allergisch reagiert, dem sei von der Lektüre abgeraten. Generell ist „Live and Let Die“ ein Bond-Roman, den man getrost überspringen kann, wenn man sie nicht alle gelesen haben will oder sich für die Vorlage des Films interessiert.

Dieser entstand natürlich in einem völlig anderen Kontext und war nicht nur Bonds achte Mission, sondern eben auch Roger Moores Debüt. Dementsprechend fehlen die Verknüpfungen zu „Casino Royale“ und SMERSH – die Organisation wurde in den Filmen ohnehin zumeist durch SPECTRE ersetzt, was hier aber auch nicht geschieht, da Blofeld und SPECTRE wegen des Rechtsstreits um „Thunderball“ nicht mehr verwendet werden durften – im Film arbeitet Mr Big völlig autonom.

Zudem beginnt mit „Live and Let Die“ die Tendenz, massive Zugeständnisse an aktuelle Filmtendenzen zu machen. In den frühen 70ern waren Blaxploitation-Filme wie „Shaft“ gerade en vogue, dementsprechend adaptiert „Live and Let Die“ viele Stilelemente dieses Genres, dreht sie aber gewissermaßen um. Blaxploitation wird gerne als „black power fantasy“ beschrieben – da Bond hier als Weißer aber gegen eine Gruppe ausschließlich schwarzer Schurken kämpft, wirkt es eher, als würde er sie aus Sicht des British Empire „auf ihren Platz zurückverweisen“. Ich denke nicht, dass das als explizite Aussage von „Live and Let Die“ oder als bewusste Genre-Subversion gedacht ist, aber die Implikation ist zweifelsohne vorhanden. Dementsprechend ist auch der Film nur bedingt besser gealtert als der Roman.

Plotelemente und Figuren
Die Handlung des Films „Live and Let Die“ basiert nur sehr lose auf dem gleichnamigen Roman, Regisseur Guy Hamilton und Drehbuchautor Tom Mankiewicz bedienen sich nur einiger Figuren und Handlungselemente und ändern den Rest ohne zu zögern ab. Piratengold spielt im Film keine Rolle, stattdessen steht der Drogenhandel im Vordergrund und es sind die Morde an mehreren britischen Agenten, die Bond in Amerika ermitteln lassen. Zudem ist Mr Big (Yaphet Kotto) nicht „nur“ ein New Yorker Gangster mit einem Zweitwohnsitz auf Jamaica, stattdessen handelt es sich bei „Mr Big“ nur um eine Tarnidentität des Premierministers der fiktiven Inselnation San Monique, dessen Name nicht Buonapart Ignace Gallia, sondern Dr. Kananga lautet. Dementsprechend ist auch nicht das echte Jamaica, sondern San Monique einer der Schauplätze des Films – gedreht wurde allerdings tatsächlich auf Jamaica. Der Beginn des Films mit Bonds Ankunft in New York, dem Treffen mit Felix Leiter (David Hedison), den ersten Ermittlungen und der Gefangennahme durch Mr Big ist noch verhältnismäßig nah am Roman, danach divergieren die Handlungen aber endgültig voneinander und haben vom gemeinsamen Personal abgesehen kaum mehr etwas miteinander gemein.

Der zweite Akt des Films findet auf San Monique statt, im dritten wird New Orleans ein Besuch abgestattet, bevor das Finale wieder auf San Monique stattfindet. Die Handlung ist relativ dünn und dient vor allem dazu, diverse Setpieces, für die der Film primär in Erinnerung geblieben ist, miteinander zu verknüpfen, primär das eingangs erwähnte Bootsrennen, die Krokodilfarm und das Finale in Kanangas unterirdischem Unterschlupf. Anstatt Piratengold zu verkaufen, will Kananga über seine Restaurants mehr Heroiensüchtige erschaffen, indem er den Stoff umsonst abgibt. Natürlich müssen sie anschließend bezahlen. Zum Abbau beutet er die Bevölkerung von San Monique aus.

Das Spiel mit den Doppelidentitäten des Schurken, der als Kananga San Monique regiert und als Mr Big mit Gesichtsmaske den Gangster mimt, ist eine Erweiterung der Romanfigur, die sie tatsächlich interessanter und vielschichtiger macht Yaphet Kotto als Darsteller tut sein übriges, um dafür zu sorgen, dass die Filmfigur ihrem Gegenstück eindeutig überlegen ist. Solitaire (Jane Seymour) dagegen entspricht ihrem Romangegenstück noch am ehesten, ist zwar ein wenig aktiver und bekommt mehr zu tun, muss aber am Ende trotzdem von Bond gerettet werden – sie profitiert vor allem von ihrer Darstellerin Jane Seymour, die ihr immerhin mehr Profil verleiht, als das Romangegenstück besitzt. Interessanterweise werden die übernatürlichen Elemente im Film noch stärker betont, zusätzlich zu Solitaires Wahrsagekünsten, die tatsächlich zu funktionieren scheinen, spielt auch der legendäre Baron Samedi (Geoffrey Holder), der im Roman lediglich erwähnt wird, eine Rolle. Bei diesem scheint es sich zuerst um einen Schauspieler zu handeln, der für Kananga arbeitet, das Ende des Films impliziert jedoch, dass er eine tatsächliche übernatürliche Wesenheit ist. Diesbezüglich ist „Live and Let Die“ bislang der einzige Bond-Film, der so offensichtlich mit dem Übernatürlichen flirtet.

Die meisten Nebenfiguren stammen zumindest dem Namen nach aus dem Roman, gerade was Kanangas Handlanger Whisper (Earl Jolly Brown) und Tee Hee Johnson (Julius W. Harris) angeht. Ein interessanterer Fall ist Quarrel jr. (Roy Stewart). Die Figur Quarrel wird in Flemings Roman eingeführt und taucht in „Dr. No“ wieder auf, wo sie das zeitliche segnet – ebenso wie in der Filmadaption besagten Romans. Da die Filmversion von „Live and Let Die“ aber nach „Dr. No“ spielt, macht man die Figur zum Sohn des in „Dr. No“ verstorbenen Quarrel (dort gespielt von John Kitzmiller). Felix Leiters Rolle wurde im Vergleich zum Roman reduziert und er wird auch nicht von einem Hai angefallen – dieses Schicksal blüht ihm erst in „Licence to Kill“. Timothy Daltons zweiter und letzter Auftritt als Bond adaptiert nicht nur dieses sowie einige andere Handlungselemente und Details, sondern bringt sogar David Hedison als Leiter zurück, nachdem dieser in „The Living Daylights“ von John Terry gespielt wurde. Damit ist David Hedison übrigens der erste Schauspieler, der Leiter mehr als einmal gespielt hat. Jeffrey Wright ist der zweite. Rosie Carver (Gloria Hendry) schließlich wurde extra für den Film geschaffen und ist die erste Schwarze, mit der Bond ins Bett steigt – leider ist die Figur nicht nur inkompetent, sondern auch noch eine Verräterin, was den Film abermals eher schlecht altern lässt. Auch Sheriff J. W. Pepper (Clifton James), der in „The Man with the Golden Gun” einen weiteren Auftritt spendiert bekam, wurde extra für den Film geschaffen.

Und schließlich hätten wir noch Bond selbst. Wie erwähnt wollte Fleming Bond in diesem Roman weniger rau und zugänglicher gestalten, was aber primär darin resultiert, dass er uninteressanter ist. Anders als in „Casino Royale“ gibt es keine nennenswerte Charakterentwicklung – was gerade auch im Bereich der Filme nicht unbedingt selten ist. Bond ist zumeist eine relativ statische Figur, er verändert sich nicht besonders – leider besitzt „Live and Let Die“ als Roman nicht genug „Futter“, um das auszugleichen. Der Film hingegen muss Roger Moore als neuen Bond etablieren, wobei Eon Productions und Regisseur Guy Hamilton hier einen anderen Weg wählten als bei „On Her Majesty’s Secret Service“ – dort versuchte man, auf Teufel komm raus immer wieder an Connerys Darstellung der Figur anzuknüpfen und dem Publikum George Lazenbys „Bondness“ unter die Nase zu reiben. Im Vergleich dazu wird Moores Bond recht zurückhaltend vorgestellt, bestellt im ganzen Film keinen Vodka-Martini und braucht ziemlich lange, um sich zum ersten Mal als „Bond, James Bond“ vorzustellen. Trotzdem fühlt es sich so an, als hätten sich die Drehbuchautoren noch nicht so recht mit Moores Bond vertraut gemacht; in „Live and Let Die“ und „The Man with the Golden Gun“ finden sich immer wieder Szenen, die eher zu Connery als zu Moore gepasst hätten, erst mit „The Spy Who Loved Me“ scheinen sie den richtigen Tonfall gefunden zu haben.

Soundtrack

„Live and Let Die“ war nicht nur Roger Moores Debüt als James Bond, es handelt sich dabei auch um den ersten Film seit „Dr. No“, für den John Barry nicht den Score komponierte. Nachdem Sean Connery die Rolle hinter sich ließ, erschien es Barry als der richtige Zeitpunkt, ihm in dieser Hinsicht zu folgen, nicht zuletzt wegen kreativer Differenzen zwischen Barry und Produzent Harry Saltzman. Für den Titelsong konnte Paul McCartney gewonnen werden, ein Künstler dieser Größenordnung sorgte allerdings dafür, dass das Budget für den Score dieses Mal deutlich kleiner ausfiel, sodass ein Komponist in Barrys Preisklasse ohnehin problematisch geworden wäre, weshalb man sich für die naheliegendste Lösung entschied und den „fünften Beatle“ George Martin anheuerte, der nicht nur viele Lieder der Beatles arrangiert und produziert hatte, sondern auch Erfahrung im Filmbereich besaß. Martin orientierte sich durchaus an den von Barry etablierten Stilmitteln, gestaltete den Score allerdings deutlich zeitgenössischer, was andere Komponisten dieser Ära wie Marvin Hamlish oder Bill Conti emulieren sollten. Man könnte seinen Ansatz auch mit „James Bond Goes Funky“ beschreiben – was gerade im Kontext dieses Films allerdings relativ gut funktioniert; Martins Rock- und Jazz-Sensibilität passt ziemlich gut zur Blaxploitation-Thematik. Zudem gelang es Martin, eine gute Balance zwischen seinem Stil und dem Barrys herzustellen, sodass die Musik immer noch eindeutig nach Bond klingt. Strukturell orientierte sich Martin durchaus an den Vorgängern, er komponierte ein gelungenes Thema für Solitaire und integrierte die Melodie des Titelsongs auf effektive Weise in den Score. Zudem hatte er keine Probleme, sich des James-Bond-Themas zu bedienen, tatsächlich taucht es in „Live and Let Die“ deutlich häufiger auf als in den meisten Barry-Scores; auf dem Album findet sich kaum ein Track, in dem nicht zumindest die chromatische Akkordfolge auftaucht. Paul McCartneys Titelsong ist natürlich über jeden Zweifel erhaben, definitiv einer der besten der gesamten Filmreihe. McCartney gelang es, stilistisch etwas Eigenes zu schreiben, dass nicht wie der „typische“ Barry-Song klingt, aber doch zugleich unverkennbar Bond ist.

Fazit
Ein weiteres Mal ist die Filmadaption gelungener als der Roman – beide Versionen von „Live and Let Die“ sind allerdings aufgrund des Milieus und der Thematik relativ schlecht gealtert. Während Ian Flemings Roman nach allgemeinem Dafürhalten als einer der schlechtesten der Reihe gilt, hat der Film als Roger Moores Debüt deutlich mehr Fans, weiß besser zu unterhalten und verarbeitet die Figuren und Elemente besser als der Roman.

Siehe auch:
Art of Adaptation: Casino Royale

Casino Royale – Soundtrack

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Track Listing:

01. African Rundown
02. Nothing Sinister
03. Unauthorised Access
04. Blunt Instrument
05. CCTV
06. Solange
07. Trip Aces
08. Miami International
09. I’m the Money
10. Aston Montenegro
11. Dinner Jackets
12. The Tell
13. Stairwell Fight
14. Vesper
15. Bond Loses It All
16. Dirty Martini
17. Bond Wins It All
18. The End of an Aston Martin
19. The Bad Die Young
20. City of Lovers
21. The Switch
22. Fall of a House in Venice
23. Death of Vesper
24. The Bitch is Dead
25. The Name’s Bond… James Bond

Nach langer Wartezeit und vielen Verschiebungen kommt Bond Nummer 25, „No Time to Die“, am 30. September (vermutlich) in die deutschen Kinos. Mit diesem Film feiert nicht nur Daniel Craig seinen Abschied als 007, zugleich gibt Hans Zimmer seinen Einstand als letzter einer langen Reihe profilierter Komponisten, die für den Agenten mit der Lizenz zum Töten Musik schrieben. Wie so oft stellt sich die Frage: Wird Hans Zimmer sich dem Bond-Sound anpassen oder stattdessen den Sound in seine Komfortzone bringen? Wie dem auch sei, dieses Ereignis ist in jedem Fall Grund genug, sich noch einmal ausführlich mit den bisherigen vier Scores der Craig-Ära zu beschäftigen, beginnend natürlich mit „Casino Royale“.

Obwohl Bond Nummer 21 in fast jeder Hinsicht ein Neuanfang war, gehört die Musik zu den wenigen Aspekten, bei der man auf Bewährtes setzte: David Arnold hatte bereits die Scores von drei der vier Brosnan-Filme geschrieben, in „Tomorrow Never Dies“ den Bond- bzw. Barry-Sound erfolgreich in die Moderne gebracht (und nebenbei meiner bescheidenen Meinung nach den nach wie vor gelungensten Score der Filmreihe komponiert), es dann in „The World Is Not Enough“ und vor allem „Die Another Die“ mit der elektronischen Manipulation des Orchesters und den Techno-Elementen etwas übertrieben. Für „Casino Royale“, ein Film, der ohne die vielen technischen Spielereien und Gadgets auskommen musste, die die Filmreihe so lange dominierten, entschloss sich Arnold, wieder zu einem organischeren Sound zurückzukehren.

Strukturell ist das Album ein wenig unausgewogen, was aber dem Film geschuldet ist. Da der erste Akt von Action dominiert ist, finden sich die beiden großen Action-Tracks, African Rundown und Miami International, ebenfalls ziemlich am Anfang, während sich in der Mitte einige eher unspektakuläre Suspense-Stücke tummeln, die das Kartenspiel im Zentrum der Story untermalen, unterbrochen lediglich vom äußerst dissonanten und frenetischen Stairwell Fight. Gegen Ende hin liegt der Fokus dann wieder mit Tracks wie The End of an Aston Martin, The Switch oder Fall of a House in Venice auf der Action, kombiniert mit einigen romantischeren Interludien, primär City of Lovers.

Zentrales Element eines jeden Bond-Films ist fraglos der Titelsong. Wann immer John Barry für die Musik eines Bond-Films verantwortlich war, komponierte er zumeist auch den Titelsong, sodass er ihn zu einem zentralen und identitätsstiftenden Teil des Scores machen konnte. Nach Barrys Abgang erwies sich die Bilanz allerdings als durchwachsen. Arnold strebte stets das Barry-Modell an, in „Tomorrow Never Dies“ wurde sein Song Surrender allerdings in den Abspann verbannt, in „The World Is Not Enough“ ging die Rechnung auf und an der Ausgeburt, die Madonna für „Die Another Die“ ablieferte, war Arnold nicht beteiligt. Für „Casino Royale“ hingegen arbeitete er mit Singer/Songwriter Chris Cornell (leider 2017 verstorben) zusammen und die beiden lieferten mit You Know My Name eines der besten und rockigsten Lieder des Franchise ab, das sich darüber hinaus bei der Konzeption des Scores als essentiell erwies.

In seinen bisherigen Bond-Soundtracks für die Brosnan-Filme zeigte Arnold selten Hemmungen beim Einsatz des klassischen James-Bond-Themas – für Daniel Craig wählte er allerdings einen anderen Ansatz. Da es sich hierbei um eine Origin-Story für Bond handelte, war Arnold der Meinung, er habe sich das Bond-Thema noch nicht verdient. Aus diesem Grund fungiert die Melodie von You Know My Name als Proto-Bond-Thema. Wie so viele anderen Songs der Filmreihe basiert auch dieser auf dem Bond-Thema, adaptiert bestimmte Elemente, primär die chromatische Akkordfolge, versteckt und verfremdet sie aber.

Das Bond-Thema selbst erklingt in seiner kompletten Form (und in glorreichem neuen Arrengement) lediglich im letzten Track The Name’s Bond… James Bond, als sich 007 Mister White mit genau diesen Worten vorstellt, Arnold deutet das Thema aber bereits vorher immer wieder an, meistens durch den Einsatz der chromatischn Akkordfolge. Diese Idee ist nicht völlig neu, bereits George Martin bediente sich in „Live and Let Die“ primär dieses Bestandteils des Themas und ließ es ausgiebig mit der Melodie von Paul McCartneys Titellied interagieren. Da You Know My Name ohnehin auf besagter Akkordfolge basiert, kann Arnold diese Motive sehr elegant ineinander übergehen lassen oder sie in Kontrapunkt zueinander setzen. Wann immer Bond im Film etwas besonders „bondiges“ tut, deutet Arnold das klassische Thema auf diese Weise an. Bonds Ankunft auf den Bahamas wird in Blunt Instrument auf diese Weise untermalt, bei 1:18 setzt die chromatisch Akkordfolge ein und fungiert als Begleitung des You-Know-My-Name-Themas, das ab 1:41 dann aber vollständig übernimmt. Als Bond den Aston Martin im Kartenspiel mit Alex Dimitrios gewinnt, erklingt in Trip Aces ebenfalls die chromatisch Akkordfolge, dieses Mal solo (1:26). Auch in Dinner Jackets, als Bond zum ersten Mal in seinem ikonischen Outfit zu sehen ist, reichert Arnold das You-Know-My-Name-Thema um Elemente des Bond-Themas an (1:07). Zudem ist die chromatische Akkordfolge bei Bonds beiden „Siegesmomenten“ zu hören, einmal in Dirty Martini, als er den vergifteten Drink überlebt (3:28) und das andere Mal in Bond Wins It All, als er Le Chiffre im Poker besiegt (3:54) – hier abermals in Kombination mit dem You-Know-My-Name-Thema. Eine besonders frenetische Action-Variation erklingt zudem in Fall of a House in Venice (1:27).

Das You-Know-My-Name-Thema beweist im Verlauf des Scores allerdings mehrfach, dass es gar nicht auf Fragmente des Bond-Themas angewiesen ist, um exzellent zu funktionierten. Bereits in seinem Debüt auf dem Album macht es einen ausgezeichneten Eindruck. African Rundown ist ohnehin eines der Vorzeigestücke von „Casino Royale“, ein ebenso atemloser wie bombastischer sechsminütiger Action-Track, in dem Arnold gekonnt klassische Bond-Instrumentierung mit exotischen Percussions mischt und die Melodie des Titelsongs immer wieder auf brillante Weise einbindet. Auch im doppelt so langen, aber leider nicht ganz so genialen Miami Airport ist das You-Know-My-Name-Thema ein gern gesehener Gast, taucht bereits direkt am Anfang auf und schaut im Verlauf des Stückes immer wieder vorbei, etwa bei 2:35 etwas zurückhaltender oder bei 8:25, gespielt von gequälten Blechbläsern. Eine besonders üppige und romantisch getragene Version findet sich in Aston Montenegro bei 0:35. Im hinteren Drittel des Scores wird das You-Know-My-Name-Thema stärker fragmentiert und dekonstruiert, etwa im bereits erwähnten Fall of a House in Venice. Bevor die bislang deutlichste Version der chromatischen Akkordfolge erklingt, wird die chaotische Action-Musik immer wieder durch Fragmente des Proto-Bond-Themas angereichert, sehr deutlich zu vernehmen ab 1:12. Eine tragische Version ist zudem zu Beginn von The Death of Vesper zu hören.

Apropos Vesper, ihr ist das andere essentielle Thema des Scores gewidmet. Hierbei handelt es sich um eine klassisch anmutende Klaviermelodie mit einem Hauch Tragik, die zum ersten Mal am Anfang von Dinner Jackets erklingt und natürlich besonders prominent im Track Vesper vertreten ist; dieser untermalt die Duschszene. Die üppigste Variation erklingt in City of Lovers, hier gespielt von Streichern und Holzbläsern. Vespers Tod erhält eine äußerst tragische Variation im passend betitelten The Death of Versper, hier kehrt auch das Klavier wieder zurück. Interessanterweise stirbt dieses Thema allerdings nicht mit der Figur. In The Bitch Is Dead spielt Arnold die Klaviermelodie im Kontrapunkt zu einem besonders brütenden Fragment des You-Know-My-Name-Themas und zudem macht er es zu einem wichtigen Bestandteil des Scores von „Quantum of Solace“. Bonds sekundäres Love Interest, Solange, erhält ebenfalls ein Motiv, eine romantische Streichermelodie in bester Barry-Manier, die den Track Solange dominiert und am Anfang von Trip Aces erklingt.

Zum Schluss noch ein paar Worte zur Albensituation: Was den Score angeht, ist diese eigentlich ziemlich gut, mit knapp 75 Minuten finden sich fast alle wichtigen Highlights auf dem Album. Zusätzlich wurden über iTune eine Reihe von Bonus-Tracks veröffentlicht, sodass tatsächlich fast alle Musik aus dem Film kommerziell erhältlich ist. Bei diesen Bonustracks handelt es sich allerdings wirklich nicht um essentielle Bestandteile, auch wenn der eine oder andere Track durchaus ganz interessant ist, etwa das dissonante Licence: 2 Kills, das die schwarzweiße Pre-Credits-Szene untermalt oder Mongood vs. Snake, bei dem es sich quasi um die isolierten Percussions aus African Rundown handelt. Dennoch, ihr Fehlen auf dem Album ist verzeihlich – wer ein fokussierte Präsentation der Musik vorzieht, kann durchaus überlegen, einige der kürzeren Suspense-Stücke wie Unauthorized Acces oder CCTV aus der Playlist zu löschen. Unverzeihlich hingegen ist, dass aufgrund von Rechte-Rangeleien You Know My Name nicht auf dem Album zu finden ist. Angesichts der Rolle, die das Lied im Kontext des Scores spielt, ist es eine Schande, dass man sich dieses separat zulegen muss – eine ungünstiges Novum in der Filmreihe, das sich bei „Skyfall“ und „Spectre“ allerdings wiederholen sollte, in beiden Fällen war der Titelsong nicht auf dem Album zu finden.

Fazit: Mit „Casino Royale“ komponierte David Arnold sowohl einen der besten Scores seiner Zeit als Bond-Komponist und auch einen der besten der Filmreihe und verhalf Daniel Craigs zu einem grandiosen Start als 007.

Bildquelle

Siehe auch:
Art of Adaptation: Casino Royale
Top 15 Variationen des James-Bond-Themas

The Music of James Bond

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Da Filmmusik abseits der großen Leinwand zumeist ein Nischenprodukt ist, muss man sich auch nach der entsprechenden Fachliteratur etwas länger umsehen. Selbst in einem angesehenen Franchise wie „The Lord of the Rings“ wurde Doug Adams‘ grandioses „The Music of the Lord of the Rings Films” (das ich jedem, der sich für Howard Shores Musik auch nur marginal interessiert, unbedingt ans Herz lege) noch nicht einmal ins Deutsche übersetzt. Mit anderen Worten: Wer über Filmmusik lesen möchte, muss sich oft auf seine Englischkenntnisse verlassen. Das trifft auch auf das (mit Ausnahme von Harry Potter) britischste aller Film-Franchises zu: James Bond. Die wahrscheinlich langlebigste Blockbuster-Filmreihe hat eine ebenso faszinierende wie vielseitige musikalische Geschichte vorzuweisen, beginnend mit der Frage, wer das James-Bond-Thema eigentlich komponiert hat (Monty Norman oder John Barry) über die Erschaffung des typischen Bond-Sounds und die mitunter legendären Titellieder bis hin zu den Scores des neuen Jahrtausends von David Arnold und Thomas Newman. Ähnlich wie bei der Musik für Mittelerde existiert auch hier so etwas wie ein definitives Werk: „The Music of James Bond“, verfasst vom Filmjournalisten und Universitätsdozenten Jon Burlingame.

Anders als das zumindest in Ansätzen vergleichbare Werk von Doug Adams konzentriert sich Burlingame stärker auf die Entstehungsgeschichte und das Hinter-den-Kulissen-Material – wer tiefschürfende musikalische Analysen sucht, wird wohl eher enttäuscht werden. Eine Besprechung der Musik findet zwar durchaus statt, ist aber auf fortlaufende graue Streifen auf dem unteren Drittel der Seite reduziert, während sich der Haupttext mit den sonstigen Hintergründen und der Entstehung der jeweiligen Filmmusik beschäftigt. Burlingame setzte sich mit allen Bond-Soundtracks von „Dr. No“ bis „Skyfall“ auseinander, inklusive der beiden inoffiziellen (will heißen, nicht von Eon Productions produzierten) Bonds „Casino Royale“ (1967) und „Never Say Never Again“ (1983). Der Fokus liegt, wie bereits erwähnt, auf der Produktionsgeschichte: Wie kam der jeweilige Song zustande, welchen Ansatz verfolgte der Komponist, mischten sich die Produzenten in irgendeiner Form ein und wie wurden Film, Score und Song rezipiert? Angereichert werden die Berichte durch eine Vielzahl an Aussagen der Beteiligten, die mitunter höchst interessant sind und einen faszinierenden Einblick hinter die Kulissen geben. Produzent Harry Saltzman, neben Albert „Cubby“ Broccoli einer der Väter des Bond-Film-Franchise, sagten beispielsweise diverse der von John Barry komponierten Songs nicht zu, darunter auch Goldfinger, nach wie vor DER Bond-Song schlecht hin. Auch wollte Saltzman nicht, dass Paul McCartney Live and Let Die singt. Zumeist konnte sich jedoch Broccoli durchsetzen, was generell großen Erfolg nach sich zog.

Besonderer Fokus liegt natürlich auf John Barry – da der leider 2011 verstorbene Maestro alleine für elf Bond-Scores verantwortlich war und auch seinen Teil zum Titelthema beitrug (auch wenn es nach wie vor ausschließlich Monty Norman zugeschrieben wird), ist das sehr gut nachvollziehbar. Burlingame schildert anschaulich, wie sich der Bond-Sound entwickelt hat und wie Barry beim Komponieren vorging. Was mich beispielsweise besonders fasziniert hat: Barry komponierte die Melodien für die Bond-Songs meistens zuerst und gab sie dann dem jeweiligen Lyriker (oft Don Black), der anschließend die Texte schrieb. Normalerweise kennte man das eher umgekehrt. Aber auch die anderen Komponisten, von Monty Norman („Dr. No“) über George Martin („Live and Let Die“), Marvin Hamlisch („The Spy Who Loved Me“), Bill Conti („For Your Eyes Only”), Michael Kamen („Licence to Kill”), Éric Serra („GoldenEye”) bis zu David Arnold („Tomorrow Never Dies” bis „Quantum of Solace”) und Thomas Newman („Skyfall”) werden angemessen behandelt. Burlingame spart auch nicht an Details zu Konflikten und Kontroversen in der Produktion der Musik – besonders interessant ist nach wie vor der GoldenEye-Score, bei dem Serras Musik für die zentrale Actionszene durch eine Komposition des für die Orchestrierung zuständigen John Altman ersetzt wurde.

Die eigentliche Musikanalyse bleibt dagegen, zumindest im Vergleich zu „The Music of the Lord of the Rings Films“, eher oberflächlich, es werden keine Notenbeispiele gegeben und auch bezüglich der musikalischen Fachtermini hält sich Burlingame zurück – was jedoch nicht unbedingt als Schwäche des Buches ausgelegt werden muss. Ohnehin eignet sich die Musik der Bond-Filme nicht unbedingt für die tiefschürfende leitmotivische Analyse, die Doug Adams vollzogen hat. Und natürlich gibt es deutlich mehr Bond- als LotR-Filme, sodass eine wirklich ausgiebige musiktheoretische Auseinandersetzung noch einmal deutlich umfangreicher hätte ausfallen müssen. „The Music of the James Bond Films“ richtet sich eher an Fans mit Interesse an der Musik als an ein Fachpublikum – und als solches ist das Werk rundum gelungen.

Fazit: Von „Dr. No“ bis „Skyfall“ – in „The Music of James Bond” liefert Jon Burlingame faszinierende Informationen zu den Songs und Soundtracks des James-Bond-Filme. Burlingame bietet zwar keine tiefschürfende musikalische Analyse, sondern legt den Fokus auf die Entstehung und die Hintergründe der Musik, aber dennoch (oder gerade deshalb) ist sein Buch für jeden Bond- oder Filmmusikfan sehr empfehlenswert.

Bildquelle

Siehe auch:
Top 15 Variationen des James-Bond-Themas