Art of Adaptation: Der Ring des Nibelungen – Comic von P. Craig Russell

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Richard Wagners Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ dürfte schon allein aufgrund des Umfangs eines der fordernsten Werke der klassischen Musik sein – zum Glück gibt es Möglichkeiten, sich diesem Mammutwerk zu nähern, ohne sich durch vier Opern von insgesamt gut 14 Stunden zu arbeiten. Einige davon habe ich bereits vorgestellt, etwa das Instrumentalalbum „Der Ring ohne Worte“, das aus dem Zyklus praktisch ein Filmmusikalbum macht, oder die 2022 ausgestrahlte Hörspielserie des RBB. Wer hingegen eher einen visuellen Zugang bevorzugt und es zudem auf ein hochwertigeres (und teureres) Objekt abgesehen hat, kann zur kürzlich von Cross Cult in einem Hardcover-Sammelband auf Deutsch herausgebrachten Comic-Adaption von P. Craig Russell aus den frühen 2000ern greifen.

Wie so viele amerikanische Comicschaffende arbeitete auch der 1951 geborene Russell im Lauf seiner Karriere für die beiden großen Verlage DC und Marvel, für die er sowohl als Texter als auch als Zeichner und Inker tätig war. Bereits in den 80ern schrieb und zeichnete er die Anthologieserie „Night Stories“, in deren Rahmen er nicht nur Literaturklassiker, sondern auch Opern adaptiert. Besonderes Letztere sollten sein Comicschaffen immer begleiten, bis er sich in den frühen 2000ern für Dark Horse Wagners „Ring des Nibelungen“ annahm. Die epische Geschichte des deutschen Komponisten, basierend auf diversen mittelalterlichen Quellen, darunter primär die nordische Völsunga saga, aber auch (in geringerem Maße) das mittelhochdeutsche Versepos „Das Nibelungenlied“, setzt er in 14 Ausgaben um, vier für „Das Rheingold“, jeweils drei für „Die Walküre“ und „Siegfried“ und noch einmal vier für „Götterdämmerung“.

Anders als beispielsweise die französische Serie „Götterdämmerung“, die sich zwar an Wagner orientiert, viele Elemente aber sehr frei umsetzt und u.a. noch deutlich mehr nordische Mythologie einarbeitet, handelt es sich bei Russells Werk um eine sehr vorlagengetreue Umsetzung, weshalb Wagners Name auch das Cover ziert. Auf eine ausführliche Handlungswidergabe werde ich in diesem Kontext verzichten und verweise dafür auf meinen Artikel zum RBB-Hörspiel – sowohl dieses als Russells Comicadaption sind jeweils äußerst nahe an der Vorlage, die Abweichungen und Änderungen sind minimal. Diesbezüglich am interessantesten ist wahrscheinlich Russells Gestaltung des Endes. Im Finale der „Götterdämmerung“ sterben praktisch alle wichtigen Figuren und die alte Ordnung der Götter Walhalls endet, aber es liegt zumeist im Ermessen des jeweiligen Regisseurs, ob dieser Umstand positiv oder negativ bewertet wird. Russell zeigt nach dem eigentlichen Ende, wie Wotan nach der Rückgabe des Rings an die Rheintöchter Loge mit seinem Speer ersticht, woraufhin Walhall in Flammen aufgeht. Anschließend sehen wir Siegfried und Brünhild in ätherischem Licht, das einer verwüsteten Landschaft neues Leben bringt, die entstehende Pflanze könnte sogar als neue Weltesche interpretiert werden. Russell geht also von einem positiven Neuanfang nach dem Ende der alten Ordnung aus. Deutlich interessanter als die Handlungsabweichungen – bzw. der Mangel an denselben – ist die visuelle Umsetzung.

Wer moderne Operninszenierungen, in denen die Figuren in moderner Kleidung durch ein minimalistisches Bühnenbild rennen, absolut nicht ausstehen kann, dürfte mit dem von Russell gewählten visuellen Stil wirklich seine Freude haben, denn sein „Ring des Nibelungen“ sieht exakt so aus, wie man sich eine stereotype Wagner-Oper vorstellt. Russell inszeniert die Welt des deutschen Komponisten als romantisch verklärte Mischung aus Pseudo-Völkerwanderung, Pseudo-Mittelalter und Pseudo-Wikingern, will heißen: Es finden sich viele Flügel- und Hörner-Helme. Das Ganze mutet einerseits, vor allem für eine Leserschaft des Jahres 2023, die eine andere Darstellung von Mythologie, Wikingern und Fantasy gewohnt ist, reichlich kitschig an. Wenn Russell es sich allerdings zum Ziel gesetzt hat, den „Ring“ so in Szene zu setzen, dass er Wagners Idealvorstellung am nächsten kommt, kann das Ergebnis zweifelsohne als durchschlagender Erfolg bewertet werden.

Den romantisch-kitschigen Aspekt außen vorgelassen sind Russells Zeichnungen, Bildkompositionen und Panelanordnungen keinesfalls anspruchslos oder simpel, im Gegenteil. Russell bemüht sich um eine ausgeprägte Bildsprache und zeigt zudem eine stilistische Vielseitigkeit – so werden beispielsweise Rückblenden oder „Handlungsbrücken“, die in den Opern nur verbal vermittelt werden, als nicht kolorierte Bleistiftzeichnungen gezeigt. Mehr noch, Russell versucht auch, Wagners Musik visuell umzusetzen, spezifisch die Leitmotivik. Wagner ist nicht nur der Vorreiter dieser musikalischen Erzähltechnik, tatsächlich hat ihm bislang kaum ein Komponist diesbezüglich das Wasser reichen können, zumindest im Hinblick auf den „Ring“. Das liegt primär daran, dass Wagners Leitmotive im „Ring“ einer ständigen, von der Handlung bestimmten Entwicklung und Metamorphose unterworfen sind. Siegfrieds Thema, wie es am prominentesten in Siegfrieds Trauermarsch erklingt, entwickelt sich beispielsweise über den Verlauf der Tetralogie langsam und ist eine Ausarbeitung des Schwert-Motivs, beinhaltet eine invertierte Version des Ring-Motivs etc. Im Gegensatz dazu bleiben die Leitmotive und Themen in der Filmmusik zumeist relativ starr, um einen besseren Wiedererkennungswert zu gewährleisten. Zugegebenermaßen haben Filmkomponisten auch nur zwei bis drei Monate, um einen Film-Score zu schreiben, während Wagner mehrere Jahrzehnte an den vier Opern des „Rings“ arbeitete. Wie dem auch sei, Russell versucht, diese motivische Entwicklung immer wieder bildlich darzustellen, etwa wenn am Ende des „Rheingolds“ Wotan das Schwert Notung als zentrales Element seines Weltrettungsplanes ersinnt und Russell es in ein Geflecht aus visuellen Motiven einbindet, das Wagners leitmotivischer Entwicklung gleicht.

Ich muss allerdings zugeben, dass ich nicht jede grafische Gestaltung Russells vollauf gelungen finde. Vor allem der Drache Fafner wirkt nicht allzu einschüchternd oder schrecklich, sondern sieht primär aus wie ein großes Krokodil – die drachenartige Riesenschlange, in die sich Alberich im „Rheingold“ mithilfe der Tarnkappe verwandelt, ist da deutlich besser gelungen. Allgemein wirken die schurkischen Figuren, Alberich, Mime und Hagen, visuell äußerst uninteressant, gerade im Vergleich zu den Helden und Göttern. Während die Nibelungen meistens spärlich bekleidet durch die Gegend rennen, mutet Hagen an wie eine mit Hörnerhelm ausgestattete Version von Gríma Schlangenzunge. Ich denke, da wäre mehr drin gewesen. Absolut keinen Grund zur Klage liefert die Aufmachung der deutschen Ausgabe: Hardcover mit Lesebändchen und umfangreichem Bonusmaterial, darunter Cover, Skizzen P. Craig Russells sowie Kommentare und Erläuterungen zu seinem Adaptionsprozess, die mir das Verfassen dieses Artikels deutlich erleichtert haben.

Fazit: Gelungene, sehr vorlagengetreue Comicadaption des „Ring des Nibelungen“ in ansprechender Prachtausgabe, visuell verwurzelt in der Romantik des 19. Jahrhunderts, die aufwändig und komplex darstellt, wie Wagner selbst sich den „Ring“ vorgestellt haben könnte.

Bildquelle

Siehe auch:
Wagner: Der Ring ohne Worte
Art of Adaptation: Der Ring des Nibelungen – RBB-Hörspiel
Götterdämmerung

Art of Adaptation: Der Ring des Nibelungen – RBB-Hörspiel

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Wagners „Der Ring des Nibelungen“ taucht aktuell immer wieder in den Schlagzeilen auf, primär natürlich wegen den gerade stattfindenden Bayreuther Festspielen, sei es wegen der neuen Inszenierung des Opernzyklus durch Regisseur Valentin Schwarz, Belästigungsvorwürfen oder Unfällen, bei denen sich Darsteller schwer verletzen. Mehr oder weniger parallel dazu habe ich eine Entdeckung gemacht, die zwar deutlich weniger dramatisch, dafür aber nicht minder interessant ist. Bereits vor einigen Monaten inszenierte der RBB eine aufwändige Hörspielproduktion des „Rings“ mit hochkarätiger Sprecherriege unter Regie von Regine Ahrem, die zumindest in Ansätzen einen von mir lange gehegten Traum erfüllt: Ich war schon lange der Meinung, es müsse eine vernünftige Film- oder Serienadaption des „Rings der Nibelungen“ geben, in der eine bearbeitete Fassung von Wangers Musik als Score fungiert – die Ringpartituren mit ihrer aufwändigen Leitmotivstruktur sind praktisch schon fast Film-Scores. Besagtes Hörspiel ist zwar kein Film, folgt allerdings eben diesem Konzept – gesungen wird nicht, Wagners Musik ist aber durchaus zu vernehmen, arrangiert und durch eigene Kompositionen angereichert von Felix Raffel.

Nun ist Wagners Opernzyklus ja bekanntermaßen selbst kein originales Werk – der umstrittene Komponist bediente sich nicht nur beim „Nibelungenlied“, quasi dem deutschen Nationalepos, sondern auch bei diversen anderen Versionen der Geschichte. Während das „Nibelungenlied“ eindeutig christlich geprägt ist und den Fokus auf die höfischen Elemente (und die spätere Racheaktion von Kriemhild) legt, konzentriert sich Wagner in weit größerem Maß auf die mythischen Elemente und entnimmt für die ersten drei Opern „Das Rheingold“, „Die Walküre“ und „Siegfried“ viele Komponente aus der Völsunga saga und anderen nordischen Quellen; auf diese Weise versuchte er gewissermaßen, eine ursprüngliche, germanische Version der Sage zu rekonstruieren. Aus Odin wird Wotan, aus Thor Donner, aus Loki Loge etc. „Götterdämmerung“ schließlich ist in etwa inhaltsgleich mit der ersten Hälfte des „Nibelungenliedes“, während die zweite Hälfte, die Kriemhilds Rache an den Burgunden, die für Siegfrieds Tod verantwortlich sind, schildert und nebenbei diverse Gastauftritte bekannter Figuren aus Sage und Geschichte, von Dietrich von Bern bis hin zu Etzel/Attila beinhaltet, von Wagner nicht beachtet wird. Und selbst die Teile, die deckungsgleich sind, sind von größeren Unterschieden geprägt, im „Nibelungenlied“ lässt sich beispielsweise eine Parallelentwicklung beobachten: Zu Beginn ist Bründhilde die kriegerischer Frauenfigur, wird dann aber zunehmend gebändigt und spielt später kaum eine Rolle mehr, während Kriemhild die zentrale Figur der zweiten Hälfte ist und sich praktisch zur Rachegöttin entwickelt. Wagners Kriemhild-Gegenstück Gutrune dagegen bleibt der höfischen Welt verbunden und alles in allem ziemlich unwichtig, während Bründhilde diejenige ist, die am Schluss die Initiative ergreift.

Die Hörspieladaption hält sich sehr eng an Wagners Version der Handlung: Alles beginnt am Rhein, der Nibelungenzwerg Alberich steigt den Rheintöchtern nach, wird von diesen allerdings nur verhöhnt, weshalb er stattdessen der Liebe entsagt und das Rheingold, dessen Geheimnis ihm die Rheintöchter leichtsinnigerweise anvertraut haben, für sich beansprucht. Denn wer aus dem Rheingold einen Ring schmiedet, kann damit die Welt beherrschen. In anderen Sphären har Göttervater Wotan derweil mit eigenen Problemen zu kämpfen. Zwar haben die Riesen Fasolt und Fafner ihm eine herrliche Burg mit dem Namen Walhall erbaut, allerdings fordern sie als Preis Wotans Schwägerin Freia. Darüber ist Ehegattin Fricka nicht amüsiert, zudem sind die Götter auf Freias Äpfel, die ihre ewige Jugend garantieren, angewiesen. Feuergeist Loge weiß allerdings Rat: Wenn man den Riesen das Rheingold anstelle von Freia verspräche, könnte man die Göttin zurückerhalten. Da Alberich das Gold geschickterweise bereits gestohlen hat, würde man es zudem nur einem Dieb abnehmen. Da kann man die ursprünglichen Wärterinnen schon mal ignorieren. Gesagt, getan, Wotan und Loge steigen hinab nach Nibelheim und schaffen es, Alberich, der inzwischen nicht nur einen Ring, sondern auch einen Tarnhelm mit der Hilfe seines Bruders Mime aus dem Gold geschmiedet hat, um Gold, Ring und Tarnhelm zu erleichtern. Alberich verflucht allerdings den Ring, auf dass er Tod und Verderben bringe. Wotan ist zuerst nicht gewillt, Gold und Allmacht aufzugeben, lässt sich aber von Erda, der Urmutter, schließlich überreden, alles den Riesen zu überlassen. Der Fluch auf dem Ring zeigt sofort Wirkung: Fafner tötet Fasolt und verschwindet in die Wälder, um sich in einen Drachen zu verwandeln.

In den anderen drei Opern arbeitet Wotan unermüdlich daran, seine Fehler aus dem „Rheingold“ auszumerzen. Zu diesem Zweck zeugt er mit diversen Göttinnen, darunter auch Erda, die Walküren, die die gefallenen Helden nach Walhall bringen, damit diese Wotan in einem potentiellen finalen Kampf unterstützen. Es sind allerdings sterbliche Helden, die die Misere in letzter Konsequenz in Ordnung bringen müssen. Zu diesem Zweck gründet Wotan das Geschlecht der Wälsungen. Die Zwillinge Siegmund und Sieglinde, Kinder Wotans, verlieben sich auch prompt ineinander und alles könnte so schön sein, bestünde Wotans Ehefrau Fricka, zufällig die Göttin der Gattentreue, nicht darauf, dass die inzestuöse Beziehung gewaltsam beendet wird. Schweren Herzens befiehlt Wotan Brünhilde, in Siegmunds Kampf mit Sieglindes Ehemann Hunding Letzterem zum Sieg zu verhelfen, was diese allerdings ablehnt, ihrem Herzen folgt und für die Liebe eintritt. Also muss Wotan selbst tätig werden, Siegmund stirbt, sein magisches Schwert Notung zerbricht und Brünhilde trägt Sieglinde von dannen. Wotans ursprünglicher Plan geht dennoch auf, denn Sieglinde ist mit Siegfried, dem ultimativen Helden schwanger. Aber Strafe muss sein, weshalb Brünhilde auf einem Felsen in magischen Schlaf versetzt wird. Ein Feuerkreis schützt sie vor Unwürdigen, wer jedoch furchtlos ist, soll sie besitzen.

In „Siegfried“ wird der verwaiste Titelheld (Sieglinde ist bei der Geburt gestorben) von Alberichs Bruder Mime aufgezogen, der hofft, der Junge wäre eines Tages dazu in der Lage, den Drachen Fafner zu töten, denn natürlich ist auch Mime hinter Ring und Goldschatz her. Dazu benötigt er allerdings Notung – da Mime nicht in der Lage ist, das Schwert neu zu schmieden, muss Siegfried selbst Hand anlegen und erweist sich als Naturtalent. Es kommt, wie es kommen muss: Nicht nur gelingt es Siegfried, den Drachen zu töten, er demütigt auch noch Wotan, zerstört dessen Gesetzesspeer und macht sich schließlich daran, die schlafende Brünhilde aufzusuchen. Natürlich durchschreitet er den Flammenring problemlos und Tante und Neffe verlieben sich sofort ineinander.

Im Finale des Zyklus wird Siegfried mit etwas deutlich Schlimmerem konfrontiert als einem Drachen: höfischen Intrigen. Auf der Suche nach neuen Heldentaten lässt er Brünhilde samt Ring der Macht zurück und sucht die Gibichungen auf, die von einem gewissen Gunther regiert werden. Gunthers Halbbruder Hagen ist jedoch Alberichs Protegé und hat eigene Pläne mit Siegfried. Sowohl Gunther als auch seine Schwester Gutrune müssen vielversprechende Ehen eingehen, um die Macht der Gibichungen zu sichern, und wer wäre da besser geeignet als eine ehemalige Walküre und ein Drachentöter? Der Plan ist simpel: Mit einem Zaubertrank sorgt man dafür, dass Siegfried Brünhilde vergisst und sich in Gutrune verliebt. Anschließend gibt sich Siegfried, um Gutrune ehelichen zu können, per Tarnhelm als Gunther aus und bringt Brünhilde gegen ihren Willen an den Hof der Gibichungen. Letztendlich dient dieses ganze Kunststück natürlich dazu, an den Ring zu kommen. Kaum, dass die erste Intrige aufgeht, arbeitet Hagen auch schon an der nächsten: Siegfried muss weg. Durch den Zaubertrank hat er unwissentlich einen Meineid geschworen, und natürlich fühlt auch Brünhilde sich verraten, weshalb sie Hagen mitteilt, dass Siegfried durch ihren Zauber zwar unverwundbar ist, sie den Rücken allerdings ausgespart hat, sodass Hagen ihn wegen Verrats töten kann. Auch dieser Plan geht auf, Brünhilde beschließt nun aber, endlich das Richtige zu tun und den Ring an die Rheintöchter zurückzugeben, damit der Fluch gebrochen wird.

Die Vorlagentreue ist einerseits die größte, Stärke, aber auch die größte Schwäche der Hörspielproduktion. An der einen oder anderen Stelle wird der „Ring“ hier zweifellos etwas moderner ausgelegt, gerade zu Beginn wird etwa das menschliche (bzw. göttliche) Eingreifen in die Natur und Wotans Vertragsversessenheit noch einmal negativer hervorgehoben und Regisseurin Regine Ahrem legt nach eigener Aussage den Fokus noch einmal stärker auf die Frauenfiguren. Ansonsten werden aber nur wenige Anpassungen vorgenommen, Hagen scheint hier beispielsweise nicht mehr Alberichs leiblicher Sohn zu sein. Somit ist das Hörspiel eine wirklich gute Gelegenheit, die Wagner’sche Version dieses Stoffes – und zusätzlich zumindest in Ansätzen auch seine Musik – kennenzulernen. Zudem leisten die Sprecher wirklich gute Arbeit – der Cast um Martina Gedeck, Bernhard Schütz, Bibiana Beglau, Dimitrij Schaad und Lars Rudolphleihen kann sich wirklich sehen bzw. hören lassen.

Die Vorlagentreue wird primär dann zum Problem, wenn sie auf die Opern- bzw. Theaterherkunft nur allzu deutlich hinweist: Entnimmt man die Geschichte des „Rings“ ihrem Opernkontext, verliert sie automatisch einen Teil ihrer epochalen Natur. Zum einen liegt das an den fehlenden Gesangseinlagen, die relativ banale Handlungselemente oder Gespräche natürlich sofort dramatisieren. Diesbezüglich fallen auch die Dialoge mitunter etwas uneben aus, manchmal bemüht man sich um modernere Diktion, manchmal wird Wagners Libretto aber auch recht direkt zitiert. Wie dem auch sei, mitunter wird die Theaterherkunft des „Rings“ in dieser Bearbeitung unangenehm deutlich, und das auf eine Art und Weise, die gerade bei einem Hörspiel nicht hätte sein müssen, da es eben nicht an die Beschränkungen der Bühne gebunden ist. Zudem treten hier einige Schwächen der Vorlage noch deutlicher zutage. Das betrifft besonders die „Götterdämmerung“. Egal ob bei Wagner oder im Hörspiel, der Umstand, dass sich das Finale der Tetralogie ausschließlich auf die menschlichen bzw. halbmenschlichen oder menschgewordenen Figuren konzentriert und die Götter fast völlig außenvorlässt, sorgt dafür, dass der Titel wie ein gebrochenes Versprechen klingt. Die ursprünglichen Kontrahenten Alberich und Wotan tauchen kaum bzw. gar nicht mehr auf und über den Untergang der Götter wird man lediglich durch Dialoge informiert. Die Comicserie „Götterdämmerung“ hat hier einen relativ gelungenen Weg gefunden – auch sie orientiert sich an Wagner, erlaubt aber zusätzliche Handlungsstränge und zeigt auch tatsächlich den Untergang der Götter Walhalls.

Die Musikauswahl ist im Großen und Ganzen gelungen. Es ist natürlich schwierig, Wagners komplexe Leitmotivstruktur aus 16 Stunden Opernzyklus für ein deutlich kürzeres Hörspiel zu adaptieren, dennoch hätte es meinem Empfinden nach etwas mehr sein dürfen. Gerade die größtenteils atmosphärischen Passagen, die Felix Raffel selbst komponiert hat, wirken äußerst uninteressant und austauschbar – vielleicht wäre es besser gewesen, sich dort stärker Wagners Motivsprache zu bedienen und die Themen nach Bedarf selbst weiterzuentwickeln. Das ist jedenfalls, was ich mir von dem oben beschriebenen, hypothetischen Film wünschen würde. Dennoch, die Highlights, vom Einzug der Götter in Walhall über den Ritt der Walküren bis hin zu Siegfrieds Thema finden sich in das Hörspiel eingearbeitet, allerdings habe ich die Variation aus Siegfrieds Trauermarsch vermisst.

Ursprünglich wurde das Hörspiel als 16-teilige Podcast-Serie veröffentlicht, da die Jugend mit Podcasts anscheinend leichter anzulocken ist als mit klassischen Hörspielen. In dieser Form kann die Ring-Adaption direkt auf Seite des RBB gehört werden. Inzwischen gibt es allerdings auch Albenveröffentlichungen, die sich auf den gängigen Plattformen (Amazon, Audible etc.) erwerben lassen. Dass es ursprünglich ein auf mehrere Teile angelegtes Projekt war, merkt man allerdings immer noch, da Erda, die als Erzählerin fungiert, immer wieder das kurz zuvor gehört zusammenfasst.

Fazit: Aufwändiges Hörspiel, das einen durchaus gelungenen Einstieg in das Werk Wagners bietet, da es sich sehr eng an die Vorlage hält. Für Kenner der Materie dagegen dürfte das Hörspiel zu wenig Musik und zu wenig Eigeninitiative besitzen. Unterhaltsam ist es trotzdem.

Siehe auch:
Hörspiel beim RBB
Wagner: Der Ring ohne Worte
Götterdämmerung