Das Soundtrack-Jahr 2017

Die letzte Zeit war für mich äußerst geschäftig und stressig, weshalb ich leider bei weitem nicht dazu gekommen bin, alles an Filmmusik (und auch den zugehörigen Filmen) aufzuarbeiten, das ich gerne geschafft hätte – es gibt noch eine ganze Reihe an Scores, denen ich schlicht nicht die Aufmerksamkeit widmen konnte, die sie verdient hätten – andernfalls sähe diese Liste vielleicht ganz anders aus. Aus diesem Grund gibt es dieses Jahr nur fünfzehn Plätze (plus fünf herausragende Einzelstücke), und auch auf die Worst-of-Liste verzichte ich für 2017. Wie üblich gilt: Die Reihenfolge ist absolut nicht in Stein gehauen und könnte morgen schon wieder eine ganz andere sein.

Bemerkenswerte Einzelstücke

Paint It Black aus „Westworld Staffel 1” (Ramin Djawadi)

Rein formal gehört der Soundtrack zur grandiosen neuen HBO-Serie eigentlich noch ins Jahr 2016, aber ich mache hier mal eine Ausnahme, weil ich diesen Track unbedingt erwähnt haben wollte: Es handelt sich dabei um eine orchestrale Neuinterpretation von Pain It Black von den Rolling Stones, die in der zugehörigen Szene unglaublich gut funktioniert und darüber hinaus hervorragend zur Konzeption der Serie passt: Das Stück ist gleichzeitig (zumindest gemessen am Western-Setting) modern und nostalgisch, weckt durch die Instrumentierung eine Western-Assoziation, ist aber zugleich ein genauso anachronistischer Fremdkörper wie ein Androide in einem Saloon.

Kill the Filthy Pirate, I’ll Wait aus „Pirates of the Caribbean: Dead Men Tell No Tales” (Geoff Zanelli)

Mir persönlich gab es im fünften Pirates-Score zu viel Wiederholung bereits bekannten Materials, zu wenig Variation und zu wenig tatsächlich neues Material. Aber dennoch hat Geoff Zanelli einige durchaus unterhaltsame Stücke zum Franchise beigesteuert. Kill the Filthy Pirate, I’ll Wait knüpft nahtlos an die Stärken der Action-Musik der Vorgänger an: Locker, elegant und mit diversen leitmotivischen Einspielungen, darunter die Up-Is-Down-Variation des Liebesthemas aus „At World’s End“, das neue Abenteuer-Thema dieses Films und natürlich Hoist the Colours.

Wonder Woman’s Wrath aus „Wonder Woman” (Rupert Gregson-Williams)

Einige Monate lang war Rupert Gregson-Williams Vertonung von „Wonder Woman“ der beste DCEU-Score. Er ist nun beileibe nichts Besonderes, ein klassischer, unterhaltsamer RCP-Actioner im Stil der 90er und frühen 2000er, der sich angenehm von „Man of Steel“ und „Batman v Superman“ abgrenzt, ohne deren Stilistik völlig aufzugeben. Fraglos wäre da noch mehr dringewesen, aber gerade in Tracks wie Wonder Woman’s Wrath gelingt es Gregson-Williams durchaus, das Potential seines Ansatzes auszuschöpfen und mit den musikalischen Identitäten der Hauptfigur zu spielen, sodass die Wildheit des BvS-Motivs Seite an Seite mit tatsächlich heroischer Musik stehen kann.

Spoils of War aus „Game of Thrones Staffel 7” (Ramin Djawadi)

Vom ersten militärischen Konflikt der Häuser Lannister und Targaryen kann man schon einiges erwarten. Während Djawadis Musik zur siebten GoT-Staffel wieder etwas schwächer ist als die zur sechsten, gibt es durchaus einige äußerst gelungene Stücke. Das zweiteilige Spoils of War schafft es, die Dramatik der Schlacht gut zu vermitteln und spielt hervorragend mit den etablierten Themen. Besonders gelungen ist in meinen Augen natürlich die mal mehr, mal weniger subtile Einbindung von The Rains of Castamere, aber auch die Themen für Daenerys und die Unbefleckten dürfen glänzen.

Roland of Eld (Main Title) aus „The Dark Tower” (Tom Holkenborg)

Unglaublich, aber wahr: Tom Holkenborg erhält eine positive Erwähnung. Die Musik zur Stephen-King-Verfilmung „The Dark Tower“ schlägt in eine ähnliche Kerbe wie „Wonder Woman“ und weiß durchaus zu unterhalten – das gilt besonders für das Main-Title-Stück Roland of Eld, denn hier beweist Junkie XL, dass er durchaus hin und wieder in der Lage ist, etwas Melodisches und Ansprechendes zu komponieren.

Best of

Platz 15: King Arthur: Legend of the Sword (Daniel Pemberton)

Zugegebenermaßen kehre ich zu diesem Score nicht allzu oft zurück, aber ich möchte gelungene, innovative Andersartigkeit, die zudem nicht nur ein Gimmick ist, durchaus belohnen, wenn sie mir über den Weg läuft. Und wenn „King Arthur: Legend of the Sword“ eines ist, dann anders. Pembertons Musik besticht durch eine faszinierende Mischung aus altertümlichen Instrumenten und treibenden, modernen Rhythmen, die vage an Hans Zimmers Musik für „Sherlock Holmes“ erinnern – zufällig ebenfalls ein Guy-Ritchie-Film.

Platz 14: ES (Benjamin Wallfisch)

Und noch einmal Stephen King, dieses Mal von Benjamin Wallfisch, der mit „ES“ einen äußerst beeindruckenden Horror-Score liefert, dessen prägendstes Element die Verwendung eines alten britischen Kinderreims ist, natürlich auch von Kindern im Score gesungen – eine schaurige, unheimliche Angelegenheit. Darüber hinaus wird Wallfischs Score mitunter äußerst brutal und erinnert bezüglich seiner Intensität an „Drag Me to Hell“ von Christopher Young oder „Evil Dead“ von Roque Banos. Über all den Schrecken vergisst Wallfisch allerdings nicht, auch die jugendlichen Helden angemessen zu repräsentieren.

Platz 13: The Great Wall (Ramin Djawadi)

Auf gewisse Weise handelt es sich bei „The Great Wall“ um eine besser orchestrierte Version der Musik aus „Game of Thrones“. Na gut, vielleicht ist das etwas übertrieben, aber es gibt schon diverse Elemente, die direkt aus Westeros zu stammen scheinen, etwa ein zentrales Chorthema, das direkt dem Stück Mhysa entnommen wurde. Per se ist das allerdings nichts Schlechtes, im Gegenteil. Grundsätzlich bin ich der GoT-Musik durchaus wohlgesonnen, und da ich mir ohnehin eine etwas breitere instrumentale Palette dafür gewünscht habe, trifft „The Great Wall“ durchaus meinen Geschmack. Die Präsenz diverser asiatischer Instrumente ist natürlich ebenfalls nicht zu verachten.

Platz 12: Die Schöne und das Biest (Alan Menken)

Nur ziemlich selten bekommen Komponisten die Gelegenheit, denselben Film noch einmal zu vertonen. Natürlich gibt es durchaus Unterschiede zwischen dem Original aus den 90ern und dem Realfilmremake. Dennoch ist es schön zu sehen, wie Alan Menken noch einmal zu seinen Wurzeln zurückkehrt, die gelungenen Melodien beibehält, dabei aber zeigt, wie er sich in den letzten zwanzig Jahren als Komponist weiterentwickelt hat. Dieses Urteil gilt allerdings nur für den Score, nicht für die neu eingespielten Songs, die bei der Originalaufnahme definitiv weit überlegen sind.

Platz 11: Lego Batman/Captain Underpants (Lorne Balfe/Theodore Shapiro)

Diese beiden Scores sind sich in ihrer Konzeption sehr ähnlich, weshalb sie sich einen Platz teilen. Sowohl „Captain Underpants“ als auch „The Lego Batman Movie“ parodieren auf liebevolle, unterhaltsame und kreative Weise die musikalischen Eigenheiten des Superheldengenres. Lorne Balfes Musik nimmt sich dabei eher den modernen, Zimmer-geprägten Stilmitteln an, verpasst ihnen aber eine große Dosis abgedrehter Hyperaktivität, während Theodore Shapiro in größerem Ausmaß auf die Klassiker des Genres zurückgreift.

Platz 10: Tokyo Ghoul (Don Davis)

Nach dem Ende der Matrix-Trilogie wurde es sehr schnell still um Don Davis, der sich aus der Filmmusik zurückzog und u.a. eine Oper komponierte. Mit „Tokyo Ghoul“ kehrt er nun in den Soundtrack-Bereich zurück. Dabei ist zwar kein revolutionärer neuer Score entstanden, aber doch ein äußerst solides Werk, das vor allem in dem einen oder anderen Action-Track über klare Matrix-Bezüge verfügt, dabei aber auch ein wenig positiver und leichter daherkommt als die Musik der Wachowski-Dystopie. Da mir diese Tonalität äußerst gut gefällt und Don Davis darüber hinaus einen ziemlich einzigartigen Stil hat, ist „Tokyo Ghoul“ ein äußerst willkommenes Kleinod für alle, die seine Stimme seit der Matrix-Trilogie vermisst haben.

Platz 9: Guardians of the Galaxy Vol. 2 (Tyler Bates)

So langsam macht sich Tyler Bates. Ursprünglich war er ein Komponist, mit dem ich absolut nichts anfangen konnte und dessen Arbeit ich für äußerst uninspiriert hielt (was auf seine früheren Werke auch nach wie vor zutrifft). Mit den beiden Guardians-Scores hat sich das allerdings geändert, mit Teil 2 hat er den gelungenen ersten Teil noch einmal überboten. Wo es in Teil 1 noch einige langweilige und dröge Passagen gab, weiß Vol. 2 von Anfang bis Ende durchgehend exzellent zu unterhalten. Das Guardians-Thema kehrt in all seiner Pracht zurück, und auch die sekundären Themen, die Action-Musik und die emotionalen Tracks wissen zu überzeugen.

Platz 8: Thor: Ragnarok (Mark Mothersbaugh)

Mark Mothersbaugh nahm sich die anhaltende (und in meinen Augen nicht immer gerechtfertigte) Kritik an den Scores des MCU zu Herzen und bemühte sich, einen distinktiven Soundtrack abzuliefern, in dem er orchestrale Klänge mit Retro-Synth-Material der 80er mischte. Zumindest für mich ist dieses Konzept ziemlich gut aufgegangen. Ich bin ja nun nicht der größte Fan besagter Retro-Synth-Elemente, aber die Kombination funktioniert einfach ziemlich gut, besonders, weil beide Aspekte fachmännisch umgesetzt sind. Noch dazu hat Mothersbaugh einige gelungene Rückbezüge auf bisherige Marvel-Scores eingebaut, was noch Bonuspunkte gibt.

Platz 7: Kingsman: The Golden Circle (Henry Jackman, Matthew Margeson)

Und noch ein Karrierehöhepunkt, dieses Mal für Henry Jackman und Matthew Margeson. Zwar habe ich nach wie vor eine ziemliche Schwäche für „X-Men: First Class“, aber ich denke, „Kingsman: The Golden Circle“ könnte tatsächlich Jackmans bislang bester Score sein. Der lebhafte Bond-Vibe des erwähnten Superhelden-Scores und natürlich des direkten Vorgängers ist auch in „The Golden Circle“ vorhanden, aber Jackman und Margeson arbeiten noch weitaus besser damit. Hinzu kommen die Americana-Stilmittel, die die Statesmen repräsentieren – das Ergebnis ist ein verdammt unterhaltsamer und kurzweiliger Score.

Platz 6: Die Mumie (Brian Tyler)

Bis heute habe ich mich geweigert, diesen Reboot anzuschauen. Nicht, dass ich der Dark-Universe-Idee bzw. dem Plan, verschiedene klassische Horror-Kreaturen aufeinandertreffen zu lassen, per se nichts abgewinnen könnte (schließlich wurde das in „Penny Dreadful“ durchaus gelungen umgesetzt), aber die ganze Herangehensweise und Konzeption dieses Films stinkt nach Filmuniversum als Selbstzweck. Immerhin: Brian Tyler scheint dieser Streifen inspiriert zu haben, denn meinem Empfinden nach hat er hier einen seiner besten Scores der letzten Jahre abgeliefert. Ich habe ja schon mehrfach meine Liebe zu Hollywoods Ägypten-Sound bekundet, und natürlich ist er auch hier vorhanden – nicht ganz so dominant wie in Jerry Goldsmiths Mumien-Score oder „Gods of Egypt“ aus dem letzten Jahr, aber dennoch. Eingängige Themen, tolle Action-Musik und exotische Instrumente, was will man mehr?

Platz 5: Spider-Man: Homecoming (Michael Giacchino)

Wie war das nochmal mit der allgegenwärtigen Kritik an den Scores des MCU? Zumindest ich kann mich dieses Jahr über keinen der drei Vertreter beschweren, denn auch Michael Giacchino hat exzellente Arbeit abgeliefert, vor allem dank der gelungenen Identität für Spider-Man, die sich sowohl auf das Avengers-Thema, als auch auf das klassische Spider-Man-Zeichentrick-Titellied Bezug nimmt und somit eines der am besten durchdachtesten Themen des Jahres ist. Zudem wird es auch noch mannigfaltig und ausgiebig variiert und macht sich sowohl für komödiantische Szenen als auch als Action-Motiv äußerst gut. Und als ob das nicht genug wäre, gibt es auch noch ein gelungenes Schurkenthema und zwei Gastauftritte von Alans Silvestris Avengers-Thema. Die einzige Schwäche ist das neue Motiv für Iron Man, das es wirklich nicht gebraucht hätte, schließlich haben wir Brian Tylers weitaus gelungenere Komposition.

Platz 4: A Cure for Wellness (Benjamin Wallfisch)

Film und Score sind, anders als „ES“ eher unter dem Radar geblieben – völlig zu Unrecht. „A Cure for Wellness“ ist eine herrliche Liebeserklärung an das Gothic-Horror-Genre, und der Score folgt diesem Ansatz perfekt. Zwar fehlt ihm die schiere Brutalität von „ES“, aber seine lyrischen Momente sind noch weitaus besser gelungen, und es mangelt ihm definitiv nicht an alptraumhafter Intensität. Zusätzlich werden auch noch zwei wunderbar zusammenpassende Themen geboten. Benjamin Wallfisch ist gerade dabei, sich zum Horrorkomponisten par excellence zu entwickeln, wenn er so weitermacht, kann er bald Christopher Young das Wasser reichen.

Platz 3: Justice League (Danny Elfman)

Von vielen gescholten ist Danny Elfmans Rückkehr ins DC-Universum doch ein verdammt gelungener Score. Nicht, dass er frei Schwächen wäre (wobei viele davon aus dem Film resultieren, den er untermalt), aber im Großen und Ganzen kann ich viele der Vorwürfe, die diesem Score gemacht werden, absolut nicht nachvollziehen, vor allem wenn behauptet wird, diese Musik sei uninspiriert und generisch. Wer sich mit orchestraler Filmmusik auskennt, sollte, selbst wenn die Musik selbst nicht zu gefallen weiß, zumindest erkennen, was für ein Aufwand in sie geflossen ist, wie anspruchsvoll und komplex die Orchestrierungen sind und wie hervorragend und detailfreudig Elfman mit Themen und Motiven arbeitet – bisher gab es im DCEU nichts, das auf einem technischen Level mit diesen Kompositionen mithalten könnte. Anders als Zimmer und Holkenborg hat sich Elfman dazu entschlossen, weniger die spezifische DCEU-Interpretation dieser ikonischen Figuren zu vertonen (die bereits in „Man of Steel“ nicht gelungen war und mit „Justice League“ endgültig völlig inkohärent ist), sondern die eigentliche Essenz Figuren an sich – deshalb auch die Verwendung der ikonischsten DC-Themen.

Platz 2: Valerian – Die Stadt der tausend Planeten (Alexandre Desplat)

Alexandre Desplat ist ein Komponist, der bisher immer gute und kompetente Arbeit abgeliefert hat, allerdings hat bislang das Opus Magnum, das Vorzeigewerk zumindest meinem Empfinden nach gefehlt. Das hat sich mit „Valerian – Die Stadt der tausend Planeten“ nun geändert. Ein wenig erinnert mich die Situation an „Jupiter Ascending“ – in beiden Fällen haben wir einen recht schwachen Sci-Fi-Film (wobei „Valerian“ „Jupiter Ascending“ immer noch haushoch überlegen ist), der einen Komponisten ohne Ende inspirierte. Hier haben wir wirklich ein orchestrales Meisterwerk voller kreativer Instrumentierung, schöner Themen und orchestraler Opulenz.

Platz 1: Star Wars Episode VIII: Die letzten Jedi (John Williams)

Ich hatte mir sehr lange überlegt, Episode VIII doch auf den zweiten Platz zu setzen und „Valerian“ die Krone zu verleihen, denn gemessen am Standard dieses Franchise ist Williams achter Star-Wars-Score einer der schwächeren: Es gibt nur zwei wirklich neue Themen (und ein Motiv, das aber ziemlich untergeht), die wohl kaum noch in zehn Jahren in Konzertsälen gespielt werden dürften und auch im Vergleich mit den neuen Themen aus „Das Erwachen der Macht“ eindeutig den Kürzeren ziehen; und auch mit den bereits etablierten Identitäten hätte man noch mehr machen können. Allerdings gilt: Ein schwächerer Star-Wars-Score von John Williams ist allem anderen meistens immer noch haushoch überlegen. Williams‘ absolute Beherrschung des Orchesters in all seinen Facetten bleibt unübertroffen, das Zusammenspiel der Myriade an Themen und Leitmotiven ebenfalls. Wie jeder andere Score des Franchise hat auch dieser mich wieder vollständig in seinen Bann gezogen und nicht mehr losgelassen, bis ich ihn vollständig erforscht hatte. Ich denke, dafür hat er sich den ersten Platz verdient.

Thor: Ragnarok – Soundtrack

Spoiler!
ragnascore
Track Listing:

01. Ragnarok Suite
02. Running Short on Options
03. Thor: Ragnarok
04. Weird Things Happen
05. Twilight of the Gods
06. Hela vs. Asgard
07. Where am I?
08. Grandmaster’s Chambers
09. The Vault
10. No One Escapes
11. Arena Fight
12. Where’s the Sword?
13. Go
14. What Heroes Do
15. Flashback
16. Parade
17. The Revolution Has Begun
18. Sakaar Chase
19. Devil’s Anus
20. Asgard Is a People
21. Where To?
22. Planet Sakaar
23. Grandmaster Jam Session

Nun ist mit „Thor: Ragnarok“ auch die dritte MCU-Trilogie vollendet. Ganz ähnlich wie beim Avengers-Kollegen Iron Man hat jeder der drei Thor-Filme einen anderen Komponisten und ein neues Thema für den Titelhelden – ein Umstand, der mich als Liebhaber musikalischer Kontinuität doch etwas aufregt. Immerhin, wie schon Brian Tyler, Christophe Beck und Michael Giacchino macht auch Mark Mothersbaugh, der die Musik für Taika Waititis Interpretation des nordischen Donnergotts komponierte, einige Zugeständnisse an den bisherigen MCU-Musikfundus.

Ursprünglich wollten Waititi und Mothersbaugh für „Ragnarok“ sogar einen völlig elektronischen Score im 80er-Jahre-Stil, gegen diesen Plan wehrte sich das Studio allerdings, worüber ich recht froh bin, denn das wäre doch ein ziemlicher Stilbruch gewesen. Somit verfügt „Ragnarok“ nun über einen Hybriden aus orchestralen Klängen und 80er-Synth-Rock. Damit entspricht „Ragnarok“ durchaus dem Zeitgeist; derartige Klänge und die damit verbundene Nostalgie sind gerade modern, sei es bei „Blade Runner 2049“, in welchem der von Vangelis im ursprünglichen Film eingesetzte Yamaha CS-80 Synthesizer eine Fusion mit den tiefen Zimmer-Bässen einging, „Stranger Things“ mit einem reinen Synth-Score oder „Deadpool“, bei welchem Tom Holkenborg ebenfalls Orchester und 80er-Jahre-Elektronik kombinierte. Von all diesen nostalgisch angereicherten Scores ist Mothersbaughs Arbeit in meinen Augen die mit Abstand beste. Ich bin nun kein allzu großer Fan von Synth-Scores, aber so, wie Mothersbaugh die Elemente kombiniert und miteinander arbeiten lässt, weiß die Mischung zu überzeugen, denn anders als etwa bei „Deadpool“ verfügen die orchestralen Teile tatsächlich über Substanz, während die elektronischen nicht zum reinen Gimmick verkommen. Der Score, dem dieser hier klanglich am ähnlichsten ist, dürfte Daft Punks „Tron Legacy“ sein.

Zwar sind sowohl das Orchester als auch die Synth-Elemente fast durchgehend vorhanden, es fällt aber auf, dass das Orchester in den Asgard-Szenen sehr dominant ist, während die elektronischen und synthetischen Klänge auf Sakaar überwiegen – in meinen Augen eine sehr gelungene Abgrenzung, die dabei hilft, die Schauplätze angemessen musikalisch zu charakterisieren. Natürlich gibt es auch einige höchst amüsante Stücke, die sich die Hybridnatur dieses Scores in größerem Ausmaß zunutze machen, etwa Arena Fight, das eine elektronisch pulsierende Begleitung mit beeindruckenden Chor- und Blechbläsereinsätzen kombiniert. Wer dagegen eher auf pure elektronische Exzentrik steht, dürfte mit Tracks wie Grandmaster’s Chambers, Parade, The Revolution Has Begun, und natürlich dem abschließenden Grand Master Jam Session glücklich werden.

Leitmotivisch ist Mothersbaughs Arbeit weniger üppig, da er vor allem durch Instrumentierung erzählt und untermalt. Es gibt jedoch ein neues Thema für Thor, das zumindest auf mich so wirkt, als hätte er sich ein wenig von den beiden bisherigen Themen des Donnergottes von Patrick Doyle und Brian Tyler ausgeborgt und daraus ein neues Leitmotiv konstruiert. Zum ersten Mal ist besagtes Thema auf dem Album nach einem kurzen atmosphärischen Vorspiel am Anfang von Ragnarok Suite zu hören. Bei diesem Track handelt es sich um ein sehr gelungenes Medley, das vor allem die orchestrale Seite des Scores repräsentiert, während sich die elektronischen Elemente etwas zurückhalten – dementsprechend zieht sich Thors Thema durch das ganze Stück. Im dritten Track des Albums, Thor: Ragnarok, erklingt eine Version des Themas, die weitaus stärker nach 80er-Jahre-Synth-Rock klingt, speziell, wenn die getragene E-Gitarre das Thema von den Blechbläsern übernimmt. In Grandmaster’s Chambers ist zu Beginn eine dekonstruierte Synth-Version des Themas zu hören, ebenso wie im Verlauf von No One Escapes und Arena Fight. In voller Stärke kehrt das Thema dann im 80er-Gewand in What Heroes Do und in der zweiten Hälfte von The Revolution Has Begun zurück. Auch in die Actionmusik von Sakaar Chase und dem organischeren (und grandios betitelten) Devil’s Anus ist es eingearbeitet und hat somit eine durchaus zufriedenstellende Präsenz sowie eine angemessene Entwicklung im Score, die die des Protagonisten gut widerspiegelt. Besonders emotionale Versionen sind in den beiden folgenden Stücken, Asgard Is a People und Where to? zu hören, bevor man als Zuhörer in Planet Sakaar zum Abschluss noch einmal die volle Synth-Drönung serviert bekommt.

Hela dagegen hat kein eigenes, spezifisches Thema, sondern wird von brachialen Blechbläser- und Chorausbrüchen untermalt; exemplarisch ist die zweite Hälfte von Twilight of the Gods sowie Hela vs. Asgard. Ähnlich verhält es sich mit dem Grandmaster (und Sakaar im Allgmeinen); Planet wie Herrscher sind musikalisch von pulsierender Elektronik und Retro-Synth-Elementen geprägt, die ab Where Am I? mit einigen Ausnahmen (etwa The Vault) den Score dominieren; No One Escapes oder Sakaar Chase sind hierfür die besten Beispiele. Ganz ähnlich verfährt Mothersbaugh auch mit anderen Figuren. So wird Odin in der ersten Hälfte von Twilight of the Gods durch die nordische Hardangerfiedel repräsentiert, während der Feuerriese Surtr in Running Short on Options mithilfe eines Männerchors musikalisch untermalt wird – beides erinnert an Howard Shores Musik zur Herr-der-Ringe-Trilogie, wo mit den Rohirrim und dem Balrog ähnlich verfahren wird.

Und schließlich wären da noch Mothersbaughs Rückbezüge auf bisherige Marvel-Scores. Abermals geschieht das nicht ganz in dem Umfang, den ich für angemessen halte, aber ich bin froh über jeden Knochen, den man mir hinwirft. Weird Things Happen untermalt den Gastauftritt von Doctor Strange, was man sofort heraushört – zwar zitiert Mothersbauh nicht das Giacchino-Thema, imitiert aber die charakteristische Instrumentierung. In der Szene, in der Thor versucht, den Hulk auf Black-Widow-Art zur Zurückverwandlung zu bewegen, ist das von Brian Tyler komponierte Beziehungsthema der beiden aus „Age of Ultron“ zu hören – dieser Einsatz ist nicht auf dem Album zu finden, was aber nicht weiter stört, da es eine Direktübernahme und keine neue Variation sein dürfte. Der gelungenste Rückbezug findet sich allerdings in Where To?: Als Thor die Bürde des Königtums annimmt, zitiert Mothersbaugh Patrick Doyles Thor-Thema und spielt es für einige Sekunden sogar im Kontrapunkt zu seinem eigenen Thema – da geht dem Leitmotiv-Fan das Herz auf. Nur schade, dass dieser Moment so kurz ist und so abrupt endet.

Zum Schluss noch ein paar Worte zum Immigrant Song von Led Zeppelin, der bereits im ersten Ragnarok-Trailer eingesetzt wurde und für Begeisterung sorgte. Im Film taucht er ebenfalls auf, einmal am Anfang, um Thors erste Action-Szene zu untermalen, und noch einmal am Ende, wo der Donnergott sein volles Kraftpotential ausschöpft. Die Verwendung finde ich insofern interessant, da besagtes Lied im Trailer eher Hela zu repräsentieren schien und nicht Thor. Ansonsten wirkt der Einsatz auf mich ein wenig erzwungen, das gilt vor allem für die zweite Einspielung. An dieser Stelle hätte sich in meinen Augen Brian Tylers chorlastige Powerhymne aus „Thor: The Dark World“ weitaus besser gemacht – so hätte „Ragnarok“ erfolgreich beide musikalischen Identitäten des Donnergotts verarbeitet.

Fazit: So langsam kann ich die anhaltende Kritik an den Marvel-Scores nicht mehr nachvollziehen, denn mit „Thor: Ragnarok“ liefert Mark Mothersbaugh einen weiteren gelungenen und ziemlich distinktiven Vertreter ab. Aufgrund der Retro-Synth-Elemente ist dieser Score nicht ganz meine Kragenweite, aber im Kontext funktionieren sie hier exzellent.

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Siehe auch:
Thor: Raganrok – Ausführliche Rezension

Spider-Man: Homecoming – Soundtrack

Spoiler!
homecomingscore
Track Listing:

01. Theme from the Spider Man Original Television Series
02. The World is Changing
03. Academic Decommitment
04. High Tech Heist
05. On a Ned-To-Know Basis
06. Drag Racing/An Old Van Rundown
07. Webbed Surveillance
08. No Vault of His Own
09. Monumental Meltdown
10. The Baby Monitor Protocol
11. A Boatload of Trouble Part 1
12. A Boatload of Trouble Part 2
13. Ferry Dust Up
14. Stark Raving Mad
15. Pop Vulture
16. Bussed a Move
17. Lift Off
18. Fly-by-Night Operation
19. Vulture Clash
20. A Stark Contrast
21. No Frills Proto COOL!
22. Spider-Man: Homecoming Suite

Ähnlich wie Batman hat auch Spider-Man in seiner Filmgeschichte eine ganze Anzahl von großen Namen gesammelt, die schon für ihn komponiert haben: Danny Elfman, Christopher Young, James Horner, Hans Zimmer und nun auch Michael Giacchino, der gegenwärtig ohnehin Franchises in seinem Resümee sammelt wie andere Leute Briefmarken. Seinen MCU-Einstand feierte er letztes Jahr mit „Doctor Strange“, während der Score zu Pixars „Die Unglaublichen“ als Giacchinos erste Superheldenarbeit überhaupt gelten kann. Wie so viele andere Komponisten auch hat Giacchino natürlich diverse Eigenheiten, die seinen Stil ausmachen, er ist aber auch ein äußerst vielseitiger Komponist. Das zeigt sich gerade, wenn man seine bisherigen Superhelden-Scores miteinander vergleicht. „Die Unglaublichen“ war von an John Barrys Bond-Scores erinnernden Jazz-Elementen geprägt, während „Doctor Strange“ durch schräge Instrumentenkombinationen (etwa E-Gitarre, Cembalo und Sithar) einen sehr psychedelischen Eindruck erweckte. In mancher Hinsicht ist „Spider-Man: Homecoming“ da etwas konventioneller, aber dennoch distinktiv.

Giacchino knüpft an eine ganz klassische Genre-Tradition an: Das Thema des Helden steht im Mittelpunkt. Besagtes Thema ist ebenfalls sehr klassisch konstruiert, eine lange Melodie mit A- und B-Phrase, wobei die A-Phrase oft als Heldenfanfare fungiert, während die B-Phrase eher emotionale Elemente untermalt. Ich möchte in diesem Kontext darauf hinweisen, dass Spider-Mans Thema ein äußerst cleveres Leitmotiv ist, das spezifisch auf diese Version der Figur zugeschnitten ist. Auf gewisse Weise handelt es sich um eine Fusion zweier bereits bestehender Themen: Giacchino leiht sich einige Akkorde und Intervalle von den beiden Avengers-Themen von Alan Silvestri und Danny Elfman und kombiniert diese mit dem allseits bekannten und beliebten Spider-Man-TV-Thema, das das Marvel-Logo untermalt und das Soundtrack-Album eröffnet (Theme from the Spider Man Original Television Series, ursprünglich komponiert von J. Robert Harris und Paul Francis Webster, neu arrangiert von Giacchino). Somit knüpft Giacchino einerseits an die Spider-Man-Tradition an (das TV-Thema war in den meisten Spider-Man-Filmen auf die eine oder andere Art zu hören, etwa als Klingelton von Peter Parkers Handy oder gesungen von einem Straßenmusikanten), verdeutlicht aber andererseits, dass dieser Spider-Man Teil des MCU ist und ein Avenger werden möchte. Ich muss zugeben, als ich Giacchinos Thema zum ersten Mal (und mehr so nebenbei) hörte, war ich nicht ganz so begeistert, aber schon beim Durchhören des Albums und spätestens beim Anschauen des Films fiel mir auf, wie clever dieses Thema konstruiert ist und wie gut es ins MCU passt. Hinzu kommt, dass es nicht nur ein ziemlicher Ohrwurm ist, sondern dass Giacchino es auch großzügig und gut variiert einsetzt.

Gerade diesbezüglich scheinen manche Komponisten (oder Regisseure) fast schon Angst vor einem heroischen Thema zu haben – man denke nur an die letzten beiden X-Men-Filme. John Ottman hat bereits für „X2: X-Men United“ ein markantes Thema für die Mutanten kompiniert, das er zwar in „X-Men: Days of Future Past“ und „X-Men: Apocalpyse“ wieder aufgreift, aber außerhalb des Vor- und Abspanns kaum einsetzt. Selbst in „Doctor Strange“ wurde das Motiv des Titelhelden verhältnismäßig sparsam verwendet. „Spider-Man: Homecoming“ ist da eine angenehme Abwechslung, in fast jedem Track des Albums taucht das Thema in der einen oder anderen Form auf, ohne lästig zu werden – mal als heroische Belchbläserfanfare (No Frills Proto COOL!), mal als Orchester-Pop-Hybrid (Academic Decommitment), mal fast schon romantisch (am Ende von No Vault of Its Own) und mal sehr emotional (am Ende von Vulture Clash). Besonders oft greift Giacchino allerdings auf Pizzicato-Streicher zurück (On a Ned-to-Know Basis ist ein besonders gute Beispiel), sodass manchmal der Eindruck entsteht, Giacchino habe einen Hybriden aus seinem gewöhnlichen Action/Abenteuer-Stil und Alexandre Desplats Score für „The Grand Budapest Hotel“ geschaffen, besonders, wenn die Snare Drums dazukommen.

Das zweite große Thema des Scores gilt dem Schurken, Adrian Toomes alias The Vulture. Es wird bereits in The World is Changing (bei 3:11) eingeführt, hier noch sehr subtil. Spätere Versionen des Themas sind um einiges brutaler und blechbläserlastiger, etwa am Ende von The World is Changing oder im Drittel von Drag Racing/An Old Van Rundown. Besonders hervorzuheben sind die äußerst bedrohlichen und effektiven Variationen in Pop Vulture, die die Autfahrt zum Homecoming-Ball untermalen. Darüber hinaus hat Toomes auch noch einen Begleitrhythmus, der sein Thema manchmal unterlegt (etwa ab 0:37 in Lift Off), oft aber auch einfach solo gespielt wird, zum Beispiel am Anfang von A Boatload of Trouble Part 1 oder Pop Vulture. Dieser Rhythmus könnte den technologischen Aspekt der Figur untermalen. Insgesamt ist Toomes‘ Thema eine eher typische Giacchino-Schurkenmelodie, die u.a. an Neros Thema aus „Star Trek“ erinnert, aber ihren Zweck erfüllt sie definitiv.

Das dritte wichtige Thema ist zugleich mein größter Kritikpunkt an diesem Score, es gilt nämlich Tony Stark/Iron Man. Am Ende von Drag Racing/An Old Van Rundown taucht es zum ersten Mal als Fanfare auf, auch im letzten Drittel von Ferry Dust Up erklingt eine äußerst heroische Version, eine ruhigere Holzbläservariation ist nach der Einminutenmarke in A Stark Contrast zu hören. Ein wenig erinnert dieses Thema an das bereits erwähnte X-Men-Thema von John Ottman, aber das ist nicht, was mich daran stört. Warum, warum braucht Iron Man schon wieder ein neues Thema, das ist jetzt das vierte oder fünfte im MCU für diese Figur? Wäre es so schwer gewesen, Brian Tylers Leitmotiv aus „Iron Man 3“ weiterzuverwenden? Besonders enttäuschend ist dieser Umstand angesichts der Tatsache, dass an anderer Front ja durchaus auf leitmotivische Kontinuität geachtet wurde. Nicht nur knüpft das Spider-Man-Thema an das bisherige musikalische MCU an, Alan Silvestris Avengers-Thema bekommt Gastauftritte, einmal (sehr subtil) direkt am Anfang von The World is Changing, als Adrian Toomes die Zeichnung seiner Tochter betrachtet und noch einmal am Anfang von A Stark Contrast, als Peter das neue Hauptquartier der Avengers besucht.

Die Abwesenheit von Tylers Iron-Man-Thema ist zugegebenermaßen Meckern auf ziemlich hohem Niveau, wahrscheinlich sollte ich schon froh sein, dass wenigstens das Avengers-Thema auftaucht und Marvel ein wenig auf thematische Kontinuität achtet, vor allem, da der Score auch sonst sehr viel zu bieten hat. Gerade im Actionbereich fährt Giacchino einiges auf, ein besonderes Highlight ist das frenetische Monumental Meltdown, in welchem sich zeigt, dass das Spider-Man-Thema auch als Action-Motiv exzellent funktioniert. Spätere Action-Tracks wissen ebenfalls zu überzeugen, etwa das das Finale untermalende Trio, bestehend aus Lift Off, Fly-by-Night Operation und Vulture Clash, in welchem Giacchino die Themen für Spider-Man und Toomes sehr schön miteinander ringen lässt.

Das Album selbst wird schließlich mit der Spider-Man: Homecoming Suite beendet, die noch einmal die wichtigsten Themen enthält, darunter A- und B-Phrase des Spider-Man-Themas in mehreren Variationen sowie Thema und Begleitrhythmus von Adrian Toomes. Lediglich das neue Iron-Man-Thema fehlt, dafür deutet Giacchino hier ab der Vierminutenmarke eine romantische Melodie an, die vielleicht einen Ausblick auf das Liebesthema von Peter und „MJ“ im Homecoming-Sequel gibt.

Fazit: Für Spider-Mans MCU-Debüt hat Michael Giacchino einen Score komponiert, der sich weder vor den bisherigen Spider-Man-Soundtracks, noch vor der restlichen Marvel-Musik verstecken muss und sich sehr gut einfügt in den Kanon der Marvel-Musik einfügt. Kurzweilig, eingängig, unterhaltsam – weiter so.

Titelbildquelle

Siehe auch:
Spider-Man: Homecoming
Marvel-Musik Teil 4: Spider-Man

Spider-Man: Homecoming

homecoming
Story: In Deutschland im Einsatz hat Peter Parker (Tom Holland) als Spider-Man Blut geleckt und hofft nun auf eine Karriere als Avenger, hat er doch jetzt einen professionellen Anzug, ausgestattet mit allem, was man sich so wünschen kann, und in Tony Stark (Robert Downey jr.) zumindest theoretisch einen Mentor. Dieser empfiehlt ihm allerdings, sich erst einmal um „Kleinkram“ zu kümmern und sich von den großen Sachen fernzuhalten. Natürlich gibt es da durchaus auch das eine oder andere halbwegs alltägliche Teenagerproblem: Peters Freund Ned (Jacob Batalon) findet heraus, dass Peter heimlich ein Superheld ist und sein Schwarm Liz (Laura Harrier) interessiert sich viel mehr für Spider-Man als für ihn. Eine größere Herausforderung kommt schließlich in Gestalt von Adrian Toomes (Michael Keaton), der sich der technologischen Überbleibsel diverser Auseinandersetzungen wie der Schlacht um New York bemächtigt und daraus neue Waffen baut, um sie auf dem Schwarzmarkt zu verhökern….

Kritik: Die meisten fortlaufenden Superheldencomicserien arbeiten mit Handlungsbögen, die sich meistens über vier bis sechs Hefte erstrecken. Immer mal wieder gibt es dann dazwischen Einzelhefte, die eher Füllmaterial sind und dem Leser die Möglichkeit geben, zwischen größeren Ereignissen Luft zu holen, da sie nichts Nennenswertes beisteuern. „Spider-Man: Homecoming“ ist das MCU-Äquivalent eines derartigen Einzelhefts. In mancher Hinsicht ist das erfrischend, sowohl im Kontext des MCU als auch im Rückblick auf die bisherigen Spider-Man-Filme. Wir haben nun wirklich oft genug gesehen, wie ein Superschurke versucht, eine Stadt oder gleich die ganze Erde zu vernichten – selbst bodenständigere Helden wie Batman oder eben Spider-Man hatten zumindest mit Ersterem schon mehrfach alle Hände voll zu tun.

Rein formal bzw. technisch gibt es an „Homecoming“ relativ wenig auszusetzen, der Film ist stringent konstruiert, humorvoll, unterhaltsam, die Darsteller sind durch die Bank gut bis sehr gut und der Film fügt sich recht harmonisch ins MCU ein (mit Ausnahme der Jahresangabe, die nicht ganz passen kann). Zwar bringt es das MCU als solches nicht weiter und fügt ihm auch nichts Signifikantes hinzu, aber das ist etwas, das ich diesem Film nicht zum Vorwurf machen möchte. Sein Hauptproblem würde ich mit „Mangel an Intensität“ umschreiben. Eines der Hauptanliegen von Sony und Disney war wohl, die Fehler der vorangegangenen Spider-Man-Filme nicht zu wiederholen. Beliebte Kritikpunkte sind zum Beispiel „zu überladen“, „zu viele Schurken“ oder „schon wieder die Thematisierung der Origin-Story und Motivation“. All dem geht „Homecoming“ mehr oder weniger geschickt aus dem Weg, gleichzeitig scheint es jedoch, als hätten Regisseur Jon Watts und seine fünf(!) Co-Autoren über diesem Vorhaben vergessen, dem Film auch tatsächlich Substanz und emotionale Tiefe zu verleihen.

Im romantischen Bereich ist das weniger tragisch. In jedem bisherigen Spider-Man-Film war der romantische Subplot stets von großer Wichtigkeit und bildete zumeist ein, wenn nicht sogar das emotionale Zentrum des Films. Mary Jane und Gwen waren jeweils DIE Frau für Peter, DIE große Liebe, da tut ein wenig Abwechslung gut. „Homecoming“ schildert diesbezüglich lediglich zaghafte erste Schritte, eben eine High-School-Beziehung. So weit so gut.

Aber auch sonst steht in „Homecoming“ extrem wenig auf dem Spiel. Wie oben gesagt brauche ich keine Städte, die in Schutt und Asche gelegt werden, aber ein gewisses Maß an emotionaler Involvierung sollte gewährleistet sein. Das kann zum Beispiel erreicht werden, in dem man eine persönliche Beziehung zwischen Held und Schurke aufbaut. Wenn wir uns für einen Moment an Sam Raimis ersten Spider-Man-Film erinnern: Im Finale stehen sich nur noch Peter und Norman Osborn gegenüber. Die Leben Unschuldiger stehen nicht mehr auf dem Spiel, aber wir sind als Zuschauer trotzdem noch involviert, weil die Konfrontation eine sehr persönliche ist – der Film hat ausreichend Zeit in die Beziehung von Peter und Norman investiert. Etwas Derartiges fehlt in „Homecoming“, und das ist besonders schade, weil die Anlagen dafür vorhanden sind. Michael Keatons Adrian Toomes ist gezielt als eine Art Anti-Tony-Stark inszeniert – das technische Genie aus der Arbeiterklasse, das sich Alien-Schrott zusammensuchen muss, im Gegensatz zu Tonys Hochglanzwerkstatt. Sogar die inzwischen ikonische „Im-Helm-Sicht“, die in „Iron Man“ etabliert wurde, wird für Toomes verwendet, und auch die Art, wie er aus seinen Flügeln aussteigt, erinnert stark an Iron Man. Der Film macht mit dieser Anlage aber kaum etwas. Es gibt einen kurzen Dialog zwischen Peter und Toomes, in dem Letzterer über „uns hier unten“ und „die da oben“ spricht, aber mehr wird nicht geboten. Ich werde das Gefühl nicht los, dass „Homecoming“ ein weitaus besserer und interessanterer Film gewesen wäre, hätte man sich entschieden, tatsächlich eine Mentor-Dualität zu etablieren: Tony Stark als der emotional unnahbare und unwillige gute Mentor und Adrian Toomes als der väterlich, aber letztendlich böse Mentor.

So, wie „Homecoming“ letztendlich konzipiert ist, ist alles verhältnismäßig belanglos, was für den ersten MCU-Solofilm einer Figur schon eher ungewöhnlich ist. Normalerweise sind es besagte erste Solofilme, in denen der Held seine größte Wandlung durchmacht, vom Normalo oder Arschloch zum Helden. Diese Wandlung fand für Peter allerdings schon Off-Screen statt, und auch sein Einstieg in eine größere Welt hat er bereits hinter sich. Die Wandlung, die er in „Homecoming“ durchmacht, bzw. die Lektion, die er lernt, ist minimal. In mancher Hinsicht ist „Homecoming“ vielleicht sogar ziemlich realistisch, denn wie oft lernt man schon fundamentale Lebenslektionen? Dennoch, der Umstand, dass fast nichts auf dem Spiel steht, schadet dem Film und sorgt dafür, dass die Spannung, trotz eigentlich sauberer Dramaturgie, mitunter auf der Strecke bleibt. Lediglich Michael Giacchinos Score wirkt der Belanglosigkeit der Handlung entgegen und sorgt dafür, dass sie sich wichtiger anfühlt, als sie ist.

Fazit: Rein formal begeht „Spider-Man: Homecoming“ nur wenig Fehler, gleichzeitig gelingt es der Disney/Sony-Co-Produktion jedoch nicht, eine Geschichte zu erzählen, die für den Titelhelden wirklich von Belang ist. Wo Sam Raimis Spider-Man-Filme oft sehr emotional und mitunter fast überdramatisch waren, geht der MCU-Spider-Man ins andere Extrem. Das sorgt für einen kurzweiligen und unterhaltsamen, aber letztendlich ziemlich vergessenswerten Film.

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Das Soundtrack-Jahr 2016 Teil 2

Enthält Spoiler zu GoT Staffel 6!

Bemerkenswerte Einzelstücke

Diese neue Kategorie ist gewissermaßen die Honourable-Mentions-Liste; hier finden sich Scores, die knapp an der Liste vorbeigeschrammt sind und/oder primär wegen bestimmter Einzelstücke in meine Auswahl kamen.

Jurassic Park aus „Swiss Army Man” (Andy Hull, Robert McDowell)

Da ich „Swiss Army Man“ noch nicht gesehen habe, kann ich nicht beurteilen, wie der Score im Film wirkt, aber er ist definitiv einer der schrägsten und kreativsten der letzten Jahre, denn die Komponisten Andy Hull und Robert McDowell haben für diesen Film einen Soundtrack geschaffen, der fast völlig ohne Instrumente auskommt, statt eines wie auch immer gearteten musikalischen Ensembles oder elektronischer Instrumente wird die Musik des Films von den beiden Komponisten und den beiden Hauptdarstellern Paul Dano und Daniel Radcliff gesungen. Das Ergebnis ist merkwürdig und faszinierend, besonders, wenn John Williams‘ Hauptthema aus Jurassic Park auf diese Art interpretiert wird. Ich weiß nicht, ob ich oft zu diesem Score zurückkehren werde, aber der kreative Ansatz der beiden Komponisten lässt sich nicht leugnen.

Dickensian Theme aus „Dickensian“ (Debbie Wiseman)

Ich finde es nach wie vor verdammt schade, dass es so wenige Filmkomponistinnen gibt und dass die wenigen, die es gibt, so wenig Aufmerksamkeit bekommen. Natürlich ist da Mica Levi, die mit ihrem Score zu „Jackie“ eine Oscarnominierung bekommen hat, aber leider muss ich sagen, dass mir sowohl ihre Musik als auch ihre Herangehensweise an das Vertonen eines Films absolut nicht zusagen. Ganz anders sieht es mit Debbie Wiseman aus, die mit „Arsène Lupin“ und „Lesbian Vampire Killers“ bereits sehr deutlich bewiesen hat, dass sie mehr als fähig wäre, einen großen Blockbuster zu stemmen. Ihr Score zur BBC-Serie „Dickensian“ hat es leider nicht ganz auf meine Top-Liste geschafft, aber das Hauptthema, eine eingängige und äußerst gelungene Melodie, die exzellent zum Konzept der Serie passt, sollte definitiv nicht unerwähnt bleiben.

Civil War aus „Captain America: Civil War” (Henry Jackman)

In zwei Fällen wurde ich dieses Jahr äußerst angenehm überrascht, nachdem die Scores der beiden direkten Vorgänger 2014 auf der Worst-off-Liste landeten. Zwar ist Henry Jackmans Musik für „Captain America: Civil War“ nicht ideal, aber doch um Welten besser als das, was er für „The Winter Soldier“ komponiert hat. Jackman bewegt sich in „Civil War“ weg von der Elektronik und den Zimmer-Stilmitteln und hin zu einem organischeren Sound. Und während es an wirklich einprägsamen Themen mangelt, ist Jackmans Leitmotivarbeit durchaus beeindruckend, wie sich im zentralen Stück Civil War zeigt, in dem er die diversen Motive gegeneinander arbeiten und sie kulminieren lässt.
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Apocalpyse aus „X-Men: Apocalypse“ (John Ottman)

Die zweite Überraschung; während „X-Men: Days of Future Past“ ein ausgezeichneter Film war, wusste mich der Score überhaupt nicht zu überzeugen. Bei „X-Men: Apocalypse“ ist eher umgekehrt. Ottmans dritter Score für das Franchise besticht primär durch ein enorm gelungenes und eingängiges Schurkenthema, das zweifellos zu den besten des Jahres gehört. Was „X-Men: Apocalpyse“ den Platz in den Top 20 kostet, ist der Umstand, dass der Score nach einem furiosen Auftakt ziemlich nachlässt und Ottman im weiteren Verlauf des Films ziemlich wenig mit dem Apocalypse-Thema macht, was angesichts der Qualität dieser Komposition verdammt schade ist. Sie quillt geradezu über vor köstlicher, religiöser Bösartigkeit, ist gnadenlos und besonders mit Chor ungemein beeindruckend.
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Light of the Seven aus „Game of Thrones Staffel 6“ (Ramin Djawadi)

Mein Verhältnis zur Musik von „Game of Thrones“ ist etwas zwiespältig: Einerseits ist es Ramin Djawadi durch den Fokus auf Streicher, speziell das Cello, gelungen, einen recht spezifischen Sound für Westeros zu kreieren (von einer ganzen Anzahl z.T. sehr gelungener Themen gar nicht erst zu sprechen), andererseits lässt er sich aber genau von diesem Sound letztendlich einschränken. Während ich die Musik der Staffeln 2 und 3 wirklich äußerst gelungen fand, waren 4 und 5 eher enttäuschend und boten nur wenig Entwicklung oder neue Ideen. Mit Staffel 6 findet Djawadi allerdings wieder zu alter (bzw. neuer), musikalischer Stärke. Vor allem das Stück Light of the Seven, das den Anfang der zehnten Episode untermalt und nebenbei ein sehr schönes Beispiel für die Verzahnung von Bild und Musik ist, ist wirklich herausragend, gerade weil hier Instrumente verwendet werden, die man in „Game of Thrones“ sonst selten hört: Das Klavier und die Orgel. Meisterhaft baut Djawadi hier ein äußerst melancholisches Motiv auf, das von Klavier und Streichern getragen wird, entwickelt es, lässt die Orgel und den Chor dazukommen, um dem ganzen eine sakrale Note zu verleihen, mischt immer mal wieder Fragmente des GoT-Hauptthemas hinein und entwickelt aus dem Klaviermotiv des Anfangs ein neues Streicherthema für Cersei Lannister, die erste ihres Namens, Königin der Andalen, (der Rhoynar) und der Ersten Menschen und Protekorin des Reiches. Dieses Thema wird im „Fortsetzungsstück“ Hear Me Roar wieder aufgegriffen und mit The Rains of Castamere kontrapunktiert. Herrlich!

Best of

Platz 10: The BFG (John Williams)

„The BFG“ ist ein Williams-Wohlfühl-Score, bei dem man genau das bekommt, was man erwartet: Den Maestro im Fantasy-Modus á la „Hook“ und „Harry Potter“. „The BFG“ ist sicher kein Soundtrack, der im Kanon der Williams-Meisterwerke viel Beachtung finden wird, was angesichts besagten Kanons allerdings auch nicht verwunderlich ist und verhältnismäßig wenig aussagt. Insgesamt ist „The BGF“ ein rundum gelungener Märchen-Soundtrack mit einer soliden Narrative und gelungenem thematischen Material, der eine schöne Ergänzung zu den anderen Kinder-Fantasy-Scores bildet und zeigt, dass Williams auch noch mit 85 Soundtracks auf einem qualitativen Level komponiert, das schlicht erstaunlich ist. So wie ich das als Bewunderer des Maestro sehe, ist jeder weitere Williams-Score ein grandioses Geschenk an seine Fans.
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Platz 9: Alice Through the Looking Glass (Danny Elfman)

Alice meets Avengers? Klingt schräg, funktioniert aber erstaunlich gut. „Alice Through the Looking Glass“ muss zwar ohne die Regieführung von Tim Burton auskommen, Danny Elfman ist allerdings als Komponist erhalten geblieben. Während der Film wohl ziemlich unterirdisch ist (ich werde ihn mir sowieso höchstens anschauen, um die Musik im Kontext zu hören), weiß Elfmans Score zu überzeugen. Wirklich neue Themen hat er für diesen Film nicht geschrieben, stattdessen greift er diverse Nebenmotive des ersten Teils wieder auf und entwickelt sie gekonnt weiter. Dasselbe tut er natürlich auch mit dem starken Hauptthema des Erstlings. Wirklich interessant ist jedoch, dass er, wie oben angedeutet, sich von der Orchestrierung des ersten Teils ein Stück weit entfernt und sich in größerem Maße der Blechbläser bedient, die schon in „Avengers: Age of Ultron“ hervorragend funktionier haben. Mit „Alice Through the Looking Glass“ zeigt Elfman geschickt, wie er zwei distinktive Stilebenen miteinander verbinden kann.

Platz 8: Penny Dreadful Season 2 & 3 (Abel Korzeniowski)

Auch in Staffel 2 und 3 der Horrorserie “Penny Dreadful“ weiß Abel Korzeniowski wieder zu überzeugen und baut gekonnt auf den Fundamenten von Staffel 1 auf. Seine Musik für die Serie besticht abermals durch die Kombination aus fast schon romantischem Drama und den düsteren Abgründen des Gothic-Horror-Genres. Vor allem die Streicher und der Chor werden in diesem Zusammenhang gefordert. Besonders erfreulich ist, dass Korzeniowskis weitere Musik für die Serie weitaus leitmotivischer geprägt ist, als das noch in Staffel 1 der Fall war. Nicht nur taucht das Hauptthema der Serie immer mal wieder auf, es gibt außerdem wiederkehrende Themen für die Hexen in Staffel 2 oder Dracula in Staffel 3 – besonders das Motiv des Vampirfürsten ist sehr interessant und taucht in vielen Formen und Verkleidungen immer wieder auf. Freunde der gepflegten Horrormusik á la Wojciech Kilar, Trevor Jones oder auch Danny Elfman machen mit den Penny-Dreadful-Alben definitiv nichts falsch.

Platz 7: Elliot der Drache (Daniel Hart)

Ursprünglich sollte Howard Shore für dieses Disney-Remake komponieren, was ich eine äußerst gute Wahl finde, denn Shore hat bewiesen, dass er sowohl für jugendliche Protagonisten („Hugo Cabret“), als auch für Drachen (Hobbit-Trilogie) exzellente Musik schreiben kann. Dann wurde Shore allerdings durch den ziemlich unbekannten Daniel Hart ersetzt, der in erster Linie Violinist ist und bisher noch kaum als Komponist von sich reden machte. Erfreulicherweise hat er gezeigt, dass er der Aufgabe voll und ganz gewachsen ist. Seine Musik für „Elliot der Drache“ ist ein rundum gelungenes, vollorchestrales Werk voller warmer Emotionen und schöner Themen, angereichert durch einige keltische und Elemente und Country-Einflüsse. Im Zentrum des Scores steht ein Freundschaftsthema, das fast so gelungen ist wie das ähnlich gelagerte aus John Powells „Drachenzähmen leicht gemacht“. Tatsächlich hat mich „Elliot der Drache“ mehr als einmal an eine amerikanischere und weniger frenetische Version von Powells Meisterwerk erinnert. Beide Scores haben definitiv einen distinktiven Sound, vermitteln aber dieselben Emotionen, etwa Freundschaft und das Gefühl des Fliegens, auf gleichermaßen wirkungsvolle Weise.

Platz 6: Kubo – Der tapfere Samurai (Dario Marianelli)

Und noch ein asiatisch angehauchter Score, dieses Mal von Dario Marianelli. Es gab in diesem Jahr ja bereits einige Hybriden dieser Sorte, Marianellis ist jedoch der eleganteste, interessanteste und vielseitigste (ich muss endlich den zugehörigen Film anschauen). Nicht nur ist die Instrumentierung und die Einbindung der asiatischen Instrumente, primär der Shamisen, einer japanischen Laute mit drei Saiten, meisterhaft, auch die thematische Arbeit ist bemerkenswert. An manchen Stellen erinnern mich Marianellis Kompositionen an Jerry Goldsmiths „Mulan“ (interessanterweise ist „Kubo“ weder der erste noch der letzte Score dieser Liste mit Goldsmith-Anleihen). Dario Marinaelli ist ein weiterer Komponist, der in meinen Augen oft völlig zu Unrecht unter Wert verkauft wird und viel mehr hochkarätige Projekte bekommen sollte, die gefühlt fast alle an Tom Holkenborg gehen.
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Platz 5: The Jungle Book (John Debney)

Man kann über die Filme der Disney-Remake-Welle sagen, was man möchte, die Musik war durchgehend exzellent. Umso erfreulicher ist es, dass das erste wirkliche gelungene Remake (wobei ich „Elliot der Drache“ noch nicht gesehen habe und deshalb auch noch nicht beurteilen kann) einen nicht minder gelungenen Score hat. John Debney ist einer der vielseitigsten gegenwärtig in Hollywood tätigen Komponisten, was allerdings zur Folge hat, dass ihm als Komponist eine wirkliche eigene Stimme fehlt. Im Guten wie im Schlechten erkennt man die Handschrift von John Williams, Danny Elfman, Hans Zimmer, James Horner oder Michael Giacchino zumeist problemlos. Debneys Kompositionen fehlt dagegen die besondere Ausprägung, die seinen Stil ausmacht. Allerdings ist das angesichts der Qualität seiner Arbeit zu verschmerzen – so auch bei „The Jungel Book“. Debney ist der Musik des Originals gegenüber beeindruckend loyal und arbeitet die Melodien der Lieder nicht nur auf gelungene Weise in den Score ein, sondern gewinnt ihnen sogar völlig neue Seiten ab. Wer hätte gedacht, dass sich Trust in Me zu adrenalingeladener Actionmusik umarbeiten lässt? „The Jungle Book“ besteht allerdings nicht nur aus adaptierten Liedern, Debney hat auch eine ganze Reihe neuer Themen komponiert, u.a. für Mowgli, Shere Kahn und die Elefanten (Letzteres klingt stark nach Goldsmith). Altes und Neues passt in diesem Score exzellent zusammen, sodass ein kohärentes und auch für Fans des Klassikers vollauf zufriedenstellendes Hörerlebnis entsteht.

Platz 4: Doctor Strange (Michael Giacchino)

Michael Giacchino dürfte gegenwärtig der populärste Komponist Hollywoods sein, jedenfalls hat er inzwischen bei fast jedem großen Franchise einen Fuß in der Tür. „Doctor Strange“ ist Giacchinos Marvel-Einstand – und was für einer. Ich war ursprünglich etwas enttäuscht, dass nicht Christopher Young, der mit Regisseur Scott Derrickson bereits an „Der Exorzismus der Emily Rose“ und „Sinister“ arbeitete, als Komponist verpflichtet wurde, aber Giacchino hat exzellente Arbeit abgeliefert. „Doctor Strange“ ist bezüglich seiner Themen eher konventionell, es gibt ein Thema für den Titelhelden, dass Giacchinos Star-Trek-Thema recht ähnlich ist, sowie ein Thema für die Älteste (beide werden bereits im ersten Track des Albums in umgekehrter Reihenfolge vorgestellt). Das Strange-Thema ist natürlich zweifelsohne das Hauptthema des Films, taucht in der ersten Hälfte allerdings fast ausschließlich in fragmentarischer Form auf. Was „Doctor Strange“ jedoch wirklich interessant macht, sind nicht so sehr die Themen selbst, sondern die Instrumentierung und die sonstigen Stilmittel, die Giacchino wählt. Gerade diesbezüglich ist „Doctor Strange“ ein kreativer Score voller schräger Kombinationen, die E-Gitarre taucht an der Seite des Cembalos auf, untermalt von indischen Instrumenten. Ebenso weiß die Actionmusik durch kreative Einfälle zu überzeugen und erreicht mitunter die Intensität von Don Davis‘ Matrix-Musik. So liefert Giacchino einen der bislang besten Marvel-Scores.
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Platz 3: Rogue One: A Star Wars Story (Michael Giacchino)

Ich habe mir lange überlegt, ob ich „Doctor Strange“ oder „Rogue One“ den Vorzug geben sollte. Zumindest bezüglich der Instrumentierung und der Actionmusik ist „Doctor Strange“ zweifellos der kreativere Score, allerdings ist „Rogue One“ die beeindruckendere Leistung und hat darüber hinaus auch die bessere Narrative. Trotz des Zeitdrucks ist es Giacchino nicht nur gelungen, sehr gelungene eigene Themen zu schreiben, er hat auch noch die Williams-Originale mit viel Liebe fürs Detail integriert. Addiert man noch den Star-Wars-Fanbonus, dann gewinnt „Rogue One“.
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Platz 2: Gods of Egypt (Marco Beltrami)

Es wird wohl langsam zur Tradition, dass sich auf Platz 2 der Score eines Films findet, der ziemlicher Müll ist. 2014 war es „Maleficent“, 2015 „Jupiter Ascending“ und nun „Gods of Egypt“, der sich da perfekt einreiht: Ein hirnloses CGI-Spektakel, das aus den ägyptischen Göttern Transformers macht. Dass gerade dieses Filme derartige hochwertige Musik inspirieren… Und dabei ist Marco Beltrami ein Komponist, dem ich sonst nicht allzu viel abgewinnen kann, irgendwie gelingt es ihm nicht so recht, mich emotional abzuholen. Insofern ist es vielleicht gar nicht so verwunderlich, dass „Gods of Egypt“ seine in meinen Augen mit weitem Abstand beste Arbeit ist; dieser Score klingt weniger nach Beltrami als nach dem Soundtrack, den Jerry Goldsmith für „Die Mumie schlägt zurück“ komponiert hätte, hätte nicht Alan Silvestri nach Teil 1 übernommen (nebenbei, Silvestris Score ist ebenfalls exzellent). „Gods of Egypt“ ist tief verwurzelt in Hollywoods Ägypten-Sound, der seit den 50ern sehr beliebt ist und von vielen anderen Komponisten, darunter neben Jerry Goldsmith auch Alex North („Cleopatra“), David Arnold („Stargate“) und Hans Zimmer („Der Prinz von Ägypten“), erfolgreich adaptiert wurde. „Gods of Egypt“ verfügt über eine Vielzahl an gelungener Themen, darunter Motive für die Götter Horus, Set und Hathor sowie ein Liebesthema für das menschliche Pärchen Bek und Zaya. Zwar zieht sich das Album in der Mitte etwas, aber von dieser kleinen Schwäche einmal abgesehen ist „Gods of Egypt“ orchestraler Bombast vom Feinsten. Anders ausgedrückt: Wäre „Batman v Superman“ ein guter Score, dann wäre er „Gods of Egypt“.

Platz 1: Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind (James Newton Howard)

Nachdem James Newton Howard 2014 ganz knapp an Platz 1 vorbeigeschrammt ist, bekommt er ihn 2016 – allerdings auch nur ganz knapp. Tatsächlich finde ich „Maleficent“ um einige Nuancen stärker als „Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“, aber damit wollen wir uns nicht weiter aufhalten. Insgesamt hat Howard auch für das Harry-Potter-Spin-off um den Magiezoologen Newt Scamander einen vollauf gelungenen Fantasy-Score komponiert, der sich nicht nur darauf konzentriert, den Film gut zu untermalen, sondern auch enorm ambitioniert ist. Wie es scheint wollte Howard dem musikalischen Vermächtnis des Franchise gerecht werden und hat gleich eine ganze Reihe verschiedener, miteinander verwobener Themen komponiert. Howard geht dabei nicht so streng leitmotivisch vor, wie das bei anderen Komponisten der Fall ist, zum Teil werden die Themen eher emotionalen Zuständen als Charakteren zugeordnet. Gerade die Beziehung des Protagonisten zu seinen Tierwesen wird auf vielgestaltige Weise musikalisch dargestellt. Es gibt aber durchaus Themen, die mit den Charakteren verbunden sind. So hat Howard dem No-Maj Jacob Kowalski ein zur Ära und zum Handlungsort passendes Jazz-Thema verfasst, die Goldstein-Schwestern haben ein Motiv und Newt Scamander bekommt u.a. auch eine heroische Fanfare, die vor allem in der zweiten Hälfte des Scores eine dominante Rolle spielt. Die größte Schwäche von Howards Score ist der Umstand, dass keines dieser Themen wirklich als DAS dominante Thema dieses Films heraussticht – ein Problem, das sich auch bei seinen Hunger-Games-Soundtracks findet, die insgesamt allerdings weitaus schwächer sind als „Phantastische Tierwesen“. Es gibt ein Thema für die Magische Welt, das gerade am Anfang des Films einige Male dominant erklingt, dann aber fast völlig verschwindet – nun ja, Howard hat ja noch vier Filme Zeit, dieses Thema weiterzuentwickeln. Erfreulicherweise kümmert sich Howard auch um Kontinuität zum Franchise, einerseits durch stilistische Anleihen bei seinen Vorgängern, aber auch durch das Einarbeiten von Hedwigs Thema. Ganz Traditionell eröffnet es den Film und ist noch zwei weitere Male zu hören (allerdings nur noch einmal auf dem Album). „Phantastische Tierwesen“ mag nicht ganz so gelungen sein wie die Preisträger der letzten Jahre, ist aber dennoch ein exzellenter Score, der das Franchise würdig fortsetzt.
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Außer Konkurrenz: The Hunchback of Notre-Dame (Alan Menken)

Mein meistgehörtes Album des Jahres ist keine Filmmusik im engeren Sinn und läuft deshalb außer Konkurrenz, aber es ist doch zumindest artverwandt bzw. basiert auf einem Film. Die Rede ist von der Musical-Adaption von Disneys „Der Glöckner von Notre-Dame“. Das amerikanische Off-Broadway-Musical basiert nicht nur auf dem Zeichentrickfilm, sondern auch auf dem deutschen Musical, das von 1999 bis 2002 in Berlin lief und schafft das, was besagter deutscher Version noch nicht ganz gelang: Es schlägt nicht nur die Brücke zwischen Victor Hugos Roman und dem Disney-Film, sondern übertrifft Letzteren sogar und holt alles aus Alan Menkens Musik heraus. Umso erfreulicher fand ich die Nachricht, dass das Glöckner-Musical in diesem Jahr nach Deutschland zurückkehrt – hoffentlich mit den Veränderungen der amerikanischen Produktion.
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Siehe auch:
Das Soundtrack-Jahr 2016 Teil 1

Jurassic Score

Diesen Artikel plane ich schon sehr lange, aber nun war doch ein direkter Auslöser nötig. Wie dem auch sei, die meisten Filmkomponisten können sich freuen, wenn sie einem großen Franchise ihren Stempel aufdrücken. John Williams dagegen hat gleich einen ganzen Haufen, und in mehr als einem wurde er bereits von anderen Komponisten beerbt. Die Jurassic-Park-Filmreihe ist diesbezüglich ein sehr interessantes Sujet, nicht nur hat Williams den Sound mit seinem ersten Score von 1993 bestimmt, er ist auch der Komponist, der von der Formel des Erstlings am weitesten abgewichen ist. Darüber hinaus kann der passionierte Filmmusikkenner sehr schön beobachten, wie zwei andere Komponisten, Don Davis und Michael Giacchino, ihrerseits mit dem Material umgegangen sind.

Jurassic Park

In Williams‘ Œuvre ist „Jurassic Park“ sicher nicht der Score mit der besten Narrative oder der gelungensten leitmotivischen Verarbeitung. Dass „Jurassic Park“ dennoch gemeinhin zu den besten Werken des Maestros gezählt wird, liegt primär daran, dass der Score wirklich perfekt auf den Film zugeschnitten ist und völlig zurecht als ein Höhepunkt der Zusammenarbeit zwischen Williams und Spielberg gilt. „Jurassic Park“ ist ein Score, der in höchstem Ausmaß die Emotionen direkt anspricht. Diese Aussage mag etwas redundant erscheinen, da es ja eigentlich die Aufgabe von Filmmusik ist, Emotionen zu vertonen (auch wenn viele Studios und Filmemacher das inzwischen anders sehen), passt aber sehr gut zu Williams‘ Herangehensweise. In „Jurassic Park“ finden sich keine Charakterthemen im klassischen Sinn. Der elektronische Rhythmus aus Dennis Steals the Embryo könnte noch am ehesten als Charakterthema für besagten übergewichtigen und unfähigen Fiesling herhalten, aber dieses Idee taucht im Grunde nur in einer Szene auf. Statt sich an Charakterthemen entlangzuhangeln, wie er das etwa bei Star Wars getan hat, hängen sämtliche Themen dieses Films mit der Insel und den Emotionen, die sie bei den Figuren hervorruft, zusammen. Das zeigt sich u.a. an der Tatsache, dass in den Szenen, die nicht auf der Insel spielen, auch kaum Musik zu hören ist. Die beiden primären Themen des Films dürften weithin bekannt sein, da sie in Best-of-John-Williams- bzw. Best-of-Filmmusik-Konzerten stets prominent vertreten sind. Das erste, auf dem Album in der Konzertsuite als Theme from Jurassic Park bezeichnete repräsentiert die Schönheit der Insel und der Dinosaurier; es handelt sich dabei um eine getragene, fast schon romantische und sehr ausgeglichene Melodie mit dominanten Streichern und Frauenchor. Das zweite Thema, eine heroische Fanfare, inoffiziell auch gerne als Insel-Fanfare bezeichnet und zum ersten Mal in all ihrer Pracht in Journey to the Island zu hören, steht für Hammonds noble Absichten und die beeindruckende Errungenschaft, wird in der zweiten Hälfte aber auch als generelles positives Thema verwendet, etwa wenn es den Protagonisten gelingt, den Raptoren zu entkommen. Darüber hinaus gibt es noch einige sekundäre Motive, etwa für die Bedrohung, die von besagten Raptoren ausgeht.

Kommen wir nun noch zum Auslöser für diesen Artikel: Die Live-to-Projection-Aufführung von „Jurassic Park“, der ich Anfang Dezember beiwohnen durfte; es spielte das Sound of Hollywood Symphony Orchestra unter Leitung von Helmut Imig. Ein Chor war leider nicht beteiligt, die wenigen Chorpassagen (etwa beim Schlüpfen der Raptoren) wurden eingespielt, was zwar ein wenig schade ist, aber angesichts des spärlichen Choreinsatzes auch sehr nachvollziehbar. Die Live-Aufführung zeigt noch einmal, wie gut der Score auf den Film abgestimmt ist, aber auch, wie effektiv Spielberg die Stille zu nutzen weiß. Bei einer Veranstaltung wie dieser fällt die Abwesenheit der Musik, die man beim gewöhnlichen Schauen des Films vielleicht gar nicht so sehr wahrnimmt, natürlich besonders auf. Am deutlichsten ist das bei der ikonischen T-Rex-Szene der Fall, die völlig ohne Underscoring auskommt und ihre Intensität gerade aus der Abwesenheit der Musik gewinnt. Alles in allem eine hervorragende Aufführung, die ich sehr genossen habe. Mein einziger Kritikpunkt: Bei den Einsätzen des Hauptthemas waren die Blechbläser für meinen Geschmack ein wenig zu dominant, aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau.

„Jurassic Park“ ist und bleibt einer von John Williams‘ besten Scores und einer meiner Favoriten. Keiner der Sequel-Scores kann diesem Meisterwerk das Wasser reichen, aber keiner von ihnen ist auch wirklich misslungen. Die Art und Weise, wie mit dem Vermächtnis (und den Themen) des brillanten Erstlings umgegangen wird, ist darüber hinaus äußerst faszinierend.

The Lost World: Jurassic Park

Williams‘ zweiter Jurassic-Score unterscheidet sich stilistisch sehr stark vom ersten und knüpft primär an die dissonante Suspense-Musik an, die nur einen kleinen Teil des Erstlings ausmachte, in „The Lost World“ aber weitaus mehr Raum bekommt. Die Stimmung ist allgemein düsterer, die Musik wird primär von Percussions dominiert, Rhythmus ist wichtiger als Melodie. „The Lost World“ ist weit weniger eingängig und angenehm hörbar als „Jurassic Park“. Anders als sonst bei Williams spielen die Themen des ersten Films keine große Rolle. Einerseits ist das ein Stück weit durchaus verständlich, die Idee des Parks ist in „The Lost World“ größtenteils abwesend, wir erleben die Dinosaurier in ihrer freien Wildbahn, andererseits fehlen die vertrauten Klänge aber und es ist schade, dass Williams sie kaum weiterentwickelt. Das Jurassic-Park-Hauptthema kommt tatsächlich nur ein einziges Mal vor, und zwar im Abspann. Die Inselfanfare taucht auch einige Male im Film selbst auf, es sind aber zumeist nur kurze, fragmentarische Statements. Erste subtile Andeutungen finden sich in The Trek (1:21) und Camp Jurassic (1:11), ein voller, wenn auch kurzer Einsatz ist in Hammond’s Plan zu hören (1:44). In Visitor in San Diego taucht die Fanfare bei 1:29 ebenfalls noch einmal auf. In „The Lost World“ repräsentiert sie, ganz ähnlich wie in „Jurassic Park“, Hammonds noble Absichten sowie die Erinnerung an die ursprüngliche Parkidee.

„The Lost World“ bietet ein primäres neues Thema, das im ersten Track als Konzertsuite vorgestellt wird und wohl die wilde Natur von Isla Sorna insgesamt repräsentiert. Eine gewisse Verwandtschaft zu den Hauptthemen des ersten Films lässt sich nicht leugnen, ähnlich wie Williams Anakins Thema in „Die dunkle Bedrohung“ aus dem Imperialen Marsch herausentwickelte, wirkt das Lost-World-Thema, als habe Williams es aus der Inselfanfare entwickelt. Insgesamt ist dieses Leitmotiv allerdings weder so einprägsam noch so gut verarbeitet wie die Themen des Erstlings. Hier zeigt sich einmal mehr, dass „The Lost World“ weitaus stärker mit Texturen und Rhythmen als mit Themen und Melodien arbeitet. Williams zeigt mit diesem Score, wie kreativ und vielseitig er sein kann; insgesamt ist es definitiv ein gelungenes, wenn auch funktionales Werk, dass das Pech hat, auf ein absolutes Meisterwerk zu folgen. Wer auf einen Sequel-Score á la „Das Imperium schlägt zurück“ hofft, wird auf jeden Fall enttäuscht.

Jurassic Park III

Da „Jurassic Park III“ nicht nur nicht von Stephen Spielberg inszeniert wurde, sondern im Grunde nur ein B-Movie mit Franchisenamen ist, verwundert es kaum, dass Williams nicht zurückkehrte. Allerdings empfahl er persönlich Don Davis, der kurz zuvor mit „Matrix“ einen großen Erfolg gefeiert hatte, als Komponisten. Interessanterweise knüpft Davis‘ Score weitaus stärker an „Jurassic Park“ an als dies „The Lost World“ tut. Nicht nur integriert Davis Williams‘ Stilmittel in die Musik, er bedient sich auch ausgiebig der beiden großen Themen des Erstlings und arbeitet sogar einige der kleineren Motiv ein. Vor allem die Inselfanfare ist prominent vertreten und taucht in allen möglichen Versionen auf, von fragmentierten Statements (Isla Sorna Sailing Situations) über volle Einsätze (The Dinosaur Fly-By) bis hin zu völlig neuen Variationen (Bone Men Ben). Das eigentliche Hauptthema ist weniger prominent vertreten, bekommt aber in Brachiosaurus on the Bank und The Hat Returns/End Credits Gelegenheit zu glänzen. Diesen Klassikern fügt Davis ein neues, eigenes Abenteuer-Thema hinzu, das vor allem in Nash Calling sehr prominent erklingt. Für sich genommen ist es ein sehr gelungenes Thema, allerdings fällt es im Vergleich zu Williams‘ leitmotivischen Platzhirschen deutlich ab. Das größte Manko, das man Davis vorwerfen kann ist, dass die Williams-Themen nicht immer ganz gelungen integriert und gespielt werden. Ich weiß nicht, ob Letzteres am Orchester, an Davis oder auch nur an Williams‘ Abwesenheit liegt, aber gerade im Vergleich zur Aufnahme des Originals lässt der dritte Jurassic-Score ein wenig zu Wünschen übrig, vor allem bezüglich des Tempos. Für meinen Geschmack werden die Themen immer ein wenig zu schnell und hastig gespielt, was dafür sorgt, dass sie nicht ihre volle Wucht und Gravitas entfalten können. Davon abgesehen hat Davis einen gelungenen Sequel-Score komponiert und der thematischen Kontinuität große Bedeutung beigemessen. Nur den grausigen Randy-Newman-Song auf dem Album sollte man tunlichst ignorieren.

Jurassic World

Es war sowieso nur eine Frage der Zeit, bis Michael Giacchino in irgendeinem Franchise in Williams‘ Fußstapfen treten würde, begann seine Karriere doch mit dem Score zum Lost-World-Computerspiel und der Adaption des Williams-Sounds aus „Der Soldat James Ryan“ und „Indiana Jones“ für „Medal of Honor“. Für „Jurassic World“ war Giacchino somit die logische Wahl. Dennoch versucht er stärker als Davis, dem Franchise seinen Stempel aufzudrücken, ohne sich dabei jedoch zu weit von den Williams’schen Stilmitteln zu entfernen. Alles in Allem ist ihm das durchaus gelungen, wenn auch nicht immer einwandfrei – tatsächlich finde ich, dass ihm dieser Balanceakt bei „Rogue One“ besser geglückt ist. Vor allem die Williams-Themen sind in diesem Zusammenhang etwas problematisch. Das Jurassic-Park-Hauptthema erklingt drei Mal: Welcome to Jurassic World ist im Grunde eine Neueinspielung von Theme from Jurassic Park aus dem ersten Film, während The Park Is Closed nicht nur an die Klaviervariation aus Welcome to Jurassic Park erinnert, sondern auch, wie besagtes Stück, die letzte Szene des Films untermalt. Das dritte Statement ist nicht auf dem Album zu finden und erklingt, als die beiden Kinder auf das alte Besucherzentrum stoßen. Die Inselfanfare ist dagegen nur in As the Jurassic World Turns (5:03) zu hören. Darüber hinaus gibt es noch einen kleinen Bonus für Fans des Lost-World-Scores: In Our Rex Is Bigger than Yours ist kurz das Lost-World-Thema zu vernehmen (1:50). Ich bin ja sonst grundsätzlich für thematische Kontinuität, aber in „Jurassic World“ wirken die Einsätze dieser Themen zu erzwungen, zu sehr darauf bedacht, die Nostalgie des Zuschauers zu wecken, ohne einen wirklichen Platz in der musikalischen Narrative des Films zu haben. Viel interessanter ist da Giacchinos Verwendung der für Williams typischen Akkorde und Orchestrierungen, die seinen neuen Themen, darunter ein neues Parkthema (As the Jurassic World Turns), ein Familienthema (The Family Strays Together), ein Charakterthema für den von Chris Pratt dargestellten Owen (Owen You Nothing im komödiantischen Modus, Chasing the Dragon als heroische Actionvariation) und ein Motiv für den Indominus Rex (Bury the Hatchlings), aber auch der Actionmusik das „Jurassic-Feeling“ verleihen. Insgesamt ist „Jurassic World“ zweifellos eine sehr kompetente Arbeit, die trotz Williams-Anleihen eigenständiger ist als Davis‘ „Jurassic Park III“, aber zumindest mich als Hörer auch unbefriedigter zurücklässt.

Rogue One: A Star Wars Story – Soundtrack

Achtung, Spoiler überall!
rogueonescore
Track Listing:

01. He’s Here For Us
02. A Long Ride Ahead
03. Wobani Imperial Labor Camp
04. Trust Goes Both Ways
05. When Has Become Now
06. Jedha Arrival
07. Jedha City Ambush
08. Star-Dust
09. Confrontation on Eadu
10. Krennic’s Aspirations
11. Rebellions Are Built on Hope
12. Rogue One
13. Cargo Shuttle SW-0608
14. Scrambling the Rebel Fleet
15. AT-ACT Assault
16. The Master Switch
17. Your Father Would Be Proud
18. Hope
19. Jyn Erso & Hope Suite
20. The Imperial Suite
21. Guardians of the Whills Suite

Ist Michael Giacchino der nächste John Williams? Nein, Michael Giacchino ist Michael Giacchino, und er bleibt auch Michael Giacchino, wenn er den Soundtrack für Disneys erstes Star-Wars-Spin-off komponiert. Das ist etwas, das man immer im Hinterkopf behalten sollte, denn oftmals läuft die Kritik am Score von „Rogue One: A Star Wars Story“ genau darauf hinaus, dass Michael Giacchino eben nicht Williams ist. Es muss allerdings auch gesagt werden, dass man bei der Bewertung dieses Soundtracks natürlich trotz allem nicht um Williams herumkommt – kaum ein anderes Franchise wird so sehr von seinem ursprünglichen Komponisten beherrscht. Das allein ist schon eine entmutigende Vorbedingung. Hinzu kommt, dass Giacchino sehr kurzfristig Alexandre Desplat ersetzte und für das Komponieren und Aufnehmen des Scores gerade einmal viereinhalb Wochen Zeit hatte. An manchen Stellen merkt man das auch, insgesamt ist „Rogue One“ allerdings ein äußerst gelungener Soundtrack, die Leistung, die Giacchino hier erbracht hat, ist enorm und sollte unbedingt gewürdigt werden.

Bevor es zur Analyse geht, noch kurz ein Wort zu meiner Wahrnehmung der Musik im Film: Für mich nimmt sie in „Rogue One“ eine etwas prominentere Rolle ein als in „Das Erwachen der Macht“. In beiden Fällen habe ich den Score zum ersten Mal beim Schauen des Films gehört, bei „Rogue One“ ist er mir aber besser ins Ohr gegangen und ich konnte neue Themen besser ausmachen. Das sagt nicht unbedingt etwas über die Qualität der Musik aus – für mich ist Williams siebter SW-Score trotz allem der bessere – sondern hängt u.a. mit der Abmischung, dem Soundsystem des Kinos und meiner Tagesform zusammen, ich fand es aber dennoch bemerkenswert.

Einen würdigen Star-Wars-Soundtrack zu komponieren, der nicht nur reine Williams-Pastiche ist, ist eine fordernde, aber nicht unmögliche Aufgabe. Giacchino ist nicht der erste Komponist, der vor dieser Herausforderung stand, Joel McNeely („Shadows of the Empire“), Kevin Kiner („The Clone Wars“ und „Rebels“) oder Mark Griskey („The Force Unleashed“, Lead Composer bei „The Old Republic“) traten bereits in Williams‘ Fußstapfen. Wie bereits am Anfang erwähnt ist „Rogue One“ ohne Zweifel ein Giacchino-Score, auch wenn er sich, ähnlich wie bei „Jurassic World“ immer wieder bemüht hat, Themen und Stilelemente des Maestros zu adaptieren. Manchmal sind das nur kleine Verweise, etwa die Flötenfigur am Anfang von He’s Here for Us, direkt nach dem Eröffnungswumms. Giacchino bemüht sich insgesamt sehr, dass sich „Rogue One“ wie Star-Wars-Musik anfühlt, gerade wenn er Blechbläserfanfaren auf den Hörer loslässt. Auch der charakteristischen Dies-Irae-Melodie, die etwa in „Eine neue Hoffnung“ prominent vertreten ist, bedient sich Giacchino und arbeitet sie das eine oder andere Mal ein, zum Beispiel sehr deutlich in The Master Switch (1:22); sie ist darüber hinaus außerdem die harmonische Grundlage für Jyn Ersos Thema. Sogar spezifische Prequel-Elemente werden aufgegriffen, der Chorausbruch in Hope erinnert an ähnliche Stücke aus „Die Rache der Sith“ und hin und wieder meint man, subtile Versatzstücke aus Across the Stars zu hören. Dennoch opfert Giacchino seinen persönlichen Stil nicht und bringt auch neue Elemente ein, etwa die Musik des Planeten Jedha, die vage nahöstlich und dazu sehr metallisch und z.T. elektronisch klingt. Nur sehr wenig davon ist jedoch auf dem Album zu finden, lediglich in der zweiten Hälfte von Trust Goes Both Ways und in Jedha Arrival sind die harschen Klänge der Wüstenwelt zu vernehmen.

Für die neuen Figuren liefert Giacchino vier prominente Themen, die alle in Form von drei Konzertsuiten am Ende des Albums vorgestellt werden. Das erste Thema gehört zu Jyn Erso und wird in Jyn Erso and Hope Suite ausgiebig präsentiert. Der Tonfall dieses Themas erinnert an Giacchinos Yorktown-Thema aus „Star Trek Beyond“, es fehlt allerdings die positive Ausrichtung in der Entwicklung. Jyns Thema beginnt als idealistisches Motiv, ist letztendlich aber eine sehr tragische Melodie, deren Anfang in der Suite durch die Sologeige Erinnerungen an Across the Stars (speziell eine Variation aus „Die Rache der Sith“) weckt. Bereits im ersten Track des Albums wird Jyns Thema bei 1:58 vorgestellt und begleitet seine Figur im Verlauf des Films durch dick und dünn – es handelt sich hierbei ohne Zweifel um das zentrale Leitmotiv des Films. Besonders nennenswerte Variationen finden sich zum Beispiel in Scrambling the Rebel Fleet (bei 0:50), wo Jyns Zugehörigkeit zur Rebellenallianz durch einen militärischen Rhythmus und Snare Drums versinnbildlicht wird, sowie in Your Father Would Be Proud (bei 3:27); hier untermalt ein besonders emotional aufgeladene Chorversion das Ableben der Figur.

Das zweite Thema wird ebenfalls in Jyn Erso and Hope Suite vorgestellt, es ist ab 4:00 zu hören und klingt hier, als wäre es eine Erweiterung von Jyns Thema, tatsächlich handelt es sich hierbei aber um das Hoffnungsthema, das die Mission der zentralen Rebellengruppe repräsentiert. Giacchino verweist damit inhaltlich wie musikalisch auf „Eine neue Hoffnung“, denn die ersten beiden Noten sind dieselben wie beim Star Wars Main Title. Mehr noch, das Hoffnungsthema erklingt auch bei der Titeleinblendung des Films (A Long Ride Ahead, 3:00). In der Theorie ist die Idee nicht schlecht, in der Praxis wirkt es aber merkwürdig und klingt wie eine ungeschickte Main-Title-Nachahmung, wie man sie nur allzu oft in Star-Wars-Parodien hört. Hier wäre eine Einspielung des tatsächlichen Main Title besser und weniger irritierend gewesen. Im Rest des Scores macht sich das Hoffnungsthema besser, auch wenn es primär in der zweiten Hälfte erklingt, etwa in The Master Switch (bei 1:30).

Die spirituelle Seite von „Rogue One“ im Allgemeinen und Chirrut Îmwe, Fackelträger des Jeditums im Besonderen werden durch das Wächterthema repräsentiert, das ebenfalls eine komplette Suite am Ende des Albums bekommen hat (Guardians of the Whills Suite). Ähnlich wie das Hoffnungsthema wird es verhältnismäßig selten verwendet und knüpft musikalisch an eines der Williams-Themen an, in diesem Fall, wie könnte es anders sein, das Machtthema.

Das Imperium wird in „Rogue One“ in erster Linie durch Giacchinos viertes neues Thema repräsentiert, das Orson Krennic gilt und in The Imperial Suite ausgiebig vorgestellt wird. Es handelt sich dabei um ein pompöses und sehr unsubtiles, aber verdammt unterhaltsames Schurkenthema, das sofort vertraut klingt, da es bezüglich Rhythmus, Instrumentierung und Begleitung auf dem Imperialen Marsch basiert – vielleicht ein wenig zu sehr. Zusammen mit Jyns Thema ist es mit Sicherheit das Leitmotiv, das in diesem Score am häufigsten auftaucht, es wird allerdings in weit geringerem Ausmaß variiert, da Krennic ein ziemlich statischer Charakter ist. Dennoch macht Giacchino einige interessante Dinge mit dieser Melodie. In When Has Become Now lässt er es beispielsweise mit einem Statement des Todessternmotivs aus Episode IV enden (bei 0:17 und 1:51).

Apropos Todessternmotiv, Giacchinos Verwendung der klassischen Williams-Themen sollte unbedingt noch ausführlich besprochen werden. Diese ist im Großen und Ganzen sehr gelungen. Diesbezüglich ist der Goldstandard nach wie vor John Ottmans „Superman Returns“, den Giacchino leider nicht erreicht. Allerdings finde ich die Einbindung der bekannten Themen gelungener als in „Jurassic World“. Dort wirkte die Verwendung der Williams-Melodien eher wie ein obligatorischer Gastauftritt, weil das Publikum erwartet, dass sie im Film zwei, drei Mal erklingen. In „Rogue One“ geht Giacchino viel kreativer mit ihnen um, arbeitet sie ein, versteckt sie und macht sie zu einem sinnvollen Teil der musikalischen Narrative. Die Verwendung des Todessternmotivs ist ein Beispiel, darüber hinaus findet sich ein subtiler Verweis auf Leias Thema bei 1:53 in Rogue One und eine nicht minder subtile Andeutung von Lukes Thema (bzw. dem Main Title) bei 1:10 in Scrambling the Rebel Fleet. Deutlicher ist da die Rebellenfanfare zu vernehmen, die die Mitte von AT-ACT Assault dominiert und im Film noch das eine oder andere Mal auf Yavin 4 erklingt. Das am häufigsten auftauchende Williams-Thema ist jedoch das Machtthema, das das Wächterthema als spirtiuelles Leitmotiv ergänzt und auch signifikante Momente und Anspielungen untermalt, wenn auch oft nur als Fragment. So wird beispielsweise Bail Organas erster Auftritt vom Machtthema begleitet (nicht auf dem Album), ebenso wie Jyns, Cassians und K2s Abflug von Yavin 4 (Trust Goes Both Ways, 0:43). Ebenso ist es in Rogue One (bei 0:23) und Scrambling the Rebel Fleet (bei 1:05) zu hören.

Besonders interessant ist die musikalische Untermalung Darth Vaders, auf die ich noch einmal detailliert eingehen möchte. Bereits im Vorfeld wurde spekuliert, wie Giacchino hier vorgehen würde. Die offensichtliche Lösung wäre natürlich, Vaders Auftritte mit dem Imperialen Marsch zu untermalen. Einige Puristen waren und sind allerdings der Meinung, der Imperiale Marsch solle nicht vor Episode V erklingen (was wegen den Prequels und „Rebels“ im Grunde ohnehin müßig ist) und Giacchino solle stattdessen das Imperiale Motiv (bzw. Vader-Motiv) aus Episode IV verwenden. Es zeigt Giacchinos Kenntnis der Materie, dass er tatsächlich beide Themen in seinen Score eingearbeitet und somit quasi einen Übergang zwischen Vaders Musik der Prequels, also dem Imperialen Marsch, und Vaders Episode-IV-Musik geschaffen hat. Darth Vaders erstes Erscheinen auf der Leinwand, noch im Baktatank, wird vom Imperialen Motiv begleitet (Krennic’s Aspirations bei 1:40), der große Auftritt in voller Montur erhält dann ein getragenes Statement des Imperialen Marsches (2:08), im Dialog mit Krennic erklingt noch einmal das Episode-IV-Motiv, von ominösen Streichern gespielt (2:45), während sein Abgang schließlich abermals vom Imperialen Marsch untermalt wird (4:03). Vaders zweiter großer Auftritt und das zugehörige Stück Hope rechtfertigen ebenfalls eine genauere Betrachtung. Wie bereits erwähnt wird der Track von einer an Episode III erinnernden Chorpassage eröffnet, die Vaders Abschlachten der Rebellen untermalt und aus Fragmenten des Imperialen Marsches besteht. Der Rest des Stückes ist in gewissem Sinne ein Spiegel des Anfangs von Episode IV. Der letzte Shot von Vader wird von einem Hybriden aus dem Imperialen Marsch und dem Todessternmotiv begleitet (0:51), während Vaders erster Auftritt in „Eine neue Hoffnung“ von einem Hybriden des Vader- und Todessternmotivs untermalt wird. Es folgt ein direktes Zitat aus dem Episode-IV-Stück Imperial Attack (inklusive Rebellenfanfare), bevor eine vollständige Version des Machtthemas den Track beendet, das auf das Machtthema in Imperial Attack verweist.

Anders als sonst bei einem Star-Wars-Album üblich finden sich hier nicht die kompletten End Credits, die im Film ganz klassische mit dem Main Title und Rebellenfanfare beginnen und dann in ein Medley des Giacchino-Materiales übergehen, die drei Konzersuiten sind allerdings ein mehr als angemessener Ersatz, da es sich bei besagtem Medley im Grunde um exakt diese drei Suiten handelt, allerdings zusammengekürzt.

Obwohl ich den Rogue-One-Score insgesamt als äußerst gelungen erachte, gibt es doch einige Kritikpunkte. Da wäre unter anderem die Action-Musik, die verhältnismäßig uninteressant ist, kompetent zwar, aber selten mehr, gerade im Vergleich zu Giacchinos in dieser (und auch in jeder anderen) Hinsicht grandiosem Score zu „Jupite Ascending“ oder natürlich zu den unerreichbaren Action-Setpieces, die Williams für sieben Star-Wars-Filme komponiert hat. Confrontation on Eadu ist diesbezüglich der beste Track, nicht zuletzt dank der gelungenen Einbindung von Jyns Thema und einer subtilen Variation der Rebellenfanfare, doch selbst hier habe ich das Gefühl, dass noch ein wenig mehr gegangen wäre. Auch die Einbindung der Williams-Themen ist manchmal nicht ganz flüssig, besonders dann, wenn Giacchino hin und wieder Noten herauszögert, wie es beim Machtthema in Trust Goes Both Ways und dem zweiten Einsatz des Imperialen Marsches in Krennic’s Aspirations der Fall ist. Ich denke jedoch, dass diese Schwächen primär auf die kurze Zeit, die Giacchino zum Komponieren hatte, zurückzuführen sind. Zusätzlich könnte man noch argumentieren, dass Giacchino sich mit seinen Leitmotiven ein wenig zu sehr an den Williams-Themen orientiert, aber das empfinde ich eher als Stärke des Scores und Zeichen des Respekts vor dem Maestro. Eines ist allerdings wirklich unverzeihlich: Anders als sonst bei Giacchino sind die Tracktitel keine flachen Wortspiele.

Fazit: Giacchinos Rogue-One-Soundtrack ist kein Meisterwerk, aber ein gelungener und solider Star-Wars-Score, der zwei einige Schwächen hat, insgesamt aber eine gute Balance zwischen neuer Giacchino-Musik und klassischen Williams-Themen und -Stilmitteln findet. Angesichts der Tatsache, dass Giacchino gerade einmal viereinhalb Wochen zum Komponieren und Aufnehmen hatte, ist das Ergebnis in höchstem Maße beeindruckend und zufriedenstellend.

Siehe auch:
Rogue One: A Star Wars Story

Rogue One: A Star Wars Story

rogueone
Story:
Das Imperium steht kurz vor der Fertigstellung des Todessterns, die Allianz der Rebellen muss handeln. Der Wissenschaftler Galen Erso (Mads Mikkelsen), der an der Entwicklung des Todessterns beteiligt war, erweist sich diesbezüglich als wichtiges Puzzlestück, denn er hat Bodhi Rook (Riz Ahmed), einen abtrünnigen Piloten, nach Jedha zu seinem alten Freund, dem Rebellenextremisten Saw Gerrera (Forest Whitaker) geschickt, um der Allianz wichtige Informationen zukommen zu lassen. Doch Gerrera erweist sich als nicht sehr umgänglich, weshalb die Allianz Galens Tochter Jyn (Felicity Jones) ausfindig macht, damit diese in Begleitung des Rebellenagenten Cassian Andor (Diego Luna) und des umprogrammierten imperialen Droiden K-2SO (Alan Tudyk) mit Gerrera Kontakt aufnimmt. Ihnen auf den Fersen ist Orson Krennic (Ben Mendelsohn), Direktor der imperialen Waffenforschung und Verantwortlicher für den Bau des Todessterns, der bemüht ist, das Sicherheitsleck zu stopfen – mit allen Mitteln…

Kritik: Im Vorfeld erwies sich „Rogue One“ bereits als problematisch: Informationen über umfassende Nachdrehs wuchsen zu monströsen Gerüchten heran. Diesbezüglich kann ich schon einmal Entwarnung geben, „Rogue One“ ist kein Desaster á la „Suicide Squad“. Zwar merkt man hin und wieder die eine oder andere Unebenheit, aber insgesamt weiß der erste Star-Wars-Realfilm ohne das Wörtchen „Episode“ im Titel (über diverse Jugendsünden des Franchise breiten wir lieber den Mantel des Schweigens) zu überzeugen. Überaschenderweise ist „Rogue One“, trotz Drehbuchneufassungen, Nachdrehs und (je nach dem, wem man glaubt) Teil- bzw. Komplettersetzung des Regisseurs Gareth Edwards durch Tony Gilroy ein überwiegend kohärenter Film geworden. Das größte Problem in dieser Hinsicht ist die etwas holprige Erzählstruktur zu Beginn. Hier werden sehr schnell sehr viele Planeten und Figuren vorgestellt; wer sich nicht ein wenig vorinformiert hat, könnte etwas schwimmen. Insgesamt ist die Story des Films zwar sehr geradlinig und vorhersehbar (nun ja, wir wissen ja ohnehin alle, dass die Rebellen am Ende die Todessternpläne erbeuten), aber der erste Akt des Films ist etwas behäbig und umständlich erzählt, weshalb „Rogue One“ eine Weile braucht, um in die Gänge zu kommen. Erfreulicherweise steigert sich „Rogue One“ jedoch konstant und legt einen wirklich grandiosen und kompromisslosen dritten Akt vor, der den nicht ganz so gelungenen Anfang des Films mehr als ausgleicht und ein überwältigendes Action- und Effektfeuerwerk auf den Zuschauer loslässt.

Um meinen weiteren Gesamteindruck von „Rogue One“ zu vermitteln, möchte ich „Das Erwachen der Macht“ vergleichend heranziehen. Episode VII spielt gut dreißig Jahre nach der klassischen Trilogie, während die Ereignisse von „Rogue One“ nur kurze Zeit vor „Eine neue Hoffnung“ stattfinden. Trotzdem ist „Das Erwachen der Macht“ der Film, der der OT weitaus näher steht, denn während sich „Rogue One“ zwar der klassischen optischen Ausstattung (Schiffe, Sturmtruppenrüstungen etc.) der OT bedient, entfernt sich das Spin-off doch weit vom typischen Gefühl der Episoden und geht andere Wege. Unter anderem wurde der Humor stark zurückgefahren, ist trockener, grimmiger und kommt in erster Linie von K-2SO – ohnehin der heimliche Star des Films. Vom märchenhaft-mythologischen Flair der Episoden ist ebenfalls nicht mehr viel geblieben; wie zu erwarten war ist „Rogue One“ in erster Linie ein Kriegsfilm und als solcher der bisher grimmigste und bodenständigste Film des Franchise. Manch einem Zuschauer oder Kritiker geht das schon zu weit, hin und wieder hört und liest man, in „Rogue One“ fehle die „Star-Wars-Magie“. Ich kann diesen Kritikpunkt verstehen, teile ihn aber nicht. Gerade Fans des alten EU dürften sich mit „Rogue One“ sehr viel leichter tun als Zuschauer, die lediglich die Episoden gesehen haben. In Comics und Romanen gibt es schon seit vielen Jahren ein düstereres, dreckigeres Star Wars, das ohne die Jedi oder andere mythische Elemente auskommt. So spielt die Macht in „Rogue One“ eine ziemlich untergeordnete Rolle, was in einer Zeit, in der die Jedi so gut wie ausgelöscht sind, völlig legitim ist. Ganz allgemein erinnert „Rogue One“ an ein EU-Werk, das eher zufällig ein Film statt eines Romans oder eines Comics ist. Dieser Eindruck wird nicht nur durch die Atmosphäre und die Einbettung zwischen die Episoden geweckt, sondern auch durch die Gastauftritte bekannter Figuren und diverse Anspielungen, die sich mit ein, zwei Ausnahmen besser in den Kontext des Films einfügen als ähnlich geartete Elemente in „Das Erwachen der Macht“. Besonders hat mich gefreut, dass sogar diverse Prequel-Anspielungen zu finden sind.

Nicht nur bezüglich des Tonfalls, auch in anderen Bereichen erweist sich „Rogue One“ als sehr viel innovativer als Episode VII. Wo dort die Planeten ziemlich langweilig und uninteressant waren, schafft es „Rogue One“ wirklich, interessante Schauplätze zu generieren. Das betrifft vor allem Jedha, den Hauptschauplatz des ersten Aktes. Ja, es handelt sich dabei nochmal um eine Wüstenwelt, aber der Unterschied zu Jakku könnte nicht größer sein. Was vor allem auffällt: Jakku wirkte stets wie eine Kulisse für Reys Handlungsbogen und nicht mehr. Jedha dagegen ist eine lebendige Welt, wir sehen, wenn auch nur kurz, Ausschnitte aus dem Leben der Bewohner unter dem Imperium; es tobt ein Konflikt zwischen Imperialen und Saw Gerreras Partisanen. Kurz und gut, man hat das Gefühl, hier laufen noch viel mehr Geschichten parallel ab, die die Geschichte dieses Films mehr oder weniger zufällig kreuzen. Mehr davon! Und wo wir gerade von Saw Gerrera sprechen: Ein weiterer Pluspunkt ist die Zeichnung der Rebellion, die hier als äußerst heterogene Gemeinschaft dargestellt wird und nicht einfach nur „die Guten“ sind. Gareth Edwards, Tony Gilroy und Mit-Drehbuchautor Chris Weitz bemühen sich um Grautöne bei der Allianz, sie zeigen eine uneinige Führung, Extremisten und unlautere Methoden – Freiheitskämpfer für die einen, Terroristen für die anderen.

Mit dieser Stärke hängen allerdings auch die größten Schwächen des Films zusammen. Die Allianz wird zwar vielschichtig, die Rebellen selbst aber nicht besonders tiefgründig dargestellt. Aufgrund des großen Casts und des breiten Figurenspektrums werden Figurenmotivationen und Charakterentwicklung eher angedeutet als ausgearbeitet – diesbezüglich schneidet „Das Erwachen der Macht“ mit dem eindeutigen Fokus auf Rey und Finn besser ab. Die Figur, die besten ausgearbeitet ist, ist Jyn Erso, und selbst hier geht der Film nicht besonders ins Detail. Leider trifft das auch auf die Schurken zu. Anders als die Rebellion haben wir es hier ohne Zweifel mit genau dem Imperium der Filme zu tun. Ben Mendelsohn spielt Orson Krennic zwar überzeugend, aber die Figur selbst bleibt flach und stereotyp, wenn man nicht den Prequel-Roman „Catalyst“ von James Luceno gelesen hat. Das ist besonders schade, da man gerade hier die Gelegenheit gehabt hätte, sich mit imperialer Ideologie zu beschäftigen und das Imperium etwas nachvollziehbarer zu zeichnen. Anders als die Rebellen sind die Imperialen in „Rogue One“ einfach „die Bösen“.

Besonders lobend möchte ich zum Schluss noch Michael Giacchino erwähnen, dem es in nur wenigen Wochen gelungen ist, einen absolut überzeugenden Score zu komponieren, die bereits bestehenden Williams-Themen und Stilmittel gelungen und sinnvoll einzuarbeiten und ansprechende neue Leitmotive zu schreiben.

Fazit: „Rogue One: A Star Wars Story“ mag bezüglich der Erzählstruktur und der Figuren ein paar Probleme haben, ist aber ansonsten ein vollauf gelungener Star-Wars-Kriegsfilm, der sich weitaus unkonventioneller und frischer anfühlt als die übermäßig nostalgisch aufgeladene Episode VII.

Trailer

Siehe auch:
Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Meinung
Catalyst: A Rogue One Novel

Doctor Strange

doctorstrange
Story: Bei einem Autounfall werden die Hände des genialen, aber arroganten Chirurgen Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) irreparabel beschädigt, woraufhin er alles und jeden, darunter seine Ex-Freundin Christine (Rachel McAdams), von sich stößt. Schließlich offenbart sich eine letzte Möglichkeit: In Kamar-Taj in Nepal wurde ein ähnlicher Fall erfolgreich behandelt. Also begibt sich Strange auf die lange Reise, nur um schließlich zu lernen, dass es jenseits der profanen Welt, die er bisher bewohnte, noch viele weitere gibt. Von der Ältesten (Tilda Swinton) wird Strange in die Geheimnisse der Magie eingeweiht. Derweil versucht Kaecilius (Mads Mikkelsen), ein ehemaliger Schüler der Ältesten, die böse Macht Dormammu aus ihrer Dimension zur Erde zu holen. So wird Strange in einen mystischen Konflikt hineingezogen, bei dem viel mehr auf dem Spiel steht als nur ein paar Hände…

Kritik: In einer der Schlüsselszenen des Films teilt die Älteste Doctor Strange mit, dass er, um die Magie wirklich meistern zu können, erkennen muss, dass sich nicht alles um ihn dreht. Da ist es schon ziemlich ironisch, dass sich im Film tatsächlich alles um Doctor Strange dreht: Mehr noch als diverse andere Marvel-Helden dominiert der Sorcerer Supreme seinen Film. Einerseits ist das durchaus gerechtfertigt, andererseits schadet das aber einmal mehr den Nebenfiguren. In vielerlei Hinsicht gleicht „Doctor Strange“ dem letztjährigen „Ant-Man“. Der neuste MCU-Film bemüht sich, die Genre-Grenzen zu erweitern, dabei aber gleichzeitig bei der bewährten Formel zu bleiben. Im Klartext bedeutet das: Ein starker Protagonist, eine recht einfache und vorhersehbare Handlung, die vor allem dazu dient, den Protagonisten angemessen in Szene zu setzen, viel Humor und ein schwacher Schurke. Besonders Letzteres ist angesichts eines Darstellers wie Mads Mikkelsen wirklich äußerst schade. Was ich schon an „Ant-Man“ kritisierte, trifft auf „Doctor Strange“ in ähnlichem Maße zu: Held und Schurke haben so gut wie keine persönlichen Konfliktpunkte. In beiden Fällen handelt es sich um einen Konflikt des Mentors, der auf den Protegé lediglich übertragen wird. Auch die Motivation von Kaecilius ist eher dürftig; während diverse Hintergrundmaterialien suggerieren, dass es einen persönlichen, familiären Grund für sein Handeln gibt, wird dies im Film nicht einmal angerissen, die Motivation bleibt sehr theoretisch. Immerhin deutet sich für mein potentielles Sequel Besserung an.

Ganz ähnlich wie Kaecilius ergeht es der von Rachel McAdams gespielten Christine Palmer, deren Rolle als Love Interest sogar noch dürftiger ausfällt als die von Jane Foster (Natalie Portman). Auch das ist ziemlich schade, denn zwischen ihr und Benedict Cumberbatch gibt es durchaus Chemie. Vielleicht wäre es besser gewesen, hätten sich Regisseur Scott Derrickson und seine Mit-Drehbuchautoren John Spaihts und C. Robert Cargill für Clea als Love Interest entschieden. In den Comics ist sie, wie Doctor Strange, eine Schülerin der Magie und als solche hätte sie mehr zur Handlung beitragen können.

Auch strukturell ist „Doctor Strange“ ziemlich konservativ. Das ist durchaus zu verzeihen, aber gerade in diesem Fall hätte eine non-lineare Origin-Story vielleicht besser funktioniert (andererseits ist das bei „Man of Steel“ ziemlich in die Hose gegangen). Mir persönlich ging Stranges Aufstieg zum Sorcerer Supreme ein wenig zu schnell und schnörkellos, er wirkt auch am Ende des Films (im Gegensatz zur Mid-Credits-Scene) nicht so, als hätte er seine Ausbildung wirklich abgeschlossen. Besagte schnörkellose Ausbildung sorgt allerdings auch dafür, dass es Derrickson gelingt, diverse Klischees zu umschiffen, die man sonst in derartigen Filmen antrifft.

Der Humor des Films erweist sich darüber hinaus hin und wieder als zweischneidiges Schwert: Einige Gags sitzen, andere sind etwas zu überdreht und stören eine eigentlich dramatische Szene. Diese deplatzierte Überdrehtheit betrifft nicht ausschließlich den Humor, insgesamt wäre das eine oder andere Mal weniger mehr gewesen. Ein gutes Beispiel ist der Autounfall, der Stranges Handlungsstrang auslöst: Die Szene erinnert ein wenig an die exzessiven Autostunts aus „Blues Brothers“; man fragt sich unweigerlich, wieso nur Stranges Hände irreparabel beschädigt sind. Ein realistischerer Unfall hätte hier weitaus besser und intensiver gewirkt.

Auf der visuellen Ebene dagegen weiß „Doctor Strange“ vollauf zu überzeugen. Man kann sich regelrecht vorstellen, wie Derrickson seinen Effekt-Spezialisten erklärt: „Eigentlich war ‚Inception‘ doch ziemlich konservativ, da geht noch was.“ Selten finden sich derart überzeugende und kreative CGI-Effekte, die auch noch derart gelungen eingesetzt werden. Ich denke, diesbezüglich dürfte „Doctor Strange“ zu einem Referenzfilm werden. Umso negativer erscheinen da die lieblos-sterilen, allzu artifiziellen Welten eines Films wie „Maleficent“. Dass auch Bedendict Cumberbatch in der Rolle des Titelhelden vollauf überzeugt, muss wohl kaum noch zusätzlich erwähnt werden. Ganz allgemein ist der Cast um Tilda Swinton, Mad Mikkelsen und Chiwetel Ejiofor hervorragend, auch wenn er nicht immer sein volles Potential ausspielen kann. Auch Michael Giacchinos Score ist gelungen; er verpasst dem Sorcerer Supreme ein solides Thema und schafft es durch den Einsatz ungewöhnlicher Instrumente, der mystischen Seite des Marvel-Universums einen eigenen Klang zu verleihen. Zugegeben, diesen hätte Giacchino noch etwas stärker hervorheben können, gerade die Actionmusik ist zwar gut, aber doch, mit der einen oder anderen Ausnahme, recht konventionell.

Fazit: „Doctor Strange“ ist vor allem visuell überwältigend und mit Sicherheit einer der kurzweiligsten Marvel-Filme (was schon etwas heißen will), inhaltlich jedoch verhältnismäßig konventionell, was der großartige Cast allerdings ganz gut ausgleicht. Dennoch bleiben Schurke und Love Interest äußerst blass. Auf jeden Fall freue ich mich, dass das MCU nun vollständige in mystische Dimensionen vorgestoßen ist und diese in zukünftigen Filmen hoffentlich noch weiter auslotet.

Trailer

X-Men: Apocalypse – Soundtrack

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Track Listing:

01. Apocalypse
02. The Transference
03. Pyramid Collapse/Main Titles
04. Eric’s New Life
05. Just a Dream
06. Moira’s Discovery/Apocalypse Awakes
07. Shattered Life
08. Going Grey/Who the F are You?
09. Eric’s Rebirth
10. Contacting Eric/The Answer!
11. Beethoven Havok
12. You Can See
13. New Pyramid
14. Recruiting Psylocke
15. Split them Up!
16. A Piece of his Past
17. The Magneto Effect
18. Jet Memories
19. The Message/Some Kind of Weapon
20. Great Hero/You Betray Me
21. Like a Fire
22. What Beach?
23. Rebuilding/Cuffed/Goodbye Old Friend
24. You’re X-Men/End Titles
25. Rest Young Child (Vocal Version)

Während „X-Men: Days of Future Past“ ein toller Film war, stellte der zugehörige Score von John Ottman für mich eine massive Enttäuschung dar, hatte doch dieser beste Eintrag in der Kinosaga der Mutanten einen Score bekommen, der von all dem geprägt war, was mich an der modernen Filmmusiklandschaft nach wie vor nervt. Für „X-Men: Apocalypse“ wurde erneut Ottman verpflichtet, und während auch dieser Score noch weit von John Powels Meisterwerk „X-Men: The Last Stand“ (nach wie vor der beste X-Men-Score und somit die Messlatte) entfernt ist, ist die apokalyptische Musik von Ottmans drittem X-Men-Soundtrack doch definitiv ein Schritt in die richtige Richtung. Das größte Problem von „Days of Future Past“ ist, dass man als kundiger Konsument von Filmmusik ganz genau weiß, wie der Temp-Track besagten Films aussah, was dazu führt, dass dieser Score ein inkohärentes Stückwerk bar jeder eigenen Identität ist und über weite Strecken wie ein „Best of (bzw. Worst of) Hans Zimmer/Remote Control“ klingt. Ein Stück weit ist dieses Problem in „Apocalypse“ immer noch vorhanden, aber in weitaus geringerem Ausmaß. Zugegeben, man sollte vielleicht auch nicht zu hart urteilen, da Ottman bei diesem Film nicht nur als Komponist fungierte, sondern ihn auch mitproduzierte und für den (hervorragenden) Schnitt verantwortlich war.

Wie dem auch sei, an manchen Stellen hört man auch in „Apocalypse“ den Einfluss des Temp-Scores, aber insgesamt klingt dieser Soundtrack weitaus kohärenter, was nicht zuletzt daran liegt, dass es dieses Mal ein wirklich gelungenes neues Thema gibt, das den Film auch trägt. Die Rede ist vom vage orientalisch und sakral klingenden Leitmotiv des titelgebenden Schurken. In Apocalpyse wird es direkt nach den Inception-Hornstößen, auf die Ottman besser verzichtet hätte (auch wenn sie tatsächlich die ersten beiden Noten besagten neuen Themas spielen), langsam und subtil aufgebaut, zuerst geradezu gehaucht von einem Frauenchor, dann übernimmt das Orchester, ein gemischter Chor kommt hinzu und das Thema gewinnt an Stärke, bis bei 1:51 die erste richtig kräftige Version erklingt. En Sabah Nurs Musik dominiert die ersten drei Tracks mit massivem Einsatz von Chor, Blechbläsern und einigen elektronischen Akzenten, die es nicht unbedingt gebraucht hätte. Natürlich taucht das Apocalypse-Thema auch im weiteren Verlauf des Scores immer wieder auf. Subtile Andeutungen finden sich in der zweiten Hälfte von Moira’s Discovery/Apocalypse Awakens, eine bedrohliche Version erklingt am Ende von Going Grey/Who the F Are You, Eric’s Rebirth scheint von Fragmenten durchsetzt zu sein, Contacting Eric/The Answer enthält ein Statement am Ende, eine kräftigere Version erklingt in New Pyramide, Magneto Effect ist ebenfalls vom Apocalypse-Thema durchsetzt und schließlich erklingt es ein letztes Mal in Great Hero/You Betray Me.

Neben diesem starken neuen Thema kehren auch einige bekannte Leitmotive zurück. Primär sind das das X-Men-Thema, das bisher in jedem von Ottman vertonten X-Men-Film zu hören war, sowie das verdächtig nach Inception klingende Xavier-Thema, das in „Days of Future Past“ sein Debüt feierte. Letzteres ist u.a. in Just a Dream und Contacting Eric/The Answer zu hören, während Ersteres, wie bereits in „Days of Future Past“, primär als Eröffnung (Pyramide Collapses/Main Titles) und Abschluss (You’re X-Men/End Titles) des Films fungiert, was bedeutet, dass es wieder nur zwei volle Statements gibt. Immerhin hat Ottman dieses Mal noch ein paar zusätzliche, wenn auch sehr kurze und fragmentarische Varaitionen in seinen Score eingebaut. In New Pyramide ist es kurz am Anfang zu hören, in The Message bei 1:04, in Great Hero/You Betray Me bei 4:08 und schließlich noch einmal in Like a Fire bei 3:04 und 3:40 – der mit Abstand stärkste Einsatz außerhalb der Main Titles und des Abspanns. Darüber hinaus glaube ich, dass Ottman sein Magneto-Motiv aus „X2“ reaktiviert hat (eventuell kam es auch in „Days of Future Past“ vor) – da bin ich mir allerdings nicht wirklich, weil ich schon beim X2-Score mit diesem Motiv Wahrnehmungsprobleme hatte. In Eric’s Rebirth und Great Hero/You Betray Me gibt es Phrasen, die zumindest recht ähnlich klingen.

Obwohl nach wie vor einige RCP-Anleihen vorhanden sind, ist der Apocalypse-Score viel stärker von einem traditionell orchestralen Sound geprägt, was ihm definitiv gut tut. Nach wie vor problematisch finde ich allerdings, dass die Musik abseits der Themeneinsätze oftmals sehr anonym daherkommt. Das betrifft sowohl die ruhigeren Tracks der ersten Hälfte als auch die Action-Tracks in der zweiten. Letztere sind zwar durchaus gut komponiert und unterstützen die Szenen, gleichzeitig bleiben sie aber ziemlich austauschbar, nur selten ist man wirklich dazu geneigt zu sagen DAS ist Ottman oder DAS ist X-Men-Musik. Ich hätte mir gewünscht, dass Ottman seine Themen in der Actionmusik besser integriert. Während En Sabah Nurs Thema zu Beginn des Films beispielsweise noch sehr vorherrschend ist, kommt es in der zweiten Hälfte definitiv zu kurz.

Und nach wie vor hört man mitunter noch die Eigenheiten anderer Komponisten heraus, deren Arbeit wohl als Temp-Track diente, nur ist es eben dieses Mal nicht mehr Hans Zimner. Die emotionalen Stücke klingen mitunter ein wenig nach Thomas Newman, die Action-Tracks erinnern an Michael Giacchino, das Ende von Moira’s Discovery/Apocalypse Awakens gemahnt an Philip Glass und in Jet Memories gibt es ein paar Blechbläserfiguren, aus denen man ein wenig Elliot Goldenthal heraushören kann. Das alles sind weitaus subtilere Parallelen als es noch bei „Days of Future Past“ der Fall war und Anleihen bei Giacchino und Newman sind mir weitaus lieber als bei Zimmer (dessen Methodologie ist derzeit leider immer noch die dominante in Hollywood), aber sie verhindern doch, dass Ottmans Score wirklich eine eigene Idenität entwickeln kann.

Apropos Arbeit anderer Komponisten: Wie schon in „X2“ arbeitete Ottman auch hier wieder ein klassisches Musikstück ein, nämlich den zweiten Satz aus Beethovens siebter Sinfonie (Allegretto). Auf dem Album ist es, wie könnte es anders sein, im Track Beethoven Havok zu hören, zuerst sehr originalgetreu, nach und nach verwandelt es sich aber in moderne Actionmusik mit großem Chor und wummernden Percussions.

Fazit: „X-Men: Apocalypse“ ist gegenüber dem Vorgängerscore eine deutliche Verbesserung. Zwar ist Ottmans dritter X-Men-Soundtrack kein Meisterwerk und leidet nach wie vor an einer gewissen Anonymität, allerdings besticht er durch ein gelungenes neues Thema und zumindest solider Actionmusik, die nicht mehr allzu sehr nach Hans Zimmer klingt. Kompetent, wenn auch streckenweise eher uninspiriert und ein wenig zu sehr von anderen Komponisten beeinflusst.

Siehe auch:
X-Men: Apocalypse
Marvel-Musik: X-Men
X-Men: Days of Future Past – Soundtrack