Oppenheimer

Oppenheimer_(film)
Story: Der Physiker J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) wird während des Zweiten Weltkriegs von Lieutenant General Leslie R. Groves (Matt Damon) mit der Leitung des Manhattan Projects zur Entwicklung der Atombombe betraut. Die Bemühungen erweisen sich als erfolgreich, das Projekt gelingt und der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki beendet den Zweiten Weltkrieg. Doch Jahre später schwindet das Ansehen des „Vaters der Atombombe“, er gerät unter den Verdacht, ein Kommunist zu sein droht, durch die Intrigen des ambitionierten Politikers Lewis Strauss (Robert Downey jr.) nicht nur seine Sicherheitsfreigabe, sondern auch sein Ansehen zu verlieren…

Kritik: Christopher Nolans „Oppenheimer“ ist ein rundum faszinierendes Projekt, begonnen bei seiner Konzeption über den Kontext der Veröffentlichung bis hin zum eigentlichen Filminhalt. Mit diesem Film beweist Nolan ein weiteres Mal, dass er einer der letzten großen Autorenfilmer Hollywoods ist: Wer sonst bekäme ein derartiges Budget, von der beeindruckenden Riege an hochkarätigen Stars und Darstellern gar nicht erst zu sprechen, für das Biopic des „Vaters der Atombombe“? Dass „Oppenheimer“ trotz seiner Natur wegen Nolans Namen allein Aufmerksamkeit generieren würde, war ohnehin klar, aber die Wirkung, die der Film entwickelte, konnte man nun wirklich nicht vorhersehen, Stichwort „Barbenheimer“. Gemeinsam mit Greta Gerwigs „Barbie“ mutierte „Oppenheimer“ zu DEM Kinoereignis des Sommers, wahrscheinlich sogar des Jahres, das einer von Corona und (absolut gerechtfertigten) Streiks angeschlagenen Kinobranche zumindest einen Hauch Hoffnung beschert.

Von einem konventionellen Biopic ist „Oppenheimer“ freilich weit entfernt. Wie nicht anders zu erwarten experimentiert Nolan auch in diesem Film freudig mit Zeit, Zeitwahrnehmung und Erzählstruktur, wobei sich die ersten beiden Akte des Films stark vom dritten unterscheiden, man könnte sogar von einem Genrewechsel sprechen. Nolan umrahmt Oppenheimers Vorgeschichte und die eigentliche Schaffung der Atombombe nicht mit einer, sondern gleich mit zwei Rahmenhandlungen, zwei Anhörungen, die deutlich nach dem Zweiten Weltkrieg stattfinden: In der ersten steht Oppenheimers Sicherheitsfreigabe auf dem Prüfstand, in der zweiten, einer Senatsanhörung, geht es um Lewis Strauss‘ Bestätigung als Handelsminister der Vereinigten Staaten. Zu Anfang fungieren diese Anhörungen als Erzählrahmen, der erste Akt erinnert dabei noch am meisten an ein typisches Biopic, als Zuschauer erhalten wir verhältnismäßig knappe, ausgewählte Einblicke in Oppenheimers Leben vor dem Manhatten Project, inklusive Gastauftritten diverser Wissenschaftsgrößen, darunter Niels Bohr (Kenneth Branagh), Werner Heisenberg (Matthias Schweighöfer) oder Albert Einstein (Tom Conti). Der zweite Akt ist weniger sprunghaft, hier steht die Konstruktion der Atombombe bis zum erfolgreichen Testlauf im Fokus, im dritten Akt hingegen werden die beiden Anhörungen zum zentralen Element.

Nun ist „Oppenheimer“ sicher kein Actionfilm, im Prinzip besteht der Film aus vielen Unterhaltungen über zum Teil sehr wissenschaftliche Themen. Dennoch ist das Ganze derart dynamisch bzw. bombastisch inszeniert und geschnitten, dass Oppenheimers Leben eine beeindruckende Sogwirkung entwickelt. Die Atombombe scheint in den ersten beiden Akten das Zentrum eines dramaturgischen Strudels zu sein, auf das alle Ereignisse des Films zusteuern bzw. von dem sie angezogen werden, inklusive der Rahmenhandlung, die zwar nach dem erfolgreichen Test spielt, zugleich aber ebenfalls als Erzählinstanz auf diesen hinarbeitet. Gerade hier zeigt Nolan seine Meisterschaft, denn diese komplexe narrative Herangehensweise hätte in den Händen eines geringeren Regisseurs oder Drehbuchautors leicht in die Hose gehen können, funktioniert hier jedoch ausgezeichnet. Das einnehmende Momentum der ersten beiden Akte geht nach dem erfolgreichen Test der Bombe verloren – hier mutiert „Oppenheimer“ regelrecht zum Politthriller, die Anhörungen arten zum Duell der Rivalen Strauss und Oppenheimer aus. Das, wohlgemerkt, ohne dass es zur direkten Konfrontation käme und mit der Option, dass diese Duell-Narrative lediglich auf Strauss‘ Wahrnehmung beruht. Schnitt und Strukturierung sorgen allerdings abermals dafür, dass keinerlei Langeweile aufkommt und der Film eine beeindruckende Dynamik beibehält, auch wenn, notgedrungen, der Sog der ersten beiden Akte nicht beibehalten wird. Während sich die ersten beiden Stunden des Films mit der Frage beschäftigen, ob und wie die Atombombe gebaut werden kann, konzentriert sich die dritte auf die Konsequenzen, moralischen Implikationen etc.

Bei einem derart komplexen Sujet bleiben natürlich viele Elemente auf der Strecke – wer sich etwa eine adäquate Darstellung der wissenschaftlichen Hintergründe gewünscht hat, wird unweigerlich enttäuscht, auch wenn diese im ersten Akt zumindest in Ansätzen etwas angerissen werden. Nolan geht es viel mehr um Themen wie Verantwortung und persönliche Wahrnehmung. Ein immer wiederkehrendes Element in der Handlung ist Oppenheimers Gespräch mit Einstein, das mehrfach aus verschiedenen Perspektiven gezeigt wird. Wahrnehmung und Standpunkt bestimmen zudem die Farbgebung des Films: Szenen in schwarzweiß sollen eine gewisse Objektivität vermitteln, während Farbe von Oppenheimers persönlichem Blickwinkel kündet, man könnte es allerdings auch figurenabhängig interpretieren: Farbig für Oppenheimer, schwarzweiß für Strauss. Immer wieder bekommt man zudem Einblicke in die Gedankenwelt des Wissenschaftlers, etwa wenn er sich physikalische Prinzipien visualisiert oder Visionen von der Wirkung der Atombombe hat. Ähnlich wie in „Dunkirk“ bleibt Nolan der Perspektive seiner Protagonisten verhaftet, weder die Nazis noch die Japaner werden in irgendeiner Form gezeigt, auch der Abwurf der Atombombe bleibt ein Ereignis, über das wir als Zuschauer nur informiert werden. Nolan zeigt lediglich Oppenheimers Vorstellung der Konsequenzen.

Noch beeindruckender als sonst fällt dieses Mal die Darstellerriege aus, sowohl was die Leistungen als auch der schieren Präsenz großer Namen angeht. Dass dieser Film Cillian Murphy gehört, dürfte wohl absolut niemand überraschen. Es handelt sich bereits um die sechste Zusammenarbeit von Nolan und Murphy, allerdings die erste, in der er sich seiner als Hauptdarsteller bedient. Murphy liefert eine beeindruckende Darstellung des Wissenschaftlers ab, umso mehr, da der Film sich so sehr an seiner Perspektive orientiert. Das schreit regelrecht nach einer Oscar-Nominierung, wenn nicht gar nach einem Sieg, und in diesem Fall wäre das auch völlig gerechtfertigt. Abseits von Murphy ist „Oppenheimer“ so hochkarätig besetzt wie kein anderer Nolan-Film – angesichts der Darstellerriege, die der Regisseur in seinen bisherigen Filmen um sich versammeln konnte, ist das ein beeindruckendes Urteil. Murphy stellt alle anderen zwar gnadenlos in den Schatten, nicht zuletzt wegen des zentralen Fokus auf die Titelfigur, aber gerade die Performance von Robert Downey jr. ist kaum weniger eindrucksvoll. Auch abseits dieser beiden ist „Oppenheimer“ wirklich bis in die kleinste Rolle extrem prominent besetzt. Trotz begrenzter Leinwandzeit hinterlassen Emily Blunt als Oppenheimers Ehefrau Katherine und Florence Pugh als seine Geliebte Jean Tatlock ebenso einen bleibenden Eindruck wie Matt Damon als Leslie Groves. Kenneth Branagh, hier zu sehen als Niels Bohr, scheint nach „Dunkirk“ und „Tenet“ langsam zu einem von Nolans Standardschauspielern zu werden und auch das Mitwirken von Matthew Modine (als Vannevar Bush) und David Dastmalchian (als William L. Borden) ist kaum verwunderlich. Wirklich überrascht hingegen hat mich Gary Oldmans fünf Minuten dauernder, aber von unkenntlich machendem Make-up geprägter Auftritt als Präsident Harry S. Truman. Fehlt eigentlich nur Michael Caine…

Was den Score angeht, wandte sich Nolan erneut an Ludwig Göransson, nachdem dieser bei „Tenet“ bewies, dass er ebenfalls Zimmer’sche Klanggebilde schaffen kann. Nolan bemüht sich bezüglich Musik und Sounddesign wie üblich um ein immersives Erlebnis, was zur Folge hat, dass beide Elemente der Tonspur oftmals verschmelzen. Göranssons Arbeit hier ist, trotz eines gewissen Hangs zum Minimalismus und zu abstrakten Klangteppichen, allerdings deutlich besser und angenehmer hörbar als die Scores von „Dunkirk“ oder „Tenet“ mit ihren aggressiven Sounddesign-Elementen. Über weite Strecken dominieren durchaus melodische Steicherpassagen, die dazu dienen, Oppenheimers emotionales Innenleben darzustellen. Die wissenschaftlichen Bestandteile der Geschichte, aber auch das politische Drama, werden dagegen eher durch Synth- und Eletronica-Elemente, die z.T. vage an Vangelis erinnern, repräsentiert. Gemessen am Nolan’schen Soundtrack-Standard ist dieser hier fast schon zugänglich und auch außerhalb des Films genießbar.

Fazit: Ist „Oppenheimer“ Nolans bester Film? Dieses Urteil möchte ich (noch) nicht fällen. Gerade von handwerklicher, narrativer oder schauspielerischer Seite ließe sich zweifelsohne ein gutes Argument machen, andererseits habe ich, aufgrund meiner Prädisposition, nach wie vor eine große Vorliebe für „Batman Begins“ und „The Dark Knight“. Ist „Oppenheimer“ einer der, wenn nicht gar DER beste Film des Jahres 2023? Mit Sicherheit. „Oppenheimer“ ist ein einnehmendes, anspruchsvolles, aber dennoch spannendes und mitreißendes Portrait eines ebenso genialen wie zerrissenen Menschen. Wer mit Nolans Stil und Eigenheiten nichts anfangen kann, wird durch „Oppenheimer“ sicher auch nicht bekehrt, aber alle anderen sollten sich diesen Film nicht entgehen lassen.

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Siehe auch:
Dunkirk

Thor: Ragnarok – Ausführliche Rezension

Spoiler nach dem ersten Absatz!
ragnarok
Und ein weiteres Mal hat sich Marvel bei der Eindeutschung eines Filmtitels mit Ruhm bekleckert. Nach Perlen wie „Thor: The Dark Kingdom“ („Thor: The Dark World“) und „The Return of the First Avenger“ („Capatain America: The Winter Soldier“) kommt nun „Thor: Tag der Entscheidung“ – ein völlig generischer und nichtssagender Titel. Im Gegensatz dazu hat der Originaltitel „Thor: Ragnarok“ immerhin einen sehr direkten Bezug zum Inhalt und zur Mythologie. Nun scheint es sich hier um ein titelrechtliches Problem zu handeln, wobei ich nicht herausfinden konnte, welcher andere Film die Ursache ist. Dennoch stellt sich mir die Frage, ob man Thors dritten Solofilm nicht mit etwas passenderem wie „Schicksal der Götter“ oder „Götterdämmerung“ hätte betiteln können – beides wären angemessene Übersetzungen des altnordischen Wortes „Ragnarök“. Wie dem auch sei, „Thor: Ragnarok“ ist mal wieder ein Film, der eine ausführliche Besprechung verdient. Wie üblich gibt es zu Beginn meine spoilerfreie Kurzmeinung: Visuell ist der dritte Thor-Film mit Sicherheit der beeindruckendste und abwechslungsreichste Teil der Reihe. Auch inszenatorisch weiß Regisseur Taika Waititi dem Donnergott seinen Stempel aufzudrücken. Dies schlägt sich vor allem im extrem selbstironischen Ton des Films nieder, was allerdings zur Folge hat, dass „Thor Ragnarok“ emotional ziemlich flach bleibt und trotz eines extrem spielfreudigen Casts an einigen der üblichen MCU-Schwächen leidet.

Handlung
Zwei Jahre sind vergangen, seit Thor (Chris Hemsworth) zum letzten Mal die Erde besuchte, um mit den Avengers Ultron zu bekämpfen. Seither suchte der Donnergott in den Neun Welten nach Spuren der Infinity-Steine, nur um letztendlich in den Fängen des Feuerriesen Surtr (Clancy Brown) zu landen, der laut einer Prophezeiung Ragnarök auslösen und Asgard dereinst zerstören wird, wenn sich seine Krone mit der Ewigen Flamme von Asgard vereinigt. Trotzdem lässt sich der Riese relativ leicht besiegen. Thor bringt die Überreste nach Asgard, nur um zu entdecken, dass dort nicht mehr Odin (Anthony Hopkins), sondern sein Stiefbruder Loki (Tom Hiddleston) regiert und die Stabilität der Neun Welten gefährdet. Thor „verpflichtet“ Loki, ihm bei der Suche nach Odin zu helfen. Mithilfe des Zauberers Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) finden sie Odin in Norwegen, doch der Allvater steht an der Schwelle des Todes. Sein Dahinscheiden befreit seine älteste Tochter Hela (Cate Blanchett), die einst verstoßen wurde und nun den in ihren Augen rechtmäßigen Platz auf Asgards Thron einnehmen möchte. Sie verbannt Thor und Loki auf die Welt Sakaar, auf der der Grandmaster (Jeff Goldblum) Gladiatorenspiele veranstaltet. Um den Fängen des Grandmasters entkommen zu können und Hela daran zu hindern, die Bevölkerung Asgards abzuschlachten, muss sich Thor mit seinem alten Kampfgefährten Hulk (Mark Ruffalo) messen und eine ehemalige, im Exil lebende Walküre aus Asgard (Tessa Thompson) davon überzeugen, ihm zu helfen…

Ein Blick auf die Vorlagen
Die Vorlagen für „Thor: Ragnarok“ lassen sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen – die beiden primären Quellen sind die ältere Lieder-Edda und die jüngere, von Snorri Sturluson gesammelte Prosa-Edda. Generell geht es in den diversen Versionen der Götterdämmerung um den letzten Kampf der Riesen gegen die Götter, wobei auch der Feuerriese Surtr, wie im Film, eine wichtige Rolle spielt. Primärer und direkter Auslöser ist aber, anders als im Film, zumeist Loki, der zuvor von Odin an einen Felsen gekettet wurde, wobei ihm das Gift eine Schlange beständig auf den Leib tropft und ihm unbändige Schmerzen bereitet. Dieses Schicksal ist die Bestrafung dafür, dass Loki den Tod des allseits beliebten Gottes Balder herbeigeführt hat. Zu Ragnarök wird Loki befreit und kämpft mit den Riesen gegen die Götter, um letztendlich von Heimdall getötet zu werden. Lokis unmenschliche Kinder Fenrir (ein Wolf von der Größe eines Elefanten) und die gewaltige Midgardschlange, spielen ebenfalls wichtige Rollen; Ersterer verschlingt Odin. Am Ende von Ragnarök soll in manchen Versionen schließlich eine neue, bessere Welt entstehen, damit das Opfer der Götter nicht umsonst war.

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Der Donnergott (Chris Hemsworth) wird seinem Titel gerecht

Wie nicht anders zu erwarten war, wurde die Ragnarök-Thematik in Marvels Version der nordischen Mythologie des Öfteren aufgegriffen. Die vierteilige Miniserie „The Trials of Loki“ von Roberto Aguirre-Sacasa und Sebastián Fiumara etwa erzählt die oben erwähnte Vorgeschichte vom Tod Balders. Nebenbei bemerkt dürfte es sich dabei um die Thor-Comics handeln, die die nordische Mythologie am genauesten umsetzen und kaum Zugeständnisse ans Superheldengenre machen. Das Design der Figuren entspricht natürlich dem Marvel-Standard (Thor ist blond und nicht, wie in den mythologischen Quellen beschrieben, rothaarig; Loki trägt einen goldenen Hörnerhelm etc.), aber davon sowie einigen inhaltlichen Anpassungen abgesehen funktioniert diese Miniserie auch völlig vom Marvel-Universum getrennt als Adaption einer Geschichte der nordischen Mythologie. Die tatsächliche Umsetzung von Ragnarök geschieht in den Comics dann allerdings weit weniger vorlagengetreu. Bereits in den 1960ern gab es eine Ragnarök-Storyline, noch von Stan Lee und Jack Kirby persönlich, in der das Alien Mangog den Platz von Surtr einnimmt. Ein aus den 2000ern stammender Handlungsbogen trägt ebenfalls den Titel „Ragnarök“ und orientiert sich schon eher an den mythologischen Quellen, zumindest spielen Loki als Anführer der Riesen, Fenrir und die Midgardschlange wichtige Rollen, die mit denen in den Eddas immerhin vergleichbar sind. Darüber hinaus führt Ragnarök hier tatsächlich zu so einer Art Wiedergeburt einer besseren Welt. Interessanterweise spielt Hela (bzw. Hel, die mythologische Vorlage für Marvels Göttin des Todes, dazu später mehr) in keiner dieser Versionen von Ragnarök eine besonders bedeutsame Rolle.

Und schließlich wäre da noch eine wichtige Vorlage, die überhaupt nichts mit Thor oder Ragnarök zu tun hat: „Planet Hulk“, ein umfassender Handlungsbogen aus der Serie The Incredible Hulk, verfasst von Greg Pak und gezeichnet von verschiedenen Illustratoren, der von April 2006 bis Juni 2007 erschien und erzählt, wie der Hulk von den Illuminati, einer Gruppe mächtiger Marvelhelden, darunter Professor Xavier, Doctor Strange und Tony Stark, nach Sakaar verbannt wird. Dort nimmt der Hulk zuerst an Gladiatorenspielen teil, zettelt dann eine Revolution an, wird zum Herrscher von Sakaar und findet sogar eine Geliebte, nur um alles wieder zu verlieren. Die auf Sakaar spielenden Elemente des Films sind zumindest von „Planet Hulk“ inspiriert, wobei in besagtem Handlungsbogen weder Thor, noch Loki, Valkyrie oder der Grandmaster (der mit seinem Comicgegenstück ohnehin kaum etwas gemein hat) eine Rolle spielen. Lediglich Kork (Taika Waititi) und Miek sind Figuren, die direkt aus „Planet Hulk“ stammen.

Ton und Stil
Ähnlich wie „Captain America: The Winter Soldier“ ist auch „Thor: Ragnarok“ eine deutlich Abkehr von der Stilistik des bzw. der Vorgänger. Wo der zweite Leinwandauftritt von Steve Rogers allerdings weit düsterer und ernster war als der erste, geht der dritte Thor-Film genau in die entgegengesetzte Richtung und iniziiert die nordische Mythologie mit einer kräftigen Dosis Selbstironie á la „Guardians of the Galaxy“. Regisseur Taika Waitit bricht mit diversen Konstanten der beiden Vorgänger: Die Erde spielt praktisch keine Rolle mehr, dasselbe trifft auch auf die erdgebundenen Figuren zu. Jane Foster (Natalie Portman), Erik Selivg (Stellan Skarsgård) und Darcy Lewis (Kat Dennings) bekommen nicht einmal Gastauftritte; das Ende von Janes und Thors Beziehung wird nur einmal in einem Halbsatz erwähnt (nicht, dass mich das sonderlich stören würde). Selbst diverse Asen werden eher stiefmütterlich behandelt. Lady Sif fehlt ebenfalls (allerdings vor allem deshalb, weil es Terminüberschneidungen mit Jaimie Alexanders Serie „Blindspot“ gab) und die „Warrior’s Three“ Hogun (Tadanobu Asano), Volstagg (Ray Stevenson) und Fandral (Zachary Levi) tauchen zwar auf, werden aber bereits im ersten Akt eher unrühmlich von Hela niedergemetzelt. Und das ist erst der Anfang, die Änderungen im Status Quo fallen gegen Ende noch weit gravierender aus: Odin stirbt, Asgard wird völlig zerstört und Thor führt als neuer König die überlebenden Asen ins Exil.

Die tonalen Unterscheide zum Vorgänger fallen allerdings am gravierendsten aus, und hier tritt auch Taika Waitits Handschrift sehr deutlich hervor. Vor allem Kenneth Branagh bemühte sich, ein Gleichgewicht zwischen Humor und Selbstironie auf der einen und Shakespear’scher bzw. mythologischer Gravitas auf der anderen Seite zu finden. In „Thor: Ragnarok“ gibt es dieses Gleichgewicht nicht, was zugleich die größte Stärke und auch die größte Schwäche des Films ist. „Thor“ wirkte oft, als hätte Branagh Kompromisse machen müssen, und „Thor: The Dark World“ merkt man diverse Probleme bei der Produktion ziemlich gut an. „Thor: Ragnarok“ dagegen ist zweifellos Taika Waititis Film, ohne Wenn und Aber. Gerade „Fünf Zimmer, Küche, Sarg“ bietet sich hier ideal als Vergleich an, in beiden Fällen reagieren äußerst abgedrehte und übernatürliche Figuren (Vampire, Götter) auf sehr selbstironisch-alltägliche Weise. Der etwas gehobenere Sprachstil der Asen ist endgültig Vergangenheit, alle beteiligten, von der Göttin des Todes an abwärts drücken sich äußerst jovial und modern aus. Ganz ähnlich wie Waititis Vampir-Mockumentary gibt es in „Thor: Ragnarok“ ein beständig gehaltenes Humor-Level, das auch noch funktioniert und niemals erzwungen wirkt. Laut Waititis eigener Aussage sind große Teile des Films improvisiert und ich habe keinerlei Probleme, das auch zu glauben. Leider wirkt sich dieser Umstand negativ auf die Momente aus, die tatsächlich dramatisch sein sollten, denn Waititis Regiestil verhindert, dass diese Momente ihre Wirkung entfalten können. Zwar gab es auch in „Thor“ ironische Seitenhiebe und auflockernden Humor, aber eben auch die durchaus eindrücklichen emotionalen Momente. In diesem Film gibt es keine Szene, die der Intensität von Thors Verbannung aus dem ersten Film auch nur nahe kommt. Im Vergleich dazu hat „Guardians of the Galaxy Vol. 2“ den Spagat zwischen konstantem Humor und emotionaler Authentizität weitaus besser gemeistert.

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Der Grandmaster (Jeff Goldblum), im Kreise seiner Untergebenen Topaz (Rachel House) und Valkyrie (Tessa Thompson)

Dafür ist „Ragnarok“ visuell zweifellos der gelungenste Film der Thor-Trilogie: Der erste Teil kämpfte mit einem optischen öden zweiten Akt in New Mexico, während „The Dark World“ uns zwar einige der neun Welten zeigte, aber keine davon wirklich interessant war. Diesbezüglich hält sich Waititi absolut nicht zurück, Sakaar ist einer der optisch interessantesten und faszinierendsten Orte des MCU. Wenn man hier einen Kritikpunkt anbringen kann, dann vielleicht den, dass Asgard im Vergleich zu Sakaar ein wenig stiefmütterlich behandelt wird – man merkt, welche Lokalität Waititi selbst am meisten interessierte.

Insgesamt ist „Thor: Ragnarok“ kaum mehr eine Darstellung der nordischen Götterwelt, sondern eine völlig abgedrehte Space Opera im 80er-Jahre-Stil, die recht gut zur aktuellen Welle der 80er-Nostalgie passt. Das reicht von der Neonfarbgebung bis hin zur Musik von Mark Mothersbaugh, die ich noch separat besprechen werde.

Die Revengers
Taika Waititis Regiestil und seine Vorliebe für Improvisation wirken sich natürlich besonders stark auf Darstellung und Charakterisierung der Figuren aus. Im Zentrum der Handlung stehen neben Thor noch drei weitere Figuren, die jeweils ihren eigenen kleinen Charakterhandlungsbogen haben: Loki, der wie schon in „Thor: The Dark World“ als unzuverlässiger Verbündeter fungiert, Hulk, der auf Bruce Banner absolut keine Lust mehr hat, und der Neuzugang Valkyrie. In den Comics ist Valkyrie (zumindest die ursprüngliche Inkarnation) tatsächlich die Marvel-Version von Brünhilde/Brynhildr und fungierte sowohl als Nebenfigur bzw. Love Interest in diversen Thor-Comics als auch als eigenständige Superheldin, die u.a. Teil der Defenders war. Interessanterweise wird ihr Name im Film nicht genannt, sie trägt die Kennung „Scrapper 142“ und wird ansonsten immer nur als eine Walküre bezeichnet (in einem kurzen, aber visuell extrem eindrucksvollen Rückblick sind auch die anderen Walküren zu sehen). Im Marvel Cinematic Universe waren die Walküren wie in den Comics und der Mythologie die Eliteinheit Odins, wurden dann aber von Hela ausgelöscht. Scrapper 142 scheint die einzige Überlebende zu sein (was im Film aber nur angedeutet und nicht bestätigt wird) und versucht, auf Sakaar ihre Schuldgefühle zu ertränken. Im Verlauf des Films überwindet sie ihre Probleme und kehrt an Thors Seite nach Asgard zurück. Valkyrie ist ohnehin der heimliche Star des Films, da überrascht es kaum, dass ihr Handlungsbogen am überzeugendsten und authentischsten ausfällt.

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Die Revengers: Hulk (Mark Ruffalo), Thor (Chris Hemsworth), Valkyrie (Tessa Thompson) und Loki (Tom Hiddleston)

Der titelgebende Donnergott setzt im Grunde die Reise fort, die er zu Beginn seines ersten Films antrat – in gewisser Weise ist „Thor: Ragnarok“ diesbezüglich ein Spiegel besagten ersten Films. Abermals verliert Thor seinen Hammer, sogar verhältnismäßig endgültig, und abermals bereitet er sich darauf vor, den Thron von Asgard zu besteigen – nur dass das dieses Mal am Ende seiner Reise steht und er nun auch wirklich würdig ist, sein Volk anzuführen. Eigentlich eine gut konstruierter Handlungsbogen – hier schadet allerdings Waititis Regiestil, weil man aufgrund der konstanten Selbstironie und der humoristischen Seitenhiebe nie ein Gefühl dafür bekommt, was das alles eigentlich für Thor bedeutet. Der Thor dieses Films ist die bislang gelassenste und lustigste Version der Figur, zugleich bekommt man aber auch das Gefühl, dass ihm nichts mehr wirklich emotional nahe geht, ganz im Unterschied zu Kenneth Branaghs Thor, der weit wütender und verzweifelter werden durfte. Ein interessantes kleines Detail in seiner Charakterisierung ist die Signifikanz, die seine Identität als Avenger einnimmt und auf die er scheinbar großen Wert legt. Dies wird am deutlichsten sichtbar, als er das Team um sich selbst, Loki, Valkyrie und Hulk zu den „Revengers“ erklärt.

In Lokis Fall sieht es ganz ähnlich aus – bei Waititi geht der Humor oft auf seine Kosten. Nicht, dass das völlig neu wäre („puny god“), aber auch hier haben vorhergegangene Filme dem Gott der Lügen zumindest hin und wieder einen, nennen wir es, „authentischen Moment“ gegönnt, etwa seine Reaktion auf den Tod seiner Mutter in „Thor: The Dark World“. Mit „Ragnarok“ wird Loki endgültig zum Antihelden, der zwar zwischendurch einmal ein bisschen Verrat übt (alte Gewohnheiten legt man schwer ab), aber letztendlich das richtige tut.

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Hulk (Mark Ruffalo) gegen Surtr (Clancy Brown)

Und dann wäre da noch der Hulk, der sich in seiner interessanten Situation befindet. Seit „Age of Ultron“ hat er sich nämlich nicht wieder in Bruce Banner zurückverwandelt, erst Thors Auftauchen (und ein wenig indirekte Hilfe von Black Widow) sorgen dafür, dass Banner zurückkehrt. Sein Schicksal ist relativ offen, da Bruce selbst befürchtet, dass er sich beim nächsten Mal überhaupt nicht mehr zurückverwandelt. Dennoch tut er am Ende das, was ohnehin jeder Zuschauer erwartet: Er wird grün und legt sich mit Fenrir und Surtr an.

Hela
Kehren wir noch einmal zur nordischen Mythologie zurück. Schon die Comicversion von Hela hat mit ihrem mythologischen Gegenstück recht wenig zu tun. Das beginnt bereits beim Namen, denn die nordische Göttin des Todes heißt Hel – von diesem Namen leiten sich die Wörter „Hell“ und „Hölle“ ab. Da die Marvel-Version der nordischen Mythologie in den 60ern entstand, als der Comics Code alle religiösen Verweise in Comics untersagte, änderten Stan Lee und Jack Kirby den Namen ab, um ihn zu entschärfen, jedenfalls meine ich, das irgendwo einmal gelesen zu haben. Vereinzelt tauchte die Hela-Schreibweise der Totengöttin aber auch schon vor der Marvel-Version auf. Wie dem auch sei, in der nordischen Mythologie ist Hel die Tochter Lokis und der Riesin Angrboða, mit der Loki auch Fenrir und die Midgardschlange zeugte. Optisch hat sie eine gewisse Ähnlichkeit mit Two Face, ihre eine Körperhälfte ist jung, schön und üppig, während die andere tot und verfault ist. In der nordischen Mythologie herrscht sie, ähnlich wie Hades, über die nach ihr benannte Unterwelt, wobei sie lediglich die Seelen derjenigen bekommt, die eines friedlichen oder natürlichen Todes sterben, während die Krieger, die in der Schlacht gestorben sind, von den Walküren nach Walhalla gebracht werden.

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Hela (Cate Blanchett)

Für die Marvel-Version der nordischen Mythologie wurden viele dieser Aspekte abgewandelt. Visuell ist nun der geweihartige Kopfschmuck Helas Markenzeichen. Sie ist nach wie vor die Herrscherin der Unterwelt, hat aber, anders als ihr mythologisches Gegenstück, Ambitionen darüber hinaus, sodass als sie als Schurkin für Thor fungieren kann. Ihre Herkunft bleibt in den Comics ziemlich undurchsichtig, sie scheint tatsächlich eine Tochter von Loki zu sein, allerdings eines anderen Loki als des aktuellen, was entweder mit wiederkehrenden Inkarnationen der Asen oder mit Zeitreisen erklärt wird.

Die von Cate Blanchett dargestellte Film-Hela entfernt sich schließlich noch weiter von der nordischen Göttin. Optisch wurde die Comicfigur fast perfekt umgesetzt, nun ist sie allerdings die älteste Tochter von Odin, die früher an seiner Seite die Neun Welten eroberte, dann aber die Macht übernehmen wollte und deshalb verbannt wurde. Ihre Rolle als Herrscherin der Unterwelt findet im Film keine Erwähnung, sie ist Göttin des Todes, weil sie den Tod bringt. Ehrlich gesagt bin ich mit der Darstellung Helas im Film nicht wirklich zufrieden. Cate Blanchett hat sichtlich Spaß dabei, so richtig aufzudrehen, und im Vergleich zum sterbenslangweiligen Malekith ist Hela definitiv eine Verbesserung, aber insgesamt ist sie mir mit ihrem Vaterkomplex Loki im ersten Thor-Film zu ähnlich, ohne dessen Nachvollziehbarkeit zu besitzen. Mehr noch, in den Comics ist Hela nie eine Sprücheklopferin, sondern enigmatisch, kalt, unnahbar und fremdartig. Hier hätte man einen schönen Kontrast zu den anderen Figuren schaffen und Hela als Widersacherin eindringlich gestalten können, leider hält sie stattdessen primär größenwahnsinnige Monologe, in denen sie ihre Hintergrundgeschichte erzählt. Somit ist Hela zwar sehr unterhaltsam, verschenkt aber gleichzeitig das Potential, eine wirklich eindringliche Schurkin zu sein.

Einordnung ins MCU
Insgesamt nimmt „Ragnarok“ sehr viel inhaltlichen Bezug auf bisherige MCU-Filme, mitunter auf ziemlich amüsante und kreative Weise. So wird Lokis Pseudosterbeszene aus „The Dark World“ in Asgard aufgeführt, wobei Matt Damon Loki spielt, Sam Neill als Odin zu sehen ist und Chris Hemsworths Bruder Luke Thor mimt. Auf Sakaar gibt es viele Bezüge zu „Age of Ultron“ und, in geringerem Maße, zum ersten Avengers-Film. Am interessantesten sind allerdings die kleinen und größeren Details, die auf Kommendes hindeuten. So wurde beispielsweise bestätigt, dass es sich beim Grandmaster und den Bruder des von Benicio del Toro dargestellten Collector aus „Guardians of the Galaxy“ handelt – steht da irgendwann ein familiäres Wiedersehen bevor? Darüber hinaus finden sich einige Verweise auf den anstehenden Krieg um die Infinity-Steine: Dass Loki kurz vor Schluss den Tesserakt aus Odins Schatzkammer stiehlt, dürfte ja wohl klar sein und das Schiff, auf das die Asen in der Mid-Credits-Szene stoßen, hat sicher direkt oder indirekt etwas mit Thanos zu tun. In Fankreisen wird darüber hinaus spekuliert, ob Hela im Kontext des dritten Avengers-Film noch eine größere Rolle spielen könnte. Thanos‘ primäre Motivation dafür, die Infinity-Steine zu sammeln und Allmacht zu erlangen, ist seine Liebe zur Personifikation des Todes. Könnte Hela im MCU diese Personifikation sein? Nach „Ragnarok“ halte ich das allerdings eher für unwahrscheinlich oder doch zumindest für ziemlich unpassend, nicht zuletzt weil ich hoffe, dass „Avengers: Infinitiy War“ einen deutlich anderen Ton hat als „Ragnarok“

Fazit
„Thor: Ragnarok“ ist eine visuell überbordende Space Opera im 80er-Stil, deren selbstironischer Humor zugleich Stärke und Schwäche ist. Thors dritter Solo-Leindwandausflug ist durchweg unterhaltsam und kurzweilig, äußerst lustig, aber selbst im Vergleich zu anderen MCU-Filmen emotional verhältnismäßig eindimensional.

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Trailer

Siehe auch:
Thor
Thor: The Dark World