Berge des Wahnsinns

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An H. P. Lovecraft scheiden sich die Geister – für seine Art des Horrors und des Grauens muss man empfänglich sein (und zudem sollte man wegen seines trockenen und mitunter sperrigen Stils auch ein gewisses Maß an Durchhaltevermögen besitzen). An seiner, nach „Der Ruf des Cthulhu“, berühmtesten Geschichte, „Berge des Wahnsinns“, scheiden sich allerdings selbst unter denen, die Lovecraft wohlgesonnen sind, die Geister.
Inhaltlich gibt es zwar viele Parallelen, aber auch einige Unterschiede zu den typischen Lovecraft-Geschichten. Die bedeutendste Abweichung vom üblichen Schema dürfte wohl der Schauplatz sein; während die meisten seiner Geschichten in Lovecrafts Heimat Neuengland (wo „Berge des Wahnsinns“ immerhin beginnt), finden die Ereignisse dieser Erzählung in der Antarktis statt. Ansonsten ist allerdings vieles Vertraut: Wie so oft haben wir einen Ich-Erzähler; die Geschichte ist als Bericht eines Überlebenden konzipiert. Ebenso tauchen viele der typischen Lovecraft-Anspielungen auf, etwa die Stadt Arkham oder das Necronomicon des verrückten Arabers Abdul Alhazred.
Der Ich-Erzähler, William Dyer, berichtet von einer Expedition der Miskatonic-Universität in die Antarktis. Das Expeditionsteam entdeckt dabei tief im Süden eine gewaltige Bergkette, deren Gipfel höher sind als der Mount Everest. In diesen Bergen des Wahnsinns stoßen die Forscher zuerst auf merkwürdige Fossilien und später auf eine gewaltige Stadt, die nicht von Menschenhand errichtet wurde. Sie entdecken, dass bereits andere intelligente Geschöpfe, die sie die „Alten Wesen“ nennen, die Erde bevölkert, gegen den tentakelgesichtigen Gott Cthulhu gekämpft und wahrscheinlich auch das restliche Leben auf der Erde erschaffen haben – und nicht nur dieses. Als Sklaven verwendeten sie die ebenfalls künstlich gezüchteten Shoggothen, doch diese erhoben sich gegen ihre Herren, und sie bevölkern immer noch die Berge des Wahnsinns…
„Berge des Wahnsinns“ gehört zwar zum sogenannten „Cthulhu-Mythos“ (Lovecraft selbst verwendete diesen Begriff nie für die von ihm geschaffene, lose miteinander verknüpfte Mythologie, er stammt von August Derleth), doch die Herangehensweise ist eine andere als in den meisten anderen Lovecraft-Geschichten. Während diese zumeist eher andeuten und mysteriös bleiben – nicht selten verfällt der Protagonist dem Wahnsinn, weil er das Ausmaß des kosmischen Bedrohung, die von den Großen Alten ausgeht, schlicht nicht erfassen kann – ist diese Geschichte eindeutiger. Auf gewisse Weise folgt „Berge des Wahnsinns“ dem üblichen Muster, aber eben nur auf gewisse Weise. Nicht zuletzt wegen der Protagonisten ist alles wissenschaftlicher als in den meisten anderen Lovecraft-Geschichten; „Berge des Wahnsinns“ führt den „Cthulhu-Mythos“ nicht nur weiter, sondern dekonstruiert ihn auch. Lovecraft war bekennender Atheist und ging schließlich auch an seinen eigenen Mythos wissenschaftlich heran. In vielen Mythos-Geschichten gibt es ein gewisses Science-Fiction-Element, das in dieser am stärksten hervortritt – durch die Analyse Dyers werden die „Monster“ der Geschichte greifbarer. Obwohl der Mythos dekonstruiert wird, ist der Schrecken von „Berge des Wahnsinns“ doch von der Sorte, wie man ihn häufig bei Lovecraft findet: Die Idee der Bedeutungslosigkeit der Menschen, die lediglich aus Zufall oder zum Amüsement einer überlegenen Spezies erschaffen wurden.
Um ganz ehrlich zu sein: Mir persönlich sind die mythischeren Lovecraft-Geschichten lieber, in „Berge des Wahnsinns“ ist vieles ein wenig zu klar und eindeutig; so spielen die mythischeren Elemente, wie das Necronomicon, dieses Mal auch eine eher untergeordnete Rolle. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Geschichte nicht auch ihre ganz eigene Faszination ausüben würde. Das ewige Eis der Antarktis schafft eine fremdartige Atmosphäre, die Lovecraft vorzüglich auszunutzen weiß.
Daher ist es wenig verwunderlich, dass vor einiger Zeit eine Filmadaption von „Berge des Wahnsinns“ geplant war. Guillermo del Toro sollte Regie führen – eine Nachricht, die den Fans buchstäblich das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, immerhin hatte der Mexikaner bereits bei „Hellboy“ eine gewisse Affinität für Lovecraft gezeigt. Del Toro war auch nicht bereit, Kompromisse einzugehen und wollte partout nicht, dass der Stoff entschärft, mit einem Happy-End versehen oder auf andere Art an Hollywood-Konventionen angepasst wurde. Möglicherweise wurde der Film deshalb auch, trotz der Unterstützung James Camerons, für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Als weiterer Grund wird oftmals Ridley Scotts „Prometheus“ angegeben – ich schrieb ja bereits an anderer Stelle, dass „Prometheus“ beinahe wie eine Sci-Fi-Version von „Berge des Wahnsinns“ wirkt.
Obwohl der Film letztendlich nicht gedreht wurde und die Chancen darauf, dass er noch gedreht wird, zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher gering sind, ist es möglich, „Berge des Wahnsinns“ zu konsumieren, ohne Lovecrafts Text lesen zu müssen – man kann ihn einfach hören. Für den Anfänger empfiehlt sich hierbei das Gruselkabinett-Hörspiel von Titania Medien, in der das Ganze ein wenig entschärft und den Gewohnheiten eines modernen Publikums angepasst wurde. Die Figuren wirken ein wenig runder und lebensechter, zwei der Wissenschaftler wurden zu Frauen gemacht, es existiert die Andeutung einer Romanze (was bei Lovecraft nun wirklich selten vorkommt) und die ganzen mythologischen Hintergründe (Cthulhu, Necronomicon etc.) wurden ersatzlos gestrichen. Dennoch bleibt die Essenz der Geschichte erhalten – und rein technisch ist die Umsetzung, wie üblich, tadellos.
Wer den unverfälschten Text möchte, kann auch zur Komplettlesung mit David Nathan von LPL-Records greifen. Nathan liest gut und routiniert, aber gerade, wenn sich der Text in wissenschaftlichen Details zu verlieren droht, ist das Hören fast anstrengender als das Lesen.
Fazit: „Berge des Wahnsinns“ gehört zu den Lovecraft-Geschichten, die sich recht weit vom Horror entfernen und eher in Richtung Science-Fiction tendieren. Sie funktioniert fast als Dekonstruktion des „Cthulhu-Mythos“, wobei der Grusel leider ein wenig auf der Strecke bleibt. Interessant ist „Berge des Wahnsinns“ jedoch allemal und sollte von jedem, der sich für Lovecraft interessiert, gelesen werden.

Anmerkung: Dieser Artikel sollte eigentlich Teil der Halloween-Artikelreihe sein, universitäre Gründe haben allerdings verhindert, dass ich all das geschafft habe, was ich mir vorgenommen habe. Die geplanten Artikel kommen trotzdem, aber eben mit Verspätung.

Siehe auch:
Der Cthulhu Mythos
Prometheus – Dunkle Zeichen
Hellboy
Batman: Schatten über Gotham

Der Cthulhu Mythos


Mein Verhältnis zum amerikanischen Horror-Autor Howard Phillips Lovecraft ist durchaus als zwiespältig zu bezeichnen. Einerseits ist sein Stil unglaublich sperrig und verstaubt, und zwar sehr präzise, dabei aber auch oftmals extrem ermüdend. Und, seien wir ehrlich, ein Meister der atemlosen Spannung ist er auch nicht gerade, dazu sind seine Ausführungen viel zu weitschweifig und er selbst wirkt zu distanziert.
Bei vielen anderen Autoren wären dies bereits Tatsachen genug, sie links liegen zu lassen. ABER Lovecrafts Werke besitzen ein ganz besonderes Etwas. Nicht ihr Stil ist es, was sie zu etwas besonderem macht, auch nicht die eigentliche Handlung (die meistens recht ähnlich angelegt ist und für gewöhnlich zum Großteil aus Nachforschungen des/der Protagonisten besteht), sondern die Ideen und die Atmosphäre. Das Grauen, das in Lovecrafts Horrorgeschichten zu finden ist, ist kein „alltägliches“. Lovecraft braucht keine alten Friedhöfe und Spukschlösser, keine Splattereffekte, Vampire, Geister oder Folterexzesse, damit einem die Gänsehaut den Rücken hinunterläuft. Was seine Storys unheimlich macht, ist der bloße Gedanke an die unheimliche Macht uralter Wesen, die dabei nicht einmal selbst in Erscheinung treten. Die bloße Vorstellung, dass uralter, gottgleiche Wesen existieren, gegen die man als Mensch nicht kämpfen, ja, die man nicht einmal verstehen kann, schafft es, eine ganz besondere Art des Horrors zu erschaffen. Unterstützend wirkt auch die Tatsache, dass Tod und Wahnsinn die einzigen Möglichkeiten sind, dem zu entkommen, wenn man das entsprechende Wissen erst einmal erlangt hat.
Die perfekte Möglichkeit, sich Lovecraft zu Gemüte zu führen, besteht in den Hörspielen von Titania Medien (hierzu folgt bald Weiteres) und den Hörbüchern von LPL-Records.
LPL-Records ist ein Label des Hörbuch-Giganten Lübbe Audio, das nach dem Leiter (Lars Peter Lueg) benannt ist und sich auf Grusel- und Horrorliteratur spezialisiert hat („Gänsehaut für die Ohren“). Auf das Konto von LPL geht unter anderem die großartige Vertonung von Brian Lumleys Vampirsaga „Necroscope“. Im Jahr 2002 begann das Label damit, die Geschichten Lovecrafts von den besten deutschen Sprechern zu vertonen lassen. Das erste Produkt der Hörbuchreihe „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ ist die Kurzgeschichtensammlung „Der Cthulhu Mythos“, die auch einige Geschichten von anderen Autoren enthält, allerdings sind diese von Lovecraft und dem Mythos der „Großen Alten“ inspiriert.
Enthalten sind:
– „Der Ruf des Cthulhu“ von H. P. Lovecraft
– „Der Schwarze Stein“ von Robert E. Howard
– „Die Glocke im Turm“ von H. P. Lovecraft und Lin Carter
– „Warum Abdul Al Hazred dem Wahnsinn verfiel“ von D. R. Smith
– „Dagon“ von H. P. Lovecraft
– „Ein Porträt Torquemadas“ von Christian von Aster

Diese Geschichten bieten einen schönen Querschnitt aus 74 Jahren Mythos-Geschichten. „Der Ruf des Cthulhu“ von 1928 ist natürlich unverzichtbar, da mit dieser Geschichte eigentlich alles begann; hier verwendete Lovecraft zum ersten Mal die Großen Alten, allen voran natürlich Cthulhu. Obwohl Lovecraft selbst diese Geschichte in späteren Jahren nicht mehr sonderlich schätzte und in der Tat später noch bessere Geschichten verfasst hat, enthält sie doch eine ordentliche Portion des oben beschriebenen Schreckens.
„Der Schwarze Stein“ von Robert E. Howard (u.a. bekannt für „Conan, der Barbar“) hat, wenn überhaupt nur bedingt etwas mit dem Cthulhu-Mythos zu tun. Die Grundstimmung ist der in Lovecraft zu findenden allerdings sehr ähnlich, weshalb die Geschichte durchaus dazu passt.
Bei die „Die Glocke im Turm“ handelt es sich um eine Geschichte, die von Lovecraft begonnen und von Lin Carter viele Jahre nach Lovecrafts Tod vollendet wurde. Ich persönlich finde sie sogar ein wenig spannender als „Der Ruf des Cthulhu“, wenn auch nicht ganz so informativ.
„Warum Abdul Al Hazred dem Wahnsinn verfiel“ fällt in meinen Augen ein wenig aus dem Rahmen. Zwar beschäftigt sich diese Story von D. R. Smith direkt mit den Großen Alten, passt aber so gar nicht zu Lovecrafts Art, da die alten Götter hier gewissermaßen direkt auftauchen und auch noch besiegt werden.
„Dagon“ könnte man gewissermaßen als Fingerübung verstehen, diese Geschichte wirkt ein wenig wie die Rohfassung von „Der Ruf des Cthulhu“ und ist in meinen Augen die schwächste des Hörbuchs.
„Ein Porträt Torquemadas“ schließlich, veröffentlicht im Jahr 2002, ist die neueste und in meinen Augen auch beste Geschichte der Sammlung. Christian von Aster hält sich strukturell sehr nahe an Lovecraft, allerdings ist seine Sprache weitaus angenehmer. Gekonnt schafft er es, den typischen, subtilen Grusel einer Mythos-Geschichte zu erschaffen und nebenbei auch noch die katholische Kirche intelligent zu kritisieren.

Was dieses Hörbuch allerdings so exzellent macht sind nicht nur die Geschichten, sondern auch die Sprecher. Joachim Kerzel, bekannt als deutsche Stimme von Jack Nicholson, Dustin Hoffman und Anthony Hopkins, macht seine Sache, wie bei jedem Hörbuch, das er interpretiert, ausgezeichnet. In der Tat ist Kerzel mein absoluter Lieblingssprecher, da er es mit seiner mächtigen Stimme schafft, dass alles, was er liest, atemlos spannend wird. Ich bin überzeugt, dass Kerzel auch eine Steuererklärung vorlesen könnte und man würde mitfiebern.
Ein weiterer Bonus ist das „Zusatzmaterial“ in Form eines kurzen Lebenslaufes von Lovecraft sowie eines Kommentars zu jeder der Geschichten, die vom Autor „selbst“ vorgetragen werden. Lovecraft wird dabei von David Nathan (Stimme von Johnny Depp) gesprochen, der ebenfalls sehr gute Arbeit leistet. Zwar kann er nicht ganz mit Kerzel mithalten, aber welcher Sprecher kann das schon?
Fazit: Ein wunderbares Hörbuch, perfekt vorgetragen von Kerzel und Nathan und wunderbar geeignet, um H. P. Lovecraft und seine Welt kennen zu lernen.

Siehe auch:
Berge des Wahnsinn
Prometheus – Dunkle Zeichen
Hellboy
Batman: Schatten über Gotham
LPL Homepage mit Hörproben