Bloodline

Eventuell mit minimalen Spoilern!
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Ich denke, nach ihrem zweiten Roman kann man getrost sagen, dass Claudia Gray das Beste ist, was der literarischen Welt von Star Wars passiert ist, seit Disney das alte EU ad acta gelegt hat. Bereits mit „Verlorene Welten“ hat sie gezeigt, dass sie sich vorzüglich in der weit, weit entfernten Galaxis bewegen und stimmige neue Figuren kreieren kann, deren Lebensweg man als Leser gerne folgt. Mit „Bloodline“ zeigt sie nun, dass man ihr auch einen zentralen Charakter des Franchise völlig bedenkenlos anvertrauen kann – in diesem Fall Prinzessin Leia. Ich würde vielleicht sogar sagen, dass es sich hierbei um das beste Werk mit Leia-Fokus überhaupt handelt, allerdings gibt es davon nun nicht so viele und ich habe „Tatooine Ghost“, der vorher bei vielen diese Stellung einnahm, bisher nicht gelesen.

Darüber hinaus liefert „Bloodline“ einige Hintergründe zu „Das Erwachen der Macht“ und sollte vor allem von denjenigen unbedingt gelesen werden, die, wie ich, in Episode VII politischen Kontext vermissten. Wer dagegen ein klassisches Star-Wars-Abenteuer mit Raumschlachten, Action und Lichtschwertkämpfen sucht, wird hier sicher nicht fündig. Claudia Grays zweiter SW-Roman ist ein reinrassiger Politthriller, der ganz in der Tradition von James Lucenos „Schleier der Täuschung“ steht.

Die Handlung beginnt sechs Jahre vor den Ereignissen von „Das Erwachen der Macht“, noch herrscht Frieden – zumindest scheint es so. Während ihr Ehemann Han Solo seine Karriere als Rennfahrer und -organisator verfolgt und ihr Bruder Luke zusammen mit ihrem Sohn Ben in Jedi-Angelegenheiten in der Galaxis unterwegs ist, tut Leia Organa das, was sie schon immer getan hat: Sie erfüllt ihre Pflicht. Nun allerdings nicht mehr als Rebellenanführerin, sondern als Senatorin der Neuen Republik, die inzwischen tief gespalten ist. Der Senat der Republik teilt sich in zwei inoffizielle Fraktionen: Die Populisten, zu denen auch Leia gehört, setzen sich, immer noch abgeschreckt durch Palpatines Machtmissbrauch, für eine schwächere Regierung und eine stärkere Eigenverwaltung der Mitgliedswelten ein, während die Zentristen eine stärkere Zentralverwaltung anstreben. Zu diesem Zweck wollen sie einen „Ersten Senatoren“ mit größeren Macht- und Handlungsbefugnissen installieren. Obwohl die Kluft zwischen beiden Parteien immer weiter wächst, sieht Leia sich gezwungen, mit dem Zentristen-Senator Ransolm Casterfo zusammenzuarbeiten, da sich Hinweise auf eine Verschwörung anhäufen und der sich als Senat handlungsunfähig erweist. Diese Verschwörung konfrontiert Leia auf höchst unangenehme Weise mit dem dunklen Geheimnis ihrer Herkunft, das sie seit fast dreißig Jahren hütet – wer würde schon einer Senatorin trauen, deren Vater Darth Vader war?

Zwar war es nicht wirklich zu erwarten, aber dennoch sollte es noch einmal erwähnt werden: Wirkliche Enthüllungen gibt es hier nicht, Kylo Ren/Ben Solo und sein Fall zur Dunklen Seite spielen ebenso wenig eine Rolle wie Snokes wahre Identität (sofern er denn eine hat). Höchstens die eine oder andere Theorie könnte beeinflusst werden: So scheint es nun beispielsweise eher unwahrscheinlich, dass Kylo Ren selbst Rey auf Jakku versteckt hat, da er sechs Jahre vor Episode VII ja noch mit Luke als Jedi unterwegs war. Im Gegenzug erfährt man auch, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nichts von seinem Großvater weiß und von dessen Identität wohl auf eher unangenehme Art und Weise erfährt, was seinen Fall zur Dunklen Seite begünstigt haben dürfte. Hin und wieder merkt man, dass die Story Group wohl noch Informationen zurückgehalten hat, das Gesamtbild ist jedoch, anders als bei so manchem anderen Roman der Einheitskontinuität, aufgrund der gewählten Perspektiven insgesamt stimmig.

Statt großer Enthüllungen gibt „Bloodline“ Kontext und zeigt die politischen Anfänge der Ersten Ordnung. Die Ausgangslage besitzt dabei sowohl ein historische wie auch aktuelle Bezüge. Zumindest mich haben die Parteien der Neuen Republik zuerst ein wenig an den römischen Senat erinnert, der sich ebenfalls in zwei inoffizielle Lager teilte: Optimaten und Popularen. Diese unterschieden sich allerdings nicht so sehr in inhaltlichen Fragen, sondern eher in der Art und Weise, wie sie Politik machten und ihre Ziele erreichten. Noch stärker sind die Parallelen zur aktuellen politischen Situation in den USA, die ebenfalls droht, das Land auseinander zu reißen. Es hätte mich tatsächlich nicht überrascht, wenn ein Zentristen-Senator etwas gesagt hätte wie: „We’ll make the Republic great again.“ Und es dürfte wohl auch kaum überraschen, dass die Erste Ordnung letztendlich aus den Zentristen „herauswächst“. Rian Johnson, Drehbuchautor und Regisseur von Episode VIII, hat einige Ideen zum Roman beigesteuert, was in mir die Hoffnung weckt, dass die politische Dimension in kommenden SW-Filmen wieder an Wichtigkeit gewinnt und dass die Erste Ordnung in Zukunft nicht nur wie das Imperium 2.0 wirkt, sondern die stärkere Eigendynamik entwickelt, die durch die Zentristen hier angedeutet wird.

Die wirkliche Stärke des Romans liegt jedoch vor allem in der Figurenzeichnung. Gray arbeitet mit einem verhältnismäßig kleinen Personal, dessen Potential sie deshalb sehr gut ausschöpfen kann. Vor allem Leias Charakterisierung ist vollauf gelungen, man erkennt sowohl die junge Rebellenführerin der OT, als auch die abgeklärte Generalin aus „Das Erwachen der Macht“ und sogar die Politikerin, als die Leia im alten EU dargestellt wurde. Ihre Frustration mit der Unfähigkeit des Senats, ihr Hadern mit der Vergangenheit und ihrem Vater – all das wird sehr authentisch und nachvollziehbar dargestellt. Die interessanteste Figur des Romans ist allerdings Ransolm Casterfo, der als Zentrist höchst differenziert und komplex gezeichnet wird. Einerseits sammelt er imperiale Memorabilia und bewundert die Einigkeit und Stärke des alten Imperiums, bzw. das Potential, das es in seinen Augen hatte, andererseits hasst er Darth Vader aus sehr persönlichen Gründen. Casterfo glaubt tatsächlich und aufrichtig daran, dass die zentrale Machtausübung, die seine Partei anstrebt, für die Galaxis das Beste wäre. Auch er ist authentisch und besitzt einen sehr nachvollziehbaren Standpunkt – ich hoffe, dass er in absehbarer Zeit wieder auftaucht. Auch die weniger wichtigen Nebenfiguren, etwa Greer Sonnel und Joph Seastriker (beide gehören zu Leias Stab) oder die Zentristen-Senatorin Carise Sindian, die man zu Beginn vielleicht nicht allzu ernst nimmt, was sich im Verlauf des Romans allerdings ändert, sind sehr gelungen.

Ebenso weiß „Bloodline“ stilistisch zu überzeugen; der Roman ist sehr angenehm und flüssig lesbar, ohne dass die Sprache allzu simpel oder banal wäre. Wie schon in „Verlorene Welten“ versteht es Gray, den Leser zu packen, selbst Nebenfiguren plastisch darzustellen und das Innenleben in ausreichendem Maße zu erforschen. Anders als in Alan Dean Fosters Episode-VII-Roman gibt es auch keine nervigen Perspektivwechsel mitten im Absatz.

Die eine oder andere Schwäche hat der Roman leider dennoch. Die Entwicklung der Handlung ist ziemlich vorhersehbar; sobald man sich als Leser in den aktuellen Status Quo eingefunden hat, ist es nicht schwer zu erraten, wie der Plot weitergeht, was noch geschieht und welcher Natur die Verschwörung ist. Das hängt aber natürlich auch damit zusammen, dass wir wissen, worauf das Ganze hinausläuft. Und da die Handlung ansprechend gestaltet ist, ist das auch nur eine kleine Schwäche, die einem unglaubwürdigen Twist allemal vorzuziehen ist. Eine weitere kleine Schwäche findet sich bei den Lokalitäten. Gray schafft es nicht, bei mir ein wirkliches Gefühl für die besuchten Planeten zu wecken. Das betrifft vor allem Hosnian Prime; auf der aktuellen Zentralwelt der Republik spielt ein Großteil der Handlung. Leider wird zu keinem Zeitpunkt klar, was diesen Planeten wirklich ausmacht und was ihn beispielsweise von Coruscant abhebt. Ebenso bleiben manche Aspekte des politischen Funktionsweise der Neuen Republik ein wenig schwammig. Aber insgesamt ist das nur Meckern auf hohem Niveau.

Fazit: „Bloodline“ ist ein überzeugender Politthriller mit gelungenen Charakteren, der die Hintergründe von Episode VII erforscht und sowohl die Erste Ordnung als auch die Neue Republik ein wenig greifbarer macht. Eine Fortsetzung würde sich hier definitiv anbieten, bis zu „Das Erwachen der Macht“ sind es ja noch sechs Jahre, die man füllen kann.

Siehe auch:
Verlorene Welten