Enthält leichte bis mittlere Spoiler!
Bei Superschurken gibt es eine einfache Faustregel: Schafft man einem Superhelden einen Widersacher, sollte dieser den Helden in irgend einer Form widerspiegeln. Gerade bei Batman zeigt sich sehr schön, wie so etwas funktionieren kann: So ist der Joker das genaue Gegenteil des Dunklen Ritters, während viele seiner anderen Widersacher einen spezifischen Aspekt Batmans widerspiegeln. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen auch die Macher der Marvel/Netflix-Serie „Daredevil“. Dieser Ansatz ist in den Comics freilich bereits vorhanden, die Serie bemüht sich aber besonders stark, dieses Wechselspiel zwischen Held und Schurken herauszuarbeiten. Mit Wilson Fisk funktionierte das in Staffel 1 ausgezeichnet. Die neuen Gegner das Mannes ohne Furcht spiegeln ihn ebenfalls wider, mit dem einen teilt Matt Murdock ein gemeinsames Ziel, mit der anderen eine gemeinsame Vergangenheit. Dennoch funktionieren beide in ihrer Funktion nicht gleich gut…
Handlung
Matt Murdock (Charlie Cox) hat sich als für Gerechtigkeit kämpfender Vigilant Daredevil langsam etabliert, auch wenn sich an ihm nach wie vor die Geister scheiden: Manche meinen, er sei genau das, was Hell’s Kitchen braucht, während andere nur eine gefährliche Ausübung von Selbstjustiz sehen. Diese Ansicht scheint sich zu bestätigen, als ein Nachahmer auftaucht: Frank Castle (Jon Bernthal), auch bekannt als „der Punisher“, räumt unter den Kriminellen New Yorks auf höchst brutale und blutige Weise auf: Wo Daredevil sie nur zusammenschlägt und der Polizei überlasst, mäht der Punisher seine Opfer ohne Gnade nieder. Somit wird Matt mit den moralischen Dimensionen seines eigenen Handelns konfrontiert und beginnt, seine Aktionen und seinen Ehrenkodex in Frage zu stellen. Schließlich gelingt es ihm dennoch, Castle dingfest zu machen. Während Matt und sein Partner Foggie Nelson (Elden Henson) schließlich sogar Castles Verteidigung vor Gericht übernehmen, um hinter das Geheimnis seiner Vergangenheit, das besonders Karen (Deborah Ann Woll) interessiert, zu kommen, taucht eine Gestalt aus Matts Vergangenheit auf. Elektra Natchios (Élodie Yung) und ihr mysteriöser Kreuzzug gegen einen noch mysteriöseren Feind ziehen bald Matts Aufmerksamkeit auf sich. Und schon bald zeigt sich, dass Elektra für ihre Freunde genauso gefährlich ist wie für ihre Feinde…

Umsetzung
Formal und handwerklich gibt es auch an der zweiten Staffel von „Daredevil“ kaum etwas auszusetzen: Die Atmosphäre stimmt, die Action und die Kampfchoreographien sind nach wie vor vom Feinsten und auch die Darsteller wissen durchweg zu überzeugen. Leider gelingt es Staffel 2 dennoch nicht, den extrem hohen Standard zu erreichen, den Staffel 1 etabliert hat, was vor allem an erzählerischen und konzeptionellen Schwächen liegt. Staffel 1 war auf narrativer Ebene exzellent, die Autoren erzählten ihre Geschichte schnörkellos, alle Aspekte griffen wie die Zahnräder einer Uhr ineinander, sodass sie wie aus einem Guss wirkte. Staffel 2 ist dagegen sehr viel zerfaserter, es gibt zwei Handlungsstränge, die mehr oder weniger parallel laufen, aber nicht besonders gut ineinander greifen. Somit hat Staffel 2 ihre Höhen und Tiefen. Leider sammeln sich die Höhen im einen Handlungsstrang, während der andere einfach nicht zu überzeugen weiß. Elektra und ihr Kampf gegen die Hand ziehen hier eindeutig den Kürzeren. Ich möchte allerdings betonen, dass das nicht an Élodie Yung liegt, die die Figur definitiv besser spielt als Jennifer Garner. Ihr Handlungsstrang ist einfach nicht besonders gut geschrieben und auch nicht besonders spannend, ihre Beziehung zu Matt mäandert eher dahin und man beginnt sich zu fragen, weshalb Matt zulässt, dass ihretwegen sein Privatleben auseinanderfällt. Das ist ein weiterer Aspekt, der mir nicht besonders gefällt: Dieses Auseinanderfallen geschieht für meinen Geschmack zu früh und wird zu nebensächlich abgehandelt. Viel lieber hätte ich in diesem Zusammenhang eine, wenn auch eher freie, Adaption von Frank Millers und David Mazzucchellis „Daredevil: Auferstehung“ gesehen. Herausragend dagegen ist der Punisher und alles, was mit ihm zusammenhängt. Hier findet Staffel 2 zu den Stärken von Staffel 1 zurück und zeigt wie eine grimmige, düstere Superheldengeschichte funktioniert (Notizen gemacht, Warner?). Gerade hier zeigt sich, wie gut Matt Murdock und Frank Castle als Widersacher funktionieren: Beide haben dasselbe Ziel, aber ihre Methoden und ihre Moralvorstellungen unterscheiden sich fundamental. Dieser Konflikt ist im Superheldenbereich zwar nun nicht neu, funktioniert aber immer wieder exzellent, besonders, wenn er so gut umgesetzt ist wie hier. Jon Bernthal muss natürlich ebenfalls ausgiebig gelobt werden, der aus „The Walking Dead“ bekannte Darsteller spielt Frank Castle herausragend und übertrifft sowohl Ray Stevenson als auch Thomas Jane (die beide in der Rolle eine durchaus gute Figur gemacht haben) mühelos. Das Highlight der Staffel war für mich allerdings die allzu kurze Rückkehr Wilson Fisks. Vincent D’Onofrio dominiert in seinem kurzen Auftritt gnadenlos und zeigt, wie sehr Staffel 2 ein zusammenhängendes Element, wie es Fisk in Staffel 1 war, fehlt.

Fazit: Die zweite Staffel von „Daredevil“ ist zwar durchaus gelungen, kommt aber an die fast perfekte erste Staffel nicht heran. Wo Staffel 1 mit fast allen anderen Serien des Genres den Boden aufwischt, ist Staffel 2 ein qualitatives Auf und Ab: Der Handlungsstrang um den Punisher und seinen Ein-Mann-Feldzug gegen das Verbrechen knüpft an die Qualität von Staffel 1 an, Elektra und ihr Krieg gegen die Hand tun dies leider nicht.
Siehe auch:
Daredevil Staffel 1