Das Soundtrack-Jahr 2015

Dezember und Januar sind die Monate der Best-of- und Worst-of-Listen – und da mache ich auch mit. Bei Filmen fällt es mir immer verdammt schwer, sie in eine Wertungsreihenfolge zu bringen, weshalb ich mich, wie schon letztes Jahr, auf die besten Soundtracks beschränke. Für 2014 habe ich neben einer Top 10 auch eine Worts 5 geliefert, Letztere fällt dieses Jahr weg, da es in Filmen, die ich gesehen habe, keine derartige Enttäuschung wie „X-Men: Days of Future Past“ gab und ich mich auch von Scores, bei denen abzusehen war, dass sie mir nicht gefallen würden, ferngehalten habe (etwa „Sicario“ oder „Chappie“). Zum Ausgleich habe ich die Top 10 auf eine Top 15 ausgeweitet.

Wie üblich gilt: Die Qualität des Films hat keinen Einfluss auf die Bewertung der Musik. Und: Die Liste ist nicht absolut. Von den ersten drei Plätzen einmal abgesehen habe ich sie ständig verändert, und selbst wenn sie online ist, könnte mir die Rangfolge schon ein paar Stunden später nicht mehr passen. Außerdem sollte ich noch erwähnen, dass ich acht der fünfzehn zugehörigen Filme nicht gesehen habe und somit auch nicht bewerten kann, wie die Musik im Film wirkt, mein Urteil bezieht sich dort also ausschließlich auf das, was es auf dem Album zu hören gibt.

Platz 15: Jurassic World (Michael Giacchino)

Da ich ohnehin noch plane, einen ausführlichen Artikel über die Musik des Jurassic-Park-Franchise zu schreiben, mache ich es hier kurz: Giacchinos Musik für das dritte Sequel des Spielberg-Klassiker ist zwar definitiv kein so grandioser Klassiker wie das Williams-Original, aber ein solider Score. Williams Themen bekommen gelungene Gastauftritte, die für leitmotivische Kontinuität sorgen, aber auch abseits davon versteht Giacchino es, sich der Manierismen des Maestro zu bedienen, sodass „Jurassic World“ klanglich stets gut zum Original passt, aber dabei immer noch wie ein Giacchino-Score klingt.

Platz 14: Mission Impossible: Rogue Nation (Joe Kramer)

Mit dieser Filmreihe konnte ich nie besonders viel anfangen, was auch an Tom Cruise liegen mag, den ich als Schauspieler nicht besonders schätze, wenn er nicht gerade einen Vampir spielt. Ich hätte mir wohl auch den Score des neuesten Films der Reihe nicht angehört, hätte mich das überschwängliche Lob für die Musik von Joe Kramer nicht doch überrascht und neugierig gemacht. Bislang wurden die Mission-Impossible-Filme von Komponisten wie Danny Elfman, Hans Zimmer und Michael Giacchino vertont. Ähnlich wie bei den James-Bond-Filmen war dabei die Verwendung des klassischen Franchise-Thema, komponiert von Lalo Schifrin, obligatorisch. Besagtes Thema dürfte auch jedem geläufig sein, schon allein aus den vielen, vielen Parodien. Wie nicht anders zu erwarten spielt dieses Thema auch in Kramers Score eine wichtige Rolle. Kramer, dessen Name mir zuvor nicht geläufig war, integriert Schifrins Leitmotiv auf äußerst gelungene Weise in die DNS seiner Musik, es scheint nie weit entfernt und erhält viele vielseitige und befriedigende Statements, ohne dabei überbeansprucht zu werden. „Rogue Nation“ ist ein gelunger, sehr kreativer Old-School-Soundtrack im besten Sinne und macht verdammt viel Spaß.

Platz 13: Gänsehaut (Danny Elfman)

Als Kind habe ich die Gänsehaut-Romane von R. L. Stine geliebt; mit ihnen verbinde ich viel Nostalgie. Die Filmadaption habe ich noch nicht gesehen (sie startet erst im Februar), aber der Score ist schon eine ganze Weile erhältlich. Was soll ich sagen: Für diese Art Film bzw. diese Art Musik gibt es keinen besseren Komponisten als Danny Elfman. An „Gänsehaut“ gibt es nichts Revolutionäres oder bisher Ungehörtes, die Musik ist ganz typisch Elfman, in dieser Art komponiert er schon seit Jahren für Tim Burton, artverwandte (und zumeist bessere) Scores gibt es zuhauf, von „Beetlejuice“ über „Batmans Rücckehr“ und „A Nightmare Before Christmas“ bis hin zu „Frankenweenie“. Die Elfman’sche Mischung aus Horror und Comedy passt hier aber auch wie die Faust aufs Auge: Gotisch und gleichzeitig verspielt. Und mehr noch, Elfmans Stil für diese Art Film ist einfach so unendlich unterhaltsam. Es ist nicht neu, es ist schon mal dagewesen, aber ich mag es trotzdem.

Platz 12: Victor Frankenstein (Craig Armstrong)

Als Fan von Gothic Horror kommt man dieses Jahr wirklich auf seine Kosten: Gleich drei Scores in dieser Spalte. Zwar komm keiner der drei an Abel Korzeniowskis Musik für „Penny Dreadful“ heran, die es letztes Jahr auf Platz 6 schaffte, aber alle drei sind äußerst gelungen und ergänzen sich ziemlich gut. Während „Gänsehaut“ eher humoristisch ist und sich absolut nicht ernst nimmt und „Crimson Peak“ eher die tragisch-dramatische Seite betont, ist Craig Armstrongs Musik für die x-te Frankenstein-Verfilmung die wahrscheinlich vielseitigste und modernste, mal fast schon verspielt, mal sehr emotional und zart, mal ausnehmend brutal und unheimlich. Armstrong bedient sich durchaus moderner Filmmusiktechniken, klingt dabei aber trotzdem nicht wie Hans Zimmer. An Patrick Doyles Musik für „Mary Shelley’s Frankenstein“ kommt dieser Score allerdings nicht heran.

Platz 11: Crimson Peak (Fernando Velázquez)

Bereits mit seinem Score zu „Mama“ hat Fernando Velázquez bewiesen, dass er ein sehr kompetenter Horror-Komponist ist. Auch für Guillermo del Toros gotische Romanze findet er genau die richtigen Töne. Wie der Film selbst deckt auch der Score eher die dramatisch-tragische Seite der Gothic Novel ab. Der Kern des Scores ist das Thema der Protagonistin Edith, eine sehnsuchtsvolle Streichermelodie. Das titelgebende Haus wird eher durch orchestrale Texturen und Dissonanzen als durch ein Leitmotiv repräsentiert, was ebenfalls ziemlich gut funktioniert, auch wenn Veláquez dabei vielleicht manchmal ein wenig zu tief in die musikalische Horror-Klischeekiste greift. Dennoch, Ediths Thema vermag es ausgezeichnet, den Score zu tragen.

Platz 10: Muhammad: Messenger of God (A. R. Rahman)

Bei „Muhammad: Messenger of God“ handelt sich um den ersten Film einer iranischen Trilogie, die, wie könnte es anders sein, das Leben des Propheten Mohammed erzählt. Nach dem, was ich gehört habe, handelt es sich bei diesem Streifen in erster Linie um unreflektierte Beweihräucherung (ich habe ihn aber nicht gesehen und kann mir deshalb auch kein Urteil bilden). Trotzdem haben diverse Fundamentalisten schon wieder die Fatwa auf die Filmemacher ausgerufen. Wie auch immer, die Musik stammt von dem indischen Komponisten A. R. Rahman, der u.a. auch die Scores von „Slumdog Millionaire“ und „127 Hours“ komponiert hat. Dieser Soundtrack ist ein typischer Vertreter des „modernen Epos“. Rahman hat sich, vermutlich auf Anweisung des Regisseurs oder Produzenten, sehr stark am aktuellen Hollywood-Sound orientiert. Im Klartext bedeutet das: An Hans Zimmer. Glücklicherweise aber nicht an „Man of Steel“, sondern eher an „Gladiator“ und „Illuminati“. Das bedeutet: Hymnen im Zimmer-Stil der 90er und frühen 2000er, viel Chor, recht wenig Subtilität und eine schöne Kombination von klassischem Orchester und arabischen Instrumenten. Trotz der Zimmer-Anleihen ist Rahmans Musik äußerst mitreißend, episch und sehr kompetent komponiert.

Platz 9: Zhong Kui: Snow Girl and the Dark Crystal (Javier Navarette)

Javier Navarette ist ein weiterer europäischer Komponist, der in Hollywood Arbeit bekam und seinen Stil dann erst einmal zimmerisieren musste. Zwar schimmert in seinem Hollywood-Action-Debüt „Zorn der Titanen“ durchaus hin und wieder seine Handschrift durch, insgesamt ist die Musik, die Navarette für diesen Film geschrieben hat, allerdings typische Standardware mit vielen Ostinati und noch mehr überflüssiger Elektronik; leider ist dieser Soundtrack qualitativ weit entfernt von einem Score wie „Pans Labyrinth“. „Zhong Kui“ dagegen ist ein wirklich interessanter Hybrid-Score, der sich aus drei Teilen zusammensetzte: Moderne elektronische Elemente, klassisches Orchester und ostasiatische Instrumentierung und Sensibilität. Das Ergebnis ist grandios und äußerst episch. Die Melodien sind typisch Navarette, die modernen Chöre erinnern ein wenig an „Zorn der Titanen“ und die östlichen Einflüsse machen das Ganze fast perfekt. Lediglich im Mittelteil zieht sich der Score ein wenig und Navarette übertreibt es mit der Elektronik ein wenig. Aber davon abgesehen ein grandioser Soundtrack.

Platz 8: Peter and Wendy (Maurizi Malagnini)
Leider nicht auf Youtube!
Auf diesen Score des italienischen Komponisten Maurizi Malagnini (eine weitere Neuentdeckung) bin ich erst vor Kurzem aufmerksam geworden und hatte noch nicht wirklich Zeit, mich mit ihm auseinanderzusetzen. Es handelt sich hierbei, im besten Sinne des Wortes, um einen „Kinder-Soundtrack“, warm, verspielt, aufgeweckt, extrovertiert. Mich persönlich erinnert Malagninis Musik ein wenig an John Williams „Hook“ – und das nicht nur, weil „Peter and Wendy“ auch eine Peter-Pan-Adaption ist. Der Score quillt quasi über vor Lebensfreude und kindlicher Abenteuerlust – und es gibt auch einen ganzen Haufen Leitmotive, deren Bedeutung sich ohne Filmkenntnis allerdings recht schwer feststellen lässt.

Platz 7: Wolf Totem (James Horner)

2015 war ein Jahr, in dem viele Größen der Unterhaltungsindustrie verschieden (und in 2016 geht es direkt so weiter). James Horner ist vielleicht der tragischste dieser Verluste, da der Komponist gerade einmal 61 Jahre alt wurde und nach einer längeren Pause gerade seine Rückkehr in die Filmmusik zelebrierte, und das mit sage und schreibe sechs Soundtracks, die fast ein wenig wie ein Abschiedsgeschenk an seine Fans wirken (der letzte, die Musik zu Antoine Fuquas „The Magnificent Seven“, erscheint erst in diesem Jahr). Der Score zu „Wolf Totem“ ist dabei sicher derjenige, der sich am meisten wie ein typischer Horner anfühlt. Viele der Stilmittel des Komponisten, die man liebt, weil Horner wie kein zweiter weiß, wie er sie einsetzen muss, oder die einen hin und wieder auch nerven, weil er sich ihrer in der Vergangenheit zu ausgiebig bediente (Stichwort: Vier-Noten-Gefahrenmotiv), sind hier versammelt. „Wolf Totem“ ist großorchestrale, sehr emotionale Musik. Der Score wird von seinem gelungenen Hauptthema getragen; darüber hinaus hat Horner die Musik für Jean-Jacques Annauds Film, passend zum Setting, immer wieder mit ostasiatischen Anklängen versehen, indem er sich Instrumenten wie dem Erhu oder der Shakuhachi-Flöte bediente.

Platz 6: Ant-Man (Christopher Beck)

Christopher Beck ist ein Komponist, der mir bisher weder positiv noch negativ wirklich aufgefallen ist. Mit „Ant-Man“ hat er nun allerdings bewiesen, was er kann und einen gelungenen Superhelden-Score geschrieben, der zugleich modern und retro ist. Einflüsse von Brian Tyler und Alan Silvestri sind deutlich herauszuhören (was in diesem Franchise sehr positiv ist), und hin und wieder erinnern auch einige Elemente an Danny Elfmans Spider-Man-Musik, speziell was das Hauptthema angeht. Apropos: Superhelden-Scores stehen und fallen oft mit ihrem Hauptthema, und auch diesbezüglich weiß „Ant-Man“ glücklicherweise zu überzeugen, Becks Thema für die Titelfigur ist eingängig und passt wunderbar. So langsam klappt’s mit der MCU-Musik, selbst für thematsiche Kontinuität ist gesorgt, denn Alan Silvestris Avengers-Thema hat einen kleinen Gastauftritt.

Platz 5: Cinderella (Patrick Doyle)

In den letzten Jahren gehörte auch Patrick Doyle zu den Komponisten, die, ob freiwillig oder vom Studio verordnet sei dahingestellt, Hans Zimmers Stil adaptierten. Während Scores wie „Thor“ oder „Planet der Affen: Prevolution“ nicht schlecht waren, fragt man sich doch, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Doyle sich einfach seines persönlichen Stils bedient hätte. Nun, „Cinderella“ ist Doyle pur. Was auch immer man von den ganzen Realfilmremakes der Disney-Klassiker halten mag (ich bin nicht unbedingt ein Fan), sie hatten alle fast ausnahmslos gute Musik. Doyle knüpft an seine Arbeit aus den 90ern und den frühen 2000ern an. Vor allem für jene, die an seiner Musik für „Harry Potter und der Feuerkelch“ gefallen fanden, dürfte „Cinderella“ eine lohende Anschaffung sein; der Score ist nicht besonders actionreich, aber voll von schönen, märchenhaften Melodien und klassisch anmutenden Walzern. Das Ganze ist mit komplexer Orchesterarbeit und einem gelungenen Thema für die Titelheldin angereichert – was will man mehr?

Platz 4: Pan (John Powell)

Ursprünglich sollte Dario Marianielli die Musik zu Joe Wrights Megaflop schreiben, doch die Produzenten fanden seine Musik nicht zufriedenstellend (wahrscheinlich war sie ihnen zu europäisch) und stattdessen wurde John Powell verpflichtet. Im Grunde baut Powell mit „Pan“ sehr stark auf dem Sound von „Drachenzähmen leicht gemacht“ auf, würden die Themen vorkommen, könnte es fast die Musik zum dritten Teil sein. Aber das ist per se erst einmal nichts schlechtes, denn Powells Drachen-Musik gehört nun einmal zum Besten, was im Bereich Filmmusik in den letzten paar Jahren erschienen ist. Die Grundeigenschaften sind dieselben: Sehr komplexe, extrovertierte und lebhafte Klänge, schöne Melodien und grandiose, mitreißende Action. Die beiden Hauptthemen mögen zwar nicht ganz an die der Drachen-Scores herankommen, sind aber vollauf gelungen. „Pan“ ist im Grunde Powell auf Autopilot. Wenn es doch nur noch mehr Komponisten gäbe, die selbst auf Autopilot derartige Musik schreiben können.

Platz 3: Avengers: Age of Ultron (Brian Tyler, Danny Elfman)

Diese Platzierung hängt sehr stark mit persönlicher Präferenz zusammen. „Avengers: Age of Ultron“ hat einige musikalische Schwächen, aber verdammt noch mal, Danny Elfmans Hybrid-Avengers-Thema macht mich süchtig. Dieses Thema habe ich im Jahr 2015 wirklich verdammt oft gehört. Inwzwischen wünsche ich mir fast, Elfman hätte den Score allein geschrieben und sich die Tyler-Themen lediglich ausgeborgt. Brian Tylers Anteil am Gesamtwerk ist nun wirklich auch alles andere als schlecht, aber die Art und Weise, wie Elfman hier Themen von drei verschiedenen Komponisten miteinander verarbeitet, ist meisterhaft – eine Schande, dass einige der besten Stücke nicht einmal im Film gelandet sind. Elfman für „Infintiy Wars“!

Platz 2: Jupiter Ascending (Michael Giacchino)

Auch wenn es von Anfang an nicht besonders gut aussah, ich hatte so sehr gehofft, dass „Jupiter Ascending“ gut und erfolgreich wird, denn für sich allein stehende, nicht-Franchise gebundene Sci-Fi-Filme dieser Art, die auch noch auf einem Originaldrehbuch basieren, findet man nicht so oft. Und die grundsätzliche Idee ist ja auch gar nicht übel, nur anscheinend haben die Wachowskis jegliches Verständnis dafür verloren, wie man so etwas ansprechend umsetzte. Auf gewisse Weise mach „Jupiter Ascending“ dieselben Fehler wie „Star Wars Episode I: Die dunkle Bedrohung“, nur noch in einem weit extremeren Ausmaß. Das einzige, was an diesem Film wirklich exzellent ist, ist Michael Giacchinos Score. Dieser Soundtrack ist für mich das Giacchino-Gegenstück zu John Debneys „Cutthroat Island“. Unterirdischer Film, aber ein Score, der durchaus das Magnum Opus des Komponisten sein könnte und bei dem sich die Veröffentlichung in zwei CDs definitiv lohnt. Manchmal fragt man sich, wie solche Werke entstehen. Finden Komponisten die Filme wirklich so inspirierend, nutzen sie sie einfach als Gelegenheit, um mal so richtig die Sau rauszulassen oder versuchen sie, den Film tatsächlich zu retten? Leider schafft es nicht einmal dieser grandiose Score, „Jupiter Ascending“ zu retten, aber er sorgt immerhin dafür, dass ich mich über seine Existenz freue, denn sonst wäre mir Giacchinos Meisterwerk niemals zu Ohren gekommen. „Jupiter Ascending“ ist großorchestral, bombastisch, meisterhaft komponiert, schöne Themen, mitreißende Action, wunderbare Melodien und noch so viel mehr. Wenn es noch einen Beweis braucht, dass Michael Giacchino irgendwann einen Star-Wars-Film vertonen sollte, hier ist er.

Platz 1: Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Macht (John Williams)

Das war wohl vorauszusehen. Wobei ich zugeben muss: Nach dem ersten Kinobesuch und dem ersten Durchören war ich mir nicht sicher, ob „Das Erwachen des Macht“ es tatsächlich auf Platz 1 schaffen würde. Aber, siehe da: Für mich ist Williams‘ siebter Star-Wars-Score ein Werk, das beim ersten Hören „nur“ gut war, aber bei jedem weiteren Durchgang noch dazu gewinnt, er hat sich beim Rennen um den ersten Platz nicht sofort vorne eingereiht, sondern langsam vorgearbeitet. Jedes Mal entdeckt man etwas Neues und es wird klar, wie genial Williams sich der neuen und alten Leitmotive bedient, um die Geschichte des Films zu erzählen. Ich kann inzwischen absolut nicht mehr nachvollziehen, wie man behaupten kann, dieser Soundtrack habe keine einprägsamen Themen. Reys grandioses Leitmotiv ist praktisch überall und stets willkommen, Kylo Ren mag nur ein Motiv aus fünf Noten besitzen, aber es prägt sich sofort ein.„Das Erwachen des Macht“ ist eine würdige Fortführung des Franchise. Williams muss jetzt halt definitiv noch Episode VIII und IX vertonen, denn er hat hier so viele Andeutungen gemacht und so viel vorbereitet, dass alles andere furchtbar frustrierend wäre. Einmal mehr hat es Williams in seinem hohen Alter noch einmal allen gezeigt.

Hans Zimmer

hanszimmer
Wie auch immer man zu dem deutschstämmigen Komponisten steht, eines lässt sich nicht leugnen: Hans Zimmer hat die Filmmusikszene wie kaum ein anderer Komponist vor ihm verändert und ihr seinen Stempel aufgedrückt.

Wer sich für (amerikanische) Filmmusik im Ganzen interessiert, kommt schier nicht an ihm vorbei, da er nun mal ohne jeden Zweifel ein Trendsetter ist. Problematisch wird es allerdings, wenn man versucht, das Phänomen „Hans Zimmer“ sachlich zu diskutieren, denn leider werden solche Diskussionen oftmals von zwei Gruppen dominiert: Hatern und Fanboys. Erstere stammen vor allem aus dem Lager der Traditionalisten, finden Zimmers Schaffen insgesamt absolut verwerflich und machen ihn nicht nur für den Niedergang der Filmmusik, sondern auch für alle möglichen anderen Übel verantwortlich (überspitzt ausgedrückt). Die Fanboys sind leider auch nicht besser, da sie alles von Zimmer unreflektiert und unkritisch in den Himmel loben.
Ich persönlich stehe Zimmer insgesamt eher zwiegespalten gegenüber, und im Folgenden werde ich (hoffentlich nachvollziehbar) erläutern, weshalb.
Hans Zimmer (geboren 1957 in Frankfurt am Main) begann in den 80ern damit, Filmmusik zu komponieren, und das ohne formale, musikalische Ausbildung. Zu seinen ersten Erfolgen gehörte „Rain Man“ aus dem Jahr 1988; für diesen Score erhielt er seine erste Oscar-Nominierung. Im selben Jahr gründete er zusammen mit Jay Rifkin die Firme Media Ventures und entwickelte seinen Stil, wobei ihn vor allem der Einsatz von Synthesizern und die Kombination von traditionellem Orchester und Synth-Elementen interessierte.

In den 90ern feierte er mit Scores wie „Der König der Löwen“, „Der Prinz von Ägypten“, „Gladiator“, „The Thin Red Line“ oder „Crimson Tide“ große Erfolge. Schon in dieser Zeit arbeitete er oft mit Assistenten und Co-Komponisten zusammen, was später noch exzessive Ausmaße annehmen sollte, sich während dieser Zeit aber noch eher in Grenzen hielt. Zu den ersten „Zimmer-Schülern“ gehörte zum Beispiel Harry Gregson-Williams, der später mit Solo-Projekten wie „Königreich der Himmel“ oder „Prince of Persia“ ebenfalls sehr erfolgreich werden sollte.

In der folgenden Dekade wurde Zimmer immer erfolgreicher und beliebter, was auch zur Folge hatte, dass die Zahl seiner „Adepten“ immer weiter wuchs. Nach einem Rechtsstreit mit Jay Rifkin wurde Media Ventures in Remote Control Productions umbenannt, und seitdem begannen die Soundtracks dieser „Musik-Schmiede“ die amerikanische Filmmusik zu dominieren, was auch bedeutet, dass das „Team-Komponieren“ immer beliebter wurde. Das Idealbeispiel ist die Musik zu Gore Verbinskis „Fluch der Karibik“: Als Produzent Jerry Bruckheimer mit Alan Silvestris Musik nicht zufrieden war, wollte er Hans Zimmer ins Boot holen, dieser war allerdings vertraglich an „The Last Samurai“ gebunden. Also komponierte er ein Stück mit Ideen, das an seine Remote-Control-Mitarbeiter weitergeben wurde, die dann auf Basis dieses Stückes den Soundtrack komponierten. Auf dem Albumcover mag Klaus Badelts Name stehen, aber die Grundlage stammt von Zimmer, und darüber hinaus haben noch sieben weitere Komponisten (Ramin Djawadi, James Dooley, Nick Glennie-Smith, Steve Jablonsky, Blake Neely, James McKee Smith und Geoff Zanelli) an diesem Score mitgearbeitet. In Filmmusikkreisen kursiert der Witz, die acht Komponisten hätten ausgelost, unter wessen Namen die Musik vermarktet wird und wer im Abspann des Films stehen darf. Hans Zimmer selbst findet sich als „Overproducer“. „Fluch der Karibik“ mag ein etwa extremes Beispiel sein, im Grunde zeigt es allerdings, wie bei Remote Control gearbeitet wird und wie die meisten Hans-Zimmer-Scores der letzten Jahre entstanden sind: Zimmer komponiert eine oder mehrere Suiten mit den grundlegenden Ideen, den wichtigen Themen etc., und diese werden dann von seinen Mitarbeitern an den Film angepasst, erweitert, orchestriert etc. Ich will diese Methode nicht grundsätzlich verdammen, immerhin ist „Pirates of the Caribbean: At World’s End“ einer meiner absoluten Lieblingssoundtracks, und auch er entstand auf diese Weise. Trotzdem sorgt das dafür, dass man einerseits nicht weiß, wie viel von der Musik tatsächlich von Zimmer stammt und dass zumindest ich persönlich andererseits nicht umhin kann, Komponisten wie Howard Shore, die alles oben erwähnte selbst machen, weitaus höher einzuschätzen.

Prinzipiell habe ich mit Hans Zimmer gegenwärtig zwei Probleme. Das erste hängt mit seiner Herangehensweise an die Projekte zusammen. Diese hat sich über die Jahre hinweg fraglos langsam entwickelt, aber für mich war der einschneidende Punkt das Jahr 2009, denn in diesem Jahr kamen die letzten Zimmer-Soundtrack, die ich wirklich gut fand: „Sherlock Holmes“ und „Illuminati“. Danach folgten einige herbe Enttäuschungen, vor allem in Gestalt der Soundtracks zu „Pirates of the Caribbean: On Stranger Tides“ und „Sherlock Holmes: Spiel im Schatten“. Die Musik der beiden jeweiligen Vorgängerfilme gehören in meinen Augen zu Zimmers besten Werken, während die beiden erwähnten Scores nicht einfach nur ein wenig schwächer sind, ihre Qualität ist vielmehr meilenweit von denen der Vorgänger entfernt. Über Qualität lässt sich nun natürlich vortrefflich streiten, ohne dass man sich jemals einigen kann, aber nicht nur das stört mich, es ist eher Zimmers gesamte Herangehensweise. Wenn es um Soundtracks geht, scheint er sich nämlich immer mehr in der Rolle des bereits erwähnten „Overproducers“ zu sehen. Das Produzieren, Kooperieren mit anderen Künstlern und Vermarkten eines Soundtracks scheinen ihm weit wichtiger zu sein als das eigentliche Komponieren. Dies betrifft vor allem die Soundtracks, die zu großen Blockbustern gehören und immer einen entsprechenden Hype auslösen. In Interviews spricht Zimmer immer darüber, wie radikal und neu die Musik doch sei, was sie allerdings in den seltensten Fällen wirklich ist. Es stimmt schon, Zimmer hat einen Hang zum Experimentieren, aber oft konzentriert er sich entweder zu sehr auf seine Experimente und vergisst darüber, was der Film eigentlich bräuchte, oder er zwängt seine Experimente und den Film in seinen Wohlfühlbereich. So entsteht das, was ich als „Gimmick-Score“ bezeichnen würde: Große Blockbuster-Soundtracks, die sich vor allem auf ein bestimmtes, nach Zimmers Aussage revolutionäres Gimmick verlassen, das aber letztendlich nicht funktioniert, dessen Potential nicht ausgeschöpft wird oder das völlig fehl am Platz ist. Ich habe bis heute nicht verstanden, weshalb Superman-Musik unbedingt ein Percussion-Orchester braucht, oder weshalb Zimmer einige der besten Schlagzeuger versammelt, wenn er sie doch alle gleichzeitig auf ihre Instrumente hauen lässt und sich das Ergebnis auch nicht allzu sehr von den (oft programmierten) Percussion-Loops unterscheidet, die er sonst verwendet. „Man of Steel“ ist für mich persönlich ohnehin die Kulmination aller negativen Eigenschaften, die ein Zimmer-Score haben kann: Absoluter Minimalismus (eine Tendenz, die sich seit 2009 ebenfalls stark gesteigert hat), ein völlig unnötiges Gimmick, keine emotionale Resonanz, kaum bis keine Variation und mit so viel Elektronik bearbeitetes Orchester, dass es klingt, als wäre es gesamplt und programmiert. Die Zimmer-Soundtracks, die mir aus dieser Schaffensperiode noch am besten gefallen (auch wenn sie immer noch ziemlich weit von früheren Erfolgen entfernt sind), sind „Rush“ und „The Lone Ranger“. Beide kommen ohne Gimmicks aus und passen in meinen Augen einfach gut zum Film. „The Amazing Spider-Man 2“ ist allerdings zugegebenermaßen ein ziemlich interessanter Sonderfall, dem ich mich an anderer Stelle noch ausführlich widmen werde.

Gerade weil mir viel von Zimmers früherer Arbeit sehr gut gefällt – neben den bereits erwähnten auch „Gladiator“, „King Arthur“ und „Der König der Löwen“ – finde ich es sehr schade, in welche Richtung sich Zimmers Musik in den letzten Jahren entwickelt hat. Ich denke immer, dass er das einfach besser kann.

Das zweite Problem, das ich gegenwärtig mit Zimmer habe, hängt weniger direkt mit seinem Schaffen, sondern mehr mit seinem Einfluss zusammen. In der Musikszene im Allgemeinen und der Filmmusikszene im Besonderen haben Komponisten natürlich schon immer versucht, Stilmittel anderer Komponisten zu verwenden. Die klassische Filmmusik von Steiner, Korngold, Williams etc. ist unleugbar von den Komponisten der Romantik wie Wagner, Tschaikowsky oder Dvorak beeinflusst, und wenn ein Filmkomponist großen Erfolg hat, gibt es natürlich immer andere, die einen ähnlichen Klang anstreben. Kein Komponist arbeitet in einem Vakuum, er wird, bewusst oder unbewusst, von anderen Komponisten beeinflusst.

Was momentan in der Filmmusik geschieht, geht in meinen Augen über das normale Maß allerdings weit hinaus. Zimmers Kompositionsstil ist momentan unglaublich populär, die Zahl der Komponisten, die ihn imitieren oder die von ihm bevorzugten Stilmittel zum Teil exzessiv verwenden, war niemals größer.

Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist Hans Zimmers Stil, gerade im Vergleich zu anderen Komponisten wie John Williams, verhältnismäßig leicht zu kopieren, da seine Kompositionen insgesamt relativ einfach gestrickt sind, gerade im Actionbereich. Dominante Faktoren sind einfache bis minimalistische melodische Konstrukte, die übermäßige Verwendung gleichförmiger Streicherostinati, viel Elektronik, Percussion-Loops und seit „Inception“ das infame „Horn of Doom“.

Und dann wäre da noch der Remote-Control-Faktor: Die Komponisten, die Zimmer in seiner Firma ausbildet, arbeiten zuerst an seinen eignen Scores mit, orchestrieren, liefern zusätzliche Musik und bekommen dann irgendwann ihren eigenen Auftrag. Dabei bedienen sie sich natürlich der Zimmer-Stilmittel und verwenden diese auch weiter. Damit hätten wir schon eine ganze Gruppe von Komponisten, die sich dieses Stils bedient, eine Gruppe, deren Soundtracks enorm erfolgreich sind. Aus diesem Grund verlangen viele Studios und Regisseure von ihren Komponisten direkt oder indirekt, die Zimmer-Stilmittel zu verwenden. Das kann durch Temp-Tracks geschehen oder durch direkte Anordnung – so wollte Bryan Singer zum Beispiel, dass John Ottman die Musik zu „X-Men: Days of Future Past“ im Stil von „The Dark Knight“ und „Inception“ komponiert – was man leider auch hört. Diese Tendenz führt zu einer Gleichförmigkeit, wodurch viele Komponisten ihren individuellen Stil verlieren, was ich äußerst schade finde, und leider wird die Liste immer länger. Paul Haslinger, Brian Tyler, Patrick Doyle, John Ottman, Javier Navarette, James Newton Howard – um nur einige zu nennen. Gleichzeitig kommen Newcomer wie Pedro Bromfman oder Clinton Shorter gar nicht mehr dazu, einen eigenen Stil zu entwickeln, da die Studios von ihnen Zimmer-ähnliche Musik verlangen.

Das soll nun nicht bedeuten, dass jeder Soundtrack, der Zimmer-Stilmittel in irgendeiner Form adaptiert, schlecht wäre, im Gegenteil. Gerade Brian Tylers Musik für die Marvel-Filme finde ich äußerst gelungen, und viele Komponisten schaffen es auch, dem RCP-Schema eine neue Seite abzugewinnen. Für jeden Score wie „Iron Man 3“ oder „Thor: The Dark World“ gibt es aber auch völlig uninspirierten Müll wie „Robocop“ oder „300: Rise of an Empire“. Das oben erläuterte erste Problem hat natürlich auch Auswirkungen auf das diese Tendenz: Was immer Zimmer macht ist fast ausnahmslos erfolgreich und wird wiederum von seinen Nachahmern kopiert, was bedeutet, dass sich Zimmers Output immer direkt auf die aktuellen Trends der Filmmusik auswirkt – ich glaube, „The Dark Knight“ und „Inception“ sind die beiden Scores, die am häufigsten für Temp-Tracks verwendet werden.

Trotz allem denke ich nicht, dass Hans Zimmer für den „Untergang der Filmmusik“ verantwortlich ist. Allerdings fände ich es schön, wenn er sich in Zukunft weniger auf Gimmicks verlassen würde. Es wäre sehr interessant zu sehen, wie heute ein Score klingt, den er komplett selbst komponiert, anstatt eine Heerschar von Assistenten zu beteiligen. Und es wäre auch schön, wenn man Filmkomponisten wieder erlauben oder sogar ermutigen würde, in ihrem eigenen Stil Musik zu schreiben, statt sie Zimmer imitieren zu lassen.