01. Gun Barrel
02. Matera
03. Message from an Old Friend
04. Square Escape
05. Someone Was Here
06. Not What I Expected
07. What Have You Done?
08. Shouldn’t We Get to Know Each Other First
09. Cuba Chase
10. Back to MI6
11. Good to Have You Back
12. Lovely to See You Again
13. Home
14. Norway Chase
15. Gearing Up
16. Poison Garden
17. The Factory
18. I’ll Be Right Back
19. Opening the Doors
20. Final Ascent
21. No Time to Die (written by Billie Eilish and Finneas O’Connell, performed by Billie Eilish)
Ursprünglich sollte der eher unbekannte Komponist Dan Romer, mit dem Cary Joij Fukunaga bereits an einigen seiner Filme zusammengearbeitet hatte, für „No Time to Die“ komponieren, allerdings kam es, wie so häufig, zu „kreativen Differenzen“. Was tut man als Studio in einem derartigen Fall? Man ruft bei Hans Zimmer an und sieht, ob er entweder selbst Zeit hat oder einen seiner Remote-Control-Kollegen empfiehlt. Und für ein prestigeträchtiges Franchise wie James Bond konnte der Chef tatsächlich selbst gewonnen werden. Mit dieser Ankündigung war ich im Vorfeld nicht allzu glücklich, einerseits, da ich Zimmers Methodologie der letzten Jahre recht kritisch gegenüberstehe und andererseits, weil es eine ganze Reihe von Komponisten gibt, die ich für einen Bond-Film lieber hätte, angefangen bei Altmeister David Arnold über Michael Giacchino bis hin zu eher unorthodoxen Alternativen wie Debbie Wiseman. Andererseits hat Zimmer es geschafft, mich im letzten Jahr mit „Wonder Woman 1984“ sehr angenehm zu überraschen, also gab es auch durchaus Hoffnung, der kreative Funke, der Zimmer zu diesem Score inspiriert hat, könne sich auch in einem Bond-Film verstecken. Im Grunde sind sowohl meine Hoffnungen als auch meine Befürchtungen wahr geworden.
Aber zuerst zum Titelsong, No Time to Die, der dieses Mal von Billie Eilish gesungen wird. Komponiert wurde er von Eilish selbst und ihrem Bruder Finneas O’Connell, Hans Zimmer hatte ebenfalls seine Finger im Spiel und war beim Arrangement sowie der Aufnahme beteiligt. Prinzipiell ist das immer positiv und wirkt sich auch auf den Score aus; nachdem sowohl Skyfall als auch Writing’s on the Wall so gut wie keinen Einfluss auf die beiden Thomas-Newman-Soundtracks hatte, ist die Präsenz der No-Time-to-Die-Melodie im Score deutlich größer. Und endlich findet sich das Lied auch wieder auf dem Album und muss nicht separat erworben werden. Der Song selbst hat mich, ehrlich gesagt, nicht wirklich vom Hocker gerissen. No Time to Die ist keinesfalls schlecht, ich werde allerdings das Gefühl nicht los, dass Eon sowohl mit diesem Lied als auch Sam Smiths Song aus dem Vorgänger versucht, an die Tonalität und den Erfolg von Skyfall anzuknüpfen, ohne diesen zu erreichen. Ich persönlich würde mir mal wieder etwas wünschen, das mehr in die Richtung von Chris Cornells You Know My Name oder k.d. langs Surrender geht (ganz zufällig war David Arnold an beiden beteiligt) – zur Thematik dieses Films passt das getragenere No Time to Die aber natürlich besser.
Jeder Komponist, der für einen Bond-Film die Musik schreibt, steht vor der Herausforderung, sich an den Stil des Franchise anzupassen: Bond hat einen distinktiven, maßgeblich von John Barry geprägten Sound, an dem man einfach nicht vorbei kommt. Als das letzte Mal ein Komponist versuchte, diesen Stil völlig zu ignorieren, kam am Ende ein Desaster dabei heraus – die Rede ist natürlich Éric Serras Score für „GoldenEye“. Zimmer seinerseits ist durchaus bekannt dafür, Franchises in seinen Wohlfühlbereich zu ziehen, statt sich ihnen anzupassen – das ist bei „No Time to Die“ zumindest teilweise jedoch anders. Vor allem die erste Hälfte des Albums ist stark vom Sound von John Barry und auch David Arnold geprägt, die zweite Hälfte ist dagegen deutlich mehr Action-Zimmer in Reinform.
Monty Normans James-Bond-Thema ist natürlich ein weiterer, essentieller Bestandteil eines jeden Bond-Scores. Hier nimmt sich Zimmer Arnolds und Newmans Musik für die Craig-Filme durchaus zum Vorbild, selten ist das zentrale Leitmotiv des Franchise in seiner klassischen Version zu hören, sondern taucht stattdessen fragmentiert, variiert und verfremdet auf – dafür finden sich auf dem Album allerdings nur wenige Tracks, in denen nicht zumindest die chromatische Akkordfolge ein Mal gespielt wird. Die Standardvariation, mit Fokus auf der E-Gitarre, findet sich lediglich in Gun Barrel und Back to MI6 – beide Einsätze sind sehr kurz, wer also auf mehr klassisches Bond-Thema in „No Time to Die“ gehofft hatte, wird wohl enttäuscht werden.
Angesichts der Tatsache, dass Zimmer in großen Filmreihen sonst gerne sein eigenes Süppchen kocht, anstatt sich etablierter Themen zu bedienen, ist er hier äußerst zitierfreudig. Bereits im zweiten Track, Matera, erklingt die Melodie von John Barrys und Louis Armstrongs We Have All the Time in the World aus „On Her Majesty’s Secret Service“ – der Song spannt einen Bogen, denn am Ende ist er erneut zu hören und wird über den Abspann gespielt (nicht auf dem Album). Auch das Hauptthema aus „On Her Majesty’s Secret Service“ wird einmal angespielt, als brütender Streicherversion in Good to Have You Back. Während der Einsatz des Liedes vielleicht etwas plakativ ist (vor allem am Ende), ist er durchaus inhaltlich gerechtfertigt. Ob dasselbe für das Thema gilt, ist dagegen diskutabel, vor allem, da es bereits im Film von 1969 keine wirklich leitmotivische Funktion besaß, sondern als Action-Thema verwendet wurde. Immerhin, es wird gespielt, als Bond in den Geheimdienst ihrer Majestät zurückkehrt – wahrscheinlich ist es aber primär an dieser Stelle, weil Zimmer und/oder Fukunaga Fans des Barry-Scores sind.
Auch an andere Bond-Scores finden sich Referenzen, die Streicher in Matera etwa sind, auch abseits von We Have All the Time in the World, typisch John Barry, als Bond Vespers Grab besucht, wird kurz ihr Thema aus „Casino Royale“ eingespielt (nicht auf dem Album), in Message from an Old Friend meint man, um die Dreiminutenmarke herum eines von Thomas Newmans Action-Motiven zu hören und die zweite Hälfte von Shouldn’t We Get to Know Each Other First klingt sehr nach David Arnold, es scheint fast, als zitiere Zimmer hier in der Streicherbegleitung die Melodie von Arnolds You-Know-My-Name-Thema, während die E-Gitarre die chromatische Akkordfolge des Bond-Themas spielt.
Zudem wird natürlich die Melodie von Billie Eilishs No Time to Die recht häufig eingebunden und fungiert somit auch als primäre Identität des Scores und als Thema für die zum Untergang verurteilte Beziehung zwischen Bond und Madeleine – etwas, das in den beiden Newman-Soundtracks mit den entsprechenden Bond-Songs nicht der Fall war, ebenso wenig wie in Arnolds „Quantum of Solace“ (hier allerdings zum Glück). No Time to Die taucht unter anderem in der zweiten Hälfte von Matera, in Lovely To See You Again als Klavier-Motiv, in Someone Was Here von Streichern gespielt und in dekonstruierter Form in Final Ascent auf. Zudem hat Zimmer noch zwei sekundäre Motive beigesteuert. Das erste gilt dem Schurken Safin und ist eher eine subtile, enervierende Textur, die beispielsweise in What Have You Done, Poison Garden oder Norway Chase zu hören ist, mitunter auch von tiefem Männerchor begleitet. Das zweite Motiv fungiert als Unterstützer der No-Time-to-Die-Melodie, spiegelt Bonds Verletzlichkeit wider und ist von tragischen Streichern geprägt – besonders deutlich ist es in Square Escape bei 1:20 zu hören und taucht auch in Home auf.
Der stilistische wie qualitative Zwiespalt des Scores zeigt sich am besten bei den vielen Action-Set-Pieces. Bereits das erste, Message from an Old Friend, ist eine faszinierende Mischung typischer Bond-Stilmittel und „Zimmerismen“, Dissonanzen und das typische Wummern zu Beginn, gefolgt von Fragmenten des Bond-Themas und Blechbläserstößen, dazu aber immer wieder eine instrumentale Einfärbung, die an John Barry erinnert, etwa der kurze Cameo-Auftritt der Goldfinger-Bläser nach der Sechsminutenmarke. Nicht minder faszinierend ist die beinahe brachiale Blechbläservariation des Rhythmus der „Swing Section“ des Bond-Themas, als 007 die Maschinengewehre in den Scheinwerfern seines Aston Martin aktiviert. Diese spezifische Variation ist auch in Cuba Chase und Open the Door zu hören.
Der absolute Höhepunkt des Albums ist zweifelsohne Cuba Chase, der vielleicht beste Action-Track der Reihe seit African Rundown aus „Casino Royale“. Dieses Stück verfügt über dieselbe mitreißende Energie, die „Wonder Woman 1984“ so unterhaltsam machte und liefert ein rundum gelungenes Gesamtpacket aus Zimmers hauseigenen Stilmitteln, Bond-Färbungen und kubanischen Klängen, inklusive der typischen Trompeten und Gitarren, die mit Kuba gemeinhin assoziiert werden – alles kombiniert mit Fragmenten des Monty-Norman-Themas. Wenn es in diesem Stil weitergegangen wäre, hätte „No Time to Die“ wirklich grandios werden können, aber leider gleitet Zimmer nach Good to Have You Back sehr in seinen Wohlfühlbereich zurück. Die verbliebenen Action-Tracks klingen eher nach Inception und der Dark-Knight-Trilogie als nach Bond, auch wenn Zimmer nach wie vor Fragmente des Franchise-Themas einarbeitet. Das bedeutet: Wummernde Percussions und elektronische Effekte, Streicherostinati und im Fall von Norway Chase tiefe Männerchöre. Bei 4:33 darf immerhin die chromatisch Akkordfolge kurz vorbeischauen. I’ll Be Right Back klingt dann tatsächlich, als stamme es direkt aus einem der Nolan-Batman-Filme, und das trotz der Präsenz der No-Time-to-Die-Melodie bei 2:40 und der chromatischen Akkordfolge nach der Vierminutenmarke. Selbst Final Ascent mag zwar auf No Time to Die basieren, klingt aber auch verdächtig nach Journey to the Line aus „The Thin Red Line“, ein Stück, das Zimmer in diversen Filmen immer wieder recycelt hat, etwa in „Inception“ (unter dem Titel Time) oder „12 Years a Slave“ (Solomon).
Zusätzlich zum Album tauchten noch einige Bonustracks auf, die unter anderem auf der Vinyl-Version zu finden sind, aber auch auf Youtube aufgespürt werden können. Diese vier kurzen Stücke, Q1, Q2, Q3 und Q4 haben vor allem eines gemeinsam: Sie sind nicht essentiell; brütende Atmosphäre mit E-Gitarre versehen. Bei Q4 handelt es sich tatsächlich um das, was im Vorfeld des Scores eigentlich als Witzelei unter Filmmusik-Fans seine Runden machte; man prophezeite, Zimmer werde das Bond-Thema auf ein Zwei-Noten-Motiv reduzieren. Genau das geschieht in diesem Track. Soundtrack-Produzent Steve Mazzaro veröffentlichte zudem auf seiner Website die Musik des Prologs, ein Stück mit dem Titel Safin, in welchem besagter Schurke das Heim der jungen Madeleine Swann aufsucht. Auch dieser Track ist verhältnismäßig dissonant und atmosphärisch, wie nicht anders zu erwarten verarbeitet er das Schurken-Motiv und dürfte vor allem für Komplettisten interessant sein.
Fazit: Zimmers „No Time to Die” hinterlässt mich sehr zwiespältig. Einerseits verfällt Zimmer vor allem in der zweiten Hälfte des Albums in sein übliches Schema und zieht die Musik in seinen Wohlfühlbereich, andererseits ist er sich in der ersten Hälfte des Bond-Vermächtnisses überaus bewusst und liefert mit Cuba Chase ein Meisterstück, das problemlos einen Platz in den Top 20 oder sogar Top 10 der besten Bond-Action-Tracks einnehmen kann. Somit fällt das Gesamturteil ähnlich wie beim Film aus: Kein Meisterwerk, aber auch kein Totalausfall.
Da Filmmusik abseits der großen Leinwand zumeist ein Nischenprodukt ist, muss man sich auch nach der entsprechenden Fachliteratur etwas länger umsehen. Selbst in einem angesehenen Franchise wie „The Lord of the Rings“ wurde Doug Adams‘ grandioses „The Music of the Lord of the Rings Films” (das ich jedem, der sich für Howard Shores Musik auch nur marginal interessiert, unbedingt ans Herz lege) noch nicht einmal ins Deutsche übersetzt. Mit anderen Worten: Wer über Filmmusik lesen möchte, muss sich oft auf seine Englischkenntnisse verlassen. Das trifft auch auf das (mit Ausnahme von Harry Potter) britischste aller Film-Franchises zu: James Bond. Die wahrscheinlich langlebigste Blockbuster-Filmreihe hat eine ebenso faszinierende wie vielseitige musikalische Geschichte vorzuweisen, beginnend mit der Frage, wer das James-Bond-Thema eigentlich komponiert hat (Monty Norman oder John Barry) über die Erschaffung des typischen Bond-Sounds und die mitunter legendären Titellieder bis hin zu den Scores des neuen Jahrtausends von David Arnold und Thomas Newman. Ähnlich wie bei der Musik für Mittelerde existiert auch hier so etwas wie ein definitives Werk: „The Music of James Bond“, verfasst vom Filmjournalisten und Universitätsdozenten Jon Burlingame.
Anders als das zumindest in Ansätzen vergleichbare Werk von Doug Adams konzentriert sich Burlingame stärker auf die Entstehungsgeschichte und das Hinter-den-Kulissen-Material – wer tiefschürfende musikalische Analysen sucht, wird wohl eher enttäuscht werden. Eine Besprechung der Musik findet zwar durchaus statt, ist aber auf fortlaufende graue Streifen auf dem unteren Drittel der Seite reduziert, während sich der Haupttext mit den sonstigen Hintergründen und der Entstehung der jeweiligen Filmmusik beschäftigt. Burlingame setzte sich mit allen Bond-Soundtracks von „Dr. No“ bis „Skyfall“ auseinander, inklusive der beiden inoffiziellen (will heißen, nicht von Eon Productions produzierten) Bonds „Casino Royale“ (1967) und „Never Say Never Again“ (1983). Der Fokus liegt, wie bereits erwähnt, auf der Produktionsgeschichte: Wie kam der jeweilige Song zustande, welchen Ansatz verfolgte der Komponist, mischten sich die Produzenten in irgendeiner Form ein und wie wurden Film, Score und Song rezipiert? Angereichert werden die Berichte durch eine Vielzahl an Aussagen der Beteiligten, die mitunter höchst interessant sind und einen faszinierenden Einblick hinter die Kulissen geben. Produzent Harry Saltzman, neben Albert „Cubby“ Broccoli einer der Väter des Bond-Film-Franchise, sagten beispielsweise diverse der von John Barry komponierten Songs nicht zu, darunter auch Goldfinger, nach wie vor DER Bond-Song schlecht hin. Auch wollte Saltzman nicht, dass Paul McCartney Live and Let Die singt. Zumeist konnte sich jedoch Broccoli durchsetzen, was generell großen Erfolg nach sich zog.
Besonderer Fokus liegt natürlich auf John Barry – da der leider 2011 verstorbene Maestro alleine für elf Bond-Scores verantwortlich war und auch seinen Teil zum Titelthema beitrug (auch wenn es nach wie vor ausschließlich Monty Norman zugeschrieben wird), ist das sehr gut nachvollziehbar. Burlingame schildert anschaulich, wie sich der Bond-Sound entwickelt hat und wie Barry beim Komponieren vorging. Was mich beispielsweise besonders fasziniert hat: Barry komponierte die Melodien für die Bond-Songs meistens zuerst und gab sie dann dem jeweiligen Lyriker (oft Don Black), der anschließend die Texte schrieb. Normalerweise kennte man das eher umgekehrt. Aber auch die anderen Komponisten, von Monty Norman („Dr. No“) über George Martin („Live and Let Die“), Marvin Hamlisch („The Spy Who Loved Me“), Bill Conti („For Your Eyes Only”), Michael Kamen („Licence to Kill”), Éric Serra („GoldenEye”) bis zu David Arnold („Tomorrow Never Dies” bis „Quantum of Solace”) und Thomas Newman („Skyfall”) werden angemessen behandelt. Burlingame spart auch nicht an Details zu Konflikten und Kontroversen in der Produktion der Musik – besonders interessant ist nach wie vor der GoldenEye-Score, bei dem Serras Musik für die zentrale Actionszene durch eine Komposition des für die Orchestrierung zuständigen John Altman ersetzt wurde.
Die eigentliche Musikanalyse bleibt dagegen, zumindest im Vergleich zu „The Music of the Lord of the Rings Films“, eher oberflächlich, es werden keine Notenbeispiele gegeben und auch bezüglich der musikalischen Fachtermini hält sich Burlingame zurück – was jedoch nicht unbedingt als Schwäche des Buches ausgelegt werden muss. Ohnehin eignet sich die Musik der Bond-Filme nicht unbedingt für die tiefschürfende leitmotivische Analyse, die Doug Adams vollzogen hat. Und natürlich gibt es deutlich mehr Bond- als LotR-Filme, sodass eine wirklich ausgiebige musiktheoretische Auseinandersetzung noch einmal deutlich umfangreicher hätte ausfallen müssen. „The Music of the James Bond Films“ richtet sich eher an Fans mit Interesse an der Musik als an ein Fachpublikum – und als solches ist das Werk rundum gelungen.
Fazit: Von „Dr. No“ bis „Skyfall“ – in „The Music of James Bond” liefert Jon Burlingame faszinierende Informationen zu den Songs und Soundtracks des James-Bond-Filme. Burlingame bietet zwar keine tiefschürfende musikalische Analyse, sondern legt den Fokus auf die Entstehung und die Hintergründe der Musik, aber dennoch (oder gerade deshalb) ist sein Buch für jeden Bond- oder Filmmusikfan sehr empfehlenswert.
Das James-Bond-Thema ist das wohl ikonischste und langlebigste Thema der Filmmusik – so gut wie jeder hat diese Melodie schon einmal gehört und kann sie zuordnen, selbst wenn man noch nie einen James-Bond-Film gesehen hat. Mehr noch, es ist der Beweis, dass ein Thema für verschiedene Inkarnationen einer Figur exzellent funktionieren kann – vom selbstironischen und mitunter fast lächerlichen Roger-Moore-Bond bis hin zu grimmigen, geerdeten Daniel-Craig-Bond. Viele Komponisten haben das Thema bereits auf ihre eigene Art adaptiert und interpretiert. Mit dem anstehenden, aber mehrfach wegen Corona verschobenen „No Time to Die“ darf sich nun auch Hans Zimmer zu dieser illustren Riege zählen. Freilich kann man nur raten, wie Zimmers Herangehensweise aussieht – wird er seinen Stil dem Franchise anpassen oder umgekehrt? Erwartet uns ein Bond/Ineception-Hybrid oder kommt die opulent-verspielte Seite zum Einsatz, die er zuletzt bei „Wonder Woman 1984“ zeigte? Ein Stück (das diesen Beitrag eröffnen darf) wurde bislang veröffentlicht, aber dabei handelt es sich um eine relativ „gewöhnliche“ Version des Themas, die auch bspw. von John Arnold hätte stammen können und wohl relativ wenig Rückschlüsse zulässt.
Wie dem auch sei, ein Grund für die Langlebigkeit des Bond-Themas dürften auch die vielen Bestandteile sein, die dafür sorgen, dass es sich so gut variieren, auseinandernehmen und wieder zusammensetzen lässt. Da wären das E-Gitarren-Solo, die Fanfare, die eigentliche Melodie und die chromatische Akkordfolge (vier aufwärts, einer abwärts) – besondere Letztere wird nur allzu gerne dazu verwendet, Bond-Assoziationen zu erzeugen und ist Bestandteil vieler, vieler Bond-Songs; von Goldfinger bis Skyfall. Lange Rede, kurzer Sinn: Das Bond-Thema ist ein äußerst lohnenswertes Sujet. Und da das Internet bekanntermaßen Top-Listen liebt, gibt es hier nur meine Top 15 Variationen des James-Bond-Themas, inklusive der Honourable und Dishonourable Mentions (jeweils zwei nach Jahreszahl geordnet). Ich habe beschlossen, mich auf Versionen des Bond-Themas zu beschränken, die auch tatsächlich in den Filmen vorkommen oder zumindest für diese komponiert wurden und Cover wie die von Moby oder Oakenfold beiseite zu lassen (sie wären wohl ohnehin nicht in meiner Bestenliste gelandet).
Honourable Mentions
007-Thema (John Barry, „From Russia with Love”)
Für die Honourable Mentions habe ich mir etwas besonderes ausgedacht. Natürlich hätte ich noch mehr Variationen aus den 24 Bond-Filmen (von Spielen und sonstigen Cover-Versionen gar nicht erst zu sprechen) auswählen können, stattdessen möchte ich aber zwei Alternativen präsentieren, zwei Leitmotive, die ebenfalls James Bond repräsentieren; man könnte von sekundären Leitmotiven für die Figur sprechen. Das erste dieser sekundären Themen ist das 007-Thema, das man vielleicht am besten als Action- oder Abenteuer-Thema für Bond beschreiben kann. John Barry komponierte es für „From Russia with Love“, den zweiten Bond-Film und den ersten, den er komplett vertonte. Primär ist es mit Connerys Bond verknüpft, da es in jedem folgenden Film mit ihm (außer „Goldfinger“, das wären „Thunderball”, „You Only Live Twice” und „Diamonds Are Forever”) wieder auftauche, Roger Moore kam in „Moonraker“ allerdings auch einmal in den Genuss. Diese Melodie ist, anders als das Bond-Thema, nicht allzu gut gealtert und würde, zumindest ohne signifikante Veränderung, in einem modernen Score mit seinen Blechbläserstößen und dem Tanz-Rhythmus wohl sehr merkwürdig und altbacken wirken. Dennoch ist es ein interessantes Stück Bond-Musikgeschichte und ich zweifle nicht daran, dass es einem kompetenten Komponisten gelingen könnte, es zu modernisieren.
Proto-Bond (David Arnold, „Casino Royale”)
Nach dem ziemlich desaströsen „Die Another Day“ beschloss man Eon Productions, Bond mit „Casino Royale“ nicht nur einen Reboot zu verpassen, sondern auch erstmals seine Origin-Story zu erzählen. Abermals wurde David Arnold als Komponist verpflichtet; mit drei Bond-Scores konnte man ihn zu diesem Zeitpunkt bereits als Veteran bezeichnen. Arnold und Regisseur Martin Campbell beschlossen, dass sich Bond sein ikonisches Thema in diesem Film erst verdienen muss. Als alternatives Leitmotiv für 007 fungiert stattdessen die Melodie des Titelsongs You Know My Name von Chris Cornell, an dessen Komposition Arnold beteiligt war. Wie bei so vielen anderen Bond-Songs auch findet sich die DNS des Bond-Themas überall, von den Instrumentierung bis zur subtilen Integration der chromatischen Akkordfolge; es ist eine verwandte, aber dennoch separate Melodie. Dieses Proto-Bond-Thema taucht überall im Film auf, etwa als Action-Variation im grandiosen African Rundown (zum Beispiel bei 0:48, 1:12 und 2:25) oder als Streicher-Arrangement in bester Barry-Tradition in Aston Montenegro (0:35). Besonders interessant sind freilich die Szenen, in denen Bond das erste Mal etwas für die Figur typisches tut und Arnold das Proto-Bond-Motiv mit deutlich erkennbaren Fragmenten des eigentlichen Themas kombiniert, etwa in Blunt Instrument (1:18, hier ist die chromatische Akkordfolge zu hören) oder Dinner Jackets (1:07, primär der Rhythmus, aber auch ein Fragment der Melodie). Das alles sorgt dafür, dass der Score von „Casino Royale“ eine sehr eigenständige Identität hat, die zwar vom Hauptthema der Serie separiert, aber doch ganz eindeutig Bond ist.
Dishonourable Mentions
Bond 77 (Marvin Hamlisch, „The Spy Who Loved Me”)
Natürlich kann es auch nach hinten losgehen, wenn Komponisten versuchen, das Bond-Thema zu modernisieren und sich zu Eigen zu machen. In „The Spy Who Loved Me“, mit einem Score von Marvin Hamlish, wird das Bond-Thema funky – zu funky für meinen Geschmack. Diese Tendenz findet sich bereits in anderen Bond-Filmen der 70er-Jahre, hier tritt es jedoch am deutlichsten hervor. Mein Problem dabei ist vor allem, dass der Track bis auf zwei drei Einspielungen von Fragmenten des Bond-Themas nichts mit ihm zu tun hat. Es ist ein relativ generischer Disco-Track, in dem bei 0:20, 1:08 und 2:57 die chromatische Akkordfolge und bei 1:15 das E-Gitarren-Solo erklingt. Am Ende verbreiten die durch „Goldfinger“ stets mit dem Bond-Sound assozierten plärrenden Trompeten noch ein wenig Feeling, aber das rettet den Track auch nicht mehr.
A Plesant Drive Through St. Petersburg (Éric Serra, „GoldenEye”)
Es ist schon faszinierend: Martin Campbell inszenierte die Debütfilme zweier neuer Bond-Darsteller. „Casino Royale“ hat, wie oben subtil angedeutet, einen der besten Scores des Franchise – „GoldenEye“ hat den schlechtesten. Was Éric Serra für Pierce Brosnans ersten Film komponiert hat, ist ein Verbrechen am Franchise. Diese Art des elektronischen Komponierens mag für Luc-Besson-Film passen (tatsächlich meine ich mich zu erinnern, dass Serras Score in „The Fifth Element“ durchaus gut funktioniert hat), bei Bond ist sie jedoch völlig fehl am Platz. Den meisten Komponisten gelingt es, eine gewisse Balance zwischen ihrem Sound und dem Standard des Franchise zu finden, Serra hingegen scheint sich nicht einmal zu bemühen. In nur zwei Tracks auf dem Album wird das Bond-Thema überhaupt verwendet. The GoldenEye Orverture ist schon grässlich, wenn auch im Kontext des Films noch in Ansätzen erträglich, aber A Pleasant Drive Through St. Petersburg ist einfach nur noch furchtbar, so prozessiert und stumpf bearbeitet, dass vom Bond-Sound, dem Thema oder dem Orchester, das angeblich mitwirkte, kaum mehr etwas übrigbleibt. Tatsächlich rebellierten die Verantwortlichen für den Soundmix des Films, weshalb dieses Stück, das das große Action-Set-Piece, die Panzerfahrt durch St. Petersburg untermalt, ersetzt wurde (dazu später mehr). Dieser Umstand ist umso tragischer, als Tina Turners GoldenEye wirklich ein exzellenter Bond-Song ist, der einen passenden Score verdient hätte.
Top 15 Variationen
Platz 15: James Bond Theme (Monty Norman, John Barry, „Dr. No”)
Das mag vielleicht wie Ketzerei erscheinen, aber ja, das Original belegt den letzten Platz. Natürlich ist es der wichtigste Eintrag der Liste, denn sonst gäbe es alle anderen Einträge nicht, aber Fakt ist dennoch, ich höre mir diese Version aus „Dr. No“ sehr selten an. Tatsächlich geht mir das mit einigen Themen so, auch beim Imperialen Marsch gibt es wirklich Dutzende von Variationen, die ich dem „Original“ (bzw. der Themen-Suite auf dem Empire-Album) vorziehe. Dennoch wäre jede derartige Top-Liste ohne das Original nicht komplett, zumal es hier eine wirklich interessante Hintergrund-Story gibt. Die eigentliche Melodie stammt von Monty Norman, der hierfür das Lied Good Sign, Bad Sign aus einem nicht veröffentlichten Musical recycelte. Regisseur und Produzenten waren vom Ergebnis allerdings nicht allzu begeistert, weshalb sie John Barry arrangierten, der das Stück neu instrumentierte, einige der essentiellen Elemente, etwa die chromatische Akkordfolge, beifügte und damit zugleich den jazzigen Big-Band-Stil des Bond-Franchise zementierte. Diese „Zusammenarbeit“ führte zu einem Rechtsstreit zwischen Norman und Barry, wer denn nun eigentlicher Komponist des Bond-Thema ist. Letztendlich wurde es Norman zugesprochen, aber dass Barry den „Bond-Sound“ definiert hat, dürfte niemand bestreiten. Es reicht schon, sich den von Monty Norman komponierten Score für „Dr. No“ anzuhören, der nicht wirklich nach Bond klingt. Tatsächlich verwendet oder variiert Norman das Thema kaum, stattdessen wird nur immer wieder die Standard-Version eingespielt. Es ist bezeichnend, dass Norman nach „Dr. No“ nie wieder an einem Bond-Film arbeitete, während Barry nicht nur das Sequel „From Russia with Love“ vertonte, sondern auch noch die Scores zu zehn weiteren Bond-Filmen bis 1987 komponierte. Gerade im Vergleich zu vielen der späteren Adaptionen des Themas, nicht nur von anderen Komponisten, sondern auch von Barry selbst, wirkt das Original inzwischen allerdings recht altbacken und schlicht uninteressant, darum auch nur Platz 15.
Platz 14: Talamone (David Arnold, „Quantum of Solace”)
Ähnlich wie in „Casino Royale“ wurde auch in Daniel Craigs zweitem, deutlichem schwächerem Bond-Film „Quantum of Solace“ der Einsatz des Bond-Themas größtenteils vermieden. Das Problem ist, dass es, anders als in „Casino Royale“, keinen adäquaten Ersatz gibt. „Quantum of Solace“ ist beileibe kein schlechter Score, verblasst jedoch im Vergleich zum direkten Vorgänger, gerade weil ihm eine zentrale Identität fehlt – Another Way to Die, der fürchterliche Song von Alicia Keyes und Jack White, an dem Arnold nicht beteiligt war, gibt auch nicht viel her. Was das Bond-Thema angeht, neben der Gun-Barrel-Sequenz am Ende, die allerdings eine bereits vorhandene Version verwendet, die nicht einmal neu eingespielt wurde, taucht es vor allem in Fragmenten auf, gerade in Action-Tracks wie Time to Get Out oder The Palio hört man immer wieder Anklänge in der Instrumentierung oder dem Rhythmus, ohne dass es ein eindeutiges Statement gäbe. Einen ähnlichen Weg wählte Beispielsweise Richard Jaques in seinem äußerst gelungenen Score für das Spiel „James Bond: Blood Stone“. Eines der deutlicheren Zitate des Themas findet sich in dem nur knapp über 30 Sekunden dauernden Track Talamone, in dem Arnold nicht nur den Rhythmus und die chromatische Akkordfolge des Bond-Themas verwendet, sondern auch das Proto-Bond-Thema aus „Casino Royale“ noch einmal bemüht und das Motiv für die verbrecherische Organisation Quantum dazu mischt. Ein kleiner, aber leitmotivisch köstlicher Leckerbissen für Filmmusikfans.
Platz 13: Oddjobs Pressing Engagement (John Barry, „Goldfinger”)
Eigentlich ist die Version, die in Oddjobs Pressing Engagement in „Goldfinger“ zu hören ist, eine relativ typische Variation, die auch nur 25 Sekunden geht. Was hier von Bedeutung ist, ist das Zusammenspiel mit der Melodie des Titelsongs – man könnte hier schon fast von der Blaupause sprechen. Fast ausnahmslos basieren die besten Bond-Songs auf dem musikalischen Aushängeschild des Franchise oder arbeiten zumindest Elemente in ihre melodisches oder harmonisches Gefüge ein. Im Idealfall stammt der Song vom Score-Komponisten und fungiert auch als Hauptthema des Films – ganz so, wie es hier der Fall ist. Dieser Track zeigt, wie wunderbar das Thema und die Goldfinger-Melodie miteinander harmonieren und ineinander übergehen können. Nebenbei etablierte Barry in „Goldfinger“ gleich die plärrenden Trompeten als unverzichtbaren Bestandteil des Bond-Sounds. Auch wenn die Goldfinger-Melodie zumindest in den Filmen meines Wissens nach nicht wieder aufgegriffen wurde, die spezifischen Blechbläser, die Barry Shirley Bassey an die Seite stellte, taten es aber sehr wohl.
Platz 12: Chateau Fight (John Barry, „Thunderball”)
In den frühen Bond-Filmen finden sich noch relativ wenig Variationen, die wirklich hervorstechen, die meisten Einsätze orientieren sich sehr stark am Original-Track aus „Dr. No“. In Bond-Nummer 4, „Thunderball“, taucht eine der ersten wirklich frenetischen Action-Bearbeitungen des Themas auf, natürlich von John Barry persönlich, der vor allem mit diesem Score und dem vorangegangenen „Goldfinger“ endgültig den Bond-Sound gefestigt hatte. „Thunderball“ konzentriert sich insgesamt eher auf die Action-Aspekte, während Barrys üppige, oft Streicher-lastige romantische Musik vielleicht ein wenig zu kurz kommt. Chateau Fight ist das ideale Beispiel, nach einem eher ruhigen Anfang brechen die Blechbläser bei der Einminutenmarke aus, um kurz darauf eine fragmentierte, sehr blechlastige Variation des Themas anzustimmen. Sehr faszinierend ist, nebenbei bemerkt, auch der Track At the Casino, in welchem Barry Fragmente des Bond-Themas in den legeren Jazz dieses Tracks einarbeitet.
Platz 11: Grand Bazaar, Istanbul (Thomas Newman, „Skyfall”)
Springen wir nun von Bonds Anfangstagen zum Komponisten der letzten beiden Scores des Franchise. Thomas Newman ist einer der geachtetsten Komponisten Hollywoods, aber vielleicht nicht gerade derjenige, den man ad hoc für einen Bond-Soundtrack vorschlagen würde – tatsächlich hatte er vor „Skyfall“ kaum für Action komponiert. Nach wie vor finde Newmans Herangehensweise… zwiespältig. Vor allem „Skyfall“ ist definitiv kein schlechter Score, Newman bringt viele interessante Elemente ein, und doch hat man stets das Gefühl, dass er Bond eher in seinen Wohlfühlbereich holt, anstatt sich stärker mit dem musikalischen Vermächtnis des Franchise auseinanderzusetzen. Vor allem stilistisch ist recht wenig geblieben, Orchestrierung, Einsatz von Synth- und Elektronikelementen und Stil sind sehr typisch Newman, was sich besonders am Einsatz diverser exotischer Instrumente zeigt. Verknüpft mit exotischen Locations ist das zwar durchaus sinnvoll, aber Newman bedient sich ihrer auch in den London-Szenen. Noch schwerwiegender ist das Fehlen eingängiger Melodien. Gerade Adeles Titelsong Skyfall wäre dafür prädestiniert, er taucht allerdings nur einmal im Score auf – im Stück Komodo Dragon setzt Newman ihn effektiv in Kontrapunkt zur chromatischen Akkordfolge und, siehe da, schon haben wir einen der besten Tracks des Albums. Zugegebenermaßen ist es auch nicht so, als wende sich Newman völlig vom Vermächtnis des Franchise ab. Gerade in den Action-Tracks ist das Bond-Thema wirklich überall, nur eben nicht deutlich wahrnehmbar, sondern dekonstruiert, fragmentiert oder versteckt. Es ist durchaus faszinierend mitanzusehen, wie effektiv Newman das Bond-Thema abwandelt. Abseits von Breadcrumbs (hierbei handelt es sich um eine Standard-Version des Themas) finden sich die deutlichsten Einsätze in Grand Bazar, Istanbul, das sehr schön zeigt, wie Newman vorgeht, das Bond-Thema behandelt und in seine Actionmusik einarbeitet. Es fängt mit einem kurzen Bond-Fanfarenstoß an, bevor Newmans elektronisch bearbeitete Suspense-Rhythmen und Percussions übernehmen. Es dauert bis zur Dreiminutenmarke, bis die Blechbläser subtile Fragmente des Themas wiederaufnehmen, um ab 3:26 konsequent mit der chromatischen Akkordfolge zu spielen. Bei 4:55 ist schließlich die Fanfare recht deutlich zu hören
Platz 10: This Never Happend to the Other Fella (John Barry, „On Her Majesty’s Secret Service”)
Bei „On Her Majesty’s Secret Service” stand Barry vor der Herausforderung, zu zeigen, dass wir es immer noch mit der gleichen Figur zu tun haben, dass sich aber doch etwas geändert hat. Im passend betitelten Track This Never Happend to the Other Fella eröffnet Barry den Film mit dem Bond-Thema – doch statt der E-Gitarre erklingt ein Synthesizer, der auf die Veränderung hindeutet. Es ist erstaunlich, wie gut diese Synth-Klänge nicht nur mit dem Bond-Thema harmonieren, sondern auch heute noch wirken; sie verstrahlen einen spezifischen Retro-Charme. Auch instrumentale Fragemente des Titelsongs We Have all the Time in the World sind zu hören. Hier findet sich eine weitere faszinierende Abweichung von der üblichen Formel. In „Goldfinger“ wurde erstmals ein Lied über die Titelsequenz gespielt, wovon man beim ersten und einzigen Lazenby-Bond jedoch aufgrund der emotional deutlich stärkeren Geschichte absah. Stattdessen erklingt die von Louis Armstrong gesungene Komposition erst zu den End Credits.
Platz 9: Come In 007, Your Time Is Up (David Arnold, „The World Is Not Enough”)
David Arnolds Musik für das Bond-Franchise hatte schon immer zwei Seiten: Die orchestrale und die elektronische. Während Arnold in seinem ersten Bond-Score „Tomorrow Never Dies“ sich primär auf Erstere konzentrierte, werden die elektronischen Anteile in den beiden folgenden Soundtracks immer stärker. Während sie in „Die Another Day“ völlig überhand nehmen, gibt es in „The World Is Not Enough“ immerhin noch eine gewisse Balance. Wer meinen Musikgeschmack kennt, weiß, dass ich kein allzu großer Fan von elektronischer und synthetischer Manipulation bin, weswegen mich Tracks wie Come In 007, Your Time Is Up ein wenig in die Bredouille stürzen: Gerade dieses Stück ist exzellent komponiert, orchestriert und bietet herrliche Action-Variationen des Bond-Themas, angereichert durch Fragmente des von David Arnold komponierten Titelsongs The World Is Not Enough. Da gibt es wirklich viel zu lieben, von Goldfinger-Bläsern bei der Einminutenmarke über die plötzlich einsetzende E-Gitarre bei 3:42 bis hin zu der Minifanfare bei 2:54, als sich Bond unter Wasser seine Krawatte richtet. Aber dann sind da diese konstanten elektronischen Beats… Anders als bei Zimmer und Konsorten, bei denen diese Elemente meistens tatsächlich (im Guten wie im Schlechten) integraler Bestandteil der Kompositionen sind, wirken sie hier eher wie nachträglich eingefügt und fühlen sich seltsam separiert von den orchestralen Klängen an. Ohne diese Manipulationen und Effekte wäre Come In 007, Your Time Is Up wahrscheinlich unter den Top 5 gelandet, aber so hat es eben „nur“ für Platz 9 gereicht.
Platz 8: James Bond Theme (George Martin, „Live and Let Die”)
„Live and Let Die“ ist in vieler Hinsicht eine Premiere: Nicht nur handelt es sich dabei um Roger Mooers Debüt als 007, es ist auch das erste Mal seit „Dr. No“, dass John Barry nicht den Score komponierte. An seiner Statt verpflichtete man George Martin – eine naheliegende Wahl, angesichts der Tatsache, dass der Titelsong von John McCartney stammt, schließlich hatte Martin zuvor bereits die Songs der Beatles arrangiert. Kurz und gut: Seine Version des James-Bond-Themas ist das, was ich als „Bond 77 done right“ bezeichnen würde. Martin transportierte das Thema erfolgreich in 70er und machte funky, aber eben nicht zu funky. Es ist immer noch eindeutig das Bond-Thema, nicht ein Disco-Track, das mit ein wenig Bond angereichert wurde. Viel mehr gibt es nicht zu sagen, George Martins Arrangement macht einfach Spaß.
Platz 7: Tank Drive Around St. Petersburg (John Altman, „GoldenEye”)
Nachdem Éric Serras A Plesant Drive Through St. Petersburg für die große Action-Szene in „GoldenEye“ abgelehnt wurde, wandten sich die Produzenten an John Altman, der an diesem und zwei vorherigen Filmen bereits für Serra als Orchestrierer gearbeitet hatte. In kürzester Zeit komponierte Altman den Track Tank Drive Around St. Petersburg und bekam für Aufnahme alles zur Verfügung gestellt, was er brauchte – Studio, die besten Musiker etc. Im Nachhinein wäre es wohl besser gewesen, man hätte einfach Altman den gesamten Film vertonen lassen, denn Tank Drive Around St. Petersburg ist zusammen mit dem Titelsong das musikalische Highlight von „GoldenEye“. Keine Spur von dumpfem, synthetischem Gewummer, stattdessen eine grandioser Action-Track mit tollen Variationen des Bond-Themas in bester Barry-Manier. Die Triangeln, Klavierakzente und einige der Streicherfiguren sorgen zudem für eine gewisse Einzigartigkeit und vermitteln ein vage russisches Feeling, das perfekt zum Handlungsort passt. Die Aufnahme, die im Film zu hören ist, wurde leider nie veröffentlich, aber für das Album „Bond Back in Action Vol. 2“ hat das City of Prague Philharmonic Orchestra das Stück neu eingespielt. Besagtes Album sowie „Bond Back in Action Vol. 1“ sind, nebenbei bemerkt, sehr gute Startpunkte, um sich intensiver mit der Musik des Franchise zu beschäftigen. Wer gerne mehr über Altmans Beitrag zum Soundtrack von „GoldenEye“ erfahren würde, kann das hier tun.
Platz 6: Exercise at Gibraltar (John Barry, „The Living Daylights”)
1987 komponierte John Barry seinen elften und letzten Bond-Score. „The Living Daylights“ markiert das Ende einer Ära – und den Beginn einer neuen (wenn auch einer sehr kurzlebigen), da es sich hierbei um den Debütfilm von Timothy Dalton handelt. „The Living Daylights“ wird von Bond-Fans oft als einer von Barrys besten Scores für die Filmreihe betrachtet – der größte Konkurrent ist „On Her Majesty’s Secret Service”. Exercise at Gibraltar ist das Eröffnungsstück des Scores. Wie nicht anders zu erwarten beginnt es zur Gunbarrel-Sequenz mit der Bond-Fanfare, gefolgt von einem Streicher- und Blechbläserarrangement des E-Gitarren-Solos, natürlich unterlegt mit der chromatischen Akkordfolge. Danach macht das Thema ein Päuschen, bis sich bei 1:36 die chromatisch Akkordfolge zurückmeldet. Die bei 2:59 auftauchende Version des Themas, gespielt von Streichern und Holzbläsern ist ebenfalls äußerst interessant. Und um zeigen, dass wir endgültig in den 80ern angekommen sind, bedient sich Barry ab 3:30 eines elektronischen Beats, der das restliche Stück dominiert und immer wieder mit Bestandteilen des Bond-Themas angereichert wird – dieses Mal sind auch Blechbläser zu hören. So zeigt Barry, dass er auch nach so vielen Scores für dieses Franchise immer noch frische Ideen hat und das Kernthema passend zu variieren weiß.
Platz 5: Licence Revoked (Michael Kamen, „Licence to Kill”)
Michael Kamens Score zum zweiten und letzten Dalton-Bond ist entweder nicht allzu beliebt oder wird glatt übersehen – was auch daran liegen könnte, dass nie ein wirklich befriedigendes Album veröffentlicht wurde. Kamen holt, ähnlich wie Newman, die Bond-Musik eher in seinen Wohlfühlbereich, als dass er sich stilistisch Barry annähert, aber um ehrlich zu sein: Ich finde, dass Kamens Wohlfühlbereich tatsächlich relativ gut zum Franchise passt. Licence Revoked ist das beste Beispiel, ein monumentaler Actiontrack, in dem Kamen ausgiebig Gebrauch vom Bond-Thema macht und regelrecht mit den einzelnen Bestandteilen spielt, beispielsweise, in dem er die E-Gitarre durch ein akustisches Model ersetzt oder vermehrt Holzbläser miteinbezieht.
Platz 4: White Knight (David Arnold, „Tomorrow Never Dies”)
Nach dem desaströsen Serra-Score fanden die Bond-Produzenten das richtige Gegenmittel: Für Brosnans zweiten Film als 007 verpflichtete man David Arnold, der sich bereits als Komponist für Roland Emmerichs Spektakelfilme einen Namen gemacht hatte und von John Barry persönlich empfohlen wurde. Arnold ist nicht nur ein extrem begabter Komponist, sondern auch selbst bekennender Bond-Fan. 1997 veröffentlichte er das Album „Shaken and Stirred: The David Arnold James Bond Project“; hier schrieb er neue Arrangements vieler beliebter Bond-Songs und auch einiger Score-Stück, was ihm die Aufmerksamkeit John Barrys einbrachte und letztendlich dafür sorgte, dass man ihn für „Tomorrow Never Dies“ anheuerte – in meinen Augen nach wie vor der beste aller Bond-Scores. John Barry hat den Bond-Sound erfunden und geprägt, Arnold hat ihn hier perfektioniert (bevor er mit den anderen beiden Brosnan-Scores etwas strauchelte, um dann mit „Casino Royale“ ein weiteres Meisterwerk abzuliefern). Wie enthusiastisch Arnold an seine Aufgabe heranging, zeigt sich bereits beim Eröffnungsstück White Knight. Natürlich wird die Gunbarrel-Sequenz mit einem kurzen Einspieler des Bond-Themas unterlegt, aber nicht nur das, sogar Tina Turners GoldenEye wird sehr subtil zitiert (0:57), wie um deutlich zu machen, dass Arnold bei diesem Film bereits gerne die Musik geschrieben hätte. In der zweiten Hälfte des Tracks wird dann Bond-Thema galore geboten und es hat nie besser geklungen. In bester Franchise-Tradition mischt Arnold die Elemente des von k. d. lang gesungenen Songs Surrender (ursprünglich von Arnold für den Vorspann komponiert, dann jedoch durch Tomorrow Never Dies von Sheryl Crow ersetzt und in den Abspann verbannt). Arnold zeigt hier, wie souverän er nicht nur mit dem Thema, sondern auch mit dem Bond-Sound umgehen kann (nie klangen die Goldfinger-Trompeten besser) und wie meisterhaft er es versteht, die einzelnen Bestandteile zu variieren und sie der Action auf der Leinwand anzupassen.
Platz 3: Backfire („Spectre“, Thomas Newman)
Thomas Newmans zweiter und bislang letzter Bond-Score ist in mancher Hinsicht wie der Film: recht uninspiriert und deutlich schwächer als der Vorgänger. Das Bond-Thema ist zwar deutlich präsenter als in „Skyfall“, wie schon der Eröffnungstrack Los Muertos Vivos Estan zeigt, stilistisch bewegt sich Newman aber noch mehr in seiner Wohlfühlzone – will heißen, es finden sich noch einmal deutlich weniger Bond-Charakteristika. „Spectre“ klingt über weite Strecken wie eine Erweiterung des Action-Sounds aus „Skyfall“, noch mehr fehlt hier die eigenständige Persönlichkeit. Der Track Backfire enthält etwa 30 extrem herausragende Sekunden und den vielleicht besten Einsatz der chromatischen Akkordfolge der gesamten Filmreihe. Aus dem ziemlich chaotischen Action-Underscoring entwickelt sich ab 2:05 besagte Akkordfolge heraus, gespielt von majestätischen Blechbläsern. Das Fragment schwillt an und schließlich übernimmt ein himmlicher Chor, just als Bond im Film beim Vatikan ankommt. Chöre sind recht selten Bestandteil der Bond-Scores, weshalb diese Variation ebenso grandios wie einzigartig ist – nur leider ist sie nur allzu schnell wieder vorbei.
Platz 2: The Name’s Bond… James Bond („Casino Royale”, David Arnold)
Nachdem den Zuschauern das Bond-Thema in „Casino Royale“ über zwei Stunden lang vorenthalten wurde, erklingt das vollständige Thema ganz am Ende, als sich 007 mit „The Name’s Bond… James Bond“ Mister White vorstellt, zum ersten Mal nicht nur in diesem Film, sondern auch für Daniel Craigs Inkarnation der Figur. Und mit welcher Wucht es erklingt. Der finale Track aus „Casino Royale“ ist im Grunde „nur“ eine Neufassung der klassischen Themen-Suite von Norman und Barry, von David Arnold behutsam, aber effektiv neu orchestriert – DAS Bond-Thema des neuen Jahrtausends. Und es ist auch meine To-Go-Version, wenn ich das Thema (etwa zu Vorführungszwecken) in Reinform benötige.
Platz 1: Bike Chase („Tomorrow Never Dies”, David Arnold)
Vielleicht ist dieses Stück aus „Tomorrow Never Dies“ sogar so etwas wie ein Geheimtipp, zumindest wird es nicht allzu oft diskutiert, was u.a. daran liegen könnte, dass das ursprüngliche Album zu Wünschen übrig ließ und einige der besten Tracks des Films darauf nicht zu finden waren – so auch dieser. Hier haben wir ein knapp sieben Minuten langes Action-Stück, das ausschließlich mit Variationen des Bond-Themas arbeitet. Arnold reicht die verschiedenen Elemente meisterhaft von einer Sektion des Orchester zur nächsten, versieht das Ganze mit subtilen elektronischen Akzenten, die hier, im Gegensatz zu „The World Is Not Enough“, exzellent funktionieren, variiert, jongliert und lässt die einzelnen Bestandteile mit- und gegeneinander arbeiten. Ich kann mich an diesem Track einfach nicht satt hören, bei jedem Mal entdeckt man ein neues kleines Detail. Besonders angetan hat es mir die Sektion, in der Arnold zuerst die Fanfare erklingen lässt und anschließend die chromatische Akkordfolge nur von Streichern und Percussions spielen lässt (4:02). Wie ich oben bereits schrieb: „Tomorrow Never Dies“ ist die Perfektion des Bond-Sounds – und zwar genau in diesem Track.