Enthält Spoiler zur vierten Staffel von „Game of Thrones“
Bis „The Winds of Winter“ kommt (was nicht vor 2015, wahrscheinlich eher noch später sein wird), muss der Fan von George R. R. Martins Eis-und-Feuer-Romanen nehmen, was er kriegen kann – in diesem Fall vor allem Zusatzmaterial, das die Hauptgeschichte zwar nicht vorantreibt, aber beim World-Building hilft. „The World of Ice and Fire“ ist so ein Zusatzbuch, ein massiver, ziemlich edel aufgemachter und reich bebilderter Wälzer mit mehr als 300 Seiten, versehen mit dem Zusatztitel „The Untold History of Westeros and the Game of Thrones“. Bevor ich auf den eigentlichen Inhalt eingehen kann, ist es nötig, zu klären, was dieser Band ist, was er nicht ist und wie es sich mit den Autoren verhält, denn unter George R. R. Martins Namen finden sich, sehr viel kleiner, die Namen von Elio García und Linda Antonsson, was natürlich auch die Frage aufwirft, wie viel von diesem Band tatsächlich von Martin selbst stammt. Rein textlich betrachtet ist, soweit ich weiß, der Hauptteil in der Tat von García und Antonsson, während die Einschübe, Textkästen u.ä. von Martin stammen. Inhaltlich sieht die Sache natürlich anders aus. Viele der Informationen, die dieses Buch enthält, stammen aus den Romanen und Novellen, wo sie natürlich über viele tausend Seiten verteilt sind, und was nicht aus den Romanen stammt, kommt wohl direkt von Martin. Letztendlich wurden auch alle Texte von ihm abgesegnet, und er hat mehrfach versichert, bei „The World of Ice and Fire“ handle es sich um „offizielles“ Material.
Dennoch ist die Arbeit der beiden Co-Autoren alles andere als unumstritten, wenn auch kaum aus inhaltlichen Gründen. García und Antonsson sind im ASoIaF-Fandom ziemlich bekannte, allerdings nicht unbedingt beliebte Gestalten. Sie sind die Betreiber von westeros.org, der größten Martin-Fansite und gelten oftmals als öffentliches Gesicht des Fandoms, wobei vor allem Antonsson schon die eine oder andere Kontroverse verursacht hat, u.a. sowohl durch sehr fragwürdige Ansichten und Meinungsäußerungen als auch durch den Umgang mit Leuten, die eine andere Meinung vertreten. Ich muss zugeben, ich habe mich nicht allzu intensiv mit besagten Kontroversen auseinandergesetzt und möchte das hier auch nicht alles aufrollen, wollte das Thema im Rahmen dieser Rezension allerdings dennoch ansprechen, da sich auch mir die Frage stellte, ob man als ASoIaF-Fan von einer derartigen Person quasi „repräsentiert“ werden möchte und ob es wirklich sinnvoll ist, jemandem wie ihr durch die Wahl als Co-Autorin und Mitarbeiterin einen offiziellen Status im Franchise zu geben.
Betrachten wir „The World of Ice and Fire“ nun allerdings erst einmal losgelöst von diesen Fragen und schauen, wie das Buch konzipiert ist. Manch einer wurde bereits dazu hingerissen, es als die Eis-und-Feuer-Version des „Silmarillions“ zu bezeichnen, und obwohl dieser Vergleich nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, gibt es doch in der Konzeption einige Unterschiede. Das „Silmarillion“ umfasst die gesamte Geschichte Mittelerdes, von der Erschaffung Ardas bis ins Vierte Zeitalter. Und zwar scheint es aus einer in-Universe-Perspektive heraus verfasst zu sein, u.a. wird immer wieder auf diverse fiktive Epen verwies, allerdings ist der Erzähler doch ziemlich allwissend, und als Leser erfährt man nie, wer es ist. „The World of Ice and Fire“ dagegen ist weit weniger umfassend und eindeutig, dafür gibt es aber einen eindeutigen fiktiven Autor: Yandel, einen Maester aus der Citadel (dessen Erfindung ist die einzige wirkliche Hinzufügung, die García und Antonsson getätigt haben), der dieses Buch zu Ehren Robert Baratheons verfasst hat. Wie die Widmung verrät, ist es allerdings erst nach Joffreys Tod fertig geworden. Dies bedeutet natürlich auch, dass die Informationen nur bis zum Beginn von „A Game of Thrones“ reichen, eine aktuelle (bedeutet in diesem Fall: bis zu „A Dance with Dragons“ reichende) Bestandsaufnahme der Welt von Eis und Feuer findet sich nicht. Da „The World of Ice and Fire“ aber ohnehin als Geschichtsbuch inszeniert ist, stört das nicht weiter.
Das Werk ist in zwei Teile geteilt. Im ersten erzählt Maester Yandel die Geschichte der Sieben Königreiche, der Fokus liegt dabei auf der Targaryen-Dynastie. Die Frühzeit, dominiert von den Riesen und den Kindern des Waldes, die Einwanderung der Ersten Menschen und der Andalen, das valyrische Reich, das Zeitalter der Helden und die Lange Nacht werden alle eher knapp abgehandelt, erst ab der Ankunft der Rhoynar wird es ausführlicher. Vor allem die Eroberungen Aegons werden sehr detailreich beschrieben, hierbei handelt es sich auch um den längsten, ausschließlich von Martin verfassten Text, der fiktive Autor ist hier auch Erzmaester Gyldayn, den wir bereits aus „The Princess and the Queen“ kennen – vermutlich wird dieser Text auch Teil des GRRMarillion sein (siehe hierzu meine Rezension von „The Princess and the Queen“). Auch die Herrschaft der folgenden Targaryenkönige wird sehr ausführlich thematisiert, dieser Teil des Buches endet schließlich mit einer (verhältnismäßig knappen) Schilderung von Roberts Rebellion.
Der zweite Teil von „The World of Ice and Fire“ enthält die Beschreibungen der Sieben Königreiche, historische Abrisse der einzelnen Regionen, herrschenden Häuser und wichtigen Burgen wie Casterly Rock oder Winterfell. Anschließend widmet sich Maester Yandel noch in ähnlicher Manier, aber weitaus knapper, den Ländern jenseits der Meerenge, allen voran den sieben Freien Städte, aber auch dem bislang fast völlig unbekannten Kontinent Sothoryos oder extrem fernen Orten wie Yi Ti und Leng. An dieser Stelle habe ich allerdings einige durchaus bedeutende Örtlichkeiten vermisst – so haben weder Qarth noch die Städte der Slaver’s Bay ein eigenes Unterkapitel, obwohl diese wichtige Orte in Daenerys‘ Handlungsstrang sind. Abgerundet wird das Buch durch die Stammbäume der Starks, Lannisters und Targaryens – ironischerweise fehlt der Stammbaum der Baratheons, was in Anbetracht der Widmung irgendwie widersinnig ist.
Letztendlich ist „The World of Ice and Fire“ ziemlich gelungen, solange man nicht zu viel erwartet, vor allem in Hinblick auf die weitere Handlung der Romanserie oder der Aufklärung von Mysterien. Weder erfährt man hier, woher die Weißen Wanderer kommen oder was sie wollen, noch wer nun wirklich Jon Snows Eltern sind oder was bei der Tragödie von Summerhall genau geschehen ist. Damit hatte ich aber, ehrlich gesagt, auch nicht gerechnet, da ja ziemlich klar sein dürfte, dass wir so etwas nur in künftigen ASoIaF-Bänden (oder Heckenritter-Novellen) erfahren werden. Wer sich also ausschließlich für den Haupthandlungsstrang der Romane interessiert, wird mit „The World of Ice and Fire“ wahrscheinlich nicht glücklich werden. Wer allerdings Westeros und (in geringerem Maße) Essos besser kennen lernen möchte, der findet hier eine schöne Quelle an Material, die einerseits Vieles, was in den Romanen bereits erwähnt wurde, chronologisch zusammenfasst (was bei der schieren Menge an Informationen schon allein nicht schlecht ist) und darüber hinaus noch viele neue Details hinzufügt.
Das Thema der unzuverlässigen Hauptfigur bzw. des unzuverlässigen Erzählers – in den Romanen repräsentiert durch die verschiedenen POV-Charaktere, an die man als Leser gebunden ist – wird auch hier weitergeführt, denn sowohl Maester Yandel als auch Maester Gyldayn sind alles andere als allwissend, oftmals verweisen sie auf lückenhafte Überlieferungen oder fehlende oder unzuverlässige Aufzeichnungen.
Die üppigen Illustrationen sind im Großen und Ganzen sehr gelungen. Wer die Welt von Eis und Feuer vor allem aus „Game of Thrones“ kennt, wird vielleicht verwundert sein, dass die Orte sich zum Teil sehr stark von ihren Serieninkarnationen unterscheiden, die hier vorhandenen Illustrationen sind allerdings in enger Zusammenarbeit mit Martin entstanden und repräsentieren die Vorstellungen des Autors wohl ziemlich genau. Lediglich die Karten sind enttäuschend, da sie sehr ungenau sind und wenig Neues offerieren.
Fazit: Insgesamt ist „The World of Ice and Fire“ ein ziemlich gelungener, sehr informativer und schön illustrierter Prachtband, sofern man über kleinere Schwächen, das Fehlen wirklich neuer, bzw. weiterführender oder „bahnbrechender“ Informationen sowie die Autorenkontroverse hinwegsehen kann.
Siehe auch:
The Princess and the Queen