Halloween 2016
H. P. Lovecraft ist einer der einflussreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts und hat die phantastischen Genres beeinflusst wie nur wenige andere Autoren. Ob man sich dessen bewusst ist oder nicht, überall trifft man auf Spuren des eigenbrötlerischen Autors aus Providence. Dennoch sind seine Werke oftmals ein wenig abschreckend. Besonders einen Leser, der moderne Spannungsliteratur gewohnt ist, können Lovecrafts Geschichten, die stilistisch eher eigenwillig und zum Teil sperrig sind, eher langweilen denn erschrecken, da der Lovecraft’sche Horror sich doch deutlich von den Genre-Standards unterscheidet. Zum Glück gibt es Möglichkeiten, sich Lovecraft anzunähern und sich mit ihm vertraut zu machen, ohne dabei an seinen Eigenheiten zu scheitern. Die Hörspieladaptionen seiner Geschichten aus der Reihe „Gruselkabinett“ bieten eine solche Möglichkeit.
„Gruselkabinett“ ist die erfolgreichste Serie des Hörspiellabels Titania Medien, das von seinen Gründern Marc Gruppe und Stephan Bosenius geleitet wird. Die beiden produzieren ihre Hörspiele gemeinsam und führen Regie, Gruppe ist darüber hinaus auch für die Bücher verantwortlich. Die Hörspiele sind stets sehr aufwändig und atmosphärisch produziert; Gruppe und Bosenius greifen bevorzugt auf bekannte deutsche Synchronsprecher zurück, was fast durchweg hervorragend funktioniert. In der Zwischenzeit wurden bereits neun Lovecraft-Geschichten adaptiert, die ich im Folgenden besprechen möchte.
Der Fall Charles Dexter Ward (Folge 24 und 25)

Dieser Kurzroman, verfasst im Jahr 1927, den Lovecraft selbst nicht allzu sehr schätzte und der erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde, entspricht inhaltlich eher den üblichen Konventionen des Schauerromans. Er handelt von den okkulten Interessen des Charles Dexter Ward, der bald erkennen muss, dass man sich mit untoten Vorfahren besser nicht abgibt. Der eigentliche Protagonist der Geschichte ist jedoch Dr. Marinus Willet, der Hausarzt der Wards, der die mysteriösen Umstände untersucht. Die Hörspielumsetzung ist im Großen und Ganzen durchaus gelungen und sehr atmosphärisch. Bereits in dieser ersten Lovecraft-Adaption zeigt sich eine gewisse Tendenz, die erst mit späteren Lovecraft-Hörspielen endet: Fast sämtliche Bezüge zum sogenannten „Cthulhu-Mythos“, etwa die Erwähnung des Necronomicon, wurden entfernt. Einerseits macht das die Geschichte für einen Hörer ohne Vorkenntnisse zugänglicher, andererseits raubt es ihr auch einiges an Atmosphäre und Kontext. Das fällt hier allerdings nicht so sehr ins Gewicht wie bei einer der anderen Adaptionen. Ansonsten ist „Der Fall Charles Dexter Ward“ ein solider, wenn auch kein herausragender Start der Lovecraft-Hörspiele; routiniert, gelungen, aber nicht mehr.
Der Tempel (Folge 39)

Bei „Der Tempel“ handelt es sich um eine etwas obskurere Geschichte aus dem Frühwerk Lovecrafts. Gewisse Themen, die in späteren Geschichten dominant sind, werden hier bereits angerissen, allerdings fehlt zum Teil noch die rechte Form. Wie so oft im Lovecraft’schen Œuvre ist „Der Tempel“ als aufgefundenes Dokument konzipiert. Der fiktive Autor trägt den Namen Karl Heinrich, Graf von Altberg-Ehrenstein und ist Kapitän eines deutschen U-Boots im Ersten Weltkrieg. Die Handlung wird durch den Fund einer Leiche ausgelöst, die eine Statue bei sich hat. Ein Besatzungsmitglied nimmt die Statue an sich, was katastrophale Folgen hat, denn besagtes Abbild treibt die Mannschaft nach und nach in den Wahnsinn. Diese Geschichte wurde von Marc Gruppe etwas entschärft, da der Protagonist ein ziemlich übler Rassist ist, dem alle, die nicht preußischer Abstammung sind, zuwider sind. Lovecraft machte sich hier wohl über das lustig, was er als deutsche Mentalität sah (was angesichts seines eigenen Rassismus schon ein wenig ironisch ist). Die übertriebenen Tiraden wurden jedenfalls gestrichen, was der Geschichte durchaus gut tut. Ansonsten gelingt es dem Hörspiel sehr gut, die klaustrophobische Stimmung des U-Bootes einzufangen; auch das langsam Abgleiten in den Wahnsinn wird von den Sprechern gut vermittelt.
Berge des Wahnsinns (Folge 44 und 45)

„Berge des Wahnsinns“ (erschienen im Jahr 1931) ist eine von Lovecrafts bekanntesten Geschichten, hier dekonstruiert er die mythischen Elemente seiner Geschichten regelrecht. Die Handlung dreht sich um eine Expedition in die Antarktis. Die Forscher entdecken dabei Spuren einer uralten, nichtmenschlichen und womöglich außerirdischen Zivilisation, die eventuell für die Entstehung des Lebens auf der Erde verantwortlich ist. Zwar sind die Angehörigen dieser Spezies verschwunden, doch haben sie höchst gefährliche Kreaturen zurückgelassen. Von allen Lovecraft-Hörspielen verliert „Berge des Wahnsinns“ durch die Adaption am meisten. Wie schon in „Der Fall Charles Dexter Ward“ wurden sämtliche Elemente des „Cthulhu-Mythos“ entfernt, was hier in weitaus größerem Maße ins Gewicht fällt, da dieser Kurzroman, wie gesagt, quasi als Dekonstruktion des „Cthulhu-Mythos“ betrachtet werden kann. In mancher Hinsicht zeigt dieses Hörspiel wohl, wie eine Hollywood-Adaption von Lovecrafts Geschichten aussehen könnte. Gruppe nahm es sich hier heraus, eine weibliche Figur einzuführen, die regelrecht feministische Züge besitzt. Auch eine Romanze wird subtil angedeutet. Derartige Hinzufügungen passen allerdings überhaupt nicht zu Lovecraft und wirken für jene, die mit ihm als Autor vertraut sind, erzwungen und deplatziert. Wer jedoch unvoreingenommen an dieses Hörspiel herangeht, wird sicher gut unterhalten, da die Hinzufügungen, Weglassungen und Veränderungen nicht auffallen.
Pickmans Modell (Folge 58)

Die Adaption von „Pickmans Modell“, 1926 verfasst und ein Jahr später publiziert, gehört zu meinen persönlichen Favoriten. Das Grauen dieser Geschichte ist konventioneller und nicht wirklich mit den Entitäten des „Cthulhu-Mythos“ verbunden, wird jedoch auf für Lovecraft typische Art und Weise präsentiert. Alles dreht sich um den Maler Richard Upton Pickman, dessen verstörende Gemälde die Bostoner Kunstszene aufwühlen; die abgebildeten Kreaturen entspringen allerdings nicht nur der Phantasie des Malers. Das Gelingen dieses atmosphärischen Hörspiels hängt vor allem mit Sascha Rotermund zusammen, der Richard Upton Pickman hervorragend und nuancenreich spricht und so das Hörspiel fast im Alleingang stemmt. Das Grauen dieser Geschichte ist ein sehr indirektes, impliziertes, das jedoch hervorragend vermittelt wird.
Der Schatten über Innsmouth (Folge 66 und 67)

Ein weiterer Klassiker, der dieses Mal exzellent vertont wurde, auch, weil die mythischen Elemente nicht allzu sehr beschnitten wurden. Wie auch die Geschichte selbst braucht das Hörspiel eine Weile, um richtig in Fahrt zu kommen. Der Protagonist Robert Olmstead (der Name taucht in der Geschichte selbst nicht auf, sondern stammt aus Lovecrafts Notizen, wird aber im Hörspiel verwendet) erforscht den geheimnisvollen Küstenort Innsmouth und stößt dabei auf ein Geheimnis, das nicht nur die merkwürdigen Bewohner der Stadt, sondern auch ihn selbst betrifft. Die Umsetzung ist schnörkellos gelungen. Da „Der Schatten über Innsmouth“ als Geschichte sehr geradlinig und einfach strukturiert ist (jedenfalls einfacher als viele andere Lovecraft-Geschichten), dürfte die Umsetzung auch nicht ganz so anspruchsvoll gewesen sein. Allgemein steht Gruppe bei der Adaption immer vor dem Problem, dass Lovecraft nur selten Dialoge verwendet; seine Geschichten haben zumeist einen distanzierten, berichthaften Charakter mit viel indirekter Rede. „Innsmouth“ ist diesbezüglich eine Ausnahme, da der Mittelteil der Geschichte ein sehr ausführliches Gespräch schildert.
Das Ding auf der Schwelle (Folge 78)

Eine höchst enervierende Geschichte, verfasst 1933 und publiziert 1937, deren Implikationen fast erschreckender sind als die Dinge, die tatsächlich thematisiert werden. Strukturell gibt es einige Ähnlichkeiten zu „Der Fall Charles Dexter Ward“, durch die Augen von Daniel Upton, des eigentlichen Protagonisten, wird die Lebensgeschichte seines besten Freundes Edward Derby erzählt, wobei „Das Ding auf der Schwelle“ mit Uptons Mord an Derby beginnt. Nach und nach wird enthüllt, wie und warum es zu diesem Mord kam, wobei Okkultismus und Edward Derbys Frau Asenath Waite eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus fungiert diese Geschichte gewissermaßen als indirekte Fortsetzung zu „Der Schatten über Innsmouth“, da Asenath Waite aus besagter Stadt stammt und die Geschichte vereinzelt Elemente aus „Innsmouth“ aufgreift. Auch hier ist die Umsetzung ausgezeichnet und schafft es, Atmosphäre, subtile Bedrohung und Schrecken der Vorlage ausgezeichnet umzusetzen und die berichtartige Geschichte in Dialogform zu bringen.
Die Farbe aus dem All (Folge 90)

„Die Farbe aus dem All“ (1927) gilt vielen als eine von Lovecrafts besten Geschichten, sie setzt sich auf beängstigende Weise mit Fremdartigkeit auseinander, die von Menschen nicht erfasst werden kann. Ein Meteor landet auf der Farm der Gardners und bringt etwas Fremdes mit sich, das sich am ehesten als unbekannte Farbe beschreiben lässt, die sich nach und nach ausbreitet und alles, was mit ihr in Berührung kommt, verdirbt. Viele Jahre später versucht ein Ermittler aus Arkham herauszufinden, was es mit der Farbe auf sich hat und was mit den Gardners geschehen ist. Trotz der einen oder anderen Freiheit, die sich Marc Gruppe nahm, funktionier auch diese Hörspieladaption ausgezeichnet. „Die Farbe aus dem All“ ist, wie so oft bei Lovecraft, eine Geschichte des subtilen Schreckens, die nicht auf oberflächlichen Schock, sondern auf tiefe Beunruhigung zurückgreift. Tatsächlich denke ich, dass sie auf gewisse Weise sehr realistisch ist. Sollte jemals außerirdisches Leben auf die Erde kommen, könnte ich mir vorstellen, dass es sich tatsächlich so abspielt wie von Lovecraft geschildert.
Träume im Hexenhaus (Folge 100)

Gruppe und Bosenius wählten „Träume im Hexenhaus“ (verfasst 1932, im Folgejahr publiziert) als Folge 100 aus, weil die Geschichte Lovecrafts kosmischen Horror mit Elementen der traditionellen Schauergeschichte verbindet. Was in der Theorie gut klingt, klappt praktisch aber nicht immer. Die Geschichte erzählt von dem Mathematikstudenten Walter Gilman, der von der in Salem verbrannten Hexe Keziah Mason fasziniert ist und glaubt, ihre Magie basiere auf unirdischer Geometrie, mit deren Hilfe sie sich Raum und Zeit unterwerfen könne. Um seinen Wissensdurst zu stillen zieht er in das alte Haus der Hexe, nur um schon bald von grauenhaften Alpträumen geplagt zu werden. „Träume im Hexenhaus“ gehört nicht unbedingt zu Lovecrafts stärksten Geschichten. Ähnlich wie „Berge des Wahnsinns“ scheint Lovecraft hier eine Dekonstruktion durchzuführen, die einzelnen Elemente der Geschichte wollen aber oftmals nicht so recht zusammenpassen. Während das Hörspiel grundsätzlich professionell aufgezogen und produziert wurde, treten hier die Schwächen der Geschichte fast noch deutlicher zutage, sodass viele der Schrecken letztendlich zu banal und plakativ wirken.
Der Ruf des Cthulhu (Folge 114 und 115)

Diese Geschichte aus dem Jahr 1926 bzw. 1928 hat dem „Cthulhu-Mythos“ seinen Namen verliehen. Ironischerweise war Lovecraft weder besonders begeistert von ihr, noch bediente er sich des tentakelgesichtigen Gottes, nach dem Geschichte und Mythos benannt sind, besonders häufig. Lediglich in „Berge des Wahnsinns“ und „Der Schatten über Innsmouth“ wird Cthulhu noch erwähnt. Dennoch gehört sie zu Lovecrafts bekanntesten und beliebtesten Geschichten. Leider eignet sie sich nicht besonders gut als Vorlage für ein Hörspiel. Die Erzählung setzt sich aus mehreren Berichten zusammen, die sich nach und nach wie ein Puzzle verbinden und vom Erwachen des finsteren Gottes Cthulhu berichten. Was in gedruckter Form allerdings ziemlich gut funktioniert, will als Hörspiel nicht so recht klappen. Die Handlung wirkt ziemlich fragmentiert und kommt bis zum Schluss nicht so recht in Gang. Davon abgesehen ist die Produktion natürlich dennoch auf einem sehr hohen Niveau, kann den Spitzenreitern „Der Schatten über Innsmouth“, „Pickmans Modell“ und „Die Farbe aus dem All“ aber nicht das Wasser reichen.
Siehe auch:
Das Necronomicon
Berge des Wahnsinns