Art of Adaptation: The Dark Lord Ascending

Es ist an der Zeit, mal wieder eine neue Artikelreihe zu starten. „Art of Adaptation“ setzte sich, wie der Titel schon subtil suggeriert, mit dem Adaptionsprozess auseinander. Zwar habe ich durchaus auch vor, Gesamtadaptionen im Rahmen dieser Reihe zu betrachten, der Fokus soll allerdings auf Einzelaspekten liegen: Wie wird eine bestimmte Figur, eine Szene, eine Kapitel oder ein Ereignis von einem Medium ins andere transferiert. Den Anfang macht hierbei das erste Kapitel aus „Harry Potter and the Deathly Hallows“.

Das Außenseiterkapitel
„The Dark Lord Ascending“ ist nicht nur das Eröffnungskapitel des siebten Harry-Potter-Bandes, sondern auch eines der außergewöhnlichsten. In der gesamten siebenbändigen Serie verlassen wir als Leser nur selten Harry Potters Perspektive, er ist nicht nur Namensgeber der Serie, sondern auch die Figur, durch deren Augen wir fast sämtliche Geschehnisse erleben. Eine Ausnahme ist das erste Kapitel des ersten Bandes; hier fungiert Vernon Dursley als Point-of-View-Charakter (PoV), das erste Kapitel des vierten Bandes, das der Leser durch die Augen des Riddle-Gärtners Frank Bryce erlebt, das erste und zweite Kapitel von „Harry Potter and the Half Blood Prince“ und dieses hier. Was dieses Kapitel so außergewöhnlich macht, ist nicht nur der Umstand, dass wir Harrys Perspektive verlassen, sondern dass keine andere Figur seinen Platz einnimmt. In der Literaturwissenschaft spricht man von „externer Fokalisierung“, die relativ selten vorkommt. Hierbei beschreibt der Erzähler nur, was durch die Sinne wahrgenommen werden kann, aber keine inneren Prozesse der Figuren. Das Gegenteil ist die „interne Fokalisierung“ – hier lässt der Erzähler den Leser an den inneren Prozessen der Figuren bzw. einer ausgewählten Figur teilhaben, wie es bei den HP-Romanen normalerweise der Fall ist. Darüber hinaus gibt es auch die Nullfokalisierung; gemeinhin spricht man auch vom „allwissenden Erzähler“. Wie dem auch sei, in diesem Kapitel folgen wir zwar Snape, erfahren aus dramaturgischen Gründen allerdings nicht, was er denkt und empfindet, schließlich soll bis zum Schluss nicht enthüllt werden, dass er in Wahrheit die ganze Zeit für Dumbledore gearbeitet hat.

Die Handlung ist schnell erzählt: Snape trifft zeitgleich mit Yaxley, einem anderen Todesser, bei Malfoy Manor ein. Nach einer kurzen Unterhaltung über Lucius Malfoys Vorliebe für Luxus betreten die beiden das Anwesen und stoßen zur stattfindenden Todesser-Versammlung unter Leitung Lord Voldemorts. Es geht primär darum, Harry Potter zu ergreifen und um die Frage, wie schnell sich das Zaubereiminsterium unter Voldemorts Kontrolle befinden kann – hierzu hat Yaxley Pius Thicknesse, dem Leiter der magischen Strafverfolgungsbehörde, den Imperiusfluch aufgehalst. Auch die erweiterte Verwandtschaft der Malfoys und Blacks kommt zur Sprache, hat doch Nymphadora Tonks, die Nichte von Bellatrix und Narcissa, den Werwolf Remus Lupin geheiratet. Schließlich verkündet Voldemort, dass er Harry Potter nicht mit seinem eigenen Zauberstab töten kann und borgt sich stattdessen den von Lucius Malfoy, den er sogleich an Charity Burbage, der Muggelkundelehrerin von Hogwarts, ausprobiert, deren Leiche anschließend Nagini zum Faß vorgeworfen wird.

Ich will ehrlich sein: Ich bin kein allzu großer Fan dieses Kapitels. Voldemort war nie der subtilste Schurke, doch gerade in diesem Kapitel ist er mir eine Spur zu offensichtlich fies, zu plump in seiner Bösartigkeit. Ironischerweise gehört die Filmumsetzung zu meinen liebsten Szenen der gesamten Filmreihe, vielleicht ist sie sogar meine Lieblingsszene.

Auffällige Änderungen

Während das Todesser-Meeting den Roman eröffnet, beginnt die Filmadaption mit einer Rede Rufus Scrimgeours (Bill Nighy), gefolgt von einer Montage, die Harry (Daniel Radcliff), Ron (Rupert Grint) und Hermine (Emma Watson) bei ihren Vorbereitungen zeigt und bereits bestimmte Elemente, die im Roman durch Exposition in späteren Kapiteln auftauchen, visuell vorwegnimmt. Erst nach der Titeleinblendung zeigt David Yates, wie Snape (Alan Rickman) zu Malfoy Manor appariert bzw. fliegt. Anders als im Roman trifft er allerdings alleine ein, Yaxley (Peter Mullan) sitzt bereits am Konferenztisch. Ein Detail, das allerdings übernommen wurde, ist das „durchlässige Eingangstor“, das nicht geöffnet werden muss. Zu den weiteren, besonders auffälligen Änderungen gehört Pius Thicknesse (Guy Henry): Während im Roman nur darüber gesprochen wird, dass Yaxley ihm den Imperius-Fluch auf den Hals gejagt hat, ist der in der Filmszene anwesend, wobei weder hier noch später deutlich wird, ob er ebenfalls unter dem Imperius-Fluch steht, erpresst wird oder sich Voldemort (Ralph Fiennes) freiwillig angeschlossen hat. Dennoch wird er von den Todessern visuell distanziert; während diese alle in ihren typischen Gewändern zur Linken und Rechten des Dunklen Lords sitzen, trägt Thicknesse einen gewöhnlichen Anzug, sitzt Voldemort am anderen Ende der Tafel genau gegenüber und fühlt sich in Naginis Gegenwart sichtlich unwohl. Aus filmischer Sicht ist es äußerst sinnvoll, Thicknesse auf diese Weise zu präsentieren, statt nur über ihn zu reden, da ein Zuschauer, der den Roman nicht gelesen hat, ihn so später deutlich leichter wiedererkennen kann, gerade weil er von den restlichen Todessern abgegrenzt wird.

Wurmschwanz (Timothy Spall) wird, anders als im Roman, ebenfalls von den restlichen Todessern abgegrenzt; er hat gar keinen Platz an der Tafel, sondern muss stehen. Hier wird außerdem bereits das Auftauchen Ollivanders (John Hurt) subtil angedeutet, denn er ist es, der schmerzerfüllt schreit und dem sich Wurmschwanz kümmern soll.

Die Dialoge der Szene sind größtenteils, wenn auch mit einigen Kürzungen und Änderungen, aus dem Kapitel übernommen. Die Unterhaltung über den Fall des Ministeriums fällt weg, ebenso wie die Erwähnung der Heirat von Lupin und Tonks. Der Mord an Charity Burbage (Carolyn Pickles) ist dagegen wieder vorhanden. Die Lehrerin schwebt während der ganzen Szene im Hintergrund herum, als der Fokus auf sie gerichtet wird, ist besonders Draco (Tom Felton) sichtlich verstört. Dennoch denke ich, dass es an dieser Stelle deutlich effektiver gewesen wäre, hätte Voldemort statt einer Lehrerin, die wir nie zuvor gesehen haben, einen Hogwarts-Lehrer getötet, der bereits vorkam. Sibyl Trewlany hätte sich vielleicht wegen der Prophezeiung angeboten, oder Professor Sprout, also eine Lehrerin, die man als bereits seit den ersten Filmen bzw. Büchern kennt. Der Mord an Charity Burbage passt ideologisch, letztendlich ist sie aber nur ein weiterer Name unter Voldemorts Opfern, der für Leser wie Zuschauer kaum Bedeutung hat.

Ralph Fiennes at his Best

Der wirklich Unterschied zwischen Buch- und Filmszene kommt allerdings von Ralph Fiennes‘ Darstellung Lord Voldemorts und der Art und Weise, wie David Yates ihn in Szene setzt. Das beginnt schon bei den ersten Sätzen, die wir von Voldemort hören. Im Roman begrüßt er Snape und Yaxley ziemlich plump mit „You are very nearly late” und weist ihnen dann per Befehl Plätze zu. Film-Voldemort ist da deutlich subtiler. In der ganzen Szene merkt man, dass der Dunkle Lord hier auf dem Höhepunkt seiner Macht ist – er hat es nicht nötig, plump zu befehlen, stattdessen spricht er mit einer merkwürdigen, subtil spöttischen, aber sehr ausgewählten Ausdrucksweise, die zugleich höflich und zuvorkommend, aber auch bedrohlich ist: „Severus, I was beginning to worry you had lost your way. Come, we’ve saved you a seat.“ Ähnlich verhält es sich, wenn Voldemort mit Pius Thicknesse oder Bellatrix Lestrange (Helena Bonham Carter) spricht. Selbst als Ollivander schmerzerfüllt schreit und Voldemort kurz lauter wird, bleibt seine Wortwahl beinahe zurückhaltend: „Wormtail, have we not spoken about keeping our guest quiet?“ Dieser Höhepunkt der Macht wird visuell unter anderem auch dadurch vermittelt, dass sich Voldemort in den Einstellungen, in denen er zu sehen ist, zumeist in der Bildmitte befindet.

Die Ausnahme hierbei ist Lucius Malfoy (Jason Isaacs), vor dem Voldemort offensichtlich jeglichen Respekt verloren hat. Die Demütigung erfolgt hier sehr ähnlich wie im Roman durch die Zauberstababnahme, wenn auch verbal etwas subtiler. Der Dialog ist fast identisch, allerdings erklärt Voldemort im Roman: „Lucius… I see no reason for you to have a wand any more.” Im Film dagegen schreitet er die Reihe der Todesser ab wie ein Lehrer, der keine Antwort erhält und fragt dabei: „Who would like the honour?“ Statt des oben erwähnten Satzes äfft Voldemort Lucius allerdings nach. Die symbolische Kastration durch die Zauberstababnahme wird im Film sogar noch deutlicher, als er den Schlangenkopf abbricht.

Wohl primär aus Gründen der Länge wurden einige Voldemort-Seitenhiebe entfernt, u.a. hackt er noch ein, zwei Mal auf den Malfoys im Allgemeinen und Draco im Besonderen herum. Auch die ausführlichere Erläuterung des Zauberstabproblems, in dem Voldemort in ungewohnter Manier zur Selbstkritik neigt, ist der Schere zum Opfer gefallen. In beiden Fällen tut das der Szene allerdings durchaus gut – besonders, wenn es um die Seitenhiebe geht. Durch die aufgesetzte Höflichkeit – selbst das Opfer wird im Film als „Miss Charity Burbage“ vorgestellt, während die formale Anrede im Roman fehlt – wirkt Voldemort deutlich selbstsicherer und gefährlicher.

Fazit: An dieser Szene aus „Harry Potter and the Deathly Hallows Part 1” zeigt sich, wie eine Szene einerseits sehr vorlagengetreu umgesetzt werden kann, andererseits aber durch einige kleine und subtile Änderungen – und nicht zuletzt durch hervorragendes Spiel – deutlich effektiver gestaltet werden kann. Gerade in Bezug auf Voldemort setzt sich diese Tendenz fort. Die Filmversion ist meiner Ansicht nach in diesem und dem Folgefilm deutlich effektiver und besser inszeniert als in der Vorlage.

The Limehouse Golem

limehouse
Story: Im Jahr 1880 macht ein bestialischer Killer den Limehouse-Distrikt in London unsicher. Da er von der Polizei nicht gefasst werden kann, entstehen Gerüchte, es handle sich bei diesem Killer um den mythischen jüdischen Golem. Inspektor John Kildare (Bill Nighy) wird mit der Lösung des Falls beauftragt, nicht etwa weil mal Vertrauen in seine Fähigkeiten hätte, sondern weil seine Vorgesetzten einen Sündenbock brauchen. Eine Spur führt zu dem Theaterautor John Cree (Sam Reid), der jedoch kurz zuvor verstarb. Seine Frau Elizabeth (Olivia Cooke) wird des Mordes verdächtigt. Kildare vermutet, dass dieser Fall mit dem Golem-Fall zusammenhängt. Ist der Golem vielleicht schon tot? Oder sucht er nur ein neues Opfer…?

Kritik: „The Limehouse Golem“ von Regisseur Juan Carlos Medina, basierend auf dem Roman „Dan Leno and the Limehouse Golem“ von Peter Ackroyd, ist ein Film, der leider fast völlig untergegangen ist. Weder in den traditionellen Medien, noch im Internet habe ich viele Besprechungen entdecken können und zudem macht er sich, nur eine Woche nach dem deutschen Kinostart, schon ziemlich rar. Mir ist es zum Beispiel nicht gelungen, eine passende O-Ton-Vorstellung ausfindig zu machen. Insgesamt finde ich das ziemlich schade, denn „The Limhouse Golem“ ist ein schöner, atmosphärischer Thriller vor der Kulisse des viktorianischen London, ein gotisches Murder Mystery im Stile von „From Hell“ – tatsächlich erinnert Medinas Film vielleicht ein wenig zu sehr an die Comicadaption der Hughes-Brüder aus dem Jahr 2001. Zwar geht es nicht um Jack the Ripper (dieser mordete erst 1888), aber die Mordserie des titelgebenden Golem weist doch deutliche Parallelen auf, und auch visuell verweist „The Limehouse Golem“ auf den Ripper, schon allein durch die Verwendung des typischen Mantels.

Dennoch, wer ich ein Faible fürs Gotische hat, sollte „The Limehouse Golem“ definitiv eine Chance geben. Interessanterweise ist nicht der Inspektor John Kildare die eigentliche Hauptfigur, sondern Elizabeth Cree, deren Geschichte in ausführlichen Rückblenden parallel zu Kildares Ermittlungen erzählt wird. Besonders faszinierend ist dabei die optische Ausgestaltung, die zugleich eine Metaeben eröffnet. Die Ermittlungen sind in tristem Grau gehalten, während Elizabeth Crees Vergangenheit als Darstellerin in einem Varieté in warme Farben getaucht und visuell äußerst üppig gestaltet ist, weil das Theater ihre Passion darstellt. Zugleich wird es benutzt, um die Geschichte einzurahmen, selbst die Morde wirken zum Teil wie auf einer Theaterbühne inszeniert. Darüber hinaus gelingt eine hübsche Verknüpfung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, da Kildare nach und nach die Figuren und Orte der Flashbacks aufsucht und man so sieht, wie sich alles entwickelt hat. Ein weiteres interessantes Element ist das Tagebuch des Killers, anhand dessen mehrere Handschriftenvergleiche durchgeführt werden, wobei in der entsprechenden Szene stets der Verdächtige in die Rolle des Killers schlüpft, sodass jeder Mord visuell von jemand anderem ausgeführt wird. Amüsanterweise gehört zu den Verdächtigen auch Karl Marx (Henry Goodman), der somit einen kleinen Gastauftritt bekommt. Wer denn nun tatsächlich der Golem ist, dürfte sich spätestens im dritten Akt relativ deutlich herauskristallisieren, ich werde es hier aber natürlich trotzdem nicht verraten. Nur so viel: Anders als bei vielen anderen Film ist der Twist passend und ergibt sich logisch aus der Handlung. Lediglich die Verbindung zur mythischen jüdischen Lehmkreatur wirkt eher alibimäßig und wird kaum erforscht.

Die Charakterisierung der Figuren fällt oftmals ein wenig knapp aus, wobei Medina häufig mit Andeutungen arbeitet, die ihnen ein wenig mehr tiefe verleihen. So wird zum Beispiel suggeriert, dass Kildare schwul ist. Das hängt nicht wirklich mit der Handlung zusammen, passt aber ins Gefüge der Geschichte, ohne dass die Figur darauf reduziert würde. Elizabeth Cree ist dabei der am besten ausgearbeitete Charakter. Schauspielerisch gibt es nichts zu meckern, Bill Nighy macht sich gut als Inspektor, während mich Olivia Cooke ein wenig an Christian Ricci erinnert – was hier als Kompliment zu verstehen ist. Auch abseits der beiden Hauptdarsteller gibt es keinen Ausfall; Douglas Booths Leistung als Dan Leno, eine weitere historische Figur, die als Elizabeths Mentor fungiert, möchte ich noch gesondert hervorheben. Außerdem sollte noch der gelungene Score des schwedischen Komponisten Johan Söderqvist erwähnt werden, der viel zur eindringlichen Atmosphäre des Films beiträgt.

Fazit: „The Limehouse Golem“ ist ein gelungenes, wenn auch recht konventionelles viktorianisches Murder Mystery in der Tradition von „From Hell“ und besticht vor allem durch eine eindringliche Atmosphäre und einen subtilen Metaaspekt.

Bildquelle

Trailer

Siehe auch:
From Hell
Sweeney Todd
Crimson Peak

Underworld


Story: Seit Jahrhunderten tobt der Kampf der Vampire gegen die Lykaner (Werwölfe), doch seit dem (scheinbaren) Tod des Oberwerwolfs Lucien (Michael Sheen) sieht es so aus, als würden die Vampire gewinnen. Dennoch müssen die Todeshändler, die Elitekämpfer der Vampire, sich Nacht für Nacht mit Lykanern herumschlagen.
Doch eines Tages geschieht etwas Merkwürdiges: Selene (Kate Beckinsale), Todeshändlerin und Adpotivtochter von Obervampir Viktor (Nill Nighy), entdeckt, dass die Werwölfe hinter einem Mann namens Michael Corvin (Scott Speedman) her sind. Ihre Nachforschungen führen sie zu einer Verschwörung, die mit dem Ursprung der beiden verfeindeten Rassen zusammenhängt und an der nicht nur die Werwölfe und deren totgeglaubter Anführer Lucien beteiligt sind, sondern auch hochrangige Vampire.

Kritik: Obwohl sich „Underworld“ und „Twilight“ auf den ersten Blick massiv unterscheiden, sind sie sich in einigen Punkten sogar recht ähnlich – insbesondere darin, dass sie quasi denselben Fehler machen. Aber der Reihe nach. „Underworld“ ist in erster Linie ein Actionfilm, der sich, v.a. ästhetisch, stark auf die Matrix-Trilogie und die Blade-Filme beruft. Das bedeutet vor allem Style over Substance, ein hämmernder Metal-Soundtrack, Kate Beckinsale in schwarzem Latex und viele Kugeln.
Was „Underworld“ jedoch für mich so interessant macht, ist die Tatsache, dass es sich dabei quasi um eine Verfilmung des Rollenspiels „Vampire: The Masquerade“ handelt, oder zumindest um das, was einer Verfilmung am nächsten kommt. Das hängt vor allem mit der Atmosphäre zusammen, die der Film vermittelt: Gotische, urbane Landschaft (gedreht wurde in Budapest), ein Blauschleier und die Mischung aus hypermodernen Waffen, alten Anwesen, Ledermänteln und Schwertern vermitteln die Gothic-Punk-Amtosphäre von „Vampire: The Masquerade“ so gut wie kein anderer Film. Auch inhaltlich haben sich Regisseur Len Wiseman (der auch am Drehbuch mitgearbeitet hat) und die Autoren Kevin Grevioux und Danny McBride bei dem Pen&Paper-Rollenspiel von White Wolf kräftig bedient, in der Tat so kräftig, dass White Wolf gegen den Film geklagt hat. Vampire gegen Werwölfe, die ausgearbeitet Mythologie, Verschwörungen uralter Vampire, Stimmung und Atmosphäre – es gibt viel, das an „Vampire: The Masquerade“ erinnert. Dazu gehören nicht zuletzt auch die adeligen Vampire, die politische Ränke schmieden und sich vor der Gesellschaft der Sterblichen verbergen – ganz wie die Camarilla.
Man merkt dem Streifen auch an, dass er ein Herzensprojekt ist und die Macher äußerst ambitioniert waren. Was aber leider nicht heißt, dass „Underworld“ nicht auch eine ganze Menge Probleme hat, u.a. die Story und die beiden Hauptcharaktere betreffend. Der Plot ist eigentlich gar nicht so übel, die Hintergründe der Vampire und Werwölfe sind schön (wenn auch nicht immer ganz schlüssig) ausgearbeitet (es wird quasi die Mythologie von „Vampire: The Masquerade“ mit der pseudowissenschaftlichen Herangehensweise von „Blade“ kombiniert) und sorgen für Stimmung. Die Geschichte ist von „Romeo und Julia“ inspiriert, mit den Werwölfen und Vampiren als verfeindeten Familien. Das Problem: Zwischen Selene und Michael gibt es absolut keine Chemie, so etwas wie eine glaubhafte Beziehung entsteht nicht, was auch durchaus mit den Darstellern zusammenhängt. Vor allem Scott Speedman bleibt verdammt blass, während Kate Beckinsale als in Leder gewandete Vampiramazone zwar eine gute Figur macht, aber ansonsten ziemlich unterkühlt ist.
Das zweite große Problem ist dasselbe, das auch „Twilight“ plagt: Der Kern des Themas „Vampir“ wird verfehlt bzw. ignoriert: Der Kampf um die Menschlichkeit und das Streiten mit dem eigenen Blutdurst. Während „Twilight“ versucht, das Thema zu integrieren, daran aber großartig scheitert, unternimmt „Underworld“ den Versuch nicht einmal wirklich. Schon von Anfang wird eingeführt, dass Vampire inzwischen synthetischen Blut erfunden haben und sich davon ernähren. Diese Prämisse kann natürlich ebenfalls interessant umgesetzt werden, wie „True Blood“ bewiesen hat, hier wird es allerdings lediglich aus Ausrede verwendet, um sich mit dem oben angesprochenen Konflikt nicht auseinandersetzen zu müssen. In beiden Fällen werden die Vampire instrumentalisiert, um besser ins Genre zu passen und es den Autoren leichter zu machen.
Im Gegensatz zu „Twilight“ hat „Underworld“ allerdings einige Qualitäten, die für die oben beschriebenen Mängel entschädigen. Da wären, neben der gelungenen Optik und den mitunter ziemlich kreativen Actionszenen, als erstes die Nebendarsteller, allen voran Michael Sheen (zugegeben, der macht in „New Moon“ auch mit und ist das Beste an besagtem Film) und Bill Nighy. Bill Nighy beim Overacting zuzusehen ist immer wieder grandios und im Gegensatz zu Edward Cullen und Co. schafft er es auch, seine Auftritte mit vampirischer Ausstrahlung zu versehen. Obwohl ihn das Drehbuch nicht unterstützt ist die raubtierhafte Aura, die stets von ihm ausgeht, sehr gut spürbar. Michael Sheens Lucien schließlich ist mit Abstand der interessanteste und vielschichtigste Charakter des Films, und Sheen schafft es hervorragend, die Ambivalenz seiner Figur zu verkörpern.
Fazit: „Underworld“ hätte bei richtiger Behandlung der Vampirthematik (so wie in der Quasivorlage „Vampire: The Masquerade“ beschrieben) noch weitaus mehr sein können, als das, was er ist: Ein stylischer, kurzweiliger Vampir-Werwolf-Actioner mit ziemlich uninspirierten Haupt- und äußerst fähigen Nebendarstellern.

Trailer

Siehe auch:
Vampire: The Masquerade