Lovecrafts Vermächtnis: Revival

Spoiler!
Revival von Stephen King
H. P. Lovecraft und Stephen King haben, zumindest für mich persönlich, noch eine weitere Eigenschaft neben ihrem Status als Großmeister des Horror-Genre gemein: Ihre Werke lassen sich besser hören als lesen. Tatsächlich habe ich noch nie ein Werk von Stephen King tatsächlich gelesen – aber doch inzwischen eine ganze Menge als Hörbuch gehört. Soweit ich weiß hat Stephen King mit Ausnahme der Kurzgeschichte „The Crouch“ (die ich allerdings weder gelesen noch gehört habe) nie direkt etwas zum „Cthulhu-Mythos“ beigetragen, ist aber dennoch ein großer Bewunderer Lovecrafts und hat einige Werke verfasst, die definitiv dem Sub-Genre „Kosmischer Horror“ zuzuordnen sind, darunter „ES“ und zumindest teilweise der Zyklus „Der dunkle Turm“. Kings eindeutigste Lovecraft-Hommage ist jedoch der 2014 erschienene Roman „Revival“ – Lovecraft taucht, neben einigen anderen populären Horror-Autoren wie Bram Stoker und Mary Shelley, sogar in der Widmung auf und wird im Roman als einziger von ihnen direkt erwähnt.

„Revival“ baut Spannung und das zentrale Mysterium der Handlung sehr langsam, fast schon ein wenig langatmig auf, zumindest für mich hat das allerdings recht gut funktioniert – wer jedoch plakativen Horror auf den ersten hundert Seiten erwartet, wird definitiv enttäuscht werden. Jamie Morton ist zugleich Erzähler und Protagonist; der Roman ist, ähnlich wie so viele Lovecraft-Geschichten, als Bericht inszeniert, erzählt die Handlung aber nicht immer chronologisch. Zwar werden alle Lebensabschnitt der Hauptfigur mehr oder weniger ausführlich geschildert, Dreh- und Angelpunkt sind jedoch die Begegnungen mit dem Pastor Charles Jacobs. Jede dieser Begegnungen steht unter einem anderen thematischen Schwerpunkt.

Die erste Begegnung findet 1962 statt, Jamie ist noch ein Kind, während der junge Jacobs Pfarrer der kleinen Gemeinde Harlow in Maine (wo auch sonst?) wird, in der Jamie mit seiner Familie lebt. Zwischen Jamie und Jacobs entwickelt sich  eine Freundschaft, der junge Pastor sowie seine junge, attraktive Frau Patsy und sein niedlicher kleiner Sohn Morrie werden bald äußerst populär, vor allem bei der Jugend von Harlow. Dann kommt es jedoch zu einem Desaster: Patsy und Morrie sterben in einem Autounfall und Jacobs reagiert mit einer für das ländliche Amerika der 60er äußerst verstörende Predigt, in der er atheistische Schlüsse zieht. Religion und Theodizee sind das Thema dieses ersten Abschnitts des Romans, der zugleich Jamies Kindheit und Jugend sehr ausführlich schildert.

Jamie wird schließlich Musiker und dabei letztendlich heroinabhängig. 1992 begegnet er Charles Jacobs auf dem Tiefpunkt seines Lebens wieder: Er ist aus seiner Band geflogen, hat kein Geld mehr und ist von seiner Drogensucht gezeichnet. Bereits während Jamies Kindheit interessierte sich Jacobs für Elektrizität; als sie sich nun wiederbegegnet, fertigt Jacobs auf einem Jahrmarkt „Porträts in Blitzen“ als Attraktion und bietet Jamie an, ihn durch die „geheime Elektrizität“ von seiner Sucht zu heilen. Das gelingt tatsächlich und Jamie bekommt sein Leben nach und nach wieder auf die Reihe, auch wenn die Heilung einige merkwürdige Nebenwirkungen hat. Das Thema dieser zweiten Begegnung ist selbstverständlich Sucht.

2008, sechzehn Jahre nach der mysteriösen Heilung, kreuzen sich Jamies und Jacobs Wege erneut. Jacobs ist teilweise zu seinem alten Handwerk zurückgekehrt und betätigt sich als Wanderprediger und Wunderheiler, was Jamie natürlich sehr interessiert, weshalb er sich das alles genauer anschaut und auf einige Merkwürdigkeiten stößt: Nebenwirkungen, Selbstmorde und andere Ungereimtheiten, die ihm Sorgen um sich selbst und andere, die von Jacobs geheilt wurden, bereiten. Im Gespräch mit Jacobs offenbart sich schließlich, dass dieser zu einem verbitterten alten Mann geworden ist, der rücksichtslos seine Forschungen zur „geheimen Elektrizität“ fortführt. Ab diesem Zeitpunkt werden die Horroraspekte des Romans immer stärker, Jacobs erinnert an Doktor Frankenstein.

Die letzte Begegnung findet schließlich 2014 statt; in diesem letzten Abschnitt driftet der Roman endgültig in den Kosmischen Horror ab. Jacobs bringt Jamie durch Erpressung dazu, ihm bei einer letzten Heilung zu assistieren und anschließend mit ihm die „geheime Elektrizität“ zu erforschen, die zu einer erschreckenden Entdeckung führt.

Diese Inhaltsangabe mag ausführlich erscheinen, gibt Kings Roman allerdings nur recht unzureichend wieder, da er das gesamte Leben seines Protagonisten schildert; es tauchen diverse Nebenfiguren aus Jamies familiärem und sozialem Umfeld auf, King bemüht sich, die Entwicklung des Protagonisten sehr anschaulich zu schildern und auch die jeweiligen Lebensumstände authentisch darzustellen. Für meine Rezension sind diese Aspekte jedoch eher sekundär, da es mir um den Kosmischen Horror geht. Ganz ähnlich wie Lovecraft vermittelt King hier alptraumhafte Ideen, die er mit ein wenig Pulp anreichert. Prinzipiell greift King dabei nicht direkt auf Lovecraft oder den „Cthulhu-Mythos“ zurück, kann es aber nicht lassen, eine sehr direkte Referenz zu einem essentiellen Teil des Werkes zu machen. Der Schlüssel zu Jacobs „geheimer Elektrizität“ ist ein Grimoire namens De Vermis Mysteriis („Die Geheimnisse des Wurms“), das King bereits in anderen Geschichten erwähnte. Ursprünglich erfunden wurde dieses finstere Buch von Robert Bloch (taucht ebenfalls in der Widmung auf), der ein großer Bewunderer Lovecrafts war und in seiner Jugend Cthulhu-Mythos-Geschichten verfasste – sein bekanntestes Werk ist allerdings der von Alfred Hitchcock verfilmte Roman „Pycho“. King baut diesbezüglich einen netten Metaverweis ein, indem er eine Figur in „Revival“ erklären lässt, De Vermis Mysteriis hätte Lovecraft zum Necronomicon inspiriert, obwohl natürlich das Necronomicon Bloch inspiriert hat.

Obwohl er sich durchaus an Lovecraft orientiert, bemüht sich King doch, seinen Kosmischen Horror eigenständig zu halten. In vielen Lovecraft-Geschichten bleibt Selbstmord der einzige Ausweg für den traumatisierten Protagonisten, der tiefe, erschreckende Wahrheiten über das Universum und die eigene Insignifikanz erfahren hat. An diesen Punkt knüpft King an und nimmt auch diesen Ausweg, denn die „geheimen Elektrizität“ öffnet sehr spezifische Tore und gibt Einblicke in eine andere Welt. Genau wie bei Lovecraft geht es letztendlich um die Beantwortung fundamentaler Fragen, in diesem Fall: „Was kommt nach dem Tod?“ Und wie bei Lovecraft ist die Antwort keine angenehme. Jamie erhascht letztendlich tatsächlich auf ein Blick in ein Jenseits, in dem jeder Verstorbene von gewaltigen, Ameisen gleichenden Kreaturen versklavt wird, unabhängig davon, ob man im Leben gut war oder nicht. Natürlich steckt hinter dieser „Hölle für alle“ eine Kreatur jenseits menschlichen Verständnisses, „die Mutter“, eine Art Ameisenkönigin mit einem langen, haarigen schwarzen Bein und einer Klaue, die aus menschlichen Gesichtern besteht.

Ob „Revival“ letztendlich funktioniert, hängt von der Perspektive ab, da der Roman über weite Strecken sehr geerdet und realistisch wirkt. Das Übernatürliche schleicht sich nur sehr langsam und subtil ein, die endgültige Enthüllung kommt dann fast ein wenig plötzlich und scheint sich mit dem Ton des restlichen Romans nicht ganz zu vertragen. Wer jedoch Lovecraft-affin ist, erwartet spätestens ab der Erwähnung von De Vermis Mysteriis genau so etwas. Die Gestaltung des Jenseits erinnert ebenfalls an Lovecraft, eigentlich wie immer, wenn zyklopische Ruinen auftauchen, das betrifft aber gerade auch die Konzeption: Riesige Ameisen, die Menschen versklaven klingen nach Pulp und Schundheften – genau wie ein geflügelter Tintenfisch. Es ist gute Genre-Tradition, Pulp-Elemente als Ausdruck eines weitaus tiefergehenden, kosmischen Schreckens zu verwenden. Somit ist „Revival“ ein schönes Beispiel dafür, wie man eine kosmische Horrorgeschichte schreibt, ohne sich (mit einer Ausnahme) direkt auf Lovecraft’sche Elemente zu beziehen.

Zum Schluss noch kurz ein paar Worte zur Hörbuchversion, da ich „Revival“ ja auf diese Weise konsumiert habe: Sie ist äußerst empfehlenswert. Wie so viele King-Romane (und auch eine ganze Reihe von Lovecraft-Geschichten) liest David Nathan, seines Zeichens Synchronsprecher von Johnny Depp und Christian Bale, und er liest so ausgezeichnet wie immer.

Fazit: „Revival“ kann man zwar nicht wirklich zur Riege von Kings besten Werken rechnen, aber es ist doch ein gelungener Roman mit interessanten Themen. Der Spannungsaufbau ist zwar langsam und subtil, aber keinesfalls langweilig. Am gelungensten ist jedoch Kings Verarbeitung der Lovecraft’schen Thematik, der er eine interessante neue Idee hinzufügt, ohne sich dabei des „Cthulhu-Mythos“ zu bedienen.

Bildquelle

Lovecrafts Vermächtnis:
Der Cthulhu-Mythos
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Die Opferung
Das Alien-Franchise

Hitchcock

hitchcock
Story: Nach dem Erfolg seines Films „Der unsichtbare Dritte“ will Alfred Hitchcock (Anthony Hopkins) etwas Neues wagen: Die Verfilmung des Romans „Psycho“, der auf der Geschichte des Serienkillers Ed Gein (Michael Wincott) basiert. Wie üblich vertraut er darauf, dass seine Frau Alma (Helen Mirren) ihm hilft, in der Ehe kriselt es allerdings gerade und Alma verfolgt ein eigenes Projekt mit dem Drehbuchautor Whitfield Cook (Danny Huston). Hitchcock wird eifersüchtig und muss darüber hinaus feststellen, dass er bei der Arbeit an „Psycho“ in eine Sackgasse geraten ist…

Kritik: Anthony Hopkins, der bereits Dutzende von realen und fiktiven Ikonen gespielt hat, u.a. Adolf Hitler, Hannibal Lecter, Odin und Richard Nixon, fügt dieser illustren Riege mit Sacha Gervasis Biopic über den Meister der Suspense eine weitere hinzu. Der Film erzählt mit einem Augenzwinkern die fiktionalisierte Entstehungsgeschichte von Hitchcocks wohl berühmtestem Film. Das Ganze ist eine äußerst amüsante Angelegenheit, trotz der relativ kurzen Laufzeit von 98 Minuten zieht sich der Film in der Mitte allerdings ein wenig (speziell der Handlungsstrang, der sich mit Alma und Whitfield Cook beschäftigt).
Das Herzstück der Geschichte sind eindeutig Hitchcock und seine Frau Alma. Ihre Wortgefechte, Seitenhiebe und bissigen Bemerkungen sind die mit Abstand lustigsten Momente des Films. Dennoch verkommen beide nicht zu reinen Witzfiguren, Gervasi zeigt sehr schön, wie menschliche und verletzlich beide doch sind. Diesbezüglich ist zum Beispiel Almas Kauf des roten Badeanzugs oder Hitchcocks eigene kleine Voyeuraktion äußerst vielsagend.
Ein interessanter Einfall ist die Einbindung Ed Geins, der nicht nur das Vorbild für Norman Bates, sondern auch Leatherface und Hannibal Lecter ist. Immer wieder führt Hitchcock illusionäre Zwiegespräche mit dem Serienkiller, wenn er gerade vor einem Problem steht.
Auch die eigentliche Entstehung des Films weiß zu unterhalten; sei es die Präsentation des Materials – Hitchcock erzählt potentiellen Sponsoren ruhig und sachlich von Ed Geins grausigen Verbrechen – oder der ewige Kampf mit dem Zensor Geoffrey Shurlock (Kurtwood Smith), den er schließlich gekonnt austrickst. Anders als beispielsweise im ähnlich geartetem „Shadow of the Vampire“ werden allerdings kaum Szenen des Films direkt nachgestellt, sodass ein Zuschauer, der nicht mit „Psycho“ vertraut ist, nach „Hitchcock“ noch nicht den halben Film gesehen hat (dieser Umstand hat allerdings vor allem rechtliche Gründe).
Auch Hitchcocks Verhältnis (Alma spricht von „Phantasieaffären“) zu seinen Schauspielerinnen wird thematisiert, allerdings eher am Rande. Scarlett Johannson als Janet Leigh und Jessica Biel als Vera Miles wirken ein wenig unterfordert, aber der Fokus liegt nun einmal eindeutig auf den Hitchcocks.
Ansonsten besticht „Hitchcock“ vor allem durch viele gelungene Einzelszenen, die für den etwas ermüdenden Mittelteil des Films durchaus entschädigen. Dazu gehören unter anderem das erste Treffen mit Anthony Perkins (James D’Arcy), dem Schauspieler von Norman Bates, Hitchcocks Vorführung eines gelungenen Mordes (die arme Janet Leigh), der kurze Auftritt des Psycho-Komponisten Bernhard Herrmann (Paul Schackman) und die Uraufführung des Films, während der Hitchcock im Vorraum zur berühmten Duschszene dirigiert.
Fazit: Amüsante, im Mittelteil allerdings ein wenig dröge, Entstehungsgeschichte des Filmes „Psycho“ mit einem hervorragenden Anthony Hopkins und einer nicht minder gut aufgelegten Helen Mirren.

Trailer