Eigentlich wollte ich mich ja gerade an den Überblicksartikel zur fünften GoT-Staffel machen, da ist mir aufgefallen, dass etwas Derartiges auch für Staffel 4 fehlt (am Ende meiner Rezension zur zehnten Episode besagter Staffel findet sich lediglich ein kurzes Resümee), weshalb das nun nachgereicht wird. Da das Zusammenfassen der Handlung ohnehin inzwischen zur Farce geworden ist, gehe ich dieses Mal ähnlich vor wie in meinen Artikeln zu den einzelnen Episoden, will heißen: Sortiert nach Handlungssträngen. Dem wird allerdings ein allgemeinerer Teil vorangestellt. Dabei bemühe ich mich, Staffel-5-Spoiler zu vermeiden.
Allgemeines zur Staffel
Insgesamt muss ich leider sagen, dass Staffel 4 nicht ganz auf dem hohen Niveau ist wie die Staffeln 1 bis 3, wobei man hier zweifelsohne differenzieren muss: Wenn Staffel 4 gut ist, ist sie richtig gut, ich wage sogar die Behauptung, dass sie einige der besten Momente der gesamten Serie enthält; „The Lion and the Rose“, die zweite Folge, in der die königliche Hochzeit stattfindet, gehört definitiv in meine Top 5. Leider gibt es nicht nur Höhen, denn nach einem verdammt starken Start offenbaren sich einige massive Probleme, die vor allem struktureller Natur sind und mit der Adaption der Vorlage zusammenhängen. „A Storm of Swords“, der dritte Band der Serie, wurde ja nicht, wie die ersten beiden Bände, in einer Staffel umgesetzt, sondern in zwei, und die negativen Auswirkungen dieser Entscheidung zeigen sich nun: Staffel 4 leidet sowohl unter der Struktur der Serie als auch daran, dass einige Handlungsstränge mehr „Fleisch“ haben als andere. Während es in King’s Landing beispielsweise noch mehr als genug Handlung für eine ganze Staffel gibt, müssen andere Handlungsstränge unnötig in die Länge gezogen werden. Genau hier wäre eine flexiblere Staffelstruktur wünschenswert gewesen. „A Storm of Swords“ hätte sich in meinen Augen entweder als längere Staffel mit 15 Folgen oder als zwei kürzere mit jeweils sieben Folgen am besten umsetzen lassen. Das ist letztendlich allerdings nichts, was man Benioff und Weiss vorwerfen könnte. So wie ich HBO einschätze, besteht der Sender auf einer zehn-Folgen-Staffel pro Jahr und wäre mit verkürzten Staffeln nicht einverstanden gewesen, während eine längere Staffel aus Produktions- und Budgetgründen schlicht nicht umzusetzen gewesen wäre.
Auch die typische Staffelstruktur erweist sich als problematisch: Bislang gab es in jeder ungeraden Staffel in der neunten Episode einen oder mehrere schockierende Todesfälle, während in den geraden eine Schlacht an einem Schauplatz gezeigt wurde. Staffel 4 folgt diesem Muster (bzw. dem Beispiel von Staffel 2) mit der Schlacht an der Mauer, was sich für den entsprechenden Handlungsstrang allerdings ebenfalls als eher unglücklich erweist.
Was Staffel 4 darüber hinaus auch schadet, sind einige Detailänderungen gegenüber der Vorlage, die jedoch massive Auswirkungen auf diverse Charaktere haben und dafür sorgen, dass die Entwicklung problematisch oder die Tiefe und Glaubwürdigkeit unnötig reduziert wird.
King’s Landing
Schon in den Staffeln 1 bis 3 war King’s Landing so etwas wie das inoffizielle Zentrum der Handlung; hier waren stets die meisten wichtigen Figuren an einem Ort und interagierten miteinander. Auch in Staffel 4 ist dies der Fall; im Großen und Ganzen ist dieser Handlungsstrang derjenige, der am besten und überzeugendsten umgesetzt wird, gerade weil noch genug passiert, um eine ganze Staffel zu füllen. Fast alle Highlights der Staffel finden an diesem Schauplatz statt; in erster Linie sind hier vor allem die königliche Hochzeit, Tyrions Prozess und Oberyn Martell in seiner Gesamtheit zu nennen. Die beiden größten Probleme sind Jaime und Cersei, deren Entwicklung und Verhältnis in dieser Staffel sinnlos mäandert (wir erinnern uns an diese Kontroverse, die zu dem, was da alles in Staffel 5 passiert ist, nun relativ harmlos erscheint) und die sich in der Gegenwart des anderen ziemlich out of character verhalten, sowie die Umsetzung des finalen Tyrion-Kapitels, dem Benioff und Weiss gewissermaßen die Zähne gezogen haben, als hätten sie Angst, Tyrion könne dem Zuschauer zu unsympathisch werden. Dennoch, insgesamt betrachtet gefällt mir die Umsetzung all dessen, was in der Hauptstadt passiert, am besten, was nicht zuletzt auch damit zusammenhängt, dass alles einen natürlichen Fluss hat und sich nicht ausgedehnt anfühlt.
Letztendlich könnte das auch damit zusammenhängen, dass sich in King’s Landing ein letztes Mal die darstellerische Crèmè de la Crèmè der Serie fast komplett versammelt, von Peter Dinklage über Charles Dance, Diana Rigg, Pedro Pascal, Natalie Dormer, Gwendoline Christie (zumindest am Anfang) und so weiter.
Natürlich verlassen die diversen wichtigen Figuren in dieser Staffel King’s Landing nach und nach auf die eine oder andere Weise. Während Joffrey das Zeitliche segnet, brechen Sansa und Littlefinger gen Eyrie auf – ein weiterer Subplot, der zwar recht stark reduziert ist, aber im Großen und Ganzen noch funktioniert, auch wenn Sansas Wandlung ein wenig überbetont wurde.
Die Flusslande
Ab hier wird es schon ein wenig problematisch. In Staffel 4 gibt es zwei Pärchen, die durch die Flusslande wandern und sich am Schluss, im Staffelfinale begegnen: Das wären zum einen Brienne und Podrick und zum anderen Arya und Sandor Clegane. Das Interessante an dieser Angelegenheit ist, dass der Trip des einen Pärchens massiv verkürzt , während der des anderen ausgedehnt wurde. In „A Storm of Swords“ haben Arya und Clegane nach der Roten Hochzeit nicht mehr viel zu tun, die Szene im Gasthaus aus „Two Swords“ findet mit minimalen Abweichungen auch im Roman statt, dabei wird Clegane verletzt und wir springen im Grunde direkt zu den Ereignissen, die in „The Children“ thematisiert werden. Das heißt, Aryas und Sandors Wanderung musste um eine ganze Staffel ausgedehnt werden, und in meinen Augen merkt man das auch, da sie gefühlt immer wieder dasselbe Gespräch führen und Arya mit kleinen Abweichung mindestens zwei, drei Mal die gleiche Lektion lernt.
Briennes und Pods Weg stamm dagegen bereits aus „A Feast for Crows“ und wurde gegenüber der Vorlage sehr stark vereinfacht, da die beiden auf ihrem Weg einigen neuen und alten Charakteren begegnen, u.a. Gendry, Rorge und Beißer (die in der Serie von Arya und dem Bluthund erledigt werden) und Sams Vater Randyll Tarly. Trotzdem erscheint ihr Handlungsstrang weniger redundant als der des anderen Pärchens, was auch damit zusammenhängen könnte, dass sie nicht eine ganze Staffel umherwandern, sondern nur eine halbe.
Die endgültige Begegnung beider Pärchen entstammt ebenfalls nicht der Vorlage. Ich kann gut verstehen, weshalb Benioff und Weiss sich dafür entschieden haben, gleichzeitig wirkt sie dann aber doch ziemlich unwahrscheinlich und geht am eigentlichen Zweck des Ganzen vorbei: Vor allem bei Brienne und Pod zeigt sich, welche Schäden der Krieg hatte und wie er sich auf das gemeine Volk auswirkte, etwas, das in der Serie kaum angerissen wird. Letztendlich lässt sich hier folgendes (in dieser Besprechung noch öfter auftauchendes) Urteil ziehen: Die Flusslande sind halblebig umgesetzt und hätten entweder mehr oder weniger Zeit benötigt; entweder braucht es radikalere Kürzungen oder mehr Zeit, um der Komplexität der Situation gerecht zu werden.
Dreadfort
Die Geschichte um Theon Greyjoy und Ramsay Snow war in Staffel 3 ziemlich ermüdend, weil es im Grunde immer nur körperliche und psychische Zermürbung gab. In Staffel 4 bessert sich das, weil sich der Handlungsstrang tatsächlich von A nach B bewegt. Im Grunde ist es freilich nicht mehr Theons Geschichte, sondern Ramsays: Er ist derjenige, der einen Auftrag von seinem Vater erhält und am Ende dafür belohnt wird. Auf recht verdrehte Weise erlebt Ramsay hier etwas, das der klassischen Heldenreise ähnelt, um am Ende die Anerkennung seines Vaters zu ernten. Natürlich steht letztendlich trotzdem Theon irgendwie im Fokus, aber er bleibt Wrack und fungiert als reine Spielfigur. Interessanterweise funktioniert das ganz gut, was auch daran liegen könnte, dass das Meiste trotz allem auf Elementen aus „A Dance with Dragons“ basiert. Das kurze Intermezzo mit Yara/Ahsa und den Ironborn ist freilich ebenso nutzlos wie unlogisch und dient lediglich dazu, ein wenig Action unterzubringen und den Zuschauer daran zu erinnern, dass diese Figur noch existiert, aber darüber kann man großzügig hinwegsehen.
Meereen
Daenerys‘ Handlungsstrang in dieser Staffel ist praktisch zweigeteilt: Die erste Hälfte beschäftigt sich mit ihrer Eroberung von Meereen, die zweite mit der Etablierung ihrer Herrschaft und den Schwierigkeiten, die sie dabei hat. Auch hier gibt es das eine oder andere Problem, nicht so gravierend wie in den Flusslanden, aber dennoch. Ich muss zugeben, schon in den Romanen ist Meereen nicht unbedingt mein liebster Handlungsort, und die Serie macht das leider nicht besser. Der grundsätzliche Verlauf (Benioff und Weiss bedienen sich hier auch wieder bei „A Dance with Dragons“) bleibt intakt, Daenerys lernt, dass es weitaus schwieriger ist, eine Stadt zu regieren als eine zu erobern. Allerdings wird die Komplexität stark reduziert; das allein wäre weniger problematisch, allerdings wirken die Daenerys-Szenen zu fragmentiert, um wirklich zu einem Handlungsstrang zusammenzuwachsen, und dann sind da noch die Fokusprobleme: Wo man die Söhne der Harpyie hätte vorbereiten können, dichtet man Grey Worm und Missandei lieber eine Romanze an.
Die Mauer
Den Handlungsstrang mit dem größten Strukturproblem habe ich mir für den Schluss aufgehoben (Bran und Co. sind hier integriert). An dem, was Jon Snow in dieser Staffel so treibt, zeigt sich zum ersten Mal die Schwäche der GoT-Staffel-Struktur. Die große Schlacht, die eine ganze Episode in Anspruch nimmt, hat in Staffel 2 toll funktioniert, hier jedoch… Man verstehe mich nicht falsch, die Episode selbst, „Watchers on the Wall“, gehört zu den Highlights der Staffel, aber ansonsten ist der Jon-Snow-Handlungsstrang höchst redundant, was vor allem damit zusammenhängt, dass man Jon, Sam und den Rest der Nachtwache beschäftigen muss, bis die Wildlinge eintreffen. Dieses Problem gibt es im Roman nicht, da es kein Doppelangriff ist, bei Martin attackieren zuerst die Wildlinge, die sich südlich der Mauer befinden, und dann erst greift Mance Rayders Armee von Norden an. Betracht man „Watchers on the Wall“ separat, dann funktioniert der Doppelangriff sehr gut, aber es handelt sich hier nun einmal um eine Serie, in der die Folgen eben gerade nicht separat stehen, weshalb die Zusammenlegung der Staffel insgesamt schadet. Damit Jon und Co. nicht eine Staffel lang nur herumsitzen müssen, dürfen sie nach Norden aufbrechen, um die Meuterer zu bekämpfen, die sich in Craster’s Keep eingenistet haben und ganz zufällig gerade Bran, Hodor, Meera und Jojen gefangen genommen haben, sodass es zu einer weiteren Beinahebegenung kommt. Das Ganze ist leider reines Füllmaterial, hat keinerlei Auswirkungen auf die Figuren, wirkt höchst unglaubwürdig und ist nicht einmal unterhaltsam. Der Sam/Gilly-Subplot, in dessen Rahmen Sam seine Angebetete in einem Bordell in Molestown unterbringt, damit sie nicht von den schwarzen Brüdern vergewaltigt wird (wie hirnverbrannt ist das denn?), ist ähnlich redundant. Insgesamt haben Benioff und Weiss einer wirklich gelungenen Folge einen kompletten Staffel-Handlungsstrang geopfert.
Zum Abschluss noch ein Wort zu Stannis, bei dem es ähnliche Probleme gibt; diese sind aber weniger gravierend, weil das Füllmaterial weniger Platz einnimmt. Und anders als bei Jon Snow gibt es hier kein Material, das die Serienautoren hätten umverteilen können. Stannis hat in dieser Staffel bis zu seinem Auftauchen an der Mauer kaum Mehrwert, was aber letztendlich verzeihlich ist, da er im Vergleich zu Jon Snow doch eher sekundär ist.
Fazit: Staffel 4 von „Game of Thrones“ erweist sich als bisher zwiespältigste Staffel der Serie mit den größten Qualitätsschwankungen. Hier stehen Serienhighlights neben strukturell und inhaltlich bisher nicht gekannten Tiefpunkten.