Art of Adaptation: Pickman’s Model

Halloween 2022

Dass Guillermo del Toro ein gewisses Faible für H. P. Lovecraft hat, ist nun wirklich kein Geheimnis: Immer wieder finden sich Anspielungen in seinen Filmen und natürlich hat wahrscheinlich kein Lovecraft-Fan del Toros gescheiterte Adaption von „At the Mountains of Madness“ vergessen. So verwundert es kaum, dass der Schriftsteller aus Providence auch in der neuen Horror-Anthologieserie „Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities“ eine Rolle spielt, und das nicht nur in einzelnen Anspielungen (die natürlich auch vorhanden sind), sondern in Form von zwei Episoden, die sich als direkte Adaptionen von Lovecraft-Geschichten präsentieren. Das Konzept der Netflix-Serie erinnert an „Alfred Hitchcock Presents“: Zu Beginn jeder Episode gibt es ein paar einleitende Worte von del Toro, darauf folgen die von verschiedenen Regisseuren inszenierten Horror-Geschichten. Bei Folge 5, Regie führt Keith Thomas, handelt es sich um eine, wenn auch ziemlich freie, Umsetzung der Geschichte „Pickman’s Model“, was sie zu einem interessanten Sujet für mich macht.

Die Lovecraft-Geschichte
Lovecraft verfasste „Pickman’s Model“ 1926, ein Jahr später wurde die Kurzgeschichte auf den Seiten des Magazins „Weird Tales“ publiziert. Gemessen an vielen der späteren und populäreren Storys wie „The Call of Cthulhu“ oder „The Shadow Over Innsmouth“ ist „Pickman’s Model“ eine eher konventionelle Geschichte, die eigentlich nicht wirklich dem „Cthulhu-Mythos“ oder dem Sub-Genre des kosmischen Horrors zuzurechnen ist, auch wenn Elemente der Geschichte, sei es Richard Upton Pickman selbst oder die Ghule, die er abbildet, in Mythos-Geschichten anderer Autoren nur allzu gerne auftauchen.

Erzählerisch ist die Geschichte recht simpel aufgebaut, wie so oft bei Lovecraft haben wir es mit einem Ich-Erzähler zu tun, der allerdings ausnahmsweise einmal keinen Bericht über erschreckende Ereignisse hinterlässt; stattdessen ist die Geschichte als „einseitiger Dialog“ aufgebaut. Der Erzähler Thurber (in der Geschichte ohne Vornamen, in der Adaption heißt er Will) berichtet seinem Freund Eliot von seinen Erlebnissen mit dem Maler Richard Upton Pickman, wobei der Text Eliots Antworten und Erwiderungen ausspart, sodass der Leser gewissermaßen als Dialogpartner fungiert. Thurber berichtet, dass seine Angst vor der U-Bahn, Kellern und dem Untergrund im Allgemeinen von einem Erlebnis mit dem kürzlich verschwundenen Maler Richard Upton Pickman herrührt, der wie Thurber und Eliot Mitglied des Kunstvereins von Boston ist bzw. war. Pickman eckte dort mehrmals wegen seiner ebenso grausigen wie realistischen Gemälde an, die viele andere Mitglieder verschreckten, während sie Thurber nachhaltig beeindrucken und faszinieren – trotz seines Traumas hält er an der Meinung fest, dass es sich bei Pickman um einen außergewöhnlichen Künstler handelt.

Pickman, der sich von Thurbers Bewunderung offenbar geschmeichelt fühlt, lädt ihn in sein „geheimes Atelier“ in den heruntergekommenen Norden Bostons ein, in welchem er Thurber Gemälde von blutrünstigen Monstrositäten zeigt, gegen die jene, die im Kunstverein schon ausgestellt wurden, regelrecht harmlos sind. Merkwürdige Geräusche veranlassen Pickman, mit einem Revolver das Zimmer zu verlassen, angeblich um Ratten zu verscheuchen – tatsächlich fallen Schüsse. Pickman und Thurber trennen sich hastig. Später stellt Thurber fest, dass er bei Pickman ein Stück Papier eingesteckt hat, bei welchem es sich um eine Fotografie handelt, die eines jener grausigen Wesen zeigt, die Pickman gemalt hat. So muss Thurber feststellen, dass diese Kreaturen keinesfalls der Fantasie entstammen, sondern dass es sich bei Pickmans Gemälden „nur“ um realitätsnahe Wiedergaben handelt.

„Pickman’s Model“ ist eine Geschichte, die heute zugegebenermaßen in dieser Form nicht mehr allzu viele Neuleser besonders beeindrucken dürfte, im Vergleich zu anderen Enthüllungen, besonders Enthüllungen kosmischen Schreckens, ist die hiesige relativ zahm. Wie viele andere Geschichten Lovecrafts ist sie in ihrem Aufbau und in ihren Andeutungen deutlich stärker als in ihrer tatsächlichen Auflösung. Der interessanteste Aspekt dürften wahrscheinlich die immer wieder eingestreuten Diskussionen zum Thema Kunst sein, Thurber dient hier zweifellos als Avatar für Lovecrafts eigene Meinung zum Thema „erschreckende Gemälde“. Tatsächlich funktioniert „Pickman’s Model“ für mich persönlich in der Hörspieladaption der Reihe „Gruselkabinett“ von Titania Medien mit Abstand am besten, da sie unheimlich stimmig inszeniert ist und von dem großartigen Zusammenspiel von Dietmar Wunder (dt. Stimme von Daniel Craig) und Sascha Rotermund (dt. Stimme von Benedict Cumberbatch) profitiert. Dabei bleibt das Hörspiel nah am Text und schafft es, allein durch die Performance der Sprecher das Grauen zu vermitteln. Kaum weniger gelungen ist zudem die GM-Factory-Lesung von Gregor Schweitzer. Eine visuelle Adaption hat es da natürlich schwerer – dementsprechend verwundert es kaum, dass Keith Thomas und Drehbuchautor Lee Patterson sich vom Text sehr weit entfernen.

Die Umsetzung
Zumindest auf handwerklicher Ebene kann man dieser Folge, wie der gesamten Serie (zugegeben, ich habe noch nicht alle Folgen gesehen) wenig vorwerfen. „Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiositys“ sieht definitiv sehr gut aus und ist durchweg enorm atmosphärisch. Die Handschriften der einzelnen Regisseure sind sehr wohl präsent, zugleich haftet allen Folgen aber auch eine gewisse, nennen wir es „Del-Toro-haftigkeit“ an, sei es in der Atmosphäre oder im Design der Kreaturen. Inhaltlich ist es leider eine etwas andere Geschichte: Wie bereits zu erwarten war, wird eher die grobe Prämisse als die tatsächliche Geschichte adaptiert: Thurber (Ben Barnes) und Pickman (Crispin Glover) sind beide Schüler einer Kunstakademie. In einer Sitzung beobachtet Thurber zufällig, wie das gewöhnliche Modell, das gemalt werden soll, auf Pickmans Bild vier Arme hat und blutet. Wie in der Geschichte übt Pickman eine gewisse Faszination auf Thurber aus, man unterhält sich und Pickman erzählt Thurber ein wenig von seinen Hintergründen – eine Vorfahrin namens Lavinia (Megan Many) war laut Pickman in diverse kultische bzw. schwarzmagische Handlungen verwickelt, setzte Gästen ihren gekochten Ehemann vor und wurde dafür als Hexe verbrannt – dieses kannibalistische Motiv taucht in der Episode immer wieder auf. Gewisse Andeutungen diesbezüglich finden sich tatsächlich in Lovecrafts Geschichte, auch hier werden Verbindungen zu den Hexenprozessen von Salem erwähnt und eines von Pickmans Werken trägt den Titel „Leichenfresser beim Fraße“, diese sind allerdings weit weniger spezifisch. Der Lovecraft-Kenner wird bei dem Namen Lavinia zudem sofort hellhörig und muss an „The Dunwich Horror“ denken.

Die Werke Pickmans, die Thurber in Kombination mit der Familiengeschichte gezeigt bekommt, haben einen verstörenden Einfluss auf den jungen Maler, er scheint zu halluzinieren und Elemente aus Pickmans Gemälden in der Realität zu sehen, was zur Folge hat, dass seine Geliebte Rebecca (Oriana Leman) glaubt, er sei Betrunken auf ihrer Party erschienen, woraufhin sie die Beziehung beendet. Als Thurber Pickman erneut in seiner Wohnung aufsucht, sind sowohl der Maler als auch seine Gemälde verschwunden. An dieser Stelle macht die Handlung einen Sprung von 17 Jahren, Thurber und Rebecca sind inzwischen verheiratet und haben einen gemeinsamen Sohn. Zudem ist Thurber inzwischen ein einflussreicher Künstler. Da taucht, recht unverhofft, Richard Upton Pickman wieder auf – und mit ihm und seinen Gemälden kehren auch die Visionen und Alpträume zurück, die sich nun direkt auf Thurber und seine Familie auswirken. Pickman taucht schließlich sogar bei Thurber zuhause auf und beteuert, er wolle nur, dass seine Bilder gesehen werden. Abermals lädt er den Kollegen zu sich ein, bei Pickman kommt es allerdings zum Handgemenge, das schließlich mit Pickmans Tod endet. Um ganz sicher zu gehen, verbrennt Thurber die unheilvollen Bilder, doch es stellt sich heraus, dass der unheilvolle Einfluss bereits von Thurbers Frau und Sohn Besitz ergriffen hat, sodass sich Lavinias Tat wiederholt…

Wie bereits erwähnt: „Pickman’s Model“ ist eine Geschichte, die so, wie sie Lovecraft erzählt, weder besonders furchterregend, noch besonders filmisch ist. Thomas und Patterson ließen sich für diese Folge der Anthologie eher von der Prämisse und der Figurenkonstellation inspirieren, entwickelten sie dann jedoch in eine völlig andere Richtung. Gewisse Reste der ursprünglichen Geschichte sind noch vorhanden, so wird Thurber unter anderem auch mit dem tatsächlichen Ghul konfrontiert, anstatt nur dessen Foto zu sehen, ironischerweise hätte man diese Szene jedoch problemlos entfernen können. Wo sich die eigentliche Story auf die Ghule und deren Abbildung konzentriert, schaffen Regisseur und Drehbuchautor aus Implikationen und Andeutungen einen kultischen Überbau, der ironischerweise an „Dreams in the Witch House“ erinnert – zufällig handelt es sich hierbei um die zweite Lovecraft-Geschichte, die im Rahmen des „Cabinet of Curiosities“ verfilmt wird. Das Problem bei der Sache ist, dass die ganze Angelegenheit ziemlich holprig erzählt ist, die einzelnen Bestandteile wollen nicht ineinandergreifen. Es wirkt, als hätten Thomas und Patterson versucht, das Grauen der ursprünglichen Kurzgeschichte zu erweitern, um sie für ein modernes Horror-Publikum ansprechender zu machen, diese Bemühungen sorgen allerdings dafür, dass das Ergebnis recht generisch daherkommt und sich nicht mehr recht nach Lovecraft anfühlen will – man fühlt sich eher etwas an „The Conjuring“ erinnert. Dementsprechend fand ich persönlich die finale Realwerdung eines der Bilder auch nicht allzu überraschend oder schockierend. Hinzu kommt, dass leider auch die beiden Hauptdarsteller ihn ihren Rollen nicht völlig überzeugen können, was primär damit zusammenhängt, dass sie mit ihrem Akzent kämpfen: Sowohl Ben Barnes (dessen Mitwirken angesichts der Tatsache, dass er in „The Picture of Dorian Gray“ die Hauptrolle spielte, wohl als Casting-Gag verstanden werden kann) als auch Crispin Glover scheinen mit dem Bostoner Sprach-Duktus nicht völlig zurechtzukommen. Während das bei Barnes nicht allzu viel ausmacht, ist Glovers Akzent wirklich merkwürdig und klingt eher wie die Parodie eines Iren. Vielleicht bin ich durch Sascha Rotermund, der Pickman sehr charismatisch anlegt, zu sehr vorgeprägt, aber ich persönlich finde Glovers autistisch anmutendes Overacting hier ziemlich fehl am Platz.

Fazit: Die Umsetzung von „Pickman’s Model“ im Rahmen von „Guillermo del Toro’s Cabinet of Curiosities“ kann zwar nicht wirklich als misslungen bezeichnet werden, vor allem auf technischer und atmosphärischer Ebene weiß sie durchaus zu überzeugen. Allerdings scheitern Regisseur Keith Thomas und Drehbuchautor Lee Patterson an einer wirklich effektiven Modernisierung der Lovecraft-Geschichte, die zudem an Fokusproblemen und Crispin Glovers Darstellung von Richard Upton Pickman leidet.

Siehe auch:
Hörbuch: Pickman’s Model bei GM Factory
Lovecraft im Gruselkabinett
Lovecrafts Vermächtnis: Der Cthulhu-Mythos

Art of Adaptation: Georges Bess‘ Frankenstein

Halloween 2022
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Letztes Jahr erschien die deutsche Fassung der Dracula-Comicadaption des französischen Künstlers Georges Bess – da scheint „Frankenstein“ der nächste logische Schritt zu sein. Tatsächlich war das Erscheinen dieses üppigen Comicbandes im Hardcover-Format – wie der Vorgänger komplett in schwarz-weiß – der auslösende Faktor, der mich dazu gebracht hat, mich im Rahmen dieses Blogs verstärkt mit Mary Shelleys Roman und den diversen Adaptionen zu beschäftigen. Vielleicht wäre es angebrachter gewesen, mit Universals Film von 1931 zu beginnen, aber hin und wieder muss man auch mal das Pferd von hinten aufzäumen und mit der neuesten Umsetzung starten.

Tatsächlich beginnt die Comicadaption genauso wie der Roman: Auf Captain Waltons Schiff, wo er seine Erlebnisse in einem Tagebuch festhält. Zu diesen Erlebnissen gehört ein kurzer Blick auf die Kreatur und natürlich ein stark geschwächter Victor Frankenstein, der beginnt, seine Geschichte zu erzählen. Tatsächlich folgt Bess, wie schon bei seiner Dracula-Adaption, der Handlung des Romans sehr genau, wenn auch mit einigen Abstrichen und einem etwas veränderten Fokus. Frankensteins familiäres Umfeld spielt beispielsweise eine deutlich kleinere Rolle, wo Elizabeth, William und Co. zu Beginn des Romans ausführlich vorgestellt werden, tauchen sie bei Bess deutlich später auf, nämlich erst dann, wenn sie wirklich handlungsrelevant sind. Zu Beginn der Rückblickshandlung legt Bess den Fokus stattdessen (und mit einigen wohlplatziertem direkten Shelley-Zitaten) auf Frankensteins Forscherdrang, sodass die Universität Ingolstadt zum ersten wichtigen Handlungsort wird. Zudem baut er hier ein kleines Zugeständnis an die Universal-Filme ein. Wie in besagten Filmen und anders als im Roman verfügt Frankenstein hier über einen buckligen Diener, der zwar weder Fritz (wie im Film von 1931) noch Igor bzw. Ygor (erstmals in „Son of Frankenstein“ aus dem Jahr 1939, gespielt von Bela Lugosi), sondern Sven heißt, aber im Grunde denselben Zweck erfüllt. Zudem kann Bess es nicht lassen, hier und da einige zusätzliche Details einzustreuen. Mary Shelley bleibt bezüglich Frankensteins Rohmaterial sehr vage, während die Adaptionen zumeist versuchen, ein wenig mehr Kontext zu liefern, so auch in dieser. Die gewaltige Größte der Kreatur erklärt Bess damit, dass Frankenstein sich unter anderem des Leichnams eines riesigen Zirkusartisten bedient.

Ebenso vage bleiben Shelleys Beschreibungen der Kreatur, und natürlich gilt es auch hier, den Universal-Faktor nicht zu unterschätzen. Einerseits ist Boris Karloff in der Rolle des Monsters so dominant, dass man an der entsprechenden Assoziation nicht vorbeikommt, andererseits ist es, besonders nach unzähligen Parodien, schwierig, den viereckigen Kopf und die Schrauben im Hals noch ernst zu nehmen. Bess versucht so gut wie möglich, sich an Mary Shelleys Beschreibung zu orientieren und zeichnet die Kreatur sehr groß und muskulös, mit langen, schwarzen Haaren und Narben – zudem zitiert er ihre Beschreibung im Erzähltext.

Ab dem Moment, in dem die Kreatur aus dem Labor flüchtet, nimmt Bess einige strukturelle Änderungen vor. Wie im Roman erfährt Frankenstein von seiner Schöpfung, was dieser zwischen Flucht und Wiedersehen widerfahren ist, Shelley hält sich hier strikt an Frankensteins Perspektive, wir als Leser erfahren erst, was geschehen ist, als Frankenstein es auch erfährt. Bess hingegen zieht diesen Teil der Geschichte vor, sodass Frankenstein Captain Walton nun chronologisch und nicht an seine Wahrnehmung gebunden erzählt. Dieser Binnenerzählung räumt Bess enorm viel Platz ein, etwa ein Drittel des gesamten Comics, und gibt sie inhaltlich insgesamt sehr vorlagengetreu wieder, erweitert sie allerdings etwas und streut einige Hintergründe der Familie, mit der die Kreatur agiert, in die Erzählung ein. Auch der Mord an William Frankenstein wird bereits an dieser Stelle thematisiert, wobei Bess die Szene deutlich anders und knapper darstellt. In Mary Shelleys Roman ist William einer der wenigen Menschen, die der Kreatur Güte zuteilwerden lassen, woraufhin diese den Jungen gewissermaßen „adoptieren“ möchte. Erst, als sie den Nachnamen des Jungen erfährt, tötet sie ihn und hadert dabei mit sich selbst. Im Comic dagegen ist die Szene sehr knapp, William zeigt keine Güte und wird getötet, bevor er seinen Namen verraten kann.

Im Anschluss kehren wir gemeinsam mit Frankenstein in die Schweiz zurück und erst an dieser Stelle werden die familiären Figuren sehr knapp eingeführt; auf Elizabeth verwendet Bess kaum Zeit bzw. Panels und auf Justine Moritz praktisch gar keine. Die Szenen im Gefängnis entfallen komplett, Justines Tod wird ausschließlich im Erzähltext erwähnt, was ein wenig merkwürdig anmutet, da Bess im Anschluss auf mehreren Seiten üppige Landschaftsbilder inszeniert, während Frankenstein nach der Kreatur sucht, die er für den Mord an seinem Bruder verantwortlich macht. Der Dialog zwischen Schöpfer und Schöpfung fällt hier natürlich deutlich kürzer aus, da die lange Binnenerzählung ja bereits abgearbeitet ist. Ab diesem Zeitpunkt folgt Bess wieder sehr genau Mary Shelleys Geschichte, von den Reisen auf die britischen Inseln über den schließlich abgebrochenen Versuch, einer Frau für die Kreatur zu schaffen bis hin zum Tod von Henry Clerval. Es folgen Frankensteins Rückkehr in die Schweiz, die Hochzeit mit Elizabeth und ihr anschließender Tod sowie der von Frankensteins Vater. Das alles arbeitet Bess relativ zügig ab und stellt relativ wenig szenisch dar, sondern arbeitet mit Erzähltext und Einzelbildern. Etwas mehr Platz widmet Bess Frankensteins Jagd nach der Kreatur; zudem räumt er Captain Waltons Gedanken einige Textkästen ein, bis es schließlich zum unweigerlichen Ende kommt: Frankenstein stirbt und die Kreatur verschwindet mit dem Leichnam ins Ungewisse.

Visuell knüpft Bess direkt an seine Dracula-Adaption an: Wem diese stilistische zusagte, könnte auch mit den Zeichnungen in dieser Version von „Frankenstein“ zufrieden sein – beeindruckend sind sie zweifelsohne, allerdings finde ich persönlich die Dracula-Umsetzung deutlich gelungener. Das mag allerdings auch mit meinen persönlichen Vorlieben zusammenhängen. Wo Bess‘ „Dracula“ äußerst gotisch daherkommt und mitunter fast kafkaesk wirkt, konzentriert er sich in „Frankenstein“ in größerem Ausmaß auf die bereits erwähnten, üppigen Landschaften. Im visuellen Fokus steht außerdem zweifelsohne die Kreatur, die hier, zumindest meinem empfinden nach, deutlich präsenter ist als im Roman. Tatsächlich scheint Bess sich für alles abseits des Titelhelden, seiner Schöpfung und deren Beziehung zueinander kaum zu interessieren. Die Rolle der diversen Nebenfiguren, seien es Frankensteins Geliebte Elizabeth, die restlichen Familienmitglieder oder sein Freund Henry Clerval, sind bestenfalls Randerscheinungen und werden z.T. erst dann in die Handlung eingeführt, wenn sie unbedingt nötig sind – Justine Moritz sehen wir nur einmal von hinten, als die Kreatur ihr Williams Amulett unterschiebt, um sie zu belasten.

Fazit: Georges Bess‘ „Frankenstein“ ist, wie schon seine Dracula-Adaption, eine visuell beeindruckende Umsetzung des Klassikers, die jedoch hinter besagtem „Vorgänger“ ein wenig zurückbleibt. Bess legt seinen Fokus auf Frankenstein und die Kreatur, vernachlässigt aber die meisten anderen Figuren, deren Geschichte durchaus angemessen auf den Seiten mit Erzähltext und Landschaftsabbildungen hätten untergebracht werden können.

Bildquelle

Siehe auch:
Art of Adaptation: Frankenstein – Mary Shelleys Roman
Art of Adaptation: Georges Bess’ Dracula

Victorian Undead

Halloween 2022
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Wenn es eine fiktive Figur gibt, die Dracula bezüglich Adaptionen und Auftritten das Wasser reichen oder ihn sogar übertreffen kann, dann ist es Sherlock Holmes. Da ist es natürlich naheliegend, beide in einem Crossover unterzubringen; selbst davon gibt es eine ganze Menge. In den Fortsetzungen von Fred Saberhagens „The Dracula Tape“ etwa treffen der Detektiv und der Vampirgraf ebenso aufeinander wie in Christian Klavers Serie „The Classified Dossier“. Zusätzlich finden sich auch Werke, die ihren Fokus zwar nicht auf das Aufeinandertreffen der beiden Ikonen legen, in dem sie aber vorhanden sind oder waren – man denke an Alan Moores „The League of Extraordinary Gentlemen“ oder Kim Newmans Anno-Dracula-Serie. Sujet dieses Artikels ist allerdings ein etwas obskureres Werk: Ian Edgintons „Victorian Undead“. Es handelt sich dabei um eine Reihe von Comics, in denen sich Sherlock Holmes und Dr. Watson, der Titel suggeriert es bereits, mit diversen Untoten herumschlagen müssen. Edginton verfasste zwei Miniserien und einen One Shot, der zwischen ihnen angesiedelt ist, in chronologischer Reihenfolge sind das „Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Zombies“ (2010), „Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Jekyll/Hyde“ und „Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Dracula“ (beide 2011).

Die erste Miniserie inszeniert eine viktorianische Zombie-Apokalypse, hinter der, wen wundert es, letztendlich ein zombiefizierter James Moriarty steckt, der sich nicht nur nach der Angelegenheit bei den Reichenbachfällen an Holmes rächen möchte, sondern auch Weltherrschaftsambitionen hegt. Natürlich ist es an Holmes und Watson, hinter die Ursprünge der sich ausbreitenden Zombieseuche zu kommen und die Welt vor Moriartys Machenschaften zu bewahren. Dr. Jekyll bzw. Mister Hyde ist technisch geschehen natürlich kein Untoter, der One Shot baut allerdings auf der vorherigen Miniserie auf, sodass Mister Hyde nicht nur als menschliches Ungeheuer, sondern als Zombie auftreten kann – wie der untote Moriarty ist er allerdings nach wie vor in der Lage, sich klar zu artikulieren. Sowohl die erste Miniserie als auch der One Shot sind durchaus kurzweilig und unterhaltsam, bleiben aber ein wenig hinter ihren Möglichkeiten zurück. Erstere verliert vor allem während der zweiten Hälfte, wenn es zunehmend apokalyptisch und zerstörerisch wird, das typische Holmes-Feeling, währende Letzterer seine Prämisse nicht wirklich gerecht wird. Unter einem Aufeinandertreffen zwischen Holmes und Jekyll/Hyde stellt man sich eine deutlich vielschichtigere, psychologisch interessantere Geschichte vor. Die Kürze des One Shots wird dem einerseits kaum gerecht, während Hydes untote Natur zwar aufgrund der Konzeption bzw. des Titels irgendwie essentiell ist, gleichzeitig aber das menschliche Böse, das Hyde repräsentiert, auf fatale Weise mindert.

Wie angesichts meiner Interessenslage nicht anders zu erwarten ist es natürlich vor allem die dritte Miniserie, die im Fokus dieses Artikels stehen soll, nicht zuletzt, weil sie direkt an diverse andere Artikel anknüpft – Draculas Auftauchen im Comic ist schließlich eines meiner hervorstechendsten Steckenpferde. „Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Dracula“ beginnt mit einer nur allzu vertrauten Szene: der Ankunft der Demeter in England. Im weiteren Verlauf erleben wir gewissermaßen, wie sich Holmes und Watson in die Handlung von Bram Stokers Roman einmischen, indem sie ermitteln, was mit der Demeter geschah, weshalb die Mannschaft zu Tode kam etc. Dabei stoßen sie natürlich früher oder später nicht nur auf Draculas Spuren, sondern auch auf seine Jäger um Abraham Van Helsing, die sich gerade mit Lucy Westenras Vampirwerdung auseinandersetzen müssen. Ab diesem Zeitpunkt entfernt sich Edginton weiter von Stokers Roman, auch wenn wir etwas später in einer Rückblende erfahren, dass sich Jonathan Harkers Aufenthalt auf Draculas Schloss genauso abgespielt hat wie im Roman. Die obligatorische Verknüpfung von Dracula mit Vlad Țepeș darf in dieser Expositionsszene natürlich ebenfalls nicht fehlen. Zudem passt Edginton die Rollen von Mina und Lucy an. Erstere begeht nach ihrer Vampirwerdung Selbstmord, während Letztere sich als Blutsaugerin emanzipiert und sowohl von Dracula als auch ihren Verehrern genug hat. Sie hilft allerdings dabei, Draculas Bräute zu beseitigen.

Wie dem auch sei, die weitere Handlungsentwicklung erinnert an einen gewissen anderen Roman, und zwar so sehr, dass dieser Comic beinahe als Prequel funktionieren könnte, würde er nur anders enden. Die Rede ist vom bereits erwähnten Meta-Crossover „Anno Dracula“ von Kim Newman. Bei Newman wie bei Edginton plant der Graf, über Queen Victoria die Macht in Großbritannien zu übernehmen. Eine weitere, erstaunliche Parallele ist der Umstand, dass Arthur Holmwood in beiden Werken auf der Seite der Vampire steht, auch wenn die Umstände ein wenig anders sind. Bei Edginton fungiert er als Drahtzieher, der alles zusammen mit Dracula geplant hat, während er in „Anno Dracula“ von Lord Ruthven aus John William Polidoris „The Vampyre“, der als Premierminister des Empires fungiert, zum Vampir gemacht wird. Der größte Unterschied ist natürlich der Ausgang, denn „Anno Dracula“ beginnt, nachdem der Graf seinen Plan bereits erfolgreich in die Tat umgesetzt hat, während dieser in „Victorian Undead“ natürlich mithilfe eines komplizierten, von Holmes ersonnen Planes vereitelt wird. Wo der zum Prinzgemahl gewordene Graf Van Helsing im Roman tötet und Sherlock Holmes in ein Lager sperrt, segnet Dracula im Comic selbst das Zeitliche.

Eine ganze Reihe von Zeichnern wirkte an „Victorian Undead“ mit, darunter Horacio Domingues, Tom Mandrake und Mario Guevara Sr., als Hauptzeichner fungiert aber zweifellos Davidé Fabbri, während die anderen drei zumeist für Flashbacks, ausgewählte Szenen oder, im Fall von Horacio Domingues, den One Shot zum Einsatz kommen. Fabbri ist mir primär als Star-Wars-Zeichner von Werken wie „Jedi Council: Acts of War“ oder „The Hunt for Aurra Sing“ bekannt, ich muss allerdings zugeben, dass mir sein Stil nicht allzu sehr zusagt, mir persönlich wirkt er eine Spur zu cartoonig und ich bin auch kein allzu großer Fan seiner Gesichter. Zudem wäre gerade in Bezug auf gotisch-düstere Atmosphäre noch Spielraum nach oben gewesen – ich denke, Tom Mandrake wäre als primärer Zeichner vielleicht die bessere Wahl gewesen. Edginton und Fabbris Dracula erinnert visuell interessanterweise an die aktuelle Marvel-Inkarnation der Figur, bei der der von Stoker beschriebene, üppige Schnauzbart fehlt und die stattdessen über lange, weiße Haare verfügt.

Fazit: „Victorian Undead“ ist ein leidlich interessantes Crossover zwischen Sherlock Holmes und diversen untoten Kreaturen, dass aber gerade in Bezug auf Dracula so gut wie keine neuen Impulse zu setzen vermag, nicht zuletzt aufgrund der inhaltlichen Parallelen zu Kim Newmans „Anno Dracula“. Vielleicht sind diese tatsächlich rein zufällig entstanden, dennoch komme ich nicht umhin mich zu fragen, ob es nicht vielleicht interessanter gewesen wäre, wenn Ian Edginton nicht einfach mit Newman zusammen ein tatsächliches Anno-Dracula-Prequel verfasst hätte.

Bildquelle

Siehe auch:
Geschichte der Vampire: Dracula – Bram Stoker’s Roman
Geschichte der Vampire: Dracula – Universals Graf
Geschichte der Vampire: Dracula – Der gezeichnete Graf
Geschichte der Vampire: Blade
Art of Adaptation: Georges Bess‘ Dracula
Art of Adaptation: Bram Stoker’s Dracula Starring Bela Lugosi
Dracula, Motherf**ker!
The Dracula Tape

Art of Adaptation: The Hellbound Heart

Halloween 2022
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Beim 1987 erschienen Film „Hellraiser“ handelt es sich um einen der seltenen Fälle, in denen ein Autor nicht einfach nur als Drehbuchschreiber oder Berater an der Filmadaption beteiligt ist, sondern das Ganze auch noch in Eigenregie umsetzt. Zustand kam diese Konstellation, weil Clive Barker mit vorherigen Adaptionen seiner Werke absolut unzufrieden war – die Umsetzung der Novelle „The Hellbound Heart“ wollte er deshalb selbst durchführen. Gerade in diesem Kontext traf Barker bei der filmischen Umsetzung einige interessante Entscheidungen. Nicht wenige, die die Novelle lesen, nachdem sie den Film gesehen haben, sind etwas erstaunt, wenn nicht gar enttäuscht, dass Pinhead (oder der „Hell Priest“; bekanntermaßen verabscheut Barker den Spitznamen Pinhead, den diese Horrorikone aber wohl nicht mehr loswird). Die deutsche Übersetzung, die den Filmtitel trägt, hat zu allem Überfluss auch noch Pinhead auf dem Cover und auch eine der englischen Ausgaben deutet Doug Bradleys ikonische Figur zumindest an, in der Geschichte selbst findet sich allerdings kaum eine Spur von ihm.

Handlung und Konzeption der Novelle
Zumindest im Groben stimmen Handlung von Novelle und Film überein: Der Hedonist Frank Cotton sucht nach neuen fleischlichen Genüssen und wird auf den sog. „Lemarchand-Würfel“ aufmerksam, der Wollust jenseits aller Vorstellungskraft verspricht. Frank gelingt es, den Würfel an sich zu bringen, sodass er die Cenobiten beschwören kann – bei diesen handelt es sich allerdings nicht, wie Frank angenommen hat, um willige, überirdisch schöne Frauen, sondern um entstellte Kreaturen, die Frank mit in ihr Reich nehmen, um ihm zu zeigen, dass Schmerz und Lust zwei Seiten derselben Medaille sind. Einige Zeit später ziehen Franks Bruder Rory und seine Frau Julia in Franks und Rorys Elternhaus ein – jenes Haus, in welchem Frank den Lemarchand-Würfel löste. Beim Einzug verletzt sich Rory und Blut tropft auf die Stelle, an der Frank bei seiner Begegnung mit den Cenobiten unwillentlich und -wissentlich etwas Ejakulat zurückließ – dies ermöglicht es Frank, dem Reich der Cenobiten zu entkommen und in die Welt der Lebenden zurückzukehren, wenn auch als geschwächtes und hautloses Etwas. Julia ist derweil in ihrer Ehe gelangweilt und unbefriedigt, sie sehnt sich nach Frank, mit dem sie kurz vor ihrer Hochzeit eine Affäre hatte. Als sie entdeckt, dass Frank noch… existiert und sich im Haus versteckt, entschließt sie sich, zuerst widerwillig, ihm zu helfen. Denn um sich zu regenerieren benötigt Frank vor allem Blut, und der attraktiven Julia ist es ein Leichtes, Männer ins Haus zu locken, damit Frank sie aussagen kann. Rorys Freundin Kirsty, die heimlich in Rory verliebt ist, schöpft allerdings Verdacht, als sie beobachtet, wie Julia fremde Männer ins Haus führt. Doch die Wahrheit, die sie bald darauf entdeckt, ist noch einmal deutlich schlimmer, denn sie entdeckt den hautlosen Frank, der sie zu töten versucht. Kirsty gelingt es, den Lemarchand-Würfel als Waffe gegen Frank zu verwenden und aus dem Haus zu entkommen. Kurz darauf bricht sie zusammen und wacht in einem Krankenhaus wieder aus. Eher aus Langweile löst auch sie den Würfel und beschwört unwillentlich einen Cenobiten, der jedoch bereits ist, Kirsty gehen zu lassen, wenn sie ihm Frank ausliefert. Also kehrt sie zurück und muss feststellen, dass Frank inzwischen Rory getötet und sich dessen Haut „angezogen“ hat. Chaos bricht aus, in welchem Frank eher versehentlich Julia tötet. Bald darauf tauchen die Cenobiten auf, um Frank zurück in ihr Reich zu holen…

Als Novelle ist „The Hellbound Heart” sehr geradlinig aufgebaut und schnörkellos erzählt. Die primären Figuren, durch deren Augen man Leser am Geschehen teilhat, sind Julia und Kirsty, aber auch an Frank Cottons Gedanken dürfen wir zumindest im ersten Kapitel teilhaben. Zugleich ist „The Hellbound Heart“ aber auch deutlich vielseitiger, als auf den ersten Blick deutlich wird. Nachdem der erste Hellraiser-Film Kultstatus erlangte, von den kontinuierlich schlechter werdenden Sequels gar nicht erst zu reden, mag das heute nicht mehr ganz so offensichtlich sein, aber Barkers Novelle ist innerhalb des „Übergenres Horror“ praktisch ein Chamäleon, das flüssig zwischen diversen Subgenres wechselt, in seinen Themen, primär der Dualität von Lust und Schmerz, aber immer konsistent bleibt. Die Novelle beginnt mit okkultem Horror und Franks Ritual, sodass man nun den Eindruck bekommen könnte, die Cenobiten seien die Monster des Werkes, dies erweist sich aber bald als Trugschluss. Daraufhin kombiniert Barker verschiedene Elemente: Spukhaus-, Vampir- und Serienkillergeschichte, von den dominanten Body-Horror-Elementen gar nicht erst zu sprechen. Diese werden in der Verfilmung natürlich noch einmal besonders betont, einerseits durch das grandiose Design der Cenobiten, aber auch durch Franks nicht minder grandiose Rückkehr in die Welt der Lebenden. Diese verläuft in der Novelle deutlich weniger spektakulär. Stets vorhanden bleibt dabei das erotische Element – und natürlich ist „The Hellbound Heart“ nach Barkers Aussage auch eine Liebesgeschichte, wenn auch eine extrem toxische, die die negativen Auswirkungen obsessiver Liebe und Lust schildert. Am Ende kehren die Cenobiten zurück und schließen damit den Kreis.

Familienbande
Handlungsverlauf und -struktur bleiben im Film größtenteils unverändert erhalten: Zu Beginn ruft Frank (Sean Chapman) die Cenobiten und wird von ihnen mitgenommen, sein Bruder und seine Schwägerin ziehen ins Haus ein, verursachen seine Rückkehr, Julia (Clare Higgins) wird zur Komplizin, Kirsty (Ashley Laurence) kommt dem allem auf die Spur und schafft es am Ende, die Cenobiten dazu zu bringen, Frank zurückzuholen. Die Änderungen finden sich vor allem in den Details und der Konzeption der Charaktere – und damit meine ich nicht den Umstand, dass Rory im Film Larry Cotton (Andrew Robinson) heißt. Für die Adaption entschloss sich Barker, das Ganze in noch stärkerem Ausmaß zu einem Familiendrama zu machen, in dem er Kirsty zur Larrys Tochter macht. Vielleicht wollte er rückwirkend Franks „Come to Daddy“, das im Film wie in der Novelle auftaucht, etwas mehr Kontext zu verleihen. Dementsprechend ändert sich auch das Alter der Figuren etwas: Es wird zwar nicht eindeutig erwähnt, aber doch impliziert, dass sich die vier Hauptfiguren alle etwa im gleichen Alter, Ende 20, Anfang 30 befinden. Im Film dagegen hat Larry nun eine erwachsene Tochter und ist damit automatisch älter, auch Julia und Frank scheinen ein paar Jahre hinzugewonnen zu haben. Davon abgesehen stimmen sie charakterlich mit der Vorlage ziemlich genau überein. Abermals ist es Kirsty, die sich am stärksten verändert hat.

Die Novellenversion ist ein ziemlich passiver Charakter, der sich vor allem durch die hoffnungslose Verliebtheit in Rory auszeichnet. Film-Kirsty dagegen wirkt deutlich aktiver und selbstbestimmter, sie ist zwar Larrys Tochter, wohnt aber nicht mehr bei ihm und hat eindeutig ihr eigenes Leben, während Buch-Kirstys Existenz sich größtenteils um Rory zu drehen scheint. Diese Unabhängigkeit wird u.a. durch ihren Freund Steve (Robert Hines) ausgedrückt, der in der Novelle natürlich nicht auftaucht. Kirstys Identität als Larrys Tochter sorgt zudem für zusätzlichen Inzest-Subtext, der in der Novelle ebenfalls nicht vorhanden ist.

Der erzählerische Kern bleibt im Film jedoch definitiv erhalten. Pinhead und die Cenobiten mögen die Poster des Films (und natürlich der Sequels) zieren, gerade in diesem ersten Film sind sie aber nur Randerscheinungen, weder Pro- noch Antagonisten, sondern fast schon passive Figuren, die nur reagieren, wenn jemand die Lemarchand-Box löst. Es ist Frank, der alles beginnt, es ist Julia, die sich entschließt, ihm zu helfen und es ist Kirsty, die schließlich die Cenobiten dazu bringt, Frank in ihr Reich zurückzuholen.

Einige Anpassungen sind zudem dem visuellen Medium geschuldet: Im ersten Kapitel erfährt man als Leser beispielsweise genau, wie Frank denkt, welche Ausmaße sein Hedonismus angenommen hat und wie und weshalb er die Lemarchand-Box in seinen Besitz gebracht hat. Der Film vermittelt diese Elemente nicht direkt über die Narration, sondern indirekt über visuelle Hinweise, beispielsweise die erotische Skulptur, die Julia im Haus findet. Auf die Hintergründe des Würfels, hier zumeist als „Lament Configuration“ bezeichnet, geht der Film zudem kaum ein, statt eines kurzen Abrisses von Franks okkulter Recherche sehen wir nur, wie er die Box in Marokko erwirbt. Manche der erwähnten Details werden dann allerdings in späteren Filmen aufgegriffen, primär in „Hellraiser: Bloodline“, dem vierten Teil, in welchem die Konstruktion der Box thematisiert und ihr Schöpfer Philippe Lemarchand (Bruce Ramsay) als wichtige Figur etabliert wird. Statt dieser Hintergründe taucht in „Hellraiser“ allerdings ein ominöser Wächter der Box in Gestalt eines insektenfressenden Obdachlosen auf, der die ganze Situation beobachtet und am Ende, als Kirsty versucht, die Box zu verbrennen, einschreitet und sich in einen aus Knochen bestehenden Drachen verwandelt.

„We Have Such Sights to Show You”
Die Beschreibung der vier Cenobiten in Barkers Novelle bleibt verhältnismäßig vage, sie werden als verstümmelt, vernarbt und größtenteils geschlechtslos beschrieben, fahlhäutig, mit Asche gepudert und von einem Vanille-Duft begleitet. Die Mischung aus S/M-Ästhetik und katholisch anmutenden Gewändern, derer sich der Film bedient, wird nicht wirklich erwähnt und entstand erst bei der visuellen Konzeption des Films. Der in diesem Jahr erschienene Reboot (der bislang in Deutschland weder stream- noch erwerbbar ist) zeigt diesbezüglich durchaus interessante Alternativen. Das Quartett, mit dem es Frank zu Beginn der Novelle zu tun bekommt, entspricht zumindest ungefähr den späteren Filmgegenstücken: Einer mit entstelltem Mund entwickelte sich im Schaffensprozess zum Chatterer (Nicholas Vince), aus dem Cenobiten mit wulstigen Narben im Gesicht wurde Butterball (Simon Bamford), ein eindeutig weiblicher entwickelte sich zum Female Cenobite (Grace Kirby) und schließlich hätten wir noch den Cenobiten mit Nadeln im Kopf, der sich schließlich zu Pinhead entwickeln sollte. Dieser Cenobit unterscheidet sich vor allem in zwei Eigenschaften von der von Doug Bradley verkörperten Horror-Ikone: Seine Stimme wird als hoch und mädchenhaft beschrieben, in Kontrast zu Bradleys beeindruckendem Bass, und er ist zudem nicht der Wortführer der Cenobiten, sondern derjenige, der am wenigsten sagt. Dass sich Letzteres im Film änderte, ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass Chatterer und Butterball aufgrund der aufwändigen Masken nicht sprechen konnten, weshalb man ihre Dialogzeilen aus der Novelle Pinhead in den Mund legte.

In der Adaption wie in der Vorlage tauchen die Cenobiten in drei Szenen auf, die Gewichtung unterscheidet sich allerdings ein wenig. Der große Auftritt des Quartetts erfolgt in der Novelle bereits am Anfang, inklusive ausführlicher Dialoge mit Frank. Der Film hingegen zeigt nur vage Eindrücke und kurze Einblendungen. Ihre tatsächliche, große Szene im Film erfolgt erst im Krankenhaus, als Kirsty die Lament Configuration löst – abermals in deutlichem Unterschied zur Novelle. Kirsty gerät im Film zuerst in das Reich der Cenobiten, wo sie von einem bizarren Monster angegriffen wird (hierzu später mehr), erst danach trifft sie auf das Quartett. In der Vorlage hingegen taucht an dieser Stelle nur ein einziger Cenobit auf, das literarische Gegenstück des Female Cenobite. Am Ende erscheinen die Cenobiten noch einmal, um Frank einzusammeln, werden in der Novelle aber vom „Ingenieur“, ihrem Anführer begleitet, dessen Beschreibung sehr vage bleibt. Im Film existiert ebenfalls ein Wesen, das als „Ingenieur“ bezeichnet wird, dabei handelt es sich allerdings um das oben erwähnte, bizarre Monster, das Kirsty durch die Gänge des Labyrinths jagt. Es sei noch zu erwähnen, dass die Cenobiten Kirsty in der Novelle, anders als in der Adaption, nicht angreifen, der Ingenieur gibt ihr lediglich die Lemarchand-Box.

Fazit: Trotz einiger größerer Änderungen ist „Hellraiser“ eine würdige Adaption der Novelle „The Hellbound Heart“. Oftmals kommt es vor, dass ein Autor, der sein eigenes Werk adaptiert, nicht gewillt ist, die nötigen Änderungen für einen funktionierenden Medienwechsel vorzunehmen, auf Clive Barker trifft das allerdings nicht zu, im Gegenteil. Mit „Hellraiser“ schuf Barker nicht nur einen vollauf gelungenen Horrorfilm, sondern, zusammen mit Doug Bradley, auch eine Ikone des Genres.

Bildquelle

Trailer

Siehe auch:
The Scarlet Gospels
Hellbound Hearts
Stück der Woche: Hellbound
Hemators Empfehlungen: Horror-Soundtracks