Story: Während Thor (Chris Hemsworth) mit den Guardians of the Galaxy durch das Universum reist, erreicht ihn eine Nachricht seiner alten Verbündeten Sif (Jaimie Alexander). Der Donnergott und sein Kamerad Korg (Taika Waititi) trennen sich von den Guardians, um Sif aufzusuchen und dem Hilferuf auf den Grund zu gehen. Von der einarmigen Asgardianerin erfährt Thor, dass eine Kreatur namens Gorr, der Götterschlächter (Christian Bale) sein Unwesen treibt und die Götter vieler Welten tötet. Und mehr noch, Gorrs nächstes Ziel ist der Zufluchtsort seines Volkes auf der Erde, regiert von Valkyrie (Tessa Thompson). Thors Ex-Freundin Jane Foster (Natalie Portman) ist derweil an Krebs erkrankt und blickt dem Tod ins Auge, da hört sie den Ruf der Trümmer Mjölnirs. Als Thor schließlich auf der Erde eintrifft, erwartet ihn Jane als Thor, die Donnergöttin – was sie aber auch zu einem Ziel für Gorr macht…
Kritik: Wer hätte angesichts der Rezeption der ersten beiden Thor-Filme jemals gedacht, dass der Donnergott nicht nur der einzige Avenger ist, der in jeder MCU-Phase einen Film bekommt, sondern auch der erste, der als Titelheld von vier Filmen fungieren darf (was angesichts des Erfolgs von „Spider-Man: No Way Home“ aber mit Sicherheit nicht lange so bleiben wird). Natürlich wäre es ohne den überwältigenden Erfolg von „Thor: Ragnarok“ sicher nicht dazu gekommen – Taika Waititis Präsenz als Regisseur ist ein wichtiger Aspekt der Vermarktung des Films. Interessanterweise zeigen sich hier bereits die Beschränkungen und Grenzen der Kombination MCU/Waititi.
Stilistisch knüpft Waititi direkt an „Thor: Ragnarok“ an: Alles ist groß, laut, bombastisch, zugleich aber auch sehr überdreht und kaum etwas wird ernstgenommen – das steht durchaus in Kontrast zu „Spider-Man: No Way Home“ und (in geringerem Maße) „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“, die beide zumindest über gewisse Strecken versuchten, authentischere emotionale Inhalte zu vermitteln. MCU-Filme bemühen sich immer um eine gewisse Balance zwischen, nennen wir es „Authentizität“ und dem als Markenzeichen des Franchise fungierenden, selbstreferenziellen Humor. Bereits in „Thor: Ragnarok“ fiel diese Balance zweifelsohne zugunsten von Letzterem aus, in „Thor: Love and Thunder“ ist sie aber praktisch kaum mehr vorhanden, es handelt sich hierbei um den bislang teuersten Improv-Comedy-Film.
Dieser Umstand wird besonders im Hinblick auf die Vorlage deutlich. Waititi und Co-Drehbuchautorin Jennifer Kaytin Robinson bedienen sich inhaltlich primär aus Jason Aarons Zeit als Thor-Autor. In den 2010er-Jahren verfasste Aaron diverse Serien und Miniserien mit dem Donnergott, sowohl Gorr, der Götterschlächter als auch Jane Foster als hammerschwingende Donnergöttin stammen auf seiner Feder. Aarons Comics sind allerdings deutlich ernster und düsterer als „Love and Thunder“. Statt so gut wie jede Thematik als Aufhänger für Humor zu verwenden, bemüht sich Aaron, die philosophischen Implikationen zu erforschen – soweit das eben in einer Mainstream-Marvel-Serie möglich ist. Während Waititi und Robinson sich der Ideen und Konzepte zumindest oberflächlich bedienen, bleibt vieles auf der Strecke. Während Jane Foster in den Comics den Hammer schwingt, hat Thor Probleme damit, unwürdig zu sein und Mjölnir nicht mehr anheben zu können, was Aaron in der Miniserie „The Unworthy Thor“ ausführlich thematisiert. Zugegeben musste sich Thor damit bereits im ersten Film von Kenneth Branagh auseinandersetzen, aber diese Miniserie zeigt einen deutlich an sich zweifelnden, introspektiven Thor, während sich das Filmgegenstück mit den Eifersüchteleien der beiden göttlichen Waffen auseinandersetzen muss. In den seltenen Momenten, in den Waititi tatsächlich versucht, ernsthaftes Drama zu inszenieren, etwa wenn es um Janes Krebserkrankung oder Gorr geht, scheitert er meistens daran. Das ist umso frustrierender, weil hier enormes Potential liegt: Gerade die Sequenzen mit Zeus (Russel Crowe) und den anderen Göttern zeigen ja, dass Gorr im Grunde sehr wohl recht hat – dieser Ansatz wird aber einfach nicht aufgegriffen. Nebenbei bemerkt: Zu Beginn des MCU wurden Thor und Co. noch als sehr mächtige und langlebige Aliens inszeniert, die von den Menschen der Erde lediglich für Götter gehalten wurden. Dieser Ansatz scheint nun endgültig passé zu sein.
Zu all dem kommt der Umstand, dass „Love and Thunder“ als Komödie deutlich schlechter funktioniert als „Ragnarok“. Die Dichte an Gags wurde zwar erhöht, die Trefferquote fällt aber deutlich niedriger aus und zudem reizt Waititi gewisse Witze bis zum Äußersten aus, seien es die mit menschlicher Stimme schreienden Böcke oder Janes Suche nach einer Catchphrase. Möglicherweise fehlt auch einfach die Präsenz von Jeff Goldblum und Tom Hiddleston. So erfrischend „Ragnarok“ nach zwei eher mäßigen Thor-Filmen auch war, so schnell hat sich der Comedy-Ansatz überholt. Vielleicht ist Thor eine Figur, die einfach alle paar Filme von Grund auf überarbeitet werden muss. „Love and Thunder“ ist zwar durchaus kurzweilig und gut anschaubar, lässt einen aber irgendwie erschöpft zurück. Das zeigt sich bereits daran, dass ich relativ lange für diese Kritik gebraucht habe und einfach nicht motiviert war, eine ausführliche Rezension zu schreiben.
Fazit: Was in „Thor: Ragnarok“ eine nötige Frischzellenkur für Marvels Donnergott war, erweist sich in „Thor: Love and Thunder“ nun als Hindernis und Ballast. Gerade weil Taika Waititi und Jennifer Kaytin Robinson sich als Vorlage thematisch und emotional durchaus vielschichtige Comics ausgewählt haben, fällt der Comedy-Ansatz dieses Mal äußerst flach aus und will nicht so recht funktionieren.
Amazons Mega-Projekt „The Lord of the Rings: The Rings of Power” rückt konstant näher, immer mehr Material wird veröffentlicht, vom Design der Orks bis hin zum Cameo-Auftritt eines sehr an die Jackson-Filme erinnernden Balrogs im jüngsten Trailer. Ich muss zugeben, dass ich dem Projekt eher zwiegespalten gegenüberstehe, manche sieht vielversprechend aus, anderes hingegen klingt hingegen eher…bedenklich (Bartlose Zwergenfrauen? So ein Blödsinn!) Dennoch halte ich absolut nichts davon, derartige Projekte hysterisch als zum Scheitern verurteilt abzutun, ich werde warten, bis die Serie startet, sie mir ansehen und sie anschließend ehrlich evaluieren. Wie dem auch sei, nicht nur für Filmmusik-Fans stellte sich lange die Frage: Wer ist für die Musik zuständig? Nach langem Warten und vielen Spekulationen und Gerüchten gab es in dieser Woche endlich die Antwort: Bear McCreary arbeitet bereits seit einem Jahr am Score der Serie, zusätzlich wird Howard Shore das Titelthema schreiben. Das klingt erst einmal sehr vielversprechend: McCreary und sein Team enttäuschen selten und die Tatsache, dass Howard Shore persönlich, der für mich und unzählige andere Mittelerde musikalisch definiert hat, beteiligt ist, scheint ebenfalls eine sehr gute Nachricht zu sein. Einige Aussagen, die McCreary in diesem Kontext tätigte, lassen allerdings stutzig werden: „As I set out to compose the score for this series, I strove to honor Howard Shore’s musical legacy. When I heard his majestic main title, I was struck by how perfectly his theme and my original score, though crafted separately, fit together so beautifully. I am excited for audiences to join us on this new musical journey to Middle-earth.” (Quelle) Das klingt ein wenig merkwürdig, tatsächlich scheint Shore erst spät dazugestoßen zu sein, als McCrearys Score schon sehr weit fortgeschritten war. Weiter impliziert diese Aussage, dass Shores Thema abseits des Intros nicht wirklich Teil des Soundtracks sein wird, vielleicht abgesehen von einigen späten Einspielern. Da werden zumindest bei mir gewisse Erinnerungen an die Komponisten-Konstellation von „Obi-Wan Kenobi“ wach… Dieses musikalische Arrangement scheint zugleich ein Gesamtindikator für diese Serie zu sein, die sich scheinbar einfach nicht entscheiden kann, ob sie nun ein Prequel zu den Peter-Jackson-Filmen sein will oder nicht.
Zusätzlich zu dieser Ankündigung wurden zwei Tracks aus McCrearys Score veröffentlicht, bei denen es sich um das eigentliche Sujet dieses Artikels handelt: Galadriel und Sauron. Die Titel der Stücke legen nahe, dass es sich hierbei um Themen-Suiten zu diesen beiden Figuren handelt. Sollte dem so sein, wird bereits deutlich, dass McCreary zwar vielleicht grob in eine tonal ähnliche Richtung geht wie Shore, wir aber wohl keine direkten Bezüge zu Shores Musik der beiden Jackson-Trilogien erwarten dürfen – beide Figuren sind in den LotR- und Hobbit-Filmen leitmotivisch en detail definiert. Galadriel wird für gewöhnlich durch das Lothlórien-Thema repräsentiert, während Sauron eine ganze Reihe von Themen, Motiven und Begleitfiguren hat, die mit ihm verbunden sind, von seinem eigentlichen Charakterthema über das Geschichte-des-Ringes-Thema (beide beginnen mit demselben Halbtonschritt), der absteigenden Terz bis hin zu den Nekromanten-Motiven aus der Hobbit-Trilogie usw.
Der Track Galadriel beginnt mit vage keltisch anmutenden Harfenklängen und sanftem Frauenchor, bevor die Hörner mit Unterstützung der Flöten eine sehr angenehme Melodie anstimmen (das Kernmotiv von Galadriels Thema?). Anschließend übernehmen Streicher und Chor die Melodie, die um die Zweiminutenmarke herum an Intensität gewinnt. Im letzten Drittel wird das Thema getragener und epischer, nicht zuletzt dank des Einsatzes mächtiger Pauken, bevor am Ende hohe Streicher, Harfe und Chor einen zärtlichen Abschluss anstimmen.
Sauron beginnt mit frenetischen Streichern und tiefem Chor, der wahrscheinlich in der Schwarzen Sprache Mordors singt – es würde mich schon sehr wundern, wenn McCreary und die Verantwortlichen nicht zumindest die Tradition, die Chöre in Tolkiens Kunstsprachen singen zu lassen, fortführten. Gewisse Parallelen zu Shores Musik für die Nazgûl lassen sich nicht von der Hand weisen, mehr klingt dieser Track allerdings wie eine Fortführung des Sounds von McCrearys „God of War“ – der Score dieses Spiels war ebenfalls sehr chorlastig. Eigenheiten aus Shores Musik für Mittelerde kehren hier in größerem Ausmaß zurück, sowohl die Streicherfiguren in der Begleitung als auch der Einsatz der Schlagzeuginstrumente rufen zumindest vage Erinnerungen an die Scores der Filme hervor. Ab der Hälfte wird der Männerchor von einem Frauenchor abgelöst und leitet in eine eher tragisch klingende, weniger finster anmutende Passage über, die aber nicht lange vorhält, schon ab 1:40 kehren Männerchor und donnernde Percussions zurück, die abermals Erinnerungen an die Nazgûl und Moria hervorrufen.
Spoiler!
Die Idee, Ewan McGregor als Obi-Wan Kenobi zurückkehren zu lassen und mit ihm eine wie auch immer geartete Geschichte zwischen „Revenge of the Sith“ und „A New Hope“ zu erzählen, geistert im Grunde bereits seit der Disney-Übernahme durch das Fandom. Erst dachte man an einen Spin-off-Film im Stil von „Rogue One“, nach dem Erfolg von „The Mandalorian“ und der gewaltigen Serienexpansion wurde es dann jedoch schließlich eine sechs Episoden umfassende Miniserie (die eventuell eine zweite Staffel erhält, da Kritiker und Fans zwar gespalten sind, aber die Zuschauerzahlen stimmen). Von Drehbuchautor Stuart Beattie wissen wir inzwischen, dass in der Tat ursprünglich ein Film (bzw. sogar eine Trilogie) angedacht war, für die Beattie den Entwurf verfasste. Nachdem „Solo“ jedoch hinter den Erwartungen zurückblieb, entschied man sich bei Lucasfilm, das Format zu wechseln und Beatties Geschichte – mit massiven Änderungen, versteht sich – im Rahmen einer Serie zu erzählen. Die kanadische Regisseurin Deborah Chow, die bereits zwei Episoden von „The Mandalorian“ inszeniert hatte, wurde als Regisseurin aller sechs Episoden verpflichtet. Besondere Anziehungskraft auf Prequel-Fans entwickelte die Serie, als man verkündete, nicht nur Ewan McGregor, sondern auch Anakin-Darsteller Hayden Christensen zurückbringen zu wollen.
Handlung
Der ehemalige Jedi-Meister Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor) lebt nach dem Fall des Ordens unter dem Namen Ben im Exil auf Tatooine, um über Luke Skywalker (Grant Feely) zu wachen. Die Monotonie seines Alltags wird erst unterbrochen, als Inquisitoren des Imperiums auftauchen, um einen weiteren Ex-Jedi aufzuspüren, der sich auf dem Planeten verbirgt. Obi-Wan kann den Agenten des Imperators zwar entgehen, doch noch mehr Unheil braut sich zusammen: Prinzessin Leia (Vivien Lyra Blair), Ziehtochter von Obi-Wans altem Verbündetem Bail Organa (Jimmy Smits) wird entführt, woraufhin Bail sich persönlich nach Tatooine begibt, um Obi-Wan um Hilfe zu bitten. Der ehemalige Jedi zögert zuerst, erklärt sich dann jedoch bereit, Leia ausfindig zu machen. Das Mädchen wird auf dem Planeten Daiyu gefangen gehalten. Obi-Wan gelingt es, die dortige imperiale Festung zu infiltrieren und Leia zu befreien, dabei findet er jedoch heraus, dass die Entführung spezifisch dazu inszeniert wurde, um ihn aus dem Versteckt zu locken. Eine Inquisitorin, Reva alias die Dritte Schwester (Moses Ingram), scheint nicht nur besonderes Interesse an Obi-Wan zu haben, sie eröffnet ihm auch, dass sein ehemaliger Schüler Anakin Skywalker (Hayden Christensen) noch am Leben ist. Dieser terrorisiert als Darth Vader (Stimme: James Earl Jones) die Galaxis und hat natürlich seinerseits enormes Interesse daran, seinen ehemaligen Meister endlich zu vernichten. Obi-Wan und Leia gelingt derweil die Flucht nach Mapuzo, wo sie von der abtrünnigen imperialen Offizierin Tala Durith (Indira Varma) unerwartet Hilfe erhalten. Doch Vader kann nichts aufhalten: Während es zu einer weiteren Konfrontation zwischen ihm und Obi-Wan kommt, gelingt es Reva, Leia erneut gefangen zu nehmen und sie nach Nur zum Hauptquartier der Inquisitoren zu bringen. Obi-Wan und Tala suchen auf Jabiim derweil die Hilfe einer Rebellenzelle, um Leia aus den Klauen des Imperiums zu befreien…
Konzeption und Struktur
In meiner Rezension zu „The Book of Boba Fett” schrieb ich, dass sich diese Serie anfühlt, als basiere sie weniger auf einem soliden erzählerischen Konzept und mehr auf einer fixen Idee mit mangelhafter Ausarbeitung – bei „Obi-Wan Kenobi“ verhält es sich meinem Empfinden nach relativ ähnlich. Die Idee lautet: „Obi-Wan und Vader: Rematch“. Um dieses Konzept sowie einige Elemente, die damit einhergehen ist die Serie aufgebaut. Tatsächlich finden sich zwei Begegnungen zwischen Obi-Wan und Vader, die die Serie relativ symmetrisch Strukturieren: Das erste findet in Episode 3, quasi als Mid-Season-Finale statt, das zweite natürlich in der finalen Episode 6. Das erste Duell markiert dabei den Tiefpunkt unseres Protagonisten, das zweite die endgültige Rückkehr zur alten Form. Soweit, so gut – das primäre Problem der Miniserie ist allerdings das ganze Drumherum, will heißen: die eigentliche Story, die oft so wirkt, als sei sie nicht aus sich selbst heraus erzählenswert, sondern diene eben dazu, die Figuren in bestimmte, angestrebte Situationen zu bringen. Dementsprechend ist Plot Convinience ein massives Problem. Star Wars hat diesbezüglich eine lange Tradition, aber gerade hier fällt es zumindest mir extrem unangenehm auf: Diverse Figuren werden zum Teil mehrfach erstochen, ohne dass es größere Konsequenzen gäbe, tauchen plötzlich an Orten auf, die sie eigentlich nicht hätten erreichen dürfen, tun die naheliegendsten Dinge nicht oder kommen, im Gegenteil, Plotelementen durch extrem weitgeholte Kombination auf die Schliche. Besonders Reva scheint immer wieder Opfer der schlechten Drehbücher zu sein: Nicht nur wird sie zwei Mal erstochen, ihre finale Aktion auf Tatooine ergibt keinerlei Sinn.
Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor)
Auf mich wirkt das Format, das man letztendlich für diese Serie gewählt hat, in jeder Hinsicht falsch. Entweder hätte Lucasfilm diese Geschichte tatsächlich als sauber strukturierten Film erzählen müssen, oder aber eine deutlich längere Serie machen, die die angerissenen Themen wie das Vermächtnis der Jedi in der Galaxis oder Obi-Wans Trauma tatsächlich ausarbeitet – mit sechs Episoden wirkt die Miniserie wie nichts Halbes und nichts Ganzes. „Obi-Wan Kenobi“ ist langsam und holprig erzählt und wirkt, trotz inhaltlicher und struktureller Anpassungen, eben wie das Drehbuch eines Films, das auf sechs Episoden ausgedehnt wurde. Vieles ist redundant, unnötig in die Länge gezogen oder schlicht doppelt: Dass Obi-Wan Leia aus imperialer Gefangenschaft rettet, ist ja in Ordnung, aber gleich zwei Mal? Mit dieser Ansicht bin ich alles andere als alleine: Ähnlich wie bei den Hobbit-Filmen und einigen anderen größeren Franchise-Projekten hat „Obi-Wan Kenobi“ bereits einige Hobby-Editoren dazu veranlasst, die Miniserie zu einem Film umzuschneiden, Einblicke finden sich beispielsweise hier und hier.
Nicht unbedingt hilfreich ist, dass „Obi-Wan Kenobi“ auch im Bereich Regieführung einige Probleme aufweist, wobei ich oft nicht einmal wirklich genau den Finger darauf legen kann, was genau stört – manches wirkt einfach leicht daneben, merkwürdig in Szene gesetzt oder steif inszeniert. Mitunter könnte man auch auf den Gedanken kommen, dass Deborah Chow mit der Volume-Technologie nicht völlig zurechtkommt und sie zu vollem Effekt zu nutzen weiß, ich kann mich allerdings nicht daran erinnern, dass es bei den von ihr inszenierten Folgen von „The Mandalorian“ ähnliche Probleme gegeben hätte. Das betrifft oft auch Action: Wie viel wurde bereits über die beiden missglückten und schlecht inszenierten Verfolgungsjagden gesagt und geschrieben, und auch der Angriff des Imperiums auf die Rebellenfestung lässt zu wünschen übrig.
Gerade bezüglich der Effekte und Schauwerte ist „Obi-Wan Kenobi“ zudem ein deutlicher Schritt zurück, gerade im Vergleich zur zweiten Mandalorian-Staffel oder „The Book of Boba Fett“. Man kann über letztere Serie sagen, was man möchte, aber mit Schauwerten wurde nicht gegeizt, seien es die beeindruckenden Panoramen von Mos Espa oder die fantastisch umgesetzte Ringwelt. Die Planeten, die wir in „Obi-Wan Kenobi“ besuchen, sind im Vergleich dazu deutlich uninteressanter, ja geradezu langweilig – und das, obwohl „Obi-Wan Kenobi“ noch einmal ein deutlich höheres Budget hatte als die vorherigen Serien. Gab es Probleme hinter den Kulissen? Wahrscheinlich. Waren Ewan McGregor und Hayden Christensen so teuer? Sehr gut möglich. Generell wissen die Special Effects leider nur teilweise zu überzeugen und nie zu beeindrucken.
Anakin vs. Obi-Wan?
Interessanterweise liegt die größte Stärke von „Obi-Wan Kenobi“ bei der Charakterisierung und Umsetzung der Hauptfigur. Ein Großteil davon ist natürlich Ewan McGregor zu verdanken. Trotz der negativen Rezeption der Prequels gehörte McGregors Darstellung des klassischen Jedi-Meisters zu den Aspekten, die fast durchgehend gelobt wurden – in „Obi-Wan Kenobi“ zeigt sich ein weiteres Mal, weshalb. McGregor kehrt mühelos in seine Paraderolle zurück und wirkt in jeder Minute überzeugend. Zu Beginn der Serie erleben wir einen Obi-Wan, der ganz unten angekommen ist, gefangen in der Routine seines Exils und konstant mit seinem Trauma hadernd. Auf Luke aufzupassen ist das Einzige, das seinem Leben noch Sinn gibt. Ganz im Sinne der klassischen Heldenreise-Thematik muss er von Bail Organa regelrecht gezwungen werden, sich auf die Leia-Rettungsmission zu begeben. Und selbst hier im Einsatz ist er weit von seinem alten Selbst entfernt, ähnlich wie Luke in „The Last Jedi“ scheint sich Obi-Wan zumindest partiell von der Macht abgekapselt zu haben. Dementsprechend gravierend fällt dann auch seine erste Niederlage gegen Vader aus. Erst danach gelingt es ihm, zu alter Form zurückzukehren und Vader bei der zweiten Begegnung sogar zu besiegen. Prinzipiell ist das keine schlechte Charakterentwicklung und sie funktioniert vor allem immer dann, wenn Ewan McGregor die Gelegenheit bekommt, ihr Potential in den ruhigeren Charaktermomenten auszuschöpfen. Leider wirkt die holprige Erzählweise der Serie dem manchmal entgegen und nur allzu oft wird die Aufmerksamkeit durch redundante Erzählstränge von Obi-Wan abgelenkt.
Darth Vader (Hayden Christensen/James Earl Jones)
Hayden Christensens Rückkehr als Anakin/Darth Vader ist freilich das andere große Verkaufsargument dieser Serie. Tatsächlich finde ich persönlich es sehr schön, wie Christensen nun, genau zwanzig Jahre nach seinem Debüt als Anakin, auf diese Weise vom Fandom akzeptiert wird, nachdem er zu den Schauspielern gehört, die in der Rezeption der Prequels absolut nicht gut wegkamen. Zwar steckt Christensen in „Obi-Wan Kenobi“ auch unter Vaders Maske, bekommt hier aber kaum die Chance, sein Talent zu zeigen, nicht zuletzt weil die Stimme immer noch James Earl Jones gehört, wenn auch nachbearbeitet. Tatsächlich bediente man sich wohl derselben Technologie, mit der auch die Stimme des jungen Luke in „The Mandalorian“ und „The Book of Boba Fett“ rekonstruiert wurde, allerdings scheint sie inzwischen noch ausgereifter zu sein, denn Vader klingt tatsächlich fast genauso wie in der OT. Das aber nur am Rande – Christensen bekommt in der fünften Episode die Gelegenheit, noch einmal in die Rolle des Padawan Anakin Skywalker zu schlüpfen. Dieses Mal entschied man sich, die Verjüngungsmaßnahmen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren – während Ewan McGregor wirklich kaum zu altern scheint, wirkt Anakin doch deutlich älter als 19 – zugleich entsteht so aber auch kein unangenehmer Uncanny-Valley-Effekt. Und man kann es nicht leugnen, Christensen gelingt es trotz allem, die jugendliche Energie seine Rolle zu vermitteln. Nicht minder kraftvoll ist seine Performance im finalen Duell, in welchem er mit zerstörter Maske als „Anakin/Vader-Mischling“ auftreten darf – diese Szene wäre allerdings deutlich kraftvoller gewesen, hätte es nicht beinahe dieselbe bereits in „Star Wars Rebels“ gegeben.
Senatoren, Inquisitoren und andere Unruhestifter
Neben Obi-Wan und Anakin finden sich noch eine Reihe weiterer Rückkehrer aus den Prequels, primär Joel Edgerton und Bonnie Piesse als Owen und Beru Lars, Jimmy Smits als Bail Organa und, in kleinen Cameo-Auftritten, Temuera Morrison als Klon der 501. Legion, Ian McDiarmid als Darth Sidious und Liam Neeson als Qui-Gon Jinn. Dazu gesellen sich neue Darsteller in bekannten Rollen, primär Vivien Lyra Blair als zehnjährige Prinzessin Leia und Rupert Friend als der aus „Star Wars Rebels“ bekannte Großinquisitor. Weitere essentielle Neuzugänge sind Moses Ingram als Reva, Indira Varma als Tala Durith und Kumail Nanjiani als „Fake-Jedi“ Haja Estree. Im Großen und Ganzen sind zumindest die bekannten Figuren, mit einer Ausnahme, ziemlich gut umgesetzt, die Gastauftritte fügen sich logisch und sinnvoll in die Handlungskonstruktion ein, gerade Temuera Morrisons kleiner Auftritt ist ein wirklich kraftvoller Moment, von Ian McDiarmid und Liam Neeson hätte ich gerne mehr gesehen. Vivien Lyra Blair, die bereits in dem Netflix-Film „Birdbox“ ihr Debüt feierte, liefert eine wirklich gute Performance ab. Das eine oder andere Mal klingen ihre Dialoge vielleicht ein wenig zu erwachsen, aber dafür kann die Schauspielerin natürlich nichts. Man könnte kritisieren, dass die Handlunskonzeption diesbezüglich manchmal vielleicht etwas zu sehr an „The Mandalorian“ erinnert, schon wieder haben wir einen Einzelgänger, der sich (widerwillig) um ein Kind kümmern muss, aber zugleich sind Grogu und Leia als Figuren verschieden genug, dass das nicht allzu sehr ins Gewicht fällt. Zugegebenermaßen hätte ich mir gewünscht, dass nicht unbedingt Leia der Auslöser für Obi-Wans kurzzeitige Rückkehr auf die Bühne der Galaxis ist, aber nun ja…
Reva (Moses Ingram)
Im Gegensatz dazu funktioniert der Großinquisitor für mich in dieser Inkarnation überhaupt nicht. Das liegt zum einen daran, dass er für meinen Geschmack deutlich zu menschlich aussieht, das Make-up erinnert eher an hochwertiges Cosplay, die Pau’aner in „Revenge of the Sith“ sahen da deutlich beeindruckender aus. Zum anderen kann ich mich auch mit Rupert Friends Darstellung nicht wirklich anfreunden – zu pompös, zu aufgesetzt. Wäre es nach mir gegangen, hätte man den Großinquisitor mit Jason Isaacs besetzt, der der Figur in „Star Wars Rebels“ ihre Stimme verlieh und nochmal ein ganz anderes Level an Gravitas mitgebracht hätte. Insgesamt sind die Inquisitoren nicht allzu gelungen – bereits in „Rebels“ waren sie nicht besonders furchterregende oder ernstzunehmende, aber hier wirken sie noch einmal inkompetenter. Reva alias die Dritte Schwester hat sich diesbezüglich besonders mal wieder zu einer Figur entwickelt, die das Fandom enerviert – und wie üblich zeigt es sich dabei von seiner hässlichsten Seite. Es ist völlig in Ordnung, eine schauspielerische Leistung oder die Konzeption einer Figur sachlich zu kritisieren, entsprechende Schauspielerin dann aber auf Social Media mit rassistischen Kommentaren niederzumachen absolut nicht. Ich bin zugegebenermaßen nicht der größte von Fan Reva, aber Moses Ingram trägt dafür nun wirklich nicht die Verantwortung. Auf mich wirkt sie konzeptionell ähnlich wie Kylo Ren, gewissermaßen eine unwillige Anhängerin der Dunklen Seite, allerdings mit deutlich handfesterer Motivation: Infiltrieren der Inquisition, um an Vader heranzukommen. In diesem Kontext ist auch Ingrams etwas überdrehtes Spiel in den frühen Episoden verständlich: Reva kompensiert. Aber auch hier schadet die suboptimale Erzählstruktur und die ungeschickte Inszenierung der Serie dem Handlungsbogen – vor allem, was die Auflösung angeht. Es ist auf konzeptioneller und thematischer Ebene gut verständlich, weshalb Reva Luke töten möchte, da es sehr gut die Order-66-Flashbacks widerspiegelt: Reva ist genau zu dem geworden, was sie eigentlich vernichten wollte. Handlungslogisch ergibt dieser Abstecher allerdings keinerlei Sinn und lenkt nur vom eigentlich Kern und der Obi-Wan/Vader-Begegnung ab.
Verordnung im Franchise
Die Einordnung von „Obi-Wan Kenobi“ im Franchise ist in mehr als einer Hinsicht eine recht interessante Angelegenheit, sowohl im Bezug auf die Filme, als auch auf frühere Legends-Werke. In Episode IV erhalten wir einige mehr oder weniger nebulöse Angaben zur Vorgeschichte: „When I left you I was but the learner. Now I am the master.“ Diese Aussage impliziert eine Niederlage Vaders gegen Obi-Wan; bisher wurde sie primär auf „Revenge of the Sith“ bezogen, „Obi-Wan Kenobi“ rekontextualisiert dies (und vieles andere) aber nun natürlich. Und irgendwann muss Obi-Wan natürlich auch erfahren haben, dass Anakin ihr Duell überlebt hat, denn in „A New Hope“ ist er sich dessen sehr bewusst. In wie fern das alles, auch in Hinblick auf die Beziehung zwischen Obi-Wan und Leia, passend ist, ist diskutabel, das war es aber auch schon bei „Revenge of the Sith“. Der Wortwechsel zwischen Vader und Obi-Wan in der sechsten Episode der Serie bemüht sich jedenfalls sehr, die Fronten zu klären: Vader legt dar, dass nicht Obi-Wan versagt hat, sondern dass er, Vader, Anakin getötet habe, woraufhin Obi-Wan beginnt, ihn „Darth“ zu nennen, wie er es auch in Episode IV tut.
Owen Lars (Joel Edgerton)
„Obi-Wan Kenobi“ ist auch insofern interessant, da es im Legends-Bereich quasi direkte Gegenstücke gibt – zumindest im Bezug auf Star-Wars-Serien durchaus ein Novum. Zwar findet kein Rematch zwischen dem Ex-Jedi und seinem Padawan statt, aber es finden sich einige konzeptionell ähnliche Romane. Primär wären das John Jackson Millers „Kenobi“ und die Kinderbuchreihe „The Last of the Jedi“ von Jude Watson. In Ersterem macht Obi-Wan eine ähnliche Charakterentwicklung durch und lernt, mit den Ereignissen aus „Revenge of the Sith“ umzugehen, allerdings ohne dabei Tatooine zu verlassen. „Kenobi“ ist eine sehr begrenzte, „kleine“ Geschichte, in der es, neben Obi-Wans Trauma, primär um einen Konflikt zwischen Feuchtfarmern und Tusken geht. Im Gegensatz dazu verlässt Obi-Wan in „The Last of the Jedi“ sein Exil, verbündet sich mit einem anderen Order-66-Überlebenden namens Ferus Olin und bekommt es auch mit Inquisitoren zu tun – das Konzept dieser Jedi-Jäger stammt ursprünglich aus den Legends-Werken, auch wenn sie sich von ihren Disney-Gegenstücken durchaus unterscheiden. Dass Anakin/Vader überlebt hat und als Cyborg durch die Gegend marschiert, erfährt Obi-Wan zudem in James Lucenos „Dark Lord: The Rise of Darth Vader“ – in diesem Roman nimmt auch Qui-Gon Jinns Machtgeist zum ersten Mal mit ihm Kontakt auf. Es sei zudem zu erwähnen, dass sich Qui-Gon in Legends nie körperlich manifestieren konnte, er war immer nur zu hören. Neben dem Rematch findet sich der größte Unterschied zwischen Kanon und Legends in dem Umstand, dass alle dieser Obi-Wan-Geschichten relativ kurz nach „Revenge of the Sith“ spielen, während zwischen Film und Serie zehn Jahre liegen.
Zudem baut „Obi-Wan Kenobi“ eine ganze Reihe an Verweisen zum Disney-Kanon und sogar zu diversen Legends-Werken ein. Die Basis der Inquisitoren stammt beispielsweise aus „Jedi: Fallen Order“ – tatsächlich wirkt die vierte Episode fast wie die Verfilmung einer Mission dieses Spiels. Die Legends-Anspielungen sind zumeist etwas subtiler, die Serie etabliert, dass Quinlan Vos, wie in Legends, Order 66 überlebt hat und etabliert zudem mehr oder weniger die Existenz des Post-Endor-Jedi-Ritters Corran Horn. Der Planet Jabiim, auf dem die Handlung der fünften Episode stattfindet, hat in den Republic-Comics der frühen 2000er zudem eine besondere Bedeutung, dort kämpft Anakin in einer ihn stark prägenden Schlacht, während Obi-Wan von den Separatisten gefangengenommen und an Asajj Ventress ausgeliefert wird. Die Serie benutzt allerdings nur diesen Namen.
Soundtrack
Wie bei vielen anderen Aspekten von „Obi-Wan Kenobi“ gab es auch bei der Musik einige Probleme hinter den Kulissen. Als Komponistin wurde Natalie Holt ausgewählt, die sich mit dem ebenso gelungenen wie kreativen Score der MCU-Serie „Loki“ einen Namen machen konnte. Deutlich später wurde dann verkündet, John Williams höchstpersönlich werde, wie schon bei „Solo“, ein Thema für die Hauptfigur beisteuern. Holt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen großen Teil der Musik für die Serie komponiert. Auf Williams Empfehlung (oder Anweisung) hin zog man William Ross, einen langjährigen Williams-Mitarbeiter hinzu, der beispielsweise bereits bei „Harry Potter and the Chamber of Secrets“ ausgeholfen hatte, um Williams‘ neues Thema für die entsprechenden Szenen zu adaptieren. Zusätzlich oblag es Ross, einige der klassischen Star-Wars-Leitmotive unterzubringen. Wie aus einem Interview mit Holt hervorgeht, wussten sowohl sie als auch Deborah Chow lange nicht, ob die ikonischen Themen überhaupt verwendet werden durften, weshalb Holt auf die verzichtete. Auch hier war es anscheinend Williams selbst, der anregte (oder verlangte), sie auf ein Minimum bzw. auf die letzte Folge zu beschränken. So sehr ich Williams auch als Komponisten und musikalischen Geschichtenerzähler schätze, diese Entscheidung halte ich für völlig verkehrt.
Der Großinquisitor (Rupert Friend)
Aber betrachten wir zuerst das neue Obi-Wan-Thema. Entgegen anderslautender Behauptungen hatte Obi-Wan in „A New Hope“ tatsächlich ein eigenes Leitmotiv – nur dass dieses Leitmotiv sehr schnell zum Thema der Macht insgesamt „mutierte“ und diese auch heute noch repräsentiert – in der ursprünglichen Partitur wird es jedoch als „Ben’s Theme“ bezeichnet. Das neue Williams-Thema passt sich hervorragend in das leitmotivische Netz des Franchise ein, ähnlich wie bei Reys Thema gibt es viele Anknüpfungspunkte zu anderen Themen der Saga, primär natürlich dem Machtthema. Darüber hinaus verströmt es ein gewisses wagnerianisches Flair, mich persönlich erinnerte es beim ersten hören an Siegfrieds Thema aus dem „Ring des Nibelungen“ (am besten zu hören in Siegfrieds Trauermarsch), allerdings weniger heroisch und eher traurig und introspektiv.
Bei den Stücken, die auf dem offiziellen Album zu finden sind, wird eindeutig zugeordnet, welche von Holt und welche von Ross stammen – wie zu erwarten war, taucht das Williams-Thema nur in den Ross-Tracks auf. Diese klingen insgesamt auch in deutlich stärkerem Ausmaß nach Williams, während sich Holt eher modernerer Stilmittel bedient – sowohl Synth-Elemente als auch exotische Instrumentierung zur Repräsentation verschiedener Schauplätze spielen hier eine deutlich größere Rolle. Das sorgt dafür, dass beide Teile des Scores stilistisch nie so recht zusammenfinden wollen. Holts Musik ist keinesfalls schlecht, für meinen Geschmack allerdings teilweise etwas unpassend: Es ist durchaus angemessen, dass Serien wie „The Mandalorian“ oder „The Book of Boba Fett“ in einem individuellen, moderneren Stil komponiert sind, gerade bei dieser Serie, die so von den Prequels abhängig ist, wäre es in meinen Augen wichtig gewesen, diesen Umstand durch die Musik auszudrücken.
Und damit wären wir auch schon bei der Verwendung der altbekannten Themen: Wie essentiell diese sind, wird erst so richtig klar, wenn sie fehlen. Dieser Umstand trägt zumindest für mich oft zu der Wahrnehmung bei, dass bei der Inszenierung einfach etwas nicht stimmt. Holt liefert durchaus neue Themen für bekannte Figuren, etwa für Leia oder Vader (letzteres Motiv ist irgendwo zwischen dem Rhythmus des Imperialen Marsches und des ursprünglichen Vader-Motivs aus Episode IV), zusätzlich zu dem einen oder anderen völlig neuen Motiv, etwa für die Inquisitoren. Diese sind allerdings selten mehr als funktional. Hin und wieder finden sich subtile Andeutungen, Vaders neues Thema scheint sich im Verlauf des Scores immer weiter dem Imperialen Marsch zu nähern, sehr gut vernehmbar in Empire Arrival, gegen Ende von No Further Use taucht bereits eine kurzen Andeutung des Imperialen Marsches auf (an die ich mich in der Serie selbst aber nicht erinnern kann) und in First Rescue baut Ross einen kurzen Hinweis auf den Main Title ein.
Tala Durith (Indira Varma)
Tatsächliche, volle Statements der ikonischen Themen finden sich am Ende von Overcoming the Past (Imperialer Marsch) und Saying Goodbye (Machtthema und Leias Thema). Ich verstehe die Idee, sich die „großen Themen“ bis ganz zum Schluss aufzuheben, das kann durchaus gut funktionieren, ein Beispiel wäre etwa David Arnolds „Casino Royale“. Da der Imperiale Marsch aber bereits zuvor in den Prequels Verwendung fand, überzeugt mich die Argumentation, Vader müsse sich sein ikonisches Leitmotiv erst verdienen, absolut nicht. Vor allem ist „Obi-Wan Kenobi“ für mich eine verpasste Chance: Während die Themen der OT in den Sequels ausgiebig (und mal mehr, mal weniger gelungen) verarbeitet wurden, zeigte man sich in den Disney-Produktionen gegenüber den Prequel-Themen zumeist sehr stiefmütterlich, der kurze Einsatz von Duel of the Fates in „Solo“ war praktisch das höchste der Gefühle. Anakins oder Qui-Gons Thema hätten sich wirklich ideal angeboten und der Umstand, dass im großen Duell zwischen Vader und Obi-Wan keine neue Variation von Battle of the Heroes erklingt, ist fast schon kriminell. Man merkt, dass Ross im entsprechenden Stück, I Will Do What I Must, versuchte, etwas an Duel of the Fates oder Battle of the Heroes erinnerndes zu schreiben, aber es wirkt eben doch wie eine bloße Nachahmung.
Fazit: „Obi-Wan Kenobi“ ist eine ebenso zwiespältige wie frustrierende Erfahrung. Einerseits ist viel Potential vorhanden und zudem bietet die Serie vor allem eine grandiose Rückkehr von Ewan McGregor und anderen Prequel-Darstellern wie Jimmy Smits, Joel Edgerton oder Hayden Christensen. Andererseits geht aber viel durch suboptimale Inszenierung, holprige Erzählweise, Mangel an Fokus und schlichte Redundanz verloren. Irgendwo in dieser aufgeblähten Miniserie steckt ein guter Film, wie einige kreative Fans bereits bewiesen haben…
„The Battle of the Five Armies” ist der einzige Mittelerde-Film, der ohne einen der eigentlichen Handlung vorgesetzten und von ihr separierten Prolog auskommen muss. Da „The Desolation of Smaug“ mit einem Cliffhanger endet, fühlt sich die Eröffnungsszene des dritten Hobbit-Films immer eher an, als gehöre sie noch zum Vorgänger, ohne dabei aber dieselbe Wirkung zu erzielen wie ein „regulärer“ Prolog. Dieser Umstand wirkt sich natürlich auch auf die Musik aus: Die Prologszenen boten Shore stets interessante Möglichkeiten, eben weil sie von dem, was direkt danach kam, separiert sind. In den beiden Eröffnungsfilmen der jeweiligen Trilogie nutzte Shore die Prologe ähnlich wie eine Ouvertüre und etablierte bereits früh eine ganze Menge an leitmotivischem Material, das erst später im Film oder gar in den Folgefilmen wichtig werden sollte, während er im jeweils zweiten Film die Gelegenheit bekam, zu einem früheren Schauplatz noch einmal kurzzeitig zurückzukehren, sei es Moria oder Bree. In „The Return of the King“ präsentierte Shore schließlich eine Frühform des Auenlandmaterials für die Proto-Hobbits Sméagol und Déagol. In Fire and Water (ein weiterer Track, der direkt nach einem Kapitel des Romans benannt ist) führt Shore dagegen einige der leitmotivischen Fäden von „The Desolation of Smaug“ zur Kulmination.
Zwischen Alben- und Filmversion gab es bereits beim Vorgänger immer größere Unterschiede, diese Tendenz verstärkt sich im Hobbit-Finale noch weiter – der Musik-Schnitt wird von Film zu Film in dieser Trilogie schlechter. Da es immer umständlicher wird, auf Unterschiede zwischen Film- und Albenversion hinzuweisen, werde ich das nur noch in ausgewählten Einzelfällen tun – ansonsten behandle ich die Stücke auf dem Album als die von Shore intendierte Version. Fire and Water ist da bereits ein exzellentes Beispiel – ich vermute, dass auch diese Sequenz bis kurz vor Kinostart immer wieder umgeschnitten wurde, was zur Diskrepanz zwischen Film und Album geführt haben dürfte: Musikschnipsel des Films fehlen auf dem Album und umgekehrt; immer wieder wirkt es, als hätten Jackson und Co. einfach die Pausetaste gedrückt, weshalb der natürliche Fluss der Musik unterbrochen wird.
Sofort zu Beginn des Tracks hören wir, dass sich der Drache nähert, es braucht gerade einmal etwas über 20 Sekunden, bis die B-Phrase und das charakteristische Ostinato von Smaugs Thema erklingen. Als Zuschauer bzw. Zuhörer nehmen wir hier die Perspektive der Menschen von Esgaroth ein, weshalb die Musik des Drachen zu Anfang noch subtiler und weiter entfernt ist, aber rasch näher kommt. Zum ersten Mal in dieser Filmtrilogie wird die Einblendung des Titels „The Hobbit“ zudem nicht von einer Variation des Auenlandthemas begleitet, sondern von einem Fragment des Drachenleitmotivs (0:53). Sobald das erledigt ist, steigert sich die Intensität des Drachenmaterials, das bei 1:21 kurz vom Motiv „The Politicans of Lake-town“ (nach Doug Adams) unterbrochen wird, als der Meister von Esgaroth und Alfrid versuchen, die Staatskasse vor dem anrückenden Ungetüm in Sicherheit zu bringen – dementsprechend gehetzt ist das Statement und wird auch sofort wieder von Smaugs Begleitfigur bei 0:28 überlagert. Ein erster zorniger Ausbruch der A-Phrase erklingt bei 1:50, nur um allerdings direkt in das Girion bzw. Drachentöter-Thema überzugehen. Bereits hier zeigt sich, dass Fire and Water ein faszinierender Spiegel des Tracks My Armor Is Iron darstellt: Nicht nur haben beide eine ähnliche Laufzeit, sie stellen ein Duell des Smaug-Themas mit jeweils einer Motivgruppe dar, in My Armor Is Iron kämpfte die musikalische Repräsentation des Drachen mit den Themen der Zwerge, hier sind es die verschiedenen Themen Bards des Bogenschützen.
Bei der Zweiminutenmarke kehren wir sofort wieder zu Ostinato und ansteigender B-Phrase zurück, bei 2:23 entlädt sich schließlich der volle Zorn des feuerspeienden Reptils in einem mächtigen Statement der A-Phrase, die sich bei 2:50 wiederholt. Und abermals folgt darauf direkt bei 3:06 das Drachentöter-Thema, rein und klar von Blechbläsern gespielt, als Bard endlich seine Bestimmung erkennt und sein Erbe annimmt. Bei 3:21 geht es in die bislang stärkste Variation des eigentlichen zentralen Leitmotivs dieser Figur über, das Thema für Bard, den Bogenschützen, das in „The Desolation of Smaug“ oft eine etwas zwielichtige Färbung hatte, nun aber endgültig zum Heldenthema mutiert. Als Bard seinen Sohn Bain als Zielvorrichtung verwendet, erklingt das dritte Thema des Bogenschützen, Bards Familienthema (3:23), das im zweiten Hobbit-Film nur einmal kurz angedeutet wurde, in „The Battle of the Five Armies“ aber noch an Wichtigkeit gewinnt. Durch den Einsatz eines Frauenchors schafft Shore einen starken Kontrast sowohl zum Material des Drachen als auch zu den anderen beiden Bard-Themen.
Noch einmal kehrt ab 4:04 das Smaug-Material mit voller Wucht zurück, allerdings durchsetzt von ominösen Chorpassagen, die vom Ende der Bestie künden. Smaugs Thema wird weitergespielt, verliert an Kraft und Intensität, verstummt allerdings nicht und verschwindet auch nicht aus dem Score. Es bleibt als unheilvolle Präsenz bestehen, während die Handlung des Films zum Erebor und den Zwergen zurückkehrt. Smaug mag tot sein, aber sein Vermächtnis ist nicht aus Mittelerde verschwunden. Bei 5:39 arbeitet sich schließlich zögerlich das Erebor-Thema aus dem Drachenmaterial heraus, das die Titeleinblendung „The Battle of the Five Armies“ untermalt.
„Twilight“ war das letzte „revolutionäre“ Ereignis, dass den Vampirfilm bzw. die Vampirliteratur dominierte. Seither dümpelt dieses Horror-Subgenre mehr oder weniger vor sich hin und wurde primär von Twilight-Nachahmern wie „The Vampire Diaries“ oder von Kontrastprogrammen wie „The Strain“ dominiert – „True Blood“ fällt ironischerweise in beide Kategorien. Neben der einen oder anderen Indie-Perle wie „Only Lovers Left Alive“ oder „What We Do in the Shadows“ (Film wie Serie) und der obligatorischen Dracula-Neuinterpretation – sei es die misslungene Origin-Story „Dracula Untold“ oder die zumindest unterhaltsame BBC/Netflix-Adaption von 2020 – hat sich in den letzten Jahren an dieser Front sehr wenig getan. Literatur oder gar Rollenspiele sind natürlich noch einmal eine andere Geschichte, aber die Mainstreamwahrnehmung konzentriert sich nun einmal primär auf Filme und Serien. Vor Kurzem startete auf Netflix die acht Episoden umfassende erste Staffel von „First Kill“, die vielleicht eine ganz gute Momentaufnahme des Genres bietet.
Handlung und Konzeption
Schöpferin von „First Kill“ ist die amerikanische Autorin Victoria Schwab, das Konzept der Serie stammt aus der gleichnamigen Kurzgeschichte, die Schwab selbst für die Anthologie „Vampires Never Get Old: Tales With Fresh Bite“ verfasste. Im Zentrum stehen die beiden Teenager Juliette Fairmont (Sarah Catherine Hook) und Calliope „Cal“ Burns (Imani Lewis), die auf dieselbe High School gehen und sich ineinander verlieben. Unglücklicherweise sind Juliette und Calliope gewissermaßen natürlich Feinde, denn Erstere ist die jüngste Tochter einer Dynastie mächtiger Vampire, während Letztere zu einer Familie hingebungsvoller Monsterjäger gehört. Beide haben darüber hinaus mit ihrem „ersten Kill“ zu kämpfen: Um zur vollwertigen Vampirin zu werden, muss Juliette einen Menschen komplett aussagen, während Calliope endlich ihr erstes Monster töten möchte. Ein paralleler Mordversuch an der jeweils anderen geht zwar schief, sorgt aber dafür, dass beiden Familien aufeinander aufmerksam werden. Gleichzeitig merken Juliette und Calliope, dass sie, trotz der inhärenten Feindschaft, einfach nicht voneinander lassen können…
Dass es sich bei „First Kill“ um eine Anlehnung an Shakespeares „Romeo and Juliet“ handelt, ist geradezu überdeutlich – als wäre der Name einer der Protagonistinnen nicht schon genug, wird exakt dieses Stück gerade in der High School aufgeführt. Konzeptionell erinnert vieles darüber hinaus an eine CW-Serie – „The Vampire Diaries“ und die diversen Spin-offs sind natürlich der primäre Referenzpunkt. Der größte Unterschied ist beim Umfang zu finden; während die typische Staffel einer CW-Serie ca. 20 Folgen beinhaltet (und typischerweise viel zu lang ist), hat „First Kill“ lediglich acht. Davon abgehen sind die Parallelen allerdings nicht zu übersehen: Von der Inszenierung, dem relativ niedrigen Budget und der Musikauswahl über die Handlungsführung und Figurenkonzeption bis hin zu dem Umstand, dass hier nicht nur Vampire, sondern auch alle möglichen anderen Monster und Horrorgestalten aktiv sind, verweist so vieles „The Vampire Diaries“.
Umsetzung
Tatsächlich fängt „First Kill“ mit einer verhältnismäßig vielversprechenden ersten Folge an, die die beiden Protagonistinnen relativ ausführlich vorstellt. Wer sich im Vorfeld nicht wirklich mit der Serie auseinandergesetzt hat, könnte zudem auf die Idee kommen, dass es sich bei Calliope und nicht bei Juliette um die Vampirin handelt; Letztere wird gerade hier eher wie Bella Swann oder Elena Gilbert in Szene gesetzt, während Calliope der mysteriöse Neuankömmling ist, der den Status Quo durcheinanderbringt. Zudem zeigt die erste Folge sehr schön die Parallelen beider Figuren auf, sowohl Calliope als auch Juliette streben danach, endlich zu vollwertigen Mitgliedern ihrer jeweiligen Familie zu werden, hadern aber zugleich mit dem Preis, den sie dafür zahlen müssen. Schließlich und endlich ist auch die Chemie zwischen den beiden jungen Darstellerinnen durchaus brauchbar und vor allem authentisch. Über den weiteren Verlauf hat diese erste Staffel allerdings oft mit denselben Problemen wie „The Vampire Diaries“ zu kämpfen: Suboptimale Drehbücher, schlechte Dialoge und, gemessen an dem, was die Serie bezüglich der Monster zeigen und erreichen möchte, ein deutlich zu niedriges Budget – wann immer CGI zum Einsatz kommt, sieht es ziemlich fürchterlich aus. In der Wahl der Handlungsorte ist die Serie ebenfalls recht eingeschränkt und muss primär mit der High School sowie auf den Häusern der beiden Familien zurechtkommen. Auch visuell ist „First Kill“ leider nicht allzu interessant – zwar bedient sich die Serie Kreaturen des Horror-Genres, selten aber geht die Inszenierung tatsächlich in diese Richtung, alles ist sehr sauber und glattgebügelt. Da die Vampire der Serie mit der Sonne keine Probleme zu haben scheinen und das High-School-Element ein wichtiger Faktor ist, finden sich für ein Vampir-Medium sehr viele Tageslichtszenen. Ein wenig überraschend sind dagegen die immer wieder (zumindest verhältnismäßig) ordentlichen Gewaltspritzen – anders als im völlig blutleeren „Twilight“ fließt hier wenigstens hin und wieder roter Saft.
Die schauspielerischen Leistungen sind ebenfalls eher durchwachsen – „First Kill“ funktioniert tatsächlich am besten, wenn es sich auf das zentrale Pärchen konzentriert, während die Machenschaften der beiden Familien rasch uninteressant werden. Das gilt in besonderem Ausmaß für Juliettes Vampirsippe: Was auf dem Papier interessante Konflikte innerhalb einer untoten Gesellschaft sein könnten, wird in der Umsetzung aufgrund der flachen Inszenierung zu einer eher drögen Angelegenheit. Die markantesten Figuren abseits der beiden Protagonistinnen sind zweifelsohne die Mütter, die ähnlich wie ihre Töchter als Spiegelbilder angelegt sind. Sowohl Calliopes Mutter Talia (Aubin Wise) als auch Juliettes Mutter Margot (Elizabeth Mitchell) schwanken zwischen Liebe und Fürsorge für ihre Kinder und ihren Partner und Verpflichtungen, die das Jäger- bzw. Vampirdasein mit sich bringt. Beide werden diesbezüglich im Verlauf der Serie auf die Probe gestellt. Deutlich weniger markant und mitunter sogar fast schon nervig sind die Umtriebe der diversen Geschwister, auf der Vampirseite Elinor (Gracie Dzienny) und Oliver (Dylan McNamara) und auf der Jäger-Seite Apollo (Dominic Goodman) und Theo (Phillip Mullings, Jr.). Besonders hier sind die bereits erwähnten schwachen Dialoge sowie nicht besonders überzeugendes Overacting sehr ausgeprägt. Zudem franzen die Handlungsstränge gegen Ende immer weiter aus und kulminieren schließlich in einem völlig offenen „Finale“, das wirklich keinerlei Abschluss bringt und nur noch mehr Fragen aufwirft.
„First Kill“ im Genre-Kontext
Homosexualität begleitet den Vampir praktisch seit seinen ersten literarischen Gehversuchen, noch implizit in John William Polidoris „The Vampyre“ und dann schon sehr explizit (und für „First Kill“ deutlich relevanter) in Joseph Sheridan LeFanus „Carmilla“ – zumindest nach damaligen Maßstäben ein regelrecht progressives Werk. Auch in Anne Rice‘ Romanen ist die Thematik sehr präsent, nicht zuletzt da gut 70 Prozent der auftauchenden Figuren männlich sind, und wird in späteren Werken noch deutlich prominenter. „True Blood“ etwa thematisiert nicht nur sehr explizit homosexuelle Beziehungen essentieller Figuren wie Lafayette oder Pam, sondern verwendet Vampire als nicht unbedingt subtile Metapher (Stichwort: „God Hates Fangs“), die angesichts der Handlungsentwicklung späterer Staffeln allerdings ihrerseits wieder problematisch wird. „First Kill“ orientiert sich dagegen in der Darstellung des zentralen queeren Pärchens eher an der Web-Serie „Carmilla“ (womit wir den Kreis geschlossen hätten). Während frühere Verfilmungen, etwa Hammers „The Vampire Lovers“ (1970) mit Ingrid Pitt als Carmilla, primär auf den Exploitationfaktor und die Fetischisierung des „lesbischen Vampirs“ abzielten, bemüht sich diese sehr freie Adaption, die Sexualität der Figuren als etwas völlig Natürliches darzustellen, ohne Fetischisierung, ohne Metapher, Queerness und Vampirismus als pure Korrelation ohne jegliche Kausalität. Es sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass besagte Webserie mit einem noch einmal deutlich beschränkteren Budget weitaus kreativere Dinge anstellt als „First Kill“.
Die High School als Setting einer Vampirgeschichte ist natürlich ein fest etabliertes Element, bereits „Buffy the Vampire Slayer“ bediente sich dieses Handlungsortes und spätestens seit „The Vampire Diaries“ und „Twilight“ sind jahrhundertalte Vampire, die aus Spaß an der Freude wieder zur Schule gehen, nichts Besonderes mehr. In diesem Kontext ist „First Kill“ tatsächlich eine Ausnahme, denn Juliette wirkt nicht nur wie eine Schülerin, es ist ihr tatsächliches Alter. Die Beziehung zwischen Mensch und Vampir erzeugt, nicht nur durch die übernatürliche Natur, sondern eben oft auch durch das hohe Alter, oft ein Machtgefälle, dass in dieser Form in der Netflix-Serie völlig entfällt, da Calliope als Jägerin mit Juliette quasi auf einer Stufe steht – der gegenseitige misslungene Tötungsversuch in der ersten Folge unterstreicht das.
Was die mythologischen Hintergründe der Vampire angeht, verlässt „First Kill“ kaum die ausgetretenen Pfade. Bei Juliettes Familie handelt es sich nicht einfach nur um „gewöhnliche“ Vampire, sondern um sog. „Legacy Vampires“, besonders mächtige Exemplare, die praktisch nicht zu töten sind – möglicherweise angelehnt an die ähnlich unkaputtbaren „Originals“ aus „The Vampire Diaries“. Ein weiteres Mal führt man den vampirischen Ursprung, wie in „True Blood“ und so vielen anderen Werken, auf Lilith zurück und räumt sogar der biblischen Schlange einen wichtigen Platz ein – auch diese Idee ist nicht neu und wurde u.a. bereits im Pen&Paper-Rollenspiel „Vampire: The Requiem“ bemüht. Aufgrund des Lilith-Ursprungs ist die Vampirgesellschaft der Serie matriarchalisch organisiert und arbeitet mit rituellen Schlangen. Dieser Aspekt treibt im Verlauf der Serie noch sehr merkwürdige Blüten, als Juliettes Vater Jack (Jason R. Moore), zu Beginn noch ein gewöhnlicher Vampir, der von seiner Frau Margot aus Liebe zum Blutsauger gemacht wurde, von seiner Schwiegermutter Davina Atwood (Polly Draper) in einen Legacy Vampir verwandelt wird, nur um diese kurz darauf zu verspeisen.
Oft finden sich zudem – gewollt oder ungewollt – auf visueller oder inhaltlicher Ebene viele Verweise auf Vampirfilme und -serien der letzten 30 Jahre: Als Calliopes Jägerfamilie eine Versammlung der Legacy Vampire angreift, tut sie das in schwarzen Blade-Gedächtnis-Outfits inklusive Sonnenbrillen mitten in der Nacht. Auch Anne Rice wird nicht ausgespart: Die (wenn auch recht inkonsequent) mit ihrer Vampirnatur hadernde Juliette ist konzeptionell schon sehr nah an Louis und in einer der späteren Folgen geht sie gemeinsam mit ihrer Schwester Elinor auf die Jagd, um endgültig eine Louis-Lestat-Dynamik zu etablieren – inklusive der korrekten Haarfarben. Die Idee, die Romeo-und-Julia-Thematik mit Horrogestalten durchzuspielen, wurden ebenfalls bereits mehrfach umgesetzt, am prominentesten wohl in Len Wisemans „Underworld“ (2003), während die Beziehung zwischen Vampir und Jäger des Öfteren in „Buffy the Vampire Slayer“ thematisiert wurde.
Fazit: „First Kill“ ist als geistiger Nachfolger von „The Vampire Diaries“ zwar nicht unbedingt zu empfehlen, funktioniert aber ganz gut als Indikator dafür, wo der Vampirfilm bzw. die Vampirserie aktuell steht, besonders, da viele Entwicklungen des Genres hier in komprimierter Form zu finden sind. Was hingegen kaum auftaucht, sind neue Impulse. Je nachdem, wie erfolgreich „First Kill“ ist und wie gut die Serie ankommt, könnte sie entweder eine wichtige Rolle in der weiteren Entwicklung des Genres spielen oder zu einer bloßen, unbedeutenden Fußnote, gewissermaßen einer Momentaufnahme werden.