Hellstar Remina

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Das Werk des Mangaka Junji Ito beinhaltet zumeist bizarren Body Horror und die Dämonisierung des scheinbar Alltäglichen. Mitunter begibt sich Ito jedoch hin und wieder in die Gefilde kosmischen Horrors – nennt er doch H. P. Lovecraft immer wieder explizit als Vorbild. Unter all seinen Mangas ist „Hellstar Remina“ (in der neuesten englischen Auflage nur noch „Remina“, eine deutsche Ausgabe existiert noch nicht) bislang das wohl eindeutigste Werk dieses Subgenres. Die Prämisse ließe sich vielleicht wie folgt beschreiben: Was, wenn H. P. Lovecraft das Drehbuch zu Lars von Triers „Melancholia“ verfasst hätte?

Die Handlung spielt in einer ominösen „nahen Zukunft“: Der Wissenschaftler Dr. Oguro entdeckt einen sich bewegenden planetaren Körper, der aus einem schwarzen Loch kommt, und benennt ihn nach seiner 16-jährigen Tochter Remina – u.a. auch, da er den Planeten an ihrem Geburtstag entdeckt hat. Dies sorgt dafür, dass Remina, die zwar äußerst hübsch, aber auch sehr zurückhaltend ist, plötzlich sehr populär wird und viele Fans hat. Doch dann geschehen merkwürdige Dinge: Remina (der Planet) scheint auf seinem Weg Sterne und andere Planeten zu verschlingen – und nun nähert er sich unaufhaltsam der Erde. Die Stimmung schlägt plötzlich gegen Remina (die Person) um: Wo sie vorher ungemein populär war, entsteht nun ein Kult, der glaubt, wenn sie rituell hingerichtet würde, könnte die Erde vor dem Planeten Remina gerettet werden. Und so eskaliert die Situation, während die Vernichtung der Erde unausweichlich näher rückt…

Im Kontext von Junji Itos Œuvres ist „Hellstar Remina“ wahrscheinlich die lange Geschichte mit dem deutlichsten Fokus. Gerade die einzelnen Kapitel von „Uzumaki“ oder „Tomie“ erinnern stark an Itos diverse Kurzgeschichten – sie vereint zwar ein gemeinsames Sujet, davon abgesehen sind sie aber relativ in sich geschlossen und würden auch separat funktionieren. „Hellstar Remina“ hingegen ist deutlich fokussierter, die Handlung ist nicht episodisch und schreitet mit recht hohem Tempo voran. Ansonsten ist „Hellstar Remina“ von vielen für Junji Ito typischen Elementen geprägt, vorrangig der ziemlich passiven Protagonistin. Remina ist eine Figur, die selten aktiv wird oder eine Agenda verfolgt, es sind fast immer Dinge, die ihr passieren.

Der Horror des Werkes spielt sich auf zwei unterschiedlichen Ebenen ab. Zum einen wäre da der existenzielle Horror, der vom näherrückenden, alles verschlingenden Planeten ausgeht und zum anderen der menschliche Horror. Die langsam durchdrehenden Menschen, die Remina opfern wollen, sind die akutere Gefahr. Im Verlauf der Handlung schwingt die Liebe zu Remina vielleicht ein wenig zu schnell in Hass und Wahnsinn um, allerdings kommt man nicht umhin einzugestehen, dass derartige Reaktionen durchaus realistisch sind. Hier zeigt sich abermals Itos Tendenz, profane Elemente des alltäglichen Lebens in erschreckenden Horror umzuwandeln – in diesem Fall die Begeisterung für eine Prominente, die zu Wahnsinn und verzehrendem Hass mutiert. Der Symbolismus, dessen sich Ito bedient, primär der sehr deutliche visuelle Bezug zu Jesu Kreuzigung, ist eventuell ein wenig zu deutlich und plakativ, sorgt aber für eindrückliche Bilder.

Interessanterweise mutet sowohl die Atmosphäre, die Ito erzeugt, als auch die Handlung selbst ein wenig „pulpy“ an, vor allem bedingt durch die futuristischen Elemente im Hintergrund. Ein wenig erinnert das Ambiente an Science Fiction der 50er und 60er. Besonders die Ausgangslage der Handlung, ein kosmisches Wesen, das droht, die Erde zu verschlingen, könnte auch einem Superheldencomic entstammen – man erinnere sich nur an den ersten Auftritt von Galactus bei den Fantastic Four. Freilich fehlt bei Ito jegliche Möglichkeit, dem drohenden Untergang zu entkommen. Wie nicht anders zu erwarten sind auch die bizarr-alptraumhaften Eindrücke und Bildwelten vorhanden. Wenn der Planet Remina sein Auge öffnet oder beginnt, mit einem Zungententakel an der Erde zu lecken, von der Oberfläche des Höllenplaneten ganz zu schweigen, ist das Junji Ito in Reinkultur. Gerade visuell muss sich „Hellstar Remina“ definitiv nicht hinter Itos anderen Werken verstecken, die Zeichnungen sind ebenso filigran, bizarr und verstörend wie eh und je. In Kombination mit der Unaufhaltsamkeit des „Höllensterns“ und dem äußerst trostlosen Ende entsteht auf diese Weise eine ordentliche Portion Lovecraft’sches Feeling, ohne dass sich Ito der Elemente des Cthulhu-Mythos bedienen müsste.

Fazit: „Hellstar Remina“ ist der Junji-Ito-Manga, der bislang am eindeutigsten dem Gerne des kosmischen Horrors zuzuordnen ist. Im Kontext von Itos Œuvre betritt dieses Werk zwar kein Neuland – die Erzählstruktur und Charakterisierung der Figuren erinnert an viele seiner anderen Arbeiten – aber gerade im Vergleich zu seinen anderen Werken handelt es sich bei „Hellstar Remina“ um das fokussierteste und thematisch dichteste.

Bildquelle

Siehe auch:
Uzumaki – Spiral Into Horror

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4 Gedanken zu “Hellstar Remina

  1. Aber „Remina“ war vor Melancholia da, oder? Die Prämisse klingt (offensichtlich bis auf das Ende?) schon echt ähnlich. Und interessant! Aber wie schon bei Uzumaki schießt er für meinen Geschmack dann irgendwann über das Ziel hinaus. Öffnet ein Auge und leckt die Erde ab? Oh weh ^^‘

    1. „Remina“ kam 2005, „Melancholia“ 2011 – ich wollte allerdings auch nicht implizieren, dass Junji Ito sich bei Lars von Trier inspiriert hat (wenn, dann natürlich umgekehrt), das diente nur als Referenzpunkt. Was das übers Ziel hinausschießen angeht – für mich ist der, nennen wir ihn mal großzügig „kranke Scheiß“ bei Junji Ito tatsächlich einer der Hauptgründe, warum ich seine Sachen so gerne mag, diese völlig absurde bizarre Kreativität sagt mir stilistisch sehr zu, das macht seinen ganz speziellen Charme aus 😉 Das sind gerade die Aspekte, die man in europäische bzw. amerikanischem Horror in dieser Form meistens nicht bekommt.

      1. Ja das ist definitiv ein Alleinstellungsmerkmal Itos. Nur mir persönlich ist manches einen Touch too much. Bei vielem gehe ich noch mit, aber gerade das mit der Zunge klingt nach dem Teil, den ich weniger gern lese und zu absurd finde. Ohne es bisher gelesen zu haben. Als Beispiel Uzumaki fanf ich genial, aber die Kapitel mit den Windhosen waren mir zu absurd und zu losgelöst vom restlichen Stil der Narrative. Aber das ist dann eben die berühmte Geschmacksfrage.
        Was ich immer herrlich finde ist wie aufgeräumt Ito in Interviews wirkt. Wenn man vom Werk auf den Autor schließen müsste, würde ich ihn mir irgendwie abgedrehter vorstellen.

      2. Gwynn

        Man sollte stets im Kopf behalten, dass japanischer bzw. asiatischer Horror sich stark von westlichem unterscheidet und man sich mit kontinentaler Sicht nicht direkt disqualifiziert.
        Wenn auch die Ausprägungen von Horrorfilmen in asiatischen Ländern stofflich wie inszenatorisch unterschiedlich ausfallen, etwas eint sie alle und zwar die traditionelle Folklore und der Umgang mit Übernatürlichem und Übersinnlichem.
        Kulturell bedingt sind Asiaten dem Übernatürlichen weit aufgeschlossener als der Westen. Der Glaube an Geister und das Übernatürliche ist in Asien noch immer stark verankert.
        Asiatische Geisterwesen sind tiefgründiger und nicht per se eine Bedrohung. Daraus resultierte, dass auch die mediale Fokussierung mehr Raum für Zwischentöne lässt und sich das Genre ambivalenter entwickelt.
        Doch im Gegensatz zu westlichen Werken, die seinerzeit auch von einer moralischen Diskussion und Zensurmaßnahmen begleitet wurden, scheint es im Land der aufgehenden Sonne kaum Grenzen zu geben. Die filmische Auslotung des Bizarren und Extremen hat in Japan noch andere gesellschaftliche Hintergründe: Für ein Land von großer Demut und einer Tabuisierung von Sexualität ist es spannend, welche filmisch extremen Ausmaße manche Werke annehmen. Für die Japaner ist der Umgang mit solchen Stoffen auch ein Ausdruck der Reflektion ihrer eigenen Gesellschaft und Psychologie.
        Es ist unüberlegt vom Werk auf den Author zu schließen: Kreativität besitzt kein spezielles Gesicht, sondern einen freien Geist. Kunst bricht mit Regeln und Konventionen, zu versuchen sie in diese wieder einzuordnen ist schon grundlegend der falsche Ansatz.

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