Mit „Dr. No“ und „From Russia with Love” experimentierte man noch ein wenig, gerade was die Titelsequenz angeht: Im allerersten Bond erklingt lediglich das von Monty Norman und John Barry komponierte Bond-Thema über dem Vorspann. „From Russia with Love“ verfügt bereits über ein Lied mit dem Filmtitel, dieses erklingt, zumindest in der von Matt Monro gesungenen Version, allerdings nicht über dem Vorspann, an dieser Stelle ist eine instrumentale Adaption von Barry zu hören, während der eigentliche Song From Russia with Love mehrmals im Film gespielt wird. Erst mit „Goldfinger“ wurde die Bond-Formel perfektioniert und wird seither rigoros befolgt – mit einer Ausnahme. Bei dieser Ausnahme handelt es sich um „On Her Majesty’s Secret Service“, den sechsten Film der Reihe, der 1969 ins Kino kam. Da George Lazenby hier zum ersten (und auch letzten) Mal Bond spielen würde, war es den Produzenten Harry Saltzman und Alber R. Broccoli und dem Regisseur Peter Hunt besonders wichtig, dem Publikum zu vermitteln, dass da zwar nicht mehr Sean Connery auf der Leinwand zu sehen war, aber doch ganz sicher James Bond; das versuchten sie unter anderem auch über die Musik. John Barry erlebte zu diesem Zeitpunkt ein Karrierehoch, 1968 hatte er für „The Lion in Winter“ seinen dritten Oscar gewonnen – aus diesem Grund gewährte man Barry bei diesem, seinem fünften Bond-Score, relativ freie Hand.
Normalerweise beinhaltet der Titelsong des Films auch den Titel, für „On Her Majesty’s Secret Service“ entschied man sich jedoch aufgrund der sperrigen Formulierung dagegen. Barry machte sich stattdessen für ein rein instrumentales Hauptthema stark und konnte sich durchsetzen. Mit We Have All the Time in the World, gesungen von Louis Armstrong, verfügt „On Her Majesty’s Secret Service” zwar auch über ein traditionelles Lied, dieses wird aber nicht über der Titelsequenz gespielt, sondern im Film selbst als Liebeslied bzw. Liebesthema für Bond und seine Flamme Tracy verwendet. Das Titelthema des Films ist in der Reihe definitiv eine Besonderheit, das besonders durch die Instrumentierung auffällt. Ein zentrales Element dieses Themas (und des Scores) ist der Moog-Synthesizer, entwickelt von und benannt nach Robert Moog. Zu Beginn des Films wird bereits der Teil des James-Bond-Themas, der normalerweise von der E-Gitarre gespielt wird, auf dem Moog-Synthsizer gespielt, um George Lazenby so seine eigene Version des Themas zu geben.
Im On Her Majesty’s Secret Service Theme (OHMSS-Thema) bilden die Klänge des Moog-Synthesizers die Grundlage, der aus vier Noten bestehende, marschartige Begleitrhythmus wird auf ihm gespielt, während die eigentlich Melodie von den Blechbläsern kommt. Das sorgt für einen interessanten Kontras; Barry verknüpft hier klassische Marschelemente, die zum Titel des Films passen, mit den modernen Synth-Klängen und erschafft so ein äußerst einnehmendes Thema, das sofort im Ohr bleibt. Nach der Titelsequenz legt das OHMSS-Thema allerdings erst einmal eine längere Pause ein; die erste Hälfte des Films wird von We Have All the Time in the World dominiert, das oft in als Instrumentalfassung erklingt. Erst, nachdem Bond Blofelds Klinik infiltriert hat und aus dieser wieder entkommen muss, erklingt das OHMSS-Thema ein weiteres Mal (Escape from Piz Gloria).
Wie um die vorherige Abwesenheit auszugleichen, benutzt Barry das Thema als primäre Untermalung fast aller Action-Szenen. Der vielleicht prägendste Einsatz findet sich in Ski Chase, welches, der Name des Track verrät es, die legendäre Ski-Verfolgungsjagd untermalt. Eine Suspense-lastigere Variation des Themas, das auf die Moog-Begleitung verzichtet, ist darüber hinaus in Over & Out zu hören. Für die finale Action-Szene, Tracys Rettung durch Bond und Dracos Männer, komponierte Barry ursprünglich ebenfalls einen Track, der sich des OHMSS-Themas in der bislang frenetischsten Version bedient, diese ist jedoch im fertigen Film nicht zu hören. Stattdessen entschloss man sich, die Original-Aufnahme des Bond-Themas aus „Dr. No“ einzusetzen, worüber Barry nicht allzu glücklich war.
Bei den Einsätzen im Film fällt auf, dass Barry das Thema relativ selten wirklich variiert, meistens spielt er es mehrmals hintereinander. Selbstverständlich finden sich hier und da kleinere Änderungen in der Instrumentierung oder Überbrückungssektionen, aber gerade im Vergleich zu Tracks späterer Bond-Filme wie White Knight („Tomorrow Never Dies“), in denen David Arnold munter sowohl mit dem Bond-Thema als auch seinen eigenen Motiv spielt, sie herumjongliert und sie in Kontrapunkt zueinander setzt, fällt auf, wie „eingleisig“ Barry diesbezüglich fährt. Natürlich besteht aber auch die Möglichkeit, dass dies der Zeit geschuldet ist; Filmmusikkomposition dieser Art war in den späten 60ern vielleicht schlicht nicht Gang und Gäbe.
Apropos David Arnold: Arnolds Einstieg in die Bond-Welt war bekanntermaßen das Album „Shaken and Stirred: The David Arnold James Bond Project“, das Cover-Versionen diverser Bond-Songs, von David Arnold neu arrangiert und produziert, enthält. Darunter findet sich auch das OHMSS-Thema; hierfür kollaborierte Arnold mit dem englischen Duo Propellerheads, bestehend aus Will White und Alex Gifford. Arnold lieferte eine neu orchestrierte und eingespielte Version des Themas, die er zusammen mit den beiden Electronica-Künstlern bearbeitete. Ich muss zugeben – ich bin kein Fan des Endprodukts, so wie ich generell kein Fan von elektronischer Musik bin. Es gibt Fälle, in denen ich die Bearbeitung durchaus tolerieren kann, hier ist es mir aber schlicht zu viel. Dennoch ist das Stück definitiv interessant, da es sich um keine „Reinversion“ des OHMSS-Themas handelt, sondern fast schon um ein Bond-Medley. Der Track beginnt mit dem Fanfaren-Motiv James Bond Is Back aus dem Titelstück von „From Russia with Love“, das Arnold später auch in „Tomorrow Never Dies“ verwenden sollte, zusätzlich ist auch das Weltraum-Thema aus „You Only Live Twice“ (Capsule in Space) ab 4:48 zu hören und Fragmente des Bond-Themas, primär die chromatische Akkordfolge, tauchen auch immer wieder auf. Mehr noch, der elektronische Rhythmus, der bei 1:47 einsetzt, ist ein Vorgriff auf den Track Backseat Driver aus „Tomorrow Never Dies“, für den Arnold abermals mit Propellerheads zusammenarbeitete.
Auf Youtube findet sich zusätzlich auch die „Reinversion“ dieses Tracks, also die orchestrale Basis ohne jegliche Bearbeitung, elektronische Beats und Synth-Effekte. Diese Version sagt mir deutlich mehr zu, vor allem, da Arnold die Orchestrierung ebenso behutsam wie gelungen modernisiert hat. Das wird vor allem bei den Blechbläsern deutlich, die stark nach „Goldfinger“ klingen, was dem OHMSS-Thema sehr gut zu Gesicht steht. Die Einspieler der chromatischen Akkordfolge fehlen zwar, aber sowohl James Bond Is Back zu Beginn als auch das Weltraum-Thema (ab 2:52) sind vorhanden. Ich möchte fast sagen: Die auf diese Weise instrumentierte Version ist meine Lieblingsvariation des Themas.
Leider wurde das OHMSS-Thema bislang in keinem weiteren Bond-Film aufgegriffen, was ich verdammt schade finde. Allerdings wurde es das eine oder andere Mal für Trailer bemüht. Der erste Trailer zu Disneys und Pixars „The Incredibles“ bedient sich beispielsweise Barrys Komposition. „The Incredibles“ mag eine Superheldenparodie sein, musikalisch klingen sie aber nach den Geheimagenten-Scores der 60er von Barry und Henry Mancini. Tatsächlich wollte man nicht nur den Bond-Sound für „The Incredibles“, sondern Barry selbst, dieser hatte allerdings keine Lust, eine Pastiche seiner Bond-Scores zu komponieren, weshalb man letztendlich mit Michael Giacchino auskommen musste, der der Aufgabe allerdings vollständig gewachsen war. Gerade im End-Credits-Stück The Incredits hört man die Einflüsse des OHMSS-Themas immer wieder sehr deutlich.
Auch in einem der Trailer für den bislang aktuellsten Bond-Film „Spectre“ („No Time to Die“ lässt ja nach wie vor auf sich warten) wurde das OHMSS-Thema, wenn auch subtil und modernisiert, verwendet, was im Vorfeld zur Spekulation einlud, ob es wohl auch im Score auftauchen würde. Leider sah Thomas Newman keine Veranlassung, Barrys Komposition im fertigen Film zu verwenden, trotz der inhaltlichen und inszenatorischen Parallelen. Man fragt sich, ob David Arnold sich des Themas wohl bedient hätte. Ein bombastischer Action-Track im Stil von White Knight, in dem das OHMSS-Thema mit dem Bond-Thema interagiert wäre eine feine Sache gewesen…
Siehe auch:
Top 15 Variationen des James-Bond-Themas
The Music of James Bond