Der Graf ist, wie in allen anderen Medien, auch im Comicbereich weiterhin nicht totzukriegen, und somit geht meine Reise ebenfalls weiter. Nachdem Georges Bess‘ Adaption von Stokers Roman zwar visuell opulent, aber insgesamt sehr konventionell und vorlagengetreu war, folgt nun mit „Dracula, Motherf**ker!“ quasi genau das Gegenteil, sowohl in inhaltlicher als auch in visueller Hinsicht. Dieser 2020 bei Image erschienene, von Alex de Campi verfasste und von Erica Henderson illustrierte Comic hat mit Stoker nicht mehr allzu viel zu tun. 1889 (also noch bevor Stokers Roman eigentlich stattfinden würde) wird Dracula in Wien von seinen Bräuten gepfählt, im Los Angeles des Jahres 1974 kehrt er zurück. Junge Frauen finden den Tod und natürlich sind die Bräute des Grafen ebenfalls noch aktiv. Quincey Harker, seines Zeichens Fotograf von Verbrechensschauplätzen, wird in die Geschichte hingezogen, als er den Tatort des Mordes an der Schauspielerin Bebe Beauland ablichten soll.
Wie viel „Dracula“ steckt nun also in „Dracula, Motherf**ker!“? Um ehrlich zu sein, nicht allzu viel. Quincey Harker ist natürlich der Name des Sohnes von Mina und Jonathan, aber abgesehen von diesem Namen hat der Protagonist des Comics nichts mit den Figuren des Romans zu tun. Ebenso verhält es sich mit dem Vampir dieser Geschichte, der kaum von Stokers Vampir beeinflusst ist, sondern vielmehr auf Alucard aus „Hellsing“ basiert, der zwar zugegebenermaßen seinerseits eine Version von Dracula ist, aber jeder Dracula-hafte Aspekt, bzw. jeder Aspekt, der auf Draculas ehemalige Menschlichkeit hinweist, und sei es das Äußere, wurde getilgt. Im Nachwort „On Monsters“, in dem Alex de Campi die kreativen Prozesse erläutert (und „Hellsing“ auch explizit als Inspiration nennt), erklärt sie, dass es ihr Ziel war, Dracula von jedwedem verführerischen Aspekt zu befreien und ihn stattdessen zu einem „nameless, faceless ancient terror“ zu machen – eben Alucard auf seiner höchsten Fähigkeitenstufe, eine formlose Ausgeburt aus Augen und Zähnen, mehr lovecraft’scher Schrecken denn tatsächlicher Vampir. Zuerst einmal muss noch einmal betont werden, dass der verführerische Dracula fast ausschließlich auf spätere Adaptionen zurückzuführen und bei Stoker kaum auftaucht – im Roman mischt sich der Graf nie unter die feine Gesellschaft, es ist erst Bela Lugosi, der in dieser Richtung tätig wird. Tatsächlich war es ja auch Georges Bess‘ Ansinnen, den Grafen zu seinen monströsen Wurzeln zurückzuführen.
Wie dem auch sei, letztendlich ist „Dracula, Motherf**ker!“ primär style over substance, der Comic schwelgt regelrecht in psychedelischen Bildern mit ausdrucksstarker Farbgebung. Im Bereich Handlungsentwicklung oder Figurenzeichnung passiert nicht wirklich viel, vielmehr stolpert Quincey Harker durch ein alptraumhaftes, surreales Los Angeles, angefüllt mit menschlichen und unmenschlichen Blutsaugern. Tatsächlich wird es irgendwann recht schwer zu sagen, was eigentlich passiert und wie die Handlung weiter verläuft. Auch die Idee der Bräute Draculas wird zumindest ansatzweise bearbeitet – bezeichnend ist hier natürlich, dass sie ihn vor Beginn der Romanhandlung bereits ausschalten, wenn auch temporär – aber diesbezüglich bleibt der Ansatz ebenfalls oberflächlich und geht irgendwann im Rausch der Bilder verloren. De Campis und Hendersons Arbeit scheint eher ein visuelles Sinnieren über die Dracula- und Vampirthematik denn eine wirkliche, inhaltliche Auseinandersetzung in irgendeiner Form mit dem Roman zu sein.
Fazit: „Dracula, Motherf**ker!“ ist ein interessantes visuelles Experiment mit einigen ansprechenden Ideen und opulenten Bildern, aber kaum Handlung. Letzten Endes hat dieser Comic zumindest mit Stokers Roman kaum etwas zu tun, sondern wirkt eher wir eine amerikanische Adaption einiger Elemente von „Hellsing“
Siehe auch:
Geschichte der Vampire – Der gezeichnete Graf
Art of Adaptation: Georges Bess‘ Dracula