Stück der Woche: Wonder Womans Thema


Es soll hin und wieder vorkommen, dass man seine Meinung ändert. Als Hans Zimmer und Tom Holkenborg alias Junkie XL in „Batman v Superman: Dawn of Justice” im Track Is She with You? ihr Wonder-Woman-Thema vorstellten, war ich nicht allzu angetan. Die Idee dahinter war, sich vom „maskulinen Tonfall“ herkömmlicher Superheldenthemen mit ihrem Fokus auf Blechbläser zu distanzieren und das Cello (in diesem Fall ein elektrisches Modell) als feminines Instrument für Diana zu etablieren. Sehr werbewirksam setzte man auch die Cellistin Tina Guo ein, die gerade dabei war, sich in der Welt der Filmmusik einen Namen als Solo-Performerin zu machen. Grundsätzlich nicht die schlechteste Herangehensweise, das Thema selbst, eigentlich eher ein Motiv, hingegen fand ich eher bescheiden. Wie das restliche motivische Material dieses Films erschien es mir zu beschränkt in seiner Aussagekraft, zu sehr auf pure Aggression ausgerichtet – im Grund springt es immer nur zwischen zwei Noten hin und her. Zimmer und Holkenborg charakterisierten es als „den Schrei einer Banshee“. Eine gewisse Verwandtschaft zum Kampfschrei aus Led Zeppelins Immigrant Song lässt sich nicht leugnen.

Was inzwischen aus dem Wonder-Woman-Thema gemacht wurde, ist allerdings äußerst beeindruckend. Mehr oder weniger hat es sich zum inoffiziellen musikalischen Aushängeschild des in einem merkwürdigen Limbus existierenden DCEU entwickelt. Dieses ist musikalisch freilich ebenso zersplittert wie filmisch bzw. erzählerisch, aber immerhin in Bezug auf Wonder Woman wurde Konsistenz geschaffen: Wenn die Amazone auftaucht, bringt sie auch ihr Motiv mit. Gerade im Marketing von Patty Jenkins‘ erstem Wonder-Woman-Film von 2017 wurde es beispielsweise sehr effektiv eingesetzt und erklang am Ende jeden Trailers. Und als Danny Elfman in seinem Score für „Justice League“ praktisch alle Motive verwarf, die Zimmer und Holkenborg für „Man of Steel“ und „Batman v Superman“ komponiert hatte, war das Wonder-Woman-Thema die Ausnahme: In Wonder Woman Rescue ist eine neue, von Elfman und Pinar Toprak arrangierte Version zu hören, die das elektrische Cello durch eine Kombination aus Blechbläsern und E-Gitarre ersetzt.

Weit interessanter ist allerdings die Transformation des Motivs in den beiden Wonder-Woman-Scores, komponiert von Rupert Gregson-Williams respektive Hans Zimmer persönlich. In seiner Standardversion ist das Motiv im Grunde ein reines Action-Thema, das sich nur schwer variieren lässt. Man kann es subtil andeuten, in dem man beispielsweise die ersten drei Noten anspielt, was Zimmer und Holkenborg bereits in „Batman v Superman“ getan haben. Doch was tut man, wenn man Diana als Heldin und nicht nur als Kriegerin musikalisch repräsentieren möchte? Gregson-Williams komponierte ein neues Thema, verwendete als Basis aber das bereits vorhandene Motiv – genauer besagte drei Noten, die es einleiten. Diese werden zwei Mal gespielt, jeweils mit einer angehängten vierten Note, beim ersten Mal auf- und beim zweiten Mal absteigend. Diese Konstruktion fungiert im Film als Dianas primäres Thema, da sie deutlich formbarer ist als das Wonder-Woman-Motiv in seiner herkömmlichen Gestalt – dennoch sind beide eng miteinander verknüpft. Im Track No Man’s Land hört man beide Themen direkt hintereinander, zuerst das heroische bei 2:40 und dann das Action-Motiv bei 3:10.

Ansonsten wird das Wonder-Woman-Thema in seiner ursprünglichen Gestalt (inklusive Tina Guos elektrischem Cello) als Dianas Action-Motiv benutzt, das auch erst Verwendung findet, als sie mit Schwert, Schild und in ihrem ikonischen Outfit in die Schlacht zieht. In Wonder Woman’s Wrath nähert Gregson-Williams die beiden Motive einander an, indem er das heroische Thema mit dem Rhythmus des Zimmer/Holkenorg-Motivs unterlegt. (2:45).

Rupert Gregson-Williams‘ Thema taucht in „Wonder Woman 1984“ nicht mehr auf, aber Zimmer wählte dennoch einen ähnlichen Weg. Wie Remote-Control-Zögling Gregson-Williams schrieb auch der Meister persönlich ein neues Thema für die Superheldin, das all das ausdrückt, was sie als Figur ausmacht, das aber nach wie vor auf dem ursprünglichen Motiv basiert. Im Grunde verwandelt Zimmer das Thema in eine weit weniger aggressive Fanfare, die zum ersten Mal im Track Themyscira bei 1:53 erklingt. Über dieses Stück, das schon vor einigen Monaten als Auskopplung veröffentlicht wurde, hatte ich mich ja bereits ebenso ausführlich wie positiv geäußert.

Erfreulicherweise hält der Score, was dieses Stück verspricht. Mit „Wonder Woman 1984“ liefert Zimmer einen seiner besten und schlicht unterhaltsamsten Scores der letzten zehn Jahre – und vielleicht seinen bislang besten Superhelden-Score (mit diesem Urteil warte ich allerdings, bis ich den Score im Kontext gehört habe). Wie in Themyscira ist im gesamten Score die DNS des Wonder-Woman-Motivs fast überall, sei es in Rhythmus, Struktur oder subtilen Anspielungen, ohne dass es direkt zitiert würde. Fans der ursprünglichen Version müssen allerdings auch nicht verzagen, denn zumindest in Open Road kehrt Zimmer zu den Wurzeln des Motivs und (zumindest Ansatzweise) dem Tonfall von „Batman v Superman“ zurück und macht ausgiebig vom Kampfschrei Gebrauch. Inzwischen habe ich mich nicht nur an das ursprüngliche Motiv zumindest gewöhnt, die Entwicklungen begeistern mich sogar regelrecht.

Siehe auch:
Stück der Woche: Themyscira