Art of Adaptation: Das Foucaultsche Pendel

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„Das Foucaultsche Pendel“ (Originaltitel: „Il pendolo di Foucault“) ist, nach „Der Name der Rose“, Umberto Ecos zweiter Roman. Anders als der Erstling wurde „Das Foucaultsche Pendel“ bislang weder in Film- noch in Serienform adaptiert. Allerdings hat der WDR Ecos Roman 1990 als Hörspiel umgesetzt – und da sich die ersten beiden Art-of-Adaptation-Artikel mit Filmen auseinandergesetzt haben, ist es an der Zeit, dass ich mich einem anderen Medium zuwende.

Während es sich bei „Der Name der Rose“ in erster Linie um einen Sherlock-Holmes-artigen Krimi im Mittelalter handelte und die ausgiebige Auseinandersetzung mit Geschichte und Philosophie zwar unzweifelhaft einen wichtigen Teil des Gesamtwerks ausmachte, aber letztendlich dem Plot diente, bekommt man bei „Das Foucaultsche Pendel“ mitunter fast den Eindruck, es sei umgekehrt. Bemüht man sich um Genre-Zuordnung, so ist der Roman am ehesten ein Verschwörungsthriller, allerdings trifft es das nicht wirklich, da sich Eco gezielt über das Genre lustig macht bzw. es dekonstruiert.

Handlung
Die Handlung des Romans wird in Rückblenden erzählt und erstreckt sich über mehrere Jahre. Während seiner Studienzeit begegnet der Geschichtsstudent Casaubon in Mailand kurz vor Abschluss seiner Doktorarbeit über die Templer den beiden Verlagsmitarbeitern Jacopo Belbo und Diotallevi. In ihrem Alltag beim Verlag Garamond haben die beiden immer wieder mit den wirren Manuskripten von Verschwörungstheoretikern zu tun; viele von diesen beschäftigen sich früher oder später mit den Tempelrittern. Die drei Männer freunden sich an und so kommt es, dass Casaubon gerade im Verlag anwesend ist, als ein gewisser Oberst Ardenti Belbo eine vermeintliche Geheimbotschaft der Tempelritter vorlegt, in der es um den Versuch der Templer, die Weltherrschaft an sich zu reißen, geht. Kurz darauf verschwindet Ardenti scheinbar spurlos.

Die nächsten Jahre verbringt Casaubon in Brasilien, wo er mit einer Kommunistin namens Amparo zusammenkommt und über sie einen Mann namens Agliè kennenlernt, der von sich behauptet, der legendäre Graf von Saint Germain zu sein – davon unabhängig ist sein Wissen um alles Okkulte enorm. Nachdem die Beziehung zu Amparo endet, kehrt Casaubon nach Mailand zurück, wo er nun ebenfalls beginnt, im Verlag Garamond zu arbeiten. Just zu diesem Zeitpunkt beschließt der Verlagsleiter, von dem der Verlag seinen Namen hat, im großen Stil Bücher zu den Themen Okkultismus und Esoterik zu publizieren. Das hat natürlich zur Folge, dass sich Casaubon, Belbo und Diotallevi in noch größerem Ausmaß mit Verschwörungstheorien beschäftigen müssen. Der bereits erwähnte Aglié wird ebenfalls als Berater angeheuert. Basierend auf der „Geheimbotschaft“ des Oberst Ardenti beginnen Casaubon, Belbo und Diotallevi, zuerst nur als intellektuelles Spiel, ihre eigene Verschwörung zusammenzusetzen, in dem sie alle anderen Verschwörungstheorien zu einem allumfassenden „Großen Plan“ vereinigen, in dessen Zentrum letztendlich das Foucaultsche Pendel steht.

Doch irgendwann verselbständigt sich der Plan, die drei Freunde verlieren sich immer mehr in dem Monster, dass sie geschaffen haben, selbst als Casaubons neue Lebensabschnittsgefährtin und Mutter seines Kindes, Lia, ihm aufzeigt, dass es sich bei der Geheimbotschaft des Oberst Ardenti eigentlich um einen Merkzettel bzw., wie sie es ausdrückt, um eine Wäscheliste handelt. Zu diesem Zeitpunkt haben allerdings schon andere Geheimgesellschaften und Verschwörungstheoretiker, nicht zuletzt Agilé, vom „Großen Plan“ erfahren. Und wie es nun Mal so ist: Je größer der Unsinn, der in die Welt gesetzt wird, desto mehr Leute glauben ihn. Das führt schließlich dazu, dass Agilé und Konsorten Belbo dazu bringen, nach Paris zu kommen, um dort, in „Anwesenheit“ des Foucaultschen Pendels, das ultimative Geheimnis zu erfahren. An dieser Stelle setzt auch die Rahmenhandlung ein, die primär aus Casaubons Versuchen besteht, alle Ereignisse rund um den „Großen Plan“ zusammenzusetzen und zu rekapitulieren. Bei der Versammlung von Agilés Kultisten, bei der auch Ardenti wieder auftaucht, wird Belbo schließlich vor Casaubons Augen getötet, während Diotallevi bereits an Krebs gestorben ist. Casaubon vermutet, dass auch seine Stunde bald gekommen ist. Auf dieser ungewissen Note endet der Roman.

Die Superverschwörung
Gerade in Zeiten wie diesen, in denen, befeuert durch Corona, die wildesten Verschwörungstheorien wie, nun ja, wie ein Virus grassieren, ist „Das Foucualtsche Pendel“ definitiv eine lohnende Lektüre, weil es hervorragend aufzeigt, wie die Gedankengänge, die hinter den Verschwörungstheorien stecken, funktionieren: Alles muss Teil der großen Narrative sein, was nicht passt wird passend gemacht. Alles ist mit allem verknüpft, Ursache und Wirkung werden ad absurdum geführt. Schon lange, bevor Dan Brown mit seinen Verschwörungsthrillern bekannt wurde, verfasste Umberto Eco die ultimative Auseinandersetzung und Dekonstruktion – in einem Interview erklärte er sogar, nach der Lektüre von „The DaVinci Code“ sei ihm klar geworden, dass Dan Brown praktisch einer der Protagonisten seines Romans sei (Quelle).

Die größte Stärke ist faszinierenderweise auch die größte Schwäche des Romans: Mit über 800 Seiten in der deutschen DTV-Ausgabe ist „Das Foucaultsche Pendel“ ein ziemlich massiver Klotz. Wie für Eco üblich hat er äußerst umfassend recherchiert; man wird beim Lesen das Gefühl nicht los, dass er möchte, dass der Leser das auch mitbekommt, das Ausmaß an historischen, philosophischen und okkulten Informationen, die der Roman enthält, ist ziemlich groß. Für die Superverschwörung der drei Freunde greift Eco wirklich tief in die Kiste der Geheimgeselleschaften, okkulten Theorien und sonstigen Gruppierungen. Von den Templern über die Illuminaten bis hin zu den Nazis, den Rosenkreuzern, der Kabbala und der Gnosis, alles und jeder wird integriert, selbst Cthulhu wird einmal, wenn auch relativ zusammenhanglos, erwähnt. Die nur allzu bekannte Theorie, die nicht auch zuletzt zur Grundlage des „Da Vinci Code“ wurde, Jesus sei nicht am Kreuz gestorben, sondern habe mit Maria Magdalena eine Familie begründet, aus der das französische Herrschergeschlecht der Merowinger hervorkam, ist besonders prominent vertreten.

Stilistisch könnte der Unterschied zu einem Dan Brown mit seiner atemlosen, Cliffhanger-lastigen und von Actionfilmen inspirierten Erzählweise allerdings kaum größer sein. „Das Foucaultsche Pendel“ kann man beim besten Willen nicht als spannend bezeichnen. Das liegt zum einen am Informationsüberschuss. Dieser sorgt beim Lesen für einen fast schon autistischen Effekt, es fällt schwer, die für die Handlung wirklich wichtigen Details herauszufiltern, weil sie im Wust beinahe untergehen. Die andere Ursache ist die Art und Weise, wie Eco mit seinen Protagonisten umgeht. Als Leser bleibt man stets merkwürdig distanziert von ihnen. Obwohl Casaubon als Ich-Erzähler fungiert, erfahren wir doch nicht einmal seinen Vornamen. Gewissermaßen ist „Das Foucaultsche Pendel“ cleverer, als ihm gut tut. Gerade für diejenigen, die diesen Roman lesen sollten, dürft er zu anspruchsvoll bzw. nicht ansprechend oder mitreißend genug sein. Hier wäre weniger mehr gewesen. Aber zum Glück gibt es das Hörspiel…

Wie klingt ein Pendel?
Die Hörspieladaption von Ecos Roman, bei der Otto Düben Regie führte, wurde bereits 1990 vom WDR ausgestrahlt, später vom HörVerlag auf CD herausgebracht und ist recht prominent besetzt. Der bekannte Hörspielsprecher Matthias Haase spricht die Hauptfigure Casaubon, der 2009 verstorbene Film- und Fernsehschauspieler Karl-Michael Vogler leiht Jacopo Belbo seine Stimme und Diotallevi kommt wahrscheinlich jedem bekannt vor, da er von Christian Brückner, bekannt als deutsche Stimme von Robert De Niro, gesprochen wird. Schon allein diese hochkarätige Sprecherriege hilft dem Roman ungemein, da die Figuren, die in Ecos Prosa oftmals schwer greifbar sind, automatisch mehr Charakter bekommen und durch die Leistung der Sprecher deutlich besser „fassbar“ werden.

Auch sonst funktioniert der Adaptionsprozess sehr gut. Vergleicht man den Umfang von Roman und Hörspiel – aus 800 Seiten werden nur 3 CDs – zeigt sich, wie viele der historischen, philosophischen und okkulten Informationen, die im Roman enthalten sind, gekürzt werden können, ohne dass die Handlung wirklich beeinträchtigt wird. Tatsächlich zeigt sich beim direkten Vergleich, wie viele Details in diesem Zusammenhang relativ unnötig sind. Die Kernideen werden dennoch gut vermittelt, ohne die Handlung zu verdummen oder den Anspruch massiv zu reduzieren. Im Bereich der Figurenentwicklung bleibt alles soweit in Takt, lediglich Garamond und die Rolle, die sein Verlag, bzw. der Zweitverlag Manunzio und das Konzept der Buchreihen über Okkultismus spielen, wurde stark reduziert. Diese Aspekte waren für mich, der ich schon einmal in einem ähnlichen Verlag gearbeitet habe, durchaus interessant, auch weil ich einiges wiedererkannt habe, aber hier gilt ebenfalls: Es geht letztendlich auch ohne.

Dem Hörspiel gelingt es, die nötigen Informationen bzgl. der diversen Verschwörungen, Philosophien und Geheimbünde deutlich ökonomischer zu vermitteln, als das im Roman der Fall ist. Alles, was wichtig ist, wird angeschnitten, aber nicht so ausgewalzt, wie es bei Eco der Fall ist. Die Qualität der Sprecher und die stimmungsvolle Musik tun ihr übriges.

Fazit: Hier übertrifft die Adaption sogar die Vorlage. „Das Foucaultsche Pendel“ ist als Hörspiel deutlich angenehmer zu konsumieren als als Roman. Wo Umberto Ecos Text, trotz grandioser Konzeption, deutlich zu viele Informationen auf zu spröde Weise vermittelt, sodass die Figuren und die Handlung leiden, gelingt dem Hörspiel, nicht zuletzt auch dank der hervorragenden Sprecherriege, eine deutlich bessere Balance.

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Stück der Woche: A Thunder Battle


Bevor wir zu den wirklich faszinierenden Stücken kommen (will heißen: den Stücken, bei denen es signifikante Unterschiede zwischen Film und Album gibt), gilt es noch, zwei leitmotivische weniger interessante Tracks zu besprechen.

A Thunder Battle untermalt den Kampf der Steinriesen, die Jackson ein wenig zu wörtlich interpretierte, mit, wie der Titel es schon sagt, donnernden Blechbläserfiguren, deren Intensität sich ab der Einminutenmarke immer weiter steigert und die in Don Davis‘ Matrix-Scores sicher ebenfalls nicht fehl am Platz gewesen wären. Bei 2:15 steuern die Streicher einige zwergisch klingende Passagen bei, mit der die Schwierigkeiten der Kompanie, in dieser Situation am Leben zu bleiben untermalt werden. Die Melodie klingt ein wenig nach dem Zwerge-im-Exil-Motiv, es ist aber diskutabel, ob es sich hierbei um ein tatsächliches Statement handelt. Nicht diskutabel ist hingegen der kurze Einsatz von Azogs Thema bei 3:39.

In Under Hill stellt Shore eine neue Ausprägung des Ork-Materials vor, das die Bewohner von Orkstadt repräsentiert. Diese ebenso aggressiven wie missgestalteten Kreaturen bekommen ein abwärtssteigendes Blechbläsermotiv spendiert, unterlegt von einem treibenden Rhythmus, bei dem sich die Pauken ab 0:40 ziemlich verausgaben. Um die chaotische Natur dieses Völkchens zu verdeutlichen, setzt Shore zusätzlich aleatorische Blechbläser ein. Aleatorik bedeutet, dass Musiker im Orchester, in diesem Fall, wie erwähnt, die Blechbläser, gewissermaßen beschränkt improvisieren dürfen. In der aleatorischen Passage bekommen sie einige Noten vorgesetzt, die sie in beliebiger Reihenfolge und z.T. auch beliebigem Tempo spielen dürfen, wobei sie nicht einmal gezwungen sind, alle zu spielen. Auch in der LotR-Trilogie finden sich einige aleatorische Passagen, die bei einer Live-Aufführung natürlich besonders interessant sind, da hier die Unterschiede zum Album am größten ausfallen.

Als der Großork erwähnt, dass Azog noch am Leben ist, streut Shore natürlich das Thema des bleichen Ork ein. Hier zeigen sich schön sowohl die Gemeinsamkeiten (aggressive Blechbläser) als auch die Unterschiede (aleatorisches Chaos) zwischen den verschiedenen Ork-Themen. Azog und seine Gundabad-Orks sind deutlich disziplinierter als der Sauhaufen des Großorks – Shore macht das in der Musik sehr deutlich, verknüpft das Thema dieser Orks allerdings dennoch fest mit dem bereits etablierten Material, sodass es wunderbar zu den anderen Ork-Themen passt.

The Rise, Fall, and Rise of the Cthulhu Mythos

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Unglaublich, dass ich diese Monographie jetzt erst entdeckt habe, ist sie doch praktisch die definitive Auseinandersetzung mit dem sog. „Cthulhu-Mythos“. „The Rise, Fall, and Rise of the Cthulhu Mythos” wurde, wie könnte es auch anders sein, von S. T. Joshi verfasst, der nach wie vor und völlig zurecht als führende Autorität der Lovecraft-Forschung gilt – er hatte sogar einen kleinen Gastauftritt in Alan Moores Lovecraft-Meta-Comicserie „Providence“. Die erste Edition von „The Rise, Fall, and Rise of the Cthulhu Mythos” erschien bereits 2008, für die zweite Auflage, die 2015 auf den Markt kam, wurde das Werk noch einmal überarbeitet und natürlich um die seit 2008 erschienen Werke erweitert. Man sollte hier allerdings keine komplette Auflistung aller Autoren und Geschichten erwarten, die jemals etwas zum „Cthulhu-Mythos“ beigetragen haben – dafür bräuchte es ein mindestens doppelt so dickes Werk. Auch konzentriert sich Joshi fast ausschließlich auf englischsprachige Beiträge, sodass beispielsweise Christian von Asters „Ein Porträt Torquemadas“, nach wie vor eine meiner liebsten Mythos-Geschichten, keine Erwähnung findet.

Da der Begriff „Cthulhu-Mythos“ an sich schon umstritten ist, bemüht sich Joshi um eine begriffliche Abgrenzung; „Cthulhu-Mythos“ fungiert dabei als Oberbegriff. Für alle Geschichten von Lovecraft selbst, die dem Mythos zugeordnet werden, benutzt er den Begriff „Lovecraft-Mythos“. Bekanntermaßen hat sich HPL nie selbst um eine Bezeichnung für seine Pseudomythologie gekümmert, auch wenn er das eine oder andere Mal spaßeshalber von „Yog-Sothothery“ sprach. Wenn Joshi also vom „Lovecraft-Mythos“ spricht, bemüht er sich, Lovecrafts Geschichten von denen aller anderen Autoren abzugrenzen. Dem entgegen setzt er den Begriff „Derleth-Mythos“, mit dem er die spezifische Ausprägung des Mythos bezeichnet, die auf August Derleth und dessen Uminterpretation von Lovecrafts Werk zurückzuführen ist.

Die Definition des Mythos, sei es „Lovecraft-„ oder „Cthulhu-“, ist grundsätzlich recht diffizil. In der Einführung legt Joshi vier Kriterien bzw. Elemente fest, die man den Mythos-Geschichten attestieren kann und die deren Mythos-Zugehörigkeit aufzeigt. Dazu gehören Lovecrafts fiktive Topographie Neuenglands mit Städten wie Arkham oder Innsmouth, die immer wieder auftauchenden okkulten Werke wie das Necronomicon, die diversen außeridischen Götter und kosmischen Entitäten wie Cthulhu, Azathoth oder Yog-Sothoth und schließlich der Kosmizismus, also die philosophische Einstellung an sich. Aus diesem Grund rechnet Joshi „The Colour out of Space“ beispielsweise auch zum „Lovecraft-Mythos“, obwohl hier keine der Gottheiten auftaucht.

Das erste Kapitel, „Anticipation“, setzt sich mit Lovecrafts Werken von 1917 bis 1926 und der „Mythos-Entwicklung“ auseinander – hier bespricht Joshi Geschichten wie „Dagon“, „The Nameless City“ oder „The Festival“, die Stilmittel oder Elemente des Mythos beinhalten, aber noch nicht unbedingt als vollwertige Mythos-Geschichten zu werten sind. Das zweite Kapitel, „The Lovecraft Mythos: Emergence“, behandelt die Werke von 1926 bis 1930. Hier beginnt sich der tatsächliche Mythos, angefangen mit „The Call of Cthulhu“ – in Thema, Struktur, Aufbau etc. immer noch DIE archetypische Mythos-Geschichte – tatsächlich zu entwickeln. Kapitel III, „The Lovecraft Mythos: Expansion“, setzt sich schließlich mit der dritten Phase von Lovecrafts Schaffen auseinander und handelt die Geschichten von 1931 bis 36 ab. Diese Phase ist vor allem von einer Wandlung geprägt; Lovecrafts Geschichten bekommen in dieser Zeit eine stärkere Science-Fiction-Färbung, gerade Storys wie „At the Mountains of Madness“ dekonstruieren den Mythos regelrecht. Die Kapitel IV und V beschäftigen sich mit den Autoren, die bereits zu Lovecrafts Lebzeiten und in Rücksprache mit ihm Mythos-Geschichten verfasst haben, wobei hier ein „Geben und Nehmen“ zu beobachten ist. Autoren wie Robert E. Howard, Clark Ashton Smith und Frank Belknap Long (viertes Kapitel „Contemporaries: Peers“) bedienten sich nicht nur diverser Elemente aus Lovecrafts Geschichten, Lovecraft baute seinerseits Verweise in seine Werke ein. Ähnlich verhält es sich mit einigen etwas jüngeren Autoren, beispielsweise Robert Bloch, der später vor allem durch seinen Roman „Psycho“ (und nicht zuletzt durch die Verfilmung) bekannt werden sollte (fünftes Kapitel, „Contemporaries: Scions“).

In Kapitel VI setzt sich Joshi ausführlich mit August Derleth und seiner Interpretation bzw. Umdeutung des Mythos auseinander – statt kosmischer Horror ein Kampf von Gut gegen Böse inklusive guter „Äußerer Götter“ als Gegenstück zu den bösen „Großen Alten“; besagte „Äußere Götter“ gab es in dieser Form bei Lovecraft nie. Der Atheist Lovecraft hätte mit der katholisch geprägten Umdeutung seines Werkes sicher massive Probleme gehabt. In jedem Fall merkt man, dass Joshi Derleth nicht allzu sehr schätzt – um es milde auszudrücken. Hätte Derleth „nur“ Mythos-Geschichten mit dieser philosophischen Haltung geschrieben, wäre das Urteil wahrscheinlich bei weitem nicht so harsch ausgefallen, Joshis primäres Problem mit Derleth ist allerdings der Umstand, dass er Lovecraft seine Interpretation „aufdrückt“ und zur einzig gültigen erklärt, obwohl aus Lovecrafts Geschichten und Briefen mehr als deutlich wird, dass Derleth falsch liegt.

Dass sich Derleths Version des Mythos nicht durchgesetzt hat, attestiert Joshi primär der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Lovecraft. Nach Kapitel VIII, „Interrgenum“, in dem er die Mythos-Werke abseits von Derleth bis in die 70er bespricht, beschreibt er in Kapitel IX, „The Scholarly Revolution“ die Entwicklung besagter Auseinandersetzung und die Auswirkung, die diese auf Mythos-Autoren und Werke hatte. Besonders wird dabei ein Essay mit dem Titel „The Derleth Mythos“ von Richard L. Tierney hervorgehoben, das Joshi als essentiell für das Absterben des „Derleth-Mythos“ ansieht, aber die Beiträge zur Lovecraft-Forschung von Dirk W. Mosig, David E. Schultz oder auch Joshi selbst werden gewürdigt.

In den letzten beiden Kapiteln, „Recrudescence“ und „Resurgence“, bemüht sich Joshi, einen Überblick über die verschiedenen Werke und Strömungen des „Cthulhu-Mythos“ in englischer Sprache zu bieten, was aufgrund der schieren Masse an Publikationen natürlich ein schwieriges Unterfangen ist, weshalb er auch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Dennoch, wer Empfehlungen für Mythos-Geschichten aus den letzten drei bis vier Jahrzehnten sucht, wird in diesen beiden Kapiteln definitiv fündig.

Fazit: S.T. Joshis „The Rise, Fall, and Rise of the Cthulhu Mythos” ist für alle Lovecraft-Fans und Forscher ein unverzichtbares Begleitwerk, in dem detailliert die Entwicklung des sog. „Cthulhu-Mythos“ gezeichnet wird, von den Ursprüngen bei Lovecraft über August Derleths Entgleisungen bis hin zu den modernen Ausprägungen.

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Siehe auch:
Lovecrafts Vermächtnis: Der Cthulhu-Mythos

Stück der Woche: Over Hill


Während die Mitglieder des Weißen Rates noch diskutieren, brechen Bilbo und die Zwerge bereits aus Bruchtal auf – begleitet von einem noch recht zurückhaltenden Statement des Misty-Mountains-Themas direkt am Anfang des Stückes. Bei 0:22 geht es nahtlos in Thorins Thema über, um nach einer kurzen, sehr ruhigen Passage vom Lórien-Thema abgelöst werden, das die Unterhaltung zwischen Gandalf und Galadriel untermalt. Hier fehlt allerdings die indische Instrumentierung, stattdessen deuten die Holzbläser, die die Melodie spielen, bereits auf das Auenlandthema hin. Und tatsächlich, bei 1:39, als Gandalf Galadriel erklärt, dass ihm der Hobbit Mut macht, erklingt die nur allzu bekannte Variation, die Doug Adams „A Hobbit’s Understanding“ nennt.

In der Hobbit-Trilogie im Allgemeinen und „An Unexpected Journey“ im Besonderen gibt es eine ganze Reihe an Momenten und Szenen, die vor allem dazu da sind, Erinnerungen an die LotR-Trilogie zu wecken. Die meisten davon sind bestenfalls unnötig und schlimmstenfalls nervig und unpassend. Erfreulicherweise gibt es aber auch einige, die vollauf gelungen sind. Ich wäre enttäuscht gewesen, hätte es keine Wandermontage mit epischer Untermalung gegeben. Natürlich muss das Misty-Mountains-Thema dafür herhalten, und es erledigt seinen Job mit Bravour. Ab 2:18 schwillt es an, holt praktisch Anlauf, um dann bei 3:05 in seiner bislang epischsten Variation zu erklingen. Wer genau aufpasst wir bemerken, dass Shore immer wieder Thorins Thema eingebaut hat, zum ersten Mal bei 2:43, ein weiteres Mal bei 3:10 und noch ein drittes Mal bei 3:17 zum Abschluss.

Over Hill ist ohne Frage das Hobbit-Gegenstück zu The Ring Goes South (ursprüngliches Album) bzw. Gilraens Memorial (Complete Recordings). In diesem Kontext ist es interessant, dass dieses Stück bzw. die musikalische Untermalung dieser Szene völlig anders hätte aussehen können. Auf der Special Edition des ersten Hobbit Scores findet sich ein Bonus-Stück namens The Edge of the Wild, bei dem ich mir ziemlich sicher bin, dass es sich dabei eine Alternative zu Over Hill aus einer früheren Schnittfassung des Films oder Konzeptionsphase des Scores handelt. Ich vermute, dass viele der musikalischen Verknüpfungen und sonstigen Rückgriffe verhältnismäßig spät beschlossen wurden. Möglicherweise planten Jackson und Shore ursprünglich, den Aufbruch der Zwerge nicht ganz so monumental zu gestalten. Die erhöhte Präsenz des Misty-Mountains-Themas im gesamten Score könnte ebenfalls eine recht spät getroffene Entscheidung sein, vielleicht ist hier der ursprüngliche Trailer verantwortlich zu machen, der Lied und die Score-Adaption dieser Melodie vorstellte und im Fandom äußerst gut ankam. Over Hill enthält mehr oder weniger dieselbe Variation des Themas wie besagter Trailer. Bei 0:53 in The Edge of the Wild findet sich zwar ebenfalls ein Einsatz des Misty-Mountains-Themas, aber doch deutlich kürzer und weniger episch. Außerdem erklingt zuvor noch ein anderes Thema mit ähnlichem Vibe, das gemeinhin als Reisethema von Thorin und Kompanie interpretiert wurde, aber nur in einem anderen Stück auf dem Album auftaucht, ganz am Ende von The World Is Ahead. Vielleicht sollte dieses Thema ursprünglich die Gemeinschaft repräsentieren, bevor man beschloss, hierfür die Misty-Mountains-Melodie zu verwenden.

Der Rest des Stücks lädt ebenfalls zur Spekulation ein, denn die Passage nach dem Misty-Mountains-Thema entspricht fast eins zu eins einem Stück aus „The Desolation of Smaug“, The High Fells, besonders die hohen auf- und absteigenden Streicherfiguren bei 1:25 sind ein sehr dominantes Element in beiden Stücken. Ab 2:25 mischt sich das Material des Nekromanten in das Stück. Dieser Umstand lädt zu der Vermutung ein, dass Gandalfs Ausflug zu den Gräbern der Nazgûl in „The Desolation of Smaug“ ursprünglich, als noch zwei Hobbit-Filme geplant waren, an dieser Stelle hätte stattfinden sollen, parallel zur Reise der Gemeinschaft durch das Nebelgebirge. Bestärkt wird das durch einen kurzen Ausschnitt der High-Fells-Szenem in einem der Trailer zu „An Unexpected Journey“.

Siehe auch:
My Dear Frodo
A Very Respectable Hobbit
Axe or Sword?
The World Is Ahead
An Ancient Enemy
Roast Mutton
The Hill of Sorcery
Warg-Scouts
Moon Runes
The White Council

Die Untoten

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Ich stehe auf schöne Bücher und habe mir auch schon Exemplare primär aus ästhetischen Gründen angeschafft. Ein grundlegendes Interesse am Inhalt sollte natürlich schon vorhanden sein, aber wahrscheinlich hätte ich mir keinen Sammelband der Jules-Verne-Romane in englischer Übersetzung angeschafft, hätte er nicht diesen wunderschönen roten Ledereinband und sähe so grandios aus neben meinen anderen Exemplaren der Reihe „Barnes and Noble Leatherbound Classics“. Hin und wieder gibt es dann allerdings auch wirklich Glücksgriffe, die einen zufällig in der Buchhandlung geradezu anspringen, die wie für einen gemacht scheinen und bei denen sich Inhalt und Form perfekt ergänzen. „Die Untoten“ von Johan Egerkrans gehört zu diesen Glücksfällen.

Bei Johan Egerkrans handelt es sich um einen schwedischen Kinderbuchillustrator, dieses spezielle „Bilderbuch“ ist allerdings definitiv nicht für Kinder geeignet – dafür trifft es aber genau meinen Geschmack. Nicht nur sieht es mit dem schwarzen Leineneinband mit Goldprägung exquisit aus, der Inhalt ist auch wie für mich gemacht. Es handelt sich hierbei um eine Überblicksdarstellung diverser Untoter aus allen Teilen der Welt. Nach einer allgemeinen Einführung sind diese Wesen – Egerkrans konzentriert sich hier auf Untote aus Mythen und Legenden, nicht aus der moderneren Literatur – geografisch geordnet. Es beginnt mit den europäischen Kreaturen, die einem als Leser aus diesen Gefilden wohl noch am vertrautesten sind; Sukkubus, Strigoi, Nachzehrer, Banshee und Lamia haben es doch immer wieder in die Popkultur geschafft. Danach folgen die Untoten aus Afrika und dem Nahen Osten, aus Amerika sowie aus Asien und Ozeanien. Diese dürften im Mainstream weitaus weniger bekannt sein, selbst mir ist auf diesen Seiten das eine oder andere Wesen begegnet, von dem ich noch nie zuvor gehört habe.

Es handelt sich bei „Die Untoten“ um eine schöne bebilderte Überblicksdarstellung, die Texte zu den einzelnen Kreaturen gehen nicht besonders in die Tiefen, bieten aber einen guten und kompakten Überblick über das jeweilige Wesen. Das primäre Argument für dieses Buch sind ohnehin die Illustrationen von Johan Egerkrans und diese sind – in einem Wort – schlicht grandios. Egerkrans hat einen eher kantigen Stil, der an eine detaillierter Version der Zeichnungen von Mike Mignola erinnert und der zur Thematik des Werkes perfekt passt. Die Bebilderung ist bizarr, makaber, auf ihre ganz eigene Art aber wirklich wunderschön und unglaublich stimmig. Egerkrans gelingt es perfekt, diese Untoten aus den verschiedensten Kulturen passend einzufangen, sodass sie besagte Kultur entsprechend repräsentieren. Zugleich schafft er es, eine einheitliche, gotisch-romantische Stimmung zu erzeugen, die von der Einbandgestaltung unterstützt wird. Besonders angetan haben es mir Egerkrans‘ Interpretation der Lamia, des Asanbosam, des Wendigo, des Draug, der Manananggal und der Yuki Onna. Egerkrans hat auch die Götter und Kreaturen der nordischen Mythologie in ähnliche konzipierten Bänden umgesetzt – diese stehen bereits auf dem Einkaufszettel.

Fazit: Egal ob als Recherchestartpunkt, zur Inspiration oder nur zum Schmökern und Genießen, Johan Egerkrans‘ „Die Untoten“ ist eine wunderschöne und herrlich illustrierte Überblicksdarstellung der Geister, Blutsauger und Wiedergänger aus den Mythen der Welt, die sich kein Freund des Gotischen oder Makaberen entgehen lassen sollte.

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Art of Adaptation: Die neun Pforten

Enthält Spoiler zu Roman und Film

Bei „Der Club Dumas“ (Originaltitel: „El Club Dumas“), verfasst von dem spanischen Schriftsteller Arturo Pérez-Reverte und erschienen im Jahr 1993, handelt es sich um einen Roman, den ich erst kürzlich in Hörbuchform konsumiert habe. Die Filmadaption dagegen kenne ich schon ziemlich lange, sie stammt aus dem Jahr 1999 und trägt den Titel „Die neun Pforten“ (Originaltitel: „The Ninth Gate“), Regie führte Roman Polanski. In Bezug auf das Thema „Adaption“ ist dieser Film ein sehr interessantes Studienobjekt. Pérez-Revertes Roman hat zwei übergreifende Handlungsstränge – den einen adaptieren Polanski und seine Drehbuch-Co-Autoren John Brownjohn und Enrique Urbizu mit Abstrichen sehr Vorlagengetreu, während sie den anderen komplett fallen lassen.

Handlung
Der Bücherhändler und -jäger Corso (Johnny Depp) wird von einem enigmatischen Sammler (Frank Langella) angeheuert. Besagter Sammler, der sich auf Bücher, die sich mit Satan beschäftigen, spezialisiert hat, hat ein enorm seltenes Buch erworben: „Die neun Pforten ins Reich der Schatten“, entstanden im 17. Jahrhundert und verfasst und gedruckt von Aristide Torchia. Der vorherige Besitzer hat kurz nach dem Verkauf Selbstmord begangen. Es sind noch zwei weitere Exemplare des Werkes bekannt, eines befindet sich in Spanien, das andere in Paris. Der Sammler vermutet, dass nur eines der drei Exemplare das richtige ist und beauftragt Corso damit, die drei Exemplare miteinander zu vergleichen. Sollte sich herausstellen, dass eines der anderen das richtige ist, kommt ein Folgeauftrag hinzu: Er soll das richtige um jeden Preis an sich bringen. Nach einem kurzen Intermezzo mit der Witwe des toten Vorbesitzers (Lena Olin) begibt sich Corso zu den Gebrüdern Ceniza (José López Rodero), bei denen es sich um hochtalentierte Antiquare handelt, um in Erfahrung zu bringen, ob die Fälschung eines Buches wie „Die neun Pforten“ überhaupt möglich ist. Die Brüder bestätigen, dass eine Fälschung möglich, allerdings sehr unwahrscheinlich und kostspielig wäre. Im Anschluss begibt sich Corso zum Besitzer der zweiten Ausgabe, einem verarmten Büchersammler namens Victor Fargas (Jack Taylor). Dieser erlaubt ihm, die beiden Exemplare der „Neun Pforten“ miteinander zu vergleichen. Dabei fällt Corso auf, dass die Holzschnitte nicht miteinander übereinstimmen. Es sind immer nur kleine Details – Schlüssel, die sich in unterschiedlichen Händen befinden, zugemauerte Eingänge etc. In jeder der beiden Ausgaben sind drei Holzschnitte mit LCF signiert, im Gegensatz zu den sechs anderen, die vom Autor selbst angefertigt wurden.

Bereits am Anfang seiner Reise ist Corso eine mysteriöse Blondine (Emmanuelle Seigner) aufgefallen, die ihn regelrecht zu verfolgen scheint und ihn nun warnt. Tatsächlich, Corso findet Fargas am nächsten Tag tot auf und sein Exemplar der „Neun Pforten“ wurde zerstört, die LCF-Holzschnitte wurden zuvor entfernt. Zusammen mit der Blondine, die nun zu Corsos Reisebegleiterin wird, begibt sich der Bücherjäger nach Paris, um die Besitzerin der dritten Ausgabe der „Neun Pforten“ aufzusuchen. Die Baroness (Barbara Jefford) ist zunächst zögerlich, erlaubt Corso dann jedoch, ihr Exemplar zu studieren. Auch hier findet Corso abermals drei Holzschnitte mit den LCF-Initialen. Somit ist klar: Erst, wenn man alle drei Ausgaben besitzt, hat man auch alle neun Holzschnitte, mit denen dann angeblich der Teufel beschworen werden kann. Doch die Ereignisse wiederholen sich, die Baroness wird ermordet und die LCF-Holzschnitte werden gestohlen – genauso wie Corsos Exemplar. Will er sich nicht den Zorn seines Auftraggebers zuziehen, sollte er sich schleunigst daran machen, die gestohlenen Holzschnitte und das Exemplar zurückzubringen. Die Spur führt in zur Witwe des ursprünglichen Besitzers…

Der Teufel im Detail
Diese Inhaltsangabe habe ich so verfasst, dass sie sowohl für den Film als auch für den Roman funktioniert. Bevor ich auf den völlig ignorierten Handlungsstrang zu sprechen komme, zuerst noch das eine oder andere Detail, das geändert wurde – hier sind vor allem die Namen und der Ausgangsort der Handlung betroffen, sowie einige andere Details. Da Arturo Pérez-Reverte Spanier ist, verwundert es nicht, dass die Handlung auch in Spanien beginnt und endet. Polanski verlegte die Handlung dagegen nach New York – dementsprechend änderte er auch den Namen des Protagonisten, der im Roman Lucas Corso heißt, während er im Film Dean Corso genannt wird. Der ehemalige Besitzer der „Neun Pforten“, der sich zu Beginn der Handlung umbringt, heißt bei Pérez-Reverte Enrique Taillefer, amerikanisiert wird aus ihm Andrew Telfer. Ähnlich wurde mit seiner Frau verfahren; im Roman Lianna Taillefer, im Film Liana Telfer. Und aus der Baroness Frieda Ungern, der Besitzerin der dritten Ausgabe, wird im Film aus mir recht unerfindlichen Gründen Frieda Kessler. Am interessantesten ist jedoch die Adaption des Auftraggebers: Eigentlich ist diese Figur sehr vorlagengetreu umgesetzt, allerdings trägt genau dieser Charakter, der die „Neun Pforten“ erwirbt und Corso anheuert, im Roman den Namen Varo Borja, während die Figur, die bei Pérez-Reverte als Boris Balkan auftritt und als Chronist der Ereignisse fungiert, im Film kein Gegenstück hat. Natürlich finden sich abseits dieser Figuren noch diverse weitere kleinere und größere Abweichungen, vor allem gegen Ende hin, allerdings folgt der Film der Romanhandlung und ihren Stationen insgesamt sehr genau.

Der Dumas-Faktor
Wer nur mit „Die neun Pforten“ vertraut ist, mag sich vielleicht fragen, weshalb die Romanvorlage eigentlich den Titel „Der Club Dumas“ trägt. Kommen wir nun also zum zweiten, aus dem Film getilgten Handlungsstrang. Bei Pérez-Reverte führt Corso nämlich Parallel zur Untersuchung der „Neun Pforten ins Reich der Schattem“ einen weiteren Auftrag aus. Es handelt sich hierbei um die Untersuchung eines Manuskripts, bei dem es sich angeblich um eine Original-Handschrift aus den „Drei Musketieren“ von Alexandre Dumas handelt. Während Varo Borja im Roman die Rolle einnimmt, die Boris Balkan im Film innehat, ist die Romanversion von Balkan ein Dumas-Experte und hat nichts mit Satanismus am Hut. Auch Lianna Taillefer ist im Roman nicht hinter den „Neun Pforten“ her (was allerdings lange unklar bleibt), sondern hinter dem Dumas-Manuskript. Selbst vor dieser Enthüllung sind die beiden Handlungsstränge voneinander merkwürdig separiert und wollen nicht so recht ineinandergreifen. Während Corso sich im Film immer wieder in Situationen wiederfindet, die an die Holzschnitte aus den „Neun Pforten“ erinnern, tauchen im Roman immer mehr Parallelen zu den „Drei Musketieren“ auf. Lianna Taillefer stilisiert sich selbst als Milady de Winter mit ihrem eigenen Rochefort. Gegen Ende des Romans kommt dann heraus, dass beide Handlungsstränge tatsächlich überhaupt nicht zusammenhängen und die Verknüpfungen lediglich von Corso fälschlicherweise wahrgenommen wurden. Varo Borja endet zwar ähnlich wie die Film-Version von Boris Balkan, aber das wird eher als Nachgedanke inszeniert.

Für den Film konzentrierte sich Polanski ausschließlich auf die Handlung um die „Neun Pforten“ und reichert Corsos Recherchereise mit Elementen eines okkulten Thrillers an (mit diesem Genre hat er ja einige Erfahrungen). Die enigmatische Begleiterin Corsos, die im Roman scherzhaft „Irene Adler“ genannt wird (ausnahmsweise Doyle statt Dumas), besitzt im Film eindeutig übernatürliche Kräfte; während sie bei Pérez-Reverte behauptet, ein gefallener Engel zu sein, scheint das bei Polanski tatsächlich zuzutreffen. Im Roman taucht der echte neunte Holzschnitt darüber hinaus auch nicht auf und Corso macht sich am Ende auch nicht daran, das Ritual selbst durchzuführen, nachdem Balkan/Borja daran gescheitert ist.

Urteil
„Der Club Dumas“ ist in Essenz ein ähnlich bibliophiler Roman wie „Der Name der Rose“ oder „Die Stadt der träumenden Bücher“ – besonders an letzteres Meisterwerk von Walter Moers wurde ich immer wieder erinnert. Lucas Corso besitzt zwar nicht unbedingt Ähnlichkeiten mit Hidlegunst von Mythenmetz, aber durchaus mit Colophonius Regenschein, da beide im Grunde Bücherjäger sind und den alten Schwarten mit detektivischem Geschick zu Leibe rücken. Dementsprechend besteht ein großer Teil des Romans auch aus Erläuterungen rund um das Buch-, Verlags- und Druckwesen – mit einem gewissen Fokus auf Alexandre Dumas. Das ist allerdings keinesfalls dröge oder langweilig, Pérez-Reverte bereitet das Ganze äußerst unterhaltsam auf, da die Informationen für Corsos Tätigkeit und die Handlung relevant sind. Corso gibt dabei auch einen durchaus brauchbaren Protagonisten ab, der eigentlich zynisch und etwas zwielichtig ist, aber nach und nach von den Ereignissen mitgerissen wird. Ganz allgemein ist „Der Club Dumas“ äußerst spannend geschrieben. In der Hörbuchfassung kommt noch David Nathans Interpretation dazu, die wie üblich erstklassig ist. Amüsanterweise gehört „Die neun Pforten“ zu den Filmen, in denen Nathan nicht Johnny Depp spricht. Das größte Problem des Romans ist das letzte Drittel und der Umstand, dass die beiden Handlungsstränge eben nicht zusammenhängen. Das Ende wirkt fast schon enttäuschend; die Handlung flacht im Grunde einfach ab.

Gerade hier weiß die Filmadaption Abhilfe zu schaffen, da sie durch die Eliminierung des Dumas-Plots die dramaturgischen Probleme des letzten Drittels elegant umschifft. Ironischerweise unterscheiden sich die Ereignisse in Buch und Film gar nicht so sehr voneinander, es ist lediglich die Art und Weise, wie sie präsentiert und kontextualisiert werden. Der titelgebende Club Dumas, in dem Boris Balkan und Liana Teillefer Mitglieder sind, wird durch eine Gruppe von Satanisten ersetzt und das restliche Geschehen wird dramatischer interpretiert. Diese Veränderungen sorgen auch dafür, dass „Die neun Pforten“ zu einem okkulten Thriller werden, was bei „Der Club Dumas“ nicht der Fall ist; wo es im Roman eine gewisse Ambiguität gibt, schafft der Film Klarheit, „Irene Adler“ ist tatsächlich Satan oder eine Dämonin. In diesem Zusammenhang muss allerdings auch gesagt werden, dass diese Klarheit in Bezug auf das Übernatürliche mitunter etwas überdreht und lächerlich wirkt, besonders dann, wenn „Irene Adler“ zu fliegen anfängt.

Letztendlich sind sowohl Roman als auch Film empfehlenswert, sofern man sich für die entsprechenden Thematiken interessiert – dennoch ist „Die neun Pforten“ als Adaption schwierig zu bewerten, da eben doch ein essentielles Element des Romans, das ihm sogar seinen Namen gibt, komplett ausgelassen wird. Aber als Film funktioniert „Die neun Pforten“, besonders in dramaturgischer Hinsicht, mit Fokus auf eben jenes satanische Buch zweifelsfrei am besten.

Stück der Woche: The White Council


Reine Gesprächsszene sind oft größere Herausforderungen für Komponisten als beispielsweise Actionszenen, da die Musik den Dialogen nicht in den Weg kommen darf. Oftmals entscheiden sich Regisseure gar dafür, den Score in langen Dialogszenen verstummen zu lassen oder er wird drastisch zurückgefahren und man setzt auf eine sehr reduzierte Präsenz. Bei Howard Shores Mittelerde-Scores spiegelt die Musik dagegen den Gesprächsverlauf genau wider – an keinem anderen Stück zeigt sich das besser als an The White Council. Nebenbei findet sich in diesem Track auch gleich ein Sammelsurium an Themen aus der LotR-Trilogie. Es geht direkt mit einer ziemlich angenehmen Variation des Bruchtal-Themas mit sanften Streichern, Harfe und subtilem Choreinsatz los; diese untermalt Bilbos Streifzüge durch Elronds Haus. Ab 0:38 wird die Stimmung etwas düsterer und wir hören zum ersten Mal in diesem Score die absteigende Terz, eine der in der LotR-Trilogie am häufigsten auftauchenden Begleitfiguren Mordors. Sowohl Azogs Thema als auch das Motiv des Nekromanten basieren auf ihr, hier tritt sie allerdings in Reinform auf, begleitet von einer ersten Andeutung des Geschichte-des-Ringes-Themas bei 0:43, während Bilbo das Gemälde von Sauron und Isildur gegenüber den Bruchstücken von Narsil betrachtet. Fun Fact: In „The Fellowship of the Ring“ sieht man den Ring nicht auf dem Gemälde, für „An Unexpected Journey“ wurde er als Foreshadowing integriert.

Nach diesem kurzen Intermezzo kehrt die Musik wieder zum Bruchtal-Thema mit verstärkter Chorpräsenz zurück. Bei 1:32 stimmen die Holzbläser dann das Beutlin/Tuk-Thema in der Beutlin-Fassung an. Direkt darauf folgt die Tuk-Fassung, gespielt von den deutlich unruhigeren Streichern. Hier wird der Konflikt zwischen der heimverbundenen Beutlin- und der abenteuerlustigen Tuk-Seite Bilbos verdeutlicht, als Elrond ihm anbietet, er könne jederzeit in Bruchtal bleiben. Leider ist dies nur auf dem Album der Fall, wie so oft wurde diese Bilbo-spezifische Musik durch einen, man möchte schon fast sagen, „generischen“ Einsatz des Auenland-Themas ersetzt.

Um die Dreiminutenmarke herum mischen sich zwergische Akkorde in die Musik, die bei 3:20 in einem sehr subtilen Statement des Haus-Durins-Themas kulminieren, das sich in den folgenden beiden Filmen langsam zur primären Repräsentation der Zwerge entwickelt, in „An Unexpected Journey“ allerdings nur in verfremdeten Andeutungen vorhanden ist. Ominöse Streicher tragen die Musik anschließend in eine andere Richtung, während Gandalf und Elrond miteinander sprechen. Ab 3:52 sind die vertrauten Klänge des Lórien-Themas zu vernehmen, die Galadriels Auftritt begleiten – hier natürlich in der klassisch-ätherischen und nicht der militaristischen Variation zu hören, inklusive Chor und der Präsenz indischer Instrumente wie des Sarangi. Da noch ein weiteres Mitglied des Weißen Rates zugegen ist, hören wir bei 4:40 die Andeutung eines weiteren vertrauten Themas, denn Sarumans Auftauchen wird von einer kurzen Andeutung des Isengard-Themas begleitet. Diese Variation ist noch weit entfernt von der industriellen Ausprägung, die es schließlich in der LotR-Trilogie erhält, aber dennoch schwingt schon eine subtile Bedrohung mit. Direkt darauf folgt in den Streichern bei der Fünfminutenmarke eine extrem subtile Andeutung von Gandalfs Thema. Der Tonfall des Stücks bleibt ominös, bei 5:25 deutet sich ein weiteres Mal das Geschichte-des-Ringes-Thema in den hohen Streichern an. Als sich das Gespräch dem Nekromanten in Dol Guldur zuwendet, erklingt bei 5:55 auch sein auf der absteigenden Terz basierendes Thema und gewinnt langsam an Kraft. Ab 6:45 sind schließlich subtile Versatzstücke des Radagast-Materials zu hören, während Saruman sich despektierlich über den braunen Zauberer äußert. Bei 7:43 kehrt das Gespräch allerdings wieder zum Nekormanten zurück; dieses Mal ist es sein aufsteigendes Motiv, das erklingt, deutlich kräftiger als zuvor das absteigende, und ein weiteres Mal geht es direkt in Saurons Thema über – als ob wir nicht ohnehin schon alle wüssten, wer sich hinter der Maske des Nekromanten verbirgt. Der Abschluss des Stückes behält die ominös-mysteriöse Stimmung bei; am Ende kommt der Chor noch einmal zum Einsatz.

Siehe auch:
My Dear Frodo
A Very Respectable Hobbit
Axe or Sword?
The World Is Ahead
An Ancient Enemy
Roast Mutton
The Hill of Sorcery
Warg-Scouts
Moon Runes